GRUNDLAGEN DER ANALYSIS, TOPOLOGIE UND GEOMETRIE (WWU 2016) 27 10. F UNKTIONEN AUF LOKAL - KOMPAKTEN H AUSDORFF -R ÄUMEN Wir wenden nun die Ergebnisse des vorigen Abschnitts auf lokal-kompakte HausdorffRäume an. Für jeden solchen Raum X ist die Ein-Punkt-Kompaktifizierung X + kompakt und damit auch normal. Somit können wir Urysohns Lemma 9.6 in X + anwenden. Definition 10.1. Sei X ein topologischer Raum. Der Träger einer stetigen Funktion f : X → C ist die Menge supp f := {x ∈ X : f (x) 6= 0} ⊆ X. Satz 10.2. Sei X ein lokal-kompakter Hausdorff-Raum und K ⊆ V ⊆ X, wobei K kompakt und V offen seien. Dann gibt es eine stetige Funktion f : X → [0, 1] mit f |K = 1, supp f kompakt und supp f ⊆ V . Beweis. Aufgabe 3, Blatt 5. Wir wollen nun Urysohns Metrisierbarkeitssatz 9.8 auf X bzw. genauer X + anwenden und müssen dazu prüfen, wann X + zweit-abzählbar ist. Definition 10.3. Ein Hausdorff-Raum X heißt σ-kompakt, falls es eine Folge kompakter S Teilmengen Kn ⊆ X mit n∈N Kn = X gibt. Lemma 10.4. Sei (X, τ) ein lokal-kompakter Hausdorff-Raum und (X + , τ+ ) zweit-abzählbar. Dann ist (X, τ) zweit-abzählbar und σ-kompakt. Beweis. Sei B eine abzählbare Basis von τ+ . Dann ist B ∩ τ eine abzählbare Basis von τ. Sei B \ τ = {U1+ ,U2+ , . . .}. S Dann ist Un ⊆ X offen, Kn := X \ Un kompakt. Zeigen: n Kn = X. Sei x ∈ X. Wähle eine kompakte Umgebung Q von x. Dann ist U := X + \ Q eine Umgebung von ∞, also ∞ ∈ Un+ ⊆ U für ein n und damit x 6∈ Un+ , also x ∈ Kn . Es gilt auch folgende Umkehrung: Satz 10.5. Sei X ein lokal-kompakter, σ-kompakter Hausdorff-Raum. (1) Es gibt eine Folge offener Teilmengen Un ⊆ X so, dass Un für jedes n kompakt und in Un+1 enthalten ist. (2) Ist X zweit-abzählbar, so auch X + . (3) Ist X zweit-abzählbar, so ist X metrisierbar (und normal). Beweis. (1) Sei (Kn )n eine Folge wie in 10.3. Seien U1 , . . . ,Un bereits konstruiert. Dann ist jedes An+1 := (K1 ∪ · · · ∪ Kn+1 ) ∪ Un kompakt und enthalten in einer offene Menge Un+1 , deren Abschluss kompakt ist (Aufgabe 3, Blatt 5 oder Normalität von X + mit An+1 und B := {∞} ausnutzen). 28 PD DR. THOMAS TIMMERMANN (2) Sei B eine abzählbare Basis von τ und Un wie in (1). Dann ist B ∪ {X + \ Un : n} eine abzählbare Basis von τ+ : Ist U + eine offene Umgebung von ∞, so ist Q := X \U + kompakt und {Un : n} eine offene Überdeckung von Q, also Q ⊆ Un ⊆ Un für ein n ∈ N und somit ∞ ∈ (X + \Un ) ⊆ X + \ Q. (3) Nach (2), 9.5 und 9.8 ist X+ metrisierbar, also auch X. Nach Beispiel 9.5 (2) ist X normal. Als letzte Anwendung des Urysohnschen Lemmas beweisen wir die Existenz von Zerlegungen der Eins, die in der Differentialgeometrie wichtig werden. Definition 10.6. Sei X ein topologischer Raum. Eine Zerlegung/Partition der Eins ist eine Familie ( fi )i∈I von Funktionen fi : X → [0, 1] so, dass für jedes x ∈ X gilt: • x ∈ supp fi für höchstens endlich viele i ∈ I; • ∑i∈I fi (x) = 1. Ist V eine offene Überdeckung von X und ( fi )i∈I eine Zerlegung der Eins, so heißt letztere der ersteren untergeordnet, falls für jedes i ∈ I ein V ∈ V mit supp fi ⊆ V existiert. Satz 10.7 (Zerlegung der Eins). Sei X ein lokal-kompakter, σ-kompakter, zweit-abzählbarer Hausdorff-Raum mit einer offenen Überdeckung V . Dann gibt es eine untergeordnete Zerlegung der Eins. Beweis-Skizze. Schritt 1: Beh.: Es gibt eine offene Überdeckung U = {U1 ,U2 , . . .} von X mit (a) ∀U ∈ U ∃V ∈ V : U ∈ V, S (b) ∀x ∈ X : {U ∈ U : x ∈ U} ist endlich. Schreibe X = n Wn mit Wn offen, Wn kompakt und Wn ⊆ Wn+1 für jedes n (Satz 10.5). / Für jedes n ∈ N ist dann Setze W−1 = W0 = 0. An := Wn \Wn−1 ⊆ X kompakt, enthalten in Wn+1 \Wn−2 und überdeckt von endlich vielen Vn,1 , . . . ,Vn,kn ∈ V . Setze 0 Vn,i := Vn,i ∩ (Wn+1 \Wn−2 ) und S S 0 U := {Vn,i : n ∈ N, 1 ≤ i ≤ kn }. Dann gilt (a) und X = n An ⊆ U∈U U. Ist x ∈ X, so folgt x ∈ Wm für ein m und somit 0 für n − 2 ≥ m und somit gilt (b). x 6∈ Vn,i Schritt 2: Beh.: Es gibt offene Teilmengen U10 ,U20 , . . . ⊆ X mit (c) Un0 ⊆ Un , (d) X = (U10 ∪ · · · ∪Un0 ) ∪ (Un+1 ∪Un+2 ∪ · · · ). Seien U10 , . . . ,Un0 so gewählt. Dann ist Bn+1 := X \ ((U10 ∪ · · · ∪Un0 ) ∪ (Un+2 ∪ · · · )) ⊆ Un+1 GRUNDLAGEN DER ANALYSIS, TOPOLOGIE UND GEOMETRIE (WWU 2016) 29 0 0 0 und Un+1 mit An+1 ⊆ Un+1 ⊆ Un+1 . abgeschlossen. Nach Lemma 9.3 finden wir Un+1 Schritt 3: Da X normal ist, existieren stetige Funktionen gn : X → [0, 1] mit gn |U 0 = 1 n und gn |X\Un = 0. Wegen (b) ist g := ∑n gn endlich und stetig. Aus (b) und (d) folgt S 0 n Un = X und somit gn (x) > 0 für jedes x ∈ X. Dann ist (gn /g)n eine U untergeordnete Zerlegung der Eins.