EIN SYMBOL NIMMT GESTALT AN Nach vier Jahren Forschungsarbeiten, Studien, Berechnungen und Simulationen ist das Projekt Solar Impulse nun in seine konkrete Phase getreten: Die Konstruktion des ersten Prototyps mit 61 Metern Spannweite und der Bezeichnung HB-SIA. Mit diesem Flugzeug sollen die Arbeitshypothesen in der Praxis getestet sowie die Auswahl der Technologien und Konstruktionsverfahren überprüft werden. Sind die Ergebnisse überzeugend, kann der HB-SIA 2010 den ersten 36-stündigen Flug ohne Treibstoff absolvieren, was einem vollständigen Tag-Nacht-Tag-Zyklus entspricht. ZWEI FLUGZEUGE FÜR DEN ERFOLG Die Konstruktion des ersten Prototyps, des HB-SIA, hat im Juni 2007 begonnen und dauert bis zum Sommer 2009. Die Testflüge finden voraussichtlich im Herbst 2009 statt - mit dem Ziel, im Jahre 2010 den ersten Nachtflug durchzuführen. Danach folgt die Entwicklung eines zweiten Flugzeugs, mit dem mehrere, aufeinander folgende 24-Stunden-Zyklen geflogen werden sollen, so dass im Jahr 2012 die Überquerung des Atlantiks und danach der Flug rund um die Welt erfolgreich durchgeführt werden können. DIE MISSION DES HB–SIA Bei diesem Flugzeugprototyp ist das Instrumentenbrett auf das Wesentliche reduziert. Das Cockpit verfügt über keinen Druckausgleich, so dass der Prototyp nicht über 8500 Meter Höhe fliegen kann. Mit ihm soll eine erste Optimierung von Energieverbrauch, Gewicht, Leistung und Beherrschbarkeit erfolgen. Sein Ziel ist nicht der Flug rund um die Welt; das würde seine Konfiguration gar nicht erlauben. Er hat dennoch mehrere Zielsetzungen: Überprüfen der Ergebnisse der numerischen Simulationen, der Technologiewahl und der Konstruktionstechniken. Testen eines noch unerforschten Flugleistungsbereichs, in dem noch nie ein Flugzeug mit diesen Grössen-, Gewichts- und Geschwindigkeits-eigenschaften geflogen ist. Speicherung von genügend Sonnenenergie während des Tages, um die Machbarkeit eines vollständigen Tag-Nacht-Tag-Zyklus nachzuweisen (Flug von 36 Stunden). BEISPIELHAFTE ENERGIEEFFIZIENZ Die heute verfügbaren Solarflugzeuge sind nicht für die Speicherung von Energie ausgelegt und müssen daher bei ungenügender Sonneneinstrahlung (bei Wolken oder in der Nacht) landen. Damit zeigen sie die Grenzen der Solarenergie auf... Andere Projekte zielen auf die Entwicklung ferngesteuerter Solardrohnen oder Flugzeugen mit Wasserstoffmotoren ab. Solar Impulse will das grossartige Potenzial der erneuerbaren Energien aufzeigen und legt deshalb die Messlatte noch viel höher: Es will einen Piloten in die Lage versetzen, völlig ohne Treibstoff bei Tag und Nacht zu fliegen. Wie aber kann eine solche Aufgabe bewältigt werden, wenn mit den heute verfügbaren Technologien und Wirkungsgraden jeder Quadratmeter photovoltaischer Zellen dem Propeller lediglich eine konstante Leistung von 28 Watt über 24 Stunden liefern kann, was der Leistung einer elektrischen Glühbirne entspricht? Mit anderen Worten: Wie kann ein Flugzeug mit der Energie fliegen, die gerade für die Beleuchtung eines Supermarktschaufensters ausreicht? Ohne die Optimierung des gesamten Flugzeugs und ohne eine drastische Reduzierung seines Energieverbrauchs ist das unmöglich. Einzig ein Fluggerät mit einer im Vergleich zu seinem geringen Gewicht überdimensionalen Spannweite kann langsam genug fliegen, um mit der zur Verfügung stehenden Energie auszukommen: 61 Meter auf 1500 kg und 45 km/h! Die Ingenieure von Solar Impulse mussten also auf Basis der neuen Technologien einen vollkommen neuartigen Flugzeugtyp entwickeln, bei dem alles neu ist, alles anders: Aerodynamik, Struktur, Herstellungsmethoden, Antrieb, Flugleistungsbereich... In einigen seiner Eigenschaften ähnelt er den grossen Tragflächenflugzeugen, in anderen eher den Segelfliegern. Er kombiniert die Spannweite des Airbus A340 mit der Flächenbelastung von Gleitschirmen und Deltaseglern. Bei gleicher Grösse muss seine Struktur achtmal leichter sein als die des besten derzeitigen Segelflugzeugs, woraus sich folgende Probleme ergeben: Wie kann man eine Struktur mit dieser Spannweite und mit einem so geringen Gewicht bauen? Wie findet man das Gleichgewicht zwischen Stabilität und Beherrschbarkeit oder in anderen Worten: Wie wird ein Flugzeug dieser Grösse und mit einer so geringen Flächenbelastung steuerbar? MUSTERBEISPIEL HOCHSTEHENDER TECHNOLOGIE Damit das Projekt erfolgreich durchgeführt werden kann, muss durch die Kombination komplexer Experimente und numerischer Simulationen bislang Unmögliches geleistet werden. Zu diesem Zweck wurde an den beiden Standorten Dübendorf und Lausanne ein multidisziplinäres Team von 50 Spezialisten aus sechs Ländern zusammengestellt, zu dem sich rund hundert externe Berater gesellen. Gemeinsam sorgen sie mit ihren sehr spezifischen Erfahrungen für die Schaffung der notwendigen Synergien. Die Umsetzung ihres äusserst atypischen Pflichtenhefts konnten sie aber erst angehen, nachdem die Anforderungen der Designer, der Lieferanten, der Konstrukteure und der Piloten bekannt waren. So galt es, Forschungsinitiativen zu lancieren und neue Lösungen in zahlreichen Sektoren zu finden, wie in der Konzeption, der Aerodynamik, der Energieeffizienz, der Struktur, der Verbundwerkstoffe und der Herstellungsverfahren. Und dies jeweils nicht nur für die einzelnen Bestandteile, sondern auch im Hinblick auf die Optimierung des Gesamtsystems. Ein gutes Beispiel ist die extreme Genauigkeit, die beim Einsatz der Verbundwerkstoffe erreicht werden muss: So musste Kohlenstoff von einigen Zehnteln Millimeter Stärke auf Strukturen von bis zu 20 Metern Länge verwendet werden. Oder wie André Borschberg, CEO des Projekts, meint: "Alles was nicht zerbricht, ist potenziell zu schwer!" Ebenso mussten die zerbrechlichen Solarpanels und ihre Flexibilität im Flug aufeinander abgestimmt werden. Wie können die Zellen als Energiegeneratoren und gleichzeitig als Flügeloberfläche eingesetzt werden, ohne dass sie zerbrechen, wenn das Flugzeug durch Turbulenzen fliegt? All diese Fragen sind natürlich auch eine Herausforderung an das Management: Wagemutige und kreative Individualisten in einem Team zusammenzuschweissen und Lieferanten zu motivieren, ihre Grenzen zu überschreiten. EIN SYMBOL FÜR UNSERE GESELLSCHAFT Für Bertrand Piccard, Initiator und Präsident des Projekts, stellt dieses Flugzeug ein Symbol für die neuen Technologien dar. Und er ist davon überzeugt, dass unsere Gesellschaft in der Lage ist, diese Technologien zur sinnvollen Nutzung der Energiereserven unseres Planeten einzusetzen. In diesem Sinne hat Solar Impulse ein äusserst passendes Leitbild: Die Sonne ermöglicht zwar das Fliegen, aber der Impuls muss erst noch gegeben und an diejenigen übertragen werden, die ihn empfangen und weitergeben wollen. Letztlich zeigt das Projekt, dass die Abenteuer der Zukunft und die Suche nach einer besseren Lebensqualität Hand in Hand gehen müssen.