V Geleitwort Der Nebennierenrinden-Wirkstoff Cortison wurde 1936 von E. Kendall in Rochester sowie T. Reichstein in Zürich entdeckt und 1948 von Ph. Hench in der Mayo-Klinik erstmals zur Therapie der rheumatoiden Arthritis angewandt. 1949 erfolgte die erste Publikation und 1950 erhielten die drei Forscher den Nobelpreis. Ab 1949/50 wurde Cortison auch bei anderen entzündlich-rheumatischen Krankheiten eingesetzt und schließlich bei den verschiedensten Krankheitszuständen versucht. Seit Anfang der 50er Jahre standen Cortison und später auch die verschiedenen Derivate, die Corticoide, zur allgemeinen Verfügung. Die Tatsache, dass erstmals ein körpereigenes Hormon nicht zur Deckung eines Defizits, sondern als Pharmakon verwendet wurde und damit zwangsläufig auch unerwünschte Wirkungen hervorrief, führte zu großer Unsicherheit in der Ärzteschaft. Deshalb verfasste ich 1957 aufgrund eigener Erfahrungen und nach Auswertung der weitläufigen Literatur eine monografische Darstellung unter dem Titel „Cortisonderivate in Klinik und Praxis“. Die rasche Weiterentwicklung dieser Therapieform erforderte bis zum Jahr 1965 vier Neuauflagen. Da die Corticoide zunehmend auch in anderen medizinischen Fachgebieten Anwendung fanden, bat ich zur 5. Auflage 1968 einen Dermatologen, zur 6. Auflage 1973 einen Pädiater, zur 7. Auflage 1977 einen Oto-Rhino-Laryngologen sowie einen Ophthalmologen und schließlich zur 8. Auflage 1987 einen Neurologen um Bearbeitung ihres jeweiligen Fachgebiets. In der Zwischenzeit hatte sich die Innere Medizin immer mehr in Subspezialitäten aufgesplittert. Deshalb ersuchte ich für die 9. Auflage 1992 Herrn H. K. Kley, Singen, um Mitherausgeberschaft. Er überarbeitete den endokrinologischen Teil und die klinische Pharmakologie sowie einige Kapitel der Inneren Medizin. Wir einigten uns jetzt auf einen neuen Buchtitel: „Cortisontherapie – Corticoide in Klinik und Praxis“. Zur 11. Auflage 2002 haben wir die Innere Medizin noch weiter aufgeteilt durch Hinzunahme von Spezialisten für die Gebiete Pneumologie, Gastroenterologie, Hämato-Onkologie und Transplantationsmedizin. Aus dem in den 50er Jahren noch dünnen Bändchen war im Laufe der Jahrzehnte ein Buch mit über 600 Seiten geworden. Die zunehmende Spezialisierung in der Medizin hatte aber auch zur Folge, dass sich viele Leser nur für einen Teil des Buches interessierten. Deshalb haben wir in Übereinkunft mit dem Thieme Verlag beschlossen, eine 12. Auflage in Teilgebieten herauszugeben. Den Beginn soll das für die Cortisontherapie nach wie vor besonders wichtige Gebiet der Rheumatologie machen. Dieses Kapitel hat dankenswerterweise Herr G. Keyßer aus Halle, ein Vertreter der jüngeren Rheumatologengeneration, übernommen. Die endokrinologische Einleitung sowie den Part klinische Pharmakologie hat Herr H. K. Kley in bewährter Weise neu verfasst. Dank gebührt auch den Mitarbeitern des Thieme Verlags, die dieses Buch seit Jahrzehnten betreuen. Die äußere Form hat sich gegenüber früheren Auflagen etwas verändert; geblieben ist aber das bereits 1957 vorgegebene Ziel: den Ärzten in Klinik und Praxis ein zuverlässiger Berater in den vielfältigen Fragen der Cortisontherapie zu sein. Augsburg, im Herbst 2010 H. Kaiser Kaiser, Kley, Keyßer, Cortisontherapie in der Rheumatologie (ISBN 9783131506313), © 2010 Georg Thieme Verlag KG VI Vorwort Zur 1. Auflage von „Cortisontherapie in der Rheumatologie“ Seit den 50er-Jahren, dem Beginn der Cortisontherapie, war der „Kaiser“ stets eine aktuelle und kompetente Informationsquelle. Mit seinen 11 Auflagen wurde er zum Klassiker für die Behandlung mit Corticoiden. Die Corticoidtherapie ist unverzichtbar in vielen Bereichen der Inneren Medizin. In den vergangenen Jahren hat unser Wissen über die Pharmakologie, die Dosierungen und Nebenwirkungen der Corticoide sowie entsprechende Vermeidungsstrategien kontinuierlich zugenommen und ist sehr komplex geworden. Aus Gründen der Übersichtlichkeit erscheint deshalb die 12. Auflage der „Cortisontherapie“ in mehreren Teilauflagen über die wichtigsten Fachgebiete der Inneren Medizin. Mit diesen Teilauflagen soll auch die Möglichkeit geschaffen werden, schnell und beweglich auf neue Erkenntnisse zu reagieren. Begonnen haben wir mit dem Fachgebiet der Rheumatologie. In diesem Fachgebiet ist der Erkenntnisgewinn in den letzten Jahren durch eine Reihe von hervorragenden klinischen Studien besonders ausgeprägt. Weitere Teilgebiete der Corticoidtherapie in der Inneren Medizin sollen folgen. Die Autoren hoffen, dass die „Corticoidtherapie in Teilgebieten“ für den Leser praktischer und zielorientierter ist und dass diese (Teil-)Auflage nicht nur kompetente Hilfe in Klinik und Praxis ist, sondern ähnliche Zustimmung wie die vorangegangenen Auflagen bei Internisten, Rheumatologen, Endokrinologen, Orthopäden, Assistenzärzten und Studenten finden wird. Unser Dank gilt der Firma Merck, die erneut den Druck ermöglichte, und den Mitarbeitern des Thieme Verlags für die wiederum hervorragende Zusammenarbeit bei dieser Auflage. Halle und Singen im Herbst 2010 G. Keyßer H. K. Kley Kaiser, Kley, Keyßer, Cortisontherapie in der Rheumatologie (ISBN 9783131506313), © 2010 Georg Thieme Verlag KG 2.2 Systemische Corticoidtherapie 13 ACTH statt Corticoide? Orale zirkadiane Corticoidapplikation Vor allem bei Multipler Sklerose und bei Kindern soll ACTH günstiger gewesen sein als Corticoide. Diese frühere Ansicht ist falsch, da hierbei die Nebenwirkungen ansteigen und ACTH wegen Allergien gefährlich sein kann [52]. Die orale zirkadiane Corticoidapplikation ist die wichtigste Applikationsform für die Corticoid-Langzeittherapie. Corticoide werden zu > 90 % aus dem Darm resorbiert und stehen dem Organismus 5–10 Minuten nach Einnahme zur Verfügung. Die zirkadiane Corticoidapplikation wurde in den 60er-Jahren entwickelt [1]. Sie ist möglich, weil die Wirkung der Corticoide im Organismus länger anhält, als es die Halbwertszeit im Blut anzeigt (Tab. 2.1) [57]. Depotcorticoide zur intramuskulären Injektion? Besonders bei Pollinosis, Heufieber und Allergien schätzen viele Patienten ihre i. m. „Corticoidspritze“ im Frühjahr/Sommer. Wir halten eine solche Behandlung für obsolet, denn: ■ In der ersten Woche stellt sich nämlich immer ein zu hoher und am Ende fast immer ein zu niedriger Corticoidspiegel ein, d. h., die Behandlung ist inadäquat. ■ Depotpräparate bewirken eine lange und ausgeprägte iatrogene NNR-Insuffizienz [44]. ■ Intramuskuläre Depotcorticoide können zu einer irreversiblen Atrophie von Haut/Unterhaut/Muskulatur an der Injektionsstelle führen (Patientenjargon „Cortisonloch“; S. 40, Kap. 3.11). 2.2.2 Applikationswege der systemischen Corticoidtherapie Wegen der guten Lipid-/Wasserlöslichkeit können Corticoide zur systemischen Applikation auf verschiedenen Wegen verabreicht werden: ■ orale Corticoidgabe (üblich in der Langzeitbehandlung), ■ i. v. Corticoidinjektion (bei Notfällen), ■ Corticoidinfusion (bei der Corticoid-Stoßtherapie), ■ Corticoidsuppositorium (in der Pädiatrie [53] und bei bestimmten Notfällen). 2.2.3 Applikationsformen der systemischen Corticoidtherapie Je nach Therapieziel, Art und Akuität der Erkrankung gibt es verschiedene Formen der Corticoidapplikation. Zirkadian heißt: Einnahme der gesamten Corticoid-Tagesdosis morgens auf einmal. Weitere Applikationsformen von Bedeutung sind die: ■ alternierende Corticoidapplikation: doppelte Tagesdosis jeden zweiten Tag morgens auf einmal (beliebt in der Pädiatrie), ■ kontinuierliche Corticoidapplikation: meist als Infusion in Notsituationen. Bevorzugt werden heute Applikationsformen, die einfacher und effektiver sind sowie weniger Nebenwirkungen haben: ■ Low-Dose-Corticoidtherapie, ■ Modified-Release-Corticoidtherapie, ■ Corticoid-Stoßtherapie (pulse therapy), ■ topische Corticoidtherapie. Low-dose-Corticoidtherapie Definition: 1992 wurde die Low-Dose-Corticoidtherapie in Lissabon [42] definiert als die Corticoidtherapie mit der niedrigsten, noch ausreichend wirksamen Corticoiddosis: Die Dosis für die Low-Dose-Corticoidtherapie beträgt in Europa etwa 5 mg/d Prednisolonäquivalent (in den USA ≤ 10 mg/d). Indikationen: Die Low-Dose-Corticoidtherapie ist bei vielen chronischen Erkrankungen einsetzbar. Hierzu war die Erkenntnis nötig, dass auch Corticoiddosen, die unterhalb der Substitutionsdosis/d liegen, wirksam sind [16]. Da unter Low-Dose-Corticoidtherapie bei rheumatoider Arthritis weniger Gelenkdestruktionen auftreten [46] und die Kno- Kaiser, Kley, Keyßer, Cortisontherapie in der Rheumatologie (ISBN 9783131506313), © 2010 Georg Thieme Verlag KG 14 2 Praxis der Pharmakotherapie mit Corticoiden chenmasse besser erhalten bleibt [67], ist diese Behandlung zur Ersttherapie der rheumatoiden Arthritis avanciert. Klassische Indikationen für die Low-Dose-Corticoidtherapie sind u. a.: rheumatoide Arthritis, systemischer Lupus erythematodes, Arteriitis temporalis, Polymyalgia rheumatica, Asthma bronchiale, chronisch-obstruktive Lungenerkrankung, entzündliche Darmerkrankungen, chronische Immunhepatitis. Weniger klassische Indikationen sind: soziale Indikation bei aktivierter Arthrose (z. B. in den USA) sowie Corticoidbehandlungen in Schwangerschaft/ Stillzeit, bei Ulkusanamnese und bei älteren Patienten. Die Low-Dose-Corticoidtherapie entwickelt sich in vielen Fällen von selbst bei der Reduktion hoher Initialdosen hin zur Erhaltungsdosis. Praktisches Beispiel für ein Reduktionsmanöver der Corticoidbehandlung bis hin zur Low-Dose-Therapie bei einer Patientin mit systemischem Lupus erythematodes: ■ Nach Wirkungseintritt Reduktion der Initialdosis von zunächst 60 mg/d Prednisolon um 5– 10 mg/d alle 2–4 Wochen bis zu einer Dosis von 15 mg/d unter Beachtung von Klinik und Labor. ■ Dann 12,5 mg/d Prednisolon über 2 Wochen, dann 10 mg/d über 4 Wochen, dann 9 mg/d über 4 Wochen, danach 8 mg/d über 4 Wochen, zuletzt 7 mg/d Prednisolon. ■ Im weiteren Verlauf wurde die Corticoiddosis über Monate bis minimal 5 mg/d Prednisolon auf die Low-Dose-Corticoidtherapie reduziert. In obigem Fall hatte das Reduktionsmanöver über 9 Monate gedauert. Ab etwa 10 mg/d soll die Reduktion besonders vorsichtig und in kleinsten Schritten erfolgen. Gelegentlich können auch niedrigere Corticoiddosen als 5 mg/d erreicht werden. Modified-Release-Corticoidtherapie Definition: Bei der Modified-Release-Corticoidtherapie (gelegentlich auch „time released tablet“, TRT, genannt) wird aus einer um 22.00 Uhr eingenommenen Tablette 4 Stunden später (um 2:00 Uhr) das Pharmakon Prednison (oder Hydrocortison [26]) akut und vollständig freigesetzt. Die Kinetik des Prednisons bei Modified Release entspricht der einer üblichen Prednisontablette [18]. Wirkprinzip: Üblicherweise erfolgt bei zirkadianer Applikation die Corticoideinnahme morgens gegen 8:00 Uhr. Zu dieser Zeit sind bei der rheumatoiden Arthritis die proinflammatorischen Vorgänge jedoch schon abgelaufen, wie z. B. der Anstieg von Interleukin-6 (IL-6) morgens 2:00 Uhr oder die typische Klinik mit Gelenkschwellung, Morgensteifigkeit und Schmerzen. Da Corticoide das IL-6 supprimieren und die Beschwerden der rheumatoiden Arthritis reduzieren, bot es sich an, die Corticoideinnahme zeitlich vorzuziehen [6], entweder durch nächtliche Applikation um 2:00 Uhr oder durch verzögerte Prednisonfreisetzung (modified release). Folge dieser Therapieform mit Prednison ist, dass beim Aufwachen der Rheumapatienten das IL-6, die Entzündungsreaktionen und die klinische Symptomatik schon gebessert sind – ein Zustand, den man auf Station sonst erst ab Mittag sieht. Weitere Krankheiten mit einer Tagesrhythmik der Beschwerden und erhöhtem IL-6 bieten sich für diese Behandlungsform an [5]. In der Wirkung auf die NNR-Funktion besteht zu konventionellem Prednison kein Unterschied [4]. Dosis: Einziges Präparat mit Modified-ReleasePrednison ist Lodotra. Die Dosisfindung im LowDose-Bereich wird mit 1-, 2- und 5-mg-Tabletten erleichtert. Nachtrag: Mithilfe von Modified-Release-Hydrocortison [26] hofft man, eine physiologischere Substitution der NNR-Insuffizienz erreichen zu können. Corticoid-Stoßtherapie („pulse therapy“) Definition: Kurzinfusion hoher Corticoidmengen an 3–5 aufeinanderfolgenden Tagen bei hochakuten Erkrankungen, z. B. die Infusion von 500 mg Prednisolon über 30 Minuten [21]. Theoretisch besetzen etwa 300 mg Prednisolon alle Corticoidrezeptoren im menschlichen Organismus, sodass mit einem 500-mg-Corticoidstoß dieses Ziel erreicht sein müsste [31]. Mit solch hohen Corticoiddosierungen werden auch nicht genomische Corticoideffekte genutzt. Kaiser, Kley, Keyßer, Cortisontherapie in der Rheumatologie (ISBN 9783131506313), © 2010 Georg Thieme Verlag KG 2.3 Indikationen: ■ akute Abstoßungsreaktion nach Organtransplantation, ■ schwer verlaufende Systemerkrankungen wie Lupus erythematodes, Polymyositis [41], ■ rheumatoide Arthritis mit aggressiven Verlaufsformen und therapierefraktären Schüben, Vaskulitis oder hochaktive Felty-Still-Syndrome [78], ■ schwere Vaskulitiden, Riesenzellarteriitis mit drohender Erblindung, Panarteriitis nodosa, Vaskulitis bei Systemerkrankungen, Morbus Wegener, ■ Nierenerkrankungen wie rapid progressive Glomerulonephritis (vor allem im Kindesalter), Goodpasture-Syndrom, ■ sonstige Erkrankungen mit schweren Verlaufsformen (nicht in allen Zentren anerkannt) wie Dermatomyositis, Spondylitis ankylosans, akuter Schub einer multiplen Sklerose, myasthenische Krise, endokrine Orbitopathie. Nebenwirkungen: Akut auftretende Nebenwirkungen der Corticoid-Stoßtherapie sind u. a. (S. 42, Kap. 3.13): Geschmacksstörungen, Schlafstörungen, Schwitzen, Flush, Bradykardie, Bluthochdruck, flüchtige Gelenkergüsse, Singultus, zentralnervöse Störungen [14, 36]. Leberzellnekrosen unter Corticoid-Stoßtherapie wurden beobachtet bei sehr hohen Corticoid-Gesamtdosen (> 9 g Prednisolonäquivalent) (S. 30, Kap. 3.4.2). Nachtrag: Die ultrahohe Corticoid-Stoßtherapie hat sich nicht etablieren können [14, 59]. 2.3 Topische (= lokale) Corticoidapplikation Die topische Corticoidapplikation hat gegenüber der systemischen Therapie folgende Vorteile: ■ hohe Corticoidkonzentration am Zielort [20], ■ Reduktion der Corticoid-Gesamtdosis, ■ Reduktion der Nebenwirkungen. Nicht alle Krankheiten können durch topische Corticoidapplikation behandelt werden. Zudem kann die hohe Corticoidkonzentration am Zielort neue lokale Nebenwirkungen hervorrufen (wie Rachen- Topische (= lokale) Corticoidapplikation 15 mykose und heisere Stimme nach Corticoidsprays). Auch ist die Pharmakokinetik topisch eingesetzter Corticoide verändert [55]. Topisch wirksame Corticoide werden verwendet als: ■ Sprays/Pulver (bei obstruktiven Lungenerkrankungen), ■ Cremes/Lotionen/Salben (Hautkrankheiten), ■ Klistier/Einläufe/Foams/Zäpfchen (Darmerkrankungen), ■ Tropfen/Salben (Augen- und Hautkrankheiten), ■ Intraartikuläre Injektion (Gelenkerkrankungen), ■ Weichteilinfiltration (muskuloskelettale Beschwerden) oder ■ Spezialtabletten (Dünndarmerkrankungen). Nebenwirkungen: Nahm man zunächst an, dass inhalative topische Corticoide (praktisch) keine systemischen Nebenwirkungen hätten, wurden bald auch alle bekannten unerwünschten Wirkungen wie bei einer systemischen Corticoidtherapie gefunden, wenn auch in geringerem Ausmaß [72]. Auch topische Corticoide werden resorbiert und sind systemisch wirksam (besonders ausgeprägt bei Salben und intraartikulären Injektionen). Folge ist, dass ein CRH-Stimulationstest zur präoperativen Klärung einer evtl. iatrogenen NNR-Insuffizienz auch bei topischer Corticoidanwendung notwendig werden kann [68]. Die Regeln des Corticoidausweises (S. 7, Abb. 1.3) behalten bei (längerer) topischer Corticoidanwendung ihre Gültigkeit [24]. Intraartikuläre Injektionen Die intraartikuläre Injektion von Corticoiden erfolgt in Depotform, um eine lange Verweildauer der Corticoide im Gelenk zu ermöglichen. Die Depotwirkung wird durch Corticoidkristalle oder durch Lipidpräparationen erreicht. Eine derartige Injektion besitzt ausgeprägte lokale antientzündliche Wirkungen: Die Expression von inflammatorischen Zytokinen wie TNF-α und IL-1-β nimmt ebenso ab wie die Dichte des zellulären Infiltrats in der Synovialmembran [2]. Indikationen: ■ persistierende Arthritiden bei entzündlichen Gelenkerkrankungen unter suffizienter Basistherapie, Kaiser, Kley, Keyßer, Cortisontherapie in der Rheumatologie (ISBN 9783131506313), © 2010 Georg Thieme Verlag KG 73 10 Autoimmune Systemerkrankungen 10.1 Systemischer Lupus erythematodes Der systemische Lupus erythematodes (SLE) ist eine Erkrankung, die durch die exzessive Bildung von Autoantikörpern gekennzeichnet ist. Diese sind gegen Antigene des Zellkerns, des Zytoplasmas, aber auch der Zellmembran gerichtet. Organschädigungen durch die Ablagerung von Immunkomplexen bedingen ein vielfältiges und nicht immer leicht zu diagnostizierendes Krankheitsbild. Frauen sind bis zu 10-mal häufiger betroffen als Männer. Die Prävalenz wird mit etwa einer bis 5 Erkrankungen auf 10 000 Personen angegeben [5]. Bei der Entstehung des SLE wirken genetische und hormonelle Faktoren mit Umwelteinflüssen zusammen. Zu den möglichen exogenen Faktoren gehören Chemikalien und Medikamente, Infektionen und die UV-Strahlung. Hormonelle Einflüsse gehen von Östrogenen und Prolaktin aus. Das Resultat ist ein T-Zell-Defekt, eine B-Zell-Hyperaktivität und die Beeinträchtigung der Clearance von apoptotischen Zellen. Im Gefolge dieser Störungen werden intranukleäre, extrazelluläre und Membranantigene körpereigener Zellen zum Ausgangspunkt einer intensiven Autoantikörperproduktion. Die überschießende Bildung von zirkulierenden Immunkomplexen führt zu einer Überladung des retikuloendothelialen Systems. Die Ablagerung dieser Komplexe in physiologischen Strukturen wie der Basalmembran der Glomeruli verursacht Organschädigungen. 10.1.1 Klinik Der SLE beginnt mit Allgemeinsymptomen wie Fieber, Abgeschlagenheit, Arthralgien und Gewichtsabnahme. Spezifischere klinische Befunde richten sich nach dem Organbefall. Häufig sind Hautmanifestationen. Diagnostisch wegweisend ist das Schmetterlingserythem, das jedoch nur bei etwa der Hälfte der Patienten und auch nur zeitweise auftritt. Charakteristisch sind diskoide Läsionen, die auf dem Kopf, dem Gesicht, aber auch an den Extremitäten auftreten. Diese initial papulösen Läsionen breiten sich zentrifugal aus und hinterlassen eine Vernarbung mit Zerstörung der Haarwurzeln. Diskoide Läsionen können auch ohne systemische Manifestationen als rein kutaner Lupus vorkommen. Darüber hinaus findet man bei Lupuspatienten ein makulopapulöses Exanthem nach Sonnenexposition, vaskulitische Hautveränderungen, die an den Händen wie sog. Frostbeulen imponieren können („Chilblain-Lupus“). Der SLE geht häufig mit einer Gelenkbeteiligung einher. Die Erkrankung kann als Arthritis beginnen, die klinisch nicht von einer rheumatoiden Arthritis zu unterscheiden ist. Auch Rheumafaktoren oder -knoten können nachweisbar sein. Allerdings verläuft die Arthritis bei SLE in der Regel nicht destruierend, selbst wenn es im Verlauf zu Fehlstellungen der Gelenke kommen kann. Diese werden jedoch nicht durch knöcherne Destruktionen, sondern durch Überdehnung des Kapsel-Band-Apparats hervorgerufen. Etwa die Hälfte der Patienten mit SLE entwickelt eine Nierenbeteiligung. Diese tritt häufig in Form einer Glomerulonephritis auf, die in schweren Fällen als proliferative Nephritis verläuft und zu einer raschen Abnahme der Nierenfunktion führt. Beschrieben werden auch interstitielle Nephritiden. Gefürchtet ist die Mitbeteiligung des Zentralnervensystems. Diese kann von leichtgradigen Störungen wie kognitiver Dysfunktion oder Kopfschmerzen zu schweren Psychosen oder Krampfanfällen führen. Auch Hirnembolien im Rahmen eines Antiphospholipid-Syndroms kommen vor. Die serösen Häute sind in den Entzündungsprozess einbezogen. Es finden sich Pleuritiden und Perikarditiden. Eine Peritonitis ist seltener. Der SLE kann zudem hämatologische Komplikationen verursachen. Dazu gehören Leukopenie und Thrombopenie, aber auch eine hämolytische Anämie. Weitere, insgesamt seltener auftretende Organmanifestationen sind die Lupus-Pneumonitis, die Libman-Sacks-Endokarditis oder die Koronariitis. Bei allen Organmanifestationen ergibt sich häufig die Schwierigkeit, eine Beteiligung im Rahmen des SLE von einer infektiösen Komplikation abgrenzen zu müssen. Kaiser, Kley, Keyßer, Cortisontherapie in der Rheumatologie (ISBN 9783131506313), © 2010 Georg Thieme Verlag KG 74 10 Autoimmune Systemerkrankungen 10.1.2 Diagnostik Die Diagnose eines SLE wird immer anhand einer Kombination aus klinischen und laborchemischen Parametern gestellt. Wenn auch nicht primär als diagnostische Kriterien entwickelt, sind die Klassifikationskriterien des SLE für die Diagnosefindung durchaus hilfreich [7]. Allerdings kann ein SLE auch vorliegen, ohne dass die Klassifikationskriterien formal erfüllt werden (Tab. 10.1). Tabelle 10.1 Klassifikationskriterien des systemischen Lupus erythematodes des American College of Rheumatology [7]. 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8. 9. 10. 11. Schmetterlingserythem diskoide Hautveränderungen Photosensibilität orale Ulzera, orale oder nasopharyngeale Ulzerationen, gewöhnlich schmerzlos Arthritis: nicht erosive Arthritis an 2 oder mehr Gelenken Serositis ■ Pleuritis ■ Perikarditis Nephritis ■ persistierende Proteinurie > 0,5 g/l oder ■ Zylindrurie oder Erythrozyturie ZNS-Beteiligung (nicht durch Medikamente oder metabolisch bedingt) ■ Anfallsleiden oder ■ Psychosen hämatologische Symptome ■ hämolytische Anämie oder ■ Leukozytopenie (< 4 × 109/l; 2- oder mehrmalig) oder ■ Thrombozytopenie (< 100 × 109/l) immunologische Befunde ■ Nachweis von Anti-dsDNA-Antikörpern oder ■ Nachweis von Anti-Sm-Antikörpern oder ■ Nachweis von Anti-Antiphospholipidantikörpern für mindestens 6 Monate durch – mindestens 6 Monate der IgG- oder IgM-Klasse oder – positiven Test für Lupusantikoagulanz oder – falsch positiven Test auf Syphilis und bestätigten Treponema-pallidum-Immobilisations-(TPI-) oder Fluoreszenz-TreponemaAntikörper-Absorptionstest (FTA) antinukleäre Antikörper (ANA) Wenn 4 der 11 Kriterien vorliegen, liegt definitiv ein SLE vor. Neben unspezifischen Veränderungen wie Senkungsbeschleunigung, Vermehrung der Gammaglobuline und einer Anämie finden sich bei SLE-Patienten Autoantikörper in hohen Titern. Der Nachweis antinukleärer Antikörper alleine ist für die Diagnosestellung eines SLE nicht spezifisch genug. Maßgeblich gestützt wird der SLE-Verdacht durch den Nachweis von Antikörpern gegen Doppelstrang-DNA oder Sm-Protein. Häufig lassen sich auch Antikörper gegen Ro und La, gegen Histone, gegen U1RnP und andere Autoantigene nachweisen. Die Spezifität der Letztgenannten ist jedoch geringer, da sie auch bei anderen Kollagenosen vorkommen. Bedeutsam ist der Nachweis von Antiphospholipid-Antikörpern (s. u.) Für die Aktivitätsbeurteilung des systemischen Lupus erythematodes hat sich die Kontrolle von Doppelstrang-Antikörpern und der Komplementfaktoren C3 und C4 bewährt. Letztere sind im akuten Schub häufig stark erniedrigt und steigen bei erfolgreicher Therapie an. Die Doppelstrang-Antikörper fallen ab, können jedoch auch in einer klinischen Remission nachweisbar sein. Das Gleiche gilt für Sm-Antikörper. 10.1.3 Therapie Patienten mit einem SLE sollten in einer auf dieses Krankheitsbild spezialisierten Einrichtung behandelt werden. Die Art der Therapie richtet sich nach dem Befallsmuster und der Aggressivität des Krankheitsbilds. Allgemeine Maßnahmen zielen auf die Prophylaxe von Infektionen, den Schutz vor UV-Exposition und die Vermeidung östrogenhaltiger Antikonzeptiva ab. Basistherapie Zur Therapie des SLE steht eine Reihe von Immunsuppressiva zur Verfügung. Milde Verläufe lassen sich mit Hydroxychlorochin in einer Dosis von 2– 4 mg/d behandeln. Das Präparat besitzt eine gute Wirksamkeit auf Haut- und Gelenkbeteiligung, bietet jedoch auch einen gewissen Schutz vor einer Nierenmanifestation und wird für die Remissionserhaltung nach der Therapie akuter Schübe verwendet [3]. Bei mittelschweren Verläufen mit Gelenk- und Hautmanifestation, aber auch milden Nephritisformen kommt Azathioprin in einer Do- Kaiser, Kley, Keyßer, Cortisontherapie in der Rheumatologie (ISBN 9783131506313), © 2010 Georg Thieme Verlag KG 95 Sachwortverzeichnis A Absetzmanöver 19 ACTH-Stimulationstest 5, 6 Addison-Ausweis 7 Akne 46 Allergie auf Corticoide 28 Alter und Corticoidtherapie 24 Amenorrhö 33 ANCA-assoziierte Vaskulitiden 88 ff Antiphospholipid-Syndrom 76 f Arteriitis temporalis 84 f Arteriosklerose 36 Arthritis – enteropathische 63 f – juvenile idiopathische 54 ff – Lyme-Arthritis 71 f – psoriatica 60 f – reaktive 61 ff – rheumatoide 48 ff – septische 72 – urica 65 ff Arthropathie – bei Hämochromatose 70 f – bei Sarkoidose 69 f Arthrosen 64 f Augenschäden 29 autoimmune Systemerkrankungen 73 ff B Behçet-Syndrom 93 Blutbestandteilveränderungen Bluthochdruck 36 Borreliose 71 C Chondrokalzinose 67 Churg-Strauss-Syndrom 90 Corticoidabhängigkeit 43 Corticoidapplikation 13 ff Corticoidausweis 7 Corticoide – Äquivalenzdosen 12 – Interaktionen 24 f – intraartikuläre 16, 17 – Kontraindikationen 25 – Nebenwirkungen 27 ff 32 – pharmakologische Parameter 12 – teratogene Effekte 44 – Wirkmechanismen 2 f Corticoidentzugssyndrom 43 Corticoidtherapie 10 ff – Absetzmanöver 19 – Äquivalenzdosis gängiger Präparate 12 – Dosierungsempfehlungen 19 – Dosisabbau 14 – Empfehlungen für die Corticoidtherapie 47 – gängige Corticoidpräparate 11 – Indikationen 48 ff – Infiltration in Weichteile 18 – intraartikuläre Injektion 15 ff, 51 – Low-Dose-Corticoidtherapie 13, 19 – Modified-ReleaseCorticoidtherapie 14, 19, 51 – pränatale 44 – Langzeittherapie, Überwachung 47 – Patienteninformation über Corticoidnebenwirkungen 47 – Stoßtherapie 14, 19 – systemische 10 ff – – Applikationsformen 13 ff – – Präparate 10, 11 – topische 15 ff Cortisol 2 f, 11, 12 Cortison 11, 12 CRH-Stimulationstest 5, 6 Cushing-Schwellendosis 34 Cushing-Syndrom 46 – iatrogenes 33 f D Dermatomyositis 79 ff Dexamethason 11, 12 Diabetes mellitus 40 f E Elektrolyt- und Wasserhaushalt 30 enteropathische Arthritiden 63 f Euphorie 42 F Felty-Syndrom 52 Fettstoffwechselstörungen Früh- und Totgeburt 44 41 G Gastrointestinaltrakt, Veränderungen unter Corticoiden 30 ff Gaumenspalte 44 Gichtarthritis 65 ff Glaukom 29 H hämatologische Veränderungen 32 f Hämochromatose 70 f Hautatrophie 46 Hautblutungen 33, 46 Hautveränderungen 33, 45 f Herzinfarkt 37 Hirnleistungsstörungen 43 Hirnstrukturstörungen 43 Hirsutismus 46 Hormonveränderungen 33 f Hydroxylapatit-Krankheit 67 Hypersensitivitäts-Vaskulitis 92 f I Impfungen unter Corticoidtherapie 20 Infektionen 35 f Infiltration in Weichteile 18 Injektionstherapie, intraartikuläre 15 ff, 51 – Dosierung 16 – praktische Durchführung 16 f – Präparate 16, 17 – Risiken 17 Insulintoleranztest (ITT) 5, 6 Interaktionen von Pharmaka mit Corticoiden 24 f J juvenile idiopathische Arthritis 54 ff – ILAR-Klassifikation 55 Kaiser, Kley, Keyßer, Cortisontherapie in der Rheumatologie (ISBN 9783131506313), © 2010 Georg Thieme Verlag KG 96 Sachwortverzeichnis K Katarakt 29 Kindheit und Corticoidtherapie 24, 45 Knochenveränderungen 37 ff Kolonperforation 30 Kontraindikationen für Corticoide 25 Kristallarthropathien 65 ff kryoglobulinämische Vaskulitis 91 f L Langzeittherapie, Überwachung 47 Lebererkrankungen und Corticoidtherapie 21 Leberschädigung 30 Lipidämie 41 Lipodystrophie 41 Lipomatose 41 Lodotra 14 Löfgren-Syndrom 70 Low-Dose-Corticoidtherapie 13, 19 Lupus erythematodes, systemischer 73 ff – Klassifikationskriterien 74 – und Schwangerschaft 75 f Lyme-Arthritis 71 f M Manie 42 Methylprednisolon 11, 12 mikroskopische Polyangiitis 91 Mixed Connective Tissue Diseases 83 Modified-Release-Corticoidtherapie 14, 19, 51 Morbus Addison 4 Morbus Bechterew 57 Mortalität, peri- und postnatale 44 Mund- und Speiseröhrenveränderungen 31 Myopathie 39 f N Nebennierenrindenhormone 1 ff NebennierenrindenInsuffizienz 4 ff – Diagnose 5 ff – iatrogene 5, 34 – Operation und Narkose 21 ff – primäre (Morbus Addison) 4 – sekundäre 4 – Substitution mit Hydrocortison 6, 22 Nebenwirkungen der Corticoidtherapie 27 ff – bei Fetus und Kind 40 ff – Patientenklagen 45 Nierenerkrankungen und Corticoidtherapie 21 O Operation und Narkose bei NNR-Insuffizienz 21 f Operation und Narkose unter Corticoidtherapie 21 Operationsrisiken unter Corticoidtherapie 23 Osteonekrose 37 Osteoporose 38 P palindromer Rheumatismus 68 Panarteriitis nodosa 87 Pankreatitis 31 Patienteninformation 47 Polyarteriitis nodosa 87 f Polymyalgia rheumatica 85 f Polymyositis 79 ff Potenzstörungen 33 Prednisolon 11, 12 Prednison 11 Pseudogicht 67 Psoriasis-Arthritis 60 f psychische Störungen 42 Psychosyndrom, endokrines 42 pulse therapy 14 Purpura Schoenlein-Henoch 92 R reaktive Arthritiden 61 ff rheumatisches Fieber 62 f rheumatoide Arthritis 48 ff – des höheren Lebensalters 52 – Basistherapie 49 f – besondere Verlaufsformen 52 f – Corticoidtherapie 50 f – Diagnostik 49 – intraartikuläre Injektionstherapie 51 – Klinik 48 – Kontrolle des Therapieerfolges 51 f – nichtmedikamentöse Therapieverfahren 51 – Therapie mit Biologika 50 Riesenzell-Vaskulitiden RS3PE-Syndrom 52 84 ff S Sarkoidose 69 Schwangerschaft und Stillzeit 23 f – Corticoide für den Fetus 24 – Corticoide für die Mutter 23 – Corticoide für die stillende Mutter 24 septische Arthritiden 72 Sharp-Syndrom 83 Sjögren-Syndrom 81 ff Sklerodermie 77 Spondylitis ankylosans 57 ff Spondyloarthropathien 57 ff Still-Syndrom des Erwachsenen 68 f Striae rubrae 46 Stoßtherapie 14, 19 Substitutionstherapie 8 – bei Auslandsreisen 8 – bei Flugreisen 8 – bei Hochgebirgstouren 8 – bei Schicht- und Nachtarbeit 8 Systemerkrankungen, autoimmune 73 ff systemische Sklerose 77 f T Takayasu-Arteriitis 86 f teratogene Effekte 44 Thrombosen 33 Triamcinolon 11, 12 U Überlappungssyndrome 83 f Überwachung einer CorticoidLangzeittherapie 47 Ulcus pepticum 32 V Vaskulitiden 84 ff – ANCA-assoziierte 88 ff – kryoglobulinämische 91 f – sekundäre 93 f vegetative Störungen 42 W Wachstumshemmung 34 Wachstumsstörungen des Fetus 44 Wegener-Granulomatose 88 ff Wundheilungsstörungen 46 Kaiser, Kley, Keyßer, Cortisontherapie in der Rheumatologie (ISBN 9783131506313), © 2010 Georg Thieme Verlag KG