Der Wert des Menschen - ReadingSample - Beck-Shop

Werbung
Der Wert des Menschen
An den Grenzen des Humanen
Bearbeitet von
Robert Spaemann, Norbert Hoerster, Eberhard Schockenhof, Franz M. Wuketits, Annemarie Pieper,
Johannes S Ach, Marie-Luise Raters, Reinhard Merkel, Rainer Münz, Dieter Thomä, Konstanze Fliedl,
Konrad Paul Liessmann
1. Auflage 2006. Buch. 304 S. Hardcover
ISBN 978 3 552 05374 8
Format (B x L): 12,6 x 20,6 cm
Gewicht: 340 g
schnell und portofrei erhältlich bei
Die Online-Fachbuchhandlung beck-shop.de ist spezialisiert auf Fachbücher, insbesondere Recht, Steuern und Wirtschaft.
Im Sortiment finden Sie alle Medien (Bücher, Zeitschriften, CDs, eBooks, etc.) aller Verlage. Ergänzt wird das Programm
durch Services wie Neuerscheinungsdienst oder Zusammenstellungen von Büchern zu Sonderpreisen. Der Shop führt mehr
als 8 Millionen Produkte.
Der Wert des Menschen
An den Grenzen des Humanen
Beiträge von Robert Spaemann, Dieter Thomä, Konstanze Fliedl,
Konrad Paul Liessmann, Norbert Hoerster, Eberhard Schockenhof,
Franz M. Wuketits, Annemarie Pieper, Johannes S Ach, Marie-Luise
Raters, Reinhard Merkel, Rainer Münz
Herausgegeben von Konrad Liessmann
ISBN-10: 3-552-05374-3
ISBN-13: 978-3-552-05374-8
Weitere Informationen oder Bestellungen unter
http://www.zsolnay.at/978-3-552-05374-8
sowie im Buchhandel
Der Wert des Menschen |
Um aber zu zeigen, was hier letzten Endes auf dem Spiel steht, gebe
ich ein Beispiel, das bewusst utopisch und extrem ist, aber eben
darum die Tendenz, von der ich spreche, deutlich werden lässt.
Stellen wir uns eine Welt vor, in der die Reproduktion der
Menschheit durch Apparaturen weitgehend sichergestellt ist. Sie ist
vor allein dadurch sichergestellt, dass die Mittel für die Reproduktion
der Menschheit extrem reduziert wurden und dass die Koordination
ihres Verhaltens kein Problem mehr darstellt. Menschen werden
nämlich in Retorten »gezeugt«, in einem künstlichen Uterus
entwickelt und wenn sie ein gewisses Reifestadium erreicht haben,
werden ihre Köpfe abgetrennt, in eine Nährlösung gelegt und die
Gehirne mit Drähten verbunden. Durch diese Drähte werden
bestimmte Impulse geleitet, die im Bewusstsein eine dauernde
Euphorie erzeugen. Subjektiv sind diese »res cogitantes« völlig
zufrieden. Sie vermissen auch keinen Respekt vor ihrer Würde, weil
sie ja deren Abwesenheit gar nicht wahrnehmen. Einige
Wissenschaftler halten dieses System aufrecht. Sie allein sind noch
»Menschen« im traditionellen Sinne, aber durch ihre Emanzipation
von dem umgreifenden »Tao« – wie Lewis es genannt hat – sind sie
es in Wirklichkeit auch nicht. Sie wissen, dass das, was sie
veranlasst, Euphorie statt Schmerz zu erzeugen, nur anerzogene
Vorurteile sind, und so erzeugen sie zu Forschungszwecken oder
auch zum Amüsement ebenso nach Belieben Schmerz oder
Verzweiflung. Und sie sind es auch, die über das jeweilige Ende des
Lebens eines Kopfes entscheiden. Diese Horrorutopie wird wohl für
immer Utopie bleiben. Der Widerstand gegen diese szientistische
Entwürdigung des Menschen ist sogar parallel zum Anwachsen der
Bedrohung bereits gewachsen. Die Verteidigung freier
Interaktionsstrukturen gegenüber wissenschaftlicher Kontrolle
organisiert sich. Aber es ist bisher mehr ein diffuses Gefühl, das hier
rebelliert und eine elementare Anarchie verteidigt, zum Beispiel im
Bereich des Datenschutzes. Weil man oft gar nicht genau weiß, was
man eigentlich gegen wen zu verteidigen hat, gewinnt diese
Verteidigung oft sogar irrationale Züge, so beim Widerstand gegen
eine Volkszählung. Dies wiederum führt dazu, dass der Widerstand
selbst wissenschaftlich vergegenständlicht und zum Problem der
Erzeugung von »Akzeptanz« umformuliert wird, was von neuem das
Ethos als umgreifendes Medium der Verständigung neutralisiert und
Leseprobe Seite 1
Der Wert des Menschen |
durch Sozialpsychologie ersetzt. Der Gedanke der Würde ist indessen
ein fundamental ethischer, der sich prinzipiell jeder
wissenschaftlichen Vergegenständlichung entzieht. Das heißt nicht,
dass er jeder theoretischen Reflexion entzogen bleiben müsste. Wäre
dies der Fall, so wäre der Würdegedanke seiner wissenschaftlichen
Vergegenständlichung ohnmächtig ausgeliefert und könnte sich ihr
gegenüber sozusagen nur in einer fanatischen Trotzhaltung
behaupten. Diese Trotzhaltung wäre ehrenwert, aber doch ein
Ausdruck der Ohnmacht und eines Begründungsdefizits: Seine
theoretische Begründung findet der Gedanke der Menschenwürde
und ihrer Unantastbarkeit allerdings nur in einer metaphysischen
Ontologie, das heißt in einer Philosophie des Absoluten. Darum
entzieht der Atheismus dem Gedanken der Menschenwürde definitiv
seine Begründung und so die Möglichkeit theoretischer
Selbstbehauptung in einer Zivilisation. Und nicht von ungefähr haben
sowohl Nietzsche wie Marx Würde als ein erst Herzustellendes und
nicht als ein zu Respektierendes bezeichnet. Die Präsenz des
Gedankens des Absoluten in einer Gesellschaft ist eine notwendige,
nicht jedoch eine hinreichende Bedingung dafür, dass die
Unbedingtheit der Würde auch jener Repräsentation des Absoluten
zuerkannt wird, die »Mensch« heißt. Hierzu bedarf es weiterer
Bedingungen, darunter der rechtlichen Kodifizierung. Eine
wissenschaftliche Zivilisation bedarf – ihrer immanenten
Selbstbedrohung wegen – dieser Kodifizierung mehr als jede andere.
Leseprobe Seite 2
Herunterladen