.. UNIVERSIT AT BONN Physikalisches Institut Rekonstruktion des Prozesses tt̄H → bνl+ b̄ν̄l− bb̄ in Proton-Proton-Kollisionen mit dem ATLAS-Detektor am LHC von Teresa Negrini Abstract: A study of the discovery potential for a light Standard Model Higgs boson in association with a top quark-pair at the LHC is performed using the fast simulation of the ATLAS detector. The Higgs boson is assumed to decay into bb̄, both top-quarks decay leptonically into lbν. The complex final state is fully reconstructed in order to minimize the combinatorial background from assigning two out of the four b-jets present in the signal itself to the Higgs boson decay and to separate the signal from the large tt̄bb̄-background. A significance of σ=1.4 is found for a Higgs boson mass of 120 GeV and an integrated luminsosity of 30 f b−1 . Post address: Nussallee 12 D-53115 Bonn Germany BONN-IB-2004-02 Bonn University November 2003 . Rekonstruktion des Prozesses tt̄H → bνl+ b̄ν̄l− bb̄ in Proton-Proton-Kollisionen mit dem ATLAS-Detektor am LHC von Teresa Negrini Diplomarbeit in Physik angefertigt am Physikalischen Institut vorgelegt der Mathematisch–Naturwissenschaftlichen Fakultät der Rheinischen Friedrich–Wilhelms–Universität Bonn im November 2003 . Ich versichere, daß ich diese Arbeit selbständig verfaßt und keine anderen als die angegebenen Quellen und Hilfsmittel benutzt sowie die Zitate als solche kenntlich gemacht habe. Referent: Koreferent: Prof. Dr. M. Kobel Prof. Dr. I. Brock . .. UNIVERSIT AT BONN Physikalisches Institut Rekonstruktion des Prozesses tt̄H → bνl+ b̄ν̄l− bb̄ in Proton-Proton-Kollisionen mit dem ATLAS-Detektor am LHC von Teresa Negrini Dieser Forschungsbericht wurde als Diplomarbeit von der mathematisch - naturwissenschaftlichen Fakultät der Universität Bonn angenommen. Angenommen am: Referent: Koreferent: 11. November 2003 Prof. Dr. M. Kobel Prof. Dr. I. Brock . Inhaltsverzeichnis 1 Einleitung 1 2 Theoretische Grundlagen 2.1 Das Standardmodell . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2 Massenerzeugung und Higgs-Mechanismus im Standardmodell 2.3 Produktion und Zerfall des Higgs-Bosons . . . . . . . . . . . . 2.3.1 Produktion des Higgs-Bosons am LHC . . . . . . . . . 2.3.2 Zerfälle des Higgs-Bosons . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.4 Suche nach dem Higgs-Boson mit dem ATLAS-Detektor . . . 2.5 Signatur der assoziierten tt-Produktion . . . . . . . . . . . . . 3 Das 3.1 3.2 3.3 . . . . . . . 4 4 6 11 11 11 12 16 Experiment und Ereignissimulation Der LHC-Speicherring . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Der ATLAS-Detektor . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Simulation von Ereignissen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21 21 23 28 4 Analyse des tt̄H-Endzustandes 4.1 Rekonstruktion der Ereignisse . . . 4.2 Selektion der Ereignisse . . . . . . . 4.2.1 Vorselektion . . . . . . . . . 4.2.2 Likelihood-Selektion . . . . 4.3 Ergebnisse der Likelihood-Selektion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 31 31 40 40 41 60 5 Zusammenfassung 62 Danksagung 69 i . 1 Einleitung Die Elementarteilchenphysik untersucht die fundamentalen Teilchen der Materie und deren Wechselwirkungen. Im Standardmodell der Elementarteilchenphysik werden die drei Wechselwirkungen der elektromagnetischen, der starken und der schwachen Kraft durch das einheitliche Konzept der lokalen Eichfeldtheorien beschrieben. Das Standardmodell erlaubt quantitative Vorhersagen, die sehr erfolgreich durch experimentelle Messungen bestätigt werden. In der ursprünglich von Glashow aufgestellten Yang-Mills-Theorie der elektroschwachen Wechselwirkung [1] konnten jedoch nur masselose Fermionen und Eichbosonen beschrieben werden. Die experimentell bestimmten Massen der W-Bosonen (mW =80.4 GeV), des Z-Bosons (mZ =91.2 GeV) und des Top-Quarks (mt =174.3 GeV) sind ein offensichtlicher Widerspruch hierzu [2]. Durch eine spontane Symmetriebrechung, den Higgs-Mechanismus, können Massen für die Fermionen und Eichbosonen erzeugt werden, ohne die lokale Eichinvarianz zu verletzten. Dabei wird ein skalares Teilchen postuliert, das Higgs-Boson. Die Kopplungen des Higgs-Bosons an die Eichbosonen sind im Standardmodell zwar genau vorgegeben, seine Masse ist jedoch ein freier Parameter dieser Theorie, da sie nicht vorhergesagt werden kann. Alle anderen Teilchen des Standardmodells konnten bisher mit der Entwicklung von leistungsfähigeren Beschleunigern und damit höheren Schwerpunktsenergien experimentell nachgewiesen werden. Zuletzt wurden 1995 das Top-Quark durch die Experimente CDF und D0[3, 4, 5] am Fermilab und 2000 das τ -Neutrino durch das DONUT-Experiment[6] ebenfalls am Fermilab entdeckt. Der experimentelle Nachweis des Higgs-Bosons ist daher von außerordentlichem Interesse und ein zentrales Forschungsgebiet der Elementarteilchenphysik. Im Jahr 2007 wird der Large Hadron Collider √ am CERN in Betrieb genommen, bei dem mit einer Schwerpunktsenergie von s=14 TeV zwei Protonenstrahlen zur Kollision gebracht werden. Die entstehenden Zerfallsprodukte können mit dem ATLAS-Detektor untersucht werden. Studien haben gezeigt, daß ein Standardmodell Higgs-Boson mit einer Masse, die oberhalb von 114.4 GeV und unterhalb von 130 GeV liegt, schon während der ersten Betriebsjahre des ATLAS-Experiments gefunden werden kann. Die untere Massengrenze des Higgs-Bosons ist das bei LEP2 gefundene Massenlimit[7]. Vorhersagen aus der Supersymmetrie geben eine obere Grenze der Masse des Higgs-Bosons an. Sollte in diesem Massenbereich das Higgs-Boson nicht gefunden werden, muß man die supersymmetrische Theorie durch andere Theorien ersetzten. 1 1 Einleitung In dieser Arbeit wird der Prozeß tt̄H → bνl+ b̄ν̄l− bb̄ untersucht, der in Abbildung 1.1 dargestellt ist. Für eine Suche nach kleinen Massen des Higgs-Bosons mH ≤ 140 GeV ist die Kopplung des Higgs-Bosons an b-Quarks dominant. Die Wirkungsquerschnitte der Gluon-Fusion, der Vektor-Boson-Fusion und der assoziierten Produktion qq → HW, HZ sind zwar um eine bis zwei Größenordnungen größer als der Wirkungsquerschnitt der assoziierten tt̄H-Produktion. Die beiden Leptonen im Endzustand des untersuchten Prozesses verleihen dem Signal jedoch eine außerordentlich klare Signatur, die zur Unterdrückung des Untergrunds benutzt werden kann. Um den Signalprozeß von Untergrundprozessen zu separieren, ist es notwendig, das tt̄-Paar und das bb̄-Paar aus dem Zerfall des Higgs-Bosons vollständig zu rekonstruieren. Hierbei ergeben sich zwei anspruchsvolle Herausforderungen. Die richtige Zuordnung aller vier rekonstruierten b-Jets zu ihren Ursprungsteilchen muß gefunden werden und die Impulse der beiden Neutrinos im Endzustand müssen rekonstruiert werden. Abbildung 1.1: Der untersuchte Signalprozeß tt̄H → bνl+ b̄ν̄l− bb̄, dargestellt als eins der möglichen Feynman-Diagramme. Die Arbeit gliedert sich in vier Bereiche. Nach einer Zusammenfassung der grundlegenden Ideen des Standardmodells werden Produktion und Zerfall des Higgs-Bosons in Kapitel 2 beschrieben. Anschließend wird die Suche nach dem Higgs-Boson mit dem ATLAS-Detektor und die Signatur der assoziierten tt̄HProduktion geschildert. In Kapitel 3 wird das ATLAS-Experiment, das eines von 2 vier Experimenten am Proton-Proton-Collider LHC am CERN ist, und die Simulation von Ereignissen beschrieben. Die Analyse des tt̄H-Endzustandes, die auf einer Likelihood-Rekonstruktion beruht, wird in Kapitel 4 dargestellt. Im letzten Kapitel werden die Ergebnisse der Analyse des dileptonischen tt̄H-Endzustandes zusammengefasst. 3 2 Theoretische Grundlagen In diesem Kapitel werden die theoretischen Grundlagen behandelt, durch die die vorliegende Analyse motiviert wird. Zunächst wird das Standardmodell der Elementarteilchenphysik vorgestellt, im Rahmen dessen die Massenerzeugung durch den Higgs-Mechanismus erklärt wird. Im dritten Unterkapitel werden Produktion und Zerfall des Higgs-Bosons im Standardmodell dargestellt. Anschließend wird die Suche nach dem Higgs-Boson mit dem ATLAS-Detektor am LHC 1 im vierten Unterkapitel beschrieben. Eine Diskussion der Signatur der assoziierten tt̄-Produktion schließt die Einführung in die Grundlagen der vorliegenden Analyse ab. 2.1 Das Standardmodell Das Standardmodell der Elementarteilchenphysik beschreibt die fundamentalen Teilchen, aus denen Materie aufgebaut ist, und deren Wechselwirkung untereinander[8]. Es vermag alle Beobachtungen aus dem mikroskopischen Bereich präzise zu beschreiben und ist auch auf Quantenniveau hinreichend getestet. Die Bausteine der Materie sind Fermionen (Leptonen und Quarks)2 mit Spin s = 12 : Tabelle 2.1: Klassifizierung der Leptonen. Die Quantenzahlen sind s: Spin, T : schwacher Isospin, T 3 : dritte Isospin-Komponente, Q: elektrische Ladung, Y : schwache Hyperladung. Leptonen e νL e− L νRe e− R νLμ μ− L νRμ μ− R νLτ τL− νRτ τR− s 1 2 1 2 1 2 1 2 T T3 1 2 1 2 1 2 − 12 0 0 0 0 Q 0 −1 0 −1 Y −1 −1 0 −2 In den Tabellen 2.1 und 2.2 sind die Fermionen des Standardmodells mit ihren wichtigsten Quantenzahlen aufgeführt. Sie gliedern sich in drei Generationen, wobei in jeder Generation die gleichen Quantenzahlen auftreten und nur die Massen 1 2 4 Large Hadron Collider, siehe Kapitel 3. Alle Formeln in natürlichen Einheiten: = 1, c = 1. 2.1 Das Standardmodell Tabelle 2.2: Klassifizierung der Quarks. Die Quantenzahlen sind entsprechend Tabelle 2.1. Quarks uL dL uR dR cL sL cR sR tL bL tR bR s 1 2 1 2 1 2 1 2 T T3 1 2 1 2 1 2 − 12 0 0 0 0 Q 2 3 − 13 2 3 1 −3 Y 1 3 1 3 4 3 − 23 der Masseneigenzustände unterschiedlich sind. Der Index L bzw. R bedeutet, daß ein Fermion links- bzw. rechtshändig (chiral ) ist. Die geladenen schwachen Ströme koppeln nur an links-chirale Fermionen, während der elektromagnetische Strom sowohl an links- als auch an rechts-chirale Fermionen koppelt. Daher werden die links-chiralen Fermionen in Dupletts eingeordnet, auf die die SU(2)L -Gruppe wirkt. Die rechts-chiralen Fermionen treten nur als Singletts der U(1)Y -Gruppe auf, wobei Y = 2Q − T 3 die schwache Hyperladung ist. Für die Existenz rechtshändiger Neutrinos gibt es bislang nur indirekte Beweise, da sie weder elektromagnetisch noch schwach oder stark wechselwirken. Wenn Neutrinos eine Masse besitzen (was Messungen zu Neutrinooszillationen nahelegen), muss es rechtshändige Neutrinos geben. In der vorliegenden Analyse werden die Neutrinos als masselos angenommen, in diesem Bild existieren die rechtshändigen Zustände der Neutrinos nicht. Es gibt Mischzustände zwischen den drei Generationen der Quarks, die durch die Cabbibo-Kobayashi-Maskawa-Matrix (CKM-Matrix) parametrisiert sind. Diese Parameter der CKM-Matrix können nicht durch das Standardmodell erklärt werden. Die linkshändigen Masseneigenzustände der Quarks ergeben sich mit der unitären 3 × 3-CKM-Matrix zu: ⎛ ⎛ ⎞ ⎞ dL dL ⎝ sL ⎠ = UCKM · ⎝ sL ⎠ , bL bL wobei die Zustände dL , sL und bL Linearkombinationen der Masseneigenzustände dL , sL und bL sind. Die Wechselwirkungen zwischen den Fermionen werden durch den Austausch von Mediatoren bewirkt. Diese Austauschteilchen sind Eichbosonen mit Spin 1 und gehören ebenfalls zu den fundamentalen Teilchen des Standardmodells. Die für die Beschreibung der Natur auf mikroskopischer Skala relevanten Kräfte sind: 5 2 Theoretische Grundlagen • Das Austauschteilchen der elektromagnetischen Kraft ist das masselose Photon γ. • Die Austauschteilchen für die schwache Kraft sind drei massebehaftete Bosonen (W + , W − , Z 0 ). • Die starke Kraft wird durch acht masselose Gluonen g1−8 vermittelt. Die Wechselwirkungen zwischen den Fermionen ergeben sich aus der Forderung nach lokaler Eichinvarianz der entsprechenden Lagrangedichten. Aus der Invarianz der Lagrangedichte unter U(1)Y -Transformationen, zusammen mit einer Symmetrie dieser Lagrangedichte in der SU(2)L -Gruppe, ergibt sich die vereinigte Beschreibung der elektroschwachen Wechselwirkung in der SU(2)L ⊗ U(1)Y Eichgruppe (Weinberg-Salam-Modell), wobei die SU(2)L -Transformation nur auf links-chirale Dupletts wirkt. Anschaulich heißt das, daß auf Leptonen nur die schwache und die elektromagnetische Kraft (außer auf Neutrinos) wirkt. Auf Quarks wirkt darüber hinaus noch die starke Kraft; die Lagrangedichten sind zusätzlich invariant unter Symmetrietransformationen der SU(3)C -Gruppe. Der Index C steht hierbei für die Farbladung. Im Rahmen einer SU(3)C ⊗ SU(2)L ⊗ U(1)Y -Eichtheorie beschreibt das Standardmodell also die elektromagnetische, die schwache und die starke Wechselwirkung elementarer Teilchen. 2.2 Massenerzeugung und Higgs-Mechanismus im Standardmodell Durch die Erhaltung der lokalen Eichinvarianz bleibt die Eichtheorie renormierbar. Jedoch stehen die experimentell beobachteten Fermionen- und Bosonenmassen im offensichtlichen Gegensatz zur ursprünglich von Glashow ([1], 1961) aufgestellten einheitlichen Beschreibung der elektromagnetischen und der schwachen Wechselwirkungen, in der nur masselose Fermionen und Eichbosonen beschrieben werden können. Die lokale Eichinvarianz wird jedoch bei einer direkten Einführung von Massentermen in den Lagrangedichten für Fermionen und Eichbosonen verletzt. Mit dem Higgs-Mechanismus[9, 10] ist es möglich, Fermionenund Bosonenmasse zu erklären und eine renormierbare Eichtheorie der elektroschwachen Wechselwirkung beizubehalten (Glashow, Salam, Weinberg, [1, 11], 1967, Nobelpreis 1979 bzw. ’t Hooft, [12], 1971, Nobelpreis 1999). Auf die Massenerzeugung durch den Higgs-Mechanismus im Standardmodell soll nun näher eingegangen werden. Die Lagrangedichte freier Teilchen ohne Wechselwirkung für das SU(2)L -Duplett χL ≡ (νeL , eL ) und das Singlett der U(1)Y -Gruppe eR wird exemplarisch für ein 6 2.2 Massenerzeugung und Higgs-Mechanismus im Standardmodell Lepton der ersten Familie gewählt und ergibt sich zu Lf rei = iχ̄L γ μ ∂μ χL + iēR γ μ ∂μ eR + iν̄R γ μ ∂μ νR . (2.1) Wenn die konventionelle Ableitung ∂μ durch die kovariante Ableitung Dμ ersetzt wird τ Y Bμ ∂μ → Dμ = ∂μ + ig W (2.2) μ + ig 2 2 (wobei der Vektor der Paulimatrizen, τ , und Y die Generatoren der Eichgruppen SU(2)L und U(1)Y und g, g die zugehörigen Kopplungskonstanten sind), ist die Lagrangedichte Lf rei lokal eichinvariant unter den Transformationen χL → χL = ei(α(x)·τ +β(x)Y )/2 χL eR → eR = eiβ(x)Y /2 eR . Um die Eichinvarianz zu gewährleisten, müssen also vier Eichfelder eingeführt werden: Wμa (x), a = 1, 2, 3, der SU(2)L -Eichgruppe und Bμ (x) der U(1)Y -Eichgruppe. Damit ergibt sich für die Lagrangedichte der elektroschwachen Wechselwirkung (Quantenflavourdynamik, QFD) mit dem rechts-chiralen Singlett eR für Leptonen der ersten Familie LQFD Y 1 μ − g Bμ χL = χ̄L γ i∂μ − g τ · W 2 2 Y 1 μν − 1 Bμν B μν , + ēR γ μ i∂μ − g Bμ eR − W μν · W 2 4 4 μ (2.3) ν − ∂ν W μ + ig W μν = ∂μ W μ×W ν. mit Bμν = ∂μ Bν − ∂ν Bμ und W In den ersten beiden Summanden werden die kinetischen Energien der Fermionen sowie ihre Wechselwirkung mit den Eichfeldern beschrieben. Der dritte und vierte Summand sind die kinetische Energie und die Selbstwechselwirkung μ -Eichfelder sowie die kinetische Energie des Feldes Bμ . Aus diesen vier der W Vektor-Eichfeldern ergeben sich die physikalischen Felder Wμ± , Zμ , Aμ mit den bekannten Eichbosonen W ± , Z 0 , γ als Austauschquanten. Aus einer Mischung von Wμ3 und Bμ entstehen dabei die neutralen Eichfelder Zμ0 und γμ , wobei der schwache Mischungswinkel der Weinbergwinkel θW ist. Der Weinbergwinkel θW verknüpft die Kopplungskonstanten g und g mit der elektrischen Ladung und kann nur experimentell bestimmt werden: e = g sin θW = g cos θW . (2.4) Aus der Forderung nach lokaler Eichinvarianz ergeben sich also die Wechselwirkungen der fundamentalen Fermionen und Eichbosonen, wobei die Fermionen 7 2 Theoretische Grundlagen und Bosonen masselos sein müssen, da eine Einführung von Massetermen in der Lagrangedichte, wie oben bereits erwähnt, die lokale Eichinvarianz verletzt. Beispielsweise wurde die Masse des Z 0 -Bosons experimentell auf mZ =91.2 GeV, die Masse der W ± -Bosonen zu mW =80.4 GeV[2] und die Masse des erst 1995 am TEVATRON entdeckten Top-Quarks auf mt =174.3 GeV[3, 4, 5] bestimmt. Dieser offensichtliche Widerspruch zwischen Theorie und experimentellen Beobachtungen konnte 1967 von Weinberg und Salam ([1, 11], aufbauend auf Arbeiten von Higgs et. al., [9, 10]) durch die Einführung eines “spontanen Symmetriebruchs” gelöst werden. Spontaner Symmetriebruch liegt vor, wenn die Lagrangedichte eine Symmetrie zeigt, die der Grundzustand des Systems nicht zeigt. Man erhält so nicht-symmetrische Effekte bei eichinvarianten Lagrangedichten. Durch diese Methode ist es möglich, Fermionen und Bosonen massiv werden zu lassen, ohne die lokale Eichinvarianz und damit die Renormierbarkeit zu verletzten. Dazu führt man ein komplexes Feld-Duplett φ mit vier reellen Freiheitsgraden und die zugehörige Lagrangedichte LH ein, die zu der oben gegebenen Lagrangedichte LQF D (2.3) addiert wird. 2 Y μ μ − g Bμ Φ − V (Φ). (2.5) LH = Dμ φD φ − V (φ) = i∂μ − g τ · W 2 Die einfachste Wahl für φ ist 1 Φ= √ 2 Φ1 + iΦ2 . Φ3 + iΦ4 (2.6) Das gewählte skalare Higgs-Potential V (Φ) hat die allgemeinste eichinvariante Form (2.7) V (Φ) = μ2 Φ† Φ + λ(Φ† Φ)2 und ist für den Fall μ2 < 0 und λ > 0 in Abhängigkeit von zwei der vier Freiheitsgrade in Abbildung 2.1 dargestellt. Diese Potentialform des ’Mexikanerhuts’ kann anschaulich zur Erklärung des spontanen Symmetriebruchs herangezogen werden. Das gesamte Potential ist offensichtlich rotationssymmetrisch bezüglich der V (φ)-Achse und damit eichsymmetrisch bezüglich der SU(2)L ⊗ U(1)Y -Gruppe. Das Minimum des Potentials liegt nicht bei φ = 0. Von einem festen Punkt im Minimum des Potentials ist die Rotationssymmetrie nun nicht mehr gegeben, die Wahl eines Punktes φ entlang der Potentialmulde, z.B. bei (φ3 = √v2 , φ1 = φ2 = φ4 = 0) wird als spontane Symmetriebrechung bezeichnet. Die Anregungen des Feldes können als Teilchen interpretiert werden. Bei dieser Wahl der Parameter μ2 und λ liegt das Minimum des Potentials nicht bei |φ|2=0, sondern auf der Hyperebene derjenigen Felder φ, für die gilt |Φ|2 = −μ2 /2λ. 8 (2.8) 2.2 Massenerzeugung und Higgs-Mechanismus im Standardmodell ..... ........ .. ... .. .... .. . ... .. .. .. ... .. .. ... .. .. . . . . .. . .... .. .. .. .... .. .. .. .. .. .. ... ... .. ... .. .. .. .. .... .. .. .. .. .. .. .. ... . . .. ... .. .. .. ... ... ... .. ... ... .. . . . . ... .... ... ... ... ... ... .. ... ... .. .. . . . . .. . .. .. ........................................................................................ .. .. .................. ................................ .. .. .. .................. ............ ... .. .................. ........ .... . .. ..... . . . . . .... ......... ...... .. . ..... ........................................................................................................................................................................................... ....... .... ............ ...... ......... ...... ... ..... ... ................ ........... .... . .... ....... . . . . . . .................. . . . . . . . . . . . . ... . . .... ...................... ............................................ ... ... .. .... ................................................................ ... .. .. .... . ... ... ... ...................................................................................... .... .................. .... ............................... . . . . . . . ..... . . . . . . . ....... ...... ..... . ........ ................... ......................... .... .............. . ... ....... ..... .................. .......... .. .................................................................................................... . . . .. . . . . . .......... ............. V (Φ) Φ3 • √v 2 Φ1 Abbildung 2.1: Das Higgs-Potential. Dargestellt ist die Projektion auf die Koordinaten Φ1 und Φ3 . Um die Phänomenologie zu erhalten, wird um das Minimum des Potentials, den Vakuumerwartungswert √v2 in Abbildung 2.1, entwickelt. Die spezielle Wahl eines Punktes aus der Menge aller φ, die Gleichung 2.8 erfüllen, bricht die vorher bestehende SU(2)L ⊗ U(1)Y -Symmetrie. Der Entwicklungspunkt Φ0 wird so gewählt, daß die W ± - und Z-Bosonen eine Masse erhalten und das Photon masselos bleibt: Φ1 = Φ2 = Φ4 = 0, Φ3 = −μ2 ≡ v. λ (2.9) v bezeichnet den Vakuumerwartungswert des Higgs-Feldes φ, der ungleich Null ist. Der ganze Raum ist also mit einem skalaren Hintergrundfeld der Stärke v ausgefüllt. Bei der Wahl der lokalen Eichung 2.9 verschwinden drei der Felder, φ1 , φ2 und φ4 . Durch die störungstheoretische Entwicklung des Terms LH ergeben sich zusätzlich zu der Anregung H(x) entlang der φ3 -Achse drei masselose Spin-0 Bosonen Θ(x) (Goldstone-Theorem, [13]). Nach der Entwicklung um φ0 erhält man folgende Parametrisierung des Feldes Φ(x): τ 1 i θ(x) 0 Φ(x) = √ e 2 · . v + H(x) 2 (2.10) 0 in die Lagrangedichte Setzt man nun den einfachen Ausdruck Φ0 = 1/2 v μ und Bμ und daraus (2.3) ein, so ergeben sich Massenterme für die Eichfelder W 9 2 Theoretische Grundlagen Massen für W ± - und Z-Bosonen, während das Photon masselos bleibt: 1 v · g, 2 1 v · g 2 + g 2 = MW / cos θW , = 2 = 0. MW = MZ Mγ (2.11) Die Massenterme (2.11) für alle Teilchen ergeben sich aus deren Wechselwirkung mit dem Hintergrundfeld. Die Kopplung des Higgs-Bosons an die W- bzw. ZBosonen ist proportional zu g. Der Vakuumerwartungswert v ergibt sich aus der Fermikonstanten gemäß g2 1 GF √ = = 2 (2.12) 2 8MW 2v 2 √ zu v = ( 2GF )−1/2 = 246 GeV. Unbekannt bleibt die Higgs-Masse selbst. Für sie gilt im Standardmodell (2.13) MH = −2μ2 mit dem unbekannten Wert des Parameters μ. Die Einführung des spontanen Symmetriebruchs in die Eichtheorie läßt also Bosonen durch die Wechselwirkung mit dem Higgs-Feld massiv werden. Mit dem spontanen Symmetriebruch können auch Massenterme für Fermionen erzeugt werden. Für die erste Familie der Leptonen lautet z.B. ein dazu ad hoc eingeführter Yukawa-Wechselwirkungsterm zwischen dem skalaren Feld und den Fermionen r + λd qφdr + h.c. LY ukawa = λe L̄φer + λu q̄φu (2.14) u mit q = d , dem ladungskonjugierten Higgs-Feld φ = iτ2 φ∗ und den Yukawal Kopplungen λf . Für Neutrinos können die Wechselwirkungsterme möglicherweise komplizierter sein. Die Formulierung einer Eichtheorie mit massiven Teilchen ist also im Fall der geringsten Anzahl von zusätzlichen Freiheitsgraden durch die Einführung eines komplexen Feld-Dupletts φ mit vier reellen Komponenten gegeben. Drei der Felder, φ1 (x), φ2 (x) und φ4 (x), verschwinden bei der Wahl der lokalen Eichung (2.9) und ergeben so die drei zusätzlich benötigten longitudinalen Spin-Freiheitsgrade der massiven Eichbosonen. Der verbleibende vierte Freiheitsgrad muß als anregbares Teilchen des Higgs-Feldes existieren, dessen Masse nicht theoretisch bestimmt werden kann[17]. Erweiterungen des Standardmodells existieren, zum Beispiel das “Zwei-Higgs-Duplett-Modell” (2HDM), in dem 8 Freiheitsgrade vorkommen und die Existenz von fünf Higgs-Bosonen folgt. Auf diese Erweiterungen soll jedoch im Rahmen dieser Arbeit nicht weiter eingegangen werden, eine ausführlichere Erklärung findet sich z.B. in [14] und [15]. 10 2.3 Produktion und Zerfall des Higgs-Bosons 2.3 Produktion und Zerfall des Higgs-Bosons 2.3.1 Produktion des Higgs-Bosons am LHC Ein Proton besteht nur in einer vereinfachenden Darstellung aus zwei up- und einem down-Quark. Tatsächlich sind in Protonen zusätzlich zu den up- und downValenz-Quarks auch sogenannte “See-Quarks” enthalten, die durch Gluonabstrahlung der Valenz-Quarks erzeugt werden, wie in Abbildung 2.2 dargestellt ist. Am LHC, einem Protonen-Beschleuniger der Proton-Proton-Schwerpunktsenergie √ von s = 14 TeV, wird das Higgs-Boson durch ein in den Protonen enthaltenes Quark-Antiquark-Paar bzw. zwei Gluonen durch die in Abbildung 2.3 gezeigten Produktionsmechanismen erzeugt. Abbildung 2.2: See-Quarks, die zusätzlich zu den Valenzquarks durch starke Wechselwirkung im Proton existieren können. Der dominate Produktionsmechanismus am LHC ist die Gluon-Gluon-Fusion. Die Higgs-Boson Produktion durch die Fusion schwacher Eichbosonen und die assoziierte Produktion qq → HW oder qq → HZ haben bei geringen Massen des Higgs-Bosons einen ein bis zwei Größenordungen geringeren Wirkungsquerschnitt. Abbildung 2.4 zeigt die Wirkungsquerschnitte für die verschiedenen Produktionsmechanismen als Funktion der Masse des Higgs-Bosons. Die in dieser Analyse untersuchte Produktion tt̄H zeigt den geringsten Wirkungsquerschnitt. Die Rekonstruktion zweier Top-Quarks verleiht den Ereignissen jedoch eine außerordentliche Signatur, die zur Reduktion des Untergrundes ausgenutzt werden kann. Die Wirkungsquerschnitte wurden mit dem Ereignisgenerator PYTHIA [16] berechnet, wobei die Strukturfunktionen CTEQ4M verwendet wurden. Strukturfunktionen beschreiben Wahrscheinlichkeitsverteilungen für Gluonen und Quarks, mit einem Impulsbruchteil x am Protonimpuls P gefunden zu werden. 2.3.2 Zerfälle des Higgs-Bosons In Abbildung 2.5 sind die am LHC experimentell zugänglichen Zerfallsprozesse des Higgs-Bosons verdeutlicht. 11 2 Theoretische Grundlagen a) Gluon-Fusion (gg → H) b) Vektor-Boson-Fusion (qq → qqH) c) Assoziierte W,Z-Produktion (WH, ZH) d) Assoziierte tt̄-Produktion (tt̄H) Abbildung 2.3: Higgs-Boson-Produktionsmechanismen am LHC. Wie in der Einführung der Massenerzeugung im Standardmodell in Kapitel 2.2 diskutiert, ist die Kopplung des Higgs-Bosons an Fermionen proportional zu deren Masse. Für kleine Higgs-Boson Massen (mH < 140 GeV) ist die Kopplung an b-Quarks dominant, während für größere Higgs-Boson Massen die Kopplung an W-Bosonen überwiegt. Das Higgs-Boson koppelt nicht direkt an das masselose Photon. Schleifenkorrekturen mit Fermionen oder W-Bosonen, die an das Higgs-Boson koppeln, führen jedoch zu einem kleinen Beitrag von H → γγ. In Abbildung 2.6 sind die Higgs-Boson Verzweigungsverhältnisse in Abhängigkeit von der Masse des Higgs-Bosons gezeigt. 2.4 Suche nach dem Higgs-Boson mit dem ATLAS-Detektor Das Entdeckungspotential für das Higgs-Boson der verschiedenen Suchkanäle wird im wesentlichen durch vier Komponenten bestimmt[18, 19, 20]: • Produktionswirkungsquerschnitt • Verzweigungsverhältnisse 12 2.4 Suche nach dem Higgs-Boson mit dem ATLAS-Detektor 10 10 σ (pp H+X) (pb) s = 14 TeV 2 gg M t = 175 GeV H CTEQ4M 1 −1 10 qq’ HW qq Hqq 10−2 gg,qq −3 Htt_ 10 gg,qq Hbb −4 10 0 200 400 600 qq HZ 800 1000 MH (GeV) Abbildung 2.4: Wirkungsquerschnitte der dominanten Higgs-BosonProduktionsmechanismen am LHC in Abhängigkeit von der Higgs-Boson-Masse[17]. • Untergrund-Prozesse • Möglichkeit, solche Ereignisse effizient aufzuzeichnen Im folgenden werden die vielversprechendsten Suchkanäle diskutiert. Hierbei wird der Higgs-Boson-Massenbereich in drei Teile aufgeteilt. Niedrige Higgs-Boson Massen (mH < 140 GeV) Wie in den vorangegangen Abschnitten diskutiert, dominiert für Higgs-Boson Massen, die kleiner als 140 GeV sind, der Zerfall H → bb. Wird das HiggsBoson nun durch Gluon-Fusion erzeugt, findet man eine Signatur ähnlich denen der QCD-Untergrund-Prozesse, die einen um viele Größenordnungen größeren Wirkungsquerschnitt haben. Ein Signal kann in diesem Suchkanal nicht extrahiert werden, da ein effizienter Trigger fehlt, der das Signal von dem Untergrund unterscheiden läßt. Die assoziierten Produktionen W H, ZH oder tt̄H zeichnen sich durch zusätzliche Elektronen oder Myonen mit hohem transversalen Impuls pt aus. Der Nachweis dieser Leptonen dient zur Unterdrückung des Untergrundes und garantiert, daß das Ereignis mit hoher Wahrscheinlichkeit die TriggerSelektion passiert. Ein weiterer interessanter Suchkanal ist der Zerfall H → γγ. Zwar hat dieser ein sehr kleines Verzweigungsverhältnis, doch der Nachweis von 13 2 Theoretische Grundlagen W, Z H W, Z a) H → W W , H → ZZ b) H → τ τ c) H → bb d) H → γγ Abbildung 2.5: Experimentell nachweisbare Higgs-Boson-Zerfallsprozesse am LHC. zwei hochenergetischen Photonen im Detektor gibt eine klare Signatur und erlaubt wiederum die Rekonstruktion der Higgs-Boson Masse. Zerfälle des Higgs-Bosons in τ -Leptonen werden im Produktionsmechanismus der Fusion schwacher Eichbosonen untersucht. Wie in Abbildung 2.3,b) gezeigt, hinterlassen zwei Quarks q1 und q2 zwei Jets. Der Nachweis dieser zwei Quarks im Vorwärtsbereich des Detektors und geringe hadronische Aktivität im Zentralbereich sind die typische Signatur für diesen Produktionsmechanismus. Der Zerfall H → τ τ gibt zudem die Möglichkeit, die Masse des Higgs-Bosons zu rekonstruieren. Mittlere Higgs-Boson Massen (140 GeV < mH < 200 GeV) Im Higgs-Boson Massenbereich von 140 GeV bis 200 GeV sucht man nach Zerfällen in zwei schwache Eichbosonen, wobei eines virtuell sein kann. Der Kanal mit der höchsten Sensitivität ist hierbei der Zerfall H → W W → lνlν, wobei das HiggsBoson durch Fusion schwacher Eichbosonen erzeugt wird. Die Produktion durch Gluon-Fusion und die assozierte Produktion W H zeigen ebenfalls Sensitivität. Der Kanal H → ZZ → 4 Leptonen zeigt in diesem Massenbereich eine klare Signatur. Das Verzweigungsverhältnis ist größer als das des γγ-Kanals und steigt weiter bis zu einer Higgs-Boson-Masse mH ≤ 150 GeV. In dem Massenbereich 150 ≤ mH ≤ 180 GeV sinkt das Verzweigungsverhältnis allerdings zugunsten des 14 2.4 Suche nach dem Higgs-Boson mit dem ATLAS-Detektor 1 10−1 _ bb BR(H) τ+ τ− cc gg WW ZZ tt 10−2 γγZγ 10−3 50 100 200 1000 500 mH (GeV) Abbildung 2.6: Verzweigungsverhältnisse eines Standardmodell Higgs-Bosons in Abhängigkeit von der Higgs-Boson-Masse, berechnet mit HDECAY[21]. Kanals H → W W . Große Higgs-Boson Massen (mH > 200 GeV) Für Higgs-Boson Massen größer als 200 GeV wird der sogenannte “goldene Kanal” H → ZZ untersucht. Der Nachweis von vier Leptonen, die Rekonstruktion zweier Z-Bosonen und die Rekonstruktion der Higgs-Masse ergeben eine nahezu untergrundfreie Signatur. Wie in Abbildung 2.7 zu erkennen ist, tragen bei großen Massen des Higgs-Bosons neben der Gluon-Fusion gg → H mit dem Kanal H → ZZ → 4l besonders die schwache Vektor-Fusion aus der qq → qqHProduktion bei: H → ZZ → llνν, H → ZZ → lljj und H → W W → lνjj tragen fast ausschließlich zur Sensitivität bei großen Higgs-Boson-Massen bei. Die Suchkanäle für verschiedene Higgs-Boson Massen sind in Tabelle 2.3 zusammengefasst. Abbildung 2.7 zeigt die Sensitivität zur Entdeckung des HiggsBosons im Standardmodell mit dem ATLAS-Detektor. Die statistischen Signifikanzen sind sowohl für individuelle Kanäle als auch für die Kombination aller Kanäle bei einer integrierten Luminosität von 30 f b−1 gezeigt. Aus den Analysen bei LEP2 läßt sich eine untere Massengrenze für das Higgs- 15 2 Theoretische Grundlagen Tabelle 2.3: Auswahl der sensitivsten Suchkanäle mit deren Produktionsmechanismen für das Standard Modell Higgs-Boson in verschiedenen Massenbereichen. mH < 140 GeV H → ττ: qq→ qqH H →bb: H → γγ: ttH WH 140 GeV < mH < 200 GeV H → W W ∗: qq→ qqH gg → H WH H → ZZ ∗ : gg → H mH > 200 GeV H → ZZ, H → W W : gg → H qq→ q q̄H gg → H WH ttH Boson mH ≥ 114.4 GeV angeben[7]. Auf der anderen Seite gibt es aus der Supersymmetrie Vorhersagen, daß die Masse eines Standardmodell Higgs-Bosons mH ≤ 130 GeV sein muß. Daher wurden die Signalereignisse der vorliegenden Analyse mit einer Higgs-Boson Masse von mH =120 GeV generiert. 2.5 Signatur der assoziierten tt-Produktion Tabelle 2.4: Inklusive Signal-Wirkungsquerschnitte (σincl. ) für die assoziierte tt̄Produktion und Verzweigungsverhältnisse (BR) H → bb̄ für verschiedene Massen des Higgs-Bosons. mH (GeV) 100 110 120 130 140 σincl. (pb) 0.84 0.66 0.52 0.42 0.34 BR(H → bb̄) 0.82 0.79 0.70 0.56 0.37 Die assoziierte tt̄-Produktion mit darauf folgendem Higgs-Zerfall in ein bQuark-Paar und dileptonischem Zerfall der Top-Quarks, tt̄H → lbν lbν bb̄ wurde im Rahmen der vorliegenden Analyse untersucht. Der Endzustand besteht aus tt̄H → lbν lbν bb̄, wobei l = e oder μ (siehe Abb. 2.8). 16 Signal significance 2.5 Signatur der assoziierten tt-Produktion 10 2 H → γγ ttH (H → bb) (*) H → ZZ → 4l H → WW(*) → lνlν H → ZZ → llνν H → WW → lνjj Total significance 10 5σ ATLAS -1 ∫ L dt = 30 fb (no K-factors) 1 10 2 10 3 mH (GeV) Abbildung 2.7: Sensitivität zur Entdeckung eines Standardmodell Higgs-Bosons. Die statistischen Signifikanzen sind sowohl für individuelle Kanäle als auch für die Kombination aller Kanäle bei einer integrierten Luminosität von 30 fb−1 eingezeichnet[20]. Am LHC werden tt-Ereignisse (Abbildung 2.3, d) in 90% durch Gluon-Fusion und in 10% aller Fälle durch Quark-Antiquark Vernichtung erzeugt. Top-Quarks zerfallen fast ausschließlich in ein b-Quark und ein W-Boson, das wiederum in 23 aller Fälle hadronisch (in 2 Jets) und in 13 aller Fälle leptonisch (in ein Lepton und ein Neutrino) zerfällt. Der Zerfall mit dem höchsten Verzweigungsverhältnis, tt̄H → W bW bbb̄ → jjb jjb bb̄, ist kaum von dem QCD-Untergrund zu trennen, da sich das Signal im Endzustand vom Untergrund nicht unterscheiden läßt. Um einen effizienten Trigger zu haben, muß mindestens ein W leptonisch zerfallen, d.h. W → lν. Die assoziierte tt̄-Produktion ist durch den leptonischen Zerfall von mindestens einem seiner Top-Quarks derjenige Kanal, in dem der Endzustand eine sehr klare Signatur hat und sich deswegen besonders gut vom Untergrund unterscheiden läßt. Bei einer integrierten Luminosität von 30 fb−1 und einer Nachweiseffizienz von 60% für b-Jets sowie Unterdrückungsfaktoren von Rc = 10 und Rj = 100 gegen c- und leichte Jets wird für den semileptonischen Kanal eine Signifikanz von √SB =3.6 bei mH = 120 GeV vorhergesagt ([22, 23]). 17 2 Theoretische Grundlagen Tabelle 2.5: Monte Carlo Samples, Generatoren der Untergrund-Ereignisse und Anzahl der generierten Ereignisse. Prozess Generator σincl. (pb) tt̄H gg → tt̄bb̄ q q̄ → tt̄bb̄ gg → Z/γ/W → tt̄bb̄ tt̄jj PYTHIA 6.2 AcerMC 1.3.1 AcerMC 1.3.1 AcerMC 1.3.1 PYTHIA 6.2 siehe Tabelle 2.4 8.1 0.5 0.9 474 Anzahl der produzierten Ereignisse 800 000 2 Millionen 200 000 nicht betrachtet nicht betrachtet Nachdem der semileptonische Kanal tt̄H → lνjjbb bb̄ bereits analysiert wurde[22, 23], ist eine interessante Fragestellung, ob der Endzustand tt̄H → bνl b̄ν̄l bb̄ die Signifikanz für die Entdeckung des Higgs-Bosons merklich vergrößern und Messungen der Kopplungen des Higgs-Bosons verbessern kann. Es muß untersucht werden, ob der kombinatorische Untergrund auch unterdrückt werden kann, wenn der Endzustand mit der fehlenden transversalen Energie von zwei Neutrinos vollständig rekonstruiert werden muss. Der kombinatorische Untergrund entsteht aus den zwölf verschiedenen Kombinationsmöglichkeiten der vier vorhandenen b-Jets zu einem b-Quark-Paar, das aus einem HiggsBoson Zerfall stammen soll. Das Problem der falschen Zuordnung der b-Quarks würde zum großen Teil durch eine vollständige Rekonstruktion des Endzustandes gelöst, der die Zerfälle der beiden Top-Quarks und des Higgs-Bosons in zwei b-Quarks beinhaltet[24]. Der irreduzible Untergrund besteht hauptsächlich aus Top-Quark-Paaren mit zusätzlichen b-Jets aus Gluonabstrahlung im Anfangs- oder Endzustand, während der reduzible Untergrund tt̄jj durch eine effiziente Methode zur Unterscheidung zwischen wahren b-Jets und anderen Jets (b-tagging) in hohem Maße unterdrückt werden kann. Die Abbildung 2.9 zeigt eine Auswahl der Feynman-Diagramme für das tt̄H Signal. Die Abbildungen 2.10 und 2.11 zeigen einige Beispiele der 117 FeynmanDiagramme führender Ordnung für die QCD- bzw. elektroschwachen UntergrundProzesse. Die Wirkungsquerschnitte für das Signal in einem Higgs-Boson Massenbereich 100 GeV ≤ mH ≤ 140 GeV sind in Tabelle 2.4 und für den betrachteten QCD-Untergrund und den elektroschwachen Untergrund in Tabelle 2.5 gegeben. Die vorliegende Analyse wurde für ein Higgs-Boson der Masse mH = 120 GeV durchgeführt. Der Wirkungsquerschnitt für den Untergrund tt̄jj ist etwa 900 mal größer als das Signal, wobei nur ein kleiner Anteil des Untergrunds (etwa 3%) aus einem tt̄bb̄- 18 2.5 Signatur der assoziierten tt-Produktion Abbildung 2.8: Der untersuchte Signalprozess tt̄H → bνl+ b̄ν̄l− bb̄. Endzustand besteht. Mit dem ATLAS-Detektor können wahre b-Jets mit hoher Wahrscheinlichkeit gefunden werden, während nicht-b-Jets effektiv unterdrückt werden. Unerläßlich für diese Analyse ist neben einer hervorragenden Erkennung von wahren b-Jets zusätzlich eine sehr gute Jet-Rekonstruktion und darauf folgende Massen-Rekonstruktion aus zwei Jets, um das Higgs-Boson rekonstruieren zu können. Ein weiterer irreduzibler Untergrund entsteht durch den Austausch von elektroschwachen Eichbosonen, gg → tt + Z/γ/W → tt̄bb̄. Der Wirkungsquerschnitt für diesen elektroschwachen Untergrund ist neunmal kleiner als der des QCDUntergrundes. 19 2 Theoretische Grundlagen 1 4 1 4 4 1 t t t t t h 3 t 3 h h t 5 1 4 3 2 4 1 q t t 2 5 1 3 t Z 3 t q t t 3 q h 5 2 Z Z t t q t t 2 q 5 t t h h q 5 2 4 5 2 Abbildung 2.9: Auswahl der Feynam-Diagramme für das ttH-Signal[22]. 6 1 5 1 b b b b 5 4 1 t 6 t b b t 4 4 t t t t t 3 6 1 6 3 2 5 1 q b b 5 t 3 2 2 5 t b b b 6 1 b b 5 q 6 t t q 3 t t 4 t t t t 4 2 q 3 q 2 3 t 4 2 Abbildung 2.10: Auswahl der 38+7 Feynam-Diagramme des gg,qq→ Untergrundes[22]. 6 1 b b 5 t t 4 t 4 b t 3 5 γ t 5 t 6 4 1 b b 6 Z t t b t b 4 t t 5 W t 2 3 b 3 1 3 t 2 b b 6 4 t 4 t W 2 t b 5 Z 2 1 b b t t 5 1 b b γ 2 6 1 b 6 t t 3 3 2 Abbildung 2.11: Auswahl der 72 Feynam-Diagramme des gg Untergrundes[22]. 20 tt̄bb̄- → tt̄bb̄- 3 Das Experiment und Ereignissimulation 3.1 Der LHC-Speicherring Abbildung 3.1: Übersicht der Experimente ALICE, ATLAS, CMS und LHCb am LHC-Ring. Am Europäischen Forschungszentrum CERN bei Genf befindet sich der Large Hadron Collider (LHC) derzeit im Bau und wird voraussichtlich im Jahre 2007 fertiggestellt. Der Speicherring hat einen Umfang von etwa 27 km und liegt ca. 100 m unter der Erdoberfläche. Wie in Abbildung 3.1 dargestellt, gibt es vier Experimente am LHC-Ring. Zwei Teilchenstrahlen (Protonen bzw. Blei-Ionen) zirkulieren gegenläufig in jeweils mehreren Paketen, die “bunches” genannt werden, 21 3 Das Experiment und Ereignissimulation und √ werden an den vier Wechselwirkungspunkten bei einer Schwerpunktsenergie √ von s=14 TeV (bzw. sP b = 1312 TeV bei Blei-Ionen) zur Kollision gebracht. Die Experimente, die die entstehenden Zerfallsprodukte aus den Kollisionen der Teilchenstrahlen untersuchen, sind: • ATLAS (A Toroidal LHC ApparatuS ) ist ein Multifunktionsdetektor für die umfassende Untersuchung von Proton-Proton-Kollisionen. • CMS (Compact Muon Spectrometer ) ist ebenso wie ATLAS konzeptioniert, um die Physik im Protonen-Kollisions-Betrieb zu untersuchen. • LHCb soll CP-verletztende Effekte im Sektor der B-Hadronen und die Eigenschaften von b-Quarks untersuchen. • ALICE (A Large Ion Collider Experiment) ist ein Detektor, mit dem Phänomene in Wechselwirkungen von schweren Ionen untersucht werden sollen. Ein Schwerpunkt der Forschung am Large Hardon Collider mit ATLAS und CMS ist die Entdeckung des Higgs-Bosons, sowie die Bestimmung dessen Masse und Eigenschaften (Quantenzahlen, Kopplungen). Ein weiterer Schwerpunkt ist die Physik der Top-Quarks. Schon bei geringer Luminosität (siehe unten) werden 50000 Top-Quark-Paare am Tag erzeugt, wodurch Präzisionsstudien ermöglicht werden. Die Suche nach den Grenzen des Standardmodells und die Entdeckung neuer Phänomene ist ebenfalls von großer Bedeutung. Um ein möglichst großes Entdeckungspotential zu haben, braucht man eine hohe Schwerpunktsenergie des √ Colliders. Mit s=14 TeV wird der LHC der höchstenergetischste HadronenCollider sein, der bisher gebaut wurde und in Proton-Proton-Kollisionen daher in eine bisher unerforschte Energieskala bis zu einigen TeV vordringt. Die erwarteten Wirkungsquerschnitte für am LHC wichtige Prozesse liegen in der Größenordnung von Femto- und Picobarn. Deswegen braucht man neben einer hohen Schwerpunktsenergie eine ausreichend hohe Luminosität, damit auch seltene Zerfälle mit ausreichender Statistik vorkommen, um untersucht werden zu können. Die Luminosität L ist ein Maß dafür, wie wahrscheinlich Wechselwirkungen sind, und ist definiert als L= Np2 NB c , Aef f U (3.1) wobei Np die Anzahl der Protonen pro Bunch ist, die in der Größenordnung Np = 1011 liegt. NB ist die Anzahl der Protonenbunche, c die Lichtgeschwindigkeit, Aef f = 4πσx σy die effektive Querschnittsfläche der Bunche und U der Ringumfang. 22 3.2 Der ATLAS-Detektor Die geplante Luminosität im Protonenbetrieb ist in der Anfangsphase 34 −2 −1 2010 Llow = 2 × 1033 cm−2 s−1 und wird voraussichtlich auf Lhigh = 10 cm s ab gesteigert, was einer integrierten Luminosität von einigen Ldt = 10fb−1 pro Jahr in den ersten drei Betriebsjahren bzw. später Ldt = 100fb−1 pro Jahr entspricht. Der LHC wird in den bereits vorhandenen Tunnel gebaut, in dem vorher der Large Electron-Positron Collider -Speicherring (LEP) installiert war. Die mit supraleitenden Magneten maximal erreichbare Schwerpunktsenergie der gespeicherten Protonenstrahlen ist 7 TeV, die das LHC technisch ohne kostenintensive Umbauarbeiten erreichen kann. 1232 Dipolmagneten mit einem Dipolfeld von 8.33 Tesla sowie 56 Quadrupolmagnete lenken die Protonen auf die gewünschte Bahn bzw. fokussieren den Strahl. Die Protonen werden im SPS, dem Super Proton Synchrotron, auf 450 GeV vorbeschleunigt und dann in den LHC-Ring transferiert. Dort werden sie innerhalb von 20 Minuten auf die Schwerpunktsenergie von 7 TeV beschleunigt. Das SPS kann aus technischen Gründen nicht so viele Protonen-Bunche liefern, wie der LHC aufnehmen kann, daher werden die Protonenstrahlen 2800 Bunche statt der maximal möglichen 3600 Bunche enthalten. Ein einzelner Protonenbunch hat eine longitudinale Ausdehnung von maximal 7.5 cm und die Bunche laufen mit 7.5 m Abstand (entspricht 25 ns) zueinander im Ring. Bei der geplanten Luminosität von L = 1034 cm−2 s−1 werden im Mittel 23 Wechselwirkungen erzeugt, wenn sich zwei Protonenpakete treffen. 3.2 Der ATLAS-Detektor Der ATLAS-Detektor dient zum Nachweis, zur Identifikation und Rekonstruktion der Viererimpulse der in den Proton-Proton-Kollisionen entstandenen Teilchen. Eine schematische Übersicht über den Detektoraufbau ist in Abbildung 3.2 gezeigt. Der ATLAS-Detektor besteht von außen nach innen aus den folgenden Komponenten: Myonenspektrometer, hadronisches Kalorimeter, elektromagnetisches Kalorimeter und innerer Detektor. Die Ortsbeschreibung wird in Zylinderkoordinaten gegeben, wobei das Strahlrohr die Richtung der z-Achse definiert und die x-y-Ebene orthogonal dazu liegt. Die positive x-Richtung ist bestimmt durch die Verbindung zwischen dem Wechselwirkungspunkt und dem Mittelpunkt des LHC-Rings, während die positive y-Achse aufwärts zeigt. Der azimuthale Winkel φ wird um die Strahlachse und der Polarwinkel θ von der Strahlachse beginnend gemessen. Die Pseudorapidität η ist bei Hadron-Collidern eine nützliche Größe. Sie beschreibt anschaulich die Richtung, in die sich die Teilchen einer Wechselwirkung 23 3 Das Experiment und Ereignissimulation Abbildung 3.2: Schematische Übersicht über die einzelnen Komponenten des ATLAS-Detektors. Von außen nach innen sind dies: Stützkonstruktion, Myon-Detektor, hadronisches Kalorimeter, elektromagnetisches Kalorimeter, innerer Detektor. bewegen, wobei sich in gleichen Δη-Abschnitten die gleiche Anzahl von Teilchen befinden. Die Pseudorapidität ist definiert als η = − ln tan( θ2 ). Der Gesamtimpuls in z-Richtung ist nicht bekannt, da der Bruchteil des Protonimpulses, den die kollidierenden Gluonen bzw. Quarks tragen, experimentell nicht bestimmt werden kann. Daher wird in der transversal zur Strahlebene der Ebene 2 2 transversale Impuls pt definiert als pt = px + py . Die Entfernung ΔR zwischen zwei Objekten, z.B. Spuren, setzt sich aus der Differenz im azimuthalen Winkel und der Pseudorapidität zweier Richtungen zu 2 sammen: ΔR = (Δη) + (Δφ)2 . Nach dieser allgemeinen Einführung in das Koordinatensystem des Detektors bzw. den wichtigen Grundbegriffen der Teilchenphysik folgt nun eine kurze Erklärung der Detektorkomponenten [18], von innen nach außen. 24 3.2 Der ATLAS-Detektor Der innere Detektor Der innere Detektor dient dazu, die Flugbahn geladener Teilchen zu bestimmen. Aus der Krümmung der rekonstruierten Teilchenbahn im Magnetfeld einer Stärke von zwei Tesla des umgebenden Solenoidmagneten wird der Impuls bestimmt. Der innere Detektor besteht aus drei Elementen: einem Pixel-Detektor-System, einem Streifen-Detektor und gasgefüllten Spurkammern zur Messung von Übergangsstrahlung. Die hohe Ortsauflösung des inneren Detektors wird durch fein segmentiertes Halbleitermaterial und die Kombination zweier Technologien (der Pixel- und der Streifen-Technologie) erreicht. Insgesamt 140 Millionen Silizium Pixel-Detekoren mit einer Größe von jeweils 50 μm in der Rφ-Richtung und 300 μm in der z-Richtung sind in drei Lagen in nächster Nähe um den Wechselwirkungspunkt angebracht. Die Ortsauflösung in Rφ und z-Koordinaten wird durch die Streifen-Detektorchips (SCT) verbessert. Die Silizium-Streifendetektoren sind in vier Lagen in kleinen Stereo-Winkeln angeordnet und können so präzise die z-Koordinate der Vertices messen. Jedes der Silizium-Elemente hat eine Größe von 6.36 × 6.40 cm2 . Elektronen können in dem für Übergangsstrahlung sensitiven Material (TRT, transition radiation tracker ) identifiziert werden, indem Photonen aus Übergangsstrahlung in Xenon-Gas detektiert werden. Die TRTs bestehen aus Gaskammern mit 4 mm Durchmesser und einem 30 μm dicken Gold-beschichteten W-Re-Draht, der ein schnelles Ansprechverhalten zeigt, was bei den am LHC erwarteten hohen Ereignisraten ein wichtiges Merkmal ist. Auch die Ortsauflösung wird durch Messungen des TRT verbessert. Auf eine gute Impactparameterauflösung wurde Wert gelegt. Die genaue Bestimmung des Impactparameters ist wichtig für das sogenannte b-tagging, eine Identifizierung der bJets. Ein gutes b-tagging ist gerade bei der vorliegenden Analyse bei vier b-Jets im Endzustand sehr wichtig. Der innere Detektor ist insgesamt 7 m lang und hat einen Radius von 1.15 m. Er deckt eine Pseudorapidität von |η| ≤ 2.5 ab, das ist ein Bereich bis etwa 10 Grad an die Strahlachse. In diesem Bereich ist auch zusammen mit Informationen aus den Kalorimetern eine gute Trennung von Elektronen und Photonen möglich. Das Magnetsystem Der innere Detektor befindet sich in einem Solenoidmagneten, der ein Feld von 2 Tesla erzeugt. Ebenso gibt es supraleitende NbTi-Luftkern-Toroiden, die aus unabhängigen Magnetspulen bestehen und in drei Lagen achteckig um die Kalorimeter angeordnet sind, um das Magnetfeld für das Myonspektrometer erzeugen. Das elektromagnetische Kalorimeter Das elektromagnetische Kalorimeter dient zur Identifikation und Messung von Elektronen und Photonen. Es besteht aus feinen Segmenten von abwechselnd 25 3 Das Experiment und Ereignissimulation flüssigem Argon (LAr) und Blei. Die Dicke der Blei-Absorber wurde für eine maximale Energie-Auflösung optimiert, der LAr-Zwischenraum hat eine Breite von 2.1 mm. Eine sehr gute Energie- und Ortsauflösung in einem Bereich bis |η| ≤ 3.2 ist gegeben. Die Energieauflösung beträgt für Elektronen und Photonen √ −1 in einem Bereich von 10 bis 100 GeV ±10% E , mit [E]=GeV. Die einzelnen Komponenten des elektromagnetischen Kalorimeters sind ein Zylinder, der den Bereich |η| ≤ 1.475 abdeckt und zwei Endkappen für den Bereich |η| ≥ 1.375 und |η| ≤ 3.2. Das hadronische Kalorimeter Das hadronische Kalorimeter misst zusätzlich die bei Zerfällen der starken Wechselwirkung erzeugten Jets, die nicht vollständig im elektromagnetischen Kalorimeter gemessen werden können, weil dessen Material zu dünn ist. Es besteht aus Plastik-Szintillator-Material, das in einen Eisen-Absorber eingelassen ist. Der mittige große Zylinder und die beiden seitlich davon angebrachten kleineren Zylinder erlauben Messungen bis zu |η| ≤ 1.7. Die Endkappen des hadronischen Kalorimeters, die wie das elektromagnetische Kalorimeter aus LAr bestehen, decken einen Bereich von |η| ≥ 1.5 bis |η| ≤ 3.2 ab. Die Vorwärtskalorimeter bestehen ebenfalls aus LAr und weiten den messbaren Bereich von |η| ≥ 3.1 bis |η| ≤ 4.9 aus. Für die vollständige Rekonstruktion vieler Prozesse ist die transversale Impulsbilanz wichtig. Deshalb sind das elektromagnetische und das hadronische Kalorimeter hermetisch im Raumwinkel angebracht, so daß dort einzelne Jets (keine Elektronen oder Photonen) mit verminderter Auflösung noch detektiert werden können. Beide Kalorimeter sind vollständig symmetrisch in φ ohne azimuthale Lücken (außer der notwendigen Stützkonstruktion) aufgebaut, um eine möglichst vollständige Messung zu ermöglichen. Das Myonenspektrometer Außen angebracht findet sich das Präzisions-Myonenspektrometer, das auch hochenergetische Myonen messen kann, indem aus der Krümmung der Myonenspur in den supraleitenden Luftkern-Toroidmagneten der Myonen-Impuls bestimmt wird. Es besteht aus einem langen Zylinder, der Messungen in einem Bereich |η| ≤ 1.0 erlaubt, sowie zwei eingelassenen Endkappenmagneten, die den Bereich |η| ≥ 1.0 bis |η| ≤ 2.7 abdecken. Insgesamt hat der ATLAS-Detektor einen Durchmesser von etwa 22 m, eine Länge von 46 m und ein Gewicht von 7000 Tonnen. Er erlaubt Messungen in einem Bereich bis |η| ≤ 5.0, das ist bis zu einem Grad von der Strahlachse. Der Detektor ist sensitiv auf Teilchenenergien von wenigen GeV bis hin zu einigen TeV. 26 3.2 Der ATLAS-Detektor Proton-(Anti-)Proton Wirkungsquerschnitte 10 9 σ tot Tevatron 10 4 σjet (E T σ (nb) 8 10 6 σb 10 3 jet > √s/20) σW σZ 10 1 10 2 σjet (E T jet > 100 GeV) 10 10 10 0 -1 10 -3 34 10 5 LHC Ereignisse / sec für L = 10 cm-2 s-1 10 7 10 -2 σt σjet (E T jet > √s/4) 10 -5 σHiggs (M H = 150 GeV) 10 -4 σHiggs (M H = 500 GeV) 10 10 -6 -7 0.1 1 10 √s (TeV) Abbildung 3.3: Proton-(Anti-)Proton-Wirkungsquerschnitte und erwartete Ereignisraten bei einer Luminosität von 1034 cm−2 s−1 für verschiedene Prozesse in Abhängigkeit von der Schwerpunktsenergie. Unterbrochene Linien entstehen beim Wechsel von Proton-AntiprotonKollisionen (TEVATRON) zu Proton-Proton-Kollisionen (LHC). In Abbildung 3.3 ist eine Übersicht über die Wirkungsquerschnitte verschiedener Prozesse in Abhängigkeit von der Schwerpunktsenergie gezeigt. Man erkennt, daß bei 14 TeV der totale Proton-Proton-Wirkungsquerschnitt σtot =70 mb beträgt. Das bedeutet eine enorme Strahlenbelastung für den inneren Detektor. Eine der Hauptanforderungen an den inneren Detektor ist daher seine Strahlenhärte, um Messungen während der gesamten Laufzeit des LHC zu ermöglichen. In Abbildung 3.3 kann man ebenfalls ablesen, daß ein Higgs-Boson mit einer Masse von 150 GeV nur etwa einmal pro Sekunde erzeugt wird. Auf der anderen Seite findet alle 25 ns eine Strahlkollision statt, was es unmöglich macht, alle Daten auszulesen und zu speichern. Daher ist ein effizienter “Trigger” notwendig, der ein physikalisch interessantes Ereignis zur weiteren Analyse kennzeichnet. Die Speicherung der Daten auf externen Massenspeichermedien ist technisch mit 27 3 Das Experiment und Ereignissimulation maximal 100 Hz möglich, wie in [18] abgeschätzt wird. Das bedeutet, daß ein physikalisch interessantes Ereignis von etwa 0.5 · 106 auftretenden Ereignissen gespeichert werden kann. Von einer Rate von 40 MHz aller auftretenden Ereignissen muss eine Rate von 100 Hz interessanter Ereignisse selektiert werden. Bei ATLAS hat man sich für ein dreistufiges Trigger-System entschieden. • Die erste Triggerstufe findet bereits auf Hardware-Niveau alleine aufgrund von Myonen- und Kalorimeter-Einträgen in verringerter Auflösung (d.h. Segmente in φ und η werden zusammengefasst) statt. Betrachtet werden dabei Myonen innerhalb von |η| ≤ 2.4, isolierte elektromagnetische Cluster innerhalb |η| ≤ 2.5 (Kandidaten für Elektronen bzw. Photonen) und hadronische Cluster innerhalb |η| ≤ 3.2 sowie fehlende transversale Energie. Der erste Triggerlevel erlaubt auf diese Weise eine Datenreduktion von 40 MHz auf 25 kHz. • Die zweite Stufe des Triggers reduziert die Rate des Datenflusses weiter von 25 kHz auf 1 kHz. Dazu wird durch Software auf Spezialprozessoren innerhalb der vorselektierten Regionen der ersten Triggerstufe in maximaler Detektorauflösung eine weitere Auswahl der Ereignisse getroffen. Es werden Spur- und Vertexdetektor-Informationen hinzugenommen und z.B. Energieund Impulsschwellen für Elektronen und Myonen angehoben. • Die dritte Triggerstufe ist der sogenannte Ereignisfilter oder “event filter”. Er besteht aus Standard-ATLAS-Rekonstruktionssoftware, die in einem PC-Pool die gesamte Detektorinformation nutzt, um das Ereignis vollständig, aber vereinfacht, zu rekonstruieren und eine weitere Ereignisauswahl zu treffen. Beim “event building” werden die Daten eines Ereignisses aller Detektorkomponenten zusammengetragen und ausgewertet. Eine Rate von 100 Hz soll dabei erreicht werden. 3.3 Simulation von Ereignissen In dieser Analyse wurde untersucht, wie gut ein erwartetes Higgs-Signal für ttH → blν blν bb vom Untergrund trennbar ist. Die Studie und die Optimierung der Selektion wird aufgrund von bzw. mit der Hilfe von Simulationen der Signal- und Untergrundprozesse durchgeführt. Es werden zwei Arten von Simulationsprogrammen unterschieden, auf die im folgenden näher eingegangen wird. Ereignisgeneratoren Ereignisgeneratoren erzeugen für eine gewünschte Anzahl von Ereignissen Viererimpulse der im untersuchten Prozeß auftretenden Teilchen, die entsprechend den 28 3.3 Simulation von Ereignissen experimentell bestimmten Parametern wie Proton-Strukturfunktionen1 , Teilchenmassen und Verzweigungsverhältnisse sowie vorhergesagten Winkel- und Energieverteilungen berechnet werden. Diese Parameter werden durch Matrixelemente beschrieben, die in dem verwendeten Signal-Ereignisgenerator PYTHIA [16] bzw. dem Generator für den Untergrund ACERMC [25] benutzt werden. ACERMC enthält Matrixelementrechnungen für Untergrundprozesse, die in PYTHIA nicht oder nur unzureichend implementiert sind. ACERMC ersetzt die entsprechenden Matrixelemente in PYTHIA bei der Berechnung der Wechselwirkung der beiden Partonen, während die Simulation des Zerfalls, der Fragmentierung und Hadronisierung weiterhin von Pythia ausgeführt wird. Die CTEQ5L [26] PartonStrukturfunktionen wurden für alle Signal- und Untergrundprozesse benutzt. Detektorsimulation Bei der Detektorsimulation werden die Reaktionen der Teilchen, ausgehend von den Viererimpulsen des Ereignisgenerators, auf dem Weg durch den Detektor nachgebildet. Dabei benutzt man die Kenntnis der Geometrien und Eigenschaften der verschiedenen Detektorkomponenten, um die Wechselwirkung der durchgehenden Teilchen mit den Materialien des Detektors und das Ansprechverhalten des Detektors vorherzusagen. Die vollständige Simulation des DetektorAnsprechverhaltens und die Rekonstruktion der Ereignisse ist sehr zeitaufwendig. Es dauert einige Minuten, ein einzelnes Ereignis zu simulieren. Weil es zu zeitaufwendig ist, eine ausreichende Zahl von Ereignissen in vertretbarer Zeit zu erzeugen, gibt es die sogenannte “schnelle” Simulation (ATLFAST), die das Detektorverhalten nicht vollständig simuliert, sondern die wesentlichen Eigenschaften des Detektors parametrisiert, z.B. die Energieverschmierung. Mit der schnellen Simulation dauert es etwa eine Sekunde, ein einzelnes Ereignis nachzubilden. Die Parameter in ATLFAST für z.B. die Energie- und Impulsauflösung basieren auf einer vollen GEANT [27]-Simulation des Detektors mit nachfolgender Rekonstruktion der Ereignisse. In ATLFAST sind die wichtigsten Detektor-Eigenschaften implementiert: Jet-Rekonstruktion in den Kalorimetern, Effekte der magnetischen Felder, fehlende transversale Energie und Impuls-/Energie-Verschmierung für Leptonen, Photonen und Jets. Ausgehend von den generierten Partonen-Impulsen stellt ATLFAST eine Liste rekonstruierter Jets, Leptonen und Photonen und die erwartete fehlende transversale Energie bereit. Zusätzlich können rekonstruierte geladene Spuren ausgegeben werden. Ebenso kann die b-tagging-Effizienz simuliert werden, d.h. ob ein wahrer b-Jet tatsächlich als b-Jet erkannt wird. Dabei ist es auch wichtig, daß c- und leichte Jets nicht fälschlicherweise als b-Jets erkannt werden. Diese Parameter lassen sich in ATLFAST-B für erwartete Effizienzen des ATLAS-Detekors wählen. Hadronische Jets werden als wahre b-Jets 1 geben den Zusammenhang zwischen Protonimpuls und Partonimpuls der Wechselwirkung an 29 3 Das Experiment und Ereignissimulation bzw. c-Jets gekennzeichnet, wenn sie innerhalb der b-tagging-Akzeptanz des inneren Detektors, |η| ≤ 2.5 liegen, und wenn ihnen ein c-Quark oder ein b-Quark mit transversalem Impuls pt ≥ 5 GeV zugeordnet werden kann. Die erwartete b-tagging-Effizienz des ATLAS-Detektors während der niedrigen Luminositätsphase wird simuliert, indem wahre b-Jets mit einer Wahrscheinlichkeit von 60% als b-Jets erkannt werden, während zufällig ausgewählte wahre c-Jets mit einer Wahrscheinlichkeit von 10% als b-Jets gekennzeichnet werden. Andere Jets werden mit einer Wahrscheinlichkeit von 1% als b-Jets idenifiziert. Die so ermittelten Informationen, welches Ansprechverhalten der Detektor für ein Ereignis gezeigt hat, werden an die Standardsoftware zur vollständigen Rekonstruktion des Endzustandes weitergegeben, die auch bei der zukünftigen Datennahme und -auswertung verwendet wird. Zusätzlich werden die Informationen über die generierten Viererimpulse (sogenannte Tree-Impulse) gespeichert, so daß apparative Effekte wie Nachweiswahrscheinlichkeit und endliches Auflösungsvermögen für Energie, Impuls und Spurrekonstruktion und deren Auswirkung auf die Qualität der Messung untersucht werden können. Zur Jet-Rekonstruktion wurde ein einfacher Kegel-Algorithmus mit Radius ΔR = 0.4 verwendet. Alle Teilchen, die sich innerhalb dieses Kegels befinden, werden zu einem Jet gruppiert, um die zugrundeliegende Partonenstruktur des Prozesses nachzuahmen. Der so rekonstruierte Jet hat in der Regel einen geringeren transversalen Impuls pt als das ursprüngliche Parton. Das kann mehrere Gründe haben. Zum einen kann der Jet im Anfangszustand Gluonen abstrahlen, wodurch ein Teil der Energie des Partons verloren geht. Zum anderen werden Teilchen, die einen kleinen transversalen Impuls pt haben, im Magnetfeld abgelenkt und können daher einen größeren Abstand ΔR haben als ΔR = 1.0. Jets werden mit einem transversalen Mindest-Impuls pt ≥ 15 GeV und innerhalb des Bereichs |η| ≤ 5.0 rekonstruiert. Die dabei nicht betrachtete Energie wird den verbleibenden Jets proportional der Energie ihrer ursprünglichen Partonen wieder zugeführt, diese sogennante Kalibration wird durch die Routine ATLFAST-B [28] durchgeführt. Isolierte Leptonen werden für einen transversalen Mindest-Impuls von pt ≥ 6 GeV und innerhalb eines Bereichs |η| ≤ 2.5 rekonstruiert. 30 4 Analyse des tt̄H-Endzustandes In diesem Kapitel wird zunächst auf die Methode zur Rekonstruktion der Ereignisse eingegangen. Daran schließt sich eine Beschreibung der Vorselektion sowie der Likelihood-Selektion an. Abschließend werden die Ergebnisse der Analyse erläutert. 4.1 Rekonstruktion der Ereignisse Wie schon in Kapitel 1.5 diskutiert wurde, muß der ttH-Endzustand vollständig rekonstruiert werden, um das Signal aus dem Zerfall des Higgs-Bosons aus den Daten extrahieren zu können. Es werden verschiedene Arten von Untergrund unterschieden: Der elektroschwache und der QCD-Untergrund, und der kombinatorische Untergrund bei Signal-Ereignissen. Der irreduzible Untergrund besteht hauptsächlich aus Top-Quark-Paaren mit zusätzlichen b-Jets aus Gluonabstrahlung im Anfangs- oder Endzustand, während der reduzible Untergrund tt̄jj durch eine hohe Nachweiswahrscheinlichkeit von b-Jets unterdrückt werden kann. Durch ein effizientes b-tagging können b-Jets nachgewiesen werden, während c-Jets und leichte Jets mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht als b-Jets misidentifiziert werden. Für die vorliegende Analyse wurde nur der dominante tt̄bb̄-Untergrund untersucht. Der kombinatorische Untergrund der Signal-Ereignisse entsteht, wenn von den vier im Endzustand vorhandenen b-Jets ein oder zwei b-Jets, die aus den TopZerfällen stammen, fälschlicherweise dem Zerfall des Higgs-Bosons zugeordnet werden. Der in dieser Arbeit analysierte ttH-Endzustand besteht aus zwei geladenen Leptonen (es werden nur Elektronen und Myonen betrachtet), vier b-Jets und zwei Neutrinos. Die aus der Hadronisierung und Fragmentierung entstehenden Jets und die Impulse der Leptonen können vom ATLAS-Detektor gemessen werden, nicht aber die Impulse der Neutrinos. Um den Endzustand vollständig zu rekonstruieren, muß man die x-, y- und z-Komponenten der Impulse von beiden Neutrinos kennen. Der Impuls kann nur transversal gemessen werden, die z-Komponente der Neutrino-Impulse bleibt unbekannt. Deswegen wird ein Gleichungssystem aus den kinematischen Randbedingungen des tt̄-Zerfalls aufgestellt, um so die sechs unbekannten Komponenten der Neutrino-Impulse im Endzustand 31 4 Analyse des tt̄H-Endzustandes zu berechnen. Der Rekonstruktionsalgorithmus wurde in [29] entwickelt. Er basiert auf einer analytischen Lösung von nichtlinearen Gleichungen, die die bekannten Massen der Top-Quarks und der W-Bosonen sowie der Erhaltung des transversalen Impulses ausnutzt, und wurde für die vorliegende Analyse an den tt̄H-Zerfall angepaßt. Es werden sechs Randbedingungen aufgestellt, aus denen die sechs unbekannten Parameter (die x-, y- und z-Komponente der beiden Neutrino-Impulse) berechnet werden können. In den Gleichungen 4.1 und 4.2 wird die Erhaltung der transversalen Impulse beschrieben. Die W-Bosonen zerfallen jeweils in ein Lepton und ein Neutrino. Die Gleichungen 4.3 und 4.4 spiegeln die Energie- und Impulserhaltung der zu Leptonen und Neutrinos zerfallenden W-Bosonen wider. Gleichungen 4.5 und 4.6 ergeben sich aus dem Zerfall der Top-Quarks in jeweils ein geladenes Lepton, ein Neutrino und ein b-Quark. pbxH + pbxH + pbx + pbx + pνx + pνx + plx + plx = 0 (4.1) pbyH + pbyH + pby + pby + pνy + pνy + ply + ply = 0 (4.2) 2 (El + Eν )2 − (plx + pνx )2 − (ply + pνy )2 − (plz + pνz )2 − MW + = 0 (4.3) 2 (El + Eν )2 − (plx + pνx )2 − (ply + pνy )2 − (plz + pνz )2 − MW − = 0 (4.4) (El + Eν + Eb )2 − (plx + pνx + pbx )2 − (ply + pνy + pby )2 − (plz + pνz + pbz )2 − Mt2 = 0 (4.5) (El + Eν + Eb )2 − (plx + pνx + pbx )2 − (ply + pνy + pby )2 − (plz + pνz + pbz )2 − Mt2 = 0 (4.6) Hierbei sind • Ea die Energie des Teilchens a. • Ma die Masse des Teilchens a. • pai die i-te Komponente des Impulses p vom Teilchen a. • bH und bH sind das b-Quark-Paar des Higgs-Zerfalls, b und b stammen aus den Top-Zerfällen. • l ist entweder e+ oder μ+ , l ist entweder e− oder μ− . • ν ist entweder νe oder νμ , ν ist entweder νe oder νμ . 32 4.1 Rekonstruktion der Ereignisse Dieses nicht-lineare Gleichungssystem in sechs Unbekannten ist schwierig zu lösen und muß linearisiert werden. Um die Gleichungen zu vereinfachen, werden folgende Konstanten eingeführt, die aus gemessenen Größen berechnet werden: K1 = −pbx − pbx − plx − plx − pbxH − pbxH K2 = −pby − pby − ply − ply − pbyH − pbyH 2 2 2 K3 = plx + ply + plz K4 = plx 2 + ply 2 + plz 2 K5 = plx + pbx + pbxH + pbxH K6 = ply + pby + pbyH + pbyH K7 = plz + pbz K8 = plz + pbz C1 = K3 + Eb C2 = K4 + Eb 2 −MW − M1 = 2 2 −MW + M2 = 2 M3 = −Mt2 M4 = −Mt2 . Wenn man die ersten beiden Gleichungen 4.1 und 4.2 nach unbekannten pνx und pνy auflöst, erhält man zusätzlich pνx = K1 − pνx (4.7) pνy = K2 − pνy . (4.8) Die oben gezeigten zwei linearen und vier nichtlinearen Gleichungen (4.1 bis 4.6) können in vier nichtlineare Gleichungen für die Unbekannten pνx , pνy , pνz , pνz transformiert werden. Für die vier nichtlinearen Gleichungen ergibt sich: K3 pνx 2 + pνy 2 + pνz 2 − (plx pνx + ply pνy + plz pνz ) + M1 = 0 (4.9) 33 4 Analyse des tt̄H-Endzustandes K4 (pνx − K1 )2 + (pνy − K2 )2 + pνz 2 + plx (pνx − K1 ) + ply (pνy − K2 ) (4.10) −plz pνz + M2 = 0 2 2 2 2 ν ν ν −(pνx +K5 )2 −(pνy +K6 )2 −(pνz +K7 )2 +M3 = 0 (4.11) C 1 + px + py + pz 2 C2 + (pνx − K1 )2 + (pνy − K2 )2 + pνz 2 − (pνx + K5 )2 − (pνy + K6 )2 (4.12) −(pνz + K8 )2 + M4 = 0. Indem man Gleichung 4.9 nach der Wurzel auflöst und diese in die quadrierte Gleichung 4.11 einsetzt, erhält man eine lineare Gleichung in den Unbekannten pνx , pνy und pνz : − l− l− E p p E Eb plx b y − 2pbx pνx + 2 − 2pby pνy + 2 b z − 2pbz pνz 2 El El El +2El Eb − 2M1 + M3 − 2(plx pbx + ply pby + plz pbz + (4.13) Eb M1 ) + m2b = 0. El Wendet man die gleiche Methode für die Gleichungen 4.10 und 4.12 an, erhält man analog eine lineare Gleichung in den Unbekannten pνx , pνy und pνz . Die Koeffizienten ki sind weitere Vereinfachungen der vorher eingeführten Koeffizienten Ki , Ci und Mi . l l p E p E b b x y pνx − 2 ply + ply + pby − k2 − pνy −2 plx + plx + pbx − k1 − k4 k4 (4.14) Eb plz l +2 pz − K8 + pνz + k12 + k22 + k42 + M4 + Eb2 − k82 k4 l l E (p k + p k ) 2 2 2 2 b 1 2 x y −plx − ply − pbx − pby + 2 + k4 Eb + k1 plx + k2 ply k4 Eb M2 l b l b + px px + py py + M2 = 0. −2 k4 Auf diese Weise wird das System von vier nichtlinearen Gleichungen (4.9 bis 4.12) in ein äquivalentes System transformiert, das aus zwei linearen (4.13, 4.14) 34 4.1 Rekonstruktion der Ereignisse und zwei nichtlinearen Gleichungen (4.9, 4.10) in den vier Unbekannten pνx , pνy , pνz und pνz besteht. Nun kann man Gleichung 4.9 quadrieren und das unbekannte pνz durch das ersetzen, das man aus der entsprechend aufgelösten Gleichung 4.13 erhält. Daraus entsteht eine quadratische Gleichung in den Unbekannten pνx und pνy . Eine zweite quadratische Gleichung für die Unbekannten pνx und pνy wird auf die gleiche Weise aus den Gleichungen 4.10 und 4.14 hergeleitet. Dieses System aus zwei quadratischen Gleichungen in zwei Unbekannten ergibt sich zu pνz 2 2 2 2 a1 pνx + a2 pνy + a3 pνx pνy + a4 pνx + a5 pνy + a6 = 0 b1 pνx + b2 pνy + b3 pνx pνy + b4 pνx + b5 pνy + b6 = 0. (4.15) (4.16) Ereignisse Das Softwarepaket MAPLE[30] wird benutzt, um die Koeffizienten ai , bi herzuleiten. Unter der Annahme, daß a2 und b2 ungleich Null sind, kann Gleichung 4.15 mit b2 , Gleichung 4.16 mit a2 multipliziert werden. Wenn man eine der entstandenen Gleichungen von der anderen subtrahiert, erhält man eine Gleichung, die in der Unbekannten pνy linear und in pνx quadratisch ist. Diese Gleichung setzt man umgeformt in Gleichung 4.15 (oder 4.16) ein und erhält so eine quartische Gleichung in der einzigen Unbekannten pνx . Diese Formel kann analytisch durch Cardanos Formel[31] berechnet werden. Schrittweises Einsetzen in zuvor hergeleitete Gleichungen läßt die anderen fünf gesuchten Komponenten der Impulse von Neutrino und Antineutrino pνy , pνz , pνx , pνy , pνz berechnen. 9000 8000 7000 6000 5000 4000 3000 2000 1000 0 0 0.5 1 1.5 2 2.5 3 3.5 4 4.5 5 Anzahl der Lösungen Abbildung 4.1: Häufigkeiten der Anzahl der reellen Lösungen für pνx bei richtiger Zuordnung der vier b-Jets zu ihrem Ursprung. 35 4 Analyse des tt̄H-Endzustandes Ereignisse Ereignisse 1600 1200 1400 1000 1200 1000 800 800 600 600 400 400 200 200 0 -150 -100 -50 0 50 100 0 -150 150 -100 pν,rek − pν,gen [GeV] y y -50 0 50 100 pν,rek − pν,gen [GeV] z z Abbildung 4.2: Auflösung der auf Generator-Niveau rekonstruierten NeutrinoImpulse in der y- und z-Komponente. Mit den bekannten Impulsen der vier b-Jets und der zwei Leptonen läßt sich der ttH-Endzustand also vollständig rekonstruieren. Die quartische Formel für den Anti-Neutrino-Impuls pνx läßt mathematisch entweder null, zwei oder vier reelle Lösungen zu, wie in Abbildung 4.1 zu sehen ist. Es gibt oft keine Lösung des Gleichungssystems für die Neutrino-Impulse, wenn die Randbedingungen 4.1 bis 4.6 nicht gut genug erfüllt sind, also die Summe der Transversalimpulse von Null verschieden ist oder die Massen der W-Bosonen und der Top-Quarks wegen ihrer endlichen Breite zu stark von ihren nominellen Werten abweichen. Bei der richtigen Zuweisung aller vier b-Jets zu ihrem Ursprung ergeben sich meistens zwei reelle Lösungen. Wenn die Summe der Transversalimpulse und die Breiten der W-Boson- und Top-Quark-Massen genau auf Null gesetzt werden, entsprechen die berechneten Neutrino-Impulse exakt den generierten Neutrino-Impulsen. Durch die Methode der Rekonstruktion werden die Neutrino-Impulse also genau beschrieben. Bei der Untersuchung der Ereignisse besteht die Schwierigkeit, die physikalisch richtige Lösung aus mehreren mathematisch möglichen herauszufinden. Bei der Analyse von Monte Carlo-Ereignissen kann die auftretende Mehrdeutigkeit durch ein einfaches Kriterium beseitigt werden. Für jede auftretende Lösung wird die quadratische Summe der Abweichungen der rekonstruierten Impuls-Werte zu den generierten Neutrino-Impuls-Komponenten berechnet: x,ν 2 y,ν 2 z,ν 2 y,ν z,ν χ2 = (px,ν gen − prek ) + (pgen − prek ) + (pgen − prek ) + 36 (px,ν̄ gen − 2 px,ν̄ rek ) + (py,ν̄ gen − 2 py,ν̄ rek ) + (pz,ν̄ gen − 2 pz,ν̄ rek ) . (4.17) 150 Ereignisse 4.1 Rekonstruktion der Ereignisse 2250 2000 1750 1500 1250 1000 750 500 250 0 0 1 2 3 4 5 6 7 ΔR Abbildung 4.3: ΔRrek−gen des Neutrinos für die beste rekonstruierte Lösung des Neutrino-Impulses auf Generator-Niveau. Die Lösung, die das kleinste χ2 zeigt, also die minimale Abweichung aller rekonstruierten Komponenten der Neutrino-Impulse zu den generierten NeutrinoImpulsen, wird zur Qualitätskontrolle und für die Referenzhistogramme der Likelihood -Selektion verwendet. Die Gleichungen 4.15 und 4.16 werden zuerst mit Tree-Impulsen gelöst, um den Teil der Auflösung zu untersuchen, der aus Nicht-Detektor-Effekten stammt. Dadurch daß die W-Bosonen und Top-Quarks eine endliche Breite haben und die Summe der Transversalimpulse ungleich Null ist, ergibt sich schon auf GeneratorNiveau eine endliche Auflösung. In Abbildung 4.2 ist die Qualität der Rekonstruktion von transversalem und longitudinalen Impuls für die beste rekonstruierte Lösung des Neutrino-Impulses gezeigt, wobei hier die generierten Tree-Werte der Impulse von b-Quarks und Leptonen zur Rekonstruktion der Neutrino-Impulse verwendet werden (Generator-Niveau). Die Entfernung in der η − φ-Ebene zwischen dem rekonstruierten Neutrino zu dem generierten Neutrino für die beste Lösung wird in Abbildung 4.3 auf Generator-Niveau gezeigt. Man sieht, daß für die Lösung mit dem besten χ2 eine Auflösung von ΔR ≈ 1 erreicht wird. Der flache Abfall zu großen ΔR-Abständen ergibt sich aus den Lösungen, die wie oben diskutiert die Randbedingungen der Kinematik nur schlecht erfüllen. In einem zweiten Schritt werden die Lösungen für die Neutrino-Impulse auf Detektor-Niveau rekonstruiert, d.h. es werden die vom Detektor rekonstruierten Impulse der b-Jets und der Leptonen zur Lösung des Gleichungssystems verwendet. Die Qualität der Rekonstruktion des Endzustands tt̄H → bνl+ b̄ν̄l− bb̄ ist 37 38.08 Constant Mean Sigma 600 / 13 532.8 0.1836 21.90 500 400 Ereignisse Ereignisse 4 Analyse des tt̄H-Endzustandes 32.03 500 Constant Mean Sigma / 13 399.2 -0.2455 23.63 400 300 300 200 200 100 100 0 -150 -100 -50 0 pν,rek y − pν,gen y 50 [GeV] 100 150 0 -150 -100 -50 0 pν,rek z − pν,gen z 50 100 150 [GeV] Abbildung 4.4: Auflösung der auf Detektor-Niveau rekonstruierten NeutrinoImpulse in der y- und z-Komponente. stark von der Detektor-Auflösung abhängig. Die Genauigkeit der Jet-Rekonstruktion, der Bestimmung von fehlender Energie und der Spuren der Leptonen im Detektor beeinflussen die Abweichung der sich rechnerisch aus dem Gleichungssystem ergebenden Neutrino-Impulse. In den Abbildungen 4.4 und 4.5 wird die Qualität der Rekonstruktion der Neutrino-Impulse gezeigt. Eine Auflösung von 22 GeV für die y-Komponente des Neutrino-Impulses und 24 GeV für die zKomponente des Neutrino-Impulses werden erreicht. Die Aufösung für die xKomponente entspricht der für die y-Komponente des Neutrino-Impulses. Ebenso sind die Auflösungen des rekonstruierten Neutrinos mit denen des rekonstruierten Anti-Neutrinos vergleichbar. Es wird gezeigt, daß der Rekonstruktionsalgorithmus auch auf Detektor-Niveau die Berechnung der unbekannten NeutrinoImpulse erlaubt. 38 Ereignisse 4.1 Rekonstruktion der Ereignisse 1200 1000 800 600 400 200 0 0 1 2 3 4 5 6 7 ΔR Abbildung 4.5: ΔRrek−gen des Neutrinos für die beste rekonstruierte Lösung des Neutrino-Impulses auf Detektor-Niveau. 39 4 Analyse des tt̄H-Endzustandes 4.2 Selektion der Ereignisse 4.2.1 Vorselektion Die Vorselektion dient dazu, aus der großen Anzahl von Ereignissen nur solche für die weitere Analyse zu verwenden, die ein Mindestmaß an Signalähnlichkeit besitzen. Dazu werden folgende Anforderungen an ein Ereignis gestellt: • Es müssen genau vier als b-Jets erkannte Jets vorliegen, sonst wird das Ereignis verworfen. • Signalereignisse enthalten zwei Leptonen aus den Zerfällen der W-Bosonen, wobei hier keine τ -Leptonen betrachtet werden sollen. Die Identifizierung von genau zwei Leptonen (Elektron oder Myon) ist daher ein wichtiges Kriterium für die Selektion, wobei die Leptonen entgegengesetzte Vorzeichen der Ladung tragen müssen. Beide Leptonen müssen in einem Bereich |η| ≤ 2.5 liegen und einen transversalen Impuls von pet ≥ 25 GeV für Elektronen bzw. pμt ≥ 20 GeV für Myonen haben. • Die vier erkannten b-Jets müssen in einem Bereich |η| ≤ 2.5 liegen und einen transversalen Impuls pbt ≥ 20 GeV haben. Die Analyse bezieht sich auf eine b-tagging-Effizienz von 60%, sowie Unterdrückungsfaktoren für c- und leichte Jets von Rc = 10 und Rl = 100 in einem Bereich von |η| ≤ 2.5. Das entspricht den Erwartungen an den ATLAS-Detektor während des Betriebs in niedriger Luminosität. Wie schon in Kapitel 1.5 diskutiert, besteht der dominante Untergrund aus einem Top-Quark-Paar und zwei leichten Jets tt̄jj. Der tt̄jj-Untergrund ist etwa 900 mal größer als das tt̄H-Signal (siehe Tabelle 2.5). In tt̄jj-Ereignissen werden in den seltensten Fällen vier b-Jets identifiziert, da mindestens zwei Jets als b-Jet misidentifiziert werden müssen. Damit wird durch die Forderung nach vier b-Jets im Endzustand der reduzible Untergrund weitestgehend unterdrückt. Der verbleibende tt̄jj-Untergrund liegt in der Größenordnung 0.01% der anfänglichen tt̄jj-Ereignisse. Daher wird zur weiteren Abschätzung des Untergrundes ausschließlich der irreduzible tt̄bb̄-Untergrund betrachtet. Alle Schnitte der Vorselektion sind in Tabelle 4.3 zusammengefaßt. Im nächsten Schritt wird der tt̄H → bνl b̄ν̄l bb̄-Endzustand vollständig rekonstruiert. Zwei der im Endzustand vorhandenen b-Jets werden dem Higgs-Boson zugeordnet. Dies geschieht mithilfe einer Likelihood -Selektion. 40 4.2 Selektion der Ereignisse Tabelle 4.1: Zuordnungsmöglichkeiten der b-Jets zu ihrem Ursprungsteilchen. bH und b̄H sind die beiden b-Jets aus dem Zerfall des Higgs-Bosons. bt ist der b-Jet aus dem Zerfall des Top-Quarks. b̄t bezeichnet den b-Jet aus dem Zerfall des Anti-Top-Quarks. 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 Top-Quark → bt νl+ → bt → bH → bH → bt → bt → bH → bH → bt → bH → bt → bH Antitop-Quark → bt νl− → bH → bH → bt → bH → bH → bt → bt → bH → bt → bt → bH Higgs-Boson → bH bH → bH bt → bt bt → bt bH → bH bt → bt bH → bH bt → bt bH → bH bt → bt bH → bH bH → bt bt 4.2.2 Likelihood-Selektion Es gibt vier b-Quarks im tt̄H → bνl b̄ν̄l bb̄-Endzustand. Zwei dieser b-Quarks entstehen aus den Zerfällen der Top-Quarks. Ein b-Quark-Paar stammt aus dem Zerfall des Higgs-Bosons. Um die Masse des Higgs-Bosons zu rekonstruieren, müssen zwei der b-Jets zum Higgs-Boson zugewiesen werden. Mit vier b-Jets gibt es insgesamt 12 Kombinationen, die b-Jets ihrem vermeintlichen Ursprungsteilchen zuordnen, wie in Tabelle 4.1 verdeutlicht ist. Die Likelihood -Selektion ordnet die Kombinationen nach der Wahrscheinlichkeit, eine richtige Kombination der bJets zu sein. Die korrekte Zuordnung der b-Jets zum Higgs-Boson (Nummer 1 und Nummer 11 in Tabelle 4.1) ist das Signal und wird somit vom kombinatorischen Untergrund getrennt, der durch die falschen Zuordnungsmöglichkeiten der b-Jets zum Higgs-Boson entsteht. Das Gleichungssystem zur Berechnung der Neutrino-Impulse (vgl. Kapitel 4.1) wird für jede der zwölf Permutationen der b-Jets gelöst, da sich für jedes Gleichungssystem bis zu vier reelle Lösungen ergeben können. Für jedes Ereignis können so maximal 48 Lösungen für die vollständige Rekonstruktion des Endzustandes gefunden werden (siehe Abbildung 4.6, rechts). Aus diesen bis zu 48 möglichen Lösungen soll nun die richtige gefunden werden. Für eine falsche Zuordnung der b-Jets ergibt sich meist keine Lösung, wie links in Abbildung 4.6 erkennbar ist. Im Vergleich zu den falschen Permutationen hat die richtige Zu- 41 Ereignisse Ereignisse 4 Analyse des tt̄H-Endzustandes 16000 3500 14000 12000 3000 10000 2500 8000 2000 6000 1500 4000 1000 2000 500 0 0 0.5 1 1.5 2 2.5 3 3.5 4 4.5 5 Anzahl der Lösungen Anzahl der reellen Lösungen bei falscher b-Zuordnung. 0 0 5 10 15 20 25 30 35 40 Gesamtanzahl der reellen Lösungen pro Ereignis. Abbildung 4.6: Links: Häufigkeiten der Anzahl der reellen Lösungen pνx bei falscher Zuordnung der vier b-Jets zu ihrem Ursprung. Rechts: Häufigkeiten der Gesamtanzahl der reellen Lösungen für ein einzelnes Ereignis. ordnung der b-Quarks oft zwei reelle Lösungen des Gleichungssystems, wie in Abbildung 4.1 gezeigt ist. Die maximal 48 Lösungen werden zunächst durch die Likelihood -Selektion wie unabhängige Ereignisse behandelt, um die richtige Zuordnung der vier b-Jets zu ihren Ursprungsteilchen im Endzustand zu finden. Die dazu benutzte Methode der Likelihood -Selektion soll kurz erläutert werden. Die Methode der Likelihood-Selektion Das Ziel der Likelihood-Methode ist es, Nclass verschiedene Klassen von Ereignissen zu trennen[32]. Mehrere Variablen Nvar des untersuchten Prozesses werden zu einer einzigen Größe, der Likelihood L, kombiniert. Durch die LikelihoodMethode läßt sich das Signal-zu-Untergrund-Verhältnis meist deutlich verbessern. Jede Variable i zeigt in jeder Klasse j eine charakteristische Wahrscheinlichkeitsdichtefunktion fij (xi ), wobei xi der gemessene Wert der Variable i in einem Ereignis ist. Wenn jedes Ereignis zu genau einer der Nclass Klassen gehört, dann ist die Wahrscheinlichkeit, daß ein Ereignis mit gemessenem Wert xi zur Klasse j gehört, 42 45 Gesamtanzahl der Lösungen 4.2 Selektion der Ereignisse gegeben durch eji (xi ) fij (xi ) := NClass j=1 fij (xi ) (4.18) j aufden erwarteDie Wahrscheinlichkeitsdichtefunktionen fji können entweder j ten Wirkungsquerschnitt für jede Klasse fi (xi )dxi = σ oder auf fij (xi )dxi = 1 normiert sein. Um die Informationen von den Verteilungen verschiedener Variablen zu kombinieren, wird für jede Klasse j die Produktwahrscheinlichkeit eingeführt j E (x) := N V ar eji (xi ) (4.19) i=1 x ist der Ereignisvektor, der aus allen gemessenen xi besteht. Die Likelihood, daß ein Ereignis zur Klasse j gehört, ist definiert als E j (x) Lj (x) := NClass E j (x) j=1 (4.20) Die Likelihood Lj (x) nimmt Werte zwischen 0 und 1 an und gibt bei unkorrelierten Variablen die Wahrscheinlichkeit an, daß das Ereignis zur Klasse j gehört. Abhängig von einem Schnitt auf die Likelihood Ljcut werden verschiedene Effizienzen und Reinheiten für die betrachteten Ereignisse der Klasse j erreicht. Wenn die Variablen korreliert sind, kann die Likelihood-Methode weiterhin zur Unterscheidung der verschiedenen Klassen verwendet werden. Die Likelihood kann dann nicht mehr als Wahrscheinlichkeit interpretiert werden. Eine Likelihood-Analyse hat gegenüber einer konventionellen Schnittselektion den Vorteil, daß durch die Form der Variablenverteilungen zusätzliche Informationen in die Selektion einfließen. Man verliert durch jeden einzelnen Schnitt Effizienz. Wenn man alle Variablen in einer Likelihood-Selektion verwendet, erhöht das die erreichbare Sensitivität, weil die Kombination aller Variablenverteilungen das Signal vom Untergrund trennt, man also nur ein einziges Mal auf die kombinierte Likelihood schneidet. Dadurch erhält man eine bessere Trennkraft zwischen Signal und Untergrund. Daher ist die Likelihood-Selektion eine bessere Methode, um bei Signal-Ereignissen die korrekte Zuordnung der beiden b-Jets zum HiggsBoson-Zerfall zu finden, als eine Selektion durch aufeinanderfolgende Schnitte auf mehrere Variablen. Der kombinatorische Untergrund aus den falschen Zuordnungsmöglichkeiten der b-Jets zum Higgs-Boson kann somit unterdrückt werden. Die Wahrscheinlichkeitsdichtefunktionen werden durch Monte Carlo-Ereignisse für die verschiedenen Klassen Nclass simuliert und für jede Klasse in sogenannten 43 4 Analyse des tt̄H-Endzustandes Referenzhistogrammen gespeichert. Dieses Vorgehen wird im folgenden Abschnitt erklärt. Die Referenzhistogramme der Likelihood-Selektion In diesem Abschnitt wird die Unterteilung der Variablen-Wahrscheinlichkeitsverteilungen in Histogrammen verschiedener Referenzklassen beschrieben. Die Unterscheidung von Referenzhistogrammen ist wichtig für die Durchführung der Likelihood -Selektion. Damit kann durch Unterschiede in der Form der Verteilungen die Wahrscheinlichkeit berechnet werden, daß ein Ereignis zum Signal oder Untergrund gehört. Die verwendete Einteilung von Signal- und Untergrund-Ereignissen in die verschiedenen Referenzklassen gilt nur für die Referenzhistogramme und ändert sich für die im nächsten Abschnitt beschriebene Likelihood -Selektion. Zuerst wird beschrieben, wie die Einteilung in die verschiedenen Klassen erfolgt. Danach werden die für die Referenzhistogramme verwendeten Variablen diskutiert. Ereignisse werden durch zwei Kriterien in die Referenzklassen aufgeteilt. Eine Unterscheidung erfolgt durch das χ2 -Kriterium, wie es in Gleichung 4.18 zur Qualitätskontrolle der vier Lösungen aus dem Neutrino-Gleichungssystem vorgestellt wird. Das zweite Kriterium, das die Ereignisse unterscheidet, ist die richtige Zuordnung der b-Jets zu ihren Ursprungsteilchen. Für die Referenzhistogramme der sogenannten “Signal-Klasse” wird unter anderem die richtige Zuordnung der b-Jets zu ihren Ursprungsteilchen verlangt (Zeile 1 in Tabelle 4.1). Die elf falschen Permutationen der b-Jets (Zeilen 2 bis 12 in Tabelle 4.1) werden in den Referenzhistogramme der sogenannten “Untergrund-Klassen” verwendet. Um zuzuordnen, welche Permutation der b-Jets die richtige ist, verwendet man die Methode des “Jet-Parton-Matching”, die im folgenden kurz erläutert wird. Es ist kein direkter Rückschluß von den rekonstruierten Jets auf die generierten Partonen möglich, weil während der Hadronisierung die Information über den Ursprung des Teilchens verloren geht. Um Jets zu Partonen zuordnen zu können, wird daher ein Jet-Parton-Matching [22] angewendet, das mit einem einfachen ΔR-Kriterium die generierten Partonen den im Detektor rekonstruierten Jets zuordnet. Für jedes Parton wird der naheliegendste Jet (innerhalb eines Radius von ΔR=1.0) dem Parton zugeordnet, wobei jeder Jet nur einem Parton zugeordnet werden kann. Wenn kein Jet innerhalb eines Radius von ΔR=1.0 liegt, wird dem Parton kein Jet zugeordnet. Wenn die Richtung des Jets z.B. durch Gluon-Abstrahlung im Endzustand stark von der Richtung des ursprünglichen Partons abweicht, ist eine falsche Zuweisung möglich. Auf diese Weise können die Signal-Ereignisse der richtigen b-Jet-Zuordnung vom kombinatorischen Untergrund der Signal-Ereignisse mit falschen b-Zuordnungen getrennt werden. 44 4.2 Selektion der Ereignisse Tabelle 4.2: Klassen für die Referenzhistogramme der Likelihood-Selektion. Klasse S Richtige Zuordnung aller b-Jets. Klasse U1 Richtige Zuordnung aller b-Jets. Beste NeutrinoLösung nach χ2 . Alle außer der besten NeutrinoLösung nach χ2 . Klasse U2 Ein b-Jet des Higgs mit einem b-Jet von einem TopQuark vertauscht. Alle NeutrinoLösungen. Klasse U3 Beide b-Jets aus den Top-Zerfällen falsch zugeordnet. Alle NeutrinoLösungen. Die Einteilung der verschiedenen Klassen für die Referenzhistogramme ist in Tabelle 4.2 dargestellt. Die sogenannte Signal-Klasse S besteht aus der richtigen Kombination der b-Jets zu ihrem Ursprungsteilchen sowie der besten rekonstruierten Lösung des Neutrino-Impulses. Es werden drei Untergrund-Klassen definiert, die nach verschiedenen Gesichtspunkten unterschieden werden. In der ersten Untergrund-Klasse U1 finden sich alle restlichen Lösungen der richtigen bJet-Zuordnung, die aber eine andere als die beste rekonstruierte Neutrino-Lösung nach dem χ2 -Kriterium darstellen. Es zeigt sich, daß wenn ein b-Jet aus dem TopZerfall und ein b-Jet aus dem Higgs-Zerfall vertauscht werden, diese Kombinationen sehr oft (siehe Abbildung 4.7) das beste χ2 aller falschen Zuordnungsmöglichkeiten der b-Jets haben. Daher werden diese Kombinationen (Zeilen 5, 6, 7 und 8 in Tabelle 4.1) in einer zweiten Untergrund-Klasse U2 verwendet. In der dritten Untergrund-Klasse U3 finden sich alle Lösungen der Neutrino-Impulse für die restlichen Kombinationen der b-Jets (Zeilen 2 bis 4, 9 bis 12 in Tabelle 4.1). Auf diese Weise hat man vier Referenzklassen definiert. Es wurden Variablen aus der Topologie des tt̄H-Zerfalls untersucht, um aussagekräftige Größen zur Trennung von Signal und kombinatorischem Untergrund zu finden. Invariante Massen minv (x1 , x2 ), Winkel cos(x1 , x2 ) und Abstand ΔR(x1 , x2 ) von zwei Teilchen x1 und x2 sowie der transversale Impuls pt (xi ) der einzelnen Teilchen i wurden analysiert. Die “beste richtige” Lösung ist die Lösung des Neutrino-Impulses mit dem kleinsten χ2 der richtigen Zuordnung aller b-Jets zu ihren Ursprungsteilchen. Als “beste falsche” Lösung wird die Lösung für den Neutrino-Impuls mit dem kleinsten χ2 aller falschen Zuordnungen der b-Jets betrachtet. Für jedes einzelne Ereignis wird die Differenz des Variablenwerts Cdif f von “bester richtiger” und “bester falscher” Lösung gebildet: Cdif f = pt [(xi )beste−richtigeL.] − pt [(xi )beste−f alscheL. ]. Wenn bei Nevt √ betrachteten Ereignissen die Anzahl der Ereignisse Cdif f größer Nevt ist als 2 + Nevt = 2 · σ (95% C.L.) ist, hat die Variable Trennkraft zwischen 45 Ereignisse 4 Analyse des tt̄H-Endzustandes 2500 2000 1500 1000 500 0 0 2 4 6 8 10 12 2 Permutation des besten χ Abbildung 4.7: Alle falschen Zuordnungen der b-Jets zu ihren Usprungsteilchen mit der besten rekonstruierten Neutrino-Lösung nach dem χ2 Kriterium. Die Permutationen 5, 6, 7 und 8 (siehe Tabelle 4.1) haben meist das beste χ2 aller falschen Zuordnungen der b-Jets. Daher werden diese Permutationen in einer eigenen UntergrundKlasse betrachtet. der Kinematik im Signal- und kombinatorischen Untergrund-Ereignis und kann zur Likelihood verwendet werden. Folgende Variablen wurden ausgewählt: 1. cos(bt , e+ ) - Winkel zwischen positivem Lepton und b-Jet aus dem Zerfall des Top-Quarks. 2. cos(bt̄ , e− ) - Winkel zwischen negativem Lepton und b-Jet aus dem Zerfall des Anti-Top-Quarks. 3. minv (ν, t̄) - Invariante Masse des Neutrinos und des Anti-Top-Quarks. 4. minv (ν̄, t) - Invariante Masse des Anti-Neutrinos und des Top-Quarks. 5. minv (bt , bt̄ ) - Invariante Masse der beiden b-Jets aus den Zerfall des Top/Anti-Top-Quark-Paares. 6. minv (bt , t̄) - Invariante Masse des Anti-Top-Quarks und des b-Jets aus dem Zerfall des Top-Quarks. 7. minv (bt̄ , ν) - Invariante Masse des Neutrinos und des b-Jets aus dem Zerfall des Anti-Top-Quarks. 46 4.2 Selektion der Ereignisse 8. minv (bt̄ , t) - Invariante Masse des Top-Quarks und des b-Jets aus dem Zerfall des Anti-Top-Quarks. 9. minv (e+ , H) - Invariante Masse des positiven Leptons und des Higgs-Bosons. 10. minv (e+ , bt̄ ) - Invariante Masse des positiven Leptons und des b-Jets aus dem Zerfall des Top-Quarks. 11. minv (e− , H) - Invariante Masse des negativen Leptons und des Higgs-Bosons. 12. minv (e− , bt ) - Invariante Masse des negativen Leptons und des b-Jets aus dem Zerfall des Top-Quarks. 13. minv (bt , ν̄) - Invariante Masse des Anti-Neutrinos und des b-Jets aus dem Zerfall des Top-Quarks. 14. ptt +pt̄t - Summe der transversalen Impulse des Top-/Anti-Top-Quark-Paares. Viele der Variablen mit Trennkraft sind Größen der Top-Quarks, die jeweils in ein W-Boson und ein b-Quark zerfallen. Da die W-Bosonen jeweils in ein Lepton und ein Neutrino bzw. Anti-Neutrino zerfallen, ist daher die Unterscheidung in richtige und falsche Neutrino-Lösungen wichtig. Korrelationen der LH Variablen (in Prozent) 15 29 30 65 64 33 54 49 54 25 34 25 33 49 100 14 13 12 11 10 9 8 7 6 5 4 3 2 Mittlere Korrelation der LH Variablen (in Prozent) 100 27 8 34 75 33 79 11 23 9 4 6 38 100 49 90 24 21 13 17 39 66 4 21 6 5 38 100 38 33 80 4 21 18 9 6 18 9 11 20 7 100 38 6 25 5 4 34 70 8 17 7 11 6 18 100 39 20 6 9 25 60 22 24 17 12 39 21 38 65 39 100 7 20 3 20 31 51 30 69 51 80 100 18 65 11 21 23 54 8 27 74 34 32 24 100 80 6 38 9 4 11 49 31 20 30 50 69 100 24 51 11 21 18 66 79 54 25 24 10 11 100 69 32 69 7 39 6 39 33 33 21 12 73 100 11 50 34 30 17 12 9 17 75 64 12 22 100 73 10 30 74 51 8 17 18 13 34 65 11 100 22 12 24 20 27 31 3 24 21 21 8 30 100 11 12 21 25 31 8 20 20 22 4 24 27 29 1 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 Korrelation der Variablen. 50 40 30 20 10 0.45 0.4 0.35 0.3 0.25 0.2 0.15 0.1 0.05 0 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 Mittelwert der Korrelationen der Variablen zu den restlichen Variablen. Abbildung 4.8: Korrelation der Likelihood-Variablen. Die Korrelationen der Variablen sind in Abbildung 4.8 links gezeigt. Die Nummerierung der Variablen stimmt mit der obigen Áufzählung überein. Für die einzelnen Variablen ist der Mittelwert ihrer Korrelationen zu den anderen Variablen 47 4 Analyse des tt̄H-Endzustandes in Abbildung 4.8 rechts gezeigt. Die Variablen einer Likelihood-Selektion sollten möglichst wenig korreliert sein. Daher wurden die Variablen mit den höchsten mittleren Korrelationen minv (bt , t̄) (Nummer 6) und minv (bt̄ , t) (Nummer 8) aus der Likelihood herausgenommen. Variable Nummer 14 ist die Summe der Transversalimpulse der beiden Top-Quarks. Es wird in einer Likelihood-Selektion mit dieser Variablen eine bessere Signifikanz erreicht als ohne diese Variable. Daher wird die Summe der Transversalimpulse der Top-Quarks trotz der hohen Korrelation zu den anderen Variablen weiter verwendet. Die zugehörige Darstellung der Referenzhistogramme ist in den Abbildungen 4.9 und 4.10 zu finden. Die Referenzhistogramme werden unter Verwendung des Jet-Parton-Matchings erzeugt. Im Gegensatz dazu wird die eigentliche Likelihood-Selektion auf reinem Detektor-Niveau durchgeführt. Es ist also kein unmittelbarer Rückschluß von den detektierten Jets und Leptonen auf ihre Partonen möglich. 48 4.2 Selektion der Ereignisse 0.06 0.06 0.04 0.04 0.02 0.02 0 -1 -0.5 0 0.5 1 0 -1 -0.5 cos( bTop1 , eneg ) 0.1 0.075 0.075 0.05 0.05 0.025 0.025 200 400 600 800 1000 1200 0 minv( ν2 , Top1 ) 0.1 0.08 0.075 0.06 0.05 0.04 0.025 0.02 0 100 200 300 400 minv( bTop1 , bTop2 ) 1 200 400 600 800 1000 1200 minv( ν1 , Top2 ) 0 0.5 cos( bTop2 , epos ) 0.1 0 0 0 0 200 400 600 minv( bTop2 , ν1 ) Abbildung 4.9: Normierte Referenzhistogramme der Likelihood-Selektion. Die Signal-Klasse ist schwarz eingezeichnet. In rot ist die Klasse des Untergrunds 1 gezeigt. Untergrund-Klasse 2 ist in grün eingezeichnet. In blau sind alle restlichen b-Zuordnungen gezeigt. 49 4 Analyse des tt̄H-Endzustandes 0.1 0.08 0.075 0.06 0.05 0.04 0.025 0.02 0 200 400 0 600 0 100 minv( epos , H ) 300 400 minv( epos , bTop2 ) 0.08 0.08 0.06 0.06 0.04 0.04 0.02 0.02 0 200 400 600 0 0 minv( eneg , H ) 0.08 0.06 0.06 0.04 0.04 0.02 0.02 0 200 400 600 800 minv( bTop1 , ν2 ) 100 200 300 400 minv( eneg , bTop1 ) 0.08 0 200 0 0 250 500 750 1000 pt(Top1)+pt(Top2) Abbildung 4.10: Normierte Referenzhistogramme der Likelihood-Selektion. Die Signal-Klasse ist schwarz eingezeichnet. In rot ist die Klasse des Untergrunds 1 gezeigt. Untergrund-Klasse 2 ist in grün eingezeichnet. In blau sind alle restlichen b-Zuordnungen gezeigt. 50 4.2 Selektion der Ereignisse Die Likelihood-Selektion Die Aufgabe der Likelihood-Selektion ist die richtige Zuordnung der b-Jets im Endzustand des Signalprozesses zu ihren Ursprungsteilchen. Das Signal wird definiert aus allen rekonstruierten Lösungen für die Neutrino-Impulse mit der richtigen Zuordnung der zwei b-Jets zum Zerfall des Higgs-Bosons in tt̄H-Ereignissen. Der Untergrund wird zwischen kombinatorischem Untergrund und dem tt̄bb̄Untergrund unterschieden. Der kombinatorische Untergrund besteht aus Kombinationen der b-Jets des Signalprozesses, die ihren Ursprungsteilchen falsch zugeordnet werden und daher keine korrekte Rekonstruktion der Masse des HiggsBosons erlauben. Der tt̄bb̄-Untergrund führt zum gleichen Endzustand wie das Signal, hat jedoch keine resonante Struktur der invarianten bb̄-Masse. Für die Likelihood-Selektion wird zunächst ausschließlich der kombinatorische Untergrund betrachtet. Ein Maß für die Güte der Rekonstruktion ist die statistische Signifikanz √SB , den Signalprozeß vom Untergrund zu trennen. Es wird zuerst die Rekonstruktion des Endzustandes durch die Likelihood-Selektion beschrieben. Anschließend wird die Optimierung der Signifikanz erläutert. Für die maximal 48 Lösungen, die einem Ereignis zugeordnet werden können, werden jeweils ihre Likelihood-Werte Li , i = 1, ..., 48, berechnet. Dazu werden die Werte der Variablen für jede der Zuordnungen der b-Jets mit den Referenzhistogrammen verglichen, um die wahrscheinlichste Zuordnung der b-Jets zu ihren Ursprungsteilchen zu finden. In Abbildung 4.11 ist die Likelihood für das Signal und die im vorigen Unterkapitel beschriebenen Untergrund-Klassen 1 bis 3 gezeigt. Erwartungsgemäß muß die Likelihood für das Signal mehr Einträge bei hohen Werten haben, während für den kombinatorischen Untergrund kleine Werte gefunden werden. Mit einem optimierten Schnitt auf die Likelihood Lcut , der zwischen dem Signal-Maximum auf der einen Seite und den Maxima für die Untergrund-Klassen auf der anderen Seite liegt, wird der kombinatorische Untergrund aus der falschen Zuordnung der b-Jets unterdrückt und das Verhältnis von Signal zu kombinatorischem Untergrund verbessert. Die Optimierung des Schnitts auf die Likelihood wird im folgenden beschrieben. In Abbildung 4.12 sind die Likelihood-Werte nach absteigender Größe sortiert und für die maximale, zweit-, dritt- und vierthöchste Likelihood der maximal 48 möglichen Likelihood-Verteilungen jedes Ereignisses aufgetragen. Der rote Graph kennzeichnet alle richtigen Zuordnungen der b-Jets zum Signal. Die Lösungen der richtigen Zuordnung der b-Jets zu ihren Ursprungsteilchen, die allerdings falsch zugeordnete Neutrino-Impuls verwenden, werden ebenfalls als Signal betrachtet. Zwischen dem roten und dem schwarzen Graphen liegt der kombinatorische Untergrund, der den höchsten (zweithöchsten usw.) Likelihood-Wert des Ereignisses 51 4 Analyse des tt̄H-Endzustandes hat. Der kombinatorische Untergrund besteht aus den Untergrund-Klassen 2 und 3 in Tabelle 4.2. Die Masse des Higgs-Bosons wird aus den Viererimpulsen der zum Zerfall des Higgs-Bosons rekonstruierten b-Jets bH , b̄H berechnet m2H = (EbH + Eb̄H )2 − (pbxH + pxb̄H )2 − (pbyH + pyb̄H )2 − (pbzH + pzb̄H )2 . (4.21) Das Verhältnis von Signal S zu Untergrund B aus tt̄H-Ereignissen kann verbessert werden, wenn man mehrere der höchsten Likelihood-Werte in die Analyse einbezieht, d.h. für jedes Ereignis mehrere Permutationen verwendet. Der kombinatorische Untergrund kann durch die vermehrten Kombinationsmöglichkeiten ebenfalls eine hohe Likelihood haben. Es ist jedoch unwahrscheinlich, daß der Untergrund mehrere hohe Likelihood-Werte als das Signal hat. In Abbildung 4.13 ist das Verhältnis von Signal zu kombinatorischem Untergrund gezeigt, wenn man nur die maximale Likelihood Lmax betrachtet (links oben), die beiden höchsten Likelihoods Lmax und L2nd (rechts oben) usw. Bei einem Schnittwert der Likelihood von Lcut =0.2 verbessert sich die Signifikanz √SB bei Variation zu kleineren Schnittwerten Lcut nicht mehr wesentlich. Daher wird der Schnitt der Likelihood bei Lcut =0.2 für die höchste und die zweithöchste Likelihood eines Ereignisses festgelegt. Die zweitgrößte Likelihood wird als unabhängiges Ereignis behandelt, wenn die dazugehörige Masse des Higgs-Bosons nicht der der höchsten Likelihood entspricht. Diese Vorgehensweise vermeidet, daß durch die Berücksichtigung der zweiten Likelihood bei identischer Masse des Higgs-Bosons das Signal künstlich vergrößert wird. Eine Methode, um die Qualität der Rekonstruktion zu untersuchen, ist den Abstand ΔR zwischen rekonstruierter und generierter Flugrichtung des HiggsBosons zu betrachten. In Abbildung 4.14 ist der Abstand ΔR in schwarz für alle durch die Likelihood rekonstruierten zu den generierten Higgs-Bosonen dargestellt. In rot sind die dabei richtig rekonstruierten Higgs-Bosonen eingezeichnet. Nach dem Schnitt auf die Likelihood ist ein sichtbar großer Anteil von richtig rekonstruierten Zuordnungen der b-Jets dabei, die man bei kleinen Abständen ΔR erkennt. In Abbildung 4.15 links ist die rekonstruierte Masse des Higgs-Bosons mit einer generierten Masse von 120 GeV nach der Likelihood-Selektion eingezeichnet. In rot ist die rekonstruierte Masse des Higgs-Bosons aus Signal-Ereignissen mit richtig zugeordneten b-Jets dargestellt. Diese machen einen Anteil von 33% der rekonstruierten Ereignisse aus. Die Ausläufer in der Massenverteilung des HiggsBosons entstehen durch falsche Kombinationen der b-Jets, die zum Higgs-Boson zugeordnet werden. Auf der rechten Seite in Abbildung 4.15 ist der gleiche HiggsPeak des Signals nach der Likelihood-Selektion gezeigt. Der kombinatorische Untergrund, der nach der Likelihood-Analyse fälschlicherweise als Signal erkannt worden ist, ist in blau eingezeichnet. Der Peak des Signals hebt sich über dem 52 4.2 Selektion der Ereignisse kombinatorischen Untergrund deutlich ab. Das Maximum des kombinatorischen Untergrunds liegt bei etwas kleineren Massen als das Maximum der Massenverteilung aller durch die Likelihood rekonstruierten Ereignisse. Wenn man außer dem kombinatorischen Untergrund auch den gg, q q̄ → tt̄bb̄Untergrund betrachtet, ergibt sich die rekonstruierte Masse des Higgs-Bosons wie in Abbildung 4.16 gezeigt. Das Signal besteht aus den richtig zum Zerfall des Higgs-Bosons zugeordneten b-Jets. Signal und der tt̄bb̄-Untergrund sind auf die erwartete Anzahl von Ereignissen bei einer Luminosität von 30 fb−1 normiert. Der tt̄bb̄-Untergrund hat eine breite Verteilung, während für ein Signal aus einem Higgs-Zerfall ein schmaler, gaußförmiger Peak erwartet wird. Um möglichst viel tt̄bb̄-Untergrund zu unterdrücken, wird ein Massenfenster von 85 GeV bis 135 GeV gewählt, in dem die Signifikanz bestimmt wird. Die Signifikanz ergibt sich zu √SB =1.42. Bei einer integrierten Luminosität von 30 fb−1 liegen liegen 3.3 Signal-Ereignisse, 3.1 Ereignisse des kombinatorischen Untergrunds und 20.7 Ereignisse aus dem tt̄bb̄-Untergrund in diesem Massenfenster. Der kombinatorische Untergrund der tt̄H-Ereignisse hat eine ähnliche Form wie der tt̄bb̄-Untergrund und geht daher zum großen Teil im systematischen Fehler des tt̄bb̄-Untergrunds unter. Wenn man den kombinatorischen Untergrund nicht zum Signal zählt, sondern zum tt̄bb̄-Untergrund addiert, ergibt sich die Signifikanz im gleichen Massenfenster zu √SB =0.68. Durch diese leicht konservative Abschätzung verschlechtert sich die Signifikanz, weil man potentielle Kandidaten für ein HiggsSignal aus dem kombinatorischen Untergrund nicht mehr zum Signal zählt. Eine Zusammenfassung dieser Ergebnisse findet sich in Tabelle 4.3. 53 Ereignisse Ereignisse 4 Analyse des tt̄H-Endzustandes 250 200 150 100 400 300 100 0.25 0.5 0.75 L Signal 0 0.25 0.5 0.75 0 1 1 L Untergr 2 0 3500 3000 2500 2000 1500 1000 500 0 0.25 0.5 0.75 1 L Untergr 1 Ereignisse 0 Ereignisse 2250 2000 1750 1500 1250 1000 750 500 250 0 500 200 50 0 600 0 0.25 0.5 0.75 1 L Untergr 3 Abbildung 4.11: Likelihood für die Signal- und die drei Untergrund-Klassen. Die Signal-Klasse und Untergrund-Klasse 1 beinhalten die richtige Zuordnung der b-Jets zu ihren Ursprungsteilchen. UntergrundKlassen 2 und 3 bestehen aus kombinatorischem Untergrund. 54 Ereignisse 0 450 400 350 300 250 200 150 100 50 0 Ereignisse 350 300 250 200 150 100 50 0 0.25 0.5 0.75 1 L max Ereignisse Ereignisse 4.2 Selektion der Ereignisse 400 350 300 250 200 150 100 50 0 0 0.25 0.5 0.75 1 L 2nd 500 400 300 200 100 0 0.25 0.5 0.75 1 L 3rd 0 0 0.25 0.5 0.75 1 L 4th Abbildung 4.12: Verteilungen der höchsten, zweit-, dritt- und vierthöchsten Likelihood der rekonstruierten Ereignisse. In rot sind die darin enthaltenen richtigen Zuordnungen der b-Jets zu ihrem Ursprungsteilchen eingezeichnet. Die Differenz zwischen dem roten Graphen und dem schwarzen Graphen entsteht durch den kombinatorischen Untergrund. 55 S/sqrt(Bkombi) S/sqrt(Bkombi) 4 Analyse des tt̄H-Endzustandes 70 60 50 40 30 70 60 50 40 30 20 20 10 10 0 0 0.25 0.5 0.75 0 1 0 70 60 50 40 30 50 40 30 10 10 0.25 0.5 0.75 1 Lmax bis L3rd 1 60 20 0 0.75 70 20 0 0.5 Lmax und L2nd S/sqrt(Bkombi) S/sqrt(Bkombi) Lmax 0.25 0 0 0.25 0.5 0.75 1 Lmax bis L4th Abbildung 4.13: Signifikanz √SB für die höchste Likelihood (links oben). Unter Berücksichtigung der höchsten und zweithöchsten Likelihood ist die Signifikanz rechts oben gezeigt, usw. . Das Signal S beinhaltet für die richtige Zuordnung der b-Jets zu ihren Ursprungsteilchen alle Lösungen der Neutrino-Impulse (Signal- und UntergrundKlasse 1 aus Tabelle 4.2). Der Untergrund B besteht aus den falschen Zuordnungen der b-Jets zu ihren Ursprungsteilchen (Untergrund-Klassen 2 und 3 aus Tabelle 4.2). Die Signifikanz √S ist für 800 000 generierte tt̄H-Ereignisse gezeigt. B 56 Ereignisse 4.2 Selektion der Ereignisse 3000 2500 2000 1500 1000 500 0 0 1 2 3 4 5 ΔRHiggs Abbildung 4.14: Abstand ΔR des rekonstruierten Higgs-Bosons zu dem generierten Higgs-Boson. In schwarz ist der Abstand ΔR zwischen rekonstruiertem und generiertem Higgs-Boson für alle durch die Likelihood-Selektion rekonstruierten Higgs-Bosonen bei einem Schnitt der Likelihood bei Lcut = 0.2 unter Verwendung der höchsten und zweithöchsten Likelihood-Werte angegeben. Der Abstand ΔR für Ereignisse, in denen die b-Jets aus dem Zerfall des Higgs-Bosons richtig zugeordnet werden, ist rot eingezeichnet. 57 Ereignisse Ereignisse 4 Analyse des tt̄H-Endzustandes 1.8 1.6 1.8 1.6 1.4 1.4 1.2 1.2 1 1 0.8 0.8 0.6 0.6 0.4 0.4 0.2 0.2 0 0 50 100 150 200 250 300 M Higgs Signal (GeV) 0 0 50 100 150 200 250 Abbildung 4.15: Verteilungen der rekonstruierten Massen des Higgs-Bosons. Das schwarze Histogramm in beiden Abbildungen zeigt alle durch die Likelihood selektierten bb̄-Jet-Kombinationen bei einem Schnitt der Likelihood bei Lcut = 0.2 unter Verwendung der höchsten und zweithöchsten Likelihood-Werte. Links ist zusätzlich das Massenspektrum der richtig zugeordneten b-Jet-Paare zum Zerfall des Higgs-Bosons in rot eingezeichnet. Der kombinatorische Untergrund aus den falschen Zuordnungen der b-Jets zum Zerfall des Higgs-Bosons ist rechts in blau gezeigt. Die generierte Masse des Higgs-Bosons ist mH =120 GeV. 58 300 M Higgs Signal (GeV) Ereignisse 4.2 Selektion der Ereignisse 8 Signal Untergrund (kombinatorisch) 7 Untergrund (gg+qq) 6 5 4 3 2 1 0 0 50 100 150 200 250 300 M Higgs (GeV) Abbildung 4.16: Verteilungen der rekonstruierten Massen des Higgs-Bosons nach der Likelihood-Selektion bei einem Schnitt der Likelihood bei Lcut = 0.2 unter Verwendung der höchsten und zweithöchsten Likelihood-Werte. Die Masse des Higgs-Bosons aus den richtigen Zuordnungen der b-Jets nach der Likelihood-Selektion ist zwischen der dünnen und der dicken Linie eingezeichnet. Zwischen der dicken und der gestrichelten Linie ist der kombinatorische Untergrund aus den falschen Zuordnungen der b-Jets zum Zerfall des Higgs-Bosons eingezeichnet. Der Untergrund aus gg, q q̄ → tt̄bb̄ ist gestrichelt eingezeichnet. Die generierte Masse des Higgs-Bosons ist mH =120 GeV. Die Histogramme sind auf die erwartete Anzahl von Ereignissen bei einer Luminosität von 30 fb−1 normiert. 59 4 Analyse des tt̄H-Endzustandes 4.3 Ergebnisse der Likelihood-Selektion Die erwartete Anzahl von Signal- und Untergrund-Ereignissen ist in Tabelle 4.3 für die einzelnen Schritte der Analyse zusammengefasst. Die Zahlen beziehen sich auf ein Higgs-Boson der Masse mH =120 GeV und eine Luminosität von 30 fb−1 . In der dritten und vierten Spalte der Tabelle 4.3 sind die Effizienzen der Schnitte für Signal- und Untergrund-Ereignisse gezeigt. Die absolute Effizienz schließt alle vorher benutzten Schnitte ein. Die relative Effizienz ist die Effizienz der einzelnen Schnitte nach den jeweiligen vorherigen Schnitten und findet sich in Klammern. Insgesamt beträgt die Signal-Effizienz nach allen Schnitten 1.2%. Es ergibt sich im gewählten Massenfenster von 85 GeV bis 135 GeV eine erwartete statistische Signifikanz von √SB =1.42 für ein Higgs-Boson der Masse mH =120 GeV, wobei das Signal den kombinatorische Untergrund der tt̄H-Ereignisse mit einschließt. Bei einer integrierten Luminosität von 30 fb−1 liegen 3.3 SignalEreignisse, 3.1 Ereignisse des kombinatorischen Untergrunds und 20.7 Ereignisse aus dem tt̄bb̄-Untergrund in diesem Massenfenster. Wenn der kombinatorische Untergrund zu dem tt̄bb̄-Untergrund addiert wird, ergibt sich die Signifikanz im gleichen Massenfenster zu √SB =0.68. Die Qualität der Likelihood-Selektion kann durch das Jet-Parton-Matching kontrolliert werden. Auf diese Weise kann man nachvollziehen, ob die beiden zum Higgs-Boson gehörigen b-Jets korrekt durch die Likelihood-Selektion als zum Higgs-Boson gehörige b-Jets rekonstruiert werden. Das Verhältnis von richtig rekonstruierten Higgs-Bosonen zu der Gesamtanzahl aller durch die Likelihood rekonstruierten Higgs-Bosonen wird als die Reinheit des Signals bezeichnet. Die Reinheit der durch die Likelihood rekonstruierten Signal-Ereignisse ist 34.2%. Im gewählten Massenfenster von 85 GeV bis 135 GeV erhöht sich die Reinheit der durch die Likelihood rekonstruierten Signal-Ereignisse auf 52%. Wenn man, wie in Tabelle 4.1 veranschaulicht, eine zufällige Verteilung aller möglichen Kombinationen betrachtet, dann ist die Wahrscheinlichkeit, daß man eine Kombination mit den korrekt zum Higgs-Boson gehörigen b-Jets findet 100% =17%. Zwei aus 12 6 Kombinationen bestehen aus richtig zum Higgs-Boson zugeordneten b-Jets. Die durch die Likelihood-Selektion erreichte Reinheit ist daher deutlich besser als die aus purer Kombinatorik zu erwartende Reinheit. 60 4.3 Ergebnisse der Likelihood-Selektion Tabelle 4.3: Übersicht über die Selektion. Die zweite und dritte Spalte zeigen die Anzahl der erwarteten Signal- bzw. tt̄bb̄-Untergrund-Ereignisse für eine integrierte Luminosität von 30 f b−1 . Für die Signal-Ereignisse im Massenfenster sind diejenigen mit korrekter Zuordnung der b-Jets (S) und falscher Zuordnung (Ukombi ) getrennt angegeben. Schnitt Start 4 b-Jets 2 Leptonen mit pet ≥ 25 GeV, pμt ≥ 20 GeV, |η|le 2.5 pbt ≥ 20 GeV, |η| ≤ 2.5 Lmax ≥ 0.2, L2nd ≥ 0.2, mH (Lmax ) = mH (L2nd ) 85 ≤ mH ≤ 135 [GeV] Anzahl SignalEreignisse 540 32 13 Anzahl tt̄bb̄Ereignisse 12 741 270 113 tt̄H (%) tt̄bb̄ (%) 100% 6.0% (6.0%) 2.5% (40.6%) 100% 2.1% (2.2%) 0.9% (41.9%) 12 102 2.2% (92.3%) 0.8% (90.3%) 11 61 2.0% (91.6%) 0.5% (59.8%) 3.3 (S) 3.1 (Ukombi ) 20.7 0.61% (30.0%) 0.57% (28.2%) 0.16% (33.9%) 61 5 Zusammenfassung Der Prozeß tt̄H → bνl+ b̄ν̄l− bb̄ wurde für eine Masse des Higgs-Bosons mH =120 GeV und eine integrierte Luminosität von 30 fb−1 untersucht. Es wurde eine Studie zur Suche nach einem neutralen √ Higgs-Boson in Proton-Proton-Kollisionen bei einer Schwerpunktsenergie von s=14 TeV durchgeführt. Der Endzustand muß vollständig rekonstruiert werden, um ein Signal des HiggsBosons signifikant von dem tt̄bb̄-Untergrund trennen zu können. Daraus ergeben sich zwei Herausforderungen: Die Impulse der beiden Neutrinos müssen rekonstruiert werden und die richtige Zuordnung aller vier b-Jets zu den Top-Quarks und dem Higgs-Boson muß gefunden werden. Die Erhaltung aller transversalen Impulse des Endzustandes und die Randbedingungen an die Massen der zerfallenden W-Bosonen und Top-Quarks werden benutzt, um ein Gleichungssystem aufzustellen [29]. Wenn alle b-Jets richtig zu ihren Ursprungsteilchen zugeordnet werden, ergibt das Gleichungssystem für 55% der Ereignisse eine Lösung für die Neutrino-Impulse. Für falsche Zuordnungen der b-Jets ergeben sich abhängig von der Zuordnung der b-Jets zu ihren Ursprungsteilchen in 22% bis 34% aller Ereignisse Lösungen für die Neutrino-Impulse. Für den auf Detektor-Niveau rekonstruierten Neutrino-Impuls, der am nächsten zum generierten Neutrino-Impuls liegt, wird eine Auflösung von 22 bis 24 GeV erreicht. Aus den 12 Möglichkeiten, die vier b-Jets ihrem Ursprungsteilchen zuzuordnen, wird versucht, die richtige Kombination der b-Jets zu rekonstruieren. Die Likelihood-Selektion verwendet 12 Variablen aus der Kinematik der Signal-Ereignisse zur Trennung des Signals vom kombinatorischen Untergrund. Die rekonstruierten Higgs-Bosonen mit den beiden höchsten Likelihoods eines Ereignisses werden weiter verwendet. Das Verhältnis von richtig durch die Likelihood rekonstruierte Higgs-Bosonen zu der Gesamtanzahl aller durch die Likelihood rekonstruierten Higgs-Bosonen wird als die Reinheit des Signals bezeichnet. Die Reinheit der durch die Likelihood rekonstruierten Signal-Ereignisse ist 34.2%. In einem gewählten Massenfenster von 85 GeV bis 135 GeV erhöht sich die Reinheit der durch die Likelihood rekonstruierten Signal-Ereignisse auf 52%. Diese Reinheit ist deutlich besser als die erreichbare Reinheit, die sich aus einer statistischen Verteilung der 12 möglichen Kombinationen der b-Jets zu 100% =17% ergibt. 6 Nach der Rekonstruktion der Neutrino-Impulse und der Likelihood-Selektion 62 Ereignisse ergibt sich das in Abbildung 5.1 gezeigte Signal des Higgs-Bosons aus tt̄H-Ereignissen über dem tt̄bb̄-Untergrund. Bei einer integrierten Luminosität von 30 fb−1 liegen 6.4 Signal-Ereignisse und 20.7 Ereignisse aus dem tt̄bb̄-Untergrund in dem Massenfenster zwischen 85 GeV und 135 GeV. Es wird eine erwartete statistische Signifikanz von √SB =1.42 für ein Higgs-Boson der Masse mH =120 GeV erzielt, wenn die tt̄H-Ereignisse aus dem kombinatorischen Untergrund zum Signal dazugezählt werden. 8 Signal Untergrund (kombinatorisch) 7 Untergrund (gg+qq) 6 5 4 3 2 1 0 0 50 100 150 200 250 300 M Higgs (GeV) Abbildung 5.1: Verteilungen der rekonstruierten Massen des Higgs-Bosons nach der Likelihood-Selektion bei einem Schnitt der Likelihood bei Lcut = 0.2 unter Verwendung der höchsten und zweithöchsten Likelihood-Werte. Die Masse des Higgs-Bosons aus den richtigen Zuordnungen der b-Jets nach der Likelihood-Selektion ist zwischen der dünnen und der dicken Linie eingezeichnet. Zwischen der dicken und der gestrichelten Linie ist der kombinatorische Untergrund aus den falschen Zuordnungen der b-Jets zum Zerfall des Higgs-Bosons eingezeichnet. Der Untergrund aus gg, q q̄ → tt̄bb̄ ist gestrichelt eingezeichnet. Die generierte Masse des Higgs-Bosons ist mH =120 GeV. Die Histogramme sind auf die erwartete Anzahl von Ereignissen bei einer Luminosität von 30 fb−1 normiert. Die assoziierte tt̄-Produktion ist durch den leptonischen Zerfall von mindestens einem seiner Top-Quarks der Kanal, in dem der Endzustand eine sehr klare Si- 63 5 Zusammenfassung gnatur hat und sich deswegen besonders gut vom Untergrund unterscheiden läßt. Bei einer integrierten Luminosität von 30−1 fb und einer Nachweiseffizienz von 60% für b-Jets sowie Unterdrückungsfaktoren von Rc = 10 und Rj = 100 gegen cund leichte Jets wird für den semileptonischen Kanal eine Signifikanz von √SB =3.6 bei mH = 120 GeV vorhergesagt ([22, 23]). Der doppelt leptonische Endzustand aus der tt̄H-Produktion wird zur Beobachtung eines Higgs-Bosons mit dem Zerfall H → bb̄ beitragen und erlauben, die Kopplung des Higgs-Bosons an das b-Quark mit verbesserter Genauigkeit zu bestimmen. 64 Literaturverzeichnis [1] S. L. Glashow, Nucl. Phys 22, 597 (1961); S. L. Glashow, J. Iliopoulos, L. Maiani, Phys. Rev. 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Allen Kollegen der Gruppe danke ich für ihr Interesse, das mit den guten Diskussionen und der sympathischen Atmosphäre entscheidend zum Gelingen meiner Diplomarbeit beigetragen hat. Besonders danke ich Markus Klute, Jochen Cammin, Markus Warsinsky und Markus Schumacher für das Korrektur-Lesen meiner Diplomarbeit. Chrissie, Mama, Kerstin und Bianka sei herzlich dafür gedankt, dass sie mir ein tolles Büffet zu meinem Diplom-Kolloquium gezaubert haben. Ich danke Michael Dührssen und Carsten für das Tex-file und Programmier-Tips. Dr. Andreas Wisskirchen, Valja und das duo inf ernale Patricia & Dagmar sind die guten Seelen des Hauses, auch Euch ein großes Dankeschön für all die Hilfestellungen und die vielen lustigen Gespräche. Ganz besonders möchte ich mich bei meiner wunderbaren Familie und Freunden bedanken, die mir immer meinen Weg erhellt haben: Mama & Papa, Oma, Chrissie & Stephan, Carsten & Kerstin, Udo und Markus - für einfach alles! 69