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Deutsche Medizintechnik braucht Kapitalspritzen
10.02.2016
Vernetzungsanforderungen bestimmen das Design / Von Siegfried Ellermann
Berlin (gtai) - In der deutschen, im Wesentlichen von kleinen und mittelgroßen Unternehmen dominierten Medi­
zintechnikbranche ändern sich die Wettbewerbsbedingungen. Die ehemals klaren Grenzen zu anderen Wirt­
schaftszweigen werden unschärfer und nebelhafter - unter anderem infolge der Möglichkeiten des Internets
der Dinge. A und O für eine Fortsetzung traditioneller Erfolge bleibt vor diesem Hintergrund die zufriedenstel­
lende Bewältigung von Forschungs- und Entwicklungsaufgaben (F&E).
In der deutschen Medizintechnikbranche benötigen kleine und mittelgroße Unternehmen (KMU) für Innovatio­
nen in erheblichem Umfang Wagniskapital, betonen Vertreter des Bundesverbands Medizintechnologie (BV­
Med). Gegenwärtig lasse sich noch der Großteil der F&E-Ausgaben von jährlich circa 2 Mrd. Euro über die Um­
sätze finanzieren. Generell sind in der Branche sehr kurze Produktzyklen üblich. Schätzungsweise ein Drittel ih­
rer Einnahmen erwirtschaften deutsche Medizintechnikhersteller mit Erzeugnissen, die nicht älter als drei Jahre
sind.
Dennoch empfiehlt das Johner-Institut den in Deutschland ansässigen Unternehmen, trotz der sich erhöhenden
Komplexität ihrer Waren und der zunehmenden öffentlichen Regulierung die Markteinführung innovativer Pro­
dukte zu beschleunigen. Denn bisherige Marktzutrittsbarrieren wie hohe Entwicklungs- und Herstellungskosten
für Sensorik, Aktoren und Fertigungsanlagen verlieren weiterhin an Wirkungskraft.
Softwarelösungen gewinnen an Bedeutung
Dass für mögliche Konkurrenten künftig die Hürden niedriger liegen, führen Institutsmitglieder unter anderem
darauf zurück, dass sich der Fokus bei der Produktentwicklung von der Hardware auf Algorithmen und damit
auf Softwarelösungen verschiebt. Die Wertschöpfung erfolgt immer mehr durch die Verarbeitung von Daten
und die Schaffung von Wissen. Die Digitalisierung macht auch in der Medizintechnik nicht halt. Spezialprogram­
me ersetzen Funktionalitäten klassischer Medizingeräte; der Service wird von der Selbstdiagnose der Geräte bis
zur Bestellung von Ersatzteilen immer stärker automatisiert.
Darüber hinaus werde die Hoffnung, dass die Kenntnis von Normen, Gesetzen und Zulassungsverfahren einen
dauerhaften Wettbewerbsvorteil sichert, allmählich eine vergebliche sein, fürchtet Christian Johner. Dennoch
zählte der Institutschef den immer umfangreicher werdenden Bestand an Vorschriften zu den aktuellen Trends
(zum Beispiel IEC 80001). Kompliziertere Zulassungsprozeduren in der Europäischen Union (CE-Kennzeichnung)
oder den USA gelten für alle medizinischen Geräte und verstärkt auch für Wellness-Tools, registrierten gleich­
falls die Autoren der "Medical Design Trend Review 2016".
Des Weiteren beobachteten die Verfasser des genannten Berichts unter anderem auf der Fachmesse Medica zu­
nehmend asiatische Produkte, die "keine reinen Kopien mehr sind, sondern einen farbenfroheren und freundli­
cheren Angang gefunden haben als ihre westlichen Pendants". Ihnen fiel ebenfalls auf, wie einzelne kulturelle
Einflüsse das Design von Medizintechnik prägen.
Auf den Wettbewerb wirkt sich in den Augen von Johner ferner der 3D-Druck aus; dieser ermögliche eine sehr
schnelle und billige Fertigung in kleinsten Stückzahlen. Während traditionelle Medizintechnikhersteller die Pro­
duktion großer Mengen bereits nach Asien verlagert haben, zeichnet sich gegenwärtig die Gefahr ab, dass selbst
die Produktion in überschaubaren Losen (auch für die Entwicklung) "verloren geht".
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DEUTSCHE MEDIZINTECHNIK BRAUCHT KAPITALSPRITZEN
Forschungsschwerpunkte bei Orthopädie und Kardiologie
Vor diesem Hintergrund spielt der Innovations- und Forschungsstandort Deutschland für die MedizintechnikUnternehmen eine besonders wichtige Rolle. Zu den am meisten forcierten Forschungsgebieten der Branche
zählen BVMed-Experten die Orthopädie (zum Beispiel Wirbelsäulenchirurgie und Biomaterialien), die Kardiolo­
gie (darunter Beschichtungsverfahren von Medizinprodukten) sowie die Innere Medizin (Endoskopie und Diabe­
tes).
Ferner müssen sich Anbieter von medizintechnischen Produkten darauf einstellen, dass Operationsverfahren
künftig immer schonender und die Eingriffe minimalinvasiver werden, so der BVMed weiter. Medizintechnik
und Informationstechnologien wachsen zusammen. Nano- und Biotechnologien kommen verstärkt zur Anwen­
dung.
An Bedeutung gewinnen interventionelle Medizintechnologien (Endoskopie und Laparoskopie), Neuroenginee­
ring (inklusive intelligente Prothesen), die Zell- und Gewebetechnik (Blutgefäßkonstrukte, mitwachsende Herz­
klappen; Unterstützung oder Ersatz von Organen), bildgebende Verfahren (darunter Magnetic Particle, Multi­
wave, Impedance und molekulares Imaging oder Phasenkontraströntgenverfahren) sowie die Telemedizin. Letz­
teres beinhaltet auch die Überwachung und Behandlung von Patienten zuhause (zum Beispiel Telemonitoring)
sowie die Nutzung mobiler Anwendungen.
"Usability" - ein entscheidendes Entwicklungskriterium
Die "Medical Design Trend Review 2016" wiederum verweist auf eine Tendenz zu einem Design, das Anwender
in ihren Lebens- und Arbeitsumgebungen effektiver unterstützt ("Empowerment"). Homecaregeräte und dabei
insbesondere sogenannte Wearables sollen perfekt mit den "smarten" Geräten der Patienten zusammenwirken
("interoperability").
Verkaufsfördernd wirken sich infolgedessen Benutzerfreundlichkeit und die Verwendung von Touchscreens aus.
"Usability"-Gesichtspunkte werden in Zukunft den Unterschied ausmachen zwischen einem plumpen und einem
raffinierten Produkt. Für viele Unternehmen ist das schon jetzt eine alles entscheidende Herausforderung bei
ihren F&E-Aktivitäten.
Viele Medizingeräte machen heute Anleihen aus der Welt der Consumer-Produkte, hebt auch Johner hervor. Das
medizinische Personal erwarte nahtlose Übergänge zwischen der privaten Unterhaltungselektronik zu Hause
und den am Arbeitsplatz benutzten Werkzeugen und Systemen. Schließlich liege eine zunehmende Konvergenz
von Medizintechnik und dem Fitness- und Wellnessbereich im Bereich des Wahrscheinlichen.
Verbrauchermesse in Las Vegas entdeckt Gesundheitswesen
Die Verschmelzung bisher unterschiedlicher Märkte und Anwendungen im Zusammenspiel mit Fortschritten bei
den Vernetzungs- und Big-Data-Technologien war Anfang 2016 auch auf der international einflussreichen Messe
für Unterhaltungselektronik in Las Vegas (US-Staat Nevada) ein Thema. Im Blickpunkt standen Aspekte der per­
sonen- und patientenorientierten Gesundheitsfürsorge sowie vielversprechende medizintechnische Anwendun­
gen des Internets der Dinge. In zahlreichen Ausstellungshallen ließen sich neuartige Fitness Tracker bestaunen.
Zu sehen waren aber auch erste Ansätze, herkömmliche "Unitasker"-Geräte mit vernetzbaren und interopera­
blen Eigenschaften auszustatten, berichteten Vertreter der Boston Consulting Group.
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DEUTSCHE MEDIZINTECHNIK BRAUCHT KAPITALSPRITZEN
Angaben des Bundesverbands Deutscher Kapitalbeteiligungsgesellschaften zufolge (BVK) beliefen sich die neu­
en Beteiligungen von Wagniskapitalgebern (seed, start up, later stage venture capital) im Bereich der sogenann­
ten Life Sciences während des 1. Halbjahrs 2015 auf 86,6 Mio. Euro (Vergleichszeitraum 2014: 82,3 Mio.), womit
sich insgesamt 85 Unternehmen (103) finanzieren ließen. Für Wachstumszwecke, Turnarounds, Ersatzkapital
oder Buy-outs verwendeten Beteiligungsgesellschaften 926,5 Mio. Euro (138,1 Mio.) und unterstützten damit
sieben Firmen (zehn).
Wie das Europäische Patentamt in München berichtete, wurden 2014 insgesamt 708 aus der deutschen Medizin­
technologiebranche stammende Patente erteilt (2013: 665; 2012: 621). Beantragt wurde der Patentschutz für
1.381 Innovationen (2013: 1.474; 2012: 1.432). BVMed-Quellen zufolge beschäftigt die deutsche Medizintechnikin­
dustrie in 1.200 Betrieben rund 125.000 Personen (mit jeweils mehr als 20 Mitarbeitern). Hinzu kommen weitere
11.300 Klein- und Handelsunternehmen mit circa 70.000 Arbeitsplätzen. In etwa15% der Beschäftigten sind im
F&E-Bereich tätig.
(S.E.)
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Günter Maier
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