Interview mit Prof. Dr. Helmut Willke Professor für Global

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Interview mit Prof. Dr. Helmut Willke
Professor für Global Governance an der Zeppelin-University Friedrichshafen
Wer in den heutigen Zeiten bestehen will, muss lernen, die sich ständig verändernden
Umfeldbedingungen wahrzunehmen und richtig auf die daraus resultierenden
Herausforderungen zu reagieren. Auch der organisierte Sport will erfolgreich Ziele
erreichen. Prof. Dr. Helmut Willke, Professor für Global Governance an der ZeppelinUniversity Friedrichshafen, verrät, wie es über das Konzept der „lernenden Organisation“
dem DOSB gelingen kann, sich in komplexen Netzen zurechtzufinden und als
Organisation flächendeckend eine aktive und für die Gesellschaft bereichernde Rolle zu
spielen.
Welche praktischen Strategien können angewandt werden, um Organisationen zu
„lernenden Organisationen zu entwickeln bzw. die bestehenden Strukturen zu
verbessern?
Organisationen lernen, indem sie sich selbst in Frage stellen, und indem sie die Fragen
beantworten, welche die relevanten Umwelten („stakeholders“ bzw. Anspruchsgruppen) an
sie stellen. Sie lernen, indem sie ihre Strukturen darauf hin überprüfen, ob sie in optimaler
Weise geeignet sind, die gestellten Ziele der Organisation zu verwirklichen – oder ob es
dafür bessere, angemessenere Strukturen gibt: etwa flachere Hierarchien, eine stärkere
Dezentralisierung, der Aufbau neuer Netzwerke, etc. Sie lernen, indem sie ihre
Geschäftsprozesse kontinuierlich darauf hin überprüfen, ob Verbesserungen der Qualität,
der Effektivität und der Effizienz möglich sind („kaizen“, eine aus Japan stammende
Managementphilosophie mit dem Ziel der ständigen Verbesserung). Sie lernen, indem sie
in ihre Regelsysteme Regeln einbauen, die einen konstruktiven Umgang mit Fehlern
erlauben, die Lernhindernisse aus dem Weg räumen; sie lernen, indem sie Regeln
einbauen, die Phantasie und Innovativität der Mitarbeiter, der Teams und der
Kooperationspartner anregen und zur Wirkung bringen.
Wie lernen Organisationen?
Da es definitiv nicht möglich ist, in allen interessanten Themen zu lernen, ist eine
strategische Ausrichtung – und das heißt auch: Engführung – des Lernens nötig. Diese
strategische Ausrichtung des Lernens setzt wiederum klare strategische Ziele voraus,
denn es geht am Ende für den DOSB natürlich nicht um Lernen per se, sondern darum,
dass er seine Ziele erfolgreich erreicht. Lernen ist dazu eine Voraussetzung, und heute
eine zentrale und unverzichtbare Voraussetzung.
Kann das Konzept einer „lernenden Organisation“ auf den organisierten Sport übertragen
werden?
Das Konzept kann auf Sportverbände und Sportorganisationen übertragen werden. Denn
alle diese Organisationen müssen sich in einer dynamischen und komplexen Umwelt nicht
nur zu Recht finden, sondern sie wollen ja auch erfolgreich Ziele erreichen. Dies kann nur
gelingen, wenn sie die Herausforderungen und Bedingungen kennen, unter denen sie
operieren müssen. Hier verhindern überkommene Selbstbilder, Mythen und Traditionen
der Organisationen häufig, dass sie veränderte Umfeldbedingungen und die daraus
resultierenden neuen Herausforderungen angemessen wahrnehmen und intelligent darauf
reagieren.
Was ist konkret übertragbar und was nicht?
Übertragbar ist vor allem der Kerngedanke des Konzepts der „lernenden Organisation“,
nämlich der Gedanke, dass Verbände und Sportorganisationen eigenständige soziale
Systeme sind, die nicht einfach aus Menschen bestehen, sondern die mit ihren ganz
spezifischen eigenen Strukturen, Prozessen und Regelsystemen gegenüber den
Menschen eine eigene und eigendynamische Realität bilden. Dies bedeutet, dass eine
Organisation nicht schon dann intelligent ist, wenn ihre Mitglieder intelligent sind, sondern
erst dann, wenn sie selbst als Organisation, also vor allem in ihren Strukturen,
Geschäftsprozessen und Regeln intelligent geworden ist. Und es bedeutet, dass eine
Organisation als soziales System erst dann lernfähig ist, wenn sie Lernfähigkeit in ihre
Strukturen (Restrukturierung), in ihre Prozesse (Geschäftsprozessoptimierung) und in ihre
Regeln (proaktive Regeländerung) eingebaut hat.
Der organisierte Sport zeichnet sich durch eine sehr differenzierte Struktur aus. Vereine,
Verbände, Proficlubs und -ligen, Kreis-, Landes- und Bundesorganisationen sind Teile des
DOSB. Wo können gemeinsame Strategien ansetzen?
Im Schwerpunkt geht es um Strategien des DOSB für überzeugende und übergreifende
Leistungen an seine differenzierten Mitglieder und Teile. Als Spitzen- oder Dachverband
hat der DOSB nur eine Existenzberechtigung, wenn er Leistungen erbringt, welche die
einzelnen Mitglieder, Verbände etc. nicht selbst erbringen können. Als besonders wertvolle
und wichtige Leistungen des DOSB sehe ich vor allem die Entwicklung von Ideen und
Konzepten, die den Sport als integralen Bestandteil eines „gelungenen Lebens“ in einer
demokratischen Gesellschaft verstehen. Dazu gehört vor allem der Aufbau beispielhafter
Organisationsstrukturen mit weniger Hierarchie und mehr Partizipation, von beispielhaften
Lernprozessen sowohl für die Bildung von Personen wie für das Lernen von
Organisationen, und dazu gehört der Aufbau von Innovationskompetenz als generische
Kernkompetenz des DOSB.
Welche Arbeitsformen bieten sich an?
Dazu bieten sich „Lernereignisse“ und Kommunikationsforen an, in denen etwa Beispiele
von „best practice“ – auch im internationalen Rahmen – vorgestellt, diskutiert und
ausgewertet werden. Vor allem aber scheint es mir notwendig zu sein, im DOSB selbst ein
exemplarisches Wissensmanagement aufzubauen mit dem sich belegen lässt, dass der
DOSB selbst lernfähig ist, dass er effektiv und effizient Expertise entwickelt und zur
Verfügung stellt, und dass er keine Qualitäten von anderen Verbänden und Organisationen
fordert, die er nicht selbst leistet.
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Welche Grenzen bestehen bei der heterogenen Struktur des Verbandes?
Ich sehe vor allem Grenzen der Einheitlichkeit und Vereinheitlichung. Dies werte ich
allerdings eher positiv, weil eine komplexe Organisation in einer hochkomplexen Umwelt
nicht mehr auf Einheitlichkeit setzen sollte, sondern vielmehr gerade ihre Heterogenität als
Stärke und als „variety pool“, also als Quelle für Ideen und Phantasie nutzen sollte. Wenn
an irgend einer Stelle des Sportsystems (auch international) eine gute Idee, ein
exemplarisches Modell oder eine exzellente Initiative entsteht, dann sehe ich es als
Aufgabe des DOSB an, dies aufzugreifen, zu durchdenken und zu nutzen, auch wenn
dadurch die Vielfalt verstärkt wird. Was wir hier – wie in vielen anderen Bereichen –
beobachten, ist die Entstehung von Formen und Mustern „verteilter Intelligenz“, die
tatsächlich von hoher Heterogenität geprägt sind. Die Kunst von Führungskräften und
Dachverbänden besteht dann darin, diese verteilte Intelligenz zusammen zu führen, zu
moderieren und zu koordinieren, und gerade nicht darin, alles in einer einheitlichen
Lösung zusammen zu zwängen.
An welchen Stellen besteht für den organisierten Sport in Deutschland aus Ihrer Sicht
Lern- und Handlungsbedarf?
An allen Stellen! Es gibt überhaupt keine Ausnahmen. Lernen wird auch für
Organisationen zu einer Daueraktivität, der sie sich nicht entziehen können, wenn sie
exzellente Leistungen erbringen wollen. Sicher gibt es Felder und Stellen, an denen
Lernen dringlicher ist als an anderen. Diese Felder müssen durch eine sorgfältige
strategische Analyse heraus gearbeitet. Es sind zwei große, übergreifende
Herausforderungen, die sich dem organisierten Sport in Deutschland stellen: das ist zum
einen die Globalisierung und die teilweise Auflösung nationalstaatlicher Territorialität,
welche nationale Verbände und Bünde in ein komplexes Mehr-Ebenen-System einbinden,
das heute von der kommunalen bis zu globalen Ebene reicht. Dazu muss man sich ja nur
das Beispiel der EU vor Augen führen und die damit verbundenen
Kompetenzverlagerungen von nationaler auf europäische Ebene. Man darf nicht
übersehen, dass es Vielen schwer fällt, sich in diesen komplexen Netzen zurecht zu
finden, und daher haben die Dachverbände hier eine wichtige Orientierungsfunktion.
Die zweite große Herausforderung ist der gerade anlaufende Übergang von der
Industriegesellschaft zur Wissensgesellschaft, das heißt zu einer Gesellschaftsform, die in
allen ihren Teilbereichen fundamental von Wissen und Expertise abhängt. Das betrifft
natürlich auch den organisierten Sport, von Trainingsmethoden über Aktivierungsmodelle
bis zur Dopingproblematik. Es betrifft aber auch die Organisationen des Sports, weil sie
sich nun als Organisationen intelligent machen müssen, um in einer wissensintensiven
Welt nicht nur zu überleben, sondern aktiv ihre Rolle spielen zu können.
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Was ist zu tun?
Im Kern geht es um eine kontinuierliche, herausragende Personalentwicklung (PE) und
Organisationsentwicklung (OE). Die besondere Schwierigkeit sehe ich darin, für den Fall
einer differenzierten, komplexen Organisation PE und OE so auf einander abzustimmen,
dass sie sich nicht wechselseitig im Weg stehen oder, besser noch, dass sie sich
wechselseitig unterstützen. Das klingt zunächst banal, ist aber in der Praxis der
Organisationen, selbst von Unternehmen, keineswegs trivial. Eine Organisation oder ein
Verband muss schon ziemlich hoch entwickelt sein, um tatsächlich seine strategischen
Lernfelder so zu bestimmen, dass die spezifischen Kernkompetenzen des Systems
kontinuierlich und nachhaltig entwickelt werden.
Angesichts der hohen Bedeutung von Wissen und vor allem des Managements von
Wissen: Was würden Sie dem DOSB raten?
Zunächst geht es darum, ein Monitoring aufzubauen, das es dem DOSB erlaubt,
vorausschauend die wichtigsten gesellschaftlichen Dynamiken/Herausforderungen zu
erkennen. Dann müssen diese in einen organisierten Strategieprozess eingefüttert werden
mit der Leitfrage: Genügen mit Blick auf die definierten Herausforderungen – die übrigens
Risiken und Chancen beinhalten – unsere Kernkompetenzen oder müssen diese in eine
bestimmte Richtung fortentwickelt werden. Die erforderliche Entwicklung sollte durch ein
ausgereiftes System des organisationalen Wissensmanagements unterstützt und
gesteuert werden.
Im dritten, und vielleicht schwierigsten Schritt geht es darum, die tatsächlich erreichten
Wirkungen und Ziele zu messen (zu controllen) und sie mit einer geeigneten Instrument
der Geschäftssteuerung (etwa BSC oder EFQM) so sichtbar und plastisch zu machen,
dass die Wirkungsmessung wieder in den Monitoring- und Strategieprozess eingefüttert
werden kann und damit sich eine Schleife organisationalen Lernens schließt.
Lern- und Handlungsbedarf für den organisierten Sport: Ist das Thema nachrangig oder
unbedingt zu beachten als Zukunftsfaktor?
Ein überlebenswichtiges Thema kann nicht nachrangig sein. Es ist aber auch nicht einfach
ein Zukunftsfaktor. Vielmehr ist es ein Faktor, der die Zukunftsfähigkeit des DOSB erst
ermöglicht. Immer klarer werden Organisationen an ihrer zukünftigen Leistungsfähigkeit
gemessen und nicht an ihren Traditionen oder vergangenen Leistungen. Im Grund ist es
ziemlich einfach. Wenn der DOSB hier nicht selbst die Initiative ergreift und in Sachen
Wissensmanagement und Expertiseentwicklung vorbildlich wird, dann werden ihn die
großen Sportvereine und Sportorganisationen einfach überholen und links liegen lassen.
Führungs-Akademie des DOSB
im Oktober 2008
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