Dr. Michael Gieding ph-heidelberg.de/wp/gieding Einführung in die Geometrie Skript zur gleichnamigen Vorlesung im Wintersemester 2006/2007 Kapitel 0: Mengen, Relationen, Funktionen Vo r l e s u n g e n 4 u n d 5 : Abbildungen und Funktionen 2 3 Kapitel 0: Mengen, Relationen, Funktionen Vorlesungen 4 und 5: Abbildungen und Funktionen 4.1 Abbildungen 4 Abbildungen und Funktionen 4.1 Abbildungen 4.1.1 Der umgangssprachliche Gebrauch Umgangssprachlich ist es üblich, Zeichnungen, Fotografien, Diagramme etc. allgemein als Abbildungen zu bezeichnen. Demgegenüber ist der Begriff der Abbildung in der Mathematik anderweitig belegt. Ohne an dieser Stelle den Begriff schon sauber definieren zu wollen, können wir Abbildungen im Sinne der Mathematik eher als „Verfahren“ oder auch „Vorschriften“ verstehen, wobei gewisse mathematische Objekte einander zugeordnet werden. Eng verbunden mit dem Begriff der Abbildung ist der Begriff des Bildes. Weit verbreitet ist die Redewendung, sich von etwas ein Bild zu machen. Mitunter sind die gemachten Bilder auch untauglich, man hat etwas zu viel hinein oder überhaupt falsch projiziert. Zu den „Vorschriften“ bzw. „Verfahren“ zur Generierung von Bildern geometrischer Objekte gehören die Projektionen. Im Mathematikunterricht der Schulen BadenWürttembergs wird den Projektionen nur ein äußerst geringer Stellenwert beigemessen.1 Gerade deshalb erscheinen dem Lehrenden die Projektionen als Gegenstand hinsichtlich der Erläuterung des mathematischen Abbildungsbegriffs besonders geeignet: Der Studierende ist in seinem Denken wohl weniger kanalisiert, als er es bei den bekannten Abbildungen Spiegelung, Drehung etc. mit gewisser Wahrscheinlichkeit ist. Ihr Wissen über die Projektionen verdankt die Menschheit insbesondere bildenden Künstlern der Renaissance. Wir wollen unsere Expedition in das Reich der Projektionen mit einer Reise in diese Zeitepoche der menschlichen Geschichte beginnen. 4.1.2 Renaissance und Malerei Unter der Renaissance versteht man die Geschichtsepoche vom Mittelalter bis zur Neuzeit. Verbunden mit der Renaissance war ein historischer Prozess von gesellschaftlichen Umbrüchen, die Friedrich Engels als „... die größte progressive Umwälzung, die die Menschheit bis dahin erlebt hatte ...“ bezeichnete. Weiter bei Engels: „... eine Zeit, die Riesen brauchte und Riesen zeugte, Riesen an Denkkraft, Leidenschaft und Charakter, an Vielseitigkeit und Gelehrsamkeit.“ (Marx/Engels, Gesammelte Werke, Band 20, S. 312) Hinsichtlich unseres hier zu untersuchenden Schwerpunktes seien stellvertretend die Namen Filippo Brunelleschi, Leonardo da Vinci und Albrecht Dürer genannt. 1 Ohne dass der Begriff explizit gebraucht wird, tauchen sie z.B. bei der Generierung von Schrägbildern auf. Letztlich handelt es sich bei den Schrägbildern um die Bilder von geometrischen Objekten bei schrägen Parallelprojektionen. 2 Einführung in die Geometrie, Skript zur gleichnamigen Vorlesung im Wintersemester 2006/2007 ph-heidelberg.de/wp/gieding/lehre/geometrieeinfuehrung/ Kapitel 0: Mengen, Relationen, Funktionen Vorlesungen 4 und 5: Abbildungen und Funktionen 4.1 Abbildungen Abbildung 1: Filippo Brunelleschi (* 1377 in Florenz; † 15. April 1446 in Florenz) Abbildung 2: Leonardo da Vinci (* 15. April 1452 in Anchiano bei Vinci; † 2. Mai 1519 auf Schloss Clos Lucé, Amboise) Abbildung 3: Albrecht Dürer (* 21. Mai 1471 in Nürnberg; † 6. April 1528 in Nürnberg) Löffler beschreibt in seinem Essay „Über die Auswirkungen der Entdeckung der Zentralprojektion“ die Kunst der Malerei im Mittelalter wie folgt: „Abbildende Kunst wurde im Mittelalter zumeist nur zur Illustration wichtiger Ereignisse wie Krönungen oder Vertragsabschlüssen und selbstverständlich Bibelstellen verwendet. Dabei wurden auf das flache Papier flache, zweidimensionale Figuren gezeichnet, eine naturgetreue Abbildung war nicht nötig, denn die Intention beschränkte sich auf ein Festhalten einer bestimmten Konstellation, die innerhalb der Lebenswelt eine Relevanz hatte. Man muss sich das Weltbild des Mittelalters vor Augen führen: Die Erde ist eine Scheibe, Gott waltet über ihr im Himmel. Gott schaut also von oben hinab und sieht einzelne Ereignispunkte auf der Scheibe, z.B. Menschen oder Vulkane. Er bestimmt die Dinge und deren Ablauf in einer Weisheit, die für den Menschen selbst nicht fassbar ist. Ein Geschehen kommt über den Menschen, unerklärlich, nicht nachvollziehbar. Darum ist es dem klösterlichen Maler des Mittelalters auch nicht möglich, etwas anderes als ein schlichtes Flachbild zu zeigen, es geht ihm nur um das Zusammentreffen der mit symbolischen Piktogrammen bezeichneten Ereignisträger, denn diese wiederum sind auch nur symbolische Träger des Erdenschicksal bestimmenden Willen Gottes. Proportionalität ergibt sich nur aufgrund unterschiedlich herausragender Trägerfunktionen, also der Machtverteilung: Kaiser und Papst und deren Insignien werden gegenüber deren Bediensteten oder Residenzpalästen übergroß gezeichnet, selbst Gesichter sind kaum voneinander zu unterscheiden.“ (Löffler, Davor: Über die Auswirkungen der Entdeckung der Zentralprojektion, http://userpage.fuberlin.de/~miles/zp.htm) 3 Einführung in die Geometrie, Skript zur gleichnamigen Vorlesung im Wintersemester 2006/2007 ph-heidelberg.de/wp/gieding/lehre/geometrieeinfuehrung/ Kapitel 0: Mengen, Relationen, Funktionen Vorlesungen 4 und 5: Abbildungen und Funktionen 4.1 Abbildungen Abbildung 4: Beispiel mittelalterliche Malerei Die folgende Epoche der Renaissance war eng mit einem neuen Menschenbild und dem so genannten Renaissance-Humanismus verbunden. Man orientierte sich wieder an der Antike und den großen Philosophen dieser Zeit. Der römische Philosoph Seneca Lucilius (1. Jahrhundert n. Chr.) legte in seinem Brief 95 die folgenden Worte als Sollzustand für die menschliche Gesellschaft nieder: homo homini sacra res.2 Diese Worte können in gewisser Weise als Leitidee der Renaissance angesehen werden. Das neue Menschenbild der Renaissance schlug sich auch in der bildenden Kunst nieder. Man versuchte den Menschen in seiner Welt darzustellen, als Menschen unter seinesgleichen. Hierzu bedurfte es neuer Maltechniken. Das perspektivische Malen setzte sich durch. Bereits in der Antike gab es Kenntnisse zur Perspektive, sie wurden allerdings im Mittelalter nicht weiter verfolgt. Einer der ersten, die die Gesetze der perspektivischen Darstellung (wieder) erforschten war der Baumeister, Maler und Architekt Filippo Brunelleschi. „Dazu nahm er einen Spiegel und zeichnete auf dem Spiegel die Linien und Flächen des Abbildes des Florentinischen Domes nach. [Laurenza, D.: Leonardo da Vinci - Künstler, Forscher, Ingenieur, In: Spektrum der Wissenschaft - Biographie, 1/2000, S.18] Brunelleschi analysierte die Zeichnungen und verglich sie mit seinen zentralperspektivischen Versuchsskizzen, womit er sich schließlich der beiden Axiome der zentralperspektivischen Malerei versicherte: einem Fluchtpunkt hinter dem Horizont, auf den alles zulaufen zu scheint, und die Proportionsregeln der Größe für sich entfernende Gegenstände, die mit der Euklidischen Geometrie zu fassen sind. Damit bestimmte Brunelleschi die Regeln der das echte Sehen simulierenden Perspektive.“( Löffler, Davor: Über die Auswirkungen der Entdeckung der Zentralprojektion, http://userpage.fu-berlin.de/~miles/zp.htm)“ Der große deutsche Maler, Grafiker, Mathematiker und Kunsttheoretiker Albrecht Dürer3 veröffentlichte 1525 sein Buch Underweysung der messung mit dem zirckel un richtscheyt. Dieses Buch stellt die erste Zusammenfassung der mathematisch geometrischen Verfahren der Zentralprojektion dar und bildet damit auch die Grundlage der Darstellenden Geometrie. Die folgenden Abbildungen stammen aus dem genannten Buch von Albrecht Dürer: 2 Der Mensch ist dem Menschen eine heilige Sache. 3 In der heutigen Zeit, da dem Gutmenschenpädagogen aus der Weststadt Fingerfarbe als die materialisierte Kreativität gilt, liest der Autor die Aufzählung Maler, Grafiker, Mathematiker besonders gern. 4 Einführung in die Geometrie, Skript zur gleichnamigen Vorlesung im Wintersemester 2006/2007 ph-heidelberg.de/wp/gieding/lehre/geometrieeinfuehrung/ Kapitel 0: Mengen, Relationen, Funktionen Vorlesungen 4 und 5: Abbildungen und Funktionen 4.1 Abbildungen Abbildung 5: Abbildungen aus dem Buch „Underweysung der messung mit dem zirckel un richtscheyt“ von Albrecht Dürer Mit einem der bekanntesten Werke von Albrecht Dürer beenden wir unseren geschichtlichen Exkurs, um selbst die Gesetze der Zentralprojektion zu untersuchen. Abbildung 6: Albrecht Dürer, Bildnis der Mutter, Kohlezeichnung, 421x218, Berlin, Kupferstichkabinett, 1514, Das Bild gilt als Spitzenwerk der Porträtkunst, das zu den ergreifendsten künstlerischen Äußerungen zählt. 5 Einführung in die Geometrie, Skript zur gleichnamigen Vorlesung im Wintersemester 2006/2007 ph-heidelberg.de/wp/gieding/lehre/geometrieeinfuehrung/ Kapitel 0: Mengen, Relationen, Funktionen Vorlesungen 4 und 5: Abbildungen und Funktionen 4.1 Abbildungen 4.1.3 Die Camera obscura Experimente mittels einer Camera obscura dienten u.a. der Untersuchung von Gesetzmäßigkeiten perspektivischer Darstellungen. Eine Camera obscura ist nichts anderes als eine dunkle Kammer (lat. Camera - Kammer; obscura – dunkel) in die durch ein kleines Loch Licht einfallen kann. Sie wird auch Lochkamera genannt. Die Lochkamera ist hervorragend für ein kleines fächerübergreifendes Projekt (Physik, Mathematik, Kunst und Geschichte) Abbildung 7: Prinzip der Lochkamera geeignet. 4 Eine Lochkamera funktioniert nach dem folgenden Prinzip: Durch ein Loch (Blende) treten die Strahlen, die vom abzubildenden Objekt ausgesandt werden, in die Kamera ein und treffen dann in der Kamera auf die Projektionsfläche. Dort bilden sie das Objekt seitenverkehrt auf dem Kopf stehend ab (Abbildung 7). 4.1.4 Abstraktion von der Lochkamera, die Idee der Zentralprojektion Eine Abstraktion von diversen physikalischen Gegebenheiten der Lochkamera führt zur mathematischen Idee der Zentralprojektion. Die Blende der Kamera ist nur noch ein Punkt, der so genannte Zentralpunkt Z. Wir heben die Begrenzungen der Projektionsfläche der Kamera auf, indem wir sie durch eine Ebene ersetzen, welche Bildebene genannt werden soll. Jeder Punkt P des Raumes wird durch die durch P und Z eindeutig bestimmte Gerade p abgebildet. Das Bild P’ von P ist der Schnittpunkt von p mit der Bildebene. Bildebene bzw. Projektionsebene A' B C Z A C' Zentralpunkt B' Abbildung 8: Zentralprojektion 4 Eine Bauanleitung für eine Lochkamera findet man u.a. unter http://leifi.physik.uni-muenchen.de/web_ph08/heimversuche/01_bau_lochkamera/lochkamera.htm. Eine etwas aufwendigere Variante wird unter http://www.gamb.de/photo/loch-k.htm vorgestellt. Schöne Seite zu Lochkameras: http://www.die-lochkamera.de/ 6 Einführung in die Geometrie, Skript zur gleichnamigen Vorlesung im Wintersemester 2006/2007 ph-heidelberg.de/wp/gieding/lehre/geometrieeinfuehrung/ Kapitel 0: Mengen, Relationen, Funktionen Vorlesungen 4 und 5: Abbildungen und Funktionen 4.1 Abbildungen 4.1.5 Zentralprojektionen als spezielle Relationen Definition: (Zentralprojektion) Es sei Z ein Punkt des Raumes P, sei eine Ebene in diesem Raum, die Z nicht enthält. Die Menge der Punkte des Raumes ohne den Punkt Z und die Ebene, die durch Z geht und parallel zu ist, sei mit P* bezeichnet. Auf P*xwird die folgende Relation Zp definiert: P, P ' P * : P, P' Zp : ZP P ' . Die Relation Zp heißt Zentralprojektion mit dem Zentralpunkt Z und der Bildebene . Jede Gerade PZ ist eine Projektionsgerade bei der Zentralprojektion Zp. Das geordnete Paar von Punkten (P, P’) möge zur Relation Zp gehören. P’ wird als der Bildpunkt oder das Bild von P bei der Zentralprojektion Zp bezeichnet. P ist ein Urbildpunkt oder ein Urbild von P’ bei der Zentralprojektion Zp. Anstelle (P, P’) gehört zur Relation Zp sagt man auch P wird bei Zp auf P’ abgebildet. Jeder Punkt F von P* , der auf sich selbst abgebildet wird, ist ein Fixpunkt von Zp. Bemerkungen zu den Zentralprojektionen Zp mit dem Zentralpunkt Z und der Bildebene : Bemerkung 1: (zum Gebrauch von bestimmten und unbestimmten Artikeln) Da der Zentralpunkt Z außerhalb liegt, hat jede Projektionsgerade PZ genau einen gemeinsamen Punkt P’ mit der Bildebene . Der bestimmte Artikel in der Sprechweise „P’ ist das Bild von P“ bei der Zentralprojektion Zp ist damit gerechtfertigt. Jeder Bildpunkt hat mehrere Urbilder. Die Sprechweise „P ist das Urbild von P’ bei Zp“ ist damit nicht gerechtfertigt. Bemerkung 2: (Zentralprojektionen als spezielle Relationen) Jeder Punkt P der Grundmenge P* der Relation Zp hat einen Bildpunkt bei Zp, d.h. zu jedem solchen P gibt es ein geordnetes Paar (P, P’), das zur Relation Zp gehört. Relationen, bei denen jedes Element der Grundmenge an der ersten Stelle in wenigstens einem geordneten Paar der Relation auftaucht, heißen linkstotal. In Bemerkung 1 wurde schon erläutert, dass jeder Punkt P der Grundmenge P* genau einen Bildpunkt bei Zp besitzt. Damit tritt jeder Punkt P aus P* in genau einem geordneten Paar der Relation Zp an der ersten Stelle auf. Diese Eigenschaft der Relation Zp berechtigt uns, die Relation Zp als rechtseindeutig zu bezeichnen. Relationen, die linkstotal und rechtseindeutig sind, werden wir in Zukunft als Abbildungen bezeichnen. 4.1.6 Invarianten von Zentralprojektionen Praktisch dienen Zentralprojektionen dazu, zweidimensionale Bilder von dreidimensionalen Objekten zu generieren. Der diesbezügliche Einsatz von Spiegeln, Glasscheiben, Lochkameras etc. ist nicht immer möglich bzw. effizient. Bestimmte Gesetzmäßigkeiten, die den Zentralprojektionen eigen sind, helfen Bilder von dreidimensionalen Objekten zu generieren, ohne dabei auf die genannten Hilfsmittel zurückzugreifen. 7 Einführung in die Geometrie, Skript zur gleichnamigen Vorlesung im Wintersemester 2006/2007 ph-heidelberg.de/wp/gieding/lehre/geometrieeinfuehrung/ Kapitel 0: Mengen, Relationen, Funktionen Vorlesungen 4 und 5: Abbildungen und Funktionen 4.1 Abbildungen Es wurde bereits erwähnt, dass Relationen, die wie die Zentralprojektion linkstotal und rechtseindeutig sind, auch Abbildungen genannt werden. Bei Abbildungen ist insbesondere interessant, ob und wie sich diverse Eigenschaften des Originals auf das Bild übertragen. Hat das Bild bei einer bestimmten Abbildung f eine Eigenschaft, die schon dem Original eigen war, so nennt man diese Eigenschaft auch eine Invariante der Abbildung f. Kollinearität (Bilder von Geraden) Zwei Punkte A und B des Raumes P bestimmen immer eindeutig eine Gerade g aus der Menge aller Geraden G. Für einen dritten Punkt C ist es demgegenüber schon eine besondere Eigenschaft auch zu dieser Geraden g zu gehören. Wenn mit A und B C auch zu g gehört spricht man davon, dass die Punkte A, B und C kollinear sind (in Zeichen koll(A,B,C)). Definition: (kollinear) A, B, C P : koll ( A, B, C ) : g G : A, B, C g Unmittelbar einsichtig ist, dass drei kollineare Punkte bei einer Zentralprojektion Zp auf drei kollineare Punkte abgebildet werden. Die Kollinearität ist eine Invariante der Abbildung Zentralprojektion. Satz: (Kollinearität als Invariante der Zentralprojektion) Wenn drei Punkte des Raumes P kollinear sind, so sind es auch ihre Bilder bei einer Zentralprojektion. Aus diesem Satz kann man folgern, dass bei einer Zentralprojektion das Bild einer jeden Geraden wiederum eine Gerade sein muss. Bezüglich der Formulierung eines entsprechenden Satzes muss man jedoch beachten, dass bei bestimmten Lagen im Raum, eine Gerade auch auf einen Punkt abgebildet werden kann. Satz: (Geradeninvarianz bei Zentralprojektionen) Es sei Zp eine Zentralprojektion mit dem Zentralpunkt Z und der Bildebene . Jede Gerade g, die nicht durch Z geht, wird bei Zp auf eine Gerade abgebildet. Zwischenrelation: (Bilder von Strecken) In Vorlesung 3 wurde bereits die Zwischenrelation dreier Punkte aus P angesprochen. Insbesondere war es uns möglich, mittels der Zwischenrelation zu definieren, dass eine Strecke aus ihren Endpunkten und allen Punkten besteht, die zwischen den Endpunkten liegen. Satz: (Invarianz der Zwischenrelation) Es seien A, B und C drei Punkte mit Zw(A,B,C). Ferner sei Zp eine Zentralprojektion mit dem Zentralpunkt Z. A’, B’ und C’ seien die Bilder von A,B und C bei Zp. Wenn Z nicht auf der Geraden AB liegt, so gilt auch für A’, B’ und C’ Zw(A’,B’,C’). Aus diesem Satz können wir schlussfolgern, dass bei einer Zentralprojektion das Bild einer Strecke in der Regel eine Strecke ist. Dem Nichtmathematiker mag es etwas abstrus vorkommen, solche Trivialitäten wie eine Gerade wird auf eine Gerade abgebildet zu formulieren. Dem sei entgegengehalten, dass es schon bei Kreisen mit der Invarianz bezüglich der Zentralprojektion nicht mehr funktioniert. Ein Kreis wird in der Regel auf eine Ellipse abgebildet. Mittelpunkt einer Strecke: Die Streckenlänge ist keine Invariante der Zentralprojektion, d.h. nur in dem Ausnahmefall, dass die abzubildende Strecke Teilmenge der Bildebene ist, wird eine Strecke durch eine Zentralprojektion auf eine gleich lange Strecke abgebildet. In diesem Spezialfall wird 8 Einführung in die Geometrie, Skript zur gleichnamigen Vorlesung im Wintersemester 2006/2007 ph-heidelberg.de/wp/gieding/lehre/geometrieeinfuehrung/ Kapitel 0: Mengen, Relationen, Funktionen Vorlesungen 4 und 5: Abbildungen und Funktionen 4.1 Abbildungen selbstverständlich auch der Mittelpunkt der Strecke auf sich selbst abgebildet. Es stellt sich die Frage ob die Eigenschaft eines Punktes Mittelpunkt der abzubildenden Strecke zu sein, invariant gegenüber einer Zentralprojektion ist. Leider ist dem auch nur in Spezialfällen so: Satz: (Abbildung von Streckenmittelpunkten bei Zentralprojektionen) Es sei Zp eine Zentralprojektion mit dem Zentralpunkt Z und der Bildebene . Ferner sei M der Mittelpunkt einer Strecke AB . Der Bildpunkt M’ von M bei Zp ist genau dann der Mittelpunkt der Bildstrecke A' B ' , wenn AB parallel zur Bildebene ist. Beweis: Wegen der Formulierung „genau dann, wenn“ in der Satzaussage sind, zwei Beweise zu führen: 1. Es ist zu zeigen, dass unter der Voraussetzung der Parallelität von AB zur Bildebene b der Punkt M auf den Mittelpunkt der Bildstrecke A' B' abgebildet wird. 2. Es ist folgendes zu zeigen: Wenn der Mittelpunkt einer Strecke AB auf den Mittelpunkt des Bildes dieser Strecke abgebildet wird, so AB parallel zur Bildebene. Wir beweisen zunächst 1. Voraussetzung: AB || Behauptung: Der Bildpunkt M’ des Mittelpunktes M der Strecke AB ist der Mittelpunkt der Bildstrecke A' B' . Wegen der Abbildungsvorschrift der Zentralprojektion und der Invarianz von Kollinearitäten kann die Beweisführung in der Ebene erfolgen, die durch die Punkte Z, A und B eindeutig bestimmt ist (Abbildung 9). A' A Z B Die Behauptung ergibt sich jetzt unmittelbar aus dem dritten Strahlensatz. M' M B' Abbildung 9 Beweis von 2. Voraussetzung: 9 Einführung in die Geometrie, Skript zur gleichnamigen Vorlesung im Wintersemester 2006/2007 ph-heidelberg.de/wp/gieding/lehre/geometrieeinfuehrung/ Kapitel 0: Mengen, Relationen, Funktionen Vorlesungen 4 und 5: Abbildungen und Funktionen 4.1 Abbildungen M, der Mittelpunkt von AB , wird bei Zp auf den Mittelpunkt der Bildstrecke A' B' abgebildet. Behauptung: AB || Wir haben die Behauptung gezeigt, wenn die Parallelität von AB zur Bildstrecke A' B' nachgewiesen ist. Diese ergibt sich unmittelbar aus der Umkehrung des dritten Strahlensatzes. 4.1.7 Weitere Eigenschaften der Zentralprojektion Bisher hat uns die Untersuchung von Eigenschaften der Zentralprojektion etwa bezüglich der Generierung eines zentralperspektivischen Bildes eines Würfels noch nicht recht weiter geholfen. Dem soll jetzt Abhilfe getan werden. Die Zentralprojektion ist dem menschlichen Sehvorgang nachempfunden. Räumliche Eindrücke entstehen für uns insbesondere dadurch, dass von zwei gleich langen Strecken, diejenige als kürzer empfunden wird, die weiter von unserem Auge entfernt ist. Bestimmte zueinander parallele Geraden scheinen sich damit in der Ferne zu schneiden. Dieser Umstand bildet etwa die Pointe des Witzes über zwei depperte Diebe, die wahlweise als Ostfriesen oder Tünnes und Schäl daherkommen und meinen, sie könnten mit dem Diebesgut nicht flüchten, weil die Fluchtstraße weiter hinten zu eng wäre. Es wäre also interessant zu untersuchen, wie es sich mit der Parallelität von Geraden bei Zentralprojektionen verhält. Offenbar handelt es sich bei der Geradenparallelität nicht um eine Invariante der Zentralprojektion. Letzteres bedeutet nicht, dass zwei zueinander parallele Geraden generell auf einander schneidende Geraden abgebildet werden. Für zwei parallele Geraden, die auch parallel zur Bildebene liegen, bleibt die Parallelität in ihren Bildern erhalten. Rein anschaulich überzeugt man sich davon, indem man das Drahtgittermodell eines Würfels mittels einer punktförmigen Spotlichtes als Schatten an eine Wand projiziert (Abbildung 105). Abbildung 10 Die Verlängerungen der anderen Kanten des Würfels, die nicht parallel zur Bildebene sind, scheinen sich im Bild in genau einem Punkt zu treffen. 5 Die Abbildung der räumlichen Gegebenheiten in Abbildung 10 wurden selbst mit einer Zentralprojektion generiert, weshalb gewisse Verzerrungen auftreten. Man orientiere sich an den „Mauersteinen“ der Bildebene. (Sobald es meine Zeit zulässt werde ich Abbildung 10 noch mal in Parallelprojektion generieren.) 10 Einführung in die Geometrie, Skript zur gleichnamigen Vorlesung im Wintersemester 2006/2007 ph-heidelberg.de/wp/gieding/lehre/geometrieeinfuehrung/ Kapitel 0: Mengen, Relationen, Funktionen Vorlesungen 4 und 5: Abbildungen und Funktionen 4.1 Abbildungen Eine genauere Untersuchung der Bilder parallelen Geraden, die nicht parallel zur Bildebene sind, scheint lohnenswert. Offenbar ist es so, dass sich diese Bilder zweier paralleler Geraden, die nicht identisch sind, schneiden (Abbildung 11). Hinsichtlich eines echten Beweises dieser Aussage sei auf die einschlägige Literatur zur Darstellenden Geometrie verwiesen6. Abbildung 11 Satz: Es sei Zp eine Zentralprojektion mit dem Zentralpunkt Z und der Bildebene . Ferner seien g1 und g2 zwei nicht identische zu einander parallele Geraden, die jedoch nicht zu parallel sind. Dann schneiden sich die Bilder von g1 und g2 bei der Zentralprojektion Zp in genau einem Punkt. Wir betrachten jetzt die Ebene , die senkrecht auf der Bildebene steht und durch den Zentralpunkt Z geht. Wenn sich alle Bilder zueinander paralleler Geraden in genau einem Punkt schneiden, so muss das auch für die Geraden in der Ebene gelten. Das Bild der Ebene ist die Schnittgerade h der Ebene mit der Bildebene . Zwangsläufig ist der Schnittpunkt Sh zweier paralleler nicht identischer Geraden g1 und g2 der Ebene ein Punkt dieser Schnittgeraden h. Das Bild einer jeden Geraden g3, die nicht zu gehört und zu g1 und g2 parallel ist, geht wegen dieser Parallelität auch durch den Punkt Sh. Damit gilt für beliebige parallele Geraden, die vermöge einer Zentralprojektion Zp nach obigem Satz auf einander schneidende Geraden abgebildet werden, dass sich eben dieser Schnittpunkt auf der genannten Geraden h befindet. Wegen der besonderen Bedeutung der Geraden h, als Träger aller Schnittpunkte der Bilder zueinander paralleler Geraden, bekommt sie einen besonderen Namen. Definition: (Horizont) Es sei Zp eine Zentralprojektion mit dem Zentralpunkt Z und der Bildebene . Ferner sei die zu senkrechte Ebene, die den Zentralpunkt Z enthält. Die Schnittgerade h der beiden Ebenen und heißt Horizont von Zp. Definition: (Fluchtpunkt) Der gemeinsame Schnittpunkt, den die Bilder von zueinander parallelen Geraden bei einer Zentralprojektion Zp haben, heißt Fluchtpunkt dieser Geraden bei der Zentralprojektion Zp. 6 Wird nachgereicht, dem Autor liegen derzeit nur „Werke“ aus seiner eigenen Studienzeit vor, die heute nicht mehr zu bekommen sind. 11 Einführung in die Geometrie, Skript zur gleichnamigen Vorlesung im Wintersemester 2006/2007 ph-heidelberg.de/wp/gieding/lehre/geometrieeinfuehrung/ Kapitel 0: Mengen, Relationen, Funktionen Vorlesungen 4 und 5: Abbildungen und Funktionen 4.1 Abbildungen 4.1.8 Generierung von zentralperspektivischen Bildern einfacher geometrischer Körper Geometrieunterricht ist bei vielen Mathematiklehrern insbesondere deshalb unbeliebt, da er schnell zu einer Materialschlacht mutiert. Besonders schwierig wird es dann, wenn räumliche Objekte wie Quader, Zylinder, Kegel etc. zu behandeln sind. Die gut organisierte Materialsammlung birgt sicherlich eine Fülle von Modellen, die nötig und wichtig sind. Für die Aufzeichnungen auf zweidimensionalem Papier bedarf es allerdings projizierter Bilder von den Modellen. 3D-Software wie Cinema 4D, 3DS Max oder auch PovRay sowie Digitalkameras und Bildbearbeitungssoftware sind hilfreich. Es bedarf allerdings eines gerüttelten Maßes an Erfahrung im Umgang mit diesen Programmen. Mitunter reicht die Zeit dann doch nicht, um ein wirklich ansprechendes Arbeitsblatt mittels des Computers zu generieren. Der souveräne Mathelehrer kann beides: Computernutzung und Konstruktion von zweidimensionalen Bildern dreidimensionaler Objekte auf klassische Art und Weise mit Zirkel und Lineal. Als Lehrkraft, die insbesondere in den informatischen Bereich involviert ist, kontert der Autor gern den Hype um die „Neuen Medien“ mit dem folgenden Axiom des Mathematikunterrichts: „Tafel und Kreide sind durch nichts zu ersetzen.“ Wie bekommt man aber schnell und trotzdem grafisch überzeugend das zweidimensionale Bild eines räumlichen Objekts an die Tafel? Muss es eigentlich immer das übliche Schrägbild sein? h F1 F2 Sie werden sich der Bewunderung ihrer Schüler sicher sein können, wenn Sie in der Lage sind, in kürzester Zeit das Bild eines Würfels oder Quaders mit echter Tiefenwirkung an die Tafel zu Abbildung 12 „zaubern“. Darüber hinaus haben die zentralperspektivischen Bilder ein echtes Potenzial hinsichtlich der Bearbeitung eines fächerübergreifenden Projekts: Mathematik, Kunst, Physik und Geschichte. Lassen Sie Ihre Schüler auf den Spuren da Vincis, Dürers & Co wandeln. Mittels der in 4.1.7 aufgezeigten mathematischen Eigenschaften der Zentralprojektion sowie Abbildung 127 sollte es Ihnen leicht fallen, ein zentralperspektivisches Bild verschiedener Körper zu konstruieren, die Sie in der Schule zu behandeln haben. 4.1.9 Analytische Betrachtung der Zentralprojektion Lara Croft ist Archäologin. Natürlich ist Lara Croft auch ein computergerechtes Abbild gewisser Träume einer Teilmenge der Menge aller Männer. Lara Croft ist nicht Angelina 7 Abbildung 12 wurde mit Scetchpad generiert. Sie können natürlich zur Herleitung einer Konstruktionsvorschrift mit dieser Datei experimentieren. Zentralprojektion.gsp 12 Einführung in die Geometrie, Skript zur gleichnamigen Vorlesung im Wintersemester 2006/2007 ph-heidelberg.de/wp/gieding/lehre/geometrieeinfuehrung/ Kapitel 0: Mengen, Relationen, Funktionen Vorlesungen 4 und 5: Abbildungen und Funktionen 4.1 Abbildungen Jolie. Vielmehr und vor allem ist Lara Croft eine Menge von Polygonen im 3. Jedes Polygon ist u.a. durch die Koordinaten seiner Eckpunkte bestimmt. Da Lara im 3 lebt8, sind ihre Eckpunktskoordinaten geordnete Tripel von reellen Zahlen. Der Bildschirm, auf dem ihre Abenteuer und Reize für uns erlebbar werden, kann als Teilmenge des 2 aufgefasst werden. Wie „beamt“ man Lara vom 3 auf den 2? Für die Generierung zweidimensionaler Bilder von dreidimensionalen Objekten muss man diverse Punkte dieser Objekte auf Punkte des 2 abbilden. Am einfachsten gestaltet sich dieses, wenn man als zweidimensionale Bildebene eine der Koordinatenebenen des 3 auswählt. Wir wollen diesbezüglich die y-z-Ebene auszeichnen. Als Zentralpunkt wählen wir einen Punkt Z(xz,0,0) auf der x-Achse des zugrunde gelegten Koordinatensystems. Entsprechend der Idee der Zentralprojektion erhält man unter Berücksichtigung der Strahlensätze die folgenden Abbildungsvorschriften: P ( x, y, z ) sei ein Originalpunkt. Die P' (0;0;7) Koordinaten des Bildpunktes P ' ( x' , y ' , z ' ) berechnen sich wie folgt: P x' 0 (-4;0;3) z-Achse bzw. y-z-Ebene von der Seite y xz y' xz x 8 6 4 2 Z (7;0;0) x-Achse -5 5 z' -2 z xz xz x Abbildung 13 Mittels der Exceldatei Zentralprojektion.xls können Sie die hergeleiteten Abbildungsformeln nachvollziehen. 4.2 Funktionen 4.2.1 Sinus und Cosinus im rechtwinkligen Dreieck Aus dem Matheunterricht der Klasse 10 sind die folgenden Definitionen des Sinus und des Cosinus eines Winkels im rechtwinkligen Dreieck bekannt: Definition: (Sinus und Cosinus im rechtwinkligen Dreieck) Es sei ABC ein Dreieck. , und seien die Innenwinkel dieses Dreiecks, wobei den Scheitelpunkt A, den Scheitelpunkt B und den Scheitelpunkt C hat. Der Winkel sei ein Rechter. Unter dem Sinus von versteht man die folgende reelle Zahl: sin : BC AB Unter dem Cosinus von versteht man die folgende reelle Zahl: cos : 8 CA AB Eigentlich lebt Lara auch nicht im 3 sondern in einer erbärmlichen Teilmenge des 3 , nämlich im Raum der geordneten Tripel von Computerzahlen. Wir gönnen ihr den Luxus und belassen Sie hier im 3. 13 Einführung in die Geometrie, Skript zur gleichnamigen Vorlesung im Wintersemester 2006/2007 ph-heidelberg.de/wp/gieding/lehre/geometrieeinfuehrung/ Kapitel 0: Mengen, Relationen, Funktionen Vorlesungen 4 und 5: Abbildungen und Funktionen 4.1 Abbildungen Analog lassen sich Cosinus und Sinus nach dem Schema Ankathete durch Hypotenuse bzw. Gegenkathete durch Hypotenuse für den Winkel definieren. Abbildung 14 4.2.2 Zugang zur Sinus- und zur Cosinusfunktion über den Einheitskreis Da die Winkelsumme in jedem Dreieck exakt 180° beträgt, können in einem rechtwinkligen Dreieck außer dem rechten Winkel nur spitze Winkel als Innenwinkel auftreten. Mit der Definition aus 4.2.1. wäre damit maximal jedem Winkel mit 0 90 ein Cosinus- bzw. Sinuswert zugeordnet.9 Für Winkelgrößen, die größer bzw. kleiner (negative Winkelgrößen) als die von spitzen Winkeln sind, definiert man den Sinus bzw. den Cosinus im Mathematikunterricht der Schule über den Einheitskreis: Es sei k ein Einheitskreis in Mittelpunktslage, d.h. der Kreismittelpunkt fällt mit dem Koordinatenursprung O zusammen und die Radienlänge r von k beträgt 1. Mit x+ sei die Halbgerade der positiven x-Achse bezeichnet. Zu jeder Winkelgröße mit 0 360 existiert genau ein Punkt P von k, mit x OP . Es sei jetzt PL das Lot von P auf die x-Achse, wobei L der Fußpunkt dieses Lotes sein soll. In Analogie zu Sinus und Cosinus im rechtwinkligen Dreieck und unter Berücksichtigung der Tatsache r=1 (Hypotenuse im rechtwinkligen Dreieck LOP ) definiert man jetzt: sin( ) : LP und cos( ) : OL . Anders ausgedrückt sin( ) ist der Wert der y-Koordinate von P und cos( ) ist der Wert der x-Koordinate von P. Abbildung 15 9 Auf einen Nachweis, dass jedem spitzen Winkel über die Definition aus 4.2.1 genau ein Cosinus- bzw. Sinuswert zugeordnet wird, verzichten wir hier. Diesbezügliche sei auf die einschlägigen Mathematiklehrbücher (Klasse 10) für Gymnasien verwiesen. 14 Einführung in die Geometrie, Skript zur gleichnamigen Vorlesung im Wintersemester 2006/2007 ph-heidelberg.de/wp/gieding/lehre/geometrieeinfuehrung/ Kapitel 0: Mengen, Relationen, Funktionen Vorlesungen 4 und 5: Abbildungen und Funktionen 4.1 Abbildungen Abbildung 16: Sinus am Einheitskreis: Generierung des Funktionsgrafen 4.2.3 Sinus und Cosinus als Funktion Jedem Winkel mit 0 360 ist vermöge der in 4.2.2 dargestellten Vorschrift genau ein Sinuswert und genau ein Cosinuswert zugeordnet. Zuordnen bedeutet nichts anderes als die Bildung von geordneten Paaren wobei an der ersten Stelle eines jeden Paares eine Winkelgröße aus dem abgeschlossenen Intervall 0, 360 und an zweiter Stelle eine reelle Zahl aus dem abgeschlossenen Intervall 1, 1 steht. Ebenso wie eine Abbildung ist eine Funktion10 nichts anderes als eine spezielle Relation. Relationen sind Teilmengen aus Kreuzprodukten. Für unsere bisherigen Betrachtungen zur Sinusfunktion bildeten wir das Kreuzprodukt der folgenden beiden Mengen: Φ : | , 0 360 und S : x | x , 1 x 1 Die Relation sin ist eine Teilmenge des Kreuzproduktes Φ S ., wobei alle die Paare (, sin) zur Relation gehören. Grafisch darstellen lässt sich das Kreuzprodukt Φ S mittels eines Koordinatensystems. Die grafische Darstellung aller geordneten Paare, die zur Relation sin gehören, liefert den so genannten Funktionsgrafen der Sinusfunktion (Abbildung 16). Funktion dürfen wir die Relation sin aus den folgenden Gründen nennen: 1. sin ist linkstotal, d.h. jedem möglichen Wert aus der Menge Φ wird ein Wert aus der Menge S zugeordnet.11 2. sin ist rechtseindeutig, d.h. jedem möglichen Wert aus der Menge Φ wird höchstens ein Wert aus der Menge S zugeordnet. 1. und 2. zusammengefasst: Jedem möglichen Wert aus der Menge Φ wird genau ein Wert aus der Menge S zugeordnet. Schränken wir die Menge Φ auf Winkelgrößen mit 0 90 ein, so ist die Sinusfunktion sogar umkehrbar eindeutig bzw. eineindeutig:12 Zu jeder reellen Zahl x mit 1 x 1 existiert genau ein mit sin = x. In Analogie zu linkstotal und rechtseindeutig könnten wir die letztgenannte Eigenschaft auch als rechtstotal und linkseindeutig bezeichnen. Dagegen spricht nur, dass diese Begriffe im Zusammenhang mit Abbildungen und Funktionen nicht gebräuchlich sind. Durchgesetzt haben sich demgegenüber die Bezeichnungen surjektiv und injektiv. Dafür, dass eine Relation Funktion bzw. Abbildung genannt werden darf, ist es nicht nötig, dass sie rechtstotal oder linkseindeutig ist. 10 Im nächsten Abschnitt wird sich herausstellen, dass die Begriffe Abbildung und Funktion synonym zu verstehen sind. Für welche Bezeichnung man sich entscheidet, hat eher didaktische Bedeutung. Anders ausgedrückt: Jedes mögliche taucht wenigstens einmal an erster Stelle in einem geordneten Paar der Relation sin auf. 11 12 Später werden wir derartige Funktionen und Abbildungen Biketionen nennen. 15 Einführung in die Geometrie, Skript zur gleichnamigen Vorlesung im Wintersemester 2006/2007 ph-heidelberg.de/wp/gieding/lehre/geometrieeinfuehrung/ Kapitel 0: Mengen, Relationen, Funktionen Vorlesungen 4 und 5: Abbildungen und Funktionen 4.1 Abbildungen Wir kennen das bereits aus der Schule von der allgemeinen Sinusfunktion. Diese erhalten wir durch Erweiterung unseres bisherigen Definitionsbereichs Φ auf die Menge aller reellen Zahlen. Ebenso lassen wir für den Wertebereich alle reellen Zahlen zu und erhalten damit die Sinusfunktion als eine Funktion von in : sin: . Hinsichtlich der Definition dieser Funktion für Winkelgrößen größer als 360° bzw. kleiner als 0° sei auf die Schulkenntnisse verwiesen. Der folgende Funktionsgraf zeigt deutlich, dass die so definierte Sinusfunktion weder injektiv noch surjektiv ist: 1,5 1 0,5 0 -720 -630 -540 -450 -360 -270 -180 -90 0 90 180 270 360 450 540 630 720 -0,5 -1 -1,5 Abbildung 17: Graf der Sinusfunktion 5 5.1 Abbildungen und Funktionen: Definitionen Definition der Begriffe Abbildung bzw. Funktion Definition: (linkstotale Relation) Eine Relation R M N heißt linkstotal, wenn für alle Elemente m aus der Menge M wenigstens ein n aus der Menge N derart existiert, dass m, n R gilt. Definition: (rechtseindeutige Relation) Eine Relation R M N heißt rechtseindeutig, wenn für jedes Element m der Menge M höchstens ein n aus der Menge N derart existiert, dass m, n R gilt. Definition :(Abbildung bzw. Funktion) Eine Relation f M N heißt Abbildung oder Funktion von M in N, wenn sie linkstotal und rechtseindeutig ist. M heißt dann Definitionsbereich oder auch Urbildbereich von f. Die Menge N wird Wertebereich, Wertevorrat oder Bildbereich von f genannt. 16 Einführung in die Geometrie, Skript zur gleichnamigen Vorlesung im Wintersemester 2006/2007 ph-heidelberg.de/wp/gieding/lehre/geometrieeinfuehrung/ Kapitel 0: Mengen, Relationen, Funktionen Vorlesungen 4 und 5: Abbildungen und Funktionen 4.1 Abbildungen Übliche Schreib- und Sprechweisen: Für f M N schreibt man auch f : M N Sprechweise: Funktion f von M nach N Für m, n f schreibt man auch f : m f (m) oder n f (m) Sprechweisen: o m wird auf f von m abgebildet, o m wird f von m zugeordnet, o n ist f von m, o n ist das Bild von m bei der Abbildung f, o m ist Urbild von n bei der Funktion f. 5.2 Eigenschaften von Abbildungen Definition: (Injektivität) Eine Funktion f : X Y heißt injektiv, wenn für jedes y Y höchstens ein x mit f(x)= y existiert: x1 , x2 X : f ( x1 ) f ( x2 ) x1 x2 . Definition: (Surjektivität) Eine Funktion f : X Y heißt surjektiv, wenn für jedes y Y mindestens ein x mit f (x)=y existiert: y Y : x X : f ( x) y . 5.3 Spezielle Abbildungen Definition: (Identität, bzw. identische Abbildung) Eine Funktion f : A A heißt identische Abbildung oder auch Identität, wenn für alle Elemente a aus A f(a)=a gilt. Die Identität werden wir häufig durch das Kürzel fid kennzeichnen. Definition: (Umkehrabbildung) Es sei f : A B eine Abbildung. Existiert eine Abbildung f 1 : B A mit f 1 ( f (a )) a für alle a aus A , so heißt f 1 Umkehrabbildung oder auch inverse Abbildung von f. Bemerkung: Es gibt Abbildungen, für die keine Umkehrabbildung existiert. Demgegenüber hat jede bijektive Abbildung eine Umkehrabbildung. Definition: (Bijektion) Eine injektive und surjektive Abbildung f ist bijektiv. f wird dann auch Bijektion genannt. Satz: Jede Bijektion hat eine Umkehrabbildung. 17 Einführung in die Geometrie, Skript zur gleichnamigen Vorlesung im Wintersemester 2006/2007 ph-heidelberg.de/wp/gieding/lehre/geometrieeinfuehrung/