Landkreis Alzey-Worms Kreisverwaltung 12. Fortbildungsveranstaltung für die in der Altenhilfe Tätigen Thema: „Multimorbidität im Alter“ vom 21. November 2012 in der Rheinhessen-Fachklinik Alzey, -Zentrum für Psychiatrie, Psychotherapie und Neurologie Dautenheimer Landstr. 66 55232 Alzey Zusammengestellt und herausgegeben durch die Koordinierungsstelle für Psychiatrie des Landkreises Alzey-Worms An der Hexenbleiche 36 55232 Alzey Vorwort Zum zwölften Mal referierten am 21. November 2012 im Rahmen der Gerontopsychiatrischen Fortbildung Experten zum Thema „Multimorbidität im Alter“. In enger Zusammenarbeit der Rheinhessen-Fachklinik Alzey und der Koordinierungsstelle für Psychiatrie im Landkreis Alzey-Worms erläuterten drei Referenten das Thema umfassend. Dr. med. Dipl.-Theol. Jochen Heckmann M.A., Ärztlicher Direktor der Geriatrischen Fachklinik Rheinhessen-Nahe in Bad Münster am Stein-Ebernburg beleuchtete faktenreich und detailliert das Thema „Ganzheitliche Medizin für den älteren Menschen“. Im Anschluss schilderte Frau Hildegard Riedl, Mitarbeiterin der Evangelischen Sozialstation Worms, praxisnah und anschaulich, was Validation bedeutet. Nach kurzer Kaffeepause rundete Herr Dr. Wolfgang Gather, Chefarzt Gerontopsychiatrie der Rheinhessen-Fachklinik Alzey mit „Möglichkeiten und Grenzen der Behandlung bei multimorbiden psychisch kranken alten Menschen“ den Nachmittag mit seinem kenntnisreichen Hintergrund ab. Wie bereits im Jahr zuvor ergänzte Frau Andrea Brodersen mit Dehn- und Lockerungsübungen für den ganzen Körper die Fortbildung wertvoll. Wieder einmal war die Veranstaltung sehr gut besucht. Mit überwiegend positiven Rückmeldungen gestalten wir die Veranstaltung im November 2013 nach den Themenwünschen der Teilnehmer. Die einzelnen Vorträge finden Sie in der folgenden Dokumentation. Möglichkeiten und Grenzen der Behandlung bei multimorbiden psychisch kranken alten Menschen Dr. med. W. Gather Gerontopsychiatrie Rheinhessen-Fachklinik Alzey Cogito ergo sum Mens sana in corpore sano Hyperkognitivismus Anti-Aging-Medizin Anti-ageism-Kampagne __________________________ Was jeder sein will: Selbstbewusst Selbstbestimmt Autonom Zum aktuellen Stichtag am 04.11.2012 waren in der Gerontopsychiatrischen Abteilung bei 50 % der Patienten eine relevante oder gar ursächlich für das bestehende Störungsbild körperliche Erkrankungen vorhanden. Multimorbidität führt zu Einschränkungen der Mobilität, sozialer Isolation, Verlust der Selbstbestätigungsfähigkeit und der Kontrollüberzeugung und fördert damit depressive und paranoide Störungsbilder, verschlechtert dementielle Prozesse. Multimorbidität verschleiert oft zusätzlich vorhandene psychische Störungsbilder und diese werden nach vielen Untersuchungen nicht wahrgenommen und auch nicht behandelt! Multimorbidität (oder Polymorbidität) bezeichnet die Koexsistenz von zwei oder mehr körperlichen, geistigen und/oder seelischen Erkrankungen, an denen eine Person gleichzeitig leidet. Die Anzahl der körperlichen Erkrankungen nimmt mit dem Alter deutlich zu. Prozentuale Verteilung der Multimorbidität in verschiedenen Altersgruppen (WELZ et AL. 1989; zitiert nach HÄFNER, 1993) Alter in Jahren Anzahl der körperlichen Beeinträchtigungen 0 1-2 3,4 5-6 7-8 65-69 10,9 % 27,3 % 34,5 % 18,2 % 9,1 % 70 – 74 4,5 % 25,0 % 36,4 % 13,6 % 20,5 % 75 – 79 5,4 % 18,9 % 27,0 % 21,6 % 27,0 % ≥ 80 0% 15,4 % 25,6 % 28,2 % 30,8 % Häufigste psychiatrische Störungsbilder bei Multimorbidität 1.) Delir 2.) Depression 3.) Angst- und Panikzustände 4.) Medikamentenabhängigkeit _____________________________ 1.) Delir multifaktoriell bedingt 2.) Depression häufig bei Z. n. Herzinfarkt, kardialen Eingriffen generell, Pneumonie, post-stroke-depression, bei Morbus Parkinson, Carcinomleiden, Gelenksimplantaten 3.) Angst- und Panikzustände häufig bei COPD 4.) Medikamentenabhängigkeit häufig bei chron. Schmerzstörungen benigner Art, anhaltende somatoforme Schmerzstörung 5.) Demenzentwicklung/Demenzverstärkung Brief der Universitätsmedizin Mainz bitte einscannen Delir A) Reduzierte Fähigkeit, die Aufmerksamkeit gegenüber äußeren Reizen aufrechtzuerhalten und auf neue äußere Reize zu verlagern B) Denkstörungen, wie z. B. Weitschweifigkeit, irrelevante oder inkohärente Sprache C) Mindestens zwei folgende Merkmale: 1. Bewusstseinssteigerung 2. Wahrnehmungsstörungen (z. B. Illusionen und Halluzinationen) 3. Störung des Schlaf-Wach-Rhythmus 4. Gesteigerte oder verminderte psychomotorische Aktivität 5. Desorientiertheit zu Zeit, Ort und Person 6. Gedächtnisstörungen D) Die klinischen Merkmale entwickeln sich innerhalb einer kurzen Zeitspanne und fluktuieren gewöhnlich im Laufe des Tages Medikamente als Auslöser von Delir/ akutem Verwirrtheitszustand modifiziert nach Hewer et al. 1994 Analgetika Opiate, Salicylate, alle zentral wirksamen Analgetika Anticholinergika Atropin, Scopolamin etc. Antiarrhythmika Lidocain, Mexiletin, Chinidin, Procainamid Antibiotika Cephalosporine, Penicilline, Sulfonamide, Isoniazid, Rifampicin, Amphotericin B, Metronidazol, Gyrase-Hemmer Antihistaminika H1/H2-Blocker Antihypertensiva Clonidin, a-Methyldopa, ACE-Hemmer Antikonvulsiva Phenobarbital, Phenytoin, Valproat Antiphlogistika Ibuprofen, Phenylbutazon Parkinson-Therapeutika Amantadin, Biperiden, Dopa-Präparate, Dopa-Agonisten, MAO-B-Hemmer (?), Anticholinergika im Allgemeinen Kardiaka Glykoside Hormone Glucocorticoide Virustatika Acyclovir Zytostatika 5-Fluorouracil etc. Psychopharmaka Benzodiazepine, niederpotente Neuroleptika (bes. Levomepromazin), Antidepressiva (bes. solche mit hoher anticholinerger Potenz), Clozapin Priscus-Liste für den Schreibtisch Die 83 Wirkstoffe im Überblick Bitte einscannen 2 Seiten Psycho-organische Faktoren als mögliche Ursachen für Delir (akuter Verwirrtheitszustand) Mit cerebraler Minderperfusion einhergehende kardiale Erkrankungen (Infarkt, Herzinsuffizienz, brady- und tachykarde Rhythmusstörungen) Hypertensive Krise Respiratorische Insuffizienz Nieren-/Leberinsuffizienz Akute endokrinologische und Stoffwechselerkrankungen (z. B. Hyper-/Hypoglykämie, Hyperthyreose) Vitamin-Mangelzustände (z. B. Wernicke-Encephalopathie) Entgleisung des Wasser- und Elektrolythaushaltes (bes. Exsikkose!) Infektionen (Sepsis, Pneumonie etc.) Sekundäre Erkrankungen des ZNS (Blutung, Infarkt, Infektion, Traumata, Anfallsstatus etc.) Intoxikationen mit (Psycho-)Pharmaka Primäre ZNS-Erkrankung (SDAT, vaskuläre Demenzen, Parkinson-Syndrom etc.) Psychische Faktoren (allgemeiner Stress, Ortswechsel!) modifziert nach Hewer Ergotherapie al. 1994 Selbstbestimmungsfähigkeit • Informationsverständnis • Urteilsvermögen • Einsicht einer psychischen Störung • Einsicht einer Behandlungsmöglichkeit • Fähigkeit, eine Entscheidung zu treffen und zum Ausdruck zu bringen Behandlungsmöglichkeiten • • • • • • • • • • • Behandlung der somatischen Komorbiditäten Aktivierung Mobilisierung Psychotherapeutische Umstimmung durch kognitive Verhaltenstherapie/Tiefenpsychologie Psychopharmakologische Behandlung (AD/NL) Betonung der verbliebenen Ressourcen Krankengymnastik Ergotherapie Teilnahme am Gruppenleben auf Station _____________________ Versorgung mit Hilfsmitteln Einbeziehung der Angehörigen Schwierigkeiten der Behandlung 1.) Suizidalität mit Ablehnung der therapeutischen Möglichkeiten wie z. B. Dialyse, Insulintherapie etc. 2.) Schwerstdemente Patienten mit massiver (Reflex-)Abwehr zur Behandlung der Komorbidität (zieht sich ständig Infusionen, stürzt bei der Mobilisation etc.) 3.) sehr hohes Lebensalter in Kombination mit schwerer Demenz und Multimorbidität (praktisch per se massiv verkürzte Lebenserwartung) § 1904 Genehmigung des Betreuungsgerichts bei ärztlichen Maßnahmen Die Einwilligung des Betreuers in eine Untersuchung des Gesundheitszustandes, eine Heilbehandlung oder einen ärztlichen Eingriff bedarf der Genehmigung des Betreuungsgerichts, wenn die begründete Gefahr besteht, dass der Betreute aufgrund der Maßnahme stirbt oder einen schweren oder länger dauernden gesundheitlichen Schaden erleidet. Ohne die Genehmigung darf die Maßnahme nur durchgeführt werden, wenn mit dem Aufschub Gefahr verbunden ist. • • • • • Verbreitung, Qualität und Beachtung von Patientenverfügungen in stationären Senioreneinrichtungen sind bisher nicht systematisch untersucht worden Die Vollerhebung in den 11 Senioreneinrichtungen einer Großstadt aus dem Jahr 2007 ergab eine Häufigkeit von Vorausverfügungen von 12,4 %; ca. 1,4 % davon waren Verfügungen, die nicht von Bewohnern, sondern von einem Vertreter unterschrieben waren (Vertreterverfügungen) Die Validität der Verfügungen im Sinne eines „informed consent“-Prozesses war in der Regel für Dritte nicht nachvollziehbar und die Aussagekraft der Verfügungen war begrenzt; insbesondere blieben typische Notfälle mit akut auftretender Nichteinwilligungsfähigkeit druchgängig ungeregelt In 14 von 23 Fällen, in denen aus der Verfügung für den aktuell gegebenen Zustand ein Reanimationsverzicht abzuleiten war, gab es keine korrespondierende Pflegeabsprache; die Autoren bewerten dies als Hinweis auf strukturelle Defizite bei der Umsetzung von Patientenverfügungen in Senioreneinrichtungen Wenig spricht dafür, dass das Patientenverfügungsgesetz aus dem Jahre 2009 nachhaltige und substantielle Veränderungen der beschriebenen Misere bewirken wird Schmitten, J: Deutsches Ärzteblatt, Jg. 109, Heft 37, 14.09.2012 Patientenverfügungen 119 untersuchte Vorausverfügungen Szenario I: Bewohner bis dato einwilligungsfähig, aber aktuell durch akute vital bedrohliche Erkrankung einwilligungsunfähig 94 % keine Aussage möglich über weiteres Vorgehen Szenario II: Vorbestehende (= dauerhafte) Nichteinwillungsfähigkeit bei fortgeschrittener Demenz: 45 – 67 % keine einheitliche Aussage der Inter-Rater-Reliabilität über weiteres Vorgehen (Reanimation, Intensivmedizin, zu allgemeinem Vorgehen, PEG-Sonden-Anlage etc.) Erklärung zur Vorsorgevollmacht Seite 1 – 4 Bitte einscannen Erklärung zur Patientenverfügung Seite 1 – 6 Bitte einscannen Patientenverfügung mit Vorsorgevollmacht und Betreuungsverfügung Seite bitte einscannen Festlegung zu Einleitung, Umfang und Beendigung bestimmter ärztlicher Maßnahmen Seite bitte einscannen Seite – 3Auszug aus Vorsorgevollmacht bzw. Patientenverfügung bitte einscannen Seite bitte einscannen Umgang mit Patientenverfügungen und Vorsorgevollmacht • Bereits bei Aufnahme nach evtl. Vorliegen einer Patientenverfügung fragen • Diese – wenn vorhanden - in Krankenakte als Kopie verwahren und entsprechende Notiz auf der Akte vermerken • Den Inhalt der Verfügung mit Patienten oder ggf. Angehörigen/Bevollmächtigten durchgehen und noch einmal genau nachfragen, was wirklich gewollt wird! • Im Sinne eines „shared decision making“ zwischen Arzt und Patient/Bevollmächtigtem gemeinsame Entscheidungsprozesse zur Therapieplanung erarbeiten Abbildung 5: Altersunterschiede des objektiven Status usw. Seite bitte einscannen Modell der Selektion, Optimierung und Kompensation (SOK) (Baltes und Baltes 1990) Selektion: 1. 2. Elektive Selektion bezieht sich auf Prozesse der Auswahl von Zielen und ermöglicht dadurch die Fokussierung von Ressourcen. Verlustbasierte Selektion wird relevant, wenn aufgrund von Einschränkungen in zuvor verfügbaren Ressourcen Ziele nicht mehr aufrechterhalten werden können. Optimierung: Optimierung bezeichnet den Prozess der Zielverfolgung. Optimierung trägt damit zu den Entwicklungsgewinnen bei; welche Mittel zielrelevant sind, hängt von den jeweils gesetzten Zielen ab. Kompensation: Kompensation bezeichnet den Einsatz von Mitteln, um Verlusten und Einschränkungen entgegenzuwirken. SOK-Strategien tragen mit zum erfolgreichen oder guten Altern bei. Verstehbarkeit Seite bitte einscannen Im Längsschnitt gesicherte Risikofaktoren Seite bitte einscannen In Längs- und Querschnittstudien gesicherte protektive Faktoren Seite bitte einscannen Abbildung 2: Ein Arbeitsmodell der Korrelate usw. Seite bitte einscannen Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit Geriatrie Ganzheitliche Medizin für den älteren Menschen J. Heckmann 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 Was ist Altern ? Die Farben des Herbstes • „Altern“ meint mehr als nur die bekannte Analogie zum Wandel der Jahreszeiten: „Goldener Herbst“ • Altern ist stets differentielles Altern • Altern umfasst stets Gewinne und Verluste • Altern ist immer auch das, was die einzelnen Menschen für sich selbst und für andere darin sehen und zugleich was die Gesellschaft als Altersleitbilder vorgibt. 14 Reife Leistung Psychologische Aspekte 15 Alternsbilder 16 17 18 Wünsche und Ziele Vorurteile 19 Der Zahn der Zeit Körperliche Veränderungen Organfunktionen im Alter - physiologische Veränderungen • Niere Filtrationsleistung 70 % • Durchblutung 50% • Lunge Max. Ein-/Ausatemvolumen 56% • Muskulatur Handkraft 55% • Sinne Geschmacksknospen 35% • Kognition Reaktionsgeschwindigkeit verlangsamt Multimorbidität im Alter • 70-74 Jahre 6,4 Diagnosen • 80-84 Jahre 8,4 Diagnosen 20 Krankheit im Alter 4 Atypische Symptompräsentation 4 Erhöhte Instabilität und verminderte Anpassungsfähigkeit 4 Fehlende sektorielle Begrenzung von Organschäden 4 Reduzierte Spontanrekonvaleszenz 4 Unzureichende soziale Unterstützungssysteme 4 Biographische Krisensituation 4 Verminderte oder bedrohte Alltagskompetenz 4 Multimorbidität 21 Fr. A. 84 Jahre • Herzinsuffizienz NYHA IIIII • KHK mit Zn Myokardinfarkten (1999 und 2004) • Rez. Dekompensationen • Insulinpflichtiger Diabetes mellitus mit PNP, Retinopathie • Zn Sigmateilresektion bei Sigma Ca 2003 22 Fr. A., 84 Jahre • Zunehmende Unsicherheit beim Gehen, rezidivierende Stürze bei muskulärer Schwäche, • Dyspnoe bei geringer Belastung • Untergewichtigkeit • Drohende Vereinsamung, lebt alleine • Reaktiv depressive Verstimmung bei Sorge um den Verlust der Selbständigkeit • 5 Stufen bis zur Wohnung im Wohnblock • Einziger Sohn lebt in Italien • 2x/Woche Zugehfrau • 1x/Woche Pflegedienst zum 23 Baden Der geriatrische Patient „Ein geriatrischer Patient ist ein biologisch älterer Patient , • der durch altersbedingte Funktionseinschränkungen bei Erkrankungen akut gefährdet ist • der zur Multimorbidität neigt, • bei dem ein besonderer Handlungsbedarf rehabilitativ, somato-psychisch und psychosozial besteht.“ 24 Ein geriatrischer Patient ist definiert durch: • geriatrietypische Multimorbidität und höheres Lebensalter (überwiegend 70 Jahre oder älter). • oder 80 Jahre und älter aufgrund der im Alter zunehmenden Instabilität (Definition der wissenschaftlichen Fachgesellschaften) • Die geriatrietypische Multimorbidität hat im Sinne des biologischen Alters Vorrang vor dem kalendarischen Alter. Geriatrie Die klinische Geriatrie umfasst Prävention, Erkennung, Behandlung und Rehabilitation körperlicher und seelischer Erkrankungen im biologisch fortgeschrittenen Lebensalter, die in besonderem Maße zu dauernden Behinderungen und dem Verlust der Selbständigkeit führen, unter Anwendung der spezifischen geriatrischen Methodik in stationären Einrichtungen mit dem Ziel der Wiederherstellung größtmöglicher Selbständigkeit. 27 Geriatrie ? 28 Bio-psycho-soziales Modell der ICF Gesundheitsproblem (Gesundheitsstörung oder Krankheit, ICD) Körperfunktionen und -strukturen Umweltfaktoren • materiell • sozial • verhaltensbezogen Aktivitäten Teilhabe persönliche Faktoren • Alter, Geschlecht • Motivation • Lebensstil Lebenserwartung in Deutschland Durchschnittliche verbleibende Lebenserwartung in Jahren 25 23,5 20 19,5 15 M W 19,3 15,7 15,3 12,4 10 11,6 9,5 7,1 5 8,5 5,2 5,9 3,9 4,1 0 60 J 65 J 70 J 75 J 80 J 85 J 90 J 31 Diagnostik Geriatrisches Assessment Bezeichnung für den multidimensionalen und interdisziplinären diagnostischen Prozeß. Es ist eine Gesamterfassung und Bewertung der gesundheitlichen Situation des Patienten. Assessment erfaßt, gliedert und bewertet körperliche, psychische und soziale Komponenten sowie Daten zum Umfeld. Die Wechselwirkungen von Krankheiten, Behinderungen und altersassoziierten Veränderungen werden herausgearbeitet mit dem Ziel, medizinische, pflegerische, therapeutische und soziale Interventionen zu planen und in ihrem Verlauf zu kontrollieren Geriatrisches Assessment Physikalisch - körperlicher Bereich • Klassische Anamnese, Körperliche Untersuchung – Berücksichtigung typischer Probleme: Mundhöhle, Sehen, Hören, Kraft, Schmerzen, Decubitus, Kontrakturen, Bewegungsstörungen, Sturzfolgen, Körpergewicht Psychischer Bereich • Vigilanz, Gedächtnis, Orientierung, Wahrnehmung, Denken und Urteilsfähigkeit, Affekte, Kommunikation, Kooperation, individuelle Wertungen personelles und materielles Umfeld • Sozialanamnese Biographische Daten, Tagesgestaltung, Soziale Unterstützungssysteme, Soziale Kontakte, Juristische Regelungen Analyse der Wohnumgebung, Finanzielle Ressourcen, Hilfsmittel-versorgung, Medikamentöse Eigentherapie 33 Team • • • • • • • • • • Arzt Pflege Physiotherapie Ergotherapie Physikalische Therapie Sprachtherapie Psychologie Sozialdienst Seelsorge Angehörige Angehörige 35 Typische Syndrome • • • • Immobilität Instabilität Inkontinenz Intellektueller Abbau 36 Typische Syndrome sind: • • • • • • • • • • • • • • Immobilität, Sturzneigung und Schwindel, kognitive Defizite, Inkontinenz, Dekubitalulcera, Fehl- und Mangelernährung, Störungen im Flüssigkeits- und Elektrolythaushalt, Depression, Angststörung, chronische Schmerzen, Sensibilitätsstörungen, herabgesetzte körperliche Belastbarkeit Gebrechlichkeit, starke Sehbehinderung, ausgeprägte Schwerhörigkeit. ← Frakturen ? ← ← Herzrhythmusstörungen ? Normaldruckhydrozephalus? ← Sprue? ← Hormonstörung? ← Aortenklappenstenose? ← Diabetes? Immobilität „Wieder gehen können“ Liegen - sich aufsetzen - frei sitzen - aufstehen - frei stehen - sich umsetzen - gehen mit und ohne Hilfsmittel - Treppen steigen - sich im Strassenverkehr bewegen • Folgen: – – – – – Schmerzen - Osteoporose Muskelabbau - Depressionen Dekubitalgeschwüre - kognitive Einschränkungen Kontrakturen Lungenentzündungen 38 Klassifikation 39 Definition eines „Stürzers“ Alle Personen, die auf dem Boden aufgefunden werden oder berichten gestürzt, gestolpert, ausgerutscht oder hingefallen zu sein. 40 Epidemiologie 41 42 43 6 – Monatsmortalität nach Hüftfraktur (Gesamtmortalität 22.0%) 24.3 25 20 15 12.5 11.3 10 8 5 0 im Krankenhaus zu Hause-zu Hause zu Hause-Heim Heim-Heim Aus: Pientka, Kostenhüftgelenksnaher Frakturen, ZGG 1999; Werte in Prozent 44 Mobilität nach Hüftfraktur nach 1 Jahr 400 362 350 300 241 250 200 150 188 206 146 100 81 50 0 38 0 ohne Hilfe Gehstock Gehbock Immobil Aus: Keane et al, 1993 45 Sturzfolgen Schmerzen Untergewicht Depression Angst Immobilität Kontrakturen Dekubitus Verwirrtheit 46 Funktionelle Fähigkeiten nach Hüftfraktur nach 6 Monaten Gesamt Verlust sozialer Kontakte 21% Verlust subjektiver Leistungsfähigkeit 85% Schmerzfrei 36.9% Starke, ständige Schmerzen 10.2% Gehunfähig 21.6% Selbständiges Ankleiden 54.6 Aus: Becker, Unfallfolgen nach Sturz, ZGG 1999; Werte in Prozent 47 Frakturen der oberen Extremität • Erniedrigte Überlebensrate • Aufgabe der selbständigen Lebensführung • Verschlechterung der Gehfähigkeit – Arme zur Unterstützung beim Gehen – Benutzung von Hilfsmitteln • Erhöhte Sturzangst – Einsiedel, Becker et al., Frakturen der oberen Extremität, ZGG 2006 48 Risikofaktor • Kraftdefizit der unteren Extremität • Kraftdefizit der oberen Extremität » Moreland er al. , Muscle weakness and falls in older adults: a systematic review and meta-analysis, JAGS 2007 49 Sturzprävention und Training • “Nichtstun ist sehr viel gefährlicher als regelmäßiges körperliches Training” American College of Sports Medicine (1998) • “Körperliches Training wird gegenwärtig als die beste Investition im Gesundheitswesen angesehen” Yvette Cooper, UK Minister for Public Health (2000) 50 Zentrale Komponente: Training “Many different risk factors contribute to falls, but muscle weakness and poor balance underlie most falls. Strength training against resistance and dynamic balance retraining improve both strength and balance, and in randomised controlled trials have been shown to decrease the risk of falls.” Gardner et al. (2000) Exercise in preventing falls and fall related injuries in older people: a review of randomised controlled trials. Br. J. Sports Med. 34: 7-17 51 Training für alle, die wollen und können 52 86jährige Patientin mit SHF nach Sturz • 18 Medikamente • 30 Einzeldosen • 3 Diuretika • 3 AM mit ungesicherter Wirksamkeit • 8 Hub DA • 2 Sympathikomimetika (DA +oral) • 1 unsinnige Dosierung (1/2 Tbl ACEI) • ACE + Diuretika + NSAR + Kaliumsparer = NI und K 53 Medikamente als Sturzursache? • • • • • • • Stürze haben multiple Ursachen Führt die AM-Therapie einer Krankheit zum Sturz oder ist die therapierte Krankheit die Ursache? Führt die AM-Therapie einer Krankheit zum Sturz, weil eine parallel bestehende Erkrankung negativ beeinflußt wird? Ist es die erwünschte pharmakodynamische Wirkung oder die UAW eines AM, die den Sturz begünstigt? Relativ gesunde alte Menschen versus frail elderly? Polypharmakotherapie, AM-Kombinationen, Interaktionen? Keine RCT zu Medikamenten als Sturzursache 54 Besonderes Risiko für Arzneimittelbedingte Stürze im Alter • • • • • • Sturzanamnese Einnahme von > 4 AM oder >12 ED Einnahme von einem oder mehreren psychotropen AM Einnahme von AM mit niedriger therapeutischer Breite Multimorbidität Compliance – Probleme 55 56 Instabilität Beispiel: Herzerkrankungen • Herzinsuffizienz • Aortenklappenstenose • Herzrhythmusstörungen • „Herzinsuffizienz ist ein komplexes klinisches Syndrom, • welches durch linksventrikuläre Dysfunktion und neurohumorale Fehlregulation charakterisiert ist, und dementsprechend • einhergeht mit Belastungsintoleranz, Flüssigkeitsretention und verkürzter Lebensdauer.“ 58 59 60 Krankheitsverlauf Organversagen: Herzinsuffizienz Hohe Funktion Tod Zeit Nach Lynn und Adamson Akute Verschlechterung einer chronischen Herzinsuffizienz • • • • • • • • • • Nicht ausreichend behandelte Hypertonie Absetzen benötigter Medikamente(Compliance) Infekte Akute Ischämie Rhythmusstörungen Überwässerung bei Niereninsuffizienz Anämie bei Blutungen Pulmonale Embolien Myokarditis Vaskulitis 62 Therapie der chronischen Herzinsuffizienz • Die Therapie sollte sein: – In Übereinstimmung mit den Werten und Wünschen des Patienten – Ursachen bezogen, wenn immer möglich – Stadien bezogen – Symptom verbessernd, Eigenständigkeit erhaltend, Lebensqualität steigernd – Krankenhaus-Aufnahme vermindernd/vermeidend – Prognose verlängernd – Gut verträglich – nebenwirkungsarm – Kontinuierlich überprüfbar – Evidenz-basiert 63 Erfahrungen der Patienten 64 Erfahrungen der Patienten und der Angehörigen • Unterschiedlicher Verlauf als bei Krebserkrankungen; häufig „unerwarteter, plötzlicher“ Tod mit nicht abgrenzbarer terminaler Phase • Häufig Komorbiditäten, die im Vordergrund stehen; „nicht das Herz ist krank“ • Abnahme sozialer Kontakte • Gefühlte Verbesserung durch die Behandlung bei unveränderter Prognose • „Ich weiß, dass es nicht besser wird, aber ich hoffe, dass es nicht schlechter wird“ • Geringes Verstehen von Diagnose und Prognose Murray et al. BMJ 2002 65 66 Supportive and palliative care • Verbesserte Kommunikation Assessment: Beurteilung der Gesamtsituation: (Gespräch – Tests) • Information • Psychologische Unterstützung Physisch, Belastbarkeit (6 min Gehtest) Psychisch, Depression (GDS) • Soziale Unterstützung • Spirituelle Unterstützung Sozial, Amb.Dienst zur Entlastung Spirituell. Abschied nehmen 67 Trigger für Palliation Wenn zwei oder mehr der folgenden Punkte vorhanden sind: • NYHA III oder IV • Pflegeteam erwartet den Tod innerhalb des kommenden Jahres • Wiederholte Krankenhausaufenthalte wegen symptomatischer Herzinsuffizienz • Symptome trotz optimaler Therapie • Wenn das Team übereinstimmt in der Auffassung, dass der Patient sterben wird • Bettlägerigkeit • Vigilanzminderung • Nur noch Flüssigkeitsaufnahme möglich • Keine Tabletteneinnahme mehr möglich 68 WHO 2004: Better palliative care for older people 69 Herzrhythmusstörungen Inkontinenz Harninkontinenz ist ein Zustand, in dem unfreiwilliges Urinieren ein soziales und hygienisches Problem darstellt, das objektiv festgestellt werden kann. Definition der International Continence Society 72 Formen der Inkontinenz Akut - reversible Inkontinenz Chronisch - persistierende Inkontinenz 73 Formen und Ursachen der Harninkontinenz Quelle: Pfisterer et al., Prakt. Aspekte in Diagnostik und Therapie der Harninkontinenz bei älteren Menschen 74 Ursachen der Harninkontinenz bei geriatrischen Patienten Quelle: Pfisterer et al., Prakt. Aspekte in Diagnostik und Therapie der Harninkontinenz bei älteren Menschen 75 Geriatrie - Ziele „Nicht dem Leben mehr an Jahren geben, sondern den Jahren mehr an Leben“ Was ist Geriatrie? 78 „Umgang mit desorientierten Menschen – verstehen und wertschätzen, anerkennen, und bestätigen“ Referat von H. Riedl, Validationslehrerin ---------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------- Umgang mit desorientierten Menschen Verstehen und wertschätzen, anerkennen und bestätigen Eine neue Methode im Umgang mit verwirrten Menschen Validation nach N. Feil Wenn alte Menschen verwirrt werden, wird ihr Alltag immer unerträglicher. Sie spüren, sie dass sich in der Gegenwart nicht mehr zurecht finden und ziehen sich immer mehr und mehr in die Erinnerung zurück. Die Vergangenheit wird zur Gegenwart. In diesem Stadium ist realitätsorientierte Psychotherapie, die den Verwirrten als Defizitmodell sieht, praktisch aussichtslos. Seit einiger Zeit gibt es einen neuen Ansatz, der die emotionale Befindlichkeit berücksichtigt – die Validationstheorie. Validation nach Feil bedeutet, „für gültig erklären, bestätigen, anerkennen und wertschätzen“. Sie respektiert die Realität des Verwirrten. Validation nach Feil wurde in den 70er Jahren von der Gerontologin Naomi Feil entwickelt. In dem Altenheim ihres Vaters in Cleveland (Ohio) betreute sie verschiedene Gruppen sehr alter Menschen und erkannte, dass Verwirrtheit nicht als Krankheit, sondern häufig als eine Auseinandersetzung mit dem eigenen Leben zu begreifen ist. Denn in fast jeder Biographie gibt es unvollendete Handlungen, ungelebte Augenblicke, falsche Entscheidungen, ungesagte Worte. Der Hochbetagte setzt sich in seiner letzten Lebensphase damit auseinander. Körperliche, soziale und psychische Verluste ermöglichen ihm, seine letzten Aufgaben zu erfüllen: die Vergangenheit wieder herzustellen, um unbewältigte Lebensaufgaben aufzuarbeiten. Bestätigt man seine Gefühle und nimmt ihn dabei ernst, gibt man ihm Sicherheit und Stärke, also seine Würde zurück. Diese Methode vermindert Stress und gibt Geborgenheit. Denn Gefühle, die ignoriert oder geleugnet werden, nehmen an Intensität zu; aber Gefühle, die verstanden werden, verlieren an Stärke. Geteiltes Leid ist halbes Leid. Wenn man dem alten Menschen hilft, seine Erinnerungen und Gefühle zu ordnen, findet er noch zu Lebzeiten seinen Frieden. Einfühlungsvermögen (Empathie) ist somit eine grundlegende Voraussetzung der Validationsarbeit. „In die Schuhe des anderen treten“: Vertrauen und Beziehung werden so aufgebaut. Gefühle, die ein Mensch runterschluckt und die in ihm festsitzen, tun weh. Man muss die Gefühle rausbringen und dann gehen die Schmerzen weg. Und wenn die Menschen sehr alt und verwirrt sind, dann kommen die Gefühle raus. Altersverwirrte Menschen sind vom Leben selbst verwirrt, die runtergeschluckten Gefühle haben sie sehr verletzt, ja um den Verstand gebracht. Verwirrte Menschen denken nicht mehr logisch. Darum sind auch Erklärungen wie: „Das ist doch gar nicht so!“ sinnlos und verletzend. Sie leben in ihren Gefühlen und 1 „Umgang mit desorientierten Menschen – verstehen und wertschätzen, anerkennen, und bestätigen“ Referat von H. Riedl, Validationslehrerin ---------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------- wollen mit ihrem Leben aufräumen. Dazu gehen sie in die Vergangenheit zurück und suchen genau die Situation auf, in denen leidvolle Gefühle entstanden sind. Eine wichtige Erkenntnis von Naomi Feil, in ihrer jahrzehntelangen Arbeit mit sehr alten Menschen ist, dass nicht nur anatomische Veränderungen im Gehirn zu Verwirrtheitszuständen und Verhaltensänderungen führen können, sondern auch psychologisch soziale Prozesse im Leben des Menschen dabei eine wichtige Komponente bilden. Sie begründet dies am entwicklungspsychologischen Ansatz von Erik Erikson der davon ausgeht, dass der Mensch in jedem Lebensstadium: Kind, Jugendlicher, Erwachsener, Lebensmitte, altersbestimmte sozial – psychologische „Aufgaben“ zu erfüllen hat, die ihn dann befähigen, die Aufgaben des nächsten Lebensstadiums zu erfüllen. Gelingt dies nicht, kehren die Aufgaben auf einer nächsten Entwicklungsstufe wieder. Werden sie auch hier nicht bewältigt, werden diese unerledigten „Aufgaben“ bis ins hohe Alter mitgenommen. Selten erfüllen wir eine Lebensaufgabe das erste Mal ganz. Keine Aufgabe lässt sich gänzlich abschließen. Wenn wir uns unseren unerledigten Aufgaben nicht stellen, warten diese bis im hohen Alter unsere Kontrolle nachlässt. Wir verlieren unser Gleichgewicht und lange Zeit begrabene Gefühle können hervorbrechen. Der sehr alte Mensch versucht jetzt sein Leben zu ordnen, einzuordnen und Unerledigtes aus jüngeren Tagen zu verarbeiten. Er lässt seinen Gefühlen freien Lauf, die kognitive Kontrolle (Hirnleistung) fehlt. Gefühle aus der Vergangenheit und der Gegenwart mischen sich. Die Aufgabe des Alters, Bilanz zu ziehen, Integrität zu finden, sagen zu können, das war gut, das war falsch, das ist mein Leben, beruht laut Erikson / Feil darauf, wie wir früher Vertrauen gelernt haben, wie wir in der Pubertät Abnabelungen erfahren haben (ich bin nicht meine Eltern), wie wir gelernt haben, Erfolge und Misserfolge anzuerkennen und überholte Rollen in unserem Leben loszulassen. All dies ist Grundlage, im Alter mit schwindendem Seh- und Hörvermögen und anderen Verlusten umzugehen, diese in unserem Leben zu integrieren, um dann in Frieden sterben zu können. Als Validationsanwender habe ich gelernt: An dem Ergründen der schmerzhaften Ereignisse selbst haben die alten Menschen kein Interesse, diese Art der Vergangenheitsbewältigung übersteigt ihre Kräfte. Aber die schmerzhaften Gefühle dieser Vergangenheit wollen sie loswerden. Dies ist von Interesse und nicht die einzelnen Ereignisse im Leben. Ich will herausfinden: Wie weit ist ein verwirrter Mensch in seiner Lebensbilanz? Und: Wie sehr ist er verletzt? Diese Lebensbilanz versucht Naomi Feil mit Stadien zu beschreiben. STADIUM I Mangelhafte Orientierung – unglückliche Orientierung an der Realität Diese Menschen haben das Bedürfnis alte Konflikte in verkleideter Form zu äußern, in dem sie Menschen der Gegenwart als Symbol für Menschen der Vergangenheit verwenden. „Jemand vergiftet mein Essen“ – Essen ist ein Symbol für Liebe! Sie fühlen sich zu Hause oder im Heim alleine, sie fühlen sich alt und überflüssig und halten dies für eine Strafe für ihr früheres Verhalten. Sie sind zu Zeit, Ort und Person orientiert, können aber keine Einsicht in die Ursache ihrer Situation zeigen. 2 „Umgang mit desorientierten Menschen – verstehen und wertschätzen, anerkennen, und bestätigen“ Referat von H. Riedl, Validationslehrerin ---------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------- STADIUM II Zeitverwirrtheit – Verlust der kognitiven Fähigkeiten Zeitverwirrte Menschen haben ein hohes Maß an körperlichen und sozialen Verlusten. Das bringt das Fass zum überlaufen. Sie können diese Verluste nicht mehr leugnen und sich nicht mehr an der Realität klammern. Sie ziehen sich immer mehr in die Vergangenheit zurück und erleben Situationen aus früheren Tagen im Hier und Jetzt. Ein Ding oder eine Person der Gegenwart ist das Symbol – die Fahrkarte in die Vergangenheit. STADIUM III Sich wiederholende Bewegungen – sie ersetzen die Sprache Der alte Mensch verfällt in vertraute Bewegungen und Geräusche aus früheren Zeiten z. B. Kindheit, Beruf. Sie ersetzen die Sprache. Menschen, die sich gefesselt fühlen, ziehen sich an und aus, um sich freier zu fühlen. STADIUM IV Vegetieren – totaler Rückzug nach innen Der sehr alte Mensch zieht sich ganz auf sich selbst zurück und liegt meist in Embryonalhaltung ohne Mimik und Gestik im Bett. Für jedes Stadium der Aufarbeitungsphase hat Naomi Feil in der Validation Techniken der verbalen und nonverbalen Kommunikation entwickelt. Dies sind z. B. Zentrieren, Einschätzen, Berührung, Stimme, Musik, Spiegeln, Polarität, Mehrdeutigkeit, Wiederholung, bevorzugtes Sinnesorgan. Der Schlüssel für Validation ist Empathie. Das heißt Einfühlungsvermögen, würdevoller Umgang mit altersverwirrten Menschen. Sympathie muss nicht sein, denn diese Menschen sind in ihrer Verwirrtheit auch anstrengend. Sympathie kommt dann schnell an ihre Grenzen. Wer mit Empathie auf den alten Menschen zugeht, wird ihm nicht seine Fehler oder Schwächen vorhalten. Er wird ihn damit auch nicht ablehnen oder „abschreiben“. Er diskutiert nicht. Er hört zu. Und er kommt wieder zum Zuhören. Empathie ist zusammengefasst die Fürsorge, das Sich – Kümmern, das Zuhören. So verstanden ist Validation mehr als Gesprächsführung: sie ist ein Menschenbild. Und zwar ein zutiefst menschliches. Fragen zur Anwendung und Wirkung von Validation beantworte ich ihnen gerne: Hildegard Riedl, Validationslehrerin E-Mail: [email protected] 3