Hyperkinetische Störungen

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Vorlesungsreihe Basiswissen KJP
WS 2011/2012
ADHS –
Hyperkinetische Störungen
15. November 2011
9. Ausbildung, Weiterbildung, Fortbildung
Bundesärztekammer
Angesichts der Bedeutung der Störung muss gefordert werden, dass sie
sowohl im Studium als auch in der Weiterbildung und Fortbildung
verschiedener Berufsgruppen verankert wird. Für die Ärzteschaft ist die
zertifizierte Fortbildung hierfür ein geeignetes Medium (vgl. (14)).
9.1 Medizinstudium, ärztliche Weiterbildung und Fortbildung
Es ist zu fordern, dass die ADHS / HKS, ebenso wie andere psychische
Störungen des Kindes- und Jugendalters, sowohl im Curriculum für
Studierende der Humanmedizin stärker verankert als auch in die Weiter- und
Fortbildung der Kinder- und Jugendpsychiater, Kinder und Jugendärzte,
Allgemeinärzte und aller anderen Arztgruppen, die mit Kindern und Jugendlichen zu tun haben, stärker einbezogen wird. Auch in den Prüfungsfragen
für die verschiedenen Abschnitte der ärztlichen Prüfung muss die ADHS / HKS
stärker berücksichtigt werden. Sie ist ebenso umfassend in die
Weiterbildungsgänge der oben genannten Facharztgruppen einzubeziehen
und in Fortbildungsveranstaltungen stärker zu berücksichtigen.
http://www.bundesaerztekammer.de
ADHS
Definition
Epidemiologie
Diagnostik
Pathophysiologie
Therapie
DER SPIEGEL
vom 15.7.2002
Was kennzeichnet ADHS / ADS oder HKS?
Unaufmerksamkeit
Hyperaktivität
Impulsivität
Symptome treten mindestens in zwei unterschiedlichen
settings auf (meist Schule und zu Hause)
Manifestation vor dem 7. Lebensjahr und Dauer von mindestens 6 Monaten
Nach DSM IV (Diagnostic and Statistical Manual,
American Psychiatric Association, 1994) gibt es
3 Subtypen:
Der unaufmerksame Typ (IN),
der hyperaktive-impulsive Typ (HI),
der kombinierte Typ (CB)
CB entspricht am ehesten der
hyperkinetischen Störung nach ICD 10 (F 90)
In der ICD 10 kann die häufige Komorbidität mit
Störung des Sozialverhalten extra diagnostiziert werden
Symptomatik
Die zehn wichtigsten Symptome bei ADHS:
Unaufmerksamkeit und leichte Ablenkbarkeit
Hyperaktiv und/oder verträumt
Impulsivität
Vergesslichkeit und schlechtes Kurzzeitgedächtnis
das Kind wirkt zerstreut und chaotisch
große Probleme beim Einhalten von Regeln
Schul- und Lernprobleme, Vermeidungsverhalten beim Lernen
Große Stimmungsschwankungen in kurzer Zeit
Geringer Selbstwert
Problematisches Sozialverhalten, gliedert sich nicht in Gruppen ein
Häufigste Komorbiditäten und
Differentialdiagnosen
Teilleistungsstörungen*
Lernbehinderung
Störung des Sozialverhaltens
oppositionelle Verhaltensstörung
Angststörung
Zwangstörung
posttraumatische Belastungsstörung
Depression
bipolare Störung
Tic-Störungen
Anpassungsstörungen
*
- Rezeptive Sprachstörungen
- Lese- und Rechtschreibstörung
- Umschriebene Entwicklungsstörung
der motorischen Funktionen
Bio-psycho-soziales Entwicklungsmodell
Aus: Resch et al.
Gene ! Proteine/
Proteinexpression
Neurone und neuronale Netzwerke !Verhalten
Genes code for proteins not for behaviors. (Landis & Insel, Science Nov 2008)
ADHS: Genetik
Zwillingsstudien zeigen eine hohe genetische
Vulnerabilität
(> 2000 Paare, monozygote 50-80% Konkordanz,
Dizygote 35%)
Adoptionsstudien zeigten einen stärkeren
Genetischen Einfluss als gemeinsame Umwelt.
Geschwister: Prävalenz 2-4x höher
Eltern: Prävalenz 8 – 10x höher
Kinder von Eltern mit ADHS: 60%
ADHS: Genetik
Polymorphismen korreliert mit ADHS:
10-repeat Allel des DAT 1 (Dopamintransporter)
und
7-repeat Allel des DRD4 (und DRD5) Rezeptors
GRIN2A
BDNF
SNAP 25
– NMDA glutamate receptor subtype
– brain derived neurotrophic factor
- synaptosomal-associated protein of 25 kDa,
is an integral part of SNARE (soluble
N-ethylmaleimide-sensitive factor attachment
protein receptor), a docking complex for synaptic vesicle
exocytosis and neurotransmitter release
ADHS: Umweltfaktoren
- Frühgeburtlichkeit (Hypoxie)
- Nikotin und Alkohol, Drogen,
Medikamente in utero
- psychosozialer Stress in der
Schwangerschaft
- Blei (?)
- Diät(?)
NATURE or NURTURE
NATURE AND NURTURE
Das Dopaminerge Belohnungssystem
Bei ADHS
-
The frontal lobes
The frontal lobes play important roles in a variety of higher psychological
processes - like planing, decision making, impulse control, language, memory,
and others.
There is mounting evidence that neuronal circuitry in the frontal lobes
is shaped and fine tuned during adolescence, and that experience plays a
prominent role in these changes.
(Aaron M. White, PhD, Dep of Psychiatry, Duke University Medical Center,
Durham, NC, USA)
Dopamin-Metabolismus
H+Cl-
DA
Ca++
DA
Ca++
ATP
MPH
DA
MPH
Na+
Na+ Cl-
DAT
Na+
DA Na+ ClDA
DA
DA
DA
ANATOMIE UND ZELLBIOLOGIE
Mechanismus des MPH Effekts
DIAGNOSTIK I
Psychiatrische Anamnese des Kindes
Psychopathologischer Befund
Fremdanamnese der Bezugspersonen
Familiengespräch
Körperlich – neurologische Untersuchung
EEG, EKG, MRT, Labor
Anamnese:
Familienanamnese: genetische Belastung (Heritabilität 70-80%)
Risikofaktoren in der Schwangerschaft:
psychosozialer Stress (Cortisolausschüttung, epigenetische Beeinflussung
der embryonalen HPA Achse, veränderte Cortisol-Rezeptor-Expression)
Nikotin- oder Alkoholkonsum, Substanzkonsum
Medikamenteneinnahme
Geburtsanamnese: Frühgeburtlichkeit, Hypoxie, Apgar-Index, Nabelschnur-pH
DIAGNOSTIK II
Kurze Projektive Verfahren
3 – Wünsche Probe
Satzergänzungstest
„Familie in Tieren“
--------------------------------------------------------------------------------------
Häufig eingesetzte Fragebögen
-
YSR / CBCL / TRF
ILK, BDI, EDI (Beschwerdefragebogen,
Depressionsfragebogen, Essstörung)
ADHS – Fragebogen (DYSIPS, Döpfner, Köln)
Kiddie-SADS (Standardisiertes Interview)
DIAGNOSTIK III
Testpsychologische Untersuchungen:
– Leistungstests: Intelligenztests
(K-ABC, HAWIK IV)
– Aufmerksamkeitstests (d2, TAP)
Therapiemöglichkeiten in der KJP
ambulante, teilstationäre, stationäre Behandlung
MULTIMODALES THERAPIEKONZEPT:
- Psychotherapie, psychosoziale Interventionen, Medikation
Psychotherapie:
verbal
Psychoedukation
VT/ CBT, analytisch
Familientherapie
nonverbal
Kunsttherapie
Musiktherapie
Ergotherapie
tiergestützte Therapie
Bewegungstherapie
Psychosoziale Interventionen
- Elterntraining
- Schule
- ambulante oder stationäre Jugendhilfemassnahmen
(sozialpädagog. Familienhilfe,
Erziehungsbeistand, Jugendhilfeeinrichtung)
- Gruppentrainingprogramme
- Konzentrationstraining
Psychopharmakologische Therapie: Ethische Bedenken
„I´d rather be myself,” he said.
“Myself and nasty. Not somebody else, however jolly.”
[Aldous Huxley, 1932]
Methylphenidat
MPH prescriptions in Germany
DDD = 30 mg; 40 X increase in the last 10 years
0.3 million
DDD in 1990
30
18.3 million
in 2001
25
20
26 million
2004
15
Million DDD
10
DDD =
Defined daily
dose
5
0
1990
1992
1994
80x in the last 15 years
1996
1998
2000
2004
50
46
45
39
40
33
35
30
26
25
16 17
20
13
15
8
10
5
Mio. DDD
20
5
0
1998
2000
2002
2004
2006
Verordnungen von Methylphenidat 1998-2007.
Gesamtverordnungen nach den definierten Tagesdosen.
Pharmakotherapie
„Primäre Pharmakotherapie ist meist dann
indiziert, wenn eine
stark ausgeprägte, situationübergreifende
hyperkinetische Symptomatik mit
krisenhafter Zuspitzung vorliegt.“
(z.B. Umschulung in Sonderschule, massive
Belastung der Eltern-Kind-Beziehung)
PSYCHOSTIMULANZIEN
- Psychostimulanzien
Methylphenidat (Ritalin®, Medikinet®,
Equasym®, Methylphenidat Hexal®,
Retardpräparate:
Ritalin SR®, Concerta®, Medikinet ret®
Equasym ret®)
Amphetamine (D-Amphetaminsaft)
- Selektive Noradrenalin Wiederaufnahmehemmer
Atomoxetin (Strattera®)
[Reboxetin (Edronax®)]
- Adrenerger alpha2-Agonist
Clonidin (Catapresan®)
(zentral u peripher, Aktivitätshemmung noradrenerger Neurone im LC)
- Antidepressiva
Bupropion (Zyban®, Wellbutrin®(USA))
- Fenetyllin (D,L-Amphetamin und Theophyllin) seit Mitte 2003 nicht mehr
verfügbar; Hersteller verzichtete auf Nachzulassung
- Amfetaminil seit 2003 ebenfalls nicht mehr verfügbar
(in der DDR – Aponeuron® - einziges Stimulans
METHYLPHENIDAT
Wirkmechanismus: nicht genau bekannt!
- Dopamintransporterblocker, darüber
Veränderung der Signaltransduktion im dopaminergen System?
Weiteres???
Präparate:
Ritalin®, Medikinet®, Equasym®, Methylphenidat Hexal®,
Retardpräparate:
Ritalin SR®, Concerta®, Ritalin LA®,
Medikinet ret®, Equasym ret®
Patches
METHYLPHENIDAT
Dosierung: kaum kontrollierte Studien für Kinder unter 6 Jahren
- Alter über 6 Jahre: Beginn morgens 5mg, zweite mittägliche Dosis 5 mg
allmähliche Dosissteigerung um 5-10 mg pro Woche,
maximale Tagesdosis liegt bei 60 mg.
übliche optimale Dosis: 0,5 – 1,0 mg/kg, verteilt auf 2-3 Tagesgaben
Unerwünschte Wirkungen:
Häufig: Schlafstörungen, Einschlafstörungen,
verminderter Appetit, unspezifische gastrointestinale Beschwerden,
Reizbarkeit, erhöhte Herzfrequenz
Selten: Sozialer Rückzug, Depressive Verstimmung, Auslösung von Tics, erhöhter
Blutdruck, Schwindel, Übelkeit, Obstipation, Kribbelparästhesien, eingeschränkte
kognitive Leistungsfähigkeit bei sehr hohen Dosen (> 1mg/kg/d), z.B. Einengung der
Aufmerksamkeit, verminderte Flexibilität im Denken, schlechtere Problemlösestrategien
Nebenwirkungserfassung nach Barkley
Probleme beim Einschlafen und andere Schlafstörungen
Alpträume
Starrt ins Leere, Tagträume
Spricht wenig mit anderen
Interessiert sich wenig für andere
Hat wenig Appetit
Ist empfindlich und reizbar
Hat Magenschmerzen
Hat Kopfschmerzen
Klagt über Schwindel
Ist traurig; weint schnell
Ist ängstlich
Kaut exzessiv Fingernägel
Ist über die Maßen fröhlich oder euphorisch
Ist müde
Hat nervöse Zuckungen, Tics
Hat Haarausfall
Nebenwirkungen im Langzeitverlauf
In der MTA Studie führte die Exposition über 6 Jahre
bis in die frühe Adoleszenz
– nicht zu Effekten auf Puls und Blutdruck
– Das Gewicht war im 3 Jahresverlauf geringer
aber nicht mehr am Ende des 6 Jahres Zeitraums
– zu einem Wachstumsverminderungseffekt
(height z-scores both by medication quartile and by
original group assignment, with maximum affect at 3 years)
Kontraindikationen
relative
absolute
Schwangerschaft/ Stillzeit
Manifeste Psychosen
Akute Angstzustände
Arterieller Hochdruck
Kardiale Arrhythmien
Tic-Störung, Tourette Syndrom
Anfallsleiden
Medikamenten- und
Drogenabusus
Atomoxetin
- Selektiver Noradrenalinwiederaufnahmehemmer
Blockade des NERTs sofort, Wirkeintritt dauert bis zu 8 Wochen
- unterscheidet sich in der chemischen Struktur kaum von Fluoxetin
- war primär ebenfalls als Antidepressivum entwickelt
- dann als Mittel für ADHS im Kindes-, Jugend- und Erwachsenenalter
getestet und zugelassen
- Gravierendste NW ähnlich wie SSRIs: Suizidalität
- Gute Alternative zu Methylphenidat bei komorbiden Ticstörungen und
natürlich auch bei emotionalen Störungen des Kindesalters
Evidenzgrade
I Harte Evidenz, systematisches Review, verschiedene
randomisierte Studien mit gutem Design
II Harte Evidenz, mindestens eine randomisierte Studie
mit gutem Design
III Evidenz beruhend auf nicht-randomisierten Studien mit
gutem Design
IV Evidenz beruhend auf nicht-experimentellen Studien
mit
gutem Design, mehr als 1 Zentrum oder Forschergruppe
V Meinung respektierter Experten, deskriptive Studien,
Berichte von Expertenkomitees
Nichtmedikamentöse Therapie bei ADHS
Multimodale Behandlung der hyperkinetischen Symptomatik
Psychoedukation (Aufklärung und Beratung) (III)
Elterntraining / Familieninterventionen (I)
Schul-/Kindergarten-Interventionen (I)
Selbstinstruktionstraining / Selbstmanagementtraining (II)
Pharmakotherapie (I)
Behandlung komorbider Störungen
Soziales Kompetenztraining (opp./aggr. Verhalten) (II)
Einzel- / Gruppentherapie (Selbstwertgefühl, Kontaktstörungen)(V)
(tiefenpsychologisch / non-direktiv / verhaltenstherapeutisch)
Übungsbehandlungen (Teilleistungsstörungen) (I-V)
(Evidenzgrad)
Vielen Dank für
Ihre Aufmerksamkeit!
Andrea G. Ludolph
e-mail: [email protected]
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