Kinderschutz gemeinsam gestalten Der Schutzauftrag als Herausforderung in der offenen Ganztagsschule Vortrag im Rahmen der Fortbildung „Kinderschutz macht Schule – Kinderschutz als Aufgabe der Offenen Ganztagsschule im Primarbereich“ Dr. Sigrid Bathke Institut für soziale Arbeit e.V. Institut für soziale Arbeit e.V. 30.06.2006 Kinderschutz als gesetzlicher Auftrag – neue rechtliche Regelungen • § 8a SGB VIII (seit 01.10.2005) • § 42 Abs. 6 SchulG NRW (seit 01.08.2006) Institut für soziale Arbeit e.V. 30.06.2006 § 42 Abs. 6 SchulG NRW • Die Sorge für das Wohl der Schülerinnen und Schüler erfordert es, jedem Anschein von Vernachlässigung oder Misshandlung nachzugehen. • Die Schule entscheidet rechtzeitig über die Einbeziehung des Jugendamtes oder anderer Stellen. Institut für soziale Arbeit e.V. 30.06.2006 Kindeswohl und Kindeswohlgefährdung Unbestimmte Rechtsbegriffe, abhängig von • kulturell, • historisch-zeitlich, • ethnisch geprägten Menschbildern. Bsp: Auch in unserem Kulturkreis legen manche Eltern eher Wert auf Strenge, Disziplin, Ordnung und Gehorsam, andere streben bei der Erziehung ihrer Kinder mehr nach Selbstverantwortlichkeit, Originalität und Kreativität. Institut für soziale Arbeit e.V. 30.06.2006 Kindeswohl und Kindeswohlgefährdung Interpretationsspielräume der professionellen Akteure • • • • • Fachliches Wissen Persönliche Erfahrungen Normen- und Wertvorstellungen Gesetzlicher Auftrag Institutioneller Auftrag Institut für soziale Arbeit e.V. 30.06.2006 Kindeswohlgefährdung und Recht § 1666 BGB Wird das körperliche, geistige oder seelische Wohl des Kindes durch • • • • so • • missbräuchliche Ausübung der elterlichen Sorge, durch Vernachlässigung des Kindes, durch unverschuldetes Versagen der Eltern oder durch das Verhalten eines Dritten gefährdet, hat das Familiengericht, wenn die Eltern nicht gewillt oder nicht in der Lage sind, die Gefahr abzuwenden, die zur Abwendung der Gefahr erforderlichen Maßnahmen zu treffen. Institut für soziale Arbeit e.V. 30.06.2006 Kindeswohlgefährdung und Recht Die Rechtssprechung versteht unter Gefährdung „eine gegenwärtig in einem solchen Maße vorhandene Gefahr, dass sich bei der weiteren Entwicklung eine erhebliche Schädigung mit ziemlicher Sicherheit voraussehen läßt“ (BGH FamRZ 1956, S. 350 = NJW 1956, S. 1434) Das bedeutet: „Kindeswohlgefährdung“ ist kein beobachtbarer Sachverhalt, sondern ein rechtliches und normatives Konstrukt. Institut für soziale Arbeit e.V. 30.06.2006 Gegenstand des Schutzauftrags bei Kindeswohlgefährdung nach § 8a SGB VIII • Kindeswohlgefährdung ‡ Nichtgewährleistung des Kindeswohls (§ 27 SGB VIII) – § 8a erfasst nicht allg. Erziehungsbzw. Förderbedarfe, sondern Extremsituationen – Abwendung von Gefahr (§ 1666 BGB) Institut für soziale Arbeit e.V. 30.06.2006 § 8a Abs. 1 SGB VIII – Der Schutzauftrag des Jugendamtes Bei Bekannt werden gewichtiger Anhaltspunkte • Risikoabschätzung im Team • Einbeziehung von Eltern, Kindern/Jugendlichen • Hilfen anbieten • Ggf. Familiengericht anrufen • Hinwirken auf Inanspruchnahme anderer Leistungsträger Institut für soziale Arbeit e.V. 30.06.2006 § 8a Abs. 2 SGB VIII – Freie Träger in den Schutzauftrag einbeziehen Bei bekannt werden gewichtiger Anhaltspunkte • Eigenständige Risikoabschätzung im Team und mit einer insoweit erfahrenen Fachkraft • Einbeziehung von Eltern, Kindern/Jugendlichen • Hinwirken auf Inanspruchnahme von Hilfen • Ggf. Information an das Jugendamt Institut für soziale Arbeit e.V. 30.06.2006 Formen von Kindeswohlgefährdung • • • • Vernachlässigung Körperliche Misshandlung Seelische Misshandlung Sexueller Missbrauch Institut für soziale Arbeit e.V. 30.06.2006 Anhaltspunkte für eine Kindeswohlgefährdung - Beispiele 1. 2. 3. 4. 5. Äußere Erscheinung des Kindes Verhalten des Kindes Verhalten der Erziehungspersonen Familiäre Situation Persönliche Situation der Erziehungspersonen 6. Wohnsituation Institut für soziale Arbeit e.V. 30.06.2006 Anhaltspunkte: Äußere Erscheinung des Kindes, z.B. • Massive oder wiederholte Zeichen von Verletzungen (Blutergüsse, Striemen) ohne erklärbar unverfängliche Ursache • Starke Unterernährung • Fehlen jeder Körperhygiene (Schmutz- u. Kotreste auf der Haut, faulende Zähne) • Mehrfach völlig witterungsunangemessene oder völlig verschmutzte Bekleidung Institut für soziale Arbeit e.V. 30.06.2006 Anhaltspunkte: Verhalten des Kindes, z.B. • Wiederholte oder schwere und/oder sexuelle Übergriffe gegen andere Personen • Kind wirkt berauscht und/oder benommen • Wiederholtes apathisches oder stark verängstigtes Verhalten des Kindes • Äußerung des Kindes, die auf Misshandlung, sexuellen Missbrauch oder Vernachlässigung hinweisen • Ständiges oder häufiges Fehlen in der Schule • Kind begeht häufig Straftaten Institut für soziale Arbeit e.V. 30.06.2006 Anhaltspunkte: Verhalten der Erziehungspersonen, z.B. • Wiederholte oder schwere Gewalt zwischen den Erziehungspersonen • Nicht ausreichende oder völlig unzuverlässige Bereitstellung von Nahrung • Massive oder häufige körperliche Gewalt gegenüber dem Kind • Häufiges massives Beschimpfen, Ängstigen oder Erniedrigen des Kindes • Isolierung des Kindes (Kontaktverbot zu Gleichaltrigen) Institut für soziale Arbeit e.V. 30.06.2006 Anhaltspunkte: Familiäre Situation, z.B. • Obdachlosigkeit (Familie bzw. Kind lebt auf der Straße) • Kind wird zur Begehung von Straftaten oder sonst verwerflicher Taten eingesetzt (Diebstahl, Bettelei) Institut für soziale Arbeit e.V. 30.06.2006 Anhaltspunkte: Persönliche Situation der Erziehungspersonen, z.B. • Stark verwirrtes Erscheinungsbild (führt Selbstgespräche, reagiert nicht auf Ansprache) • Häufig berauschte und/oder benommene Erscheinung, die auf massiven, verfestigten Drogen-, Alkohol bzw. Medikamentenmissbrauch hindeutet • Erhebliche finanzielle Probleme Institut für soziale Arbeit e.V. 30.06.2006 Anhaltspunkte: Wohnsituation, z.B. • Wohnung ist stark vermüllt, völlig verdreckt oder weist Spuren äußerer Gewaltanwendung auf (stark beschädigte Türen) • Nichtbeseitigung von erheblichen Gefahren im Haushalt • Fehlen von eigenem Schlafplatz bzw. von jeglichem Spielzeug des Kindes Institut für soziale Arbeit e.V. 30.06.2006 Umgang mit Kindeswohlgefährdung in der Schule - Prozessgestaltung 1. Informationen sammeln – Wahrnehmungen und Beobachtungen dokumentieren – Was ist wann, wie häufig, wo, in welchem Kontext wahrgenommen worden? – Trennung von Information und Interpretation 2. Einschätzung zur Kindeswohlgefährdung gemeinsam vornehmen – Aktivierung des Teams – Inanspruchnahme von Fachberatung – Leitung einbeziehen Institut für soziale Arbeit e.V. 30.06.2006 Umgang mit Kindeswohlgefährdung in der Schule - Prozessgestaltung 3. Beteiligung der Familie – Welche Möglichkeiten der Thematisierung gibt es? – Information der Familie über Gefährdungseinschätzung; Ansprechen der/Konfrontation mit den gewichtigen Anhaltspunkten für eine KWG – Ausnahmsweise vertrauliche Thematisierungen mit einzelnen Familienmitgliedern oder Bezugspersonen, wenn Hilfezugang sonst gefährdet – Klärung der Situation und gemeinsame Problemkonstruktion – Ggf. Hinwirken auf Inanspruchnahme weiterer Hilfen Institut für soziale Arbeit e.V. 30.06.2006 Umgang mit Kindeswohlgefährdung in der Schule - Prozessgestaltung 4. Hilfen anbieten/Hinwirken auf Inanspruchnahme von Hilfen – – nur wenn Fachlichkeit ausreichend und eigener Hilfekontext dazu geeignet Ggf. Nutzen des Zugangs zur eigenen Hilfe zur Abwendung der Gefährdung Institut für soziale Arbeit e.V. 30.06.2006 Umgang mit Kindeswohlgefährdung in der Schule - Prozessgestaltung 5. Wiederholte Risikoeinschätzung mit Team/Fachberatung/Leitung zur Bewertung der Situation 6. Information an das Jugendamt – – Standardisiertes Verfahren und Rückmeldung an die Schule vereinbaren Institut für soziale Arbeit e.V. 30.06.2006 Umgang mit Kindeswohlgefährdung in der Schule - Rahmenbedingungen • Kinderschutz ist Leitungsaufgabe – Top-down-Prozess • Verbindliche Zuständigkeiten und Reaktionsketten • Schwellenwerte und Indikatoren • Vernetzung und Kooperation – Jugendamt – Gesundheitsamt, Polizei, Kinderschutzbund, Beratungsstellen • Qualifizierung • Austausch von Lehrer/inne/n und pädagogischen Mitarbeiter/inne/n initiieren Institut für soziale Arbeit e.V. 30.06.2006 ! Vielen Dank ! Institut für soziale Arbeit e.V. 30.06.2006