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Deutschlandradio Kultur
Forschung und Gesellschaft am 10. Juli 2008
Redaktion: Peter Kirsten
LEBEN AUS KOSMISCHEM STAUB?
Biomoleküle im Weltall
Von Kurt Darsow
REGIE: Caféhausgeräusche
SPRECHERIN: Auch Robinson hatte etwas gegen einsame Inseln ...
SPRECHER: ... und entdeckte Fußspuren am unwirtlichen Gestade,
die sich bezeichnenderweise als seine eigenen erwiesen.
SPRECHERIN: Eine Projektion, würden die Psychologen sagen:
Defoes Geschichte eines Schiffbrüchigen geht schließlich von der
geselligen Natur des Menschen aus.
SPRECHER: „In der Nacht ist der Mensch nicht gern alleine“, wie
es so schön heißt.
SPRECHERIN: Da ganz besonders: statt uns allein im Bett zu
wälzen, umgeben wir uns lieber mit Traumgestalten.
SPRECHER: Seit es keine einsamen Inseln mehr gibt, schießen die
Traumgestalten aber erst richtig ins Kraut. Irgend etwas scheint auf
der Erde schief zu laufen.
SPRECHERIN: Stimmt: über Mangel an Geselligkeit können wir
uns heute nicht mehr beklagen. Doch über unseren Köpfen ist es nach
wie vor öd und leer: schwarze Abgründe tun sich auf und wollen
bevölkert werden.
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SPRECHER: Der amerikanische Kosmologe Max Tegmark ist sogar
der Ansicht, die sichtbare Welt sei nur ein winziger Bruchteil des
tatsächlichen Universums. Was lässt sich darin nicht alles
unterbringen?
SPRECHERIN: Der Weltraum ist für Geselligkeits-Apostel eben
wie geschaffen – schon aus statistischen Gründen: Wo sehr viele
Sterne sind, muss auch sehr viel Leben sein, sagen sie.
SPRECHER: Übrigens konnten schon Giordano Bruno und
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Immanuel Kant sich die Erde nicht als einsame Lebensinsel
vorstellen. Und auch dem holländische Astronomen Christian
Huygens kam die Idee in einer Schrift mit dem Titel Himmlische
Welten: Mutmaßungen über die Einwohner, Pflanzen und Erzeugnisse
der Planetenwelt ziemlich abwegig vor:
ZITATOR: „Anzunehmen, dass die Planeten nichts weiter als
gewaltige Wüsteneien darstellten und ihnen all jene Geschöpfe
abzusprechen, die deutlicher von ihrem göttlichen Baumeister zeugen,
hieße sie der Erde an Schönheit und Würde nachstellen, was
nachgerade vernunftwidrig wäre.“
REGIE: Musik
SPRECHERIN: Die Ketzereien von damals sind die Gemeinplätze
von heute geworden: Im Stargate-Universum lauern Außerirdische
hinter jeder interstellaren Ecke. Neuerdings scheinen sie sogar das
Wohnzimmer mit uns zu teilen, ohne dass wir etwas davon
mitbekommen. Es spukt im Gebälk – wenigstens aus
quantenphysikalischer Sicht.
SPRECHER: Ehe wir uns in Parallelwelten verirren, sollten wir
lieber nach den Fakten fragen. Der Physiker Paul Davies hält die
Entstehung von Leben im Universum für „so normal und natürlich
wie die Bildung von Salzkristallen“. Auch denkende Wesen seien
„Teil und Inhalt des großen Schemas“, meint er. Was hat er außer
solchen steilen Thesen zu bieten? Wo bleiben seine Beweise?
O-TON 1 (Herrmann): Es ist also schon zu einem Gutteil eine
Glaubensfrage, ob man das Phänomen Leben für zum Weltall dazu
gehörig betrachtet oder ob man – wie es ja auch viele Wissenschaftler
immer noch tun – die Herausbildung von Leben als einen einmaligen
oder zumindestens höchst unwahrscheinlichen Prozess ansehen
möchte. Die Gegner dieser Idee von Paul Davies und anderen berufen
sich ja immer darauf, dass die Entstehung eines so komplizierten
Gebildes wie eines Proteins, wenn es durch reine
Zufallskombinationen in der Natur ausprobiert wird, länger benötigen
würde als das Weltall überhaupt existiert.
SPRECHERIN: Der Astronom Dieter B. Herrmann ist von
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Ursprungsfragen fasziniert, seit er im Alter von zwölf Jahren ein Buch
mit dem Titel Der Mensch und die Sterne las. „Was gehen uns die
fernen Sterne an?“, wurde dort gefragt. Das hörte sich für ihn an, als
könnten wir zu den kalt glitzernden Lichtpunkten am Himmel eine
persönliche Beziehung aufnehmen, als hätten das Ferne und das Nahe
unmittelbar etwas miteinander zu tun.
SPRECHER: Wenn der langjährige Direktor der Berliner
Archenhold-Sternwarte heute auf seine astronomische Laufbahn
zurückblickt, erweist sich der große Zusammenhang, in dem die Erde
und ihre Bewohner stehen, als ein Grundmotiv seines Forschens und
Nachdenkens. Schon im Alter von zwölf Jahren war er intuitiv von
einer „Lebenslogik im Universum“ überzeugt: Was die Erde auf
naturgesetzlicher Basis hervorgebracht hat, muss es demnach auch
anderswo geben. Dass diese Sichtweise heute von vielen Experten
geteilt wird, beeindruckt ihn dagegen weniger:
O-TON 2 (Herrmann): Wissenschaft ist eben insofern keine
demokratische Institution als Mehrheitsmeinungen hier überhaupt
keine Rolle spielen. Ich könnte Ihnen zwanzig Beispiele aufzählen, in
denen sich zeigte, dass gerade die Meinung eines einzelnen gegen die
Mehrheit die richtige Meinung gewesen ist, wie die Forschung dann
später gezeigt hat. Ich hänge zwar auch der Idee an, dass Leben ein
universelles Phänomen ist, aber es ist in der Tat mehr oder weniger
eine Glaubensüberzeugung.
REGIE: Musik
SPRECHERIN: Unbestreitbar ist jedoch bisher nur, dass die
Entstehung von Leben einmal im Universum stattgefunden hat,
nämlich auf der Erde. Umso größer war die Aufregung, als sich 1996
an einem Meteoriten, der zehn Jahre zuvor im antarktische Eis
aufgelesen worden war, wurmartige Strukturen zeigten, die sich als
fossile Überreste von Bakterien deuten ließen.
SPRECHER: Ein amerikanischer Präsident raunte vor der Presse
von „atemraubenden Schlussfolgerungen“ und versprach sich von
dem Zufallsfund „Antworten auf die ältesten Fragen des
Menschengeschlechts“: Woher kommen wir? Wer sind wir? Wozu
sind wir da? Inzwischen staubt der sagenumwobene Meteorit ALH
5
84001 längst wieder in irgendeiner mineralogische Schublade still vor
sich hin.
SPRECHERIN: Was vorschnell als extraterrestrisches Indiz für die
These vom lebendigen Universum gefeiert wurde, hat sich als rein
anorganische Ablagerung ohne weiteres Interesse erwiesen. Ob der
„möglicherweise bahnberechenden
Fund“ eines britischen
Forscherteams substanzieller ist, der vor ein paar Wochen durch die
Fachpresse geisterte? Vielleicht finden ja die Nukleobasen Uracil und
Xanthin, die Zita Martins vom Londoner Imperial College in einem
Meteoriten entdeckt haben will, eine ähnlich triviale Erklärung und
sind das Ergebnis einer irdischen Kontamination?
SPRECHER: Kosmisches Material, das auf verschlungenen Wegen
auf die Erde gelangt ist, hat offenbar seine Tücken. Und auch die
Schürfungen auf dem Mars im Rahmen aufwendiger Missionen haben
bisher zu keinen greifbaren Ergebnissen geführt. Ob die Sonde der
Phoenix-Mission erfolgreicher sein wird, die gegenwärtig die
chemische Zusammensetzung des Marsbodens untersucht, lässt sich
noch nicht absehen und ist im übrigen nicht unser Thema. Vielleicht
gibt ja die Strahlung, die von weit entfernten Himmelskörpern
ausgesandt wird, bereitwilliger Auskunft. Doch auch dieser Weg
erweist sich als mühsam, wie „einer der Großen seines Fachs“
eingestehen muss:
O-TON 3 (Sedlmayr): Um jetzt Leben wirklich festzustellen,
brauchen wir Indikatoren, die für Leben wichtig sind. Und da hat sich
herausgestellt, dass Ozon mit dem Leben auf der Erde eng verbunden
ist. Ozon ist das Molekül O3, also aus drei Sauerstoffatomen
bestehend, und wenn man das finden würde, das ja sonst nicht
entsteht in einer Atmosphäre, dann müsste das lebengemacht sein. So
ein Ozonmolekül hat man bisher noch nicht gefunden.
SPRECHERIN:
Erwin
Sedlmayr
überblickt
aus
dem
Panoramafenster seines Arbeitszimmers im Institut für Astrophysik
der Technischen Universität nicht nur ganz Berlin; der „Herr des
Sternenstaubs“ nimmt in seinem luftigen Beobachtungsposten auch
Lichtjahre entfernte Objekte, nämlich Rote Riesen und Weiße
Zwerge, ins Visier. Die Leidenschaft des Astrophysikers gilt dem
Werden und Vergehen der Sterne.
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SPRECHER: Dass Planeten eine regelmäßige Begleiterscheinung
der Sternentstehung sind, hält er für wissenschaftlich gut belegt: Noch
in den achtziger Jahren des vorigen Jahrhunderts war dies lediglich
eine Hypothese, die aus beobachtungstechnischen Gründen nicht zu
beweisen war. Doch inzwischen werden von Jahr zu Jahr immer mehr
sogenannte „Exoplaneten“ entdeckt: Sonnensysteme wie das unsrige
sind aus himmelsmechanischen Gründen im Weltall offenbar die
Regel:
O-TON 4 (Sedlmayr): Wir kennen eben nur Leben auf der Erde,
aber Planeten – Exoplaneten, also Planeten um Sonnen außerhalb
unseres Sonnensystems, um andere Sonnen – hat man ja jetzt schon in
der Größenordnung hundert oder so entdeckt, sodass das
Planetenphänomen ein sehr, sehr normales zu sein scheint. Das liegt
auch daran, dass die Entstehung der Sterne ganz entscheidend
abhängig ist vom Drehimpuls dieses Objekts, und es ist eine der
wichtigsten Bedingungen, dass die Wolke, die sich zusammenzieht und
zum Stern wird, ihren Drehimpuls los wird.
O-TON 5 (Herrmann): Die größeren Planeten sind natürlich
leichter zu entdecken. Wir sehen ja diese Planeten nicht, das muss
man sich immer wieder klar machen. Sie sind viel zu klein und viel zu
nah an ihren Sternen, als dass wir sie unmittelbar sehen können. Die
Nachweise sind also sämtlich indirekter Natur, und je größer diese
Planeten sind, je massereicher sie sind, umso leichter lassen sie sich
mit diesen Methoden entdecken. Es ist aber bestimmt keine Prophetie
von mir, wenn ich jetzt behaupte, dass innerhalb der nächsten zwei,
drei Jahre auch Planeten von Erdgröße den wissenschaftlichen
Messungen zugänglich sein werden, d.h. dass wir sie bisher nicht
gefunden haben, bedeutet nicht, dass sie nicht da sind.
SPRECHER: Steht der Erde also eine weitere „kopernikanische
Kränkung“ bevor, nachdem sie aus dem Mittelpunkt des Weltalls
verdrängt wurde und ihr Zentralgestirn an den Rand der Milchstraße
rückte? Jedenfalls sind sich die Experten hinsichtlich ihres
planetarischen Mittelmaßes heute weitgehend einig; und auch aus
anderen Richtungen häufen sich Befunde, die unseren Heimatplaneten
zu einem ganz gewöhnlichen Himmelskörper herabstufen. Vielleicht
ist ja nicht einmal das Leben seine ureigene Erfindung, sondern es
wurde irgendwo in der „Tiefe des Raumes“ ausgebrütet.
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REGIE: Musik
SPRECHERIN: Vierhundert Lichtjahre vom Zentrum unserer
Galaxis entfernt liegt die Molekülwolke Sagittarius B2. „Large
Molecule Heimat“ („Heimat der großen Moleküle“) hat sie der
amerikanische Astronom Lewis Snyder genannt. Im Innern dieser
riesenhaften Ansammlung von Gas und Staub werden nicht nur neue
Sterne aus der Taufe gehoben, sondern auch organische Substanzen,
aus denen sich lebenswichtige Aminosäuren bilden.
SPRECHER: Aminoacetonitril heißt eine dieser Substanzen, die
Forscher des Bonner Max Planck Instituts für Radioastronomie jetzt
im Spektrum der Molekülwolke Sagittarius B2 neben anderen
organischen Verbindungen wie Formaldehyd, Äthylalkohol,
Ameisensäure, Essigsäure und Äthylenglykol identifiziert haben. Sie
ist ein direktes Ausgangsprodukt der Aminosäure Glycin, dem
zweithäufigsten Baustein des Lebens. Erwin Sedlmayr hatte mit dieser
Entdeckung längst gerechnet:
O-TON 6 (Sedlmayr): Diese Entdeckung ist eine große Freude für
uns, weil wir in einer Dissertation ungefähr um 2000 herum die
Bildung von Glycin aus der Gasphase im Weltall, aus den einfachsten
Elementen Wasserstoff, Sauerstoff, Stickstoff, Kohlenstoff studiert
haben und genau derartige Vorstufen identifiziert haben, die sehr
häufig sein sollten im Gegensatz zu Glycin selber, weil zuerst einmal
diese stabilen Vorstufen entstehen, die dann bei günstigen
energetischen Situationen zu Glycin werden können.
SPRECHER: Die rund fünfzig Spektrallinien, von denen vierzehn
zuverlässig auf Aminoacetonitril hinweisen, stellten eine
spektralanalytische Herausforderung für die Bonner Forscher dar.
Auch musste inferometrisch sicher gestellt werden, dass die zur
Identifizierung herangezogenen Kennlinien aus ein und derselben
Lokalität der Molekülwolke stammten.
O-TON 7 (Sedlmayr): Wenn Sie ein wirklich empfindliches Teleskop
haben, dann trägt ja das Licht die Information zu uns. Und diese
Information steckt in den sogenannten Spektrallinien, die Moleküle
haben. Das sind in der Regel Übergänge in den Vibrationen des
Moleküls und in den Rotationen des Moleküls. Und deswegen können
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Sie die Moleküle sehr gut von den Atomen unterscheiden, weil Atome
nur Übergänge in der elektronischen Struktur, in der Elektronenhülle
des Atoms haben, während eben die Moleküle Vibration und Rotation
haben, wobei die Vibration vor allem im Infrarotbereich liegen und
die Rotationen im Radiobereich.
SPRECHER: Wie ist es überhaupt möglich, dass sich präbiotische
Moleküle wie Aminoacetonitril in einem chemischen Umfeld
herausbilden, dessen Materiedichte billionenfach geringer ist als die
der irdischen Lufthülle und die nach irdischem Maßstab fast einem
Vakuum gleichkommt? Offenbar spielten im Fall von Sagittarius B2
Staubpartikel eine wesentliche Rolle. An ihrer Oberfläche lagern sich
bestimmte Substanzen an. Stoßen sie dort mit freischwebenden
Molekülen zusammen, kommt es zu chemischen Reaktionen, die
durch direkten Zusammenstoß wegen der geringen Moleküldichte
nicht möglich wären.
SPRECHERIN: So dürfte es sich auch bei einer Substanz abgespielt
haben, die amerikanische Astrophysiker in 250 Millionen Lichtjahren
Entfernung mit dem größten Radioteleskop der Erde identifizieren
konnten. Es befindet sich in einer abgeschiedenen Bergregion Puerto
Ricos und wird nicht nur von SETI-Forschern zur Suche nach
intelligenten Signalen unserer „Brüder im All“ genutzt.
SPRECHER: Während deren Mitteilungsbedürfnis angesichts der
Erfolglosigkeit bisheriger Lauschaktionen nicht allzu groß sein dürfte,
erweist sich die Suche nach eher unscheinbaren, aber umso
lebenswichtigeren molekularen Objekten als sehr vielversprechend.
Methananimin heißt eine Substanz, die Robert Minchin mit dem 305Meter-Teleskop in Arecibo entdeckt hat. In Verbindung mit Wasser
und Wasserstoffcyanid ergibt sie ebenfalls Glycin. Welchen Reim
macht sich Dieter B. Herrmann auf diese geheimnisvolle Chemie, die
ein ganz bestimmtes Ziel anzusteuern scheint?
O-TON 8 (Herrmann): Diese Entdeckung ist ein weiteres Glied in
der Kette von schon früher gemachten Entdeckungen, dass nämlich in
Regionen des Universums, in denen man es nicht erwartet hätte, also
unter sehr unwirtlichen Bedingungen, offensichtlich chemische
Prozesse sich vollziehen, die zur belebten Materie hindeuten. Es ist
ein sehr, sehr starkes Argument dafür, dass im Weltall
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die Evolution des Lebens schon angelegt ist und dass die volle
Entfaltung eben erst dann eintreten kann, wenn noch andere
Bedingungen hinzukommen, also sprich: etwas Erdartiges oder
Erdähnliches.
SPRECHERIN: Während der amerikanische Chemiker Stanley
Miller noch 1953 glaubte, man brauche nur ein paar elektrische
Entladungen durch ein anorganisches Gasgemisch zu schicken und
schon habe man ein Modell dessen in Händen, was sich vor 3,8
Milliarden Jahren bei der Entstehung des Lebens auf der Erde
zugetragen hat, scheint inzwischen immer mehr für eine lange
kosmische Vorgeschichte der Prozesse zu sprechen, die damals in
Gang gekommen sind. Offenbar hat sich das Leben auf einer viel
breiteren Basis entwickelt, als bisher angenommen wurde.
O-TON 9 (Sedlmayr): Unter Biomolekülen verstehen wir jetzt auf
dieser primitiven Stufe der Approximation eigentlich die einfachsten
Aminosäuren. Diese bilden sich aus der Gasphase durch
entsprechende Vorformen, die dann mit einander z.B. zu Glycin
reagieren. Also, das war eine Überraschung, weil man nicht gedacht
hat, dass organische Moleküle im Weltall so häufig sind. In
Wirklichkeit sind sie die Grundbestandteile, aus denen letztlich dann
der kohlenstoffreiche interstellare Staub entsteht, wie er z.B. sich
dann bemerkbar macht in den kohligen Chondriten, den Meteoriten,
die wir auf der Erde finden.
SPRECHERIN: Fragt sich nur, warum die aus dem Weltall
herabgeregneten Lebenskeime sich ausgerechnet in unserem
„abgelegenen, sternenstaubigen Winkel der Milchstraße“ bis in die
lichten Höhen des Geistes empor gehangelt haben. Vielleicht hätte ja
auch alles ganz anders kommen können, und anstelle von denkenden
Zweibeinern hätten geifernde Cyborgs oder stählerne Androiden sich
die Erde untertan gemacht? Die Science Fiction hat das ganze Arsenal
der tier- und menschenähnlichen Varianten ja bereits durchgespielt ...
REGIE: Raketentriebwerk
ZITATOR: „Das Raumschiff landete um 15.47 Uhr, gut eine Meile
von Kimmeridge an der Südküste Englands entfernt. „Gerade
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rechzeitig zum Tee“, murmelte mein Begleiter, als wir durch das hohe
Gras den Hang hinaufliefen. Die drei Außerirdischen hatten sich
bereits auf den Boden niedergelassen. Als wir zu ihnen traten, fragte
ich: „Dürfen wir Ihnen einen Schluck Wasser anbieten?“ „Oder etwas
Stärkeres?“, ergänzte meine Begleiter. „Danke“, erwiderte einer
würdevoll. „Wir sind wirklich durstig, es ist heute ziemlich warm“.
„Woher wir stammen? Nun ja, wir nennen den Planeten Erde.“ Wir
blickten uns an – und sahen uns selbst.“
SPRECHER: Da weiß es offenbar einer ganz genau. Wie der arme
Robinson auf seiner Insel hat er auf seinem Forschungsfeld, den
fossilen Würmern des Kambriums, eine Fußspur entdeckt, die ihm
merkwürdig bekannt vorkommt: Der englische Paläobiologe Simon
Conway Morris ist in seinem Buch Jenseits des Zufalls. Wir
Menschen im einsamen Universum allen Ernstes der Überzeugung, die
Außerirdischen, wenn es sie denn gäbe, wären uns wie aus dem
Gesicht geschnitten. Erwin Sedlmayr sieht es etwas differenzierter:
O-TON 10 (Sedlmayr): Ich möchte in dem Sinne eine
Unterscheidung treffen, dass einfache Formen von den Gesetzen, die
wir kennen, wie Leben entsteht, die wir nur sehr unvollständig
kennen, sehr wahrscheinlich sind. Hier sind gewisse Prozesse
notwendig, die heute zwar noch nicht im Detail greifbar, aber doch
sehr logisch erscheinen. Während natürlich die Entwicklung von
höheren Lebensformen – man denke an die Wirbeltiere oder an Wesen
mit Intelligenz – noch mit einem großen Unsicherheitsfaktor behaftet
sind und wohl sehr spezielle Bedingungen erfordern.
SPRECHERIN: Der Paläontologe Peter D. Ward und der Astronom
Donald Brownlee sind noch skeptischer. Während die Propheten des
„geselligen Universums“ davon ausgehen, jeder halbwegs erdähnliche
Planet müsse automatisch auch eine technische Zivilisation
hervorbringen, weisen sie auf die Tatsache hin, dass es immerhin zwei
Milliarden Jahre gedauert hat, ehe in irgendeinem warmen Tümpel die
ersten komplexen Mikroorganismen herumschwammen: Von
Automatik also keine Spur!
SPRECHER: Und noch einmal anderthalb Milliarden Jahre mussten
verstreichen, ehe sich in der Kambrischen Revolution die ersten
Vorboten der Tierwelt und damit des Menschen einstellten, der dann
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buchstäblich erst in der letzten Sekunde der Evolution das Licht der
Welt erblickte. Eine schwierige Geburt also, an der die Erde als
Geburtshelferin nicht ganz unbeteiligt war. Dass sie offenbar doch ein
ganz besonderer Planet ist, belegt allein schon ihr relativ großer
Mond, der über die ganze biologische Evolution hinweg die Erdbahn
stabilisiert und damit Klimakatastrophen verhindert hat, wie sie etwa
auf dem Mars zu verzeichnen waren.
O-TON 11 (Sedlmayr): Das gibt der Erde eine gewisse
Sonderstellung, aber es gibt natürlich sehr viele Planeten, und es wird
- das ist noch nicht entdeckt – auch viele Planeten geben, die Monde
haben. Aber dazu gehört dann auch noch flüssiges Wasser, es gehört
eben eine gewisse Beschaffenheit der Oberfläche, es gehört, dass die
Winde nicht zu stark sind, alles dazu, sodass die Erde schon heute
eine ziemlich singuläre Erscheinung ist als Individuum, aber von der
astronomischen Perspektive aus gesehen würde ich sagen, die Erde ist
in dem Sinne ein ziemlich normaler Planet.
O-TON 12 (Herrmann): Dazu muss man natürlich genauer
untersuchen: Wie viele spezielle Eigenschaften sind wirklich für die
Evolution des Lebens unabdingbar? Oder wäre nicht die Evolution
des Lebens auch unter etwas abweichenden Bedingungen durchaus
noch möglich gewesen – eben infolge der Anpassungsfähigkeit des
Lebens? Und dann verweise ich wieder auf die zweihundert
Milliarden Sonnen in unserem Milchstraßensystem – ganz zu
schweigen von den Hunderten von Milliarden Milchstraßensystemen,
die wir ja auch noch haben. Und dann sage ich, es ist einfach eine
Frage der Statistik, wie häufig auch sehr ähnliche Bedingungen sich
wiederholen.
SPRECHER: Allerdings nur dann, wenn biologische Prozesse sich
mit der selben Zwangsläufigkeit vollziehen wie physikalische oder
chemische. Wenn der eingangs erwähnte Paul Davies die Entstehung
des Lebens mit der „Bildung von Salzkristallen“ vergleicht und auch
denkende Wesen als „Teil und Inhalt des großen Schemas“ betrachtet,
vertritt er einen Determinismus, der alle Bereiche der Natur mit
gleicher Gesetzeskraft durchdringt.
SPRECHERIN: Bevor man das neuzeitliche Axiom von der
astronomischen Durchschnittlichkeit der Erde kurzerhand auf die
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Biologie überträgt, wie es derzeit die wissenschaftliche Mode ist, wird
man also sehr viel genauer hinsehen müssen. Die drei großen
Ursprungsfragen – des Universums, des Lebens und des Menschen –
bleiben bis auf weiteres ohne abschließende Antwort. Aber natürlich
wäre es ein Riesenereignis, wenn wir uns eines Tages tatsächlich in
einer teleologischen Matrix wiederfänden und damit nicht nur als
„entstanden“, sondern auch als „gewollt“ gelten könnten:
O-TON 13 (Herrmann): Die Konsequenzen einer solchen
Entdeckung, glaube ich, können wir im Moment in allen Einzelheiten
heute noch gar nicht abschätzen. Aber ich denke, es wäre eine der
größten Sensationen in der bisherigen Geschichte der Menschheit,
wenn wir solche Informationen bekämen. Wir wissen ja, welche große
Bedeutung es gehabt hat, dass wir hier auf unserer eigenen Erde
fremde Völker, Stämme entdeckt haben durch die Schifffahrt. Leider
haben wir sie dann alle unterworfen, diese Völker und zum Teil auch
ausgerottet, ihre Kulturen, statt sie zu studieren vernichtet.
REGIE: Musik
SPRECHER: Die Chemie des Lebens stammt also aus dem Weltall,
das scheinen die Radiosignale aus der „Heimat der großen Moleküle“
eindeutig zu belegen.
SPRECHERIN: Auf der Erde ist diese Chemie dann offenbar auf
fruchtbaren Boden gefallen, konnte sich nicht nur reproduzieren,
sondern auch zu immer komplexeren Formen entwickeln in einer
biologischen Evolution, die bisher erst in groben Zügen verstanden
wird.
SPRECHER: Ob der lebensfreundliche warme Tümpel sich auf den
Blauen Planeten beschränkt oder irgendwo darüber hinaus
seinesgleichen hat, lässt sich derzeit mangels direkter Indizien kaum
sagen.
SPRECHERIN: Solange ein universelles Bewegungsgesetz der
Evolution nicht gefunden ist, müssen wir uns – je nach Geschmack –
entweder als kosmologischen Glücksfall oder als Produkte eines
naturwissenschaftlich nicht näher verifizierbaren „Schöpfungswillens“
betrachten.
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SPRECHER: Vom „blinden Zufall“ reden in diesem
Zusammenhang ja ohnehin nur noch die Gegner der
Evolutionstheorie. Oder?
ZITATOR: „Der Mensch ist nicht das Endergebnis eines
vorhersehbaren Evolutionsfortschritts, sondern ein zufälliger
kosmischer Nachzügler, ein winzig kleiner Zweig an dem unglaublich
üppigen Busch des Lebens, der, würde er ein zweites Mal aus dem
Samen heranwachsen, mit ziemlicher Sicherheit nicht noch einmal
diesen Zweig oder überhaupt einen Zweig mit einer Eigenschaft, die
wir Bewusstsein nennen könnten, hervorbringen würde.“
SPRECHERIN: Was der große Evolutionsbiologe Stephen Jay
Gould da formuliert, lässt wenig Raum für kosmische
Geselligkeitsbedürfnisse. Die notorischen Geisterseher dürften seine
Ausführungen aber kaum überzeugen.
SPRECHER: Sie fahnden weiter nach extraterrestrischen
Lebenszeichen und können sich immer damit trösten, dass sie
vielleicht nur an der falschen Stelle gesucht haben oder die
intelligenten Botschaften irgendwann doch noch empfangen werden.
SPRECHERIN: Das Weltall ist eben eine gigantische
Projektionsfläche: Was lässt sich da nicht alles unterbringen oder
hineininterpretieren. Wenn Erkenntnisse nicht falsifizierbar seien,
hätten sie mit Wissenschaft nichts zu tun, hat ein österreichischer
Philosoph einmal gemeint.
SPRECHER: Der englische Astronom Arthur Eddington war
konkreter. Er fasst den religiösen Bodensatz ins Auge, den die drei
Ursprungsfragen der Menschheit naturgemäß aufrühren. Wo Physik
und Metaphysik aufeinander treffen, ist eine gewisse Beeinträchtigung
der Sichtverhältnisse nahezu unvermeidlich: Man sieht nur, was man
sehen will:
REGIE: Musik
ZITATOR: „Wir haben an den Gestaden des Unbekannten eine
sonderbare Fußspur entdeckt. Wir haben tiefgründige Theorien, eine
nach der anderen, ersonnen, um ihren Ursprung aufzuklären.
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Schließlich ist es uns gelungen, das Wesen zu rekonstruieren, von
dem die Fußspur herrührt. Und siehe! Es ist unsere eigene.“
REGIE: Musik bis zur Absage.
VERWENDETE LITERATUR:
Simon Conway Morris: Jenseits des Zufalls. Wir Menschen im
einsamen Universum. Aus dem Amerikanischen von Stefan
Schneckenburger, Berlin University Press 2008
Paul Davies: Der kosmische Volltreffer. Warum wir hier sind und das
Universum wie für uns geschaffen ist. Aus dem Amerikanischen von
Carl Freytag, Campus 2008
Christian de Duve: Aus Staub geboren. Leben als kosmische
Zwangsläufigkeit. Aus dem Englischen von Sebastian Vogel,
Spektrum 1995
Owen Gingerich: Gottes Universum. Nachdenken über offene Fragen.
Aus dem Amerikanischen von Wolfgang Rhiel, Berlin University
Press 2008
Stephen Jay Gould: Ein Dinosaurier im Heuhaufen. Streifzüge durch
die Naturgeschichte. Aus dem Amerikanischen von Sebastian Vogel
und Cornelia Holfelder-von der Tann, S. Fischer 2000
Peter D. Ward/Donald Brownlee: Unsere einsame Erde. Warum
komplexes Leben im Universum unwahrscheinlich ist. Aus dem
Englischen von Eckard Helmers, Spektrum 2000
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