14 Samstag/Sonntag, 15./16. Mai 2010 AKTUELLES THEMA Rhein-Neckar-Zeitung / Nr. 110 Sind wir denn noch zu retten? RNZ-Serie „Zukunftsreport“ – Teil 2: Die Klimakatastrophe wird teurer als zwei Weltkriege / Von Franz Alt E s gibt eine seriöse ökonomi sche Berechnung des Klima wandels. Und diese Rech nung stimmt viele Ökonomen nachdenklich. Bis dahin wur de argumentiert, Ökologie sei zu teuer. Heute wissen wir, dass ökologische Ver besserungen zu höheren Renditen führen. Um ökonomische Katastrophen zu ver hindern, brauchen wir intelligente ökolo gische Instrumente. Nach den akribischen Berechnungen des früheren Chefvolkswirtes der Welt bank, Sir Nicholas Stern, kostet der Kli mawandel im 21. Jahrhundert die unvor stellbare Summe von 5500 Milliarden Dollar oder 5,5 Billiarden. Soviel wie der Erste und Zweite Welt krieg zusammen könnte es kosten, wenn die Menschheit mit ihrer Energiepolitik weitermacht wie bisher. Wir verbrennen an einem Tag so viel Kohle, Gas und Öl wie die Natur in einer Million Tagen ange sammelt hat. An einem Tag blasen wir heu te mehr als 100 Millionen Tonnen Treib hausgase in die Luft. Deshalb verdörren ganze Landstriche, Küsten überfluten, Tier und Pflanzenarten sterben etwa tau sendmal schneller aus als vor 200 Jahren. Die ökonomische Botschaft der Öko katastrophe formulierte der ehemalige Weltbanker so: „Der Klimawandel ist das größte Marktversagen, das es je gab.“ Marktwirtschaft oder Klimakatastro phe? So hatte es bisher niemand formu liert. Plötzlich ist die Rettung des Weltkli mas ein Auftrag der Ökonomen. Die Bun deskanzlerin sagte es bei einem Besuch im japanischen Kyoto so: „Es ist ein Ge bot der wirtschaftlichen Vernunft, ökolo gisch richtig zu handeln.“ Entscheidend wird sein, dass wir langfristig rechnen ler nen. Der SPDPolitiker und Ökonom Her mann Scheer rechnet langfristig im Sin ne der Merkel’schen „wirtschaftlichen Vernunft“ so: „Die Mehrkosten für erneu erbare Energien von heute sind vermiede ne Umweltschäden und niedrige Energie kosten von morgen.“ I Klimaschutz oder Klimazerstörung? Die Folgen des Klimawandels werden widersprüchlich sein: Flache Küstengebiete werden mit Es war die britische Zeitung „Indepen Überflutungen zu kämpfen haben, wenn das Schmelzen der Polkappen den Meeresspiegel steident“, die den 30. Oktober 2006 den Tag gen lässt. In den Ländern rund um das Mittelmeer dagegen dürfte nicht das Wasser zum Pronannte, „an dem das Klima wechselte“. An diesem Tag hatte Nicholas Stern mit on über bis zu 30 Prozent weniger Was böden auftauen und MethanGas freiset seinen Zahlen die ganze Welt überrascht. ser. Millionen Afrikaner müssen fliehen zen, was den Temperaturanstieg zusätz Aber: Begann mit der neuen Erkenntnis (nach Europa – wohin sonst?). 30 Prozent lich antreiben könnte. Methan ist weit aller Tier und Pflanzenarten könnten mehr treibhauswirksam als CO2. Bis zu tatsächlich auch ein neues Handeln? Fahren wir jetzt weniger Auto? Ver aussterben. In Afrika erkranken 60 Mil 400 Milliarden Tonnen davon lagern im brennen wir weniger Öl? Verbrauchen lionen Menschen an Malaria. Permafrostboden der Arktis. Bei drei Grad Erwärmung muss auch > In Australien kommt die Landwirt wir weniger Strom? Sind wir vernünfti ger geworden? Schalten Politiker inzwi Südeuropa mit Dürre, Hungersnöten und schaft, die schon heute unter Wasserman Wassermangel rechnen. Bis zu 170 Millio gel stöhnt, vollends zum Erliegen. schen vom Reden aufs Handeln um? Zumindest gibt es jetzt keine Ausre nen Menschen werden Opfer von Fluten > Der Amazonas in Brasilien könnte aus und Überschwemmungen – ein Drittel trocknen, aber im Sommer auch strecken den mehr. mehr Menschen als heute weise der Rhein, wie 2003 geschehen. Die mehr als 2000 Klima muss hungern. forscher haben im Auftrag > Der arktische Ozean könnte in 100 Jah Bei vier Grad Erwär ren eisfrei sein. Die InuitVölker und vie der Uno mehrere erschre Der Bericht des mung müssen wir mit 300 le arktische Tierarten verlieren ihre Hei ckende Berichte über das, Nicholas Stern Millionen Toten in Küstenge mat. Symbol dafür ist der arktische Eis was uns durch den Klima bieten rechnen. Auch Ham bär. Nur auf Meereis können die Eisbären wandel bevorstehen könnte, burg ist dann bedroht. 50 Jagd auf Robben machen. Die Schifffahrt im Detail präsentiert. Demnach hätte eine Erwärmung von Prozent der heutigen Naturschutzgebiete erhofft sich dann jedoch leichteren Zu nur einem Grad im 21. Jahrhundert zur können ihre Funktion nicht mehr erfüllen. gang zu Bodenschätzen durch neue Bei fünf Grad Erwärmung sind in den Schifffahrtsrouten. Im Sommer 2005 Folge, dass 80 Prozent der Korallenriffe permanent unter der Korallenbleiche lei Ozeanen Fische und Fischerei gefährdet. überquerte die russische „Akademik Fjo den und absterben. Das Verschwinden Die Hälfte der Menschheit leidet unter dorow“ als erstes Schiff der Seefahrtsge der AndenGletscher bedroht die Wasser Wassermangel. Die HimalayaGletscher schichte ohne Eisbrecher den Nordpol. versorgung von 500 Millionen Menschen. schmelzen und damit leiden die fünf größ Paradoxerweise sind die kältesten Regio In den armen Ländern des Südens wer ten Flüsse Asiens extrem an Wasserman nen der Welt am stärksten von der globa den noch mehr Menschen sterben, wäh gel. Weltstädte wie New York, Tokio, Lis len Erwärmung betroffen. Die Gletscher rend die Reichen im Norden mit höheren sabon, Kairo, Bombay, Shanghai und schmelzen schneller als die Klimatologen Chittagong sind existenziell bedroht. Ernten rechnen können. bisher befürchtet hatten. Einige Forscher Schon bei zwei bis drei Grad Erwär sehen den endgültigen Verlust des arkti Bei zwei Grad globaler Erwärmung verfügen Afrika und die Mittelmeerregi mung könnten die sibirischen Permafrost schen Sommereises schon 2040. Wenn blem werden, sondern gerade seine Knappheit. Im Hitzesommer 2003 hat auch Deutschland erlebt, wie Flüsse immer trockener wurden. Das AFP-Foto entstand in Portugal 2005, als Löschzüge der Feuerwehr die leeren Wasserreservoirs kleiner Dörfer auffüllen musste. Grönlands Eis auftaut, steigt der Meeres makatastrophe oder sonnige Aussichten? Drei Meldungen dieser Tage zeigen, spiegel um sechs Meter. Schmilzt aber der Eispanzer der Antarktis, sind es wei wie rasch der Umstieg auf Erneuerbare tere 60 Meter. Nicht nur bedrohte Tier Energien gelingen kann. Erstens: Spanien gewinnt im Früh und Pflanzenarten, ganze Eislandschaf ten verschwinden für immer. Wir werden jahr 2010 bereits 45 Prozent seines gesam unsere WeltAnschauung ändern müssen. ten Stroms aus erneuerbaren Quellen, > Der Golfstrom könnte sich abschwä aus Wasserkraft, Windkraft, aus Sonnen chen, wofür es bereits erste Hinweise und Wellenenergie. Zweitens: Ostfriesland gewinnt zur gibt. Wenn er zum Erliegen kommt, kann es in Nordeuropa und Norddeutschland zeit 90 Prozent seines Stroms erneuerbar – über Windräder, Bioener kälter werden. Eine Eiszeit gie und über die Sonne. im Norden Deutschlands Drittens: Deutschland und eine Heißzeit im Süden Die Ärmsten sind wollte bis zum Jahr 2010 sind nicht auszuschließen. > Weltweit erodieren die Bö die ersten Verlierer erst 12,5 Prozent seines Stroms erneuerbar erzeu den. Jeden Tag verlieren wir gen, hat dieses Ziel aber 86 Millionen Tonnen frucht baren Boden. Und jeden Tag werden wir schon 2008 erreicht. Wenn die Steigerung eine Viertelmillion Menschen mehr. Mit wie in den letzten sechs Jahren weiter dem fruchtbaren Boden geht alles verlo geht, dann werden in Deutschland bis ren. Der Klimawandel zerstört unsere Le 2020 bereits 45 Prozent Ökostrom produ bensgrundlagen. Wenn die Ozeane weiter ziert. Nach dem dritten Energiegipfel im versauern, werden Lachs, Kabeljau oder Kanzleramt 2009 betonte die Kanzlerin: Thunfisch wahrscheinlich aussterben. Die Hauptverlierer des Klimawandels Bis 2020 kann Deutschland 40 Prozent im armen Afrika und in Südasien werden seiner Energie durch bessere Effizienz Millionen Kinder sein, die an Hunger ster einsparen. Das alles zeigt, dass Klima ben, obwohl Afrikaner und Asiaten am schutz möglich und bezahlbar ist. Ent wenigsten Energie verbrauchen. Wie wer scheidend sind der politische Wille und das Verhalten der Verbraucher. 2010 sind den sie reagieren? Ewig mit Geduld? in Deutschland bereits über 300 000 Men schen im Bereich der erneuerbaren Ener I Die Landkarte wird sich verändern gien beschäftigt. Tendenz stark steigend. Der TschadSee in Afrika ist seit den sechziger Jahren des letzten Jahrhun > Nächste Woche: Die Energiewende ist mögderts um etwa 80 Prozent geschrumpft. lich – Die Lösung steht am Himmel. An den See grenzen Tschad, Niger und Ni geria. Diese drei Länder haben weltweit die am schnellsten wachsenden Bevölke rungszahlen und immer weniger Wasser. Quellen und Flüsse versiegen. Die Welt steht durch den Klimawandel vor einem nie da gewesenen Wasserdefizit. Schon heute wächst der Wasserverbrauch weit schneller als die Weltbevölkerung. RNZ. Der Journalist, Fernsehmoderator In dieser Situation wird der Klima und Buchautor Franz Alt schreibt in ei wandel zum Teil hoch subventioniert – nem mehrteiligen Zukunftsreport in der zum Beispiel in Deutschland mit der Koh RheinNeckarZeitung über Auswege leförderung. Einmal eingeführte Förde aus der Klimakatastrophe. Alt war von rungen werden kaum wieder abgeschafft. 1972 bis 1992 Leiter und Moderator des Vielleicht sollten wir als Steuerzahler politischen ARDMagazins „Report“. den Politikern deutlich machen, dass wir Auf seiner Webseite www.sonnensei nicht länger bereit sind, den Klimawan te.com finden sich del mit Steuergeldern zu unterstützen. Nachrichten rund Haben wir trotz dieser trüben Zu um Solarenergie, kunftsaussichten als Spezies Mensch noch Umweltschutz eine Überlebenschance? Klimaforscher und Wirt sind die Propheten unserer Zeit. Aber kön schaft. nen sich Propheten nicht auch irren? Erinnern wir uns an die Rechnung von Nicholas Stern: Die Rettung des Weltkli mas kostet ein Zehntel dessen, was uns die Zerstörung des Weltklimas kostet. Auch die Klimaforscher der Uno sagen, dass wir noch etwa 15 Jahre Zeit haben zum Gegensteuern. Worauf also warten wir noch? Was wollen wir wirklich – die Kli > Weitere Infos: www.franzalt.de RNZ-Zukunftsserie mit Franz Alt Die Klimaerwärmung bedroht einen Großteil der Korallenriffe. Fotos (2): dpa Der britische Ökonom Nicholas Stern stellte 2006 den nach ihm benannten Bericht vor. Sein Heimatland erlebte in den letzten Jahren mehrere Flutkatastrophen. Foto: AFP