29 3. Ähnlichkeitsabbildungen 3.1 Definitionen: Ähnlichkeitsabbildungen, Dilatationen Bis jetzt haben wir Isometrien (Kongruenzabbildungen) betrachtet. Diese Abbildungen wurden aufgebaut aus den Geradenspiegelungen. Isometrien sind bijektive Abbildungen, die längentreu, geradentreu und winkeltreu sind. Kongruente Figuren sind deckungsgleiche Figuren ( ! ). Wir verzichten nun auf die Längentreue. Dies führt zu den Ähnlichkeitsabbildungen. Definition: Eine geradentreue und winkeltreue, bijektive Abbildung der Ebene auf sich heisst eine Ähnlichkeitsabbildung. Die Bildfigur entsteht durch Vergrösserung des Urbildes (oder Verkleinerung). Jede Strecke wird im gleichen Massstab verändert (z.B. verdoppelt). Das Längenverhältnis zweier Strecken im Urbild und im Bild ist gleich. Man schreibt für zwei ähnliche Figuren A und A‘ : A ~ A‘. Nun fordern wir zusätzlich, dass jede Gerade auf eine zu ihr parallele Geraden abgebildet wird. Eine solche Abbildung nennt man Dilatation. Definition Eine bijektive Abbildung der Ebene auf sich heisst Dilatation, wenn sie jede Gerade auf eine zu ihr parallele Gerade abbildet. ! g UNIZH MA430 Geom 1 J.S-D g' 30 Eigenschaften der Dilatationen • Die Dilatationen sind winkeltreu, also Ähnlichkeitsabbildungen. ! ! g h g’ || g • Die Translationen sind Dilatationen. Sie sind die einzigen Dilatationen ohne Fixpunkt. (Eigenschaft 6 der Translationen, Seite 22) ! Translation (" id) • h’ || h # ! Dilatation ohne Fixpunkt Bei einer Dilatation mit Fixpunkt ist jede Gerade durch einen Fixpunkt eine Fixgerade. g = g’ S • Eine von der Identität verschiedene Dilatation hat höchstens einen Fixpunkt. Eine Dilatation mit genau einem Fixpunkt S heisst zentrische Streckung. Beweis? UNIZH MA430 Geom 1 J.S-D 31 3.2 Zentrische Streckung Definition Eine Dilatation mit genau einem Fixpunkt S heisst zentrische Streckung. Der Fixpunkt S heisst Streckzentrum. Die zentrischen Streckungen sind ausser der Identität die einzigen Dilatationen mit Fixpunkt. Abbildung eines Dreiecks durch eine zentrische Streckung mit Zentrum S: C C‘ S B A B‘ A’ Eigenschaften der zentrischen Streckung 1. Bei einer zentrischen Streckung mit dem Zentrum S liegen ein beliebiger Punkt P (≠S) und sein Bild P' auf einer Geraden durch den Fixpunkt S. 2. Bei einer zentrischen Streckung wird jede Gerade g, die nicht durch das Zentrum S geht, auf eine von g verschiedene Parallele abgebildet. Bemerkung Eine zentrische Streckung ist durch ihr Zentrum S und durch einen von S verschiedenen Punkt A und sein Bild A' eindeutig festgelegt. UNIZH MA430 Geom 1 J.S-D 32 Satz 1: Bei einer zentrische Streckung mit dem Zentrum S gilt für jeden Punkt A und sein Bild A' !!!" !!" SA' = k !SA wobei k (≠ 0) eine feste reelle Zahl ist. k heisst Streckfaktor. Bezeichnung: zentrische Streckung mit Streckzentrum S und Streckfaktor k: ZS k ' Bemerkung | k | > 1: Vergrösserung der Entfernung von S | k | < 1: Verkleinerung der Entfernung von S k > 0: Urbild und Bild liegen auf derselben Seite von S k < 0: Urbild und Bild liegen auf entgegengesetzten Seiten von S Beweis von Satz 1: Untersuchung der Längenverhältnisse !!" !!!" 1. Wir wählen einen beliebigen Punkt P, sein Bild sei P’. Die Vektoren SP, SP ' seien !!!" !!" gleichgerichtet und SP ' = k SP , wobei k !#, k > 0 k= m , m, n !! n !!" !!" Nun wählen wir den Punkt E, so dass gilt: nSE = SP !!!" !!" m !!" !!" Damit wird SP ' = kSP = nSE = mSE n g P’ P E S F Q Q’ h UNIZH MA430 Geom 1 J.S-D 33 Liegt der Punkt Q nicht auf der Geraden g durch S und P und ist h die Gerade durch S und Q, so schneiden die Parallelen zu PQ durch alle Teilpunkte von g auf der Geraden h kongruente Teilstrecken aus. !!" !!" Der Vektor SE auf g entspricht dem Vektor SF auf h und es gilt: !!" !!" !!!" m !!" !!" SB = nSF !# !!!" !!" " % SB' = SB = kSB n SB' = mSF $# Liegt der Punkt R auf der Geraden g, so kann jetzt wie vorher, aber von der Geraden h aus argumentiert werden. Ist k !! irrational, dann muss die irrationale Zahl durch rationale Zahlen ( z.B. mit Intervallschachtelungen) approximiert werden. !!" !!!" 2. Sind die Vektoren SP, SP ' parallel, aber entgegengesetzt, also k < 0, dann spiegelt man zuerst A’ an S, ergibt A* und folgert wie bei 1. A A* !!!" !!" SA' == kSA, k < 0 !!!!" !!" SA * = !kSA S A’ !!!" " 3. Ist k = 0, also SA' = 0 , dann wird jeder Punkt auf S abgebildet. Diese Abbildung ist aber nicht injektiv! Ende Beweis Auch die Umkehrung von Satz 1 ist richtig. Damit kann man eine zur Definition der zentrischen Streckung äquivalente Definition angeben. Satz 2: Eine Abbildung ϕ = ZS k ' der Ebene auf sich ist eine zentrische Streckung mit Zentrum S und Streckfaktor k Verallgemeinern wir nun Satz 1, dann gilt: UNIZH MA430 Geom 1 J.S-D ⇔ Jedem Punkt A wird ein Punkt A' so zugeordnet, dass A und A' auf einer Geraden durch S liegen und dass gilt: !!!" !!" SA' = k !SA . 34 Satz 3: Bildet die zentrische Streckung ZS k A auf A' und B auf B' ab, dann gilt für die ' !!!!" !!!" Vektoren: A' B' = k ! AB Das Bild einer Strecke hat also die |k| - fache Länge der Urbildstrecke. B’ B S A A‘ Bemerkungen k = 1: Die Identität ist ein Spezialfall einer zentrischen Streckung. k = -1: Die Punktspiegelung ist auch eine spezielle zentrische Streckung. Die Sätze 2 und 3 sind gleichbedeutend mit den Strahlensätzen. 1. Strahlensatz Werden zwei von einem Punkt ausgehende Strahlen (oder deren entgegengesetzte Strahlen) von parallelen Geraden geschnitten, so verhalten sich die Längen der Abschnitte auf dem einen Strahl wie die Längen der entsprechenden Abschnitte auf dem anderen Strahl. | SA! | | SB! | | k | = = | SA | | SB | 1 B' A' B S S A A' UNIZH MA430 Geom 1 J.S-D B' B A 35 2. Strahlensatz Werden zwei von einem Punkt ausgehende Strahlen von zwei Parallelen geschnitten, so verhalten sich die Längen der Abschnitte auf den Parallelen wie die der zugehörigen Scheitelabschnitte auf einem Strahl. | A' B'| | SA'| = =|k| | AB | | SA | Weitere Eigenschaften der zentrischen Streckung ZS k ' • Das Längenverhältnis zweier Bildstrecken ist gleich dem Längenverhältnis ihrer Urbildstrecken. • Ein Dreieck und sein Bild haben dieselbe Orientierung. • Die Flächeninhalte von Bild und Urbild verhalten sich wie • Die zur zentrischen Streckung ZS k ' den Streckfaktor 1 . k k2 . 1 inverse Abbildung hat dasselbe Streckzentrum und (ZS,k )!1 = ZS,1k Die Eigenschaft c) überlegt man sich zuerst für Dreiecke. Dann betrachtet man Polygone (geschlossene Streckenzüge), die man vollständig mit Dreiecken ausschöpfen kann. Schliesslich können krummlinig begrenzte Figuren durch Dreiecke beliebig genau approximiert werden. Beispiele 1. In ein Dreieck ABC soll ein Quadrat PQRS mit P, Q ∈ AB, R ∈ BC, S ∈ AC eingezeichnet werden. 2. Konstruiere durch den Schnittpunkt S zweier Kreise k1 und k2 eine Sekante, sodass die beiden auf ihr liegenden Sehnen sich wie 2 :3 verhalten. UNIZH MA430 Geom 1 J.S-D 36 3.3 Harmonische Teilung und Apolloniuskreis Gegeben ist eine Strecke AB (B ≠ A) und ein Streckfaktor k (≠ 1). Wo liegt das Streckzentrum S? !!" !!" SB = k ! SA Es gilt: !!!" !!!" S1 B = k1 S1 A k1 > 0 : S1 A !!!" !!!" S2 B = k2 S2 A k2 < 0 : B A S2 S1 heisst äusserer Teilpunkt B S2 heisst innerer Teilpunkt Definition Ist | k2 | = k1 = k (> 0), so wird die Strecke AB durch die Punkte S1 und S2 harmonisch geteilt. AS1 AS2 = =k BS1 BS2 Die Konstruktionsideen werden durch folgende Beispiele klar. 1. Beispiel: Die Strecke AB soll harmonisch im Verhältnis 2 : 3 geteilt werden. A B 2. Beispiel: Kennt man die Strecke AB und einen Teilpunkt S, so ist der andere Teilpunkt T eindeutig bestimmt. A UNIZH MA430 Geom 1 J.S-D S B Satz 4: 37 Teilen die Punkte S und T die Strecke AB harmonisch im Verhältnis k, so teilen die Punkte A und B die Strecke ST auch harmonisch, und zwar im Verhältnis k +1 . != k "1 (Beweis in der nächsten Uebungsserie!) Wir zeichnen im Dreieck ABC die Winkelhalbierende von γ. Diese schneidet die gegenüberliegende Seite AB = c im Punkt D. Warum gilt folgender Satz? Satz 5: In einem Dreieck teilt die Winkelhalbierende eines Innenwinkels die gegenüberliegende Seite im Verhältnis der anliegenden Seiten. C Äussere Winkelhalbierende wγ’ T b A a c D B a E Innerere Winkelhalbierende Satz 5': wγ Ist das Dreieck nicht gleichschenklig, so teilt auch die Winkelhalbierende des Aussenwinkels die gegenüberliegende Seite im Verhältnis der anliegenden Seiten. Damit erhalten wir den berühmten Satz des Apollonius. UNIZH MA430 Geom 1 J.S-D 38 Satz 6: Kreis des Apollonius Die Menge aller Punkte, für die das Abstandsverhältnis zu zwei festen Punkten A und B den konstanten Wert k annimmt, ist der Kreis mit dem Durchmesser ST, wobei S und T die Strecke AB harmonisch im Verhältnis k teilen. C b a A S B M 3. Beispiel: Konstruieren Sie ein Dreieck aus den Seiten b = 6, c = 3 und der Winkelhalbierenden w! = 3.5. UNIZH MA430 Geom 1 J.S-D T 39 Satz 7: Die Seitenhalbierenden eines Dreiecks schneiden sich in einem Punkt S, der jede Seitenhalbierende innen im Verhältnis 2:1 teilt. S heisst der Schwerpunkt des Dreiecks. C A' B' S B C' A Satz 8: In einem Dreieck schneiden sich die drei Winkelhalbierenden in einem Punkt. C wβ wα W b a A B wγ UNIZH MA430 Geom 1 J.S-D 40 3.4 Verschiedene Ähnlichkeitsabbildungen 3.41 Ähnlichkeitsabbildungen allgemein Satz 9: Eine Ähnlichkeitsabbildung ϑ ist durch drei nicht kollineare Punkte und ihre Bildpunkte eindeutig bestimmt. ϑ: A → A' B → B' C → C' a) Zwei Dreiecke sind genau dann ähnlich, wenn zwei Winkel des einen Dreiecks gleich den entsprechenden Winkeln des anderen Dreiecks sind. b) Zwei Dreiecke sind genau dann ähnlich, wenn sie in den Verhältnissen der drei Seitenlängen übereinstimmen. a a' a a' = , = , ! = !' , " = "' , # = # ' . b b' c c' C’ b’ C α A Satz 10: A’ γ b β c a α’ γ’ a’ c B β’ B’ Eine Abbildung ist genau dann eine Ähnlichkeitsabbildung ϑ, wenn sie darstellbar ist als Verknüpfung einer Isometrie ϕ und einer zentrischen Streckungen ZS k . ' ! Ähnlichkeitsabbildung " ! = Z S, k ! # Beweis: "!": Ist ϕ eine Isometrie und ZS,k eine zentrische Streckung, so ist die Verknüpfung der beiden Abbildungen eine Ähnlichkeitsabbildung. "!": Ist ϑ eine Ähnlichkeitsabbildung, dann ist sie durch 3 nicht kollineare Punkte und ihre Bilder eindeutig bestimmt. ! :!ABC "!A' B'C ' UNIZH MA430 Geom 1 J.S-D 41 Man kann die Abbildung zum Beispiel zerlegen in eine Translation gefolgt von einer Rotation und einer zentrischen Streckung. """# ! = Z A ', k ! RA ', µ ! T"AA ' C’ C2 B’ C1 B2 µ A’ C B1 ! """! v = AA' A UNIZH MA430 Geom 1 J.S-D B 42 3.42 Drehstreckungen und Klappstreckungen Definition Eine Drehstreckung ist die Verknüpfung einer zentrischen Streckung und einer Rotation mit demselben Zentrum ! = RS," ! Z S, k Es gilt: ! = RS," ! Z S, k = Z S, k ! RS," Spezielle Drehstreckungen: i) α = 0°: zentrische Streckung ii) k = 1: Rotation RS,0 ! Z S.k = Z S, k RS,! ! Z S,1 = RS,! k = 1, α = 0°: Identität iii) RS,0 ! Z S,1 = id • Eine Drehstreckung, die nicht die Identität ist, hat genau einen Fixpunkt. • Bei Drehstreckungen genügt es, positive k zu betrachten, denn ! = RS," ! Z S, k = RS," +180° ! Z S,# k UNIZH MA430 Geom 1 J.S-D 43 Definition Eine Klappstreckung ist die Verknüpfung einer zentrischen Streckung und einer Geradenspiegelung, deren Achse durch das Streckzentrum geht. ! = Sg ! Z S, k ! = Sg ! Z S, k = Z S, k ! Sg Es gilt: Spezielle Klappstreckung: k = 1: Geradenspiegelung • Sg ! Z S,1 = Sg Eine Klappstreckung mit |k| ≠ 1 hat genau einen Fixpunkt. Satz 11: Die Verknüpfung einer gleichsinnigen Isometrie und einer zentrischen Streckung (k ≠ 1) ist eine Drehstreckung. Die Verknüpfung einer ungleichsinnigen Isometrie und einer zentrischen Streckung (k ≠ 1) ist eine Klappstreckung. UNIZH MA430 Geom 1 J.S-D 44 Satz 12: Die Verknüpfung zweier zentrischer Streckungen Z S2 , k2 ! Z S1 , k1 mit verschiedenen Zentren S1 ≠ S2 und k = k2 ! k1 ist: a) eine zentrische Streckung ZS,k, falls k ≠ 1, und einem Zentrum S, das auf der Geraden S1S2 liegt. !!!" 1 ! k2 !!!!" Für die Lage von S gilt: S1S = S1S2 1 ! k1k2 ! b) eine Translation Tv! , falls k = 1, wobei v parallel zur Geraden S1S2 ist und Satz 13: """"! ! v = (1 ! k2 )S1S2 Gegeben sind eine Translation Tv! und eine zentrische Streckung Z S, k (k ! 1) . Dann ist die Verknüpfung wieder eine zentrische Streckung. ####" Z S, k ! Tv" = Z S*, k , wobei SS * = UNIZH MA430 Geom 1 J.S-D k " v. 1! k