Überblick 150 Sensorische Rhodopsine: Modellsystem für transmembrane Signaltransduktion Johann P. Klare und Martin Engelhard, Max-Planck-Institut für molekulare Physiologie, Dortmund Die archaebakterielle Phototaxis wird wie die Chemotaxis enterischer Bakterien durch Histidin-Kinase-gekoppelte Rezeptoren reguliert. Die homologen Signaltransduktionsketten steuern die Bewegung der Bakterien zu Orten optimaler Lebensbedingungen. Eine der zentralen, noch weitgehend ungeklärten Fragestellungen betrifft den Signaltransfer vom angeregten Rezeptor zur zytoplasmatischen Domäne. Neuere Untersuchungen zur Struktur und Funktion des photophoben Photorezeptors (Sensor Rhodopsin II) aus N. pharaonis erlauben es nun, die ersten Schritte des transmembranen Signaltransfers auf molekularer Ebene zu erklären. Abb. 1: Die vier archaebakteriellen Rhodopsine aus H. salinarum. In den letzten Jahren wurden weitere Verwandte sowohl in Eukaryonten als auch in Eubakterien beschrieben[6] Einleitung Einzellige Lebewesen werden oft mit plötzlichen Veränderungen ihrer Umwelt konfrontiert, auf die sie schnell und adäquat reagieren müssen, um ihre Überlebenschancen zu erhöhen. Hierzu müssen sie Reize aus der Umgebung aufnehmen, sie verstärken, in zelluläre Signale umsetzen und schließlich muss die Antwort der Zelle auf die extrazelluläre Herausforderung gesteuert werden. Diese Reaktion kann sowohl genetischer als auch lokomotorischer Natur sein. Schon im ausgehenden 19. Jahrhundert wurde die Reaktion von Bakterien auf chemische Reize und Licht beschrieben[1, 2]. Die Erforschung der bakteriellen Signalketten nahm einen großen Aufschwung mit den Arbeiten von J. Adler über die Chemotaxis von Bakterien[3], sodass heute ein recht genaues Bild der beteiligten Komponenten und ihres Zusammenspiels besteht (zusammengefasst z. B. in STOCK et al.[4]). Ein weiterer Anreiz zur Erforschung der bakteriellen Signaltransduktion wurde durch die Entdeckung von zwei sensorischen Rhodopsinen in Halobakterium salinarum, einem Archaebakterium, geschaffen (referiert in SCHÄFER et al.[5]). Diese Photorezeptoren haben auf der einen Seite große strukturelle Ähnlichkeiten mit Bakteriorhodopsin, der Licht-aktivierten Protonenpumpe, auf der anderen Seite binden sie so genannte Transducermoleküle, deren zytoplasmatische Domäne wiederum große Sequenzhomologien mit den Chemorezeptoren enterischer Bakterien aufweist. Die Gemeinsamkeiten von Phototaxis und Chemotaxis legen es nahe, die Erkenntnisse auch auf das jeweilig andere System zu übertragen. Allerdings bietet das Studium der Phototaxis besondere Vorteile, da die Experimente mit Licht als einfach zu handhabendem „Substrat“ durchgeführt werden können. Bakterielle Rhodopsine H. salinarum exprimiert vier verschiedene bakterielle Rhodopsine, die in zwei funktionell unterschiedliche Gruppen, den Ionenpumpen Bakteriorhodopsin (BR) und Halorhodopsin (HR) sowie den sensorischen Rhodopsinen SRI und SRII aufgeteilt werden (Abb.1) (zusammengefasst in[5, 6]). Es handelt sich um 7-Helix Membranproteine, die Retinal über eine protonierte Schiff Base an ein Lysin binden. Die Wechselwirkung des Chromophors mit dem Protein bestimmt die Lage des Absorptionsmaximums (z.B. SRIλ SRIIλ max = 580 nm; max = 490 nm). Nach Anregung durch Licht werden Photozyklen durchlaufen, die die Proteine über mehrere thermisch relaxierende Intermediate zurück zum Grundzustand führen. Während des BIOspektrum · 2/04 · 10. Jahrgang Überblick 151 stoffkonzentrationen und hohe Lichtintensitäten, die zu einer photo-oxidativen Schädigung der Zellen führen könnten, ermöglicht es der photophobe Rezeptor SRII der Zelle diese nachteiligen Bedingungen zu vermeiden. Rezeptor-Transducer Komplex Abb. 2: Wie unterscheidet die H. salinarum Zelle orangenes von blauem Licht? H. salinarum bildet stäbchenförmige Zellkörper mit bipolar inserierten Flagellen (A). Die Rotation der Flagellen kann sowohl im – als auch gegen den Uhrzeigersinn erfolgen. Unter konstanten Bedingungen wechselt der Flagellenmotor ungefähr alle 10 Sekunden seine Drehrichtung, sodass die Zelle sich unter Einfluss der Brown’schen Molekülbewegung stochastisch fortbewegt. Schwimmt H. salinarum in Richtung eines Gradienten von ’schädlichem’ blauem Licht verkürzt es das Schaltintervall, in Gegenrichtung wird es verlängert (B). In Gradienten von orangenem Licht werden die Intervall-Längen entgegengesetzt moduliert (C). Die resultierende Gesamtbewegung führt das Bakterium von blauem zum orangenem Licht. Die Bilder wurden aus folgenden Arbeiten entnommen: (A) ALAM & OESTERHELT (1984), JMB 176, 459–475; (B, C) STOECKENIUS et al. (1988), J. Bacter. 170, 2790 Photozyklus werden Protonen (HR jedoch pumpt Cl– !) vektoriell über die Plasmamembran transportiert, allerdings im Falle der sensorischen Rhodopsine mit sehr geringer Effizienz. Für BR und SRII wurde dabei nachgewiesen, dass diese Reaktionen durch eine auswärts gerichtete Bewegung der fünften Helix (Helix F) begleitet werden. SRI erfüllt eine duale Funktion. Die Anregung durch orangenes Licht vermittelt die positive Phototaxis, zusätzliches blaues Licht bewirkt in einem Zwei-Photonen-Prozess eine photophobe Antwort der Bakterien. Das Zusammenspiel der beiden Lichtqualitäten dirigiert die Zellen zu Orten, die optimal für das Funktionieren des Bakteriorhodopsins sind (Abb. 2). Unter der starken Sonneneinstrahlung südlicher Breitengrade können die Bakterien also eine zusätzliche Energiequelle nutzen, die es ihnen gestattet, auch bei niedrigen Sauerstoffkonzentrationen zu überleben. Treffen allerdings die Bakterien gleichzeitig auf große SauerBIOspektrum · 2/04 · 10. Jahrgang Mit der Entdeckung, dass sowohl SRI als auch SRII Komplexe mit so genannten Transducer-Proteinen (Halobacterial transducer of rhodopsin, Htr) ausbilden[7, 8], hat die Erforschung der archaebakteriellen Chemo- und Phototaxis (erste Experimente zur Phototaxis siehe [9]) einen neuen Aufschwung genommen. Die Transducer bestehen normalerweise aus zwei Domänen, einer Membran- sowie einer zytoplasmatischen Domäne (SRII aus H. salinarum besitzt noch eine zusätzliche extrazelluläre Serin-Rezeptor Domäne[10]). Der membranständige Teil des Rezeptor-Transducer Komplex der homologen Proteine aus Natronobakterium pharaonis wurde inzwischen aus kubischen Lipidphasen kristallisiert und die Struktur bestimmt (Abb. 3[11]). Der Komplex kristallisiert in der gleichen 2:2 Stöchiometrie, wie sie auch in Membranen gefunden wird[12, 13]. Zusammen mit vorliegenden Abb. 3: Kristallstruktur des SRIITransducer Komplexes aus N. pharaonis. Rot: Rezeptor; Grün: Transducer; Gelb: Retinal. (a) Blick aus Richtung der Membran; ES: extrazelluläre Seite; CS: Zytoplasma. Die gepunkteten Linien schließen den hydrophoben Teil der Proteine ein. Der in den extrazellulären Raum herausragende Teil des Transducer-Dimers stellt vermutlich das evolutionäre „Überbleibsel“ der Ligandenbindungsdomäne eines Proto-Chemorezeptors dar, aus dem sich die Phototransducer entwickelt haben könnten (vgl. SRII aus H. salinarum, das eine Serin Rezeptor Domäne noch besitzt). Es konnten lediglich Daten über den transmembranen Bereich (Aminosäuren 24–82) des Transducers gewonnen werden, Strukturinformationen über den, für den Signal Transfer wichtigen, C-Terminus (HtrII83–114) fehlen. (b) Der Blick aus Richtung des Zytoplasmas verdeutlicht den rotationssymmetrischen Aufbau des Komplexes Überblick Abb. 4: Archaebakterielle Signaltransduktion. Nach Aktivierung der sensorischen Rhodopsine durch Licht (SR’s) wird das Signal auf den – für den jeweiligen Rezeptor spezifischen – Transducer (Htr) übertragen und zu dessen zytoplasmatischem Ende weitergeleitet. Hier bindet über ein Adapterprotein (CheW) die Kinase CheA. Dieses dimere Protein phosphoryliert in einer autokatalytischen Reaktion Histidin. Die Phosphatgruppe kann anschließend entweder auf eine Asparaginsäure der „response Regulatoren“ CheY oder CheB übertragen werden. CheY fungiert als „switch Faktor“, der die Drehrichtung des Flagellenmotors ändert. Fumarat wurde ebenfalls als „switch Faktor“ erkannt[19]. CheB sowie die Methyltransferase CheR sind in die Adaptation der Bakterien an konstante Stimuli involviert. Die Abbildung wurde aus Gordeliy et al. [11] übernommen strukturellen Daten über die Chemorezeptoren existieren damit Informationen über die Rezeptordomäne, den Transmembranteil sowie über die große zytoplasmatische Domäne. Allerdings fehlen Daten über den für den Signaltransfer so wichtigen „Linker“-Bereich, der zwischen dem transmembranen und dem zytoplasmatischen Abschnitt lokalisiert ist. Signaltransduktionskette Die zytoplasmatische Domäne bildet ein langes, in sich verwobenes Bündel aus vier Helices, das 260 Å in das Zytoplasma hineinragt (Abb. 4). Es enthält die Signaldomäne zur Aktivierung der His-Kinase CheA sowie die Methylierungsregion, die die Aktivität der Signaldomäne steuert. Man nimmt heute an, dass die Rezeptoren nicht als voneinander unabhängige Dimere in der Zelle vorkommen sondern in der Nähe der Flagellen höhere Aggregate ausbilden (siehe z.B. [14]). Die zytoplasmatischen Partner der halobakteriellen Signaltransduktionskette weisen große Ähnlichkeiten mit den entsprechenden Proteinen der enterischen Bakterien auf und gehören damit zu der Klasse der Zwei-Komponenten Systeme[15] (siehe Abb. 4). Die Homologie zwischen der archaebakteriellen Phototaxis und der E. coli Chemotaxis wurde auch mit Hilfe von chimären Transducer-Molekülen nachgewie- sen. In diesen Experimenten wurden E. coli Zellen generiert, die die Fähigkeit zur Phototaxis besitzen[16]. Rezeptor-Transducer Signaltransfer Der Rezeptor wird durch die Absorption von Licht aktiviert, was in einer frühen Reaktion zur Isomerisierung des Retinals führt. Anschließend wird die Schiff Base deprotoniert und ein Proton wird an das extrazelluläre Medium abgegeben. In diesem Zeitbereich (3 ms) werden auch Konformationsänderungen des Proteins beobachtet, die eine Auswärtsbewegung der Helix F bewirken [17]. Die Weiterleitung des Signals von dem Rezeptor auf den Transducer wurde mit Hilfe von orts-spezifisch Spin-markiertem SRII bzw. HtrII näher untersucht. Aus den ESRSpektren einer grossen Anzahl so modifizierter Proteine konnten Daten über die Umgebung der ersetzten Seitenketten gewonnen werden. Durch zusätzliche Messungen bei tiefen Temperaturen wurden Inter-SpinAbstände bestimmt, die zusammen mit den anderen ESR Daten zu einem topologische Modell des SRII/HtrII Komplexes führten[13]. Dieses Modell weist große Ähnlichkeit zu der später bestimmten Kristallstruktur auf[11], was die Bedeutung der ESR-Spektroskopie zur Strukturaufklärung von Biomolekülen unterstreicht. Aus den zeitabhängigen Abstands- und Mobilitätsänderungen konnten zudem Schlüsse auf den Mechanismus des Rezeptor-Transducer Signaltransfers gezogen werden. Nach diesem Modell wird die Helix F Bewegung simultan in eine Rotationsbewegung der zweiten Transmembranhelix (TM2) des Transducers umgesetzt (Abb. 5). Die Rück-Rotation zum Grundzustand erfolgt unabhängig von dem Rezeptor etwa 200 ms später. Dies erlaubt der Zelle, die Aktivität des Transducers nach eigenen Anforderungen zu regulieren. Dem Modell einer Rotation von TM2 steht der Vorschlag einer Kolbenbewegung von 1–2 Å gegenüber, auf die verschiedene Experimente an Chemorezeptoren hindeuten[18]. Eine solche zusätzliche kleine Bewegung kann von den ESR Experimenten nicht ausgeschlossen werden, sodass auch eine Schrauben-artige Konformationsänderung möglich erscheint. Unabhängig von dem genauen Mechanismus bleibt es jedoch vollkommen ungeklärt, wie diese kleinen Änderungen mit hoher Genauigkeit den langen Weg von der Membranoberfläche zu der 260 Å entfernten Signaldomäne übertragen werden können. Literatur [1] Engelmann, T.W. (1882): Über Licht- und Farbenperception niedrigster Organismen. Plügers Arch. 29, 387–400 [2] Pfeffer, W. (1883): Locomotorische Richtungsbewegungen durch chemische Reize. Ber. Deut. Botan. Ges. 1, 524–533 Abb. 5: Mechanismus des Signaltransfers. Die sich auswärts bewegende Helix F stößt tangential an TM2 und bewirkt hierdurch eine Drehbewegung von etwa 20° [3] Adler, J. (1975): Chemotaxis in bacteria. Annu. Rev. Biochem. 44, 341–356 BIOspektrum · 2/04 · 10. Jahrgang Überblick [4] Stock, A.M., Robinson, V.L. & Goudreau, P.N. (2000): Two-component signal transduction. Annu. Rev. Biochem. 69, 183–215 [5] Schäfer, G., Engelhard, M. & Müller, V. (1999): Bioenergetics of the archaea. Microbiol. Mol. Biol. Rev. 63, 570–620 [6] Engelhard, M., Schmies, G. & Wegener, A.A. Photoreceptors and Light Signalling. Batschauer, A. (ed.), pp. 1–39 (Royal Society of Chemistry, Cambridge, 2003). [7] Ferrando-May, E., Krah, M., Marwan, W. & Oesterhelt, D. (1993): The methyl-accepting transducer protein Htrl is functionally associated with the photoreceptor sensory rhodopsin I in the archaeon Halobacterium salinarium. EMBO J. 12, 2999–3005 [8] Yao, V.J. & Spudich, J.L. (1992): Primary structure of an archaebacterial transducer, a methyl- accepting protein associated with sensory rhodopsin I. Proc. Natl. Acad. Sci. USA 89, 11915–11919 [9] Hildebrand, E. & Dencher, N. 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Sci. 26, 257–265 Martin Engelhard Jahrgang 1942, Studium der Chemie an der Universität Göttingen, Promotion 1974 bei Prof. Dr. W. Lüttke am Institut für Organische Chemie, Johann P. Klare Jahrgang 1969, Studium der Chemie and der Universität Dortmund, Promotion 2003 bei PD Universität Göttingen, 1974–1977 Postdoc in der Abteilung von Prof. Dr. B. Merrifield, Rockefeller University, New York, seit 1977 Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Max Planck Institut für Ernährungsphysiologie (jetzt Max-Planck-Institut für molekulare Physiologie), 1996 Habilitation am Fachbereich Chemie der Universität Dortmund. Dr. M. Engelhard am Max-Planck-Institut für molekulare Physiologie über die Struktur und Funktion der archaebakteriellen Rhodopsine, Universität Dortmund. Seit 2003 PostDoc am Max-Planck-Institut für molekulare Physiologie in der Arbeitsgruppe von PD Dr. M. Engelhard. BIOspektrum · 2/04 · 10. Jahrgang [19] Marwan, W., Schäfer, W. & Oesterhelt, D. (1990): Signal transduction in Halobacterium depends on fumarate. EMBO J., 9, 355–362 Korrespondenz-Adresse: Dr. Martin Engelhard Max-Planck-Institut für molekulare Physiologie Otto-Hahn-Str. 11 D-44227 Dortmund Tel.: 0231-1332302 Fax.: 0231-1332399 [email protected]