Theorie und Versuchsanleitung zum Praktikum Grundlagen der Elektrotechnik II Clausthal-Zellerfeld im Februar 2010 Institut für Elektrische Energietechnik I Inhaltsverzeichnis 5 Versuch 5: Leistungsmessung bei Drehstrom 5.1 Theoretische Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.1.1 Drehstrom . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.1.2 Sternschaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.1.3 Dreiecksschaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.1.4 Leistungsmessung bei Drehstrom . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.1.5 Bestimmung des Leistungsfaktors cos bei Symmetrie . . . . . . . . . . 1 1 1 3 6 7 12 5.1.6 Bestimmung der Blindleistung aus der Aronschaltung bei Symmetrie 5.1.7 Leistungsfaktor bei Unsymmetrie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.1.8 Allgemeine Formelzeichen und Definitionen (DIN 1304, 40 108) . . . 5.1.9 Übungsaufgabe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.2 Aufgaben und Hinweise zum Versuchstag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.2.1 Versuchsdurchführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.2.2 Versuchsauswertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16 16 16 17 18 18 20 6 Versuch 6: Schutzmaßnahmen 6.1 Theoretische Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.1.1 Grundlagen, Vorschriften, Begriffe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.1.2 Netzformen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.1.3 Gefahren des elektrischen Stromes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.1.4 Berührspannung, Schrittspannung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.1.5 Schutzmaßnahmen - Schutz gegen elektrischen Schlag . . . . . . . . . . . 6.1.6 Schutz durch automatisches Abschalten der Stromversorgung . . . . . 6.1.7 Schutz durch doppelte oder verstärkte Isolierung . . . . . . . . . . . . . . . 6.1.8 Schutz durch Schutztrennung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.1.9 Schutz durch Kleinspannungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23 23 23 25 27 31 35 36 47 49 51 ___________________________________________________________________________ II INHALTSVERZEICHNIS 6.1.10 Zusätzlicher Schutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.1.11 Schutzmaßnahmen unter fachlicher Beaufsichtigung . . . . . . . . . . . . . . 6.1.12 Schutzeinrichtungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.2 Aufgaben und Hinweise zum Versuchstag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.2.1 Demonstrationstafeln für Schutzmaßnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.2.2 Versuchsdurchführung und -auswertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 54 54 56 62 62 64 7 Versuch 7: Gleichrichterschaltungen 7.1 Theoretische Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.1.1 Definition eines idealen Ventils . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.1.2 Gleichrichterschaltungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.1.3 Gleichgerichtete Spannung, überlagerte Wechselspannung und Glättungseinrichtungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.1.4 Unvollkommenheit idealer Ventile . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.1.5 Belastungskennlinie eines Gleichrichters . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.2 Aufgaben und Hinweise zum Versuchstag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.2.1 Versuchsdurchführung Funktionshinweise des Schaltbrettes: Gleichrichterschaltungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.2.2 Messungen und Versuchsauswertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 67 67 67 68 99 100 8 Versuch 8: Untersuchung eines Transformators 8.1 Theoretische Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.1.1 Allgemeine Betrachtungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.1.2 Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.1.3 Betriebsverhalten des Transformators . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.1.4 Berechnung und Messung der Größen des Ersatzschaltbildes . . . . . . . 8.1.5 Transformatoren für besondere Zwecke . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.2 Aufgaben und Hinweise zum Versuchstag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.2.1 Versuchsdurchführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.2.2 Versuchsauswertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 103 103 103 107 116 119 122 126 126 126 86 95 98 99 ___________________________________________________________________________ 1 Versuch 5: Leistungsmessung bei Drehstrom 5.1 Theoretische Grundlagen 5.1.1 Drehstrom „Drehstromsystem“ ist die übliche Bezeichnung für ein dreiphasiges Wechselstromsystem. Das Drehstromsystem (Abb. 5.1) dient zur Übertragung von elektrischer Energie mit drei Strombahnen. Die Leiter, die die Energiequellen mit dem Verbraucher verbinden, werden vorzugsweise mit L1, L2, L3 bezeichnet. Zulässig ist auch die Bezeichnung R, S und T (DIN 40 108). L1 L2 Generator L3 U12 U31 I1 U1N U23 N U2N U3N I2 Verbraucher I3 Abb. 5.1: Drehstrom-Vierleitersystem Die Spannung zwischen diesen Leitern sind die Leiterspannungen, U12, U23 und U31. Die Leiterströme haben die Bezeichnung I1, I2 und I3. Oft ist ein vierter Anschluss, der Mittel- oder Sternpunktleiter N (alte Bezeichnung: Mp) vorhanden, der bei gewissen Verbraucherschaltungen mit dem Verbrauchersternpunkt verbunden sein kann. Die Spannungen zwischen den Leitern und dem Mittelleiter N sind die Sternspannungen U1N, U2N und U3N. Drehstromnetze füh___________________________________________________________________________ 2 5.1. THEORETISCHE GRUNDLAGEN ren meistens symmetrische Spannungen, d.h. Leiter- bzw. Sternspannungen sind betragsmäßig gleich groß: U12 U 23 U31 U L Erläuterung: U1N U 2 N U3 N U LN U : komplexer Effektivwert U : Effektivwert = Betrag des komplexen Effektivwertes u : Momentanwert (siehe Abb. 5.2) Die Phasenverschiebungen zwischen den einzelnen Leiter- bzw. Sternspannungen betragen dann 120° (Abb. 5.2). U 3N U 31 U1N U 23 U12 u 1 U1N U 31 U 2N U12 U 3N 0 U 2N 3 t 2 U 23 120° Abb. 5.2: Zeiger- und Liniendiagramm von Leiter- und Sternspannungen Aus dem Diagramm ist ablesbar, dass UL 3U LN ist. 400V =230V bei f = 50 Hz genormt *. 3 Der Sternpunkt ist oft geerdet (vergleiche Versuch 6: Schutzmaßnahmen). Im Niederspannungsnetz sind UL = 400 V und U LN ___________________________________________________________________________ 5. VERSUCH 5: LEISTUNGSMESSUNG BEI DREHSTROM 3 * Im Rahmen der internationalen Standardisierung ersetzen diese Nennspannungen seit 1983 die Werte 220/380 V (z.B. in Deutschland) und 240/415 V (z.B. in Großbritannien). 5.1.2 Sternschaltung Eine Sternschaltung liegt dann vor, wenn die drei Verbraucher oder Stränge an einem gemeinsamen Knotenpunkt, dem Lastmittelpunkt oder -sternpunkt N angeschlossen sind (Abb. 5.3). Die an den Strängen liegenden Spannungen U1N, U2N und U3N werden Sternspannungen ULN genannt. Die Ströme in den Strängen sind bei der Sternschaltung gleich den Leiterströmen: IStr = IL. I1 L1 I1N U1N U 31 U12 U 3N L2 I3N U 23 U 2N U 12 U 1N U 2 N U 23 U 2 N U 3 N U 31 U 3 N U 1N I3 L3 I2 S N IN Abb. 5.3: Sternschaltung 5.1.2.1 Symmetrische Belastung bei Sternschaltung Symmetrische Belastung liegt dann vor, wenn alle komplexen Widerstände nach Betrag und Phase gleich groß sind. Bei Anschluss an ein symmetrisches Netz sind dann auch die Strangspannungen ULN gleich groß und in ihrer Phase um 120° gegeneinander verschoben: ___________________________________________________________________________ 4 5.1. THEORETISCHE GRUNDLAGEN U1N U 2 N U 3 N UL U LN 3 Es gilt somit auch auf der Verbraucherseite das Zeigerdiagramm von Abb. 5.2. Verbindet man den Laststernpunkt N mit dem Generatorsternpunkt (Schalter S geschlossen, Abb. 5.3), so fließt in diesem Sternpunkt- oder Mittelleiter kein Strom IN, da beide Sternpunkte gleiches Potential haben. Nimmt man zur Zeichnung eines Stromzeigerdiagramms an, dass symmetrische ohmsche Belastung vorliegt, dann haben Strangstrom- und Strangspannungszeiger die gleiche Richtung (Abb. 5.4). Es gilt weiterhin die Knotenpunktsgleichung. I1 I 2 I 3 0 und wegen der Symmetrie I1 I 2 I3 I L I Str 1 I3 I3 I2 U 31 U1N U12 120° U 3N I1 U 2N 3 I1 I2 2 U 23 Abb. 5.4: Spannungs- und Stromzeigerdiagramm bei symmetrischer ohmscher Last in Sternschaltung 5.1.2.2 Unsymmetrische Belastung in Sternschaltung mit Sternpunktleiter An einem starren Drehstromnetz mit Mittelleiter seien drei in Stern geschaltete ungleiche Wechselstromwiderstände Z 1 Z 2 Z 3 angeschlossen. Bei symmetrischen Sternspannungen und einem widerstandslosen Mittelpunktleiter tritt an allen drei Widerständen eine dem Betrage nach gleichgroße Spannung auf. Die Stern- bzw. Strangströme und damit die Leiter- ___________________________________________________________________________ 5. VERSUCH 5: LEISTUNGSMESSUNG BEI DREHSTROM 5 ströme I Str I L U LN / Z Str sind also unsymmetrisch, d.h. ihre Summe ist nicht mehr gleich Null, so dass auch im Mittelleiter ein Strom I N fließt. Es sei das Beispiel unsymmetrischer ohmscher Belastung betrachtet, d.h. die Strangwiderstände sind unterschiedlich groß. Wird z.B. der Belastungsfall R1 R2 R3 gewählt, so ist I1 I 2 I 3 , da die Strangspannungen gleich sind. Das Stromzeigerdiagramm hat dann z.B. folgendes Aussehen (Abb. 5.5): 1 I3 I2 U31 U1N IN U12 I3 U3N I1 I1 U 2N 3 2 I2 U 23 Abb. 5.5: Spannungs- und Stromzeigerdiagramm bei unsymmetrischer ohmscher Last mit N-Leiter Das Knotenpunktsgesetz lautet jetzt: I1 I 2 I 3 I N 0 Es fließt somit bei unsymmetrischer Last über den Mittelleiter ein Ausgleichsstrom I N . 5.1.2.3 Unsymmetrische Belastung in Sternschaltung ohne Sternpunktleiter Werden bei unsymmetrischer Last die Mittelpunkte von Generator (Netz) und Verbraucher nicht verbunden (Schalter S geöffnet, siehe Abb. 5.3), so sind die Sternspannungen unterschiedlich groß. Zwischen den Sternpunkten entsteht eine Potentialdifferenz U GV (Indizes: G: Generator, V: Verbraucher) und somit eine Sternpunktverschiebung am Verbraucher (Abb. 5.6). ___________________________________________________________________________ 6 5.1. THEORETISCHE GRUNDLAGEN 1 I1 I 2 I3 0 I3 U1N U 31 NG U12 I1 U GV U 3N I2 U 2N 3 2 U 23 Abb. 5.6: Spannungs- und Stromzeigerdiagramm bei unsymmetrischer ohmscher Last ohne N-Leiter 5.1.3 Dreieckschaltung Eine Dreieckschaltung liegt vor, wenn sämtliche Stränge hintereinander angeordnet einen geschlossenen Ring bilden. Da jeder Verbraucher an der Leiterspannung liegt, sind Leiter- und Strangspannung gleich: U L U Str Die Leiterströme ergeben sich nach dem Knotenpunktsgesetz aus der geometrischen Differenz zweier Strangströme (Abb. 5.7): L1 I1 1 I31 U12 U 31 U12 U 31 L2 U 23 L3 I12 I3 3 I 23 I2 I 1 I 12 I 31 I 2 I 23 I 12 I 3 I 31 I 23 2 U 23 Abb. 5.7: Dreieckschaltung ___________________________________________________________________________ 5. VERSUCH 5: LEISTUNGSMESSUNG BEI DREHSTROM 7 5.1.3.1 Symmetrische Belastung bei Dreieckschaltung Bei symmetrischer Belastung sind alle Widerstände und damit auch alle Strangströme gleich groß. Für den Fall der symmetrischen ohmschen Belastung ergeben sich folgende Zeigerdiagramme (Abb. 5.8): 1 I12 I3 I31 U 31 U12 I 23 I31 I1 I2 U 23 3 I12 I 23 2 Abb. 5.8: Spannungs- und Stromzeigerdiagramm bei symmetrischer ohmscher Last in Dreieckschaltung Der Leiterstrom ist 3 -mal größer als der Strangstrom. I12 I 23 I 31 I Str I L 3 I Str Dies gilt auch bei beliebiger symmetrischer Last. 5.1.4 Leistungsmessung bei Drehstrom 5.1.4.1 Einphasige Wirkleistungsmessung bei symmetrischer Belastung Die gesamte Drehstromwirkleistung ergibt sich aus der Summe der einzelnen Strangleistungen: 3 PS P1N P2 N P3 N PStr bei Sternschaltung 1 3 PD P12 P23 P31 PStr bei Dreieckschaltung 1 ___________________________________________________________________________ 8 5.1. THEORETISCHE GRUNDLAGEN Bei Symmetrie sind die Strangleistungen gleich. Damit ist: P 3PStr Weiterhin gilt für Symmetrie bei Sternschaltung: I L I Str U L 3 U Str PS 3 PStr 3 U Str I Str cos PS 3 U L I L cos und bei Dreieckschaltung I L 3 I Str PD 3 PStr 3 U Str I Str cos U L U Str PD 3 U L I L cos PS Bei Verwendung der Leiterwerte ist die Gleichung also unabhängig von der Schaltung. Zur Bestimmung der Gesamtleistung reicht die Messung der Leistung eines Stranges mit einem Leistungsmesser aus, dessen Wert mit drei multipliziert wird. L1 L1 W L2 Symmetrische Last L3 oder W Symmetrische Last L2 RV oder L3 RV N R 'V a) R 'V R V R M b) Abb. 5.9: Einphasige Leistungsmessung bei symmetrischer Last RV : Vorwiderstand zur Messbereichserweiterung des Spannungspfades vom Wattmeter RM : Innenwiderstand des Wattmeters a) Schaltung mit vorhandenem Netzmittelpunktleiter N oder Laststernpunkt N b) Schaltung mit künstlichem Sternpunkt bei fehlendem Mittelpunkt N ___________________________________________________________________________ 5. VERSUCH 5: LEISTUNGSMESSUNG BEI DREHSTROM 9 Ist der Sternpunkt des Netzes oder der Laststernpunkt (bei Sternschaltung) zugänglich, kann der Spannungspfad daran angeschlossen werden. Fehlen diese Klemmen, muss ein künstlicher Sternpunkt geschaffen werden, wobei die Widerstände so dimensioniert sein müssen, dass Symmetrie vorhanden ist. Die Leistungsmessgeräte in Abb. 5.9 messen U PStr L I L cos . 3 Wird dieser Wert mit drei multipliziert, erhält man die gesamte Drehstromwirkleistung. 5.1.4.2 Einphasige Blindleistungsmessung bei symmetrischer Belastung Legt man den Spannungspfad des Leistungsmessers an eine Spannung des Drehstromsystems, die senkrecht auf jener Spannung steht, die bei der Wirkleistungsmessung benutzt wird, so erhält man eine Blindleistungsmessung (Abb. 5.10): Q’ L1 var Symmetrische Last L2 RV oder L3 Abb. 5.10: Einphasige Blindleistungsmessung bei symmetrischer Last Es ist erkennbar, dass am Spannungspfad die Spannung U 23 liegt, die um 90° gegenüber U 1N verschoben ist (Abb. 5.11). ___________________________________________________________________________ 10 5.1. THEORETISCHE GRUNDLAGEN 1 U1N 3 2 U 23 90° Abb. 5.11: Spannung U 23 für die Blindleistungsmessung in L1, senkrecht zu U 1N Das Messgerät zeigt keinen Ausschlag, wenn I 1 in Phase mit U 1N ist (reiner Wirkverbraucher), und zeigt maximalen Ausschlag, wenn I 1 senkrecht auf U 1N steht (reiner Blindverbraucher). Das Messgerät misst Q ' U L I L sin . Die gesamte Blindstromleistung Q erhält man durch Multiplikation des Ausschlages mit 3 ; Q 3 Q ' 3 U L I L sin . 5.1.4.3 Dreileistungsmesserschaltung L1 W L2 W L3 W RV PL1 PL2 Symmetrische Last PL3 RV oder RV PL1 PL2 PL3 P Abb. 5.12: Dreileistungsmesserschaltung Bei der Drei-Wattmeterschaltung werden die Ausgänge der Spannungspfade zu einem gemeinsamen künstlichen Sternpunkt zusammengeschaltet. Unter der Voraussetzung, dass die Spannungspfade aller Wattmeter den gleichen Widerstand haben, zeigt jedes dieser Instrumente das Leistungsprodukt aus Leiterstrom und der zu diesem Leiter gehörigen Sternpunkt___________________________________________________________________________ 5. VERSUCH 5: LEISTUNGSMESSUNG BEI DREHSTROM 11 spannung an, d.h. die Summe der Anzeigen entspricht der gesamten Wirkleistung. Mit diesem Verfahren zur Leistungsmessung wird auch bei unsymmetrischer Last in allen Fällen die Leistung richtig erfasst. Eine Ausnahme ist jedoch zu beachten: Wenn eine Verbindung zwischen Last- und Netzsternpunkt besteht und ein Mittelleiterstrom fließt, die drei Wattmeter aber mit einem künstlichen Sternpunkt arbeiten, dann wird die Leistung falsch angezeigt, denn das Potential des künstlichen Sternpunktes liegt auf einem ganz anderen Potential als das gemeinsame Mittelleiter-Potential von Last und Netz. Erst wenn man den Mittelleiterstrom unterbricht oder den künstlichen Sternpunkt an den Mittelleiter anschließt, wird die Summe der drei Strangleistungen wieder richtig angezeigt. 5.1.4.4 Aronschaltung L1 W PA1 RV L2 RV L3 Symmetrische und unsymmetrische Last oder W PA2 PA1 PA 2 P Abb. 5.13: Aronschaltung Die gebräuchlichste Art zur Wirkleistungsmessung bei symmetrischer und unsymmetrischer Last ohne N-Anschluss ist die Zweileistungsmesserschaltung oder Aronschaltung. Sie hat gegenüber der Dreileistungsmesserschaltung den Vorteil, dass ein Messgerät eingespart wird und dass außerdem bei symmetrischer Last eine cos - und eine Blindleistungsbestimmung möglich ist. Gegeben sei z.B. eine Sternschaltung ohne N-Leiter nach Abb. 5.3. Der Augenblickswert der Drehstromscheinleistung s ergibt sich aus den Augenblickswerten der Strangströme i und Strangspannungen u. s u1N i1 u2 N i2 u3 N i3 Es gilt weiterhin: i1 i2 i3 0 i2 i1 i3 ___________________________________________________________________________ 12 5.1. THEORETISCHE GRUNDLAGEN s u1N u2 N i1 u3 N u2 N i3 s u12 i1 u32 i3 mit und u3 N u2 N u23 u32 u1N u2 N u12 Der zeitliche Mittelwert der Leistung ergibt sich durch Integration des Augenblickwertes der 1 Leistung P s dt TT P U12 I1 cos A1 U32 I3 cos A2 Hierbei sind U12, U32, I1 und I3 die Effektivwerte dieser Größen und A1 der Winkel zwischen U12, I1 sowie A2 der Winkel zwischen U32, I3. Obiger Ausdruck entspricht der Summe der beiden Leistungsmesserausschläge: P PA1 PA2 Die Aronschaltung gilt für den Fall, dass I N 0 ist. Bei unsymmetrischer Sternschaltung darf also kein Mittelpunktleiter angeschlossen sein. Jedoch kann bei symmetrischer Last und symmetrischem Netz ein N-Leiter vorhanden sein, da dann I N 0 ist. 5.1.5 Bestimmung des Leistungsfaktors cos bei Symmetrie Der Leistungsfaktor cos ist das Verhältnis von Wirkleistung zu Scheinleistung: cos P S Bei symmetrischer Belastung ist 1 2 3 ; I1 I 2 I3 I L ; Damit ist: S 3 U L I L und cos P P1 P2 P3 PA1 PA2 3PStr P 3 U L I L Der Leistungsfaktor kann also durch Strom, Spannungs- und Wirkleistungsmessung bestimmt werden. ___________________________________________________________________________ 5. VERSUCH 5: LEISTUNGSMESSUNG BEI DREHSTROM 13 Auch aus der Blindleistungsmessung (Kap. 5.1.4 „Blindleistungsmessung“) kann cos berechnet werden: sin Q' ; UL IL cos 1 sin 2 Eine elegante Methode zur Bestimmung des cos bei Symmetrie von Netz und Last ohne Strom- und Spannungsmessung ist die Leistungsfaktorbestimmung aus dem Verhältnis der Wattmeterausschläge der Aronschaltung. Nimmt man z.B. an, dass die Ströme I 1 , I 2 und I 3 um den Winkel gegenüber den Strangspannungen nacheilen, dann gilt für die Winkel A1 und A2 nach Abb. 5.14: 1 I2 U12 30° U 31 U 32 30 A 2 3 I1 U 23 2 I3 30 A1 U12 Abb. 5.14: Zeigerdiagramm bei symmetrischer Sternschaltung Damit ist bei Symmetrie: PA1 U12 I1 cos A1 PA2 U 32 I 3 cos A2 U L I L cos 30 U L I L cos 30 cos 30 cos 30 ___________________________________________________________________________ 14 5.1. THEORETISCHE GRUNDLAGEN P Aus der Kurve cos f A1 lässt sich der Leistungsfaktor direkt ablesen, siehe (Abb. PA2 5.15) Bildet man die Summe der Leistungsmesserausschläge der Aronschaltung, dann ist bei symmetrischer Last P PA1 PA2 U L I L cos 30 cos 30 U L I L 2 cos cos 30, mit cos cos 2 cos 2 cos 2 3 U L I L cos Es ergibt sich die gesamte Drehstromwirkleistung. ___________________________________________________________________________ 5. VERSUCH 5: LEISTUNGSMESSUNG BEI DREHSTROM 15 Abb. 5.15: Bestimmung des cos nach der 2-Wattmetermethode ___________________________________________________________________________ 16 5.1. THEORETISCHE GRUNDLAGEN 5.1.6 Bestimmung der Blindleistung aus der Aronschaltung bei Symmetrie Aus der Differenz der Wattmeterausschläge PA2 PA1 erhält man: PA2 PA1 U L I L cos 30 cos 30 U L I L 2 sin sin 30, mit cos cos 2 sin U L I L sin 2 sin 2 Q' Wird dieser Wert mit 3 multipliziert, ergibt sich die gesamte Drehstromblindleistung Q. Q 3 PA2 PA1 3 U L I L sin 3 Q ' 5.1.7 Leistungsfaktor bei Unsymmetrie Bei unsymmetrischer Belastung hat natürlich die Last keinen einheitlichen cos ; man kann P zwar das Verhältnis von Wirkleistung zu Scheinleistung bestimmten, (vgl. DIN 40 S 110), dieser ist dann aber nicht mehr identisch mit dem Leistungsfaktor aus Kap. 5.1.5. 5.1.8 Allgemeine Formelzeichen und Definitionen (DIN 1304, 40 108) P : Wirkleistu ng Q : Blindleist ung S : Scheinleis tung p q entsprechende zeitabhängige Größen s 5.1.8.1 Spannungen Außenleiterspannung ist bei Dreileitersystemen für Gleichstrom und Einphasenwechselstrom die Spannung zwischen den beiden Außenleitern, bei Mehrphasensystemen die Spannung zwischen zwei Außenleitern mit zeitlich aufeinander folgenden Phasen. ___________________________________________________________________________ 5. VERSUCH 5: LEISTUNGSMESSUNG BEI DREHSTROM 17 Sternspannung ist die Spannung zwischen einem Außenleiter und dem Sternpunkt. Strangspannung ist die Spannung zwischen beiden Enden eines Stranges, unabhängig davon, in welcher Schaltung die Stränge zusammengeschlossen sind. 5.1.8.2 Ströme Außenleiterstrom ist der Strom, der in einem Außenleiter fließt. Mittelleiterstrom ist der Strom, der in einem Mittelleiter fließt. Strangstrom ist der Strom, der in einem Strang fließt, unabhängig davon, in welcher Schaltung die Stränge zusammengeschlossen sind. Sternstrom ist eine andere Benennung für den Strangstrom bei Mehrphasensystemen in Sternschaltung. 5.1.9 Übungsaufgabe Zur Vorbereitung des Versuchs und zur Wiederholung der komplexen Rechnung wird die Bearbeitung der folgenden Übungsaufgabe empfohlen: Berechnen Sie für die angegebene Schaltung Wirk-, Blind- und Scheinleistung. IL L1 C UL U L 400V R R 10 L3 R C C 636, 6 F R C f 50 Hz L2 Zur Kontrolle werden folgende Zwischen- und Endergebnisse angegeben: X C 5; 11,18; 26, 6; I L 20, 7 A; P 12,8kW ; Q 6, 4kvar; S 14,3kVA ___________________________________________________________________________ 18 5.2. AUFGABEN UND HINWEISE ZUM VERSUCHSTAG 5.2 Aufgaben und Hinweise zum Versuchstag 5.2.1 Versuchsdurchführung 5.2.1.1 Versuche 1-3 L1 V L2 Generator L3 I1 P1 PA1 A W W I2 P2 A W I3 P3 PA2 A W W UL IN N A Abb. 5.16: Schaltbild für die Versuche 1-3 (Versorgung) 1. Sternschaltung ohne Neutralleiter Die Schaltung ist für unsymmetrische Last bei U L 40V und I L max 5 A zu untersuchen. Es werden gemessen: U L , U1N , U 2 N , U3 N , I1 , I 2 , I3 , P1 , P2 , P3 , PA1 und PA 2 . 2. Sternschaltung mit Neutralleiter Die Schaltung ist für unsymmetrische Last bei U L 40V und I L max 5 A zu untersuchen. Es werden gemessen: U L , U1N , U 2 N , U3 N , I1 , I 2 , I3 , I N , P1 , P2 , P3 , PA1 und PA 2 . 3. Dreieckschaltung Die Schaltung ist für unsymmetrische Last bei U L 40V und I L max 5 A zu untersuchen. Es werden gemessen: U L , I1 , I 2 , I3 , I12 , I 23 , I31 , P1 , P2 , P3 , PA1, PA2 . ___________________________________________________________________________ 5. VERSUCH 5: LEISTUNGSMESSUNG BEI DREHSTROM 19 Hinweise Für die Versuche 1 bis 3 werden als Verbraucher pro Strang zwei verstellbare Widerstände verwendet. Dabei ist je einer der beiden komplett einzustellen. Die Unsymmetrie wird vom Betreuer eingestellt. Bei allen drei Versuchen wird der Versuch gemäß Abb. 5.16 aufgebaut. An diesen Aufbau wird je nach Versuch eine Stern- bzw. Dreieckschaltung nach Abb. 5.17 angeschlossen. Für die Messung der Leiterströme sind die Weicheiseninstrumente zu benutzen. L1 L1 U1N I31 V A U 3N L2 U 2N V I12 L2 V I 23 L3 L3 A A N Abb. 5.17: Schaltbild für die Versuche 1-3 (Verbraucher) 5.2.1.2 Versuch 4 L1 V IL PStr PA1 Q' A W W var UL L2 Generator PA2 L3 W N Abb. 5.18: Schaltbild für Versuch 4 Es sollen die Größen U L , I L , PA1 , PA2 , PStr und Q ' bei folgenden Drehstromverbrauchern gemessen werden: ___________________________________________________________________________ 20 5.2. AUFGABEN UND HINWEISE ZUM VERSUCHSTAG a) symmetrische ohmsche Belastung in Sternschaltung b) symmetrische, gemischt ohmsch-kapazitive Last in Sternschaltung c) symmetrische, rein kapazitive Blindwiderstände in Sternschaltung Hinweise Die ohmschen Widerstände und Kapazitäten für Teil b sind parallel geschaltet (siehe auch Abb. 5.18)! Bei allen vier Versuchen ist auf einen ordentlichen Aufbau der Schaltung zu achten. 5.2.2 Versuchsauswertung 5.2.2.1 Versuche 1 - 3 Die gemessenen Werte sind tabellarisch aufzutragen. Zu den Versuchen 1, 2 und 3 sind je ein Strom- und ein Spannungszeigerdiagramm zu zeichnen. Auf die richtige Phasenlage zwischen Spannungen und Strömen ist zu achten. Die Drehstromwirkleistung ist nach der Dreileistungsmesserschaltung und nach der Aronschaltung zu berechnen. Die Werte sind zu vergleichen. Wann liefert die Aronschaltung ein falsches Ergebnis? 5.2.2.2 Versuch 4 Zum Versuch 4 Wirk- und Blindleistungsmessungen sind für jeden Belastungsfall die folgenden Größen zu ermitteln. 1. Die Drehstromwirkleistung nach der Aronschaltung und der Strangleistungsmessung. 2. Die Drehstromblindleistung aus der Differenz der Wattmeterausschläge sowie aus der einphasigen Blindleistungsmessung. 3. Die Drehstromscheinleistung aus Wirk- und Blindleistungsmessung. 4. Der Leistungsfaktor cos auf drei verschiedene Arten 4.1 aus der Wirk- und Scheinleistung 4.2 aus Blind- und Scheinleistung 4.3 aus dem Verhältnis der Wattmeterausschläge der Aronschaltung ___________________________________________________________________________ 5. VERSUCH 5: LEISTUNGSMESSUNG BEI DREHSTROM 21 Abb. 5.19: Bestimmung des cos nach der 2-Wattmetermethode ___________________________________________________________________________ 23 Versuch 6: Schutzmaßnahmen 6.1 Theoretische Grundlagen 6.1.1 Grundlagen, Vorschriften und Begriffe Die in diesem Skript benutzten Begriffe und zitierten Vorschriften entsprechen den VDEBestimmungen DIN / VDE 0100 Teil 410 mit den zugehörigen Beiblättern und Erläuterungen. Diese enthalten Vorschriften zum Errichten von Starkstromanlagen mit Nennspannungen bis 1000 V (nach VDE: Niederspannung). Hier werden im Wesentlichen nur die Passagen, die den Schutz gegen das "indirekte Berühren" in Wechselspannungsnetzen betreffen, herangezogen. Nachfolgend werden einige wichtige Begriffe dieses Vorschriftenwerkes erläutert: Elektrische Anlagen Eine Kombination von zugeordneten elektrischen Betriebsmitteln zur Erfüllung eines bestimmten Zweckes oder bestimmter Zwecke mit auf einander abgestimmten Kenngrößen. Nennspannung Spannung, durch die eine Anlage oder ein Teil einer Anlage gekennzeichnet ist. Die tatsächliche Spannung kann innerhalb zulässiger Grenzen davon abweichen. Bei Drehstromnetzen ist hiermit die Leiter- oder Dreieckspannung gemeint. Fehlerspannung Spannung zwischen der Fehlerstelle und der Referenzerde bei einem Isolationsfehler. Berührungsspannung Spannung zwischen zwei leitfähigen Teilen, wenn diese von einem Menschen oder einem Tier gleichzeitig berührt werden. ___________________________________________________________________________ 24 6.1. THEORETISCHE GRUNDLAGEN Aktives Teil Leiter oder leitfähiges Teil, der/das dazu vorgesehen ist, im üblichen Betrieb unter Spannung zu stehen, einschließlich eines Neutralleiters, vereinbarungsgemäß jedoch nicht eines PEN-, PEM- oder PEL-Leiters. Körper Leitfähiges Teil eines elektrischen Hilfsmittels, das berührt werden kann und üblicherweise nicht unter Spannung steht, aber unter Spannung geraten kann, wenn die Basisisolierung versagt. Fremdes leitfähiges Teil Leitfähiges Teil, das nicht zur elektrischen Anlage gehört, das jedoch ein elektrisches Potential, im Allgemeinen das einer örtlichen Erde, führen kann. (Gebäudekonstruktionselemente, leitfähige Fußböden und Wände, Gas- oder Wasserleitungen usw.) Elektrische Umhüllung Umhüllung, die Schutz gegen vorhersehbare Gefahren durch Elektrizität bietet. Bezugserde Elektrisch leitfähig angesehener Teil der Erde, der außerhalb des Einflussbereichs von Erdungsanlagen liegt und dessen elektrisches Potential vereinbarungsgemäß gleich Null gesetzt wird. Unter „Erde“ ist hier der Planet mit seiner gesamten Substanz zu verstehen. (örtliche) Erde Teil der Erde, der sich im elektrischen Kontakt mit einem Erder befindet und dessen elektrisches Potential nicht notwendigerweise Null ist. Erder Leitfähiges Teil, das in ein bestimmtes leitfähiges Medium, zum Beispiel Beton oder Koks, eingebettet sein kann und im elektrischen Kontakt mit der Erde steht. Impedanz gegen Bezugs- Impedanz zwischen einem bestimmten Punkt in einem Netz, in erde einer Anlage oder in einem Betriebsmittel und Bezugserde bei gegebener Frequenz. Neutralleiter (N) Leiter, der mit dem Neutralpunkt bzw. Sternpunkt elektrisch verbunden und in der Lage ist, zur Verteilung elektrischer Energie beizutragen. ___________________________________________________________________________ 6. VERSUCH 6: SCHUTZMASSNAHMEN 25 Es wird zwischen einem Neutralpunkt (in Stern geschaltetes Mehrphasensystem) und einem Mittelpunkt (einphasiges System) unterschieden. Schutzleiter (PE) Leiter, der bei einigen Schutzmaßnahmen die Aufgabe hat, elektrische Verbindungen zwischen einigen der folgenden Teile herzustellen: Körper elektrischer Betriebsmittel, fremde leitfähige Teile, Haupterdungsklemme, Erder, geerdeter Punkt der Stromquelle oder künstlicher Sternpunkt. Der PE-Leiter ist im ungestörten Betrieb stromlos. Seine Funktion kann unter bestimmten Bedingungen (auch abschnittsweise) mit dem Neutralleiter zusammengefasst werden (PEN-Leiter). Direktes Berühren Berühren aktiver Teile durch Menschen oder Tiere. Indirektes Berühren Berühren von Körpern elektrischer Betriebsmittel, die infolge eines Fehlerzustandes unter Spannung stehen, durch Menschen oder Tiere Elektrischer Schlag Physiologische Wirkung, hervorgerufen von einem elektrischen Strom durch den Körper eines Menschen oder Tieres. 6.1.2 Netzformen Charakteristische Größen eines Netzes: - Nennspannung, Stromart, Frequenz Leistungsbedarf zu erwartende Kurzschlussströme (minimaler und maximaler Kurzschlussstrom in Abhängigkeit von der Fehlerart) an der Einspeisestelle Art und Anzahl der aktiven Leiter der Einspeisung Art der Erdverbindungen In Abb. 6.1 sind übliche dreiphasige Drehstromnetze mit verschiedenartiger Behandlung des Netz-Sternpunktes und der Körper dargestellt, die nach VDE 0100 Teil 300 durch mindestens zwei Buchstaben gekennzeichnet sind: ___________________________________________________________________________ 26 6.1. THEORETISCHE GRUNDLAGEN Der erste Buchstabe kennzeichnet die Erdungsverhältnisse des Spannungserzeugers oder der Stromquelle (Transformator, Generator, usw.) T (terre [franz.] = Erde) Spannungserzeuger direkt mit einem Punkt geerdet (i. Allg. der Sternpunkt) I (isolated [engl.] = isoliert) Isolierung aller aktiven Teile von Erde oder Verbindung über eine Impedanz Der zweite Buchstabe kennzeichnet die Erdungsverhältnisse leitfähiger Körper in einer elektrischen Anlage (Gehäuse, Konstruktionsteile, usw.) T Körper direkt geerdet N (neutral) Körper direkt mit dem Betriebserder (i. Allg. geerdeter Sternpunkt) verbunden Weitere Buchstaben kennzeichnen die Anordnung des Neutralleiters N und des Schutzleiters PE im TN-Netz S (separated [engl.] = getrennt) Neutralleiter und Schutzleiter sind als getrennte Leiter verlegt C (combinated [engl.] = kombiniert) Neutralleiter und Schutzleiter sind im PENLeiter kombiniert TN-Netz Der Spannungserzeuger ist direkt geerdet (Betriebserde). Körper (z.B. leitfähige Gehäuse) sind über PE-Leiter oder PEN-Leiter mit der Betriebserde verbunden. Die Trennung oder Kombination von Schutzleiter und Neutralleiter unterscheidet zwischen TN-C-, TN-S- und TN-C-S-Netz. TN-C-Netz Neutralleiter- und Schutzleiterfunktion sind im gesamten Netz im PENLeiter zusammengefasst. TN-S-Netz PE-Leiter und N-Leiter sind im gesamten Netz getrennt verlegt. TN-C-S-Netz Nur in einem Teil des Netzes sind Neutral- und Schutzleiterfunktion im PEN-Leiter zusammengefasst. Im restlichen Netz sind PE- und N-Leiter getrennt verlegt. TT-Netz Der Spannungserzeuger ist direkt geerdet (Betriebserder). Die Körper der elektrischen Anlage sind ebenfalls direkt geerdet. Die Erder der Körper sind getrennt vom Betriebserder angeordnet. IT-Netz Der Spannungserzeuger ist von der Erde isoliert. Die Körper der elektrischen Anlage sind direkt geerdet. ___________________________________________________________________________ 6. VERSUCH 6: SCHUTZMASSNAHMEN 27 L1 L1 L2 L2 L3 L3 N PE PEN TN-C-Netz TN-S-Netz L1 L1 L2 L2 L3 L3 N PE PE IT-Netz TT-Netz TN-C-Netz TN-S-Netz L1 Darstellung für den Neutralleiter L2 Darstellung für den Schutzleiter L3 PE N Darstellung für den PEN-Leiter TN-C-S-Netz Abb. 6.1: Netzformen und -erdungsarten 6.1.3 Gefahren des elektrischen Stromes Durch eine sachgemäße medizinische Anwendung elektrischer Energie lassen sich anregende und sogar Heilwirkungen erzeugen. Unfälle infolge unsachgemäßer Ausführung oder Handhabung elektrischer Geräte zeigen jedoch auch die möglichen schädlichen, manchmal sogar tödlichen Wirkungen des elektrischen Stromes. Von ordnungsgemäß gefertigten und vorschriftsmäßig betriebenen elektrischen Geräten geht keine direkte Gefahr für den Betreiber aus. Erst durch einen Isolationsfehler in einem Gerät kann die Netzspannung oder ein Teil davon an das Gehäuse gelangen und den Betreiber ge___________________________________________________________________________ 28 6.1. THEORETISCHE GRUNDLAGEN fährden. Hiergegen sollen die im Folgenden beschriebenen Maßnahmen Menschen und Tiere schützen, indem sie das Entstehen einer solchen Gefahr verhindern oder bei deren Existenz schnell genug abschalten. Gegen unsachgemäßen Betrieb (Föhn in der Badewanne) oder mutwilliges Berühren unter Spannung stehender Teile (Nagel in der Steckdose, Reparieren unter Spannung) schützen diese Maßnahmen i. Allg. nicht! Neben der unmittelbaren Einwirkung des elektrischen Stromes auf den Körper können auch mittelbare Stromwirkungen gefährlich sein. Schaltlichtbögen in Starkstromschaltanlagen können unter Umständen durch Druckwellen auch Gehör- und Lungenschäden bewirken. Wie bei jedem Lichtbogen kann ihre Wärme- und Lichtstrahlung außerdem zu Verbrennungen und Augenschäden führen. Ein Schutz vor diesen Wirkungen ist durch gekapselte Schaltanlagen möglich. Der unmittelbar durch einen menschlichen oder tierischen Körper fließende Strom kann durch folgende Einflüsse körperliche Schäden verursachen: - Stromwärme - Elektrolyse - physiologische Wirkungen Beim Berühren elektrischer Spannung kann im Körper ein elektrischer Strom fließen, der bei ausreichender Stärke vorzugsweise an den Ein- und Austrittsstellen Verbrennungen hervorruft. Daneben kann eine Schädigung durch thermische Wirkung auf der gesamten Strombahn erfolgen. Die Verbrennungen an den Ein- und Austrittsstellen gehen meist tiefer, als es den Anschein hat. Daher führen derartige Verbrennungen leicht zu Entzündungen und heilen schlecht ab. Durch die Gewebeverbrennung oder auch durch die elektrolytische Wirkung des Stromes können Körpergifte entstehen, die selbst bei Gliedmaßen, die nur oberflächlich geschädigt zu sein scheinen, eine Amputation notwendig werden lassen oder sogar noch nach Stunden zum Tode führen können. Das Nervensystem des Körpers transportiert die Information in Form von elektrischen Impulsen, deren Wiederholrate (0...200 s 1 ) der Stärke des Reizes entspricht. Durch Stromeinwirkung kann diese Reizleitung so gestört werden, dass das Wahrnehmungsvermögen (z.B. Tastsinn) herabgesetzt wird oder Lähmungen die Folge sind. Besonders schwerwiegend sind diese Lähmungen, wenn sie die unwillkürlichen Bewegungen (z.B. Atem, Herz) betreffen. Atemlähmungen können sehr lange anhalten, so dass eine sofort eingesetzte künstliche Beatmung erst nach einigen Stunden beendet werden darf. Besonders wenn das Herz in der Strombahn gelegen hat, kann es zum Herzkammerflimmern kommen. Die Bewegung der Herzmuskelfasern erfolgt dann nicht rhythmisch, wie im Normalfall, sondern ungeordnet. ___________________________________________________________________________ 6. VERSUCH 6: SCHUTZMASSNAHMEN 29 Dabei kommt es zu keiner Pumpwirkung mehr. Als Erste Hilfe ist Herzmassage und schnellstmögliche Einlieferung in ein Krankenhaus geboten. Besonders gefährlich ist der Umstand, dass sich die Muskeln unter Stromeinwirkung verkrampfen. Der mit Spannung in Berührung Gekommene kann sich daher oftmals nicht selbst befreien. Speziell in dieser Situation ist bei der Bergung von Unfallverletzten darauf zu achten, dass man nicht selbst durch elektrische Spannung gefährdet wird! 6.1.3.1 Gefahrengrenzen Die eigentliche Gefahr ist nicht die vom Menschen überbrückte Spannung, sondern der Strom, der durch den Körper fließt. Die Gefahrengrenze ist von der Körperkonstruktion, der Strombahn und der Frequenz des Stromes abhängig. Dabei gelten für einen Frequenzbereich von 0 bis 1000 Hz - 100 mA als tödlich, 30 mA als gefährlich und 17 mA als gerade noch zulässig (bei einer erlaubten Berührungsspannung von 50 V) Die Gefährdung hängt selbstverständlich auch von der Einwirkdauer des Stromes auf den Menschen ab. In Abb. 6.2 sind die Wirkungsbereiche von Wechselströmen auf den Menschen in doppel-logarithmischer Strom-Zeit-Abhängigkeit aufgrund von langjährigen Erfahrungen bei Unfällen dargestellt: Bereich 1 Der Strom von ungefährlicher Stärke kann gar nicht wahrgenommen werden. Bereich 2 Bereich 4 Der Strom ist schon spürbar und führt zu Reaktionen, die noch keine Gesundheitsgefährdung bedingen. Nach einer Reaktionszeit von 300 ms kann man sich selbst befreien (Bereich 2b). Es besteht noch keine unmittelbare tödliche Gefahr, aber es muss mit Gesundheitsgefährdung (z.B. Reizleitungsstörung, Blutdruckerhöhung) gerechnet werden. Eine Befreiung aus eigener Kraft ist im Bereich 3 nicht mehr möglich. Hier beginnt die unmittelbare tödliche Gefahr. Bereich 5 Jeder zweite Unfall endet wahrscheinlich tödlich. Bereich 3 ___________________________________________________________________________ 30 6.1. THEORETISCHE GRUNDLAGEN Die oberen Grenzen der einzelnen Bereiche kann man mit Wahrnehmungsgrenze (1), Loslassgrenze (2 bzw. 2b), äußerste Sicherheitsgrenze (3) und Grenze der akuten Todesgefahr (4) bezeichnen. In Bezug auf die Frequenzabhängigkeit der Gefahrengrenze ist der Bereich (gebräuchlicher technischer Wechselströme) von 15 bis 200 Hz am gefährlichsten, da hier die Nervenfunktion am stärksten beeinflusst wird; Gleichstrom ist etwas weniger gefährlich. Ab Frequenzen oberhalb 1 kHz nehmen die schädlichen physiologischen Stromwirkungen mit steigender Frequenz so stark ab, dass im MHz-Bereich Stromstärken, die schon zu einer nennenswerten Erwärmung der stromdurchflossenen Körperteile führen, gefahrlos vertragen werden. Bei der so genannten Diathermie wird dieser Effekt medizinisch genutzt. Abb. 6.2: Wirkungsbereiche technischer Wechselströme auf den Menschen ___________________________________________________________________________ 6. VERSUCH 6: SCHUTZMASSNAHMEN 31 Wird vom Menschen eine Spannung überbrückt, so ist die Höhe des Stromes von der Berührungsspannung U B (siehe Kap. 6.1.1) und dem Körperwiderstand RK zwischen den Berührungspunkten abhängig. Der Körperwiderstand ist nicht nur eine Funktion des Körperbaus, sondern hängt außerdem noch von der Spannung und dem Zustand der Berührungsflächen (trocken oder feucht usw.) ab. Prinzipiell ist also keine eindeutige Gefahrengrenze bezüglich der Berührungsspannung angebbar. Trotzdem wurde, um den Forderungen der Praxis entgegenzukommen, nach VDE eine zulässige maximale Berührungsspannung von 50 V für Menschen definiert. Bei einem Körperwiderstand von 3000 Ω (Mittelwert des Körperwiderstandes bei normaler Umgebung zwischen Hand und Fuß - Herz in der Strombahn!) ergibt sich dabei ein Berührungsstrom von ca. 17 mA. Unter besonderen Umständen, bei denen der Körperwiderstand sicher kleiner ist (feuchte Haut, großflächige Berührung) werden noch kleinere Spannungswerte vorgeschrieben. 6.1.4 Berührungsspannung, Schrittspannung Abb. 6.3: Fehlersituation im geerdeten Netz ohne wirksame Schutzmaßnahme Die Beispiele in Abb. 6.3 und 6.4 zeigen die Gefährdung durch defekte Geräte ohne wirksame Schutzmaßnahme: Infolge eines Isolationsfehlers stehen die der Berührung zugänglichen leitfähigen Gehäuse des Motors und der Stehlampe unter Spannung. Der über eine gegebene Fehlerstelle fließende Strom wird nach VDE 0100 als Fehlerstrom I F bezeichnet. In den beiden ___________________________________________________________________________ 32 6.1. THEORETISCHE GRUNDLAGEN Abbildungen fließt ein Strom durch den Körper des Menschen, der das Gehäuse berührt zu dem leitend mit der Erde verbundenen Fußboden bzw. dem gleichzeitig berührten Wasserhahn. Dieser Fehlerstrom durch den Menschen wird durch die treibende Netzspannung und sämtliche Widerstände (ΣR) in dem durch den Menschen geschlossenen Stromkreis bestimmt. Um auf die Gefahr für den Menschen hinzuweisen, wird der Teil des Fehlerstromes, der durch den Menschen fließt, als Berührungsstrom I B bezeichnet (getrieben durch die Berührungsspannung U B ). In den Abb. 6.3 und 6.4 sind der Fehlerstrom und der Berührungsstrom identisch. Würde in diesen Fällen allerdings das metallisch leitende Gehäuse über einen Schutzleiter geerdet, so würde der Fehlerstrom über den Schutzleiter und parallel dazu über den Menschen fließen. Der Berührungsstrom wäre dann ein kleiner Teil des Fehlerstromes. In Niederspannungsnetzen berücksichtigt man i. Allg. nur die ohmschen Widerstände. Die im Fehlerstromkreis liegenden Widerstände (nicht alle im Schaltbild eingetragen) sind: - Widerstand der Netzzuleitung RL und des Transformators RT (beide sehr klein) und meist zusammengefasst in RL Widerstand des Fehlers, z.B. Gehäuseschluss, RF (je nach Art des Fehlers, häufig zu Null gesetzt) Körperwiderstand des Menschen RK (mit ca. 3 kΩ zu berücksichtigen) Übergangswiderstand des Standortes R ST (je nach Art des Fußbodens usw.) Erdungswiderstand des Netzes (Betriebserdung RB und Anlagenerdung RA ) Abb. 6.4: Fehlersituation im geerdeten Netz ohne wirksame Schutzmaßnahme ___________________________________________________________________________ 6. VERSUCH 6: SCHUTZMASSNAHMEN 33 Mit der Sternspannung U 3 des Netzes ergeben sich hier der Fehlerstrom I F und (nach der Spannungsteilerregel) die Berührungsspannung U B : IF U3 R U B I F RK U 3 RK R Anmerkung: Wenn das Gehäuse an einen Erder oder einen geerdeten Netzleiter angeschlossen ist (Schutzmaßnahme), wird die Berechnung der Berührungsspannung evtl. komplizierter als im obigen Beispiel. Es empfiehlt sich dann i. Allg., zunächst ein entsprechendes Ersatzschaltbild aufzustellen. Abb. 6.5: Berührungsspannung, Fehlerspannung und Standortwiderstand Es kann – wie z.B. in Abb. 6.5 durch einen gut isolierenden Bodenbelag - vorkommen, dass der Übergangswiderstand RST so groß ist, dass auch bei der Berührung eines leitenden spannungsführenden Teiles die Berührungsspannung sehr klein bleibt. Solange man aber eine Isolierung des Standortes nicht durch besondere Maßnahmen sicherstellt, muss man grundsätzlich mit einer leitenden Verbindung zwischen Fußboden und Erde rechnen. Bei Zementfußböden, in feuchten Räumen oder wenn in oder auf Wänden oder Böden Rohre oder Stahlkon___________________________________________________________________________ 34 6.1. THEORETISCHE GRUNDLAGEN struktionen des Gehäuses vorhanden sind, ist mit besonders kleinen Übergangswiderständen zu rechnen. Abb. 6.6: Potentialverlauf an der Erdoberfläche in der Umgebung eines stromdurchflossenen (Stab-) Erders Bei einigen der später erläuterten Schutzmaßnahmen werden "Erder" (siehe Kap. 6.1.1) benötigt. Wenn ein Erder gut leitend mit dem Gehäuse eines Gerätes verbunden ist, so liegt im Falle eines Gehäuseschlusses die Netzspannung sowohl am Gehäuse als auch am Erder ( UY U E ), und es fließt ein entsprechender Strom in den Erder. Der Erder selbst und das ihn umgebende Erdreich nimmt gegenüber der elektrisch unbeeinflussten Erde (in großer Entfernung) eine Spannung an. Bei überall gleicher Leitfähigkeit des Erdbodens erhält man für das Potential an der Erdoberfläche den in Abb. 6.6 gezeigten typischen Verlauf, den man auch als Spannungs- oder Potentialtrichter bezeichnet. Ein Mensch kann daher in der Nähe eines stromdurchflossenen Erders mit einem Bein auf einem höheren Potential stehen als mit dem anderen. Zwischen den beiden Fußpunkten tritt also eine Spannung auf, die als Berührungsspannung einen Strom durch den Körper treibt und den Menschen möglicherweise gefährdet. Als Schrittspannung wird nun diejenige Spannung bezeichnet, die ein Mensch mit einer Schrittweite von 1 Meter überbrücken kann. Sie ist in unmittelbarer Nähe des Erders am größten. Ein Erder muss immer so bemessen werden, dass durch die maximal mögliche Schrittspannung keine Gefährdung eintritt (max. 50 V zulässig). Besonders gefährdet sind wegen ihrer großen Schrittweite Großtiere wie Pferd und Rind. Zusätzlich liegt bei ihnen das Herz in der Strombahn. ___________________________________________________________________________ 6. VERSUCH 6: SCHUTZMASSNAHMEN 35 Für den Übergangswiderstand vom Erder zum unbeeinflussten Erdreich lässt sich ersatzweise ein so genannter Erdungswiderstand RE definieren. Der bei einer bestimmten Erderspannung U E (das ist die Potentialdifferenz zwischen Erder und dem unbeeinflussten Erdreich) vom Erder in das Erdreich übertretende Strom I E berechnet sich zu: IE UE RE Zur Messung dieses Widerstandes sind spezielle Messgeräte und Messverfahren entwickelt worden. Anmerkung: Im neuen Entwurf zur VDE 0100-200 wurde der Begriff „Gesamterdungswiderstand“ entfernt. Stattdessen gibt es die „Impedanz gegen Bezugserde“ als Impedanz zwischen einem bestimmten Punkt im Netz und Bezugserde. „Impedanz des Erdungspunktes gegen Bezugserde“ ersetzt also den „Gesamterdungswiderstand“. 6.1.5 Schutzmaßnahmen – Schutz gegen elektrischen Schlag Die Grundregel des Schutzes gegen den elektrischen Schlag nach IEC 61140 besteht darin, dass gefährliche aktive Teile nicht erreichbar sein dürfen und erreichbare leitfähige Teile weder unter normalen Bedingungen noch unter Einfehlerbedingungen gefährlich aktiv werden dürfen. Art und Umfang der vorgeschriebenen Schutzmaßnahmen richten sich nach der Höhe der verwendeten Betriebsspannung und der Umgebung, in der sie angewendet werden. Für Niederspannungsnetze bis 1000 V sind die in VDE 0100 beschriebenen Schutzmaßnahmen anzuwenden. Es steht den Energieversorgungsunternehmen (EVU) jedoch frei, für ihr Versorgungsgebiet schärfere Schutzbestimmungen zu erlassen, insbesondere bestimmte Schutzmaßnahmen zu verbieten oder vorzuschreiben. Allgemein besteht eine Schutzmaßnahme immer aus einer geeigneten Kombination der folgenden zwei voneinander unabhängigen Schutzvorkehrungen: ___________________________________________________________________________ 36 6.1. THEORETISCHE GRUNDLAGEN Basisschutz Schutz gegen elektrischen Schlag, wenn keine Fehlerzustände vorliegen. Früher als „Schutz gegen direktes Berühren“ bezeichnet. Fehlerschutz Schutz gegen elektrischen Schlag unter den Bedingungen eines Einzelfehlers. Früher als „Schutz gegen indirektes Berühren“ bezeichnet. Die Norm erlaubt stattdessen auch eine so genannte verstärkte Schutzvorkehrung. So wird eine Schutzvorkehrung bezeichnet, die gleichzeitig sowohl Basis- als auch Fehlerschutz liefert. Es sind folgende Schutzmaßnahmen gegen den elektrischen Schlag erlaubt: - - Abschalten der Netzzuleitung innerhalb ausreichend schneller Zeit, wenn der Fehler zu gefährlichen Körperströmen führt (Schutz durch automatische Abschaltung der Stromversorgung). Eine so sorgfältige Isolierung, dass sowohl im Betrieb als auch im Fehlerfall keine gefährlichen Körperströme auftreten (Schutz durch doppelte oder verstärkte Isolierung). Erdfreier Betrieb des Systems (Schutz durch Schutztrennung für die Versorgung eines Verbrauchsmittels). Wahl einer so kleinen Betriebsspannung, dass das Auftreten gefährlicher Körperströme nicht möglich ist (Schutz durch Kleinspannungen). 6.1.6 Schutz durch automatisches Abschalten der Stromversorgung 6.1.6.1 Allgemeines Diese in diesem Abschnitt geschilderten Schutzmaßnahmen gehen von den drei typischen Netz-Grundformen (TN-, TT- und IT-Netz, vgl. Kap. 6.1.2) aus. Neben den allgemeinen Bestimmungen für Basis- und Fehlerschutz gibt es speziell für diese Netzformen weitere Anforderungen. ___________________________________________________________________________ 6. VERSUCH 6: SCHUTZMASSNAHMEN 37 6.1.6.2 Anforderungen für den Basisschutz Alle aktiven Teile müssen mit einer Isolierung abgedeckt sein. Diese Basisisolierung dient zum Schutz gegen den elektrischen Schlag und ist zu unterscheiden von einer Isolierung, die ausschließlich der Funktion eines Teiles dient. Die Basisisolierung muss - die aktiven Teile vollständig umgeben den im Betrieb auftretenden Beanspruchungen (mechanisch, elektrisch, thermisch, chemisch,...) standhalten nur durch Zerstörung entfernt werden können Anstelle einer Isolierung kann der Basisschutz auch durch Abdeckungen oder Umhüllungen hergestellt werden. Diese müssen mindestens der Schutzart IPXXB oder IP2X (die Schutzarten werden durch so genannte „IP-Codes“ gemäß IEC 60529 gekennzeichnet) entsprechen, d.h. Öffnungen sind so klein zu bemessen, dass ein Finger bzw. ein Gegenstand mit einem Durchmesser von mehr als 12,5 mm nicht eindringen kann. Außerdem dürfen diese Abdeckungen und Umhüllungen nur durch ein Werkzeug oder einen Schlüssel oder nach Abschalten der Versorgung der aktiven Teile zu entfernen sein. 6.1.6.3 Anforderungen für den Fehlerschutz Der Fehlerschutz kann aus einem Schutzpotentialausgleich, einer automatischen Abschaltung im Fehlerfall und ggf. aus einer Fehlerstrom-Schutzeinrichtung (RCD) bestehen. Schutzpotentialausgleich Bei jedem Hausanschluss ist für diese Schutzvorkehrung der so genannte Hauptpotentialausgleich vorgeschrieben. Darunter ist die Verbindung folgender leitfähiger Teile (soweit vorhanden) zu verstehen: - Haupterdungsschiene (vom Erder kommend), Blitzschutzerder, ___________________________________________________________________________ 38 6.1. THEORETISCHE GRUNDLAGEN - Hauptwasserrohre (nach der Hauseinführung in Fließrichtung hinter dem ersten Sperrventil), Hauptgasrohre (vgl. Wasserrohre), weiter leitende Rohrsysteme (von Heizungs- oder Klimaanlagen) und Metallteile der Gebäudekonstruktion soweit möglich (z.B. Stahlgerüste, Fahrstuhlkonstruktionen usw.) Solche leitfähigen Teile, die ihren Ursprung außerhalb des Gebäudes haben, müssen so nahe wie möglich an der Eintrittsstelle miteinander verbunden sein. Leiter, welche die oben genannten Teile verbinden, heißen Schutzpotentialausgleichsleiter. Der Schutzpotentialausgleichsleiter soll einen Querschnitt nicht geringer als - 6 mm² Kupfer 16 mm² Aluminium 50 mm² Stahl besitzen. Der Schutzleiter ist nicht zu verwechseln mit dem Schutzpotentialausgleichsleiter. Der Schutzleiter verbindet bei dieser Schutzvorkehrung in TN-, TT- und IT-Systemen alle Körper (z.B. Metallgehäuse) untereinander, die sich in der durch diese Schutzmaßnahme geschützten Anlage befinden. Gleichzeitig zugängliche Körper müssen mit demselben Erdungssystem verbunden werden, weil sich sonst bei zwei Fehlern in unterschiedlichen Phasen eines Drehstromnetzes aus zwei zulässigen Berührungsspannungen von jeweils 50 V eine Spannung zwischen diesen Körpern von 3 50 V 86 V ergeben könnte. Für den Querschnitt eines Schutzleiters gelten nach VDE 0100-543 folgende Voraussetzungen: Mindestquerschnitt des entsprechenQuerschnitt S des Außenleiters den Schutzleiters 2 S 16 mm S 2 2 16 mm S 35mm 16 mm2 S 35mm2 S/ 2 Tab. 6.7: Mindestquerschnitte von Schutzleitern ___________________________________________________________________________ 6. VERSUCH 6: SCHUTZMASSNAHMEN 39 Beide Leiter sind für den Schutzpotentialausgleich vorgeschrieben. Ihre Verbindung untereinander bzw. die Erdung des Schutzleiters ist von der Netzform abhängig und wird eingehend in den nächsten Abschnitten beschrieben. Automatische Abschaltung im Fehlerfall Im Falle eines Fehlers mit vernachlässigbarer Impedanz zwischen einem Außenleiter und dem Schutzleiter des Stromkreises, einem Körper oder dessen Schutzleiter, muss die Stromversorgung innerhalb der in Tab. 6.8 angegebenen Zeit abgeschaltet werden. Hierzu werden in der Praxis häufig die in Kap. 6.1.12.1 beschriebenen Überstrom-Schutzeinrichtungen benutzt. Eine solche Abschaltung ist nicht erforderlich, wenn bei Auftreten eines Fehlers stattdessen die Ausgangsspannung der Stromquelle auf weniger als AC 50 V oder DC 120 V herabgesetzt wird. Kann eine Abschaltung innerhalb der in Tab. 6.8 genannten Zeit nicht erreicht werden, muss ein zusätzlicher Schutzpotentialausgleich (siehe Kap. 6.1.10) vorgesehen werden. System TN TT 50 V U0 120 V 120V U0 230V 230 V U0 400 V U0 400 V 0,8 s 0,4 s 0,2 s 0,1 s 0,3 s 0,2 s 0,07 s 0,04 s Tab. 6.8: Maximale Schaltzeiten von Überstromschutzeinrichtungen in TN- und TTNetzen Zusätzlicher Schutz In Wechselspannungssystemen mit einem Bemessungsstrom bis 20A (in Wohnhäusern liegt der Bemessungsstrom üblicherweise bei 16A), die für die Benutzung durch Laien bestimmt sind, ist ein zusätzlicher Schutz durch eine Fehlerstrom-Schutzeinrichtung (RCD, siehe Kap. 6.1.12.2) vorgeschrieben. Ein Laie ist eine Person, die keine Elektrofachkraft oder eine elektrotechnisch unterwiesene Person ist. ___________________________________________________________________________ 40 6.1. THEORETISCHE GRUNDLAGEN 6.1.6.4 Automatisches Abschalten bei TN-Systemen Unmittelbar am speisenden Transformator ist das Netz (üblicherweise mit dem Sternpunkt) geerdet. Im TN-System werden alle Körper über einen Schutzleiter an die Haupterdungsschiene angeschlossen. Diese wird ebenfalls durch einen Schutzleiter mit dem Erdungspunkt des Versorgungssystems verbunden. Unter bestimmten Bedingungen (genügender Querschnitt) kann anstelle eines Schutzleiters bei fest installierten Anlagen auch ein kombinierter Schutz- und Neutralleiter verwendet werden. Dieser kombinierte Leiter wird PEN-Leiter genannt. Sein Querschnitt muss aus mechanischen Gründen einen Querschnitt von mindestens 10 mm² Cu oder 16 mm² Al besitzen. Der PEN-Leiter sollte zusätzlich zur Erdung an der Transformator-Station mit allen im Bereich des Netzes vorhandenen guten Erdern und mit allen ausgedehnten metallischen Konstruktionen verbunden werden. Eventuell können zusätzliche Erdungspunkte erforderlich sein, um im Fehlerfall zu gewährleisten, dass das Potential des PEN-Leiters möglichst wenig vom Erdpotential abweicht. Hinter der Auftrennung von PE- und N-Leiter, dürfen diese nicht wieder zusammengeführt werden. Es ist jedoch erlaubt an eine PEN-Schiene, mehrere Schutz- und Neutralleiter anzuschließen. Besonderer Wert ist auf die sorgfältige und bruchsichere Verlegung des Schutzleiters (PE) und vor allem auch des PEN-Leiters zu legen, da hiervon die sichere Funktion der Schutzvorkehrung abhängt. So müssen Schutzleiter in geeigneter Weise gegen mechanische Beschädigungen oder gegen chemische, elektrochemische, elektrodynamische und thermodynamische Einflüsse geschützt sein. Sie müssen außerdem zum Besichtigen und Prüfen zugänglich sein. In einem PE- als auch in einem PEN-Leiter dürfen sich keine Schalteinrichtungen befinden, das schließt Überstrom-Schutzeinrichtungen, Fehlerstrom-Schutzeinrichtungen (RCD) und Spulen zur Überwachung der Erdung mit ein. Dementsprechend ist in TN-C-Systemen die Benutzung von Fehlerstrom-Schutzeinrichtungen (RCD) gänzlich untersagt, in TN-C-SSystemen muss darauf geachtet werden, dass - auf der Lastseite der Fehlerstrom-Schutzeinrichtung (RCD) kein PEN-Leiter angeschlossen ist. die Verbindung zwischen PE- und N-Leiter auf der Versorgungsseite hergestellt wird. In der Praxis bedeutet dies, dass sich die Fehlerstrom-Schutzeinrichtung (RCD) nur im reinen N-Leiter befinden darf, also in dem Teil des Netzes, in welchem PE- und N-Leiter getrennt liegen („S-Teil“ des TN-C-S Netzes). ___________________________________________________________________________ 6. VERSUCH 6: SCHUTZMASSNAHMEN 41 Die besondere Gefahr, die im TN-C-Netz bei Verwendung eines gemeinsamen Neutral- und Schutzleiters herrscht, ist in Abb. 6.7 dargestellt. Wenn der PEN-Leiter nach seiner letzten Erdung durch einen Defekt unterbrochen wird oder auch nur einen hohen Übergangswiderstand bekommt, liegt an dem abgetrennten Leiterstück über einem eingeschalteten Verbraucher die Netzspannung an. Da bei dieser Schutzmaßnahme die Gehäuse über den PEN-Leiter verbunden sind, liegen diese ebenfalls an Netzspannung und sind der Berührung zugänglich. Somit entsteht ohne einen Gerätefehler eine unzulässig hohe Berührungsspannung, die nicht abgeschaltet wird. Aus diesem Grund gelten die oben genannten Anforderungen an den Querschnitt und die Beschränkung bei fest installierten Anlagen. Abb. 6.7: Gefahr durch Bruch des PEN-Leiters Bemerkung: Häufig ist in älteren Installationsanlagen folgende Schaltung zu finden. Eine Schutzkontaktsteckdose ist mit nur zwei Leitern (Querschnitt i. Allg. 1,5 mm²) an einen Außenleiter (L) und den Neutralleiter (N) angeschlossen. Als QuasiSchutzmaßnahme wird der Schutzkontakt mit dem Neutralleiteranschluss verbunden. Diese Schaltung wird als „verbotene Nullung“ bezeichnet und ist eindeutig unzulässig, da die Bedingungen an einen PEN-Leiter nicht erfüllt sind. Bei ihrer Verwendung besteht die oben genannte Gefahr! ___________________________________________________________________________ 42 6.1. THEORETISCHE GRUNDLAGEN In TN-Systemen dürfen für den Fehlerschutz - Überstrom-Schutzeinrichtungen, und Fehlerstrom-Schutzeinrichtungen (RCD) verwendet werden. Dabei ist darauf zu achten, dass die Impedanzen des Stromkreises und die Kennwerte dieser Einrichtungen, folgende Bedingung erfüllen: Zs Ia U0 Z s : Die Impedanz der Fehlerschleife in Ohm, bestehend aus - der Stromquelle, dem Außenleiter bis zum Fehlerort, und dem Schutzleiter zwischen dem Fehlerort und der Stromquelle. I a : Der Strom in Ampere, der das automatische Abschalten der Abschalteeinrichtung (Sicherung) innerhalb der in Tab. 6.8 angegebenen Zeit bewirkt. Bei Verwendung einer Fehlerstrom-Schutzeinrichtung (RCD) wird dieser Strom Bemessungsdifferenzenstrom I N genannt. U 0 : Die Nennspannung gegen Erde in Volt. Spezielle Anforderungen an Überstrom-Schutzeinrichtungen Überstrom-Schutzeinrichtungen schalten häufig nur die Außenleiter, nicht aber die Neutralleiter. Dementsprechend ist in jedem Außenleiter eine Überstromerfassung vorgeschrieben. Ist der Querschnitt des Neutralleiters geringer als der der Außenleiter, ist eine Überstromerfassung im Neutralleiter vorzusehen, diese bewirkt dann allerdings eine Abschaltung des Außenleiters, nicht zwingendermaßen die des Neutralleiters. Ist eine Abschaltung des Neutralleiters gefordert, so muss er - beim Abschalten gleichzeitig mit oder nach den Außenleitern beim Wiedereinschalten gleichzeitig mit oder vor den Außenleitern geschaltet werden. ___________________________________________________________________________ 6. VERSUCH 6: SCHUTZMASSNAHMEN 43 Der Neutralleiter muss für jegliche Art des Kurzschlussstromes geschützt werden. Anmerkung: Diese speziellen Anforderungen gelten sowohl für TN- als auch TT-Systeme In Abb. 6.8 ist das Schutzprinzip einer Überstrom-Schutzeinrichtung anhand eines Isolationsfehlers in der Phase L2 dargestellt. Der Widerstand RF des Gehäuseschlusses ist von der Fehlerart abhängig und beeinflusst die Höhe des Fehlerstromes I F . Dieser ruft am Widerstand RN des Neutralleiters einen Spannungsabfall hervor, der als Berührungsspannung U B zwischen Gehäuse und Erde abfällt. Erreicht dieser eine bestimmte durch die Bauart der Sicherung vorgegebene Größenordnung, dann ist der damit verbundene Fehlerstrom I F so groß, dass die Sicherung Si in genügend kurzer Zeit anspricht. Diese Schutzmaßnahme ist sehr verbreitet, weil sie einfach, kostengünstig und wirksam ist. Abb. 6.8: TN-Netz mit Isolationsfehler (Gehäuseschluss) 6.1.6.5 Automatisches Abschalten bei TT-Systemen Unmittelbar am speisenden Transformator muss dieser (üblicherweise mit dem Sternpunkt) geerdet werden ( RB in Abb. 6.9). Alle Körper, die durch die gleiche Schutzeinrichtung geschützt sind, werden über einen Schutzleiter verbunden und an einen eigenen gemeinsamen Erder ( RS in Abb. 6.9) angeschlossen (vgl. TN-System: Schutzleiter an den Erder des Versorgungssystems angeschlossen). ___________________________________________________________________________ 44 6.1. THEORETISCHE GRUNDLAGEN Wie auch im TN-System ist für den Fehlerschutz die Verwendung von - Fehlerstrom-Schutzeinrichtungen (RCD), und Überstrom-Schutzeinrichtungen erlaubt. Dabei wird wieder sowohl an die Impedanzen des Netzes als auch an die Kennwerte der Abschaltvorrichtungen folgende Bedingung gestellt: Zs Ia U0 Z s : Die Impedanz der Fehlerschleife in Ohm, bestehend aus - der Stromquelle, dem Außenleiter bis zum Fehlerort, dem Schutzleiter der Körper, dem Erdungsleiter, dem Anlagenerder, und dem Erder der Stromquelle. I a : Der Strom in Ampere, der das automatische Abschalten der Abschalteeinrichtung (Sicherung) innerhalb der in Tab. 6.8 angegebenen Zeit bewirkt. Bei Verwendung einer Fehlerstrom-Schutzeinrichtung (RCD) wird dieser Strom Bemessungsdifferenzenstrom I N genannt. U 0 : Die Nennspannung gegen Erde in Volt. Wird eine Fehlerstrom-Schutzeinrichtung (RCD) verwendet, muss zusätzlich folgende Bedingung erfüllt sein: RA I N 50 V RA : die Summe der Widerstände des Erders und des Schutzleiters für die Körper in Ohm. I N : der Bemessungsdifferenzenstrom der Fehlerstrom-Schutzeinrichtung (RCD). Die Impedanz Z s beschreibt in diesem Fall den Gesamtwiderstand des Fehlerstromkreises in Abb. 6.9. Der Fehlerstrom für einen Gehäuseschluss in Abb. 6.9 beträgt: ___________________________________________________________________________ 6. VERSUCH 6: SCHUTZMASSNAHMEN IF 45 U0 Z U0 RS RB RL RF 230V 5 2 1,52 2 2 X L2 44 A Abb. 6.9: Funktionsweise der Schutzmaßnahme im TT-Netz mit Sicherungen als Auslöseorgane Die zusätzliche Bedingung für Fehlerstrom-Schutzeinrichtungen (RCD) verhindert, dass im Fehlerfall eine gefährliche Berührungsspannung U B 50 V auftreten kann. Sollte eine Person bei einem Gehäuseschluss das Gehäuse berühren, so liegt der Körperwiderstand RK parallel zu den unter RA zusammengefassten Widerständen. Bei einem nach dieser Bedingung dimensionierten Bemessungsdifferenzenstrom I N ist die Berührungsspannung U B also auf die maximal zulässige Berührungsspannung von 50 V begrenzt. Es gelten zusätzlich die speziellen Anforderungen an Überstrom-Schutzeinrichtungen (siehe Ende Kap. „TN-Systeme“) ___________________________________________________________________________ 46 6.1. THEORETISCHE GRUNDLAGEN In Abb. 6.9 beträgt die maximale Berührungsspannung U B I F RA 44 A 1 44V Man erkennt an den nicht eingeklammerten Werten, dass die Berührungsspannung sehr stark vom Widerstand des Schutzleiters und des Erders der Körper abhängt. Bei einem Schutzleiterwiderstand RS von 3 Ω ergibt sich mit dem gleichen Rechenverfahren, wie oben beschrieben, eine Berührungsspannung von 96 V. Der Erder muss folglich einen möglichst kleinen Widerstand besitzen. In der VDE sind Mindestmaße für Erder in Abhängigkeit von z.B. Material, Form und Beschichtung angegeben, um dies zu gewährleisten. 6.1.6.6 Automatisches Abschalten bei IT-Systemen Im IT-System müssen die aktiven Teile des Netzes gegen Erde isoliert oder über einen hohen Widerstand im (evtl. künstlichen) Neutralpunkt geerdet werden. Die Körper müssen einzeln, gemeinsam oder gruppenweise über einen Schutzleiter verbunden und über diesen geerdet werden. Diese Maßnahme muss die Bedingung RA I d 50V erfüllen. Dabei ist RA : die Summe der Widerstände des Erders und des Schutzleiters der Körper in Ohm, I d : der Fehlerstrom in Ampere beim ersten Fehler vernachlässigbarer Impedanz zwischen einem Außenleiter und einem Körper. In IT-Systemen dürfen die folgenden Überwachungs- und Schutzeinrichtungen verwendet werden: - Isolationsüberwachungseinrichtungen Isolationsfehler-Ortungssysteme Überstrom-Schutzeinrichtungen Fehlerstrom-Schutzeinrichtungen (RCD) ___________________________________________________________________________ 6. VERSUCH 6: SCHUTZMASSNAHMEN 47 Tritt nun ein Fehler zwischen einem Außenleiter und einem Körper auf, so wird der entsprechende Außenleiter über den Schutzleiter des Körpers geerdet und somit sein Potential und das der anderen gegenüber Erde festgelegt. Es tritt durch die Isolation bzw. hochohmige Erdung des Netzes nur ein geringer Fehlerstrom auf. Daher ist eine Abschaltung zunächst nicht erforderlich. Sollte in diesem Fall aus Gründen der Aufrechterhaltung die Stromversorgung nicht abgeschaltet werden, muss einen Isolationsüberwachungseinrichtung (siehe Kap. 6.1.12.3) vorgesehen sein, die das Auftreten eines ersten Fehlers zwischen einem Außenleiter und einem Körper anzeigt. Diese muss ein hörbares und/oder sichtbares Signal auslösen. Sollten beide Signale bestehen, kann das hörbare Signal gelöscht werden, das sichtbare Signal muss jedoch bestehen bleiben, bis der Fehler behoben ist. 6.1.7 Schutz durch doppelte oder verstärkte Isolierung 6.1.7.1 Allgemeines Bei dieser Schutzmaßnahme ist der Basisschutz durch eine Basisisolierung (siehe Kap. 6.1.5) und der Fehlerschutz durch eine zusätzliche Isolierung zwischen aktiven und zugänglichen Teilen vorgesehen. Beide Isolierungen zusammen bilden die so genannte „doppelte Isolierung“. Stattdessen kann auch eine verstärkte Isolierung wie in Abb. 6.10 verwendet werden. Das ist eine einzelne Isolierung, die im gleichen Maße Schutz wie die doppelte Isolierung bietet. Da die Schutzisolierung als eine selbständige Maßnahme gilt, muss gewährleistet sein, dass an der so geschützten Anlage keine Änderungen vorgenommen werden können, die diesen Schutz beeinträchtigen oder außer Kraft setzen. Sie darf deshalb nicht in Stromkreisen angewendet werden, welche Steckdosen enthalten, oder in denen Benutzer ohne Berechtigung Betriebsmittel austauschen können. 6.1.7.2 Anforderungen für den Basis- und Fehlerschutz An die Betriebsmittel in dieser Schutzmaßnahme sind allgemeine Forderungen an die Isolierung gestellt: - Deckel und Türen dürfen nur durch Werkzeuge zu öffnen sein. ___________________________________________________________________________ 48 6.1. THEORETISCHE GRUNDLAGEN - Leitfähige Teile innerhalb einer isolierenden Umhüllung dürfen nicht mit einem Schutzleiter verbunden sein. Es dürfen jedoch Schutzleiteranschlüsse für andere Betriebsmittel innerhalb der Umhüllung vorgesehen sein. Diese müssen jedoch wie aktive Teile isoliert und als PE-Anschlussklemmen gekennzeichnet sein. Des Weiteren ist für jedes Betriebsmittel eine der folgenden Bedingungen einzuhalten: 1. Das Betriebsmittel muss mit doppelter oder verstärkter Isolierung versehen sein, und der Schutzklasse II entsprechen. Solche Geräte sind mit dem Zeichen [ ] gekennzeichnet. Musterbeispiele dieser Schutzart sind viele Elektrokleingeräte. Bohrmaschinen erhalten z.B. ein schlagfestes Kunststoffgehäuse. Um vom Metall des Motors bei einem Fehler in der Basisisolation (Lackisolierung der Motorwicklung) keine Spannung nach außen zum Bohrfutter zu verschleppen, werden ein oder zwei Zahnräder des Zwischengetriebes aus isolierendem Kunststoff gefertigt. 2. Betriebsmittel, die nur eine Basisisolierung besitzen, müssen eine zusätzliche Isolierung erhalten, die während des Errichtens angebracht wird. 3. Betriebsmittel, die weder eine Basis- noch eine zusätzliche Isolierung besitzen, müssen eine verstärkte Isolierung erhalten, die während des Errichtens angebracht wird. Die in 2 und 3 beschriebenen Betriebsmittel sind sichtbar an der Außen- und Innenseite mit dem Zeichen [ ] zu kennzeichnen. Bei ihnen ist außerdem darauf zu achten, dass durch die isolierende Umhüllung keine leitfähigen Teile geführt werden, die diese Schutzmaßnahme beeinträchtigen können. Des Weiteren darf diese Umhüllung keine isolierenden Schrauben enthalten, deren Ersatz durch Metallschrauben die Isolierung beeinträchtigen würde. Abb. 6.10: Schutzisolierung eines Betriebsmittels ___________________________________________________________________________ 6. VERSUCH 6: SCHUTZMASSNAHMEN 49 6.1.8 Schutz durch Schutztrennung 6.1.8.1 Allgemeines In den meisten verwendeten Netzen ist der Neutralleiter geerdet. Die Berührung eines Außenleiters oder damit verbundener Teile bedeutet dann immer eine Gefährdung. Verwendet man nun einen dafür vorgesehenen Trenntransformator in der Schaltung nach Abb. 6.11, so sind sämtliche Leiter des sekundären Netzes potentialmäßig nicht festgelegt. Eine Berührung bedeutet dann nur eine Potentialverbindung über den Körperwiderstand zwischen Sekundärnetz und Erde. Da durch diese Berührung kein geschlossener Stromkreis entsteht, kann auch kein Fehlerstrom über den Körper fließen. Die Berührung eines Leiters oder eines Gehäuses im Fehlerfall ist daher ungefährlich. Das Berühren von zwei Leitern gleichzeitig oder das Berühren eines Leiters, wenn ein anderer Leiter Erdschluss erhalten hat, ist jedoch gefährlich. Eine vergleichbare Problematik entsteht, wenn ein Wechselspannungsnetz durch zu lange Leitungen kapazitiv mit der Erde verbunden ist (vgl. Vorlesung E2/SM6). Eine (unbemerkte) Erdung des Sekundärnetzes würde also die Wirkung der Schutztrennung aufheben. Um diese Gefahr zu vermeiden, darf an eine ungeerdete Stromquelle normalerweise nur ein Verbrauchsmittel angeschlossen werden. In Ausnahmefällen ist es erlaubt mehrere Verbrauchsmittel an eine oben beschriebene Stromquelle anzuschließen, allerdings gelten hierfür spezielle Anforderungen. Abb. 6.11: Schutzmaßnahme Schutztrennung ___________________________________________________________________________ 50 6.1. THEORETISCHE GRUNDLAGEN 6.1.8.2 Anforderungen für den Basisschutz Jedes Betriebsmittel muss - eine Basisisolierung (siehe Kap. 6.1.5) besitzen, oder die Anforderungen eines elektrischen Betriebsmittels nach Kap. 6.1.6 erfüllen. 6.1.8.3 Anforderungen für den Fehlerschutz Da die Wirksamkeit dieser Schutzmaßnahme von der elektrischen Trennung des Stromkreises abhängt, gibt es für jeden Teil des Stromkreises (Versorger, Leitungen und Kabel, Betriebsmittel) gesonderte Anforderungen: Versorger Der Stromkreis, in dem Schutztrennung als Schutzmaßnahme verwendet wird, muss von einer Stromquelle mit mindestens einfacher Trennung versorgt werden. Die hierfür zugelassenen Transformatoren werden durch das Zeichen [ ] gekennzeichnet. Betriebsmittel Keines der aktiven Teile des Stromkreises darf an irgendeinem Punkt mit einem anderen Stromkreis, Erde oder einem Schutzleiter verbunden werden. Die gleiche Bedingung gilt für die Körper des Stromkreises. Zwischen verschiedenen Stromkreisen muss eine Basisisolierung (siehe Kap. 6.1.5) bestehen. Anmerkung: Sollten die Körper des Stromkreises mit der Schutztrennung zufällig oder absichtlich mit Körpern anderer Stromkreise in Berührung kommen, hängt der Schutz nicht mehr ausschließlich von der Schutztrennung, sondern zusätzlich von den Schutzvorkehrungen für die Körper der anderen Stromkreise ab. ___________________________________________________________________________ 6. VERSUCH 6: SCHUTZMASSNAHMEN 51 Kabel und Leitungen Es wird empfohlen die Leiter für Stromkreise mit Schutztrennung getrennt von anderen Leitern zu verlegen. Wenn dies nicht möglich ist, müssen mehradrige Kabel ohne metallische Umhüllung oder isolierte Leiter in isolierenden Elektroinstallationsrohren verwendet werden. Um mechanische Beschädigungen sofort erkennen zu können, müssen bewegliche Kabel und Anschlussleitungen über ihre gesamte Länge sichtbar sein. 6.1.9 Schutz durch Kleinspannungen 6.1.9.1 Allgemeines Bei dieser Schutzmaßnahme werden Betriebsspannungen verwendet, die unterhalb der zulässigen Berührungsspannungen von 50 V AC liegen. Kleinspannungen werden überall dort angewandt, wo ein erhöhter Schutz gegen zu hohe Berührungsspannungen gefordert wird oder wo ein zufälliges oder betriebsmäßiges Berühren von aktiven Teilen gefahrlos sein muss. Typische Anwendungsbeispiele sind Handlampen in Kesseln, Behältern und Rohrleitungen aus gut leitenden Materialien, Backofen- und Fassausleuchten, Haarbehandlungsgeräte und elektrische Spielzeuge (Eisenbahnen). Kleinspannungen werden als ELV (engl.: extra-low voltage) bezeichnet. Dabei ist zu unterscheiden zwischen SELV (safety ELV) und PELV (protective ELV). Der Unterschied zwischen beiden besteht darin, dass SELV gegen Erde isoliert ist und PELV geerdet wird. 6.1.9.2 Anforderungen für den Basis- und Fehlerschutz Der Basis- und Fehlerschutz in SELV- und PELV-Systemen ist erfüllt, wenn folgende Bedingungen erfüllt sind: Obere Grenze der Nennspannung Die Nennspannung darf 50 V AC nicht überschreiten. ___________________________________________________________________________ 52 6.1. THEORETISCHE GRUNDLAGEN Stromquellen für SELV und PELV Bei dieser Schutzmaßnahme ist es wichtig, dass der durch die Kleinspannung geschützte Stromkreis nicht mit anderen Stromkreisen verbunden wird. Deswegen müssen Transformatoren eine galvanische Trennung zwischen dem Kleinspannungsnetz und einem Netz höherer Spannung aufweisen. Durch keine Schaltmaßnahme darf eine Spannung über 50 V AC zu erzielen sein. Die Kleinspannungserzeuger müssen entweder kurzschlussfest oder mit einer Überstromauslösung versehen sein, die eine thermische Überlastung verhindert. Sonst könnte bei Überlast eine Zerstörung der Isolation eintreten, die zu einer leitenden Verbindung zwischen Primärund Sekundärkreis führen kann. Als Spannungsquellen sind Sicherheitstransformatoren nach VDE 0551 [ ] zugelassen oder andere Stromquellen, die diese Anforderungen erfüllen. Es sind auch Batterien und dieselgetriebene Motorgeneratoren als Spannungsquelle erlaubt, da diese unabhängig von einem Stromkreis höherer Spannung sind. Ortsveränderliche Stromquellen, die mit Niederspannung versorgt werden, müssen den Anforderungen nach Kap. 6.1.7.2 entsprechen. Stromkreise mit SELV und PELV In SELV- und PELV-Stromkreisen muss zwischen aktiven Teilen und - aktiven Teilen anderer SELV- und PELV-Stromkreise eine Basisisolierung aktiven Teilen anderer Stromkreise eine doppelte oder verstärkte Isolierung vorgesehen sein. SELV-Stromkreise müssen zwischen Erde und aktiven Teilen eine Basisisolierung aufweisen. PELV-Stromkreise hingegen werden über eine Verbindung mit Erde oder über einen geerdeten Schutzleiter an der Stromquelle selbst geerdet. Die Betriebsmittel bei dieser Schutzmaßnahme müssen, wenn sie eine Nennspannung größer als 25 V AC aufweisen oder in Wasser eingetaucht sind, eine Isolierung, Abdeckung oder Umhüllung entsprechend Kap. 6.1.6 besitzen. Unter trockenen Bedingungen, wenn die Nennspannung unterhalb von 25 V AC liegt und wenn im Falle eines PELV-Stromkreises alle Körper und/oder aktiven Teile über einen ___________________________________________________________________________ 6. VERSUCH 6: SCHUTZMASSNAHMEN 53 Schutzleiter verbunden sind, ist eine der oben beschriebenen Isolierungen nicht notwendig (z.B. Schienen bei Spielzeugeisenbahnen). Liegt die Nennspannung des Stromkreises sogar unterhalb von 12 V AC, kann in allen Fällen (also auch bei nichtvorhandenem Schutzleiter und PELV) auf eine solche Isolierung verzichtet werden. Auch die Leiter müssen bei dieser Schutzmaßnahme gesonderten Anforderungen (siehe DIN VDE 0100 Teil 410 Abschnitt 414.4) entsprechen, auf die hier nicht weiter eingegangen werden soll. Am sichersten ist es jedoch, die Leiter des Kleinspannungsstromkreises räumlich getrennt von den Leitern anderer Stromkreise höherer Spannung zu verlegen. Zusätzlich dürfen Stecker und Steckdosen von Kleinspannungssystemen nicht mit entsprechenden Teilen anderer Spannungssysteme benutzt werden können. Außerdem darf in Steckdosen von SELV-Stromkreisen kein Schutzleiterkontakt vorhanden sein. Anmerkung: Wie auch bei der Schutztrennung gilt: Sollten die Körper des SELVStromkreises mit der Kleinspannung zufällig oder absichtlich mit Körpern anderer Stromkreise in Berührung kommen, hängt der Schutz nicht mehr ausschließlich vom Schutz durch SELV, sondern zusätzlich von den Schutzvorkehrungen für die Körper der anderen Stromkreise ab. 6.1.9.3 FELV FELV (functional ELV), im Deutschen auch als Funktionskleinspannung bezeichnet, liegt vor, wenn die Nennspannung unterhalb von 50 V AC liegt, aber die Anforderungen für SELV und PELV nicht eingehalten werden können oder aus Funktionsgründen nicht eingehalten werden müssen. Es gelten Bestimmungen für eine den Basisschutz erfüllende Isolierung nach Kap 6.1.6.2 und, entsprechend den beiden anderen Funktionskleinspannungen, Anforderungen an Stecker und Steckdosen. Solche Stromkreise sind üblicherweise über einen Schutzleiter an den Primärkreis angeschlossen, vorausgesetzt dieser erfüllt die Bedingungen für den „Schutz durch automatisches Abschalten“. Daher steht FELV in der VDE 0100 auch nicht wie in diesem Skript hinter den anderen Kleinspannungen, sondern im Teil „Schutz durch automatisches Abschalten“. ___________________________________________________________________________ 54 6.1. THEORETISCHE GRUNDLAGEN 6.1.10 Zusätzlicher Schutz Zusätzlich zu den in den Kapiteln 6.1.6 bis 6.1.9 beschriebenen Schutzmaßnahmen ist es unter bestimmten Bedingungen möglich weitere zusätzliche Schutzvorkehrungen gegen den elektrischen Schlag in eine vorhandene Schutzmaßnahme einzubauen. Eine Möglichkeit besteht darin ein Fehlerstrom-Schutzschalter (RCD) einzubauen, auch wenn dessen Benutzung nicht zwingend vorgeschrieben ist. Weiteren zusätzlichen Schutz kann der zusätzliche Schutzpotentialausgleich bieten. Für diesen werden alle Körper von Betriebsmitteln und fremde leitfähige Teile über einen entsprechenden Schutzpotentialausgleichsleiter verbunden. Dieser wird dann mit dem Schutzleiter des Netzes verbunden. Nähere Bestimmungen und Vorschriften sind in der VDE 0100 Teil 410 geregelt. Auf diese soll im Rahmen dieses Skriptes nicht weiter eingegangen werden. 6.1.11 Schutzmaßnahmen unter fachlicher Beaufsichtigung Der genaue Name dieses Abschnittes in der VDE 0100 lautet „Schutzmaßnahme zur Anwendung nur, wenn die Anlage kontrolliert wird oder durch Elektrofachkräfte oder elektrotechnisch unterwiesene Personen überwacht wird“. Der Hintergrund hinter diesem Abschnitt ist folgender: Bei einigen Schutzmaßnahmen besteht z.B. die Möglichkeit, dass diese durch einen Laien unbeabsichtigt so verändert werden können, dass sie unwirksam werden. Nichtsdestotrotz sind dies wirksame Schutzmaßnahmen gegen den elektrischen Schlag solange ihre Eigenschaften unverändert bleiben. Sie bedürfen allerdings einer Überwachung, um eine volle Funktionsfähigkeit gewährleisten zu können. Wie auch in Kap. 6.1.10 wird hier nur auf die ungefähre Funktionsweise dieser Schutzmaßnahmen eingegangen. Die genauen Vorschriften sind in der VDE 0100 Teil 410 im Anhang C zu finden und sind nicht Inhalt dieses Skriptes. 6.1.11.1 Nicht leitende Umgebung In vorigen Kapiteln wurde gezeigt, dass der Fehlerstrom auch vom Übergangswiderstand des Standorts abhängt. Im Wesentlichen besteht diese Schutzmaßnahme daher daraus, Fußböden und Wände so zu isolieren, dass sie einen Widerstand von ___________________________________________________________________________ 6. VERSUCH 6: SCHUTZMASSNAHMEN - 55 50 k bei einer Nennspannung kleiner als 500 V 100 k bei einer Nennspannung ab 500 V aufweisen, ansonsten gelten sie als fremde leitfähige Teile. Außerdem müssen Körper so angeordnet werden, dass keine Person gleichzeitig zwei Körper oder einen Körper und ein fremdes leitfähiges Teil berühren kann. Für diese Schutzvorkehrungen sind bestimmte Abstände vorgeschrieben. Das Risiko bei dieser Schutzmaßnahme ist, dass zu einem späteren Zeitpunkt weitere leitfähige und bewegliche Teile eingebaut werden können. Daher ist auf eine wirksame Überwachung zu achten. 6.1.11.2 Schutz durch erdfreien örtlichen Potentialausgleich Diese Maßnahme ist nicht zu verwechseln mit dem unter Kap. 6.1.6.3 beschriebenen Hauptpotentialausgleich oder dem zusätzlichen Potentialausgleich aus Kap. 6.1.10. Der Unterschied besteht darin, dass das hier beschriebene Potential erdfrei ist. Das Auftreten zu hoher Berührungsspannungen wird dadurch verhindert, dass in einem abgegrenzten Raum alle berührbaren Körper und fremden leitfähigen Teile durch Potentialausgleichsleiter verbunden sind. Innerhalb eines solchen erdpotentialfreien Raumes können die Gehäuse im Fehlerfall Spannung gegen Erde aufweisen, ohne dass eine Gefahr besteht, da alle leitfähigen Teile dasselbe Potential führen. Gefährlich kann das Betreten eines solchen Raumes sein, speziell wenn ein gegen Erde isolierter, leitfähiger Bodenbelag in den Potentialausgleich mit einbezogen ist. Im Fehlerfall kann dieser eine Spannung gegenüber dem Boden vor dem Raum annehmen, die ein Eintretender als Schrittspannung überbrückt. Durch entsprechende Maßnahmen (z.B. isolierender Boden vor dem Raum) kann diese Gefahr beseitigt werden. ___________________________________________________________________________ 56 6.1. THEORETISCHE GRUNDLAGEN 6.1.12 Schutzeinrichtungen 6.1.12.1 Überstrom-Schutzeinrichtungen, Sicherungsautomaten Als Überstromauslöser werden Schmelzsicherungen und Leistungsschutzschalter (auch Sicherungsautomaten genannt) verwendet. Sie sollen die elektrischen Leitungen vor Kurzschluss und Überlast schützen. Dieser Schutz kann bei geeigneter Auslösecharakteristik auch auf die nachgeschalteten Verbraucher ausgedehnt werden. In Verbindung mit den Schutzmaßnahmen nach 6.1.5 bis 6.1.8 dienen diese Elemente außerdem als Abschalteeinrichtung. Da im Versuch, wie auch häufig in der Praxis, hierzu Leistungsschalter verwendet werden, soll deren Funktionsweise näher erläutert werden. Für die Anpassung an die vielfältigen Forderungen enthalten Sicherungsautomaten i. Allg. zwei unabhängige Auslöser: 1. Der thermische Auslöser ist so ausgelegt, dass er, der zulässigen Belastbarkeit zu schützender Leitungen oder Verbrauchsmittel angepasst, zeitverzögert erst bei andauernder Überlast wirksam wird. Er besteht im Wesentlichen aus einem Bimetallstreifen, der sich abhängig von der Größe des Stromes und dessen Einwirkzeit ausbiegt und bei einer vorbestimmten Ausbiegung das Schaltwerk betätigt. Der thermische Auslöser ist aufgrund seiner Trägheit nicht relevant für den Berührungsschutz. 2. Der elektromagnetische Auslöser arbeitet als unverzögerter Schnellauslöser und übernimmt unabhängig vom thermischen Auslöser den Schutz bei Kurzschluss oder bei hoher, plötzlicher Überlast. Er besteht im Wesentlichen aus einer Magnetspule, die ab dem 2- bis 15-fachen Nennstrom (je nach Typ) einen Anker anzieht, der damit das Schaltwerk betätigt (Schlagankerprinzip). Hierdurch ergibt sich ein sehr kurzer Ausschaltverzug, der bei hohen Kurzschlussströmen im Bereich einer Millisekunde liegt. Diese schnelle Abschaltung wird im Zusammenhang mit den Schutzmaßnahmen nach 6.1.5 genutzt. Um die durch die verschiedene Auslegung der genannten Auslöser mögliche Typenvielfalt einzuschränken, sind verschiedene Auslösecharakteristiken unter Klassen zusammengefasst - die Charakteristiken B, C und D nach VDE 0641, die Charakteristiken K und Z nach VDE 0660. Im Versuch werden nur Sicherungsautomaten vom Typ K und Z, wie in Abb. 6.12 dargestellt, verwendet. ___________________________________________________________________________ 6. VERSUCH 6: SCHUTZMASSNAHMEN 57 Sicherungsautomaten mit Auslösecharakteristik K dienen bei geeigneter Auswahl der Absicherung von Leitungen und zusätzlich dem Schutz nachgeschalteter elektrischer Verbrauchsmittel. Die zulässigen Ansprechwerte des elektromagnetischen Auslösers liegen im Bereich zwischen dem 8- bis 14-fachen Nennstrom. Einschaltstromstöße, die beim Einschalten von Motoren, Regel- und Steuertransformatoren, Scheinwerfern und Glühlampen kurzzeitig auftreten, führen daher nicht zu unerwünschtem Auslösen. Der thermische Auslöser ist so ausgelegt, dass ein nur wenige Prozent über dem Nennstrom liegender Dauerstrom den Sicherungsautomaten auslöst und damit die gegen thermische Überlastung besonders empfindlichen Wicklungen schützt. Abb. 6.12: Auslösecharakteristik K(, E) und Z von Sicherungsautomaten ___________________________________________________________________________ 58 6.1. THEORETISCHE GRUNDLAGEN Sicherungsautomaten der Auslösecharakteristik Z verfügen über thermische und elektromagnetische Auslöser besonders hoher Empfindlichkeit. Sie eignen sich daher vorzugsweise zum Schutz von Halbleiterbauelementen und Messkreisen für Spannungswandler. Der elektromagnetische Auslöser spricht zwischen dem 2- bis 3-fachen Nennstrom an. 6.1.12.2 Fehlerstrom-Schutzeinrichtung (RCD) Fehlerstrom-Schutzeinrichtungen wurden früher als „FI-Schutzschalter“ bezeichnet. Heute ist die Bezeichnung RCD (engl.: residual current protective device) gebräuchlich. Diese Schutzeinrichtung beruht auf folgendem Grundprinzip: Wird in einem fehlerfreien Verbraucher der Strom I eingespeist, so muss dieser Strom I auch in der Rückleitung auftreten, d.h. die Stromsumme in den aktiven Leitungen muss Null sein (Kirchhoffsches Gesetz). Dies gilt auch für Drehstromverbraucher mit und ohne N-Leiter-Anschluss. Besteht jedoch ein Körperschluss, so fließt ein Fehlerstrom über die Fehlerstelle, evtl. angeschlossene Schutzleiter, über Erde oder direkt zum Neutralpunkt des Netzes. Dieser Strom fließt daher nicht über aktive Leiter zurück und bewirkt, dass die Stromsumme in den aktiven Leitungen genau um diesen Betrag von Null abweicht. Ein Fehlerstromschutzschalter überwacht die Stromsumme der aktiven Leiter und schaltet bei Überschreiten einer vorgegebenen Abweichung von Null die Netzzuleitung ab. Wie in Abb. 6.13 dargestellt, geschieht die Überwachung durch einen Summenstromwandler. Über diesen Wandler führt man die Ströme aller Betriebsleitungen. Die Durchflutungen der Leiterströme werden vektoriell addiert und ergeben im fehlerfreien Betriebsfall Null. Bei Auftreten eines Fehlerstromes ergibt sich eine Restdurchflutung, deren Feld in einer zusätzlich aufgebrachten Wicklung eine Spannung induziert. Diese Spannung wird zur Auslösung des Schalters benutzt. ___________________________________________________________________________ 6. VERSUCH 6: SCHUTZMASSNAHMEN 59 Abb. 6.13: Wirkungsweise einer Fehlerstrom-Schutzeinrichtung (RCD) Abb. 6.14 zeigt zwei im TN-Netz eingesetzte RCDs. Besondere Verbindungsleitungen vom Verbraucher zum Schutzschalter bestehen nicht. RCDs überwachen nur die aktiven Zuleitungen eines bestimmten Netzbereiches. Dies kann eine komplette Hausinstallation, ein besonders zu schützender Stromkreis (z.B. des Badezimmers) oder auch ein besonders zu schützendes Gerät (z.B. Rasenmäher) sein. Abb. 6.14: RCD-Schutzschalter (früher als FI-Schutzschalter bezeichnet) im TNNetz (im Stecker-Gehäuse einer Verlängerungsleitung integriert) ___________________________________________________________________________ 60 6.1. THEORETISCHE GRUNDLAGEN RCDs werden in der Regel für die Auslöseströme von 1000, 500, 300 und 30 mA gebaut. So genannte Personenschutzautomaten für die Überwachung von einzelnen Stromkreisen sind sogar mit Auslöseströmen von nur 10 mA erhältlich. Sie sind mechanisch mit Leistungsschutzschaltern gekoppelt, deren Auslöseorgane sie im Fehlerfall betätigen. RCDs mit Auslöseströmen von 30 mA und weniger haben zusätzlich den großen Vorteil, dass sie auch einen gewissen Basisschutz bieten, d.h. also auch bei Ausfall einer zugeordneten Schutzvorkehrung (z.B. Basisisolierung). Sobald ein Mensch ein defektes Gerät oder sogar einen Außenleiter direkt berührt und ein Fehlerstrom über seinen Körper fließt, der über der eingestellten Grenze liegt, löst der Schalter (schnell genug) aus. Deshalb ist ein derartiger Schutz in bestimmten besonders gefährdeten Bereichen (Bad, Sauna, Schwimmbad, …) zusätzlich zur „normalen“ Schutzmaßnahme zwingend vorgeschrieben. Die anzustrebende allgemeine Anwendung von RCDs mit derart niedrigem Auslösestrom ist allerdings für größere Netzbereiche (Hausinstallation) mit entsprechend hohen Ableitströmen über Erdkapazitäten und Ableitwiderstände und bei großen Verbrauchern wie z.B. Baumaschinen und Herden nicht möglich. Dafür muss ein höherer Auslösestrom gewählt und eine entsprechende Schutzmaßnahme zugeordnet werden. 6.1.12.3 Isolationsüberwachungs-Schutzeinrichtung In IT-Netzen, in denen ein erster Fehler nicht zum Abschalten führt, ist es vorgeschrieben, den Isolationszustand, also den Widerstand des Netzes gegen Erde, ständig zu überwachen. Der Innenwiderstand des Überwachungsinstrumentes (der ja auch eine Verbindung zwischen Netz und Erde darstellt) darf nicht kleiner als 15 k sein. Für jedes Anlagenteil in trockener Umgebung ist ein minimaler Ableitwiderstand gegen Erde von 1 k pro Volt Netzspannung erlaubt. Abb. 6.15 zeigt das Prinzip einer Überwachungseinrichtung, die hörbar Alarm gibt, wenn dieser Grenzwert (z.B. durch einen Gehäuseschluss) unterschritten wird. Im Falle eines Erdschlusses kann die Hilfsgleichspannung U H einen Strom durch die Spule des Überwachungsrelais treiben. Das Relais löst bei Überschreiten eines einstellbaren Stromgrenzwertes einen Alarm aus. ___________________________________________________________________________ 6. VERSUCH 6: SCHUTZMASSNAHMEN 61 Abb. 6.15: Wirkungsweise eines Isolationswächters ___________________________________________________________________________ 62 6.2. AUFGABEN UND HINWEISE ZUM VERSUCHSTAG 6.2 Aufgaben und Hinweise zum Versuchstag 6.2.1 Demonstrationstafel für Schutzmaßnahmen Mit der Demonstrationstafel in Abb. 6.16 lassen sich durch Steckverbindungen verschiedene Schaltungen, Schutzmaßnahmen, Schadens- und Gefahrensituationen in einem Drehstromnetz 400/230 V mit einem Verbraucher RV simulieren. Damit dies gefahrlos möglich ist, betragen die an der Tafel tatsächlich auftretenden Spannungen und die eingebauten Widerstände nur ein Zehntel der angegebenen Werte auf der Demonstrationstafel; die Stromstärken bleiben gleich. Beim Versuch sind also die angegebenen Widerstandswerte auf der Tafel und die gemessenen Stromstärken, aber das Zehnfache der gemessenen Spannungen zu notieren. Mit den Widerständen RF lassen sich die Körperschlüsse zwischen Außenleiter und Gehäuse des Verbrauchers simulieren. Die Widerstände RB , RS bzw. RH sollen die Erdungswiderstände der Betriebs-, Schutz- bzw. Hilfserde darstellen. Mit den Widerständen RL werden die Leitungswiderstände und mit RI der Isolationswiderstand des Netzes gegen Erde berücksichtigt. Sicherungsautomaten und Fehlerstromschutzschalter (in Abb. 6.16 wie früher üblich als FI-Schutzschalter bezeichnet) benötigt man zum Aufbau zugehöriger Schutzschaltungen. Der Widerstand RK soll den durchschnittlichen Körperwiderstand eines Menschen von 3kΩ darstellen, während RST den Übergangs- bzw. Fußbodenwiderstand berücksichtigt. Wenn am Widerstand RK eine Berührungsspannung von über 50V auftritt, leuchtet eine rote Kontrolllampe auf. ___________________________________________________________________________ 6. VERSUCH 6: SCHUTZMAßNAHMEN 63 Abb. 6.16: Versuchstafel Schutzmaßnahmen ___________________________________________________________________________ 64 6.2. AUFGABEN UND HINWEISE ZUM VERSUCHSTAG 6.2.2 Versuchsdurchführung und -auswertung 6.2.2.1 Durchzuführende Versuche 1. Bauen Sie ein über RB = 2 Ω geerdetes Drehstrom-Vierleiternetz auf (mit intaktem NLeiter). Schließen Sie den einphasigen Verbraucher über einen der Sicherungsautomaten zwischen L1 und N an. Ein auf dem Fußboden mit RST = 500 Ω stehender Mensch berührt das Gehäuse. Messen Sie den Berührungsstrom I B und die Berührungsspannung U B in Abhängigkeit vom Übergangswiderstand eines Körperschlusses RF im Verbraucher. Verwenden Sie alle vorhandenen Werte von RF zwischen 0 Ω und RF → ∞ Ω und notieren Sie eine eventuelle Gefährdung bzw. Auslösung des Sicherungsautomaten in der vorgegebenen Tabelle des Protokollvordrucks. 2. Bauen Sie ein TN-Netz mit kombiniertem Neutral- und Schutzleiter auf. Führen Sie die Messungen entsprechend Punkt 1 mit fehlerfreiem und defektem Schutzleiter durch und notieren Sie die Ergebnisse in der dafür vorgesehenen Tabelle im Protokollvordruck. 3. Untersuchen Sie die Schutzmaßnahme im TT-Netz mit einem FehlerstromSchutzschalter (RCD) (in Abb. 6.16 wie früher üblich als FI-Schutzschalter bezeichnet) als Auslöseorgan. Schließen Sie den über einen Erdungswiderstand RS geerdeten Verbraucher über einen Sicherungsautomaten und den Fehlerstrom-Schutzschalter (RCD) an das geerdete Netz an. Messen Sie den Fehlerstrom I F und die Berührungsspannung U B bei etwa 15 sinnvollen Kombinationen von RST und RF (keine Kombinationen weit ober- oder unterhalb von Gefährdungs- oder Auslösegrenzen). Untersuchen Sie auch den Fall des gebrochenen oder nicht vorhandenen Erdleiters. 4. Bauen Sie ein ungeerdetes Netz auf: Der Mensch berührt eine Phase. Untersuchen Sie die Gefährdung in Abhängigkeit vom Isolationswiderstand des Netzes. Zum Messprotokoll: Markieren Sie jeden Messwert bei dem eine Gefährdung des Menschen auftritt. Notieren Sie ob und wie die Sicherungsautomaten oder Schutzschalter auslösen. ___________________________________________________________________________ 6. VERSUCH 6: SCHUTZMAßNAHMEN 65 6.2.2.2 Versuchsauswertung 1. Stellen Sie für die Versuche 3 und 4 je ein Ersatzschaltbild auf und berechnen Sie allgemein die Berührungsspannung U B und den Fehlerstrom I F . Setzen Sie für je einen Fall mit und ohne Gefährdung gemessene Werte ein (keine Trivialfälle!). 2. Untersuchen Sie die Ursachen, wenn trotz einer Schutzmaßnahme eine unzulässige Berührungsspannung auftritt und keine Abschaltung erfolgt. 3. Berechnen Sie die höchsten zulässigen Erdungswiderstände im IT-Netz für das im Protokollvordruck gegebene Ersatzschaltbild mit RCD für eine zulässige Berührungsspannung von U B = 50 V bzw. U B = 25V (besondere Gefährdung). Es sollen RCDs mit einem Auslösestrom von I ∆N = 0, 5 A und I ∆N = 30 mA verwendet werden. 4. Ein Isolationswächter soll Alarm auslösen, wenn sich der Isolationswiderstand eines IT-Netzes ( U = 230V ) soweit verschlechtert hat, dass bei sattem Gehäuseschluss im Verbraucher ( RF = 0 Ω ) eine Berührungsspannung U B ≥ 25V auftritt. Auf welchen Isolationswiderstand muss der Wächter eingestellt werden? Zeichnen Sie hierfür zunächst das Ersatzschaltbild eines IT-Netzes. Gehen Sie zur Vereinfachung davon aus, dass der Mensch den Außenleiter berührt. Dies entspricht einem Fehler zwischen Außenleiter und Gehäuse bei unendlich großem Innenwiderstand der Maschine. Je kleiner der Innenwiderstand der Maschine wird, desto kleiner wird der Berührungsstrom durch den Menschen. Die Vereinfachung ist somit zulässig, da sie ein „worst-case“ Szenario beschreibt. Zeichnen Sie nun ein vereinfachtes Ersatzschaltbild des Fehlerstromkreises und berechnen Sie den benötigten Isolationswiderstand des Netzes gegen Erde für die oben vorgegebenen Bedingungen. ___________________________________________________________________________ 67 Versuch 7: Gleichrichterschaltungen 7.1 Theoretische Grundlagen 7.1.1 Definition eines idealen Ventils Ein ideales Ventil ist ein hypothetisches zweipoliges Bauelement der Elektrotechnik, das nur in einer Richtung, der Durchlassrichtung, Strom durchlässt. In dieser Richtung hat das ideale Ventil keinen Widerstand: der Durchlasswiderstand ist Null, ebenso die Durchlassspannung UF. Der Durchlassstrom heißt iF. In der Gegenrichtung, der Sperrrichtung, lässt das ideale Ventil keinen Strom durch. Bei einer angelegten Sperrspannung uR ist der Sperrstrom iR immer Null und der Sperrwiderstand unendlich groß. Die beiden Anschlüsse des Ventils heißen Anodenanschluss, hier tritt der Durchlassstrom ein, und Katodenanschluss, hier tritt der Durchlassstrom aus. Das Symbol eines idealen Ventils zeigt Abb. 7.1. Anode Katode Anode Katode Abb. 7.1: Symbol eines idealen Ventils Die Pfeilspitze zeigt in die Richtung des Durchlassstroms. ___________________________________________________________________________ 68 7.1. THEORETISCHE GRUNDLAGEN Es gibt keine elektrischen Bauelemente, die die Eigenschaften von idealen Ventilen vollständig besitzen. Es ist aber sehr nützlich, bei der näherungsweisen Berechnung der elektrischen Größen von Gleichrichterschaltungen ideale Ventile vorauszusetzen. 7.1.2 Gleichrichterschaltungen 7.1.2.1 Einwegschaltungen (Einzweig-, Mittelpunkt- bzw. Sternschaltung) Bei diesen Schaltungen ist an jede Netzphase (Transformatorsekundärwicklung) nur ein Ventil angeschlossen, so dass in den Sekundärsträngen der Strom nur in einer Richtung fließen kann. Einzweigschaltung (Einpulsige Einwegschaltung) Kurzzeichen: E Abb. 7.2 zeigt das Schaltbild einer Einzweigschaltung uV P Q+ id 1~ Abb. 7.2: Einzweigschaltung us ud R - Das Symbol zwischen den Anschlussklemmen der Primärwicklung bedeutet, dass die Primärwicklung an Einphasenwechselstrom anzuschließen ist. Mit us wird die Sekundärspannung des Transformators bezeichnet. uV ist die Ventilspannung. Sie wird positiv gerechnet, wenn das Potential der Anode größer ist als das der Katode. Die gleichgerichtete Spannung heißt ud. Sie liegt am Verbraucher und an den ggf. vorhandenen Glättungsmitteln. Nach dem zweiten Kirchhoffschen Gesetz ergibt sich für die drei Spannungen auf der Gleichstromseite die Gleichung us uV ud (7.1) ___________________________________________________________________________ 7. VERSUCH 7: GLEICHRICHTERSCHALTUNGEN 69 Bei der Einzweigschaltung tritt auf der Gleichstromseite der Gleichstrom id auf. Er wird positiv gerechnet, wenn er in der Richtung einer positiven Gleichspannung ud fließt. Bei idealen Ventilen kann id nie negativ werden. Da id hier gleich dem Sekundärstrom des Transformators ist, wird die Sekundärseite des Transformators nur in einer Richtung vom Strom durchflossen. Solche Schaltungen heißen Einwegschaltungen. Die Teile einer Gleichrichterschaltung, die sich zwischen einem Gleichstrom- und einem Wechselstromanschluss auf der Sekundärseite des Gleichrichtertransformators befinden, nennt man einen Zweig der Gleichrichterschaltung. Sie können im Schaltbild auch dann mit nur einem Symbol nach Abb. 7.1 dargestellt werden, wenn sie aus mehreren Ventilen bestehen. Der eine Zweig der Einzweigschaltung nach Abb. 7.2 liegt zwischen den Punkten P und Q. In Abb. 7.3 sind us, uV, ud und id über t aufgetragen. ist die Kreisfrequenz der Netzspanrad nung. In einem 50Hz-Netz ist 314 . Die Periodendauer beträgt T=20ms. s Der zeitliche Verlauf von us ist durch den zeitlich sinusförmigen Verlauf der Primärspannung des Transformators als ebenfalls sinusförmig festgelegt. Er ist praktisch unabhängig von der weiteren Beschaltung und der Belastung, wenn man davon absieht, dass bei größerem Strom messbare Spannungsabfälle auftreten. us ist in Abb. 7.3.1 dargestellt. ud ist die Ausgangsspannung des Gleichrichters und damit in der Einzweigschaltung nach Abb. 7.2 gleich dem Spannungsabfall am ohmschen Widerstand R. Hier kann ein Spannungsabfall nur durch einen positiven Gleichstrom id erzeugt werden; ein negativer Strom id ist wegen der einseitigen Durchlässigkeit des Ventils nicht möglich. Die einzige Spannung in dem Kreis, die einen Strom treiben könnte, ist us. Solange us positiv ist, fließt ein positiver Strom id und uV ist Null (ideales Ventil). Nach Gleichung (7.1) gilt demnach uV 0 ud us , solange us 0 (7.2) Wenn us negativ wird, ist id Null und damit auch ud Null. Gleichung (7.1) ergibt: ud 0 uV us , solange us 0 (7.3) uV und ud sind in Abb. 7.3.2 und 7.3.3 dargestellt. Der Gleichstrom id ist nur bei der gezeichneten rein ohmschen Belastung direkt proportional der Gleichspannung ud. ud R id (7.4) id ist in Abb. 7.3.4 wiedergegeben. ___________________________________________________________________________ 70 7.1. THEORETISCHE GRUNDLAGEN Abb. 7.3: Spannungen und Strom der Einzweigschaltung bei rein ohmscher Belastung ___________________________________________________________________________ 7. VERSUCH 7: GLEICHRICHTERSCHALTUNGEN 71 Mittelpunktschaltung Kurzzeichen: M2 Abb. 7.4 zeigt das Schaltbild. u V1 is1 + id u s1 ud R uL 1~ u s2 is2 uV2 Abb. 7.4: Mittelpunktschaltung Die Primärseite des Transformators wird an eine Einphasenwechselspannung angeschlossen. Auf der Sekundärseite entstehen die beiden sinusförmigen Wechselspannungen us1 und us2, die um 180° gegeneinander phasenverschoben sind. Die Schaltung ist somit sekundärseitig zweiphasig. Da us1 immer gleich groß, aber entgegengesetzt gepolt ist wie us2, ergibt sich die erwähnte Phasenverschiebung um 180°. us1 us 2 (7.5) us1 und us2 sind in Abb. 7.5.1 gezeichnet. Auf der Gleichstromseite der Schaltung erhält man mit Hilfe des zweiten Kirchhoffschen Gesetzes die beiden Gleichungen us1 uV 1 ud us 2 uV 2 ud (7.6.1) (7.6.2) Um den zeitlichen Verlauf der Ventilspannungen und der Gleichspannung zu erhalten, werden die Größen zu einem Zeitpunkt betrachtet, an dem us1 positiv sei. us2 ist dann negativ. us1 ___________________________________________________________________________ 72 7.1. THEORETISCHE GRUNDLAGEN kann einen Strom is1 über das Ventil 1 treiben. uV1 ist dann Null. is2 kann nicht fließen, weil us2 negativ ist. Daher ist is1 id (7.7) us1 ud (7.8) und wegen Gleichung (7.6.1) Aus den Gleichungen (7.6.2), (7.8) und (7.5) erhält man uV 2 2us 2 2us1 uL (7.9) Die Gleichungen (7.7), (7.8) und (7.9) gelten, solange us1 positiv und us2 negativ sind. Im umgekehrten Fall gelten aus Symmetriegründen dieselben Gleichungen, nur muss man bei den Indizes die Zahlen 1 und 2 vertauschen und in Gleichung (7.9) -uL durch uL ersetzen. Die Abb. 7.5 zeigt us1, us2, uV1, ud und id. Für id gilt wie bei der Einzweigschaltung die Gleichung (7.4). Wegen dieses Zusammenhangs sind die Amplituden von ud und id im Allgemeinen verschieden. ___________________________________________________________________________ 7. VERSUCH 7: GLEICHRICHTERSCHALTUNGEN 73 Abb. 7.5: Spannungen und Strom der Mittelpunktschaltung ___________________________________________________________________________ 74 7.1. THEORETISCHE GRUNDLAGEN Sternschaltung Kurzzeichen: M3 u s1 u s2 3~ u V1 is1 u V2 + u s3 is2 is3 Abb. 7.6: Sternschaltung id u V3 ud R - Die Primärseite des Transformators der in Abb. 7.6 dargestellten Sternschaltung liegt an 3Phasen-Wechselstrom oder Drehstrom, d.h. die drei primären Strangspannungen sind um je 120° gegeneinander phasenverschoben. Folglich sind auch die Sekundärspannungen us1, us2 und us3 drei um je 120° phasenverschobene sinusförmige Spannungen. Sie sind in Abb. 7.7.1 über t aufgetragen. In Abb. 7.6 lässt sich ablesen, dass sich für die Sternschaltung drei Gleichungen aufstellen lassen, die den Gleichungen (7.1) und (7.6) entsprechen. us1 uV 1 ud us 2 uV 2 ud us 3 uV 3 ud (7.10.1) (7.10.2) (7.10.3) Die Summe aus Ventilspannung und Gleichspannung ergibt wie bei der Einzweig- und der Mittelpunktschaltung die Transformatorspannung, nur ist hier jeder Ventilzweig einzeln zu betrachten. Die Ventile führen den Strom nacheinander für je 120°. Da neben idealen Ventilen auch ein idealer Transformator ohne Streuflüsse vorausgesetzt wird, führen nie zwei oder drei Ventile gleichzeitig Strom. Es leitet immer das Ventil, dessen Transformator-Sternspannung den größten positiven Betrag hat. Um diese Behauptung zu verifizieren, wird ein Zeitpunkt betrachtet, an dem gilt: us1 us 2 und us1 us 3 (7.11) ___________________________________________________________________________ 7. VERSUCH 7: GLEICHRICHTERSCHALTUNGEN In diesem Fall ist: 75 uV 1 0 Daraus folgt nach Gleichung (7.10.1): us1 ud us1 ud ist die Spannung, die alle drei Katoden gemeinsam gegenüber dem TransformatorSternpunkt haben. Da nach der Voraussetzung (7.11) us2 und us3 (die Anodenspannungen der Ventile 2 und 3) negativer als us1 (die Spannung ihrer Katoden) sind, sperren die Ventile 2 und 3. Damit ist die Behauptung bewiesen. us1 ud solange us1 us 2 und us1 us 3 (7.12.1) Aus Symmetriegründen ist auch us 2 ud solange us 2 us 3 und us 2 us1 us 3 ud solange us 3 us1 und us 3 us 2 (7.12.2) (7.12.3) Abb. 7.7.1 bis 7.7.3 lassen den beschriebenen Zusammenhang zwischen us1, uV1 und ud, den Spannungen im Stromkreis des Ventils 1, erkennen. Die Diagramme für uV2 und uV3 haben die gleiche Form wie Abb. 7.7.2. Sie sind nur um 120° bzw. 240 ° nach rechts verschoben. Der Strom is1 kann nur fließen, wenn das Ventil 1 durchlässig ist. Während dieser Zeit ist us1 u gleich ud und bei der in Abb. 7.6 gezeichneten rein ohmschen Belastung ist is1 s1 . Die R Stromimpulse von is1 liegen genau unter den Strecken in Abb. 7.7.2, an denen uV1 Null ist. Die Stromkurven für is2 und is3 sind gegenüber der von is1 um 120° bzw. 240° verschoben (siehe Abb. 7.7.5 und 7.7.6). Aus dem Schaltbild für die Sternschaltung nach Abb. 7.6 ist abzulesen, dass id is1 is 2 is 3 (7.13) Daher setzt sich die Stromkurve für id nach Abb. 7.7.7 additiv aus den Impulsen der Abb. 7.7.4 bis 7.7.6 zusammen. ___________________________________________________________________________ 76 7.1. THEORETISCHE GRUNDLAGEN Abb. 7.7: Spannungen und Ströme der Sternschaltung ___________________________________________________________________________ 7. VERSUCH 7: GLEICHRICHTERSCHALTUNGEN 77 7.1.2.2. Zweiwegschaltungen (Brückenschaltungen) Bei diesen Schaltungen sind an die sekundären Wicklungsstränge des Transformators zwei Ventile angeschlossen, eins mit der Anode, eins mit der Katode, so dass jeder Strang in beiden Richtungen vom Strom durchflossen wird. Brückenschaltung Kurzzeichen: B2 Der Name Brückenschaltung deutet an, dass die Last, in Abb. 7.8 der Widerstand R, eine Brücke zwischen den Anoden der einen und den Katoden der anderen Ventilgruppe bildet. + u V1 1~ id uV2 uL ud u V3 R uV4 - Abb. 7.8: Brückenschaltung Zur Berechnung der Spannungen und Ströme kann man wieder die Kirchhoffschen Gesetze benutzen. uL uV 1 ud uV 4 und (7.14.1) (7.14.2) uL uV 2 ud uV 3 Der Weg, bei dessen Durchlaufen die Spannungssumme nach Gleichung (7.14.1) gebildet wurde, ist gleichzeitig die Bahn des Gleichstroms, wenn uL positiv ist, während der Gleichstrom auf dem Umlaufweg für Gleichung (7.14.2) fließt, wenn uL negativ ist. Natürlich gelten die Gleichungen (7.14) immer, unabhängig vom Vorzeichen von uL. Ist also uL positiv, dann sind uV 1 uV 4 0 ( uL 0 ) (7.15) ___________________________________________________________________________ 78 7.1. THEORETISCHE GRUNDLAGEN weil diese beiden Ventile in Durchlassrichtung gepolt sind. Nach Gleichung (7.14.1) gilt jetzt u L ud ( uL 0 ) (7.16) (mit uL ist auch ud positiv) Um die einzelnen Ventilspannungen zu erhalten, stellt man zwei weitere Maschengleichungen auf (7.17.1) 0 uV 3 uV 1 ud (7.17.2) 0 uV 4 uV 2 ud Mit den Gleichungen (7.15) und (7.16)folgt uV 2 uV 3 uL ( uL 0 ) (7.18) Der Inhalt der Gleichungen (7.15), (7.16) und (7.18) ist in den Abb. 7.9.1 bis 7.9.6 im Abszissenbereich von 0 bis dargestellt. Während uL negativ ist, fließt id vom Transformator über Ventil 2, den Widerstand R und Ventil 3 zum Transformator zurück. Also ist uV 2 uV 3 0 ( uL 0 ) (7.19) uL ud ( uL 0 ) (7.20) ( uL 0 ) (7.21) Mit Gleichung (7.14.2) ist (auch hier ist ud positiv) und mit den Gleichungen (7.19), (7.20) und (7.17) uV 1 uV 4 uL Der Inhalt der Gleichungen (7.19), (7.20) und (7.21) wird in den Abb. 7.9.1 bis 7.9.6 im Abszissenbereich von bis 2 wiedergegeben. Da ud sowohl während der positiven als auch während der negativen Phase von uL sein Vorzeichen beibehält, hat eine Gleichrichtung stattgefunden. Der Gleichstrom ist bei der angegebenen rein ohmschen Belastung wieder proportional der Gleichspannung. Er ist in Abb. 7.9.7 dargestellt. ___________________________________________________________________________ 7. VERSUCH 7: GLEICHRICHTERSCHALTUNGEN 79 Abb. 7.9: Spannungen und Strom der Brückenschaltung ___________________________________________________________________________ 80 7.1. THEORETISCHE GRUNDLAGEN Gleichstrom und Gleichspannung haben bei der Schaltung B2 das gleiche Aussehen wie bei der Schaltung M2. Die Schaltung B2 braucht 4 Dioden, während die Schaltung M2 mit 2 Dioden auskommt, die allerdings die doppelte Sperrspannung vertragen müssen. Die Sekundärseite des Trafos der Schaltung B2 hat nur einen Wicklungsstrang, während die Schaltung M2 zwei Wicklungsstränge jeweils für die gleiche Spannung (also doppelt so viele Drahtwindungen) benötigt. Dafür ist der Mittelwert des Stromes bei der Mittelpunktschaltung nur halb so groß. Drehstrom-Brückenschaltung Kurzzeichen: B6 Abb. 7.10 zeigt das Schaltbild. + u s1 3~ u s2 u s3 u V1 uV2 id u V3 is1 R ud is2 is3 u V4 Abb. 7.10: Drehstrom-Brückenschaltung u V5 u V6 - In dieser Schaltung ist der Betrag der Gleichspannungen immer gleich dem Betrag der größten Leiterspannung, nicht der größten Strangspannung wie in den bisher behandelten Schaltungen. Zum Beweis dieser Behauptung und zur Berechnung des zeitlichen Verlaufes der einzelnen Spannungen werden eine Reihe von Gleichungen mit Hilfe des zweiten Kirchhoffschen Gesetzes aufgestellt. Der Weg, auf dem die Spannungen summiert werden, wird wieder so gelegt, dass die erforderlichen Quellen us und der Verbraucher R im Stromkreis enthalten sind. ___________________________________________________________________________ 7. VERSUCH 7: GLEICHRICHTERSCHALTUNGEN 81 us1 us 2 uV 1 ud uV 5 (7.22.1) (7.22.2) (7.22.3) (7.22.4) (7.22.5) (7.22.6) us 2 us 3 uV 2 ud uV 6 us 3 us1 uV 3 ud uV 4 us 2 us1 uV 2 ud uV 4 us 3 us 2 uV 3 ud uV 5 us1 us 3 uV 1 ud uV 6 Die Anzahl der Gleichungen (7.22) lässt erkennen, dass der Gleichstrom nacheinander auf 6 verschiedenen Wegen fließen kann. Zur Berechnung von der Ventilspannungen sind noch die drei Gleichungen uV 4 uV 1 ud (7.23.1) (7.23.2) (7.23.3) uV 5 uV 2 ud uV 6 uV 3 ud nützlich. Wie bei allen übrigen Schaltungen sind die Größe und der zeitliche Verlauf der Transformatorspannungen durch das angeschlossene Netz und die Windungszahlen des Transformators fest vorgegeben. Es werden die Zeitintervalle untersucht, in denen us1 us 2 positiver als alle übrigen Leiter- 2n t 2n , n ganzzahlig, der 6 2 Fall ist. Die t -Achse ist in Abb. 7.11.1 für diese Intervalle verstärkt gezeichnet. Der spannungen ist. Abb. 7.11.1 zeigt, dass das für Gleichstrom nimmt den Weg, auf dem Gleichung (7.22.1) entstanden ist. Dadurch werden uV 1 uV 5 0 ud us1 us 2 (7.24) (7.25) Aus (7.24), (7.23.1), (7.23.2) und (7.25) folgt uV 4 uV 2 ud us1 us 2 (7.26) ___________________________________________________________________________ 82 7.1. THEORETISCHE GRUNDLAGEN Abb. 7.11: Spannungen und Ströme der Drehstrom-Brückenschaltung ___________________________________________________________________________ 7. VERSUCH 7: GLEICHRICHTERSCHALTUNGEN 83 Abb. 7.11: Spannungen und Ströme der Drehstrom-Brückenschaltung Um auch uV3 und uV6 für dieses Zeitintervall zu finden, wird die Spannungssumme auf jeweils dem Umlauf gebildet, der die gesuchte Spannung, uV3 bzw. uV6, eine Ventilspannung, die gerade Null ist, uV1 bzw. uV5, und Transformatorspannungen enthält. Wie man in Abb. 7.10 verfolgen kann, ergeben sich die Gleichungen uV 3 uV 1 us1 us 3 0 uV 6 us 3 us 2 uV 5 0 . Daraus wird mit (7.24) uV 3 us 3 us1 uV 6 us 2 us 3 (7.27.1) (7.27.2) ___________________________________________________________________________ 84 7.1. THEORETISCHE GRUNDLAGEN Somit sind die zeitlichen Verläufe aller Spannungen in diesem Intervall gefunden. Um die berechneten Verläufe in Abb. 7.11 leichter erkennen zu können, wird zusätzlich Abb. 7.12 hinzugezogen. Die Gleichspannung ud, die nach Gleichung (7.25) gleich us1 us 2 ist, hat demnach einen um den Faktor 3 größeren Maximalwert als us1 und sie ist in ihrer Phasenla ge um 30° oder zu früheren Zeiten hin verschoben. Das Maximum von ud liegt also in der 6 Mitte der betrachteten Intervalle. Damit sind auch die Verläufe von uV2 und uV4 nach Gleichung (7.26) in Abb. 7.11.4 und 7.11.6 für den betrachteten Zeitraum zu verstehen. 5 uV 3 us 3 us1 ist gegenüber us1 um 150° oder zu früheren Zeiten hin verschoben, wie 6 Abb. 7.11.5 zeigt. uV 6 us 2 us 3 liegt um 90° oder vor us1, daher hat es den in Abb. 7.11.8 2 gezeigten Verlauf. In gleicher Weise lassen sich die Spannungen für die 5 übrigen Intervalle einer Periode der Netzspannung berechnen und zeichnen. Die Verläufe sind in Abb. 7.11.1 bis 7.11.8 dargestellt. 1 u s3 - u s1 u L3 u s1 u s1 - u s2 u L1 u s3 u s2 3 u s2 - u s3 u L2 2 Abb. 7.12: Stern- und Leiterspannungen Der Gleichstrom id hat, wie in allen übrigen hier behandelten Schaltungen, bei rein ohmscher Belastung einen der Gleichspannung proportionalen Verlauf. Er ist nicht gezeichnet. Den Verlauf der Transformator-Sekundärströme is1, is2 und is3 kann man konstruieren, wenn man bedenkt, dass z.B. is1 positiv sein muss, solange uV1 Null ist, und negativ, während uV4 Null ist. Entsprechendes gilt für die beiden übrigen Ströme. Die Ströme sind in Abb. 7.11.9 bis 7.11.11 dargestellt. ___________________________________________________________________________ 7. VERSUCH 7: GLEICHRICHTERSCHALTUNGEN 85 7.1.2.3 Allgemeine Folgerungen aus den Schaltungsbeispielen Zunächst werden einige Begriffe eingeführt und gegebenenfalls an den besprochenen Schaltungen erläutert. Kommutierung heißt der Übergang des Stromes von einem Zweig zum nächsten. Bei der Mittelpunktschaltung nach Abb. 7.4 wird der Gleichstrom id abwechselnd von den Ventilen 1 und 2 geführt. In der Sternschaltung nach Abb. 7.6 fließt der in Abb. 7.7.7 dargestellte Gleichstrom im Zyklus über die Ventile 1, 2 und 3. Da bei dieser Schaltung die Ventilströme gleich den Strangströmen sind, kann man die Übergänge in den Abb. 7.7.4, 7.7.5 und 7.7.6 sehen. Bei der Einzweigschaltung nach Abb. 7.2 kann der Strom natürlich keinem nächsten Zweig übergeben werden. Als Kommutierung ist hier die Wiederaufnahme des Stromes durch das Ventil zu verstehen, wenn us positiv wird. Der eigentlich Grund für die Einführung des Begriffs Kommutierung liegt in den störenden Erscheinungen, die beim Stromübergang von einem Zweig zum nächsten berücksichtigt werden müssen, wenn die Streuinduktivitäten des Stromrichtertransformators nicht vernachlässigt werden können. In diesem Umdruck wird darauf nicht näher eingegangen. Als Kommutierungsgruppe bezeichnet man eine Gruppe von Gleichrichterzweigen und ggf. Wicklungssträngen verschiedener Phasen, die unabhängig von anderen Gruppen im Zyklus kommutieren. Die Gleichrichterzweige 1 und 2 in der Mittelpunktschaltung und 1, 2 und 3 in der Sternschaltung sind solche Kommutierungsgruppen. Etwas Neues bringt der Begriff aber erst in Schaltungen mit mehreren Kommutierungsgruppen, wie in den Brückenschaltungen. In der Schaltung nach Abb. 7.8 wechseln sich die Ventile 1 und 2 in der Führung des Gleichstroms id ab. Sie bilden die eine Kommutierungsgruppe dieser Schaltung. Der vom Minuspol kommende Strom fließt im Zyklus über die Ventile 3 und 4. Sie bilden die andere Kommutierungsgruppe. In der Drehstrombrückenschaltung nach Abb. 7.10 erkennt man nach einer entsprechenden Überlegung, dass die Gleichrichterzweige 1, 2 und 3 und die Zweige 4, 5 und 6 je eine Kommutierungsgruppe bilden. Aus der Definition der Kommutierungsgruppe folgt, dass innerhalb einer solchen Gruppe nie zwei oder mehrere Kommutierungen gleichzeitig stattfinden. Bei Brückenschaltungen sind die Kommutierungsgruppen in Reihe geschaltet. Die hier nicht behandelten Saugdrosselschaltungen enthalten parallel geschaltete Kommutierungsgruppen. Die Kommutierungszahl q ist die Anzahl der Kommutierungen, die während einer Periode der Netzfrequenz in einer Kommutierungsgruppe stattfinden. In der Brückenschaltung nach Abb. 7.8 ist also q=2, in der Schaltung B6 ist q=3. ___________________________________________________________________________ 86 7.1. THEORETISCHE GRUNDLAGEN Die Pulszahl p ist die Gesamtzahl der nicht gleichzeitigen Kommutierungen einer Gleichrichterschaltung während einer Periode der Netzfrequenz. Die Pulszahl ist damit das Verhältnis der Grundfrequenz der der Gleichspannung überlagerten Wechselspannung (Pulsfrequenz= p f ) zur Netzfrequenz. Die Stromflussdauer eines Ventils ergibt sich aus der Definition der Kommutierungszahl q zu Stromflussdauer Periodendauer der Netzfrequenz q Bei Gleichrichterschaltungen mit nur einer Kommutierungsgruppe ist natürlich p=q. Bei Brückenschaltungen mit einer ungeraden Anzahl von Transformator-Sekundärwicklungssträngen (q ungerade) ist p=2q, dagegen ist bei einer geraden Anzahl von Strängen (q gerade) p=q. Um zu dieser und anderen allgemeingültigen Aussagen über Gleichrichterschaltungen zu kommen, muss man die Sekundärwicklung der Brückenschaltung nach Abb. 7.8 als zweiphasige Wicklung betrachten, bei der der Mittelpunktleiter wie bei jeder Brückenschaltung nicht angeschlossen ist. In der Literatur wird diese Schaltung meist als einphasig bezeichnet. Beim Übergang von der zweiphasigen Schaltung M2 (q=2, p=2) zur zweiphasigen Schaltung B2 (q=2, p=2) verändert sich die Pulszahl nicht, weil je zwei Kommutierungen gleichzeitig stattfinden, während sich beim Übergang von der dreiphasigen Schaltung M3 (q=3, p=6) zur dreiphasigen Schaltung B6 (q=3, p=6) die Pulszahl verdoppelt. Die Pulszahl verdoppelt sich beim Übergang von Einweg- zu Zweiwegschaltungen also nur dann, wenn die Phasenzahl der Sekundärseite ungerade ist. Auch für die Abhängigkeit der gleichgerichteten Spannung ud und der Ventilspannungen uV von den Transformatorspannungen us bzw. uL lassen sich allgemeingültige Beziehungen angeben. 7.1.3 Gleichgerichtete Spannung, überlagerte Wechselspannung und Glättungseinrichtungen An den Ausgangsklemmen eines Gleichrichtergerätes tritt eine gleichgerichtete Spannung auf. Als Gleichspannung Ud wird der arithmetische Mittelwert ihres zeitlichen Spannungsverlaufs angegeben. T Ud 1 ud dt T 0 (7.28) ___________________________________________________________________________ 7. VERSUCH 7: GLEICHRICHTERSCHALTUNGEN 87 Die Gleichung gilt immer, wenn T die Periodendauer des Netzes ist. Hat ud, wie bei den meisten Gleichrichterschaltungen, mehrere Pulse während der Netzfrequenzperiode, dann darf 1 man für T die Pulsdauer einsetzen. p f Als Beispiel wird die ideelle Leerlaufgleichspannung Udi für die Einzweig- und die Sternschaltung aus der sekundären Transformatorstrangspannung us berechnet. Der Mittelwert Udi ist von der Wahl des Zeitnullpunktes unabhängig. In Abb. 7.13 ist er für die Einzweigschaltung so gelegt, dass ud während der Stromflussdauer eine Kosinusfunktion ist. Abb. 7.13: Verlauf von ud bei der Einzweigschaltung ud 2U s cos t , ud 0 , 2 t 2 (7.29.1) 3 t 2 2 Es ist üblich, zur Vereinfachung der Rechnung die Substitution t x zu machen. Dann ist ud 2U s cos x , ud 0 , 2 x 2 (7.29.2) 3 x 2 2 Die Intervalllänge beträgt 2 ___________________________________________________________________________ 88 7.1. THEORETISCHE GRUNDLAGEN 3 2 2 2U s 1 U di ud ( x) dx cos x dx 0 dx 2 2 2 2 2 3 2 2U s 2 2 U di U 0, 45U s sin x 2 s (7.30) 2 Abb. 7.14 dient zur Berechnung von Udi bei der Sternschaltung. Die Periode von ud ist hier 2 nur . Die Intervallgrenzen werden in die Punkte und gelegt. 3 3 3 Abb. 7.14: Verlauf von ud bei der Sternschaltung Man erhält: 2U s U di 2 3 U di 3U 3 cos x dx 2 s sin x 3 3 3 3 U s 1,17 U s 2 3 (7.31) Neben dem eben berechneten Gleichspannungsanteil Udi enthält die Spannung ud auch Wechselspannungskomponenten. ud U di u ___________________________________________________________________________ 7. VERSUCH 7: GLEICHRICHTERSCHALTUNGEN ud 89 Udi,u~ t t Abb. 7.15: Erläuterung des Wechselspannungsanteils von ud Die Kurvenform und der Effektivwert der überlagerten Wechselspannung hängen hauptsächlich von der Schaltung des Gleichrichtergerätes und ggf. von der nachgeschalteten Glättungseinrichtung ab. Die Wechselspannung kann z.B. Fernmeldeanlagen störend beeinflussen, sei es infolge induktiver oder kapazitiver Kopplung. Die überlagerte Wechselspannung besteht aus sinusförmigen Komponenten verschiedener Frequenzen f . Die Ordnungszahlen dieser Komponenten sind ganzzahlige Vielfache der Pulszahl p. Die Effektivwerte U lassen sich durch frequenzselektive Messgeräte bestimmen oder bei bekanntem zeitlichen Verlauf der Spannung u durch die Integrale T 2 a u (t ) cos t dt T0 T b mit 2 u (t ) sin t dt T 0 U a2 b2 berechnen (Fourier-Analyse). Der Effektivwert der überlagerten Gesamt-Wechselspannung ergibt sich dann zu: Uü U 2 (7.32) ___________________________________________________________________________ 90 7.1. THEORETISCHE GRUNDLAGEN Als Wechselspannungsgehalt oder Welligkeit w gilt das Verhältnis der überlagerten Wechselspannung zur Gleichspannung: w Uü Ud (7.33) Die überlagerte Wechselspannung erzeugt im Verbraucher einen dem Gleichstrom überlagerten Wechselstrom. Seine Größe und sein Verlauf sind durch die überlagerte Wechselspannung, ggf. die Glättungseinrichtung und die Lastart gegeben. Als kennzeichnende Größe gilt der Wechselstromgehalt entsprechend der Gleichung (7.33). Die Glättungseinrichtung, mit der die Welligkeit verringert wird, besteht meist aus Drosseln und Kondensatoren. Dabei macht man sich die Frequenzabhängigkeit des Widerstands dieser Bauteile zunutze. Ein Kondensator, parallel zum Verbraucher geschaltet, bildet einen Nebenschluss für die überlagerten Wechselströme, während er für den Gleichstrom undurchlässig ist. Legt man eine Drossel in Reihe mit dem Verbraucher, so entsteht ein Spannungsteiler, bei dem fast die gesamte Gleichspannung am Verbraucher liegt - bis auf den ohmschen Spannungsabfall am Kupferwiderstand der Drossel - , während die überlagerte Wechselspannung in der Drossel einen großen Widerstand findet, so dass der Strom und damit die Spannung am ohmschen Verbraucher geglättet ist. 7.1.3.1 Kondensator und ohmscher Widerstand Als Beispiel wird eine Einzweigschaltung untersucht, an die als Glättungseinrichtung ein Kondensator und als Verbraucher ein ohmscher Widerstand angeschlossen sind. Ohne Kondensator hat ud den in Abb. 7.3.3 dargestellten Verlauf. Mit dem Kondensator ist an die Punkte A und B in Abb. 7.16 ein R-C-Glied angeschlossen, dessen Spannung bekanntlich nach einer e-Funktion abnimmt, auch wenn die Stromzuführung am Punkt A unterbrochen würde. Man erhält so einen Spannungsverlauf nach Abb. 7.17 A id C ud R B Abb. 7.16: Einzweigschaltung mit Kondensator und ohmschen Widerstand ___________________________________________________________________________ 7. VERSUCH 7: GLEICHRICHTERSCHALTUNGEN 91 Abb. 7.17: Gleichgerichtete Spannung der Einzweigschaltung bei R-C-Belastung us sei eine Kosinusfunktion. Dann lässt sich der Spannungsverlauf in zwei Abschnitte unterteilen: t RC Abschnitt 1: ud 2 U s e Abschnitt 2: ud 2 U s cos t für 0 t x1 (7.34.1) für x1 t 2 (7.34.2) Danach wiederholt sich der Verlauf. Diese Beschreibung ist nicht ganz exakt, weil in Wirklichkeit die e-Funktion nicht genau im Scheitel der Kosinusfunktion beginnt, sondern etwas später. Aber für genügend großes RC, d.h. für genügend flachen Verlauf der Exponentialfunktion, ist die Genauigkeit ausreichend. Je größer das Produkt R C wird, umso flacher verläuft die e-Funktion, umso besser geglättet ist die Gleichspannung. Gleichzeitig vergrößert sich der Mittelwert Ud der gleichgerichteten Spannung. Es ist (vergl. Gleichung (7.28)): 1 Ud 2 2 u d ( x)dx x t 0 x 2 U s 1 Ud e 2 0 x R C cos xdx x1 2 dx 2 U s R C 1 e Ud 2 x1 R C sin x1 ___________________________________________________________________________ 92 7.1. THEORETISCHE GRUNDLAGEN Voraussetzung für die Auswertung dieser Gleichung ist die Kenntnis des Winkels x1, an dem die Funktionswerte des exponentiellen und des kosinusförmigen Verlaufs gleich sind. Für diesen Punkt gilt: e x1 R C cos x1 (7.36) Diese Gleichung ist nicht elementar nach x1 aufzulösen, wie man durch Probieren leicht feststellt. Man kann aber mit ihrer Hilfe C ausrechnen, wenn R, und x1 gegeben sind. C x1 R ln cos x1 (7.37) x1 kann z.B. dadurch gegeben sein, dass für einen ohmschen Verbraucher verlangt wird, die gleichgerichtete Spannung dürfe nur um 20% unter ihren Maximalwert sinken. Abb. 7.18 zeigt die Abhängigkeit der Gleichspannung Ud von der Kapazität C bei R=1000 und Us=24V. Abb. 7.18: Abhängigkeit der Gleichspannung vom Glättungskondensator Weil sich Gleichung (7.36) nicht auflösen lässt, wurde die Kurve berechnet und gezeichnet. Es ist auch berücksichtigt, dass sich der Anfangspunkt des exponentiellen Kurventeils von ud längs der Kosinuskurve nach unten verschiebt, wenn C klein wird. ___________________________________________________________________________ 7. VERSUCH 7: GLEICHRICHTERSCHALTUNGEN 93 Ein Sonderfall dieser Schaltung liegt vor, wenn das Produkt R C so groß ist, dass der exponentielle Verlauf von ud praktisch parallel zur Abszisse verläuft. Ud ist dann gleich dem Spitzenwert von us. Dieser Spitzenwertgleichrichter wird in der Messtechnik verwendet. 7.1.3.2 Induktivität und ohmscher Widerstand Abb. 7.19 zeigt eine einphasige Brückenschaltung mit einer Induktivität L als Glättungseinrichtung und einem ohmschen Widerstand als Last. L id uL uL 1~ ud uR R Abb. 7.19: Einphasige Brückenschaltung mit Drossel und ohmschem Widerstand Der Spannungsverlauf von ud ist in Abb. 7.9.6 dargestellt. id hat hier nicht den Verlauf von Abb. 7.9.7. Die überlagerte Spannung mit dem Effektivwert Uü lässt sich durch eine Fourierzerlegung in eine Summe von Sinusschwingungen mit den Effektivwerten U und den Frequenzen f aufteilen. Die Grundwelle der überlagerten Spannung hat die Frequenz p f , wie man beim Betrachten der Abb. 7.3.5, 7.5.3, 7.7.3, 7.9.6 und 7.11.2 erkennt. Zur Vereinfachung nehmen wir an, die Drossel sei eine reine Induktivität mit dem Wechselstromwiderstand L . Dann liegt der Mittelwert der Gleichspannung Ud völlig an R. Der Effektivwert der -ten Oberschwingung der überlagerten Wechselspannung am Verbraucher R sei UR. Es gilt für jede Ordnungszahl , weil R und L einen Spannungsteiler bilden: U R U R R 2 2 f L 2 ___________________________________________________________________________ 94 7.1. THEORETISCHE GRUNDLAGEN Je größer also die Ordnungszahl ist, desto weniger Wechselspannung liegt am ohmschen Verbraucher. Da gleich einem ganzzahligen Vielfachen der Pulszahl p ist, nimmt der Aufwand an Glättungsmitteln ab, wenn die Pulszahl steigt; L kann kleiner werden für den gleichen Effekt. 7.1.3.3 Induktivitäten, Kondensatoren und ohmsche Widerstände Bei großen Ansprüchen an die Reinheit des Gleichstroms kann die Glättungseinrichtung aus einer Kettenschaltung von Kondensatoren und Drosseln bestehen. Abb. 7.20 zeigt eine z.B. in Rundfunkgeräten häufig benutzte Schaltung. L + Verbraucher ud C C - Abb. 7.20: Glättungseinrichtung in Rundfunkgeräten Wenn id sehr klein ist, wird anstelle der Drossel in Abb. 7.20 ein ohmscher Widerstand benutzt. In Messgeräten z.B. sind einzelne Frequenzen besonders unerwünscht. Man kann diese Frequenzen durch einen Resonanzkreis aussieben und zwar entweder durch einen Sperrkreis nach Abb. 7.21, der für seine Resonanzfrequenz einen sehr großen Widerstand darstellt, oder durch einen Saugkreis nach Abb. 7.22 der Spannungen mit seiner Resonanzfrequenz praktisch kurzschließt. + L + ud ud C C Abb. 7.21: Sperrkreis L - Abb. 7.22: Saugkreis - ___________________________________________________________________________ 7. VERSUCH 7: GLEICHRICHTERSCHALTUNGEN 95 7.1.4 Unvollkommenheiten realer Ventile uF iF Abb. 7.23: Spannung und Strom am idealen Ventil Ein ideales Ventil (Abb. 7.23), wie es in Kapitel 7.1.1 definiert wurde, hat eine Kennlinie nach Abb. 7.24. Durchlassstrom und Sperrspannung liegen auf den Koordinatenachsen. Für jeden Punkt der Kennlinie eines idealen Ventils ist das Produkt aus Ventilspannung und strom gleich Null, es entsteht also im Gegensatz zu wirklichen Ventilen keine Verlustleistung. iF uF Abb. 7.24: Kennlinie eines idealen Ventils 7.1.4.1 Schleusenspannung Us Bei realen Ventilen muss eine gewisse Spannungsgrenze, die Schleusenspannung, überschritten werden, ehe überhaupt ein Strom fließt. In der Kennlinie nach Abb. 7.25 ist die Schleusenspannung berücksichtigt. iF uF US Abb. 7.25: Schleusenspannung ___________________________________________________________________________ 96 7.1. THEORETISCHE GRUNDLAGEN 7.1.4.2 Durchlasswiderstand Rdiff Wird die Schleusenspannung überschritten, so fließt ein Durchlassstrom. Die Durchlassspannung steigt mit steigendem Durchlassstrom über die Schleusenspannung. Man kann das berücksichtigen, indem man annimmt, ein ohmscher Widerstand Rdiff sei mit dem eigentlichen Ventil, an dem die Schleusenspannung Us liegt, in Reihe geschaltet. Abb. 7.26 zeigt die hierzu gehörende Kennlinie. Danach ist iF Rdiff uF iF iF uF uF Abb. 7.26: Differentieller Durchlasswiderstand Weil Rdiff nicht aus dem Quotienten von uF und iF, sondern aus dem Differenzenquotienten oder dem Differentialquotienten berechnet werden muss, heißt Rdiff differentieller Durchlasswiderstand. In Wirklichkeit ist auch die Beschreibung mit Us und Rdiff eine Näherung, denn die tatsächliche Durchlasskennlinie hat den in Abb. 7.27 skizzierten Verlauf. Um aus der gemessenen Kennlinie die Rechengrößen Us und Rdiff zu berechnen, legt man eine Hilfsgerade so durch die Kennlinie, das sie diese beim 0,5-fachen und 1,5-fachen Scheitelwert IFM des Durchlassstromes der Gleichrichterdiode bei Nenngleichstrom schneidet. Diese Ersatzgerade schneidet die Spannungsachse bei der Schleusenspannung Us. Die Neigung dieser Ersatzgerade ergibt den mittleren differentiellen Durchlasswiderstand Rdiff. iF 1, 5 I FM 0,5 I FM uF US Abb. 7.27: Durchlasskennlinie ___________________________________________________________________________ 7. VERSUCH 7: GLEICHRICHTERSCHALTUNGEN 97 Damit ergibt sich die Durchlassspannung angenähert zu uF U s iF Rdiff , wie in Abb. 7.26 dargestellt. 7.1.4.3 Sperrstrom Die Sperrkennlinie nach Abb. 7.28 zeigt, dass auch in Sperrrichtung ein Strom fließt. Er ist bei modernen Einkristallhalbleiterdioden jedoch im Vergleich zum Durchlassstrom so klein, dass man ihn vernachlässigen kann. iF Sperrstrom uF Durchbruchspannung Abb. 7.28: Sperrkennlinie 7.1.4.4 Durchbruchspannung Überschreitet die Sperrspannung die Durchbruchspannung, siehe Abb. 7.28, dann fließen plötzlich große Sperrströme. In diesem Betriebszustand liegt eine hohe Spannung, die Durchbruchspannung, am Ventil und gleichzeitig fließt ein großer Strom. Das Produkt dieser beiden Größen wird als Verlustleistung im Ventil in Wärme umgesetzt. Normale Gleichrichterdioden werden daher bei diesem Betrieb durch Überhitzung zerstört. Die so genannten Zenerdioden jedoch können durch einen speziellen Aufbau die Verlustwärme ohne zu hohe Temperatur abführen und daher in diesem Zustand betrieben werden. Man benutzt sie zur Spannungsstabilisierung, denn über einen großen Bereich des Sperrstromes ändert sich die Durchbruchspannung nur wenig. ___________________________________________________________________________ 98 7.1. THEORETISCHE GRUNDLAGEN 7.1.5 Belastungskennlinie eines Gleichrichters Durch die ohmschen Widerstände der Transformatorwicklungen u.ä. nimmt die Spannung an den Klemmen eines Gleichrichtergerätes mit steigendem Gleichstrom ab. Das Verhalten ist in Abb. 7.29 als Belastungskennlinie skizziert. Der steilere Verlauf der Kennlinie bei sehr kleinen Werten von id, der in Abb. 7.29 übertrieben dargestellt ist, kommt durch die Durchlasskennlinie der Ventile zustande. Abb. 7.29: Belastungskennlinie Er ist bei Zweiwegschaltungen größer als bei Einwegschaltungen, weil im ersten Fall der Gleichstrom die Schleusenspannung von zwei in Reihe geschalteten Ventilen überwinden muss. ___________________________________________________________________________ 7. VERSUCH 7: GLEICHRICHTERSCHALTUNGEN 99 7.2 Aufgaben und Hinweise zum Versuchstag 7.2.1 Funktionshinweise des Schaltbrettes: Gleichrichterschaltungen Für die Versuchsdurchführung steht ein Schaltbrett (Abb. 7.30) zur Verfügung, mit dem die verschiedenen Gleichrichterschaltungen aufgebaut werden können. Die Versorgung des Gleichrichters erfolgt über den Drehstromtransformator im Labortisch. Die Sternspannung in einer Phase (z.B. L1 gegen N) soll 24V betragen. Für einzelne Schaltungen muss die Phasenlage der Netzphasen gegeneinander verändert werden. Dies geschieht über den Umschalter am Labortisch neben dem Drehstromtransformator. Stellung 1 (Schalter oben, rote Lampe aus): Die primären Transformatorstränge werden im Stern an das vorhandene Drehstromnetz angeschlossen, so dass die Buchsen L1, L2 und L3 am Drehstromtransformator ebenfalls ein symmetrisches Drehstromsystem mit dem Sternpunkt an Buchse N bilden. In dieser Schalterstellung können die Sternschaltung (M3) und die Drehstrom-Brückenschaltung (B6) aufgebaut werden. Stellung 2 (Schalter unten, rote Lampe leuchtet): Die primären Transformatorstränge 1 und 2 liegen gegensinnig an derselben Netzspannung U2N. An den Buchsen L1 und L2 am Drehstromtransformator entsteht dann ein Zweiphasensystem mit dem Mittelpunkt an Buchse N und den Strangspannungen Us2=-Us1=24V. Der Transformatorzweig L3 soll in diesem Betrieb nicht benutzt und daher Buchse L3 nicht angeschlossen werden. In dieser Schalterstellung können die Mittelpunkt- (M2) und die Brückenschaltung (B2) realisiert werden. Für die Realisierung der einzelnen Schaltungen und zum Anschluss von Messgeräten und Impedanzen sind in ausreichender Zahl Anschlussbuchsen vorgesehen. Die Schaltungen sollen so übersichtlich wie möglich unter Verwendung entsprechend kurzer Verbindungsleitungen oder Kurzschlussstecker aufgebaut werden. ___________________________________________________________________________ 100 7.2. AUFGABEN UND HINWEISE ZUM VERSUCHSTAG 1 1 2 2 3 L1 L2 3 L3 Shunt 1 4 5 N 4 4 N Abb. 7.30: Schaltbrett für Versuch 7: Gleichrichterschaltungen 7.2.2 Messungen und Versuchsauswertung 1. Für 2 vom Betreuer festzulegende Schaltungen sollen bei jeweils I d 100mA (gemessen mit Drehspulinstrument) folgende Messungen a) ohne Glättungsdrossel b) mit Glättungsdrossel durchgeführt werden. Schaltung entsprechend Abb. 7.31! 1.1. Oszillographieren Sie Strom und Spannung und drucken Sie für jede Schaltung die Oszillogramme nach a) und b) aus. Geben Sie die zugehörigen Maßstäbe für Strom, Spannung und Zeitablenkung auf den Ausdrucken an. Erläutern Sie in Beiblättern die Oszillogramme und stellen Sie Eigenarten und Unterschiede der verschiedenen Schaltungen dar. ___________________________________________________________________________ 7. VERSUCH 7: GLEICHRICHTERSCHALTUNGEN 101 1.2. Messen Sie gleichzeitig jeweils die Spannung Ud und den Strom Id am Verbraucher mit Drehspulinstrument und Weicheiseninstrument. Tabellieren und erläutern Sie die Messergebnisse. Bei welcher Schaltung ist der Unterschied am größten und warum? 2. Für eine vom Betreuer festzulegende Schaltung ist die Belastungskennlinie U d f I d aufzunehmen. Schaltung entsprechend Abb. 7.32! Id=0, 5, 10, 30, 50, 100, 200, 250mA (Id=0 durch Öffnen des Stromkreises hinter dem Voltmeter). Berechnen Sie die ideelle Leerlaufspannung Udi als arithmetischen Mittelwert von ud(t) für diese Schaltung und tragen Sie diese in das Diagramm ein (für die Berechnung sind Us=24V für M2 bzw. Us=48V für B2 gegeben). Erläutern Sie (schriftlich) den Verlauf der Kurve. 7.2.2.1 Hinweise Zum Einstellen des Gleichstroms wird an die Buchsen 2 und 3 ein Belastungswiderstand angeschlossen. Beim Einschalten sollte der Widerstand maximal sein. Es ist darauf zu achten, dass die Strombelastbarkeit des Widerstands nicht überschritten wird!! Für den Versuchsteil 1.1 stehen digitale Zweikanaloszilloskope zur Verfügung, die mit jedem Kanal eine Spannung gegen ihre Masse darstellen können. Als Stromsignal dient der Spannungsabfall an dem (bereits im Schaltbrett vorhandenen) 1-Shunt. Achtung: Die beiden Masseanschlüsse des Oszilloskops müssen an derselben Stelle gesetzt werden. Der Anschluss folgt entsprechend Abb. 7.31. ___________________________________________________________________________ 102 7.2. AUFGABEN UND HINWEISE ZUM VERSUCHSTAG + A 1 A 2 2 u(t) i(t) 1 RLast Masse - V V 2 Kanal 3 Shunt 4 4 4 Abb. 7.31: Schaltung zu Versuchteil 1 Um die Messungen zu beschleunigen, sollte die Schaltung zum Versuchsteil 1.1 bereits die vier im Versuchsteil 1.2 erforderlichen Messinstrumente und die Induktivität L (wie in Abb. 7.31 dargestellt) enthalten. Die Induktivität kann dann, wenn sie nicht erforderlich ist, einfach kurzgeschlossen werden. + 1 Die Schaltung zu Versuchteil 2 ist in Abb. 7.32 dargestellt. Hier muss der Spannungsabfall am Amperemeter mit gemessen werden. Beide Instrumente sollen Drehspulinstrumente sein, wobei als Voltmeter das hochohmigere verwendet wird. 2 A V RLast 3 - 4 Shunt 4 Abb. 7.32: Schaltung zu Versuchsteil 2 ___________________________________________________________________________ 103 Versuch 8: Untersuchung eines Transformators 8.1. Theoretische Grundlagen 8.1.1 Allgemeine Betrachtungen 8.1.1.1 Einführung Die wichtigste Aufgabe der Transformatoren (kurz: Trafo) in unseren Energieversorgungsnetzen ist die Umformung der Spannung auf Werte, die für die Größen von Übertragungsleistung und -entfernung zweckmäßig sind. Primär- Sekundärseite S Generator Trafo Überlandleitung OberUnterSpannungsseite Trafo Verbraucher Abb. 8.1: Prinzipdarstellung einer Energieübertragung Um einen guten Wirkungsgrad und einen geringen Spannungsabfall bei der Übertragung der Energie vom Erzeuger zum Verbraucher zu erzielen, wird die hohe Spannung auf der Überlandleitung erst in der Nähe des Verbrauchers heruntertransformiert. Daneben finden Transformatoren noch vielfältige Verwendung wie z.B. als Übertrager, zur Potentialtrennung, für Messzwecke usw. ___________________________________________________________________________ 104 8.1. THEORETISCHE GRUNDLAGEN 8.1.1.2 Aufbau eines Transformators Die beiden wesentlichen Teile des Transformators sind der Eisenkern und die Wicklungen. Der Kern hat die Aufgabe, den magnetischen Wechselfluss zu führen und die Wicklungen zu tragen. Der Eisenkern wird aus gegeneinander isolierten, kaltgewalzten und kornorientierten Blechen (Trafoblech) aufgebaut. Die bewickelten Teile des Eisenkerns heißen Schenkel, die sie verbindenden Teile sind die Joche. Für die allgemeine Aufgabe der Umspannung und Potentialtrennung werden zwei Wicklungen benötigt. Die Aufnahmewicklung – auch Primärwicklung genannt- nimmt aus dem vorhandenen Netz bei der Spannung U1 Leistung auf, während in der Abgabewicklung - der Sekundärwicklung - die Spannung U 2 erzeugt und Leistung abgegeben wird. Ferner ist noch eine Unterscheidung der Wicklungen in Oberspannungs- und Unterspannungswicklung gebräuchlich. Die für ein einphasiges Netz gebauten Transformatoren heißen Einphasentransformatoren. Durch eine konstruktive Zusammenfassung dreier Einphasentransformatoren entsteht ein Drehstromtransformator. lFe lm a) lFe lFe lm lm b) c) Abb. 8.2: Einphasentransformatoren a), b) Kerntransformatoren lFe… mittlere Eisenlänge c) Manteltransformator lm… mittlere Windungslänge Abb. 8.2 zeigt zwei Bauarten für Einphasentransformatoren, den Kerntransformator und den Manteltransformator. Beim Manteltransformator befinden sich die Wicklungen auf dem Mittelschenkel. Sie werden von den Seitenschenkeln und Jochen mantelförmig umschlossen. Durch diese Rückführung wird der durch den Mittelschenkel gehende Fluss aufgeteilt. Bei ___________________________________________________________________________ 8. VERSUCH: UNTERSUCHUNG EINES TRANSFORMATORS 105 gleicher Induktion wie beim Joch des Kerntransformators braucht hier das Joch nur die halbe Querschnittsfläche zu haben. Das ergibt eine geringere und damit günstigere Bauhöhe. Dreischenkeltransformator Fünfschenkeltransformator Abb. 8.3: Bauformen für Drehstromtransformatoren Abb. 8.3 zeigt die entsprechenden Bauformen für Drehstromtransformatoren, Drei- und Fünfschenkeltransformatoren genannt. Wie in allen elektrischen Bauteilen treten auch in Transformatoren Verluste auf, die zur Erwärmung der Wicklungen und des Eisens führen. Bei Trockentransformatoren ist die Luft das Kühlmittel und bei Öltransformatoren das Öl, welches eine große Wärmeleitfähigkeit und auch eine hohe Spannungsfestigkeit (6-mal größer als Luft) besitzt. Ferner wird der Transformator durch das Öl gegen Feuchtigkeit geschützt. Die Erwärmung des Transformators geschieht auf zwei verschiedene Arten: 1.) In den ohmschen Widerständen der Spulen wird ein Teil der übertragenen Wirkleistung in Wärme umgesetzt und geht damit verloren. 2.) Im Kern des Transformators entstehen die so genannten „Eisenverluste“. Die Eisenverluste setzen sich zusammen aus den Hystereseverlusten, die infolge der periodischen Ummagnetisierung des Kerns entstehen und aus den Wirbelstromverlusten, die von den im Kern fließenden elektrischen Wirbelströmen verursacht werden. Die Fläche, die von der Hystereseschleife umschlossen wird, gibt die für einen vollen Magnetisierungsumlauf erforderliche Ummagnetisierungsarbeit pro Volumeneinheit des Eisens an. ___________________________________________________________________________ 106 8.1. THEORETISCHE GRUNDLAGEN Abb. 8.4: Hystereseschleife Bei einer Frequenz f in Hz erfolgen f Umläufe pro Sekunde, woraus sich die HystereseVerlustleistung ergibt. Nach dem Induktionsgesetz ruft eine Änderung des magnetischen Feldes auch im Eisen eine elektrische Spannung hervor. Da das Eisen ein elektrischer Leiter ist, treten unter Wirkung dieser Spannung im Eisen nach dem Ohmschen Gesetz elektrische Ströme auf, die das Eisen erwärmen. Diese Ströme werden wegen ihrer geschlossenen Bahnen Wirbelströme genannt. Die Strombahnen liegen senkrecht zu den magnetischen Feldlinien. Um die Wirbelströme und die damit verbundenen Verluste klein zu halten, wird der Kern des Transformators aus einzelnen, gegeneinander isolierten Blechen aufgebaut, so dass die Kreisbahnen der Wirbelströme nur innerhalb der einzelnen Bleche liegen können. Nähere Einzelheiten über die heute verwendeten Bleche sind aus dem Normblatt DIN 46400 zu entnehmen. Im Allgemeinen wird nur die Verlustziffer V (in Watt/kg) für eine Induktion von 1T (V1,0) und für 1,5T (V1,5) angegeben, die die Hysterese- und Wirbelstromverluste beinhaltet. Abb. 8.5: Wirbelströme in gegeneinander isolierten Blechen ___________________________________________________________________________ 8. VERSUCH: UNTERSUCHUNG EINES TRANSFORMATORS 107 Beispiel: Beste Blechsorte: 0,35mm Dicke; bei f=50Hz mit folgende Verlustziffern: V1,0 = 0,75 W/kg V1,5 = 2 W/kg 8.1.1.3 Definition verschiedener Transformatordaten -VDE 0532Ein Transformator wird für einen bestimmten Arbeitspunkt ausgelegt. Der Betrieb in diesem Arbeitspunkt wird als Nennbetrieb bezeichnet. Bei Nennbetrieb ist der Transformator in der Lage, die erzeugte Verlustleistung abzuführen, ohne sich dabei im Dauerbetrieb über die Grenztemperatur zu erwärmen. In den Bestimmungen des Verbandes Deutscher Elektrotechniker (VDE) wird definiert: Es liegt Nennbetrieb vor, wenn auf der Primärseite mit Nennspannung eingespeist und auf der Sekundärseite Nennstrom abgegeben wird. Die Nennspannung auf der Sekundärseite ist die Spannung, die im Leerlauf gemessen wird, wenn auf der Primärseite die Nennspannung mit der Nennfrequenz anliegt. Primäre und sekundäre Nennspannung werden bei Drehstromtransformatoren als Leiterspannungen angegeben. Als Nennleistung des Transformators wird die Scheinleistung S N U N I N bzw. bei Drehstrom S N 3 U N I N in VA, kVA, MVA oder GVA angegeben. Das Typenschild enthält folgende Größen: Nennspannung, Nennleistung, Nennstrom, Nennfrequenz, relative Kurzschlussspannung und Schaltungsart. Dazu kommen noch Hersteller, Modellbezeichnung und Fertigungsnummer. 8.1.2 Grundlagen Die nachfolgenden theoretischen Überlegungen werden an einem Einphasentransformator durchgeführt. Die Verhältnisse gelten bei symmetrisch aufgebauten Drehstromtransformatoren für jede Phase in gleicher Weise. 8.1.2.1 Der ideale Transformator Der ideale Transformator erfüllt folgende Bedingungen. 1.) Im Transformator entstehen keine Verluste, d.h. es gibt keine ohmschen Wicklungswiderstände sowie keine Eisenverluste. ___________________________________________________________________________ 108 8.1. THEORETISCHE GRUNDLAGEN 2.) Der gesamte erzeugte Fluss Φ verläuft im Eisen, d.h. der magnetische Widerstand RmFe des Eisens ist sehr klein gegenüber dem magnetischen Widerstand der Luft RmL wegen μrFe >> μrL = 1: R mFe lFe A Fe 0 rFe (8.1) mit lFe = mittlere Eisenlänge und AFe = Querschnitt der Eisens Das magnetische Verhalten des idealen Transformators wird durch zwei Gleichungen beschrieben: Zum Einen durch das ohmsche Gesetz des magnetischen Kreises, das aus dem Durchflutungsgesetz abgeleitet ist: I w Rm Rm (8.2) Daraus folgt, dass bei sehr kleinem RmFe der zur Erzeugung des Flusses Φ erforderliche Magnetisierungsstrom I sehr klein ist und im Grenzfall gegen Null geht (idealer Transformator). Zum anderen ist das Induktionsgesetz zu nennen: u (t ) w d dt (8.3) Dieses liefert bei sinusförmigem Flussverlauf sin t folgendes Ergebnis: u (t ) w d w cos t dt (8.4) Mit dem Effektivwert der Spannung U : U 2 w1 4, 44 f w 4, 44 f w Bˆ AFe (8.5) Diese Gleichung wird in der Literatur auch als Trafoentwurfsgleichung bezeichnet. Sie enthält den Effektivwert der Spannung (weil dies der für den Leistungsumsatz relevante Wert einer Wechselspannung ist) und den Scheitelwert des Flusses (weil dieser, verbunden mit dem Ei___________________________________________________________________________ 8. VERSUCH: UNTERSUCHUNG EINES TRANSFORMATORS 109 senquerschnitt AFe bestimmt, wie weit das Eisen gesättigt wird). Wenn ein Transformatorkern mit vorgegebenem AFe und bekannter Sättigungsinduktion vorliegt, kann aus der Transformatorentwurfsgleichung für eine vorgegebene Frequenz die Windungsspannung (U/w) ermittelt werden. Für die gewünschten Anschlussspannungen ergeben sich daraus die Windungszahlen. Der Eisenquerschnitt ist eine das Volumen und Gewicht bestimmende Größe und verhält sich proportional zur Spannung. Die zweite Größe, die Volumen und Gewicht eines Transformators bestimmt, ist das Fenster im Eisenkern, das von den Wicklungen ausgefüllt wird. Dieses bestimmt über den Drahtquerschnitt den zulässigen Strom der Wicklungen. Daher bestimmt bei konstanter Frequenz die Größe eines Transformatorkerns (Volumen, Gewicht) in erster Näherung die von diesem übertragbare Leistung (U·I). Mit steigender Frequenz nimmt diese zu. Dies ist der Grund für die geringe Größe von Schaltnetzteilen, da diese mit einer höheren Frequenz als die Netzfrequenz betrieben werden. Der magnetische Fluss durchsetzt sowohl die primäre Wicklung w1, als auch die sekundäre Wicklung w2. Für beide Wicklungen gelten sowohl das Induktionsgesetz (8.3) als auch die Trafoentwurfsgleichung (8.5) mit demselben Fluss Φ aber den jeweiligen Spannungen U1 und U2 sowie Windungszahlen w1 und w2. Wenn man z.B. die Trafoentwurfsgleichung für beide Wicklungsseiten aufstellt und diese durcheinander dividiert, ergibt sich: U1 w1 U 2 w2 (8.6) Das Windungszahlverhältnis w1 w2 wird auch als Übersetzungsverhältnis ü bezeichnet: ü w1 w2 (8.7) Das Ersatzschaltbild, für Primär- und Sekundärwicklung getrennt aufgestellt, hat folgende Form: ___________________________________________________________________________ 110 8.1. THEORETISCHE GRUNDLAGEN I1 I2 U1 L1 U2 L2 Z Abb. 8.6: Ersatzschaltbild, Primär- und Sekundärwicklung getrennt Hierin sind die Wicklungen als Induktivitäten dargestellt. Das Ziel ist aber, für den Transformator nur ein einziges Ersatzschaltbild aufzustellen. Das ließe sich leicht durchführen, wenn U1 = U2 wäre; was gleichbedeutend ist mit der Forderung w1 = w2. Unter dieser Annahme hätte das Ersatzschaltbild folgende Form: I1 I2 U1 Lh U2 Z Abb. 8.7: Ersatzschaltbild, Primär- und Sekundärwicklung zusammengefasst Die Induktivitäten der Primär- und Sekundärwicklung sind dabei zu einer einzigen so genannten Hauptinduktivität Lh zusammengefasst. Geht nach Gleichung (8.1) der magnetische Widerstand Rm → 0, so ergibt sich mit Lh w2 1 Rm (8.8) die Hauptinduktivität Lh → ∞. Im Ersatzschaltbild ist zu erkennen, dass dann folgende Beziehung gilt: I1 = I2. (8.9) ___________________________________________________________________________ 8. VERSUCH: UNTERSUCHUNG EINES TRANSFORMATORS 111 Nun hat aber normalerweise die Sekundärwicklung des Transformators eine andere Windungszahl als die Primärwicklung. Das bedeutet: U2 besitzt einen anderen Wert als U1. Das eben abgebildete Ersatzschaltbild kann beibehalten werden, wenn die elektrischen Größen der Sekundärseite auf die Primärseite umgerechnet werden. Die umgerechneten Größen werden mit einem ´ gekennzeichnet. Es muss also folgende Beziehung erfüllt sein: U1 U 2 (8.10) Oder unter Berücksichtigung von Gleichung (8.6) U 2 w1 U 2 ü U 2 w2 (8.11) Bei Belastung fließt auf der Sekundärseite der Strom I2. Bei der Transformation darf sich die Scheinleistung S2 nicht ändern. Somit gilt: S2 S2 U 2 I 2 U 2 I 2 U w 1 I 2 2 I 2 2 I 2 I 2 U 2 w1 ü (8.12) Ein Verbraucher wird nach folgender Überlegung umgerechnet: 2 w U 2 Z 22 Z 1 Z ü 2 Z U2 w2 U 2 U 2 S2 2 2 Z Z (8.13) Da sich auch die Größen Wirk- und Blindleistung nicht ändern dürfen, bleibt auch deren Verhältnis zu einander konstant und es gilt: Z R jX Z R jX (8.14) 2 w R 1 R ü 2 R w2 (8.15) ___________________________________________________________________________ 112 8.1. THEORETISCHE GRUNDLAGEN 2 w X 1 X ü2 X w2 (8.16) Widerstände werden mit dem Quadrat des Übersetzungsverhältnisses transformiert. Das Ersatzschaltbild hat nun folgendes Aussehen: I2 I1 U1 Lh U2 Z Abb. 8.8: Ersatzschaltbild mit umgerechneten Größen Auf der umgerechneten Sekundärseite fließt der Strom I 2 . Da die Induktivität Lh unendlich groß ist, fließt durch sie kein Strom. Es gilt deshalb: I1 I 2 Aus I 2 w1 I 2 ergibt sich dann w2 I2 w1 I1 ü I1 . w2 (8.17) Der ideale Transformator arbeitet wie ein verlustloses Getriebe. Er übersetzt die Spannung im Windungszahlverhältnis und die Ströme im umgekehrten Windungszahlverhältnis. 8.1.2.2 Der verlustbehaftete Transformator Der verlustbehaftete reale Transformator unterscheidet sich vom idealen Transformator in folgenden Punkten: 1.) Primär- und Sekundärwicklung besitzen einen ohmschen Widerstand. ___________________________________________________________________________ 8. VERSUCH: UNTERSUCHUNG EINES TRANSFORMATORS 113 2.) Nur ein Teil des in den Windungen erzeugten Flusses, der so genannte Hauptfluss, verläuft vollständig im Eisen und ist mit beiden Wicklungen verkettet. Der andere Teil, der Streufluss, schließt sich über Nebenwege. 3.) Die relative Permeabilität µr ist nicht unendlich groß. Der magnetische Widerstand Rm ist deshalb größer Null. Es muss ein Magnetisierungsstrom Iµ fließen, damit ein Fluss aufgebaut werden kann. 4.) Auf Grund der Ummagnetisierung entstehen im Eisen Verluste. Es wird vom Ersatzschaltbild des idealen Transformators ausgegangen und die unter 1 – 4 aufgeführten Besonderheiten auf folgende Weise berücksichtigt: Die Wicklungswiderstände R1 und R2 der Primär- und Sekundärwicklung werden herausgezogen und als Vorwiderstände in die Zuleitungen zu den Wicklungen gelegt. Die Spulen haben dann keinen Widerstand mehr. Wenn beide Wicklungen Strom führen, besitzen beide Wicklungen einen Streufluss. Dies wird berücksichtigt, indem als Maß für den Streufluss ein Streublindwiderstand X L definiert und dieser in die Zuleitungen zu den Wicklungen gelegt wird; auf der Primärseite Xσ1, auf der Sekundärseite Xσ2. Wird an die Primärseite eines Transformators eine Spannung U1 gelegt, so fließt der Strom I1. Dieser erzeugt mit den w1 primären Windungen die magnetische Erregung 1 I1 w1 Nach Gleichung 8.2 wird dadurch ein Fluss aufgebaut 1 I1 w1 Rm Rm lFe AFe 0 rFe Bei unterschiedlichen Querschnitten und Längenabschnitten im Eisenkreis setzt sich der Gesamtwiderstand Rm additiv aus den einzelnen Teilwiderständen zusammen. Der magnetische Widerstand Rm ist beim realen Transformator nicht konstant, sondern eine veränderliche Größe. µr stellt eine Funktion der Induktion B dar und ist somit auch von Φ abhängig. A r f ( B) f ( ) (8.18) Der Zusammenhang ist in der Magnetisierungskurve gegeben. Daraus folgt, dass zwischen dem Fluss Φ und dem Strom I1 kein linearer Zusammenhang besteht. ___________________________________________________________________________ 114 8.1. THEORETISCHE GRUNDLAGEN Der von I1 w1 erzeugte Fluss verläuft nur zu einem Teil im Eisen und durchsetzt die Sekundärspule. Diesen Fluss bezeichnet man als Hauptfluss Φh. Der Teil, der sich über magnetische Nebenwege (Luft) schließt und die Sekundärspule nicht durchsetzt, wird als Streufluss Φσ bezeichnet. Der Hauptfluss Φh durchsetzt Primär- und Sekundärwicklung und induziert d dt d in der Wicklung 2 die Spannung u2 h (t ) w2 . dt in der Wicklung 1 die Spannung u1h (t ) w1 und (8.19) (8.20) Es stellt sich ein Gleichgewichtszustand ein, indem die induzierte Spannung U1h geometrisch mit den Spannungsabfällen an R1 und Xσ1 addiert, gleich der angelegten Spannung U1 wird. Aus Gleichung (8.19) und (8.20) ergibt sich nach der Darstellung der Spannungen u1h(t) und u2h(t) wie in der Trafoentwurfsgleichung die Beziehung: U1h w1 ü U 2 h w2 Der reale Transformator kann jetzt dargestellt werden durch einen idealen Transformator mit der Eingangsspannung U1h, der Ausgangsspannung U2h und vorgeschalteten Widerständen R1, Xσ1 und nachgeschalteten Widerständen R2, Xσ2. Abb. 8.9 Für die Eisenverluste wird noch ein Ersatzwiderstand RFe eingeführt, der parallel zur Hauptinduktivität liegt. Durch ihn fließt der Eisenverluststrom Iv. Beim vollständigen Ersatzschaltbild müssen wie beim Ersatzschaltbild des idealen Transformators die Größen der Sekundärseite auf die Primärseite umgerechnet werden. ___________________________________________________________________________ 8. VERSUCH: UNTERSUCHUNG EINES TRANSFORMATORS I1 R1 X X R 2 115 I2 ' I0 I Fe U1 R Fe I U1h U '2h Xh U2 ' Abb. 8.10:Ersatzschaltbild realer (verlustbehafteter) Transformator Damit in jedem Augenblick die für den Aufbau des Flusses notwendige Durchflutung Θ0 aufgebracht wird, muss für die Augenblickswerte der Durchflutung folgendes garantiert werden: 1 0 2 I1 w1 I 0 w1 I 2 w2 (8.21) Diese Gleichungen stellen die Magnetisierungsbedingungen des Transformators dar. Θ1 ist also von der sekundären Belastung des Transformators abhängig. Die Transformation der Sekundärseite auf die Primärseite geschieht in der gleichen Weise, wie sie schon beim idealen Transformator abgeleitet wurde. Es gelten dabei die gleichen Beziehungen: 2 w U 2 h 1 U 2 h w2 w R2 1 R2 ü 2 R2 w2 w U 2 1 U 2 w2 w X 2 1 X 2 ü 2 X 2 w2 2 (8.22) Aus dem Ersatzschaltbild lassen sich jetzt leicht die Spannungsgleichungen aufstellen. Dabei wird für den Primärkreis das gleiche Zählsystem zugrunde gelegt wie für den Sekundärkreis. U 1 R1 I 1 jX 1 I 1 U 1h (8.23) U 2 U 2 h R2 I 2 jX 2 I 2 (8.24) ___________________________________________________________________________ 116 8.1. THEORETISCHE GRUNDLAGEN Bei ohmsch-kapazitiver Last sieht das Zeigerbild dann wie folgt aus: Im U1 U X U R1 U 'X U1h U '2h U2 UR2 I1 I0 I I2 I Fe h Re Abb. 8.11:Zeigerbild für ohmsch-kapazitiven Last Die dargestellten Spannungsabfälle in Abbildung 8.11 sind dabei stark übertrieben dargestellt. In der Realität bewegen sich die Unterschiede zwischen U1 und U2 typischerweise im einstelligen Prozentbereich. Die Zahlenwerte der Widerstände im Ersatzschaltbild sind stark von der Nennleistung des Transformators abhängig. Einen größenordnungsmäßigen Anhalt geben folgende Zahlen: R1 : R2 : X 1 : X 2 : X h : RFe 1:1: 2 : 2 :1000 :10000. 8.1.3 Betriebsverhalten des Transformators 8.1.3.1 Leerlauf Unter Leerlauf versteht man: Die Sekundärseite ist offen. Der Strom I2 ist 0. Der Sekundärkreis übt keine Rückwirkung auf den Primärkreis aus. Im Ersatzschaltbild sind die Spannungsabfälle an R2’ und Xσ2’ gleich 0. Das Ersatzschaltbild hat dann folgende vereinfachte Form nach Abb. 8.12: Es gilt: U 2 U 2h U1h ___________________________________________________________________________ 8. VERSUCH: UNTERSUCHUNG EINES TRANSFORMATORS 117 Im Primärkreis fließt jetzt der Leerlaufstrom I0. Der Leerlaufstrom braucht nur die zum Aufbau des Flusses notwendige Durchflutung Θ0 zu erzeugen. Er ist deshalb sehr klein. Die Spannungsabfälle an R1 und Xσ1 sind gegenüber U1 bzw. U1h zu vernachlässigen. Deshalb gilt: U1 U1h U 2 Dabei ist U 2 w1 U 2 w2 w U1 1 U 2 w2 Wir erhalten: I1 I0 1 2 R1 X Im U1 I Fe U1 U X I U1h R Fe U R1 Xh U1h I0 I Fe h I Re Abb. 8.12: Ersatzschaltbild und Zeigerbild für den Leerlauffall In Abb. 8.12 sind die Spannungsabfälle UR1 und UXσ1 stark übertrieben dargestellt. Üblicherweise können sie, wie in Abb. 8.13 dargestellt, vernachlässigt werden. Im I Fe I U1 U1h U1 R Fe U1h Xh I0 I I Fe h Re Abb. 8.13: Ersatzschaltbild und Zeigerbild für den Leerlauffall (zusammengefasst) ___________________________________________________________________________ 118 8.1. THEORETISCHE GRUNDLAGEN Im Leerlauf verhalten sich Primär- und Sekundärspannung wie die Windungszahlen. Sie werden wie beim idealen Transformator übersetzt. Da das Verhältnis der Spannungen gemessen werden kann, die Windungszahlen aber nicht, ist in VDE 0532 das Verhältnis der Leerlaufspannungen als Nennübersetzung ü festgelegt. 8.1.3.2 Kurzschluss Kurzschluss bedeutet: Die Sekundärwicklung ist kurzgeschlossen. U2 = 0. Es fließt ein hoher Strom I2. In jedem Augenblick muss gelten: 1 0 2 Das bedeutet: auf der Primärseite muss ebenfalls eine hohe Durchflutung vorhanden sein. Im Ersatzschaltbild kann dann I0 gegenüber I 2 und I1 vernachlässigt werden. R1 I1 X I2 ' X R 2 U1 Abb. 8.14: Ersatzschaltbild für den Kurzschlussfall Oder zusammengefasst: Im IK RK XK UX U1 K U1 IK UR K Re Abb. 8.15: Ersatzschaltbild und Zeigerbild für den Kurzschlussfall (zusammengefasst) ___________________________________________________________________________ 8. VERSUCH: UNTERSUCHUNG EINES TRANSFORMATORS 119 RK R1 R2 X K X 1 X 2 I K I1 I 2 Aus der Beziehung: 1 2 (8.26) folgt w1 I1 w2 I 2 w I1 2 I 2 w1 (8.27) Im Kurzschlussfall werden die Ströme wie beim idealen Transformator übersetzt. 8.1.4 Berechnung und Messung der Größen des Ersatzschaltbildes 8.1.4.1 Leerlaufversuch Der Leerlaufversuch wird normalerweise (z.B. bei Untersuchung eines in der Energieverteilung üblichen 20 kV/400 V Transformators) von der Unterspannungswicklung aus gefahren, um auf den Einsatz eines Hochspannungsspeisetransformators verzichten zu können. Dabei wird an den Transformator seine Nennspannung gelegt: U0 U N Dabei werden der Leerlaufstrom I0 und die Wirkleistung P0 gemessen. Die gemessenen Verluste entsprechen den Eisenverlusten V0 des Transformators, da die in R1 entstehenden Kupferverluste wegen des geringen Leerlaufstromes vernachlässigt werden können. Aus dem vereinfachten Ersatzschaltbild (Abb. 8.13) können RFe und Xh berechnet werden: I Fe I 0 cos 0 cos 0 P0 P 0 U N I 0 S0 I I 0 sin 0 ___________________________________________________________________________ 120 8.1. THEORETISCHE GRUNDLAGEN U 0 U 02 I Fe P0 U Xh 0 I RFe (8.28) X h 2 f Lh (8.29) Das Verhältnis I 0 I N wird mit dem relativen Leerlaufstrom i0 gekennzeichnet und in % angegeben. 8.1.4.2 Kurzschlussversuch Der Kurzschlussversuch wird meistens von der Oberspannungsseite durchgeführt, da andernfalls ein Speisetransformator notwendig wäre, der sehr hohe Ströme bei niedrigen Spannungen bereitstellen kann. Da nicht die volle Höhe der Nennspannung an die Oberspannungsseite angelegt werden muss, kann im Idealfall der Kurzschluss- und Leerlaufversuch mit einem speisenden Stelltransformator durchgeführt werden. Während des Versuchs ist die Unterspannungsseite kurzgeschlossen ist. Die angelegte Spannung UK wird so eingestellt, dass auf der Sekundärseite der Nennstrom I2N fließt. Da der Leerlaufstrom I0 bei der Spannung UK sehr klein ist, wird er vernachlässigt. Auf der Primärseite fließt dann ebenfalls der Nennstrom I1N. Eine Vernachlässigung von I0 bedeutet gleichzeitig eine Vernachlässigung der Eisenverluste. Die in einem Wattmeter gemessene Wirkleistung stellt die in den ohmschen Widerständen R1 und R2 entstehende Verlustleistung dar. Für den Kurzschluss gilt das Ersatzschaltbild nach Abb. 8.15. Dabei ist: RK R1 R2 , X K X 1 X 2 , cos K Z K RK jX K PK UK IK R1 R2 Z K cos K PK I K2 X 1 X 2 Z K sin K (8.30) (8.31) Es lassen sich also nur die Summen der Wirk- und Blindwiderstände bestimmen. Wenn man die meist zulässige Annahme macht, dass R1 R2 und X 1 X 2 ___________________________________________________________________________ 8. VERSUCH: UNTERSUCHUNG EINES TRANSFORMATORS 121 ist, so kann man R1 , R2 , X 1 , X 2 des Transformators bestimmen. Das Verhältnis aus der bei Nennstrom angelegten Spannung UK zur Nennspannung UN wird als relative Kurzschlussspannung uK bezeichnet: uK UK UN (8.32) Da der Transformator sich im Kurzschluss wie ein linearer Scheinwiderstand ZK verhält, stellt die relative Kurzschlussspannung gleichzeitig das Verhältnis von Nennstrom IN zu Dauerkurzschlussstrom IK dar, der bei angelegter Nennspannung fließt. U K ZK I N U N ZK IK I U uK K N UN IK (8.33) Die relative Kurzschlussspannung uK liegt z.B. bei Transformatoren mit einer Leistung von 30 – 40000kVA nach DIN 42502 in einer Größenordnung von 3,5 bis 11%. 8.1.4.3 Wirkungsgrad Im Transformator treten bei Belastung zwei Gruppen von Verlusten auf; die Eisen- und die Wicklungsverluste. Sie werden durch den Leerlauf- und den Kurzschlussversuch ermittelt. Der Wirkungsgrad errechnet sich aus dem Verhältnis der an den Verbraucher abgegebenen Wirkleistung Pab zu der aus dem Netz aufgenommenen Wirkleistung Pzu. Pab 100 % Pzu Pab . Pab Vges Oder anders geschrieben: Wenn der Wirkungsgrad für Nennbetrieb bestimmt werden soll, so müssen im Leerlauf- bzw. Kurzschlussversuch die jeweiligen Verluste so ermittelt werden, wie sie später bei Nennbetrieb auftreten. Der Leerlaufversuch zur Ermittlung der Eisenverluste muss bei Nennspannung erfolgen. ___________________________________________________________________________ 122 8.1. THEORETISCHE GRUNDLAGEN Unter zulässiger Vernachlässigung des Spannungsabfalls an R1 und Xσ1 liegt im Ersatzschaltbild am Eisenverlustwiderstand die Spannung U1. Im Nennbetrieb also U1N. Der Kurzschlussversuch muss bei Nennstrom durchgeführt werden. Die Wicklungsverluste PK errechnen sich nach der Formel: PK I K2 RK (8.34) Im Nennbetrieb also: PKN I N2 RK Die Eisenverluste errechnen sich nach PFe U12h . RFe Da auch bei Belastung des Transformators die Spannungsabfälle an R1 und Xσ1 gegenüber U1 zu vernachlässigen sind, ist U1 U1h und die Eisenverluste sind bei angelegter Netzspannung annähernd konstant. Bei angelegter Nennspannung sind die Eisenverluste weitgehend unabhängig von der Größe der sekundären Belastung. Vges I V0 Vcu IN 2 Mit dieser Formel können die Gesamtverluste bei bekannten Nennverlusten für verschiedene Belastungen umgerechnet werden I S N cos 2 IN Pab 2 Pab Vges I I S N cos 2 Vcu V0 IN IN (8.35) 8.1.5 Transformatoren für besondere Zwecke Beim Messen von hohen Wechselspannungen und -strömen sind die Messgeräte oft nicht mehr in der Lage, diese unmittelbar zu erfassen. Es werden also Wandler sowohl für Ströme als auch für Spannungen benötigt, die diese Größen herunter transformieren. Transformatoren ___________________________________________________________________________ 8. VERSUCH: UNTERSUCHUNG EINES TRANSFORMATORS 123 sind unter bestimmten Bedingungen dazu geeignet, als Strom- und Spannungswandler mit möglichst kleinem Messfehler zu fungieren. 8.1.5.1 Stromwandler Es wird die Forderung gestellt, dass die Beziehung I1 w2 1 I 2 w1 ü möglichst exakt erfüllt sein muss. Aus dem Ersatzschaltbild wird deutlich, dass dies nur der Fall ist, wenn 0 0 ist. Diese Bedingung ist, wie schon früher gezeigt, im Kurzschlussfall erfüllt. Ein Stromwandler arbeitet jedoch nur angenähert im Kurzschluss, denn er wird mit einem kleinen ohmschen Widerstand (Bürde) belastet, der entweder aus den Innenwiderständen der Strompfade eines Amperemeters besteht oder an dem eine dem Sekundärstrom proportionale Spannung zu Messzwecken abgegriffen wird. Der Stromwandler arbeitet mit einer eingeprägten Durchflutung, die durch den zu messenden Strom hervorgerufen wird. Der Stromwandler darf nie im Leerlauf betrieben werden, weil sonst auf Grund der fehlenden sekundären Gegendurchflutung Θ2 die primäre Durchflutung den Wandler schnell in die Sättigung treiben würde. Außerdem würden an den Klemmen der Sekundärseite Überspannungen auftreten. Der Wandler würde dann durch unzulässige Erwärmung zerstört. Man definiert die Wandlerkonstante zu primärer Nennstrom . ci sekundärer Nennstrom I1 K k Liegt im Sekundärkreis ein Amperemeter, so ergibt sich der tatsächliche Strom aus der Beziehung: I2 A L l I1 ci cA A (8.36) cA… Amperemeterkonstante in A/Skt αA… Ausschlag des Amperemeters in Skt Abb. 8.16: Stromwandler ___________________________________________________________________________ 124 8.1. THEORETISCHE GRUNDLAGEN 8.1.5.2 Spannungswandler Wir stellen die Forderung, dass die Beziehung U1 w1 ü U 2 w2 möglichst exakt erfüllt ist. Aus dem Ersatzschaltbild wird deutlich, dass dies nur bei I2=0 zu erreichen ist und wenn die Spannungsabfälle an R1 und an Xσ1 zu vernachlässigen sind. Ein Spannungswandler arbeitet fast im Leerlauf. Die Bürde besteht aus dem hohen Innenwidertand des Spannungspfades eines Spannungsmessers. Damit ist fast der Leerlauffall gegeben. Man definiert die Spannungskonstante: U u cu U2 U1 V V v primäre Nennspannung sekundäre Nennspannung U1 cu cv v (8.37) cv… Voltmeterkonstante in V/Skt αv… Ausschlag des Voltmeters in Skt Abb. 8.17: Spannungswandler 8.1.5.3 Drehstromtransformator Ein Drehstromtransformator kann aus drei gleichen Einphasentransformatoren aufgebaut werden (Transformatorbank). Deutlich weniger Gesamtvolumen und -masse erhält man durch Zusammenfassung der Eisenkreise zu einem gemeinsamen Transformator nach Bild 8.3. Für einen symmetrischen Transformator, der symmetrisch belastet wird, kann ein einpoliges Ersatzschaltbild aufgestellt werden, das Bild 8.10 entspricht. Die darin enthaltenen Spannungen (U1, U2’, Uh) entsprechen der Sternspannungen und die Ströme (I1, I2’) den Leiterströmen des Drehstromsystems. Damit wird in dem einpoligen Ersatzschaltbild ein Drittel der gesamten Drehstromleistung umgesetzt. ___________________________________________________________________________ 8. VERSUCH: UNTERSUCHUNG EINES TRANSFORMATORS 125 Die Primär- und Sekundärseiten eines Drehstromtransformators können unabhängig voneinander in Dreieck, Stern oder Zickzack (spezielle Sternschaltung mit auf zwei Schenkeln verteilter Strangwicklung) geschaltet sein. Die sich daraus ergebenden speziellen Eigenschaften des Drehstromtransformators werden in der Vorlesung „Elektrische Energietechnik“ behandelt. ___________________________________________________________________________ 126 8.2. AUFGABEN UND HINWEISE ZUM VERSUCHSTAG 8.2 Aufgaben und Hinweise zum Versuchstag 8.2.1 Versuchsdurchführung A A 0...50V 50Hz W V 300 Wdg 150 Wdg V A V Abb. 8.18: Versuchsschaltung 1.) Bauen Sie die oben angegebene Versuchsschaltung auf. Schalten Sie nichts ein, bevor der Betreuer Ihren Aufbau geprüft hat. 2.) Messen Sie im Leerlauf U20, I10 und P10 in Abhängigkeit von U10. U10 = 20…40V in 5V-Schritten. 3.) Messen Sie im Kurzschlussversuch U1K, I1K und P1K in Anhängigkeit von IK2. IK2 = 1…2A in 0,25A-Schritten. 4.) Belasten Sie den Transformator bei U1 = 40V mit einem Kondensator und messen Sie I1, P1, U2 und I2. 8.2.2 Versuchsauswertung 1.) Berechnen Sie für alle Messungen S1 und cos 2.) Tragen Sie U20 und cos 0 als Funktion von U10 und I1K und cos K als Funktion von I2K jeweils in ein Diagramm ein. 3.) Beziehen Sie alle Sekundärgrößen auf die Primärseite und zeichnen Sie je ein Zeigerdiagramm für den Leerlauf-, den Kurzschluss- und den kapazitiven Belastungsfall.