ZfP-Sonderpreis der DGZfP beim Regionalwettbewerb Jugend forscht Ingolstadt Krebsbekämpfung durch Früherkennung Maximilian Geisler Schule: Werner-von-Siemens-Gymnasium Brennesstraße 4 93059 Regensburg Jugend forscht 2017 Krebsbekämpfung durch Früherkennung Statistik Maximilian Geisler Werner-von-Siemens-Gymnasium Regensburg Inhaltsverzeichnis 1. Einleitung ............................................................................................................................... 2 2. Statistische Kenngrößen und deren Aussage ......................................................................... 2 2.1 Prävalenz von Krebserkrankungen ................................................................................... 2 2.2 Inzidenz von Krebserkrankungen ..................................................................................... 3 2.3 Mortalität durch Krebs...................................................................................................... 3 2.4 Sensitivität und Spezifität von Früherkennungstests ........................................................ 3 2.5 Positiver und negativer Vorhersagewert von Früherkennungstests ................................. 4 3. Methodik von Früherkennungsprogrammen .......................................................................... 5 4.1 Mortalität und Inzidenz von Krebs in Deutschland .......................................................... 7 4.2 Teilnahme an Früherkennungsmaßnahmen ...................................................................... 9 4.3 Sensitivität, Spezifität und Vorhersagewert ..................................................................... 9 4.4 Auswirkungen auf die Prognose von Krebserkrankungen ............................................. 10 5. Bewertung von Früherkennungsmaßnahmen ....................................................................... 11 6. Fazit ...................................................................................................................................... 14 7. Literaturverzeichnis .............................................................................................................. 14 1. Einleitung „Krebs! Diese Diagnose ist ein Todesurteil“. Das denken noch viele Menschen, doch glücklicherweise trifft das heute nicht mehr zu. Durch die Fortschritte in der Medizin ergeben sich in vielen Fällen gute Heilungschancen. Diese sind umso besser, je früher ein Tumor entdeckt wird. Es scheint offensichtlich, dass Früherkennungsmaßnahmen in der Krebsbekämpfung eine sehr erfolgversprechende Strategie sind. Trotzdem werden diese Programme nicht nur in der Laienpresse (vgl. z.B. Weymayr und Koch 2003; Heinemann 2014), sondern auch in Fachkreisen zum Teil kritisch betrachtet (vgl. z.B. Altenhofen 2009, S.193f.; Baum 1996, S.9-11). Ein Grund dafür ist, dass über Erfolg und Misserfolg in der Praxis viele verschiedene Einflussfaktoren eine entscheidende Rolle spielen. Ein Teil davon muss bei der Ausgestaltung eines Tests festgelegt werden, andere liegen in der Natur der verschiedenen Krebserkrankungen. Im Vordergrund stehen maligne (bösartige) Tumoren, da diese zum Tod führen, wenn sie nicht rechtzeitig behandelt werden. Zunächst verändern normale Zellen ihre Struktur durch Einflüsse wie Strahlung, chemische Reize oder Viren. Das führt zu einer Geschwulstbildung, die durch überschießendes Wachstum, unkoordiniertes Verhalten gegenüber der Umgebung und einer Reizunabhängigkeit des Wachstums gekennzeichnet ist. Maligne Geschwülste infiltrieren das umliegende Gewebe und zerstören es. Schließlich kommt es zur Ausbreitung über die Lymphbahnen oder die Blutbahn und die Bildung von Tochtergeschwülsten (Metastasen), zunächst in den Lymphknoten und dann in anderen Organen (vgl. Eder und Gedigk 1975, S.227-232). Die Chancen für eine erfolgreiche Behandlung sind am Größten, wenn ein Tumor im Ganzen entfernt werden kann. Dies ist umso schwieriger, je größer der Tumor ist, und wenn bereits eine Metastasierung erfolgt ist (vgl. Krebsinformationsdienst des Deutschen Krebsforschungszentrums1 2016). Früherkennungsmaßnahmen werden oft als „Vorsorgeuntersuchung“ bezeichnet. Dies ist allerdings fachlich nicht korrekt. Die Früherkennung zielt auf das Entdecken bereits vorhandener Tumoren ab. Eine Vorsorge würde dagegen bedeuten, dass das Auftreten einer drohenden Krebserkrankung verhindert werden könnte (vgl. Heinemann 2014). 2. Statistische Kenngrößen und deren Aussage Im Folgenden werden die wichtigsten statistischen und epidemiologischen Kenngrößen näher erläutert, die im Zusammenhang mit der Krebsfrüherkennung eine wichtige Rolle spielen. Anhand der Ergebnisse können die Erfolge und gegebenenfalls auch die Probleme der einzelnen Früherkennungsmaßnahmen deutlich gemacht werden. 2.1 Prävalenz von Krebserkrankungen Unter Prävalenz versteht man die Anzahl der Personen, die zu einem bestimmten Zeitpunkt oder in einem Zeitraum von der untersuchten Erkrankung betroffen sind. Diese Zahl wird jeweils auf die definierte Grundgesamtheit bezogen. Das kann die Gesamtbevölkerung sein, aber auch eine eingegrenzte Personengruppe, wie zum Beispiel Frauen im Alter über 40 2 Jahren. Im Zusammenhang mit Krebserkrankungen wird in der Regel die Punktprävalenz verwendet, welche die Anzahl der Erkrankten zu einem bestimmten Zeitpunkt bezeichnet (vgl. Weiß 2008, S.112). Die Prävalenz lässt sich bei Krebs und anderen länger andauernden Krankheiten als das Produkt aus Inzidenz ∙ Dauer der Erkrankung bestimmen. Die Prävalenzrate gibt die Zahl der Erkrankten bezogen auf eine definierte Zahl von Personen unter Risiko, meist 100.000, an (Tabelle 1). Tabelle 1 Prävalenz und Inzidenz von Hautkrebs in Deutschland 2011 Jahr Absolute Zahlen Absolute Zahlen Rate Rate 2011 Frauen Männer Frauen Männer Prävalenz 9.868 9.812 23,7 24,4 Inzidenz 10.543 25,6 26,9 10.508 Raten bezogen auf 100.000 Einwohner und absolute Zahlen von Hautkrebs in Deutschland im Jahr 2011 aufgeteilt nach Geschlecht; Gesamtbevölkerung 2011: 80.328.000 Quelle: Zentrum für Krebsregisterdaten am Robert Koch-Institut1 2015, 2.2 Inzidenz von Krebserkrankungen Die Inzidenz, auch Neuerkrankungsrate, gibt Auskunft über das Erkrankungsrisiko für eine Person innerhalb eines bestimmten Zeitraums. Um diese Wahrscheinlichkeit zu bestimmen, wird ein Untersuchungszeitraum festgelegt, zum Beispiel ein Jahr. Außerdem wird eine bestimmte Personengruppe oder die gesamte Bevölkerung als Untersuchungsmedium gewählt. Jedoch werden alle Personen ausgeschlossen, die bereits zu Beginn des Untersuchungszeitraums an der Krankheit leiden. Während der Untersuchungsperiode werden alle Neuerkrankungen an dieser Krankheit registriert. Daraus ergibt sich eine Rate, die meist auf 100.000 Personen bezogen wird (Tabelle 1). Bei den meisten Krebsarten steigt die Inzidenzrate mit dem Alter (vgl. Fletcher et al. 1999, S.104-110). 2.3 Mortalität durch Krebs Die Mortalität gibt die Wahrscheinlichkeit an, mit der eine Person in einer Population an einer bestimmten Todesursache stirbt (vgl. Weiß 2008, S.113). Bei der Krebsfrüherkennung wird der Begriff entweder auf alle Krebsarten oder auf eine bestimmte Krebsart bezogen. 2.4 Sensitivität und Spezifität von Früherkennungstests Bei der Durchführung von Tests, gerade bei der Früherkennung, gibt es die zwei möglichen Ergebnisse positiv und negativ. Bei dem Testergebnis „positiv“ ist der Untersuchte möglicherweise krank, bei „negativ“ vermutlich nicht. Bei den positiv Getesteten gibt es die richtig-positiven Patienten und die falsch-positiven, bei den negativ Getesteten die richtignegativen und die falsch-negativen (Abbildung 1). 3 Abbildung 1 Vierfeldertafel zum Verhältnis zwischen Test und tatsächlichen Ergebnissen Test positiv Test negativ Kranke Person Gesunde Person Tatsächlich positiv Tatsächlich negativ 𝐩𝐨𝐬𝐢𝐭𝐢𝐯𝐞𝐫 𝑽𝒐𝒓𝒉𝒆𝒓𝒔𝒂𝒈𝒆𝒘𝒆𝒓𝒕 Richtig-positiv Falsch-positiv = + 𝐧𝐞𝐠𝐚𝐭𝐢𝐯𝐞𝐫 𝑽𝒐𝒓𝒉𝒆𝒓𝒔𝒂𝒈𝒆𝒘𝒆𝒓𝒕 Falsch-negativ 𝐒𝐞𝐧𝐬𝐢𝐭𝐢𝐯𝐢𝐭ä𝐭 = + Richtig-negativ = + 𝐒𝐩𝐞𝐳𝐢𝐟𝐢𝐭ä𝒕 = + Statistische Kennzahlen (Sensitivität, Spezifität, positiver und negativer Vorhersagewert) und deren Berechnung zusammengefasst in einer Vierfeldertafel Nach: Weiß 2008, S.122 Die Sensitivität gibt die Wahrscheinlichkeit an, mit der eine wirklich kranke Person auch ein positives Testergebnis erhält, also richtig-positiv getestet wird. Allgemeiner gefasst gibt die Sensitivität den Anteil der richtig-positiven Ergebnisse von allen tatsächlich positiven Objekten an. Bei der Spezifität eines Tests handelt es sich um die Wahrscheinlichkeit, mit der eine gesunde Person ein (richtig) negatives Ergebnis erhält. Erhält eine gesunde Person doch ein positives Testergebnis, fällt sie unter die falsch-positiven Patienten. Die Spezifität gibt somit allgemein gesprochen den Anteil der richtig-negativen Ergebnisse von allen tatsächlich negativen Objekten an (Abbildung 1). Die Sensitivität und Spezifität eines Tests sind immer unabhängig von der Prävalenz einer Krankheit. In der Realität gibt es keinen Früherkennungstest mit einer Sensitivität und Spezifität von 100%, da die beiden Größen voneinander beeinflusst werden. Macht man einen Test empfindlicher, so steigt die Sensitivität, im Gegenzug dazu sinkt aber die Spezifität analog (vgl. Weiß 2008, S.118). 2.5 Positiver und negativer Vorhersagewert von Früherkennungstests Der positive Vorhersagewert ist eine der wichtigsten Größen, wenn es um die Bewertung von Früherkennungsmaßnahmen geht. Er bezeichnet die Wahrscheinlichkeit erkrankt zu sein, nachdem das Testergebnis positiv ausgefallen ist. Somit ist der positive Vorhersagewert eine bedingte Wahrscheinlichkeit (Abbildung 1). Der positive Vorhersagewert ist von der Spezifität des Tests und der Prävalenz der Krankheit in der Bevölkerung abhängig. Ist die 4 Spezifität eines Tests sehr gering, erhält man sehr viele falsch-positive Ergebnisse. Dies führt automatisch zu einer Senkung des positiven Vorhersagewerts, unabhängig von der Sensitivität. Wenn die Prävalenz niedrig ist, erhält man relativ wenig richtig-positive Testergebnisse, was zu einem niedrigen positiven Vorhersagewert führt (vgl. Fletcher et al. 1999, S.78-81). Das Gegenstück zum positiven Vorhersagewert ist der negative Vorhersagewert. Er gibt die Wahrscheinlichkeit an, dass eine Person, die ein negatives Testergebnis erhält, auch wirklich gesund ist. Berechnet wird der negative Vorhersagewert analog zum positiven Vorhersagewert (Abbildung 1). Auch hier ergibt sich nun eine Abhängigkeit von der Prävalenz der Krankheit und der Sensitivität des Tests. Weist der Test eine hohe Sensitivität auf, erhält man sehr wenig falsch-negative Ergebnisse und somit sinkt der negative Vorhersagewert. Zudem sinkt er, je höher die Prävalenz ist, da eine niedrige Prävalenz wenig falsch-negative Testergebnisse zur Folge hat. Grundsätzlich ist der negative Vorhersagewert aufgrund der oft sehr geringen Prävalenzen bei Krebs meistens größer als der positive Vorhersagewert (vgl. Weiß 2008, S.119ff.). 3. Methodik von Früherkennungsprogrammen Massenscreenings sind groß angelegte medizinische Untersuchungen, die auf eine Krankheit innerhalb einer großen Bevölkerungsgruppe oder in der gesamten Bevölkerung abzielen. Beim Krebsscreening werden Patienten mithilfe von möglichst einfachen und wenig belastenden Diagnoseverfahren auf bestimmte Tumoren hin untersucht. Das Ziel ist es, vorhandene Tumoren sehr frühzeitig zu erkennen, um so geeignete Therapieverfahren einzuleiten, welche die Überlebenschancen der Betroffenen verbessern sollen (Tabelle 2) (vgl. Kraywinkel et al. 2012, S.1). In den ersten Jahren nach der Behandlung eines Tumors kann dieser erneut auftreten (Rezidiv), oder vorher nicht erkennbare Metastasen zeigen sich. Als Therapieerfolg gilt es deshalb erst, wenn ein Patient die ersten 5 Jahre nach seiner Behandlung überlebt (5-JahresÜberlebensrate), beziehungsweise diese Zeitspanne überlebt, ohne dass der Tumor erneut aufgetreten ist (5-Jahre-Tumor-und-Rezidiv-Freiheit) (vgl. Eder und Gedigk 1975, S.232). Die Erkrankungswahrscheinlichkeit für die verschiedenen Krebsarten ist von vielerlei Risikofaktoren abhängig. Das können genetisch bedingte Faktoren, Umwelteinflüsse oder die Ernährung sein (vgl. Eder und Gedigk 1975, S.252-259). Die zwei wesentlichsten Risikofaktoren bei Krebs sind aber Alter und Geschlecht. Die meisten Tumoren entwickeln sich erst im Laufe des Lebens und treten deshalb erst im mittleren bis höheren Alter auf. Bei den 70-74-jährigen ist das Erkrankungsrisiko für Darmkrebs beispielsweise mit 267 Fällen pro 100.000 Einwohner und Jahr im Vergleich zu den 25-29 jährigen mehr als hundertfach so hoch (vgl. Zentrum für Krebsregisterdaten am Robert Koch-Institut1 2015). Der Risikofaktor Geschlecht spielt vor allem bei Brustkrebs, Gebärmutterhalskrebs und Prostatakrebs eine entscheidende Rolle. Frauen haben bei Brustkrebs ein hundertfach höheres Erkrankungsrisiko als Männer (vgl. Zentrum für Krebsregisterdaten am Robert Koch-Institut1 2015). Beim 5 Massenscreening werden die Zielgruppen nur anhand von Alter und Geschlecht definiert, da die anderen Faktoren mit erheblichem Aufwand zu bestimmen wären. Tabelle 2 Relative Überlebensrate nach Tumorstadien Brustkrebs Tumorstadium 5 Jahres ÜR (%) 9 Jahres ÜR (%) T1 96,6 93,0 T2 81,6 73,3 T3 54,9 38,0 Relative Überlebensraten nach Tumorstadien von Brustkrebs im Diagnosezeitraum 1996– 2002 in Deutschland; ÜR: relative Überlebensrate in Jahren nach Diagnosestellung, T1= Tumorgröße 2 cm oder weniger, T2= Tumorgröße mehr als 2 cm, aber nicht mehr als 5 cm in größter Ausdehnung, T3= mehr als 5 cm in größter Ausdehnung Quelle: Robert Koch Institut 2005 Tabelle 3 Untersuchungen zur Krebsfrüherkennung in Deutschland Art des Tumors Untersuchung Häufigkeit der Untersuchung Hautkrebs ab 35 ♀+♂ Inspektion der Haut alle 2 Jahre Darmkrebs 50-54 ♀+♂ Stuhltest auf okkultes Blut jährlich Darmkrebs ab Möglichkeit 1 55 ♀+♂ Koloskopie 2x im Abstand von 10 Jahren Darmkrebs ab Möglichkeit 2 55 ♀+♂ Stuhltest auf okkultes Blut alle 2 Jahre Gebärmutterhalskrebs ♀ Zellabstrich am Gebärmutterhalshals jährlich Brustkrebs ab 30 ♀ Abtasten der Brust jährlich Brustkrebs 50–69 ♀ Mammographie Alle 2 Jahre Prostatakrebs ab 45 ♂ Abtasten der Prostata jährlich Von der gesetzlichen Krankenkasse bezahlte Vorsorgemaßnahmen Stand 2016 Quelle: Bundesministerium für Gesundheit 2016 6 In Deutschland werden derzeit Programme zur Früherkennung von Hautkrebs, Darmkrebs, Gebärmutterhalskrebs, Brustkrebs sowie Prostatakrebs zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung angeboten. Für jedes Programm sind die einbezogenen Altersgruppen, die Häufigkeit der Durchführung und die Maßnahmen genau festgelegt (Tabelle 3, vgl. Krebsinformationsdienst des Deutschen Krebsforschungszentrums2). Damit werden die häufigsten Krebserkrankungen (vgl. Zentrum für Krebsregisterdaten am Robert Koch-Institut1 2015) in Deutschland abgedeckt, lediglich der ebenfalls sehr häufige Lungenkrebs wird nicht erfasst, da die Nutzen-Risiko-Erwägungen für mögliche Früherkennungsuntersuchungen noch nicht abschließend geklärt sind (vgl. Hense 2015, S.635f.). 4. Statistische Aspekte zu Früherkennungsmaßnahmen 4.1 Mortalität und Inzidenz von Krebs in Deutschland Krebs ist in Deutschland eine der häufigsten Todesursachen. Von jährlich ca. 860.000 Todesfällen sind rund 220.000, also fast ein Viertel, auf Krebs zurückzuführen. Davon entfallen ca. 61.000 (27 %) auf die Krebsarten, die mit Hilfe von Früherkennungstests erfasst werden. Unter den Tumorarten mit Früherkennungsmaßnahmen hat der Brustkrebs die höchste Mortalitätsrate, gefolgt von Prostatakrebs und Darmkrebs. Die geringste Mortalität weisen Hautkrebs und Gebärmutterhalskrebs auf (vgl. Zentrum für Krebsregisterdaten am Robert Koch-Institut1 2015). Die höchste Sterberate zeigt sich jedoch mit Abstand beim Lungenkrebs, für den es aber keinen geeigneten Früherkennungstest gibt (Tabelle 4) (vgl. Hense 2015, S635f.). Die Inzidenz des jeweiligen Tumors, unterscheidet sich teilweise erheblich von der Mortalität. In Deutschland sind 2012 knapp 480.000 Menschen neu an Krebs erkrankt. Daraus ergibt sich eine Neuerkrankungsrate von 594 Fällen pro 100.000 Einwohner pro Jahr, also ca. 0,6%. Unter diesen waren 221.000 Neuerkrankungsfälle (46 %), auf die fünf Krebsarten mit Früherkennungsmaßnahmen zurückzuführen. Darmkrebs, Brustkrebs und Prostatakrebs liegen bei den absoluten Inzidenzzahlen weit vor Hautkrebs und Gebärmutterhalskrebs. Da bei Brust- und Prostatakrebs jeweils fast nur Frauen beziehungsweise nur Männer betroffen sind, ergibt sich eine mehr als doppelt so hohe Inzidenzrate, bezogen auf die Risikopopulation, wie bei Darmkrebs. (Tabelle 4) (vgl. Zentrum für Krebsregisterdaten am Robert Koch-Institut1 2015). Bei den Früherkennungstests hängen die Altersgrenzen von der Inzidenzverteilung innerhalb verschiedener Altersstufen ab (vgl. Kraywinkel et al. 2012, S.8). Die gesamte Inzidenz von Brustkrebs lag 2012 bei ca. 69.500 Fällen. Das Mammographiescreening wird für Frauen im Alter von 50-69 Jahren angeboten, für diese Altersgruppe betrug die Inzidenz 2012 rund 31.500 Neuerkrankungen. Daraus ergibt sich, dass 45% aller Neuerkrankungen in die Altersstufe von 50-69 Jahren fallen und mit einem Test erfasst werden könnten (Abbildung 2). Beim Brustkrebs wird auch noch ab dem 30. Lebensjahr das jährliche Abtasten der Brust als Früherkennungsmaßnahme angeboten. 69.231 von 69.500 Neuerkrankungen fallen in die Altersstufe ab 30, das bedeutet, dass durch die Kombination der beiden Methoden im 7 Optimalfall 99,6% der Fälle erfasst werden könnten (vgl. Zentrum für Krebsregisterdaten am Robert Koch-Institut1 2015). Die restlichen Personen, die nicht in die jeweilige Altersstufe fallen, werden nicht durch einen Früherkennungstest belastet, da sie eine relativ geringe Wahrscheinlichkeit haben, an diesem Tumor erkrankt zu sein. Tabelle 4 Mortalität und Inzidenz von Haut-, Darm-, Gebärmutterhals-, Brust-, Prostata-, Lungenkrebs 2012 Mortalitätsraten Inzidenzraten Inzidenzzahlen Hautkrebs 3,6 25,9 20.814 Darmkrebs 32,3 77,4 62.232 Gebärmutterhalskrebs 3,9 11,3 4.640 Brustkrebs 43,2 169,1 69.548 Prostatakrebs 33,0 162,1 63.711 Lungenkrebs 55,3 66,9 53.783 Mortalitäts- und Inzidenzraten sowie absolute Inzidenzzahlen von verschiedenen Krebsarten pro 100.000 Einwohner in Deutschland im Jahr 2012 Quelle: Zentrum für Krebsregisterdaten am Robert Koch-Institut1 2015 8 Abbildung 2 Inzidenzrate Brustkrebs nach Alter in Deutschland Inzidenzraten von Brustkrebs nach Altersstufen von 0 bis über 85 Jahre in Deutschland 2012 pro 100.000 Einwohner Quelle: Zentrum für Krebsregisterdaten am Robert Koch-Institut1 2015 4.2 Teilnahme an Früherkennungsmaßnahmen Bei der Mammographie liegt die Teilnahmerate bei ca. 60% aller Eingeladenen (vgl. Malek und Kääb-Sanyal 2016, S.5). Die Hautkrebsvorsorge wurde nur von ca. 33% aller Anspruchsberechtigten jemals wahrgenommen (vgl. Kraywinkel 2012, S.4), die der Darmkrebsvorsorge von nur ca. 19% (vgl. Schäfer et al. 2012, S.A530). Zur Teilnahmerate bei der Prostatakrebs-Früherkennung lassen sich keine detaillierten Zahlen finden. Lediglich die Gebärmutterhalskrebs-Vorsorge erzielt mit 62% Teilnahmequote einen etwas höheren Wert, allerdings bezogen auf eine Zeitspanne von 3 Jahren (vgl. Kraywinkel et al. 2012, S.7). Die relativ hohe Teilnehmerrate bei der Mammographie ist wahrscheinlich darauf zurückzuführen, dass das Mammographienetzwerk das am besten ausgebaute Früherkennungsprogramm in Deutschland ist. Jede Frau, die Anspruch auf Mammographie hat, wird persönlich kontaktiert und eingeladen (vgl. Malek und Kääb-Sanyal 2016, S.10). 4.3 Sensitivität, Spezifität und Vorhersagewert Bei Früherkennungsprogrammen ist es entscheidend, dass die gesuchte Erkrankung möglichst nicht übersehen wird, dass also die Sensitivität hoch ist. Die Abschätzung, wie hoch die Sensitivität einer Früherkennungsmaßnahme ist, erweist sich als sehr schwer. Das liegt daran, dass in der Regel die genaue Inzidenz eines Tumors nicht bekannt ist. Ein Grund dafür ist, dass erst „seit dem Jahr 2006 […] in allen Bundesländern eine flächendeckende epidemiologische Krebsregistrierung […] gesetzlich verankert“ wurde (Zentrum für Krebsregisterdaten am Robert Koch-Institut2 2014). Deshalb kann dann aus den richtig9 positiven Ergebnissen nicht abgeschätzt werden, wie viele Kranke ein falsch negatives Testergebnis erhalten haben. Da die Sensitivität eines Tests aber statistisch gesehen einen hohen Aussagewert besitzt, versucht man sie mithilfe von Hilfsgrößen annähernd zu bestimmen. Das geschieht zum Beispiel mit der Hintergrundinzidenz. Diese stellt die Inzidenz des Tumors vor Einführung des dazugehörigen Früherkennungstests dar (vgl. Heidinger et al. 2012, S.783f.). Laut den EU-Leitlinien für Krebsfrüherkennungsprogramme sollte die Inzidenz nach Einführung eines Früherkennungstests mindestens das Dreifache der Hintergrundinzidenz betragen, um von einer qualitativ hochwertigen Maßnahme sprechen zu können (vgl. Perry et al. 2006, S.12). Beim Brustkrebs betrug die Detektionsrate nach Implementierung der Mammographie mit 81/10.000 exakt das Dreifache der Hintergrundinzidenz von 27/10.000. In der Realität lässt sich die Sensitivität nur schätzen, da die wahre Inzidenz eines Tumors nicht bekannt ist. Experten gehen bei der Mammographie von einem ungefähren Wert der Sensitivität zwischen 60% und 90% aus (vgl. Meuwly et al. 2012, S.530). Nicht nur eine hohe Sensitivität ist für einen guten Früherkennungstest erstrebenswert, auch eine möglichst hohe Spezifität ist wichtig. Eine Verminderung der falsch-positiven Testergebnisse kann vielen Teilnehmern unnötige Belastungen ersparen. Bei einem positiven Testbefund sind nicht nur körperliche sondern auch psychische und finanzielle Belastungen sehr hoch. Das Früherkennungsprogramm für zum Beispiel Brustkrebs läuft in zwei Stufen ab. Die erste Untersuchung sind Tast- und Röntgenuntersuchungen. Fällt dieser Test positiv aus, erfolgt eine zweite, diesmal invasive Untersuchung. Dabei wird eine Gewebeprobe (Biopsie) aus der Brust entnommen (vgl. Krebsinformationsdienst des Deutschen Krebsforschungszentrums2 2015). Beide Untersuchungen belasten den Körper nicht unwesentlich. Außerdem ist ein positiver Testbefund in der ersten Untersuchung eine hohe psychische Belastung. Frauen, die falsch-positive Mammographieergebnisse hatten, litten nach mehreren Monaten noch zu 47% an Angst vor der Mammographie und zu 41% an der Angst vor Brustkrebs. Bei 17% wurde das tägliche Leben durch diese Ängste negativ beeinflusst (vgl. Fletcher et al. 1999, S.245f.). 2012 nahmen in Deutschland 2.749.594 Frauen an der Mammographie teil. 131.184 davon erhielten ein positives Testergebnis und konnten sich der invasiven Biopsie zur Abklärung unterziehen. Nur 2899 Frauen, das entspricht 2,2%, führten diesen zweiten Schritt nicht durch. Insgesamt wurden am Ende 17.311 Brustkrebsfälle diagnostiziert. Daraus ergibt sich ein positiver Vorhersagewert von ca.13% bei einem positiven Mammographie-Befund. Unter der Annahme, dass die Sensitivität des Tests, die nicht genau bestimmbar ist, bei 90% liegt, ergibt sich eine Spezifität von ca. 96% (vgl. Malek und Kääb-Sanyal 2016, S.5). 4.4 Auswirkungen auf die Prognose von Krebserkrankungen In Bayern wurde das Krebsregister 1998 eingeführt. Das bedeutet, dass höchstens 15-JahresWerte für die verschiedenen Krebsarten vorliegen. Die Mammographie wurde erst ab 2002 eingeführt und war ab 2009 flächendeckend (vgl. Kraywinkel et al. 2012, S.8). Deshalb liegen maximal 6-Jahres-Werte vor. Somit kann kein aussagekräftiger Vergleich zwischen den Daten zur Inzidenz und Mortalität vor und nach Einführung der Früherkennungsmaßnahme durchgeführt werden. Das langfristige Ziel der Früherkennung ist es, die Mortalität, 10 ausgedrückt durch die 5-jahres-Überlebensrate, zu senken. Innerhalb von 5-6 Jahren sind also keine deutlichen Veränderungen in der Krebsstatistik zu erwarten. Es können höchstens minimale Veränderungen wahrgenommen werden. Beim Hautkrebs zeigt sich bei den Frauen ein Rückgang der altersstandardisierten Sterberaten um bis zu 10% seit 1980. Das liegt möglicherweise an der früheren Diagnosestellung in günstigeren Tumorstadien. Allerdings stieg die altersstandardisierte Sterberate bei den Männern im selben Zeitraum um 10%. Beim Darmkrebs gingen die altersstandardisierten Sterberaten bis 2008, sowohl für Frauen als auch für Männer, um mehr als 20% im Vergleich zum Einführungsjahr des Früherkennungstests 1999 zurück. Dabei blieb die absolute Zahl der Mortalität bei den Männern konstant, bei den Frauen ging sie dagegen um 3.000 Todesfälle zurück. Die vorgezogene Diagnosestellung begünstigt gleichzeitig auch die 5-JahresÜberlebensraten von Hautkrebs, die aktuell bei hohen 91% für Frauen und 87% bei Männern liegen (vgl. Kraywinkel et al. 2012, S.3-5). Eine Studie aus Budapest, die sich mit der Frage befasste, ob Brustkrebsscreening die Mortalität tatsächlich senkt, kam zu dem Ergebnis, dass durch die Früherkennung keine Senkung erfolgt. (vgl. Ujhelyi et al. 2016). Bei Darmkrebs zeigt die Früherkennung einen positiven Effekt, dies wurde durch eine Studie bestätigt. Es wurden drei Personengruppen erstellt. Gruppe A bestand aus Patienten, bei denen Darmkrebs anhand des Tests auf okkultes Blut im Stuhl diagnostiziert wurde. In der Gruppe B und C befanden sich Personen, bei denen ein Tumor ohne Screening, beziehungsweise vor dem Screeningzeitraum entdeckt wurde. Zunächst wurde ermittelt, wie viele der gefundenen Tumoren innerhalb der jeweiligen Gruppe sich in den frühen Krebsstadien 1 und 2 befanden. In Gruppe A waren 73% der Tumoren in Stadium 1 und 2, bei Gruppe B und C nur 43% beziehungsweise 40%. Aufgrund der vermehrten Anzahl an Tumoren in niedrigen Stadien bei der Gruppe A ergab sich auch eine geringere 5-JahresMortalität von 19%, im Gegensatz zu 37% und 41% bei den Gruppen B und C. Demnach ist die 5-Jahres-Überlebensrate bei Darmkrebs, der bei einem Screening entdeckt wurde, besser (vgl. Parente et al. 2015). Insgesamt ließen sich im Rahmen der Literaturrecherche nur wenige Arbeiten finden, die eine direkte Evaluation des Effekts von Früherkennungsmaßnahmen ermöglichen. 5. Bewertung von Früherkennungsmaßnahmen Das primäre Ziel der Krebsfrüherkennung ist das Senken der Mortalitätsrate (vgl. Kraywinkel et al. 2012, S.1). Bisher lassen sich noch keine Wirkungen von Früherkennungsmaßnahmen erkennen, da die Datenbasis aus der Zeit vor der Früherkennung in großen Teilen fehlt, weil die Krebsregister erst kurz vor den Früherkennungstests aufgebaut wurden. Brustkrebsdaten können über eine maximale Spanne von 3 Jahren mit und ohne Früherkennung verglichen werden, da das Mammographiescreening erst 2009 flächendeckend durchgeführt wurde (vgl. Kraywinkel et al. 2012, S.8) und die aktuellsten, ausgewerteten Daten von 2012 stammen (vgl. Zentrum für Krebsregisterdaten am Robert Koch-Institut1 2015). 11 Jedes Screeningverfahren weist gewisse Verzerrungen, auch Bias genannt, auf. Es gibt drei verschiedene Biastypen, das Lead-time-Bias, das Length-Bias und das Compliance-Bias. Das Lead-time-Bias beschreibt eine Verzerrung durch eine vorverlegte Diagnose. Durch eine Früherkennungsmaßnahme erhält eine kranke Person meistens eine Diagnose schon bevor der Tumor Symptome zeigt, was ja ein Ziel ist. Es ist nur problematisch, wenn die frühe Diagnosestellung keine erhöhten Heilungschancen mit sich bringt. Bei langsam wachsenden Tumoren kann ein Therapieerfolg auch nach Eintritt von Symptomen verzeichnet werden. Insgesamt steigt in der Statistik zum Beispiel die 5-Jahres-Überlebensrate an, im Endeffekt stirbt der Patient aber zum gleichen Zeitpunkt, an dem er auch ohne Screening gestorben wäre (Fletcher et al. 1999, S.250ff.). „In dieser Situation würde die Screeninguntersuchung den Menschen scheinbar helfen, länger zu leben, in Wirklichkeit würde ihnen aber nicht mehr ‚Überlebenszeit‘, sondern mehr ‚Krankheitszeit‘ gegeben werden“ (Fletcher et al. 1999, S.251). Bei dem Length-Bias handelt es sich um eine „Verzerrung durch die Zeitdauer der Erkrankung“ (Fletcher et al. 1999, S.252). Eine Früherkennungsmaßnahme erkennt langsam wachsende Tumoren mit höherer Wahrscheinlichkeit als schnell wachsende, denn die schnell wachsenden können leichter zwischen zwei Screeningterminen auftreten. Somit werden bei einem Früherkennungstest im Verhältnis mehr langsam wachsende Tumoren diagnostiziert. Das hat zur Folge, dass Tumoren, die im Rahmen eines Screenings entdeckt wurden, eine bessere Überlebensrate aufweisen als solche, die außerhalb entdeckt wurden. Das muss aber nicht für die Früherkennungsmaßnahme sprechen (vgl. Fletcher et al. 1999, S.252f.). Bei dem Compliance-Bias geht die Verzerrung nicht vom Screening selbst aus, sondern von den Teilnehmern. An Früherkennungsmaßnahmen nehmen vermehrt Personen teil, die dazu tendieren, einem ärztlichen Rat Folge zu leisten. Diese Personen erzielen auch meistens ein besseres Ergebnis, was die Überlebensraten betrifft, da sie die ärztlichen Anordnungen zur Therapie genauer befolgen. Das führt wiederum zu einer verbesserten Darstellung der Früherkennungsmaßnahme, obwohl sie in Wirklichkeit keinen Einfluss auf die gesteigerten Überlebensraten hat (vgl. Fletcher et al. 1999, S.254ff.). Die festgestellten Veränderungen der Überlebens- und Mortalitätsraten aus den Studien müssen nicht zwingend von den Früherkennungstests her rühren. Gesellschaftliche Veränderungen, wie eine gesündere Lebensweise oder verminderter Tabakkonsum können die Daten verändern. Auch eine Verbesserung der medizinischen Behandlungsmöglichkeiten kann die Überlebensraten steigern und somit die Mortalität senken. Ein weiterer positiver Aspekt der Früherkennung ist, dass sie vielen gesunden Menschen die Angst davor nimmt, an einem unerkannten Krebs zu leiden. Da alle Früherkennungsmethoden eine relativ hohe Sensitivität haben und somit wenig falsch-negative Ergebnisse produzieren, schließt ein negativer Befund eine bestehende Krebserkrankung fast gänzlich aus. Wählt man bei der Mammographie eine Sensitivität von 90%, wären 2012 unter den 2.618.365 negativen Testbefunden nur 1.944 falsch-negative gewesen. Damit beträgt die Wahrscheinlichkeit, bei einem negativen Ergebnis trotzdem an Brustkrebs zu leiden, weniger als 0,1% (vgl. Malek und Kääb-Sanyal 2016, S.5). 12 Als negativer Aspekt der Früherkennungsmaßnahmen wird auch die Übertherapie angesehen. Man spricht von einer Übertherapie, wenn ein Patient behandelt wird, obwohl „sein“ Tumor innerhalb seiner Lebenszeit nie ein krankheitswertiges Stadium erreicht hätte. Aufgrund der Tatsache, dass die Tumorentwicklung nicht bestimmt werden kann, gibt es Übertherapien. Erhält ein Patient ein positives Ergebnis, wird zunächst abgeklärt, ob es auch tatsächlich korrekt ist. Wird ein Tumor diagnostiziert, berät der Patient mit dem Arzt über das weitere Vorgehen. Dabei fällt die Entscheidung, ob der Krebs behandelt werden soll, so gut wie immer zu Gunsten der Therapie aus, da niemand den Krankheitsverlauf vorhersagen kann, und die Möglichkeit einer Heilung besteht (vgl. Versicherungskammer Bayern 2015). Früherkennung ist sehr teuer, vor allem durch die hohen Teilnehmerzahlen ergeben sich immense Summen. Die gesetzliche Krankenversicherung hat 2015 ca. 2,18 Milliarden Euro für Früherkennungsmaßnahmen ausgegeben. Das entspricht 1% der Gesamtausgaben in diesem Jahr (vgl. Gesetzliche Krankenversicherung 2016). Wer an einer Früherkennungsmaßnahme teilnimmt, setzt sich einer gewissen Belastung aus, bei der Mammographie zum Beispiel der Röntgenstrahlung, bei auffälligem Befund auch einer Biopsie. Die Strahlenbelastung beim Röntgen der Brust beträgt 0,2 bis 0,6 Millisievert. Die jährliche natürliche Strahlenbelastung, der jeder Organismus ausgesetzt ist, beträgt ca. 4 Millisievert (vgl. Krebsinformationsdienst des Deutschen Krebsforschungszentrums). Jede Strahlenbelastung erhöht das Krebsrisiko, bei der Mammographie ist die Belastung allerdings so gering, dass eine Auswirkung auf das Krebsrisiko nicht zu quantifizieren ist. In Bezug auf die Wahrscheinlichkeit, an Brustkrebs zu sterben, ist das Strahlenrisiko bei der Mammographie verschwindend gering (vgl. Nekolla 2004, S.191f.). Bei der Koloskopie im Rahmen des Darmkrebsscreenings besteht ein gewisses Risiko, dass es zu Komplikationen kommt. 2008 kam es in Bayern bei 236.087 Koloskopien zu 152 HerzKreislauf-Komplikationen, von denen drei tödlich verliefen. Dazu kam es zu 520 Blutungen und 69 Darmperforationen, wobei 10 der Darmblutungen und 50 der Darmperforationen nur mittels einer Operation beseitigt wurden (vgl. Mansmann et al. 2008, S.436). Die Koloskopien stellen nicht nur eine körperliche, sondern auch psychische Belastung dar. Auch vor einer Biopsie ist die psychische Belastung der Patienten hoch, da hier ein positiver Befund abgeklärt wird. Bei der Biopsie besteht das Risiko Krebszellen zu verschleppen, also die Ausbreitung der Tumorzellen im Gewebe zu begünstigen. Außerdem finden die meisten Gewebeentnahmen unter Röntgenkontrolle statt, was wiederum eine Strahlenbelastung für den Körper bedeutet (vgl. Krebsinformationsdienst des Deutschen Krebsforschungszentrums 2012). Bei der konkreten Ausgestaltung von Früherkennungsmaßnahmen müssen viele Parameter festgelegt werden. Die Entscheidung, wie diese ausfallen, ist nicht immer objektiv möglich. Bei der Festlegung von Sensitivität und Spezifität muss beispielsweise das Risiko eines falsch-negativen Befundes, also einen bestehenden Krebs zu übersehen, gegen die Belastung durch vermehrte falsch-positive Befunde abgewogen werden. Auch bei der Bestimmung der Altersgrenzen gibt es keine eindeutigen Kriterien, da der altersbedingte Anstieg der Inzidenz kontinuierlich erfolgt. Kostengründe können die Entscheidung ebenfalls beeinflussen. 13 6. Fazit Die meisten Mediziner sind überzeugt, dass Früherkennungsmaßnahmen hilfreich sind, um die Zahl von Todesfällen und schweren Krankheitsverläufen durch Krebserkrankungen zu senken. Durch die bislang vorliegenden Statistiken werden die Auswirkungen allerdings noch nicht deutlich. Diesem Vorteil stehen hohe Kosten und körperliche Belastungen gegenüber. Das Verhältnis von Vor- und Nachteilen wird in einem wesentlichen Maße durch die Festlegung vieler einzelner Bedingungen beeinflusst. Durch die optimale Abstimmung dieser Größen, wie Art und Häufigkeit der Untersuchung, Altersgrenzen, Auswertungsqualität und Organisation der Einladung, kann das bestmögliche Ergebnis erzielt werden. Die Frage, was das „bestmögliche Ergebnis“ ist, hängt nicht nur von objektiven Tatsachen, sondern in mancherlei Hinsicht auch von einer subjektiven Bewertung ab. Deshalb sollten die variablen Parameter der Früherkennungstests von wirtschaftlich unabhängigen Experten aus allen Fachbereichen sowie von Patientenvertretern getroffen werden. Früherkennungsmaßnahmen entfalten ihre Wirksamkeit erst, wenn ein Tumor bereits aufgetreten ist. Besser wäre es, Krebserkrankungen von vornherein zu vermeiden. Deshalb ist es sinnvoll, den Fokus nicht nur auf Früherkennung zu legen, sondern auch auf Präventionsmaßnahmen. 7. Literaturverzeichnis Altenhofen Lutz: Darmkrebs trotz Screeningangebot. In: Deutsches Ärzteblatt International, 106 (12), S.193-194, 2009 Bauer Manfred: Epidemiologie psychischer Störungen. In: Machleidt Wielant, Bauer Manfred, Lamprecht Friedhelm, Rohde-Dachser Christa, Rose Hans K. (Hrsg.): Psychiatrie Psychosomatik und Psychotherapie. Stuttgart, New York 72004 Baum M.: The Breast Screening Controversy. 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