SS 2014 Wahrscheinlichkeitstheorie Diese geteXten Lösungen stammen aus einer älteren W’Theorie Vorlesung. Der jetzige Übungsleiter bedankt sich beim damaligen Übungsleiter für die Zusammenarbeit. Lösung zu T2, Blatt 13 Es sei (Nt )t∈N0 ein superkritischer Verzweigungsprozess mit Start N0 = 1 und Nachkommenverteilung µ = L (N1 ). Weiter sei f (ρ) := E[ρN1 ], f : [0, 1] → [0, 1], die erzeugende Funktion von N1 und ρ∗ der kleinere der beiden Fixpunkte von f . Wir beweisen im Folgenden, dass P [Nt = 0 für ein t] = ρ∗ . (1) Schritt 1: Für t ∈ N0 definieren wir ft : [0, 1] → [0, 1] rekursiv durch f0 (ρ) := ρ und ft+1 (ρ) := f (ft (ρ)). Wir zeigen durch Induktion nach t, dass dann für alle t ∈ N0 ft (ρ) = E[ρNt ], ρ ∈ [0, 1], (2) gilt, d.h. ft ist die erzeugende Funktion von Nt . (Diese Aussage wurde bereits in der Vorlesung hergeleitet.) Für t = 0 ist die Behauptung trivial. Für den Induktionsschritt erinnern wir uns daran, dass wir den Verzweigungsprozess (Nt )t∈N0 rekursiv durch N0 := 1 und Nt+1 := Nt X Xt,i , t ≥ 0, i=1 konstruiert haben, wobei Xt,i , t ∈ N0 , i ∈ N, i.i.d. Zufallsvariablen mit Verteilung µ sind. Damit erhalten wir für t ≥ 0 und ρ ∈ [0, 1] i h P Nt E[ρNt+1 ] = E ρ i=1 Xt,i (*) ∞ X (**) n=0 ∞ X = = i h Pn E ρ i=1 Xt,i 1{Nt =n} f (ρ)n P [Nt = n] = E[f (ρ)Nt ] n=0 (***) = ft (f (ρ)) = ft+1 (ρ). Hierbei haben wir bei (*) den Satz von der monotonen Konvergenz verwendet, (**) folgt aus der Tatsache, dass Nt , Xt,1 , . . . , Xt,n unabhängig sind und dass Xt,1 , . . . , Xt,n die Verteilung µ haben, und (***) gilt nach Induktionsannahme. Schritt 2: Wir beweisen als Nächstes, dass ft (0) ≤ ρ∗ für alle t ∈ N0 und P [Nt = 0 für ein t] = lim ft (0) (3) t→∞ gilt. Die erste Aussage zeigen wir durch Induktion nach t: Für t = 0 gilt f0 (0) = 0 ≤ ρ∗ . Sei t ≥ 0 und gelte ft (0) ≤ ρ∗ . Da f monoton steigend ist, folgt ft+1 (0) = f (ft (0)) ≤ f (ρ∗ ) = ρ∗ . Für die zweite Aussage beobachten wir zunächst, dass wegen Gleichung (2) P [Nt = 0] = ft (0) für alle t ∈ N0 gilt. Damit erhalten wir "∞ # "T # [ [ P [Nt = 0 für ein t] = P {Nt = 0} = lim P {Nt = 0} t=1 T →∞ t=1 = lim P [NT = 0] = lim fT (0). T →∞ T →∞ Schritt 3: Wir können nun Gleichung (1) beweisen. Sei dazu q := P [Nt = 0 für ein t]. Wegen Gleichung (3) und der Stetigkeit von f gilt f (q) = f lim ft (0) = lim ft+1 (0) = q, t→∞ t→∞ d.h. q ist ein Fixpunkt von f . Nach Schritt 2 gilt außerdem q ≤ ρ∗ . Da f nur die beiden Fixpunkte ρ∗ und 1 hat und ρ∗ ≤ 1 gilt, folgt q = ρ∗ , was zu beweisen war. Lösung zu T3, Blatt 13 Wir beweisen vorab folgendes Lemma: Lemma 0.1. Sei (Nt )t∈N0 ein Verzweigungsprozess mit Start N0 = 1 und Nachkommenverteilung µ = L (N1 ). Sei weiter m := E[N1 ] < ∞ und Mt := m−t Nt , t ∈ N0 . Dann gilt: (i) (Mt )t∈N0 ist ein Martingal und für alle t ∈ N0 gilt E[Nt ] = mt . (4) (ii) Setzen wir außerdem v := V ar[N1 ] < ∞ voraus, so gilt für alle t ∈ N0 V ar[Nt ] = vmt−1 mt − 1 . m−1 (5) Zu (i): Wir verwenden die rekursive Definition des Verzweigungsprozesses vermöge N0 := 1 und Nt+1 := Nt X Xt,i , t ≥ 0, i=1 wobei Xt,i , t ∈ N0 , i ∈ N, i.i.d. Zufallsvariablen mit Verteilung µ sind. Für t ∈ N0 definieren wir ferner Ft := σ(Xs,i : s < t, i ∈ N). Dann gilt für alle t ∈ N0 (das nur als Wiederholung, denn wir haben es schon in einem früheren Blatt bewiesen) # " ∞ X E[Nt+1 |Ft ] = E Xt,i 1{Nt ≥i} Ft i=1 ∞ X (*) = E[Xt,i 1{Nt ≥i} |Ft ] i=1 = ∞ X i=1 E[Xt,i ] 1{Nt ≥i} | {z } =m = mNt , wobei wir bei (*) den Satz von der monotonen Konvergenz für bedingte Erwartungen verwendet haben. Diese Gleichung impliziert die Aussagen von Teil (i). Zu (ii): Gilt nun zusätzlich v := V ar[N1 ] < ∞, so liefert die Waldsche Identität für Varianzen (aus H1, Blatt 6) für t ≥ 0 V ar[Nt+1 ] = v E[Nt ] + m2 V ar[Nt ]. Gleichung (5) folgt daraus durch Induktion nach t: Der Induktionsanfang t = 0 ist trivial, und im Induktionsschritt erhalten wir für t ≥ 0 V ar[Nt+1 ] = v · mt + m2 · vmt−1 mt+1 − 1 mt − 1 = vmt . m−1 m−1 Kommen wir nun zur Aufgabe: Es sei (Nt )t∈N0 ein superkritischer Verzweigungsprozess mit Start N0 = 1 und Nachkommenverteilung µ = L (N1 ). Wir wollen zeigen, dass dann P -f.s. gilt: log Nt > 0. t n o Da die Ereignisse {Nt = 0 für ein t} und lim inf t→∞ logtNt > 0 disjunkt sind mit P [Nt = 0 für ein t] = ρ∗ , wobei ρ∗ wie in T2 definiert ist, genügt es zu zeigen, dass log Nt P lim inf > 0 = 1 − ρ∗ . (6) t→∞ t Nt = 0 für ein t oder lim inf t→∞ Wir beweisen dies in zwei Schritten. Schritt 1: Sei m := E[N1 ], v := V ar[N1 ] und gelte 1 < m < ∞, v < ∞. Wir zeigen, dass dann Gleichung (6) erfüllt ist. Für t ∈ N0 definieren wir Mt := m−t Nt . Gemäß Lemma 0.1 gilt für alle t ∈ N0 E[Mt ] = 1, V ar[Mt ] = m−2t · vmt−1 mt − 1 v ≤ , m−1 m−1 also supt∈N0 E[Mt ] < ∞, supt∈N0 V ar[Mt ] < ∞. Nach Vorlesung ist (Mt )t∈N0 somit gleichgradig integrierbar. Außerdem ist (Mt )t∈N0 gemäß Lemma 0.1 ein Martingal. Nach dem Konvergenzsatz für gleichgradig integrierbare Martingale folgt daher, dass Mt für t → ∞ P -f.s. gegen eine Zufallsvariable M∞ konvergiert, welche E[M∞ ] = E[M0 ] = 1 (7) erfüllt. Sei r := P [M∞ = 0]. Wir zeigen, dass r ein Fixpunkt der erzeugenden Funktion f von (i) N1 ist. Zu diesem Zweck betrachten wir folgende Konstruktion: Seien (Ñt )t∈N0 , i ∈ N, (i) unabhängige Verzweigungsprozesse mit Start Ñ0 = 1 und Nachkommenverteilung µ. Sei davon unabhängig Ñ1 eine Zufallsvariable mit Verteilung µ. Definieren wir Ñ0 := 1 und Ñt+1 := Ñ1 X (i) Ñt , t ≥ 0, (8) i=1 so sieht man leicht, dass (Ñt )t∈N0 wieder ein Verzweigungsprozess mit Start Ñ0 = 1 und Nachkommenverteilung µ ist. Anschaulich gesprochen bedeutet dies: Bedingen wir einen Verzweigungsprozess auf die Anzahl der Individuen in der ersten Generation, so bilden die Nachkommen dieser Individuen wieder unabhängige, identisch verteilte Verzweigungsprozes(i) (i) se. Für t ∈ N0 , i ∈ N seien M̃t := m−t Ñt , M̃t := m−t Ñt wie oben definiert; ebenso seien (i) M̃∞ , M̃∞ die Grenzwerte hiervon für t → ∞. Aus (8) schließen wir M̃∞ = erhalten wir ∞ X r = P [M̃∞ = 0] = (i) i=1 M̃∞ . PÑ1 Damit P [Ñ1 = n, M̃∞ = 0] n=0 = = ∞ X n=0 ∞ X (i) P [Ñ1 = n, M̃∞ = 0 für i = 1, . . . , n] P [N1 = n] P [M∞ = 0]n n=0 = f (r). Somit ist r in der Tat ein Fixpunkt von f , d.h. r = ρ∗ oder r = 1. Wegen Gleichung (7) muss jedoch r = ρ∗ gelten, also P [M∞ > 0] = 1 − ρ∗ . Wegen log Nt log Mt = + log m, t t t ∈ N, gilt auf dem Ereignis {M∞ > 0} zudem lim inf t→∞ log Nt = log m > 0, t was unsere Behauptung beweist. Schritt 2: Wir zeigen Gleichung (6) nun im allgemeinen Fall, wo wir nur m > 1 annehmen. Hierzu verwenden wir wieder die rekursive Definition des Verzweigungsprozesses vermöge N0 := 1 und Nt+1 := Nt X Xt,i , t ≥ 0, i=1 wobei Xt,i , t ∈ N0 , i ∈ N, i.i.d. Zufallsvariablen mit Verteilung µ sind. Für k ∈ N sei (k) (k) Xt,i := Xt,i ∧ k und entsprechend N0 := 1, (k) Nt (k) Nt+1 := X (k) Xt,i , t ≥ 0, i=1 (k) (k) sowie m(k) := E[N1 ], v (k) := V ar[N1 ]. Klarerweise gilt m(k) < ∞, v (k) < ∞ für alle k ∈ N. Mit dem Satz von der monotonen Konvergenz erhält man außerdem k→∞ m(k) −−−→ m; insbesondere existiert ein K0 ∈ N, so dass m(k) > 1 für alle k ≥ K0 . Im Folgenden nehmen (k) wir stets k ≥ K0 an. Es sei weiter f (k) die erzeugende Funktion von N1 und ρ∗(k) der kleinere der beiden Fixpunkte von f (k) ; ebenso sei f die erzeugende Funktion von N1 und ρ∗ der kleinere der beiden Fixpunkte von f . Dann gilt offensichtlich (k) Nt (k+1) ≤ Nt ≤ Nt , t ∈ N0 , (9) und somit wegen T2 1 > ρ∗(k) ≥ ρ∗(k+1) ≥ ρ∗ . Folglich existiert limk→∞ ρ∗(k) =: ρ∗∗ und es gilt 1 > ρ∗∗ ≥ ρ∗ . Wir beweisen nun, dass sogar ρ∗∗ = ρ∗ gilt. Wegen # " (k) k→∞ (k) N1 (k) N1 sup f (ρ) − f (ρ) ≤ E sup ρ − ρ ≤ P [N1 < N1 ] −−−→ 0 ρ∈[0,1] ρ∈[0,1] konvergiert f (k) für k → ∞ gleichmäßig gegen f . Da ferner f stetig ist, folgt ρ∗∗ = lim ρ∗(k) = lim f (k) (ρ∗(k) ) = f (ρ∗∗ ), k→∞ k→∞ d.h. ρ∗∗ ist ein Fixpunkt von f . Wegen ρ∗∗ < 1 muss dann ρ∗∗ = ρ∗ gelten. Kommen wir nun zum Beweis von Gleichung (6): Sei > 0 beliebig. Gemäß dem Gezeigten existiert ein k ≥ K0 , so dass ρ∗(k) ≤ ρ∗ + . Unter Verwendung von Gleichung (9) und Schritt 1 erhalten wir " # (k) log Nt log Nt > 0 ≥ P lim inf > 0 = 1 − ρ∗(k) ≥ 1 − ρ∗ − . P lim inf t→∞ t→∞ t t Da > 0 beliebig ist, folgt die Behauptung. Lösung zu H4, Blatt 13 Es sei (Nt )t∈N0 ein subkritischer Verzweigungsprozess mit Start N0 = 1 und Nachkommenverteilung µ = L (N1 ). Weiter sei T := inf{t ∈ N : Nt = 0} ∈ N ∪ {∞} die Aussterbezeit. Wir zeigen, dass dann E[T ] < ∞ gilt. Sei m := E[N1 ] < 1 die mittlere Anzahl der Nachkommen eines Individuums. Dann ist (m−t Nt )t∈N0 gemäß Lemma 0.1 ein Martingal, also ist nach dem Optional Stopping Theorem auch (m−(T ∧t) NT ∧t )t∈N0 ein Martingal. Ferner gilt für alle t ∈ N0 m−(T ∧t) NT ∧t ≥ m−t 1{T >t} . Folglich gilt für alle t ∈ N0 1 = E[N0 ] = E[m−(T ∧t) NT ∧t ] ≥ m−t P [T > t], also P [T > t] ≤ mt . Wegen m < 1 folgt E[T ] = ∞ X t=0 P [T > t] ≤ ∞ X t=0 mt < ∞.