Der Crash als Erlösung Wellenreiter

Werbung
Der Crash als Erlösung
Wellenreiter-Kolumne vom 18. August 2014
„..erlöse uns von dem Bösen“
(Vater Unser, Zeile 10)
Die „Crash-Literatur“ hat in den vergangenen Jahren diverse Buchtitel hervorgebracht.
Zu den bekanntesten zählen „Besiege den Crash“ von Robert Prechter (2002), „Der Crash
kommt“ von Max Otte (2006) und „Der Crash ist die Lösung“ der Autoren Weik /
Friedrich (2014). Das letztgenannte Buch belegt in der Spiegel-Bestsellerliste den zweiten
Platz.
„Besiege den Crash“ klang kämpferisch. „Der Crash kommt“ hörte sich neutral, weil
unvermeidbar an. „Der Crash ist die Lösung“ klingt nach einem Heilsversprechen.
Als das römische Reich unterging, begrüßten viele Römer die „Barbaren“ als Retter. Sie
erhofften sich vor allen Dingen eine niedrigere Steuerlast. So schilderte es der US-Autor
Bruce Bartlett in seinem Essay “How Excessive Government killed ancient Rome”.
Ein Crash, der „lieber früher als später kommen soll“ (Zitat Verlagswebsite). Dieses
Einfordern einer Negativ-Aktion gleicht dem Verhalten der alten Römer im Hinblick auf
die Barbaren. Hauptsache es passiert etwas, das den aktuellen Zustand beendet. Ein
Crash als erstrebenswertes Ereignis. Der Stimmungswandel in unserer Gesellschaft seit
Beginn des Millenniums wird durch die oben genannten Titel recht gut widergespiegelt.
Wir selbst hatten in unserem Dekadenausblick (erstellt im Dezember 2009) für die
ersten Jahre der Dekade 2010-2019 eine Neuordnung des Finanzsystems in Aussicht
gestellt.
Wir formulierten: „Rückblickend aus dem Jahr 2019 dürfte in der zweiten Dekade das
nachgeholt worden sein, was in der erste Dekade versäumt wurde: Nämlich zu
Problemlösungen zu kommen. Die zweite Dekade eines Jahrhunderts ist häufig eine
Dekade, in der eine „neue Ordnung“ entsteht: Man denke nur an den im Jahr 1714
beendeten Spanischen Erbfolgekrieg, an den Wiener Kongress von 1814/15 im Gefolge
der napoleonischen Kriege oder an den ersten Weltkrieg 1914 bis 1918. Diese Ereignisse
zogen in vielen Belangen eine Neuordnung nach sich. Eine solche erscheint – mit Blick
auf unser Finanzsystem – dringlicher denn je.“
Damals schien uns klar, aus welcher Ecke die Neuordnung erzwungen werden würde:
Die Renditen würden steigen.
Wir konstatierten: „Aus dem 30-Jahres-Zinszyklus ergibt sich für die kommende Dekade
ein Zinsanstieg. Die Periode des billigen Geldes ist vorbei. Das Ende des billigen Geldes
dürfte die Staatengemeinschaft zu Problemlösungen zwingen. Japan kommt die
Bedeutung eines „Triggers“ (Auslösers) für eine solche Neuordnung zu: Erstens ist Japan
der Industriestaat mit der größten Schuldenproblematik, und zweitens ist Japan – im
Gegensatz zu Griechenland – systemrelevant. Wie genau eine solche Neuordnung
aussehen könnte? Es wird Not-Konferenzen auf höchster Ebene geben. China dürfte
dabei eine besondere Rolle zukommen. Kauft China massenweise japanische
Staatsanleihen? Die historische Feindschaft zwischen beiden Staaten macht es schwer,
an ein solches Szenario zu glauben. Andererseits: China hätte so die Möglichkeit, einen
bankrotten Staat zu kaufen. Damit würde China die Machtverhältnisse in Asien
klarstellen.“
Die Rendite stieg nur in der Peripherie, nicht aber in den global bedeutsamen
Volkswirtschaften. Aktuell notieren die Renditen 10jähriger deutscher und japanischer
Staatsanleihen jeweils unter einem Prozent. Japan ist drittgrößte, Deutschland die
viertgrößte Volkswirtschaft der Welt. Auf dem folgenden Chart ist die RenditeEntwicklung einzelner Staaten zu erkennen.
Die Renditen befinden sich auf einem historisch niedrigen Niveau. Rein
marktwirtschaftlich betrachtet wollen zu viele Anleger sparen, zu wenige wollen
investieren. Dies führt zu billigem Geld. Man erhält es fast umsonst, aber niemand will es
haben (die Kreditnachfrage bleibt aus).
Auf der Angebotsseite wird weniger Geld geschöpft als vor einigen Jahren. Auch dies
drückt den Zins: Eine Verknappung der Anleihen lässt den Anleihekurs steigen. Das für
die US-Budgeterstellung zuständige „Congressional Budget Office“ sieht eine USNeuverschuldung von 492 Mrd. US-Dollar voraus (2,8% vom BIP). In den Jahren 2009
und 2010 lagen diese Summen jeweils jenseits der eine-Billion-Dollar-Marke. Im Jahr
2013 belief sich die Neuverschuldung auf 680 Mrd. Dollar.
Bundesfinanzminister Schäuble plant für 2015, ohne eine zusätzliche Verschuldung
auszukommen. Allein durch das Zurückfahren der Ausgabe von Staatsanleihen durch die
USA und Deutschland verknappt sich das Angebot deutlich, selbst wenn andere Staaten
(wie Frankreich und die Peripherie-Staaten) ihr Emissionstempo beibehalten. Das
Congressional Budget Office plant für 2015 einen weiteren Rückgang der
Neuverschuldung auf 469 Mrd. US-Dollar. Erst ab dem Jahr 2016 soll die
Neuverschuldung erneut zulegen.
So bleibt der Zwang zur Neuordnung des Finanzsystems aus. Theoretisch können Japan
und andere hochverschuldete Staaten ihre Politik noch Jahrzehnte weiterführen. Solange
der Anleger mit einer 10-Jahres-Rendite von 0,5 Prozent zufrieden ist, muss der
japanische Staat kaum in die Tasche greifen. Auch der deutsche Finanzminister dürfte
sich bei einer Rendite von einem Prozent ein fröhliches Lächeln nicht verkneifen können.
Man kann den Zustand der Finanzwelt beklagen. Die Probleme (Staatsverschuldung,
Vertrauenskrise, der Zustand des Euroraums, die lose Geldpolitik) sind bekannt und
harren der Lösung. Manches jedoch ist aus zyklischer Sicht erklärbar. Die „Enteignung
der deutschen Sparer“ zum Beispiel.
Eine Rendite von 1,0 Prozent und eine Inflationsrate von 0,8 Prozent ergeben einen
Realzins von 0,2 Prozent. Also fast nichts. Der geringe Sparzins wird durch die
Inflationsrate entwertet. Der Sparer wird enteignet.
Der Blick in die US-Historie zeigt, dass ein Realzins von null oder darunter nicht
ungewöhnlich ist.
Die Periode von 1981 bis 2005 gilt historisch als die längste Periode mit einem positiven
Realzins. 24 Jahre lang (blauer Kreis obiger Chart) häufte sich auf dem eigenen
Sparkonto ein beständiger, realer Vermögenszuwachs an. Mit Beginn der Finanzkrise im
Jahr 2007 endete diese ungewöhnliche Periode. Die Rendite von Staatsanleihen, Rentenund Lebensversicherungen sowie die Cashbestände werden nicht erst die Verlierer eines
Crashes sein, wie die Autoren Weik/Friedrich meinen: Sie sind es schon jetzt.
Mal verdienen die Sparer real dazu, mal verlieren sie real. Historisch betrachtet gibt es
keine Garantie auf positive Realzinsen. Die lange positive Periode von 1981 bis 2005, die
viele Zeitgenossen als Regel ansehen, muss als Ausnahme gelten.
Fazit: Beten für den Crash hilft nur, wenn man die Renditen in sein Gebet mit
einbezieht. Im Falle deutlich steigender Zinsen würde die Staatengemeinschaft zu einer
Neuordnung des Finanzsystems gezwungen. Steigende Renditen allein in der Peripherie
reichen dafür nicht aus. Die Märkte sind ein lebendiger, anpassungsfähiger Organismus.
Sie tun das, was sie am Leben erhält. Vorstellbar ist ein Szenario deutlich steigender
Zinsen dann, wenn die Nachfrage nach Staatsanleihen nachlassen würde. Die
Verknappung des Angebots in den kommenden Jahren macht es schwer, sich ein solches
Szenario im Hinblick auf die kommenden Monate vorzustellen.
Der Kriegsfall ist - angesichts der aktuellen Ereignisse - nicht auszuschließen. Der
Spanische Erbfolgekrieg, der Wiener Kongress im Gefolge der napoleonischen Kriege
sowie der erste Weltkrieg bilden einen 100-Jahre-Kriegszyklus. Ein Krieg in dieser
Dekade würde dem Zyklus entsprechen. Ein größeres kriegerisches Ereignis dürfte – über
die Verknappung von Gebrauchsgütern – einen Anstieg der Inflation in Gang setzen.
Diese würde die Renditen steigen lassen. Der Mechanismus der Neuordnung würde
ausgelöst werden.
Möge uns ein solches Ereignis erspart bleiben. Es gilt der Spruch „Be careful what you
wish for“.
Robert Rethfeld
Herunterladen