Margarethe Hochleitner (Hg - Content

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Gender Medizin: Sexualität
Margarethe Hochleitner
Mit der Ringvorlesung „Gender Medizin“ wurde an der Medizinischen Universität Innsbruck im WS 2006/2007 begonnen [5]. Das
Ziel dieser Aktion war, Studierenden und darüber hinaus einem breiten Publikum Gender Medizin anzubieten, dieses Thema ins Gespräch zu bringen und bekannt zu machen. Mittlerweile ist die Gender-Medizin-Ringvorlesung nicht nur ein Wahlfach für die
Studierenden der Human- und Zahnmedizin der Medizinischen Universität Innsbruck, sondern auch für diverse andere Studiengänge an
der Leopold Franzens Universität sowie am Management Center
Innsbruck und an diversen Fortbildungseinrichtungen. Daneben konnten wir eine wachsende treue ZuhörerInnenschaft gewinnen. Um die
Fülle des Faches und die unterschiedlichen Zugangsmöglichkeiten
vorzustellen, war das Konzept anfangs, Expertinnen aus verschiedenen Fachgebieten und mit unterschiedlichen Zugängen zur Gender
Medizin nach Innsbruck zu Vorträgen zu bitten. Dieses Konzept
wurde mit großem ZuhörerInnenerfolg 5 Semester lang angewandt.
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Für das 6. Semester wurde ein neues Konzept erarbeitet: Es schien
uns sinnvoll, für die einzelnen Semester jeweils ein die unterschiedlichen Beiträge verbindendes Thema zu formulieren sowie auch
Männer als Vortragende einzuladen.
Für das Sommersemester 2009, bereits das 6. Semester der Ringvorlesung, wurde das Thema „Sexualität“ ausgewählt (siehe Abb. 1).
Warum? Sowohl bei der Diskussion als auch bei den Befragungen
unserer HörerInnen wurde das Thema bevorzugt ausgewählt  und
zwar flächendeckend von unseren HörerInnen über die Studierenden
der Human- und Zahnmedizin bis hin zu unseren treuen AnhängerInnen. Warum ist Sexualität so beliebt? Einfach, weil es dazu wenig
Angebote gibt und offensichtlich der Informationsbedarf nicht abgedeckt war und ist. Die anfängliche Angst, wir würden nicht genügend Themen und damit Vortragende zusammenbringen, erwies sich
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sehr schnell als völlig unbegründet. Im Gegenteil, wir hätten noch
locker eine weitere Vorlesungsreihe zum Thema „Sexualität“ organisieren können und werden das wohl auch tun. Es ist selbstverständlich, dass wir neben den klassischen Themen, wie z.B. Sexualität in
der gynäkologischen Anamnese und in der Folge Sex im medizinischen Alltag, natürlich auch Themen wie z.B. Geschlechtskrankheiten, Möglichkeiten von Libido- und Potenzverbesserungen,
sexueller Missbrauch und psychische Erkrankungen, psychische Belastungen von Müttern und Vätern in der Schwangerschaft erarbeitet
haben. Darüber hinaus sind wir aber auch bis zu Themen wie dem
kleinen Unterschied im menschlichen Gehirn, Frauen und Männer
aus neurowissenschaftlicher Perspektive, zu Variationen der Geschlechtsentwicklung und Aspekten der weiblichen Sexualität in der
lateinamerikanischen Literatur vorgestoßen; besonders schön war die
Auftaktveranstaltung für die Sommer-Ringvorlesung in Verbindung
mit dem Weltfrauentag, an dem ein Figurentheater für Erwachsene
„Was Rotkäppchen schon immer über Sex wissen wollte“ mit großer
Publikumsakzeptanz und Freude vorgeführt wurde. Sexualität hat
sich im Rückblick als absolut erfolgreiches Thema für unsere Gender-Medizin-Ringvorlesung erwiesen, hauptsächlich wohl deshalb,
weil hier ein sehr großer Bedarf am Information und Diskussion bestand  und wohl immer noch besteht.
Das Einbeziehen von männlichen Vortragenden hat sich aus unserer
Sicht ebenfalls sehr bewährt. Anfangs wurde auf Frauen gesetzt, um
Gender Medizin, die international von Frauen erarbeitet wurde,
weiblich zu besetzen. Zwischenzeitlich ist dies außer Streit gestellt
und auf dem Weg in die Normalität ist die Einbeziehung von Männern unvermeidbar und unverzichtbar. Und da zumindest aus unserer
Sicht Gender Medizin als Querschnittmaterie zu betrachten ist und
auch in Zukunft sein wird, ist eine enge Zusammenarbeit mit den
männlichen Forschern und Lehrenden selbstverständlich.
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Abb. 1a,b: Informationsmaterial zur Gender-Medicine-Ringvorlesung Sexualität
SS 2009
Gender Medizin hat sich erst in den letzten Jahren aus der Frauengesundheitsbewegung und dem daraus sehr spät gewachsenen Männergesundheitsthema heraus entwickelt. Von Anfang an war Sexualität, im Falle der Frauengesundheit: weibliche Sexualität, einer der
wichtigsten Bestandteil der Diskussion. Ich erinnere an Schlagworte
wie „Mein Körper gehört mir“, an die Selbstuntersuchungsaktivitäten für Frauen, das Kennenlernen des eigenen Körpers, die Schlacht
um die Freigabe der Abtreibungen und um diverse Verhütungsmittel
sowie an die Diskussion und Aufregung um Viagra. Selbstverständ-
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lich war gerade für die Mütter der Umgang mit der Sexualität ihrer
Töchter, mit der Aufklärung, der Beratung, der Frage, was wann erlaubt ist, etc. immer auch ein wichtiges und schwieriges Thema.
Und dann sei noch Aids erwähnt und damit eine unvermeidbare riesige Diskussion zum Thema Safer Sex, Geschlechtskrankheiten,
Aufklärung, Behandlung, Infektionsweg. Sex im medizinischen Alltag ist damit selbstverständlich für Frauengesundheitseinrichtungen
und wurde natürlich auch in die Gender Medizin mitgebracht.
Sexualität ist damit als Thema der Frauengesundheit und der Gender
Medizin unbestritten. Dies war und ist auch so in Diskussionen, Veranstaltungen und Kongressen. Es ergeben sich auch viele Gemeinsamkeiten von Frauengesundheit und Sexualität: Beide Themen
wurden jahrzehntelang an die Frauenheilkunde, nämlich Geburtshilfe
und Gynäkologie, abgeschoben. Für Männer die Urologie zuständig,
für Geschlechtskrankheiten die Dermatologie.
Eine weitere Parallele zwischen Frauengesundheit und Sexualmedizin ist, dass sich Frauengesundheit nie wirklich universitär als eigenes Fach etablieren konnte. Es gibt verschiedenste Versuche, aber
echte Angebote sind eher auf den klinischen Bereich fokussiert: Hier
gibt es unterschiedlichste Frauengesundheitszentren, auch teilweise
mit universitärer Anbindung, allerdings waren und sind die Wege in
die universitäre Medizin und in das Curriculum der Medizinstudierenden für Frauengesundheit schwierig. Wir sehen, dass dies für
Gender Medizin zumindest in Zukunft anders sein wird, ist doch fast
flächendeckend Gender Medizin als Wahlfach an den Universitäten
etabliert; vereinzelt gibt es auch schon Professuren und Aufnahme in
das Pflichtcurriculum wie an der Medizinischen Universität
Innsbruck.
Die Entwicklung einer eigenen Sexualmedizin wurde und wird im
deutschsprachigen Raum zumindest eher stiefmütterlich behandelt.
Es gibt an den wenigsten deutschsprachigen medizinischen Universitäten und Fakultäten einen Lehrstuhl für Sexualmedizin. So ist auch
an der Medizinischen Universität Innsbruck zwar vor Jahren auf
Wunsch der Studierenden ein Lehrstuhl für Sexualmedizin eingerichtet worden, auch wurden die notwendigen Beschlüsse gefasst,
eine Berufungskommission eingesetzt, die Stelle ausgeschrieben,
Bewerberinnen und Bewerber evaluiert, zu Hearings eingeladen, ein
Dreiervorschlag erstellt. Wer aber glaubt, es gäbe nun einen Lehr-
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stuhl für Sexualmedizin, irrt. Das Verfahren wurde aus finanziellen
Gründen ausgesetzt. Wir alle kennen zwar die permanente Finanznot
der Universitäten, allerdings würde ich vorschlagen, einmal eine
vergleichende Berechnung der Kosten eines Biochemie- oder Bioinformatiklehrstuhls und eines Lehrstuhls für Sexualmedizin anzustellen, von klinischen Bereichen einmal ganz zu schweigen. Es ist
dann weiter nicht verwunderlich, dass in den Curricula der Medizinausbildungen Sexualmedizin nicht gerade vorrangig angeboten wird.
Studierende und Ärztinnen und Ärzte stehen oft ebenso sprachlosen
Patientinnen und Patienten gegenüber (siehe Abb. 2).
Abb. 2: Problem Sprachlosigkeit zwischen Frau und Mann, vergleichbar
Sprachlosigkeit zu Fragen der Sexualität.
Sprachlosigkeit ist einer der Hauptbefunde im medizinischen Alltag
in Bezug auf Sex. Es ist ein unverrückbarer Grundsatz der Medizin,
dass das ärztliche Gespräch, die Anamnese unverzichtbar ist und
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weitestgehend den Outcome bestimmt (siehe Abb. 3). Ein Vertrauensverhältnis, das überhaupt die einzige Basis für ein befriedigendes
PatientInnen-ÄrztInnen-Verhältnis darstellt, ist ohne Gespräch unvorstellbar, aber auch eine State-of-the-Art-Diagnostik und Therapie
kann wohl nur daraus entwickelt werden.
Abb. 3: Modell gelungener ÄrztInnen-PatientInnenBeziehung
Das Problem ,Sex im medizinischen Alltag‘ ist in der ein oder anderen Weise für uns in den Gesundheitsberufen, aber auch für unsere
PatientInnen allgegenwärtig. Wir haben mit dieser Ringvorlesung
lediglich den ersten Anlauf gemacht. Es ist für uns schon jetzt klar,
dass viele weitere Ringvorlesungen zum Thema „Gender Medizin
und Sexualität“ folgen werden.
Sex im medizinischen Alltag
Abb. 4: Gesundheitsbegriff WHO
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Wir alle sind dem von der WHO 1946 und 1976 verbreiteten
Gesundheitsbegriff, nämlich: „Gesundheit ist der Zustand völligen
körperlichen, seelischen und sozialen Wohlbefindens und nicht nur
das Freisein von Krankheit und Behinderung“, verbunden (siehe
Abb. 4). Dieser Begriff umfasst zweifelsfrei auch Sexualität und
damit sehr viele Fragen, Wünsche nach Information, Beratung, Diagnose und Behandlung in diesem Bereich. Aber da sind wir wieder
bei der Sprachlosigkeit.
Abb. 5: Krankengeschichte Medizinische Universitätsklinik Innsbruck,
Anamneseblatt.
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Die Grundlage jeden ärztlichen Gesprächs, jeder Diagnostik und in
der Folge Therapie ist die Anamnese. Auch hier ist selbstverständlich
immer die Frage nach Sexualität zu berücksichtigen. Das ist die
Theorie, und was sagt die Praxis? Ich gebe Ihnen ein Beispiel aus
meinem Bereich: Frage 20 auf unserem Anamnesebogen der Medizinischen Klinik (siehe Abb. 5) lautet „Sexual Anamnese“. Ich habe
mir abgewöhnt, diese Frage bei den Internen Rigorosen abzufragen,
da die stereotype Antwort unserer Medizinstudierenden lautet: „verheiratet“ oder „verwitwet“, „2 Kinder“ oder „keine Kinder“. Dann
folgt selbst auf meine Nachfrage hin nichts mehr. Wenn das das gesamte Angebot an unsere PatientInnen ist, stellt sich für mich die
Frage, ob das vielleicht doch nicht ganz den Bedürfnissen der zukünftigen PatientInnen entspricht und ob wir die Sexualmedizin vielleicht doch nicht aussetzen hätten sollen. Das Publikum nickt bei
diesen Bemerkungen meistens eifrig, aber das ändert die Lage, nämlich die Sprachlosigkeit, auch nicht. Also bleibt nur die Aufnahme
ins Curriculum, in unserem Fall in den Bereich Gender Medizin.
Quality-of-life
Quality-of-life wird ein immer wichtigerer Begriff im Gesundheitswesen, ich erinnere an den WHO-Gesundheitsbegriff, und deshalb
läuft auch zunehmend routinemäßig ein Quality-of-lifeQuestionnaire bei medizinischen Studien mit. Es ist allgemein bekannt, dass z.B. eines der Motive zumindest von Männern, Herzoperationen bis hin zu Herztransplantationen zuzustimmen, die Hoffnung auf eine Verbesserung des Sexuallebens und ihrer Potenz ist.
So ist es ganz klar, dass bei allen kardiologischen Fragestellungen
der Quality-of-life-Questionnaire, der Fragen nach Sexualität beinhaltet, mitlaufen sollte. Wie sieht die Praxis aus? Bei einer großen
Studie über herzoperierte Frauen und Männer war es dann bei uns so
weit [8]: Es war ein relativ neutral gefasster Fragebogen, der die PatientInnen nach einer Herzoperation danach befragte, ob die Krankheit und die Operation ihr Leben verändert habe: „Hat diese Operation Ihr Familienleben, Ihr Privatleben, Ihre Urlaubsplanung, Ihren
Freundeskreis, Ihre Freizeitgestaltung etc. geändert?“ und nach all
diesen doch eher neutralen Fragen auch „Hat Ihre Herzoperation
Auswirkungen auf Ihr Sexualleben?“ Wie es uns schien eine sehr
neutrale Formulierung. Ich hatte unsere Interviewerin schon ge-
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