LIONS CLUBS INTERNATIONAL MD 102 | SCHWEIZ UND FÜRSTENTUM LIECHTENSTEIN Handwerk Artisanat Artigianato DEZEMBER 2013 H A NDWER K ERNST LUTZ (LC LUZERN-PIL ATUS), HANDWERKER Einmal im Leben ein Kirchturm Sucht man im Lionsbase nach Rechtsanwälten, Finanzfachleuten und Ingenieuren, ist die Liste lang. Gibt man Schreiner, Maurer oder Spengler ein, muss man meist nicht einmal scrollen. Handwerker sind in unserer Vereinigung dünn gesät. Eines dieser seltenen Exemplare ist Ernst Lutz, Spenglermeister. Treffpunkt: das Dach des KKL. Er sei nicht zu übersehen, sagt Ernst Lutz, er sei 1,90 m gross und warte an der Ecke vom KKL. Eine leuchtend rote Sportjacke und ein aparter Filzhut zum Schutz vor dem Regen tun ein Übriges, dass man ihn schon von Weitem sieht. Wettergegerbt sieht er aus, aber man würde keine Sekunde zweifeln, würde er sagen: «Ernst Lutz, Richter». Das nämlich wäre der Beruf, den er ergriffen hätte, hätte er studiert. Bundesrichter wäre er geworden, sagt er später beim heissen Früchtetee, denn Gerechtigkeit bedeutet ihm viel. Aber als Junge lebte er in bescheidenen und manchmal auch schwierigen Verhältnissen. Die Eltern liessen sich scheiden, der Sohn interessierte sich für alles Mögliche, nur nicht für Hausaufgaben. Bis sich eines Tages der Lehrer bei der Mutter meldete. Wenn das so weitergehe mit dem Ernst, dann sei an die nächste Klasse nicht zu denken. Das sass. Nicht nur bei den Eltern, auch beim Jungen. Von jetzt an hatte Ernst keine Note mehr unter einer Fünfeinhalb. Dennoch dachte niemand ans Studieren. «Handwerk hat goldenen Boden», bestimmte die Mutter, und so wurde aus Ernst Lutz ein Spenglermeister. Handwerkerstolz Und dies ist er mit Herz und Seele. «Ich möchte gute Spenglerarbeit machen, die ein hohes Mass an Können erfordert», sagt er. Mit zehn Mitarbeitern ist die E. Lutz AG in Luzern ein mittelgrosser Betrieb in seiner Branche, die Projekte jedoch, die Ernst Lutz immer wieder an Land zieht, bewegen sich nicht selten in der obersten Liga. Eben erst beendeten seine Mitarbeiter die Erneuerung des Dachs vom Kultur- und Kongresszentrum Luzern. Zweieinhalb Jahre dauerten die Arbeiten. 45 Tonnen Kupfer und dazu etliche Stapel Holz für den Dachunterbau lagerten auf dem Holzgerüst, das über zwei eigens dafür erstellte Holz- türme zugänglich gemacht wurde. Sorgfältig austariert werden mussten die Palette, damit die Plattform auf 21 Metern Höhe nicht unter der Last zur Seite kippte. Inzwischen ist das Material verarbeitet. Das Kupfer glänzt auf den Wölbungen und den firstförmigen Verstrebungen des Dachs. Jeder Stehfalz sitzt, jedes Eckblech schmiegt sich nahtlos an die Unterlage. Immer wieder weist Ernst Lutz auf ein Detail hin. Er ist stolz auf die Arbeit seiner Leute, und es ist der Stolz des Bauhandwerkers, der durch Städte und Dörfer gehen und den Zeigefinger mal rechts, mal links in die Höhe recken kann: Dieses Dach haben wir gemacht. Falzbahnen und Blechschindeln Nur Kirchtürme sind noch prestigeträchtiger als die Spenglerarbeiten an Konzerthäusern, Museen, Fussballstadien und anderen öffentlichen Bauten. «Einen Kirchturm sollte jeder Spenglermeister einmal in seinem Leben abdecken», findet Ernst Lutz. Früher zumindest sei dies Tradition gewesen, heute muss man Glück haben. Ein Kirchturmdach hält ohne Weiteres fünfzig Jahre. Da kommt nicht mehr jeder zum Zug. Andere, wie Ernst Lutz, machen sich einen Namen und erhalten immer wie- Spengler bei der Arbeit auf dem Dach des KKL (Foto: Matthias Giordano) 2 6 I 2013 den Ablauf der Arbeiten, den er der Nachwelt erhalten will. Club mit Bodenhaftung Dass er als Handwerker zu einer Minderheit innerhalb der Lions-Organisation gehört, stört ihn nicht. «Wir diskutieren auf gleicher Ebene», sagt er. Akademiker seien oft zu kopflastig, Gremien, die nur aus Akademikern bestehen, fehle die Bodenhaftung. Die Durchmischung verschiedener Berufsgruppen tue dem Club gut. «Wichtig ist die gegenseitige Wertschätzung, alles andere spielt keine Rolle.» Heidi Mühlemann Ernst Lutz auf dem Dach des KKL (Foto: Heidi Mühlemann) der Aufträge von Kirchgemeinden. Acht Türme konnte er im Laufe seiner Karriere schon erneuern. In Gerliswil waren es neue Falzbahnen, in Adligenswil Blechschindeln, an anderen Türmen kleinere Arbeiten und Reparaturen. Nur für den Spengler Bei solchen Arbeiten finden die Handwerker nicht selten Botschaften oder kleine Hinterlassenschaften ihrer Vorgänger. Im Berner Münster, Ernst Lutz war damals in der Meisterschule, stiess ein Freund von ihm in der Kugel des Kirchturms auf einen luftdicht verlöteten Kupferzylinder. «Nur für den Spengler» war ins Blech geritzt. Das Geheimnis lüftete sich kurz darauf in der Werkstatt. Schwarzweissaufnahmen leicht bekleideter Damen, aufgenommen Anfang des 20. Jahrhunderts, klaubten die Männer aus dem Behältnis. Man kann sich das Gelächter über die aus heutiger Sicht Ernst Lutz ist seit 2001 Mitglied des LC Luzern-Pilatus und in diesem Jahr dessen Präsident. Zusammen mit seiner Frau Maria Luisa gründete er 1986 die E. Lutz AG mit Sitz in Luzern. Heute beschäftigt er zehn Mitarbeiter und bildet Lehrlinge aus. Er arbeitete an Grossprojekten wie dem KKL und dem Letzigrundstadion in Zürich mit, restaurierte und reparierte acht Kirchtürme, fertigte auch schon eine Kuppel aus Kupfer für einen Gartenpavillon in Südfrankreich und lieferte Bauteile für eine Villa auf den Bahamas. Neben Spenglerarbeiten übernimmt er auch Beratungsaufträge und unterstützt Bauherren und institutionelle Anleger bei Bauabnahmen. ziemlich harmlosen Bilder vorstellen. Ernst Lutz hat selbst ebenfalls schon an etlichen Gebäuden Botschaften hinterlegt. Manchmal ist es eine aktuelle Zeitung, manchmal sind es einige Angaben über seine Firma und die Namen der an den Arbeiten beteiligten Handwerker. Manchmal schreibt Ernst Lutz auch einen kurzen persönlichen Bericht über Welche Botschaft sich wohl im Luzerner Rathausturm verbirgt? (Foto: Ernst Lutz) Anspruchsvolle Spenglerarbeit (Foto: Ernst Lutz) 6 I 2013 3