Heinz Böker Paul Hoff Erich Seifritz Herausgeber «Personalisierte» Psychiatrie – Paradigmenwechsel oder Etikettenschwindel? Böker/Hoff/Seifritz (Hrsg.) «Personalisierte» Psychiatrie Verlag Hans Huber Programmbereich Psychiatrie © 2014 by Verlag Hans Huber, Hogrefe AG, Bern Dieses Dokument ist nur für den persönlichen Gebrauch bestimmt und darf in keiner Form vervielfältigt und an Dritte weitergegeben werden. Aus: Heinz Boker, Paul Hoff, Erich Seifritz; «Personalisierte» Psychiatrie. 1. Auflage. © 2014 by Verlag Hans Huber, Hogrefe AG, Bern Dieses Dokument ist nur für den persönlichen Gebrauch bestimmt und darf in keiner Form vervielfältigt und an Dritte weitergegeben werden. Aus: Heinz Boker, Paul Hoff, Erich Seifritz; «Personalisierte» Psychiatrie. 1. Auflage. Heinz Böker / Paul Hoff / Erich Seifritz He­­raus­ge­ber «Personalisierte» Psychiatrie Paradigmen­wechsel oder Etikettenschwindel? Verlag Hans Huber © 2014 by Verlag Hans Huber, Hogrefe AG, Bern Dieses Dokument ist nur für den persönlichen Gebrauch bestimmt und darf in keiner Form vervielfältigt und an Dritte weitergegeben werden. Aus: Heinz Boker, Paul Hoff, Erich Seifritz; «Personalisierte» Psychiatrie. 1. Auflage. Lektorat: Dr. Klaus Reinhardt Herstellung: Daniel Berger, Jörg Kleine Büning Bearbeitung: Melanie Stasch, Heidelberg Umschlagillustration: Johannes Itten: Zwölf Grautonstufen von Weiß bis Schwarz und die zwölf Farben des Farbkreises in den Grautonstufen entsprechenden Helligkeitswerten, aus: Kunst der Farbe, ©Christophorus Verlag, Freiburg Umschlaggestaltung: Claude Borer, Basel Druckvorstufe: Claudia Wild, Konstanz Druck und buchbinderische Verarbeitung: Finidr, Český Těšín Printed in Czech Republic Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. Anregungen und Zuschriften bitte an: Verlag Hans Huber Lektorat Medizin/Gesundheit Länggass-Strasse 76 CH-3000 Bern 9 Tel: 0041 (0)31 300 4500 [email protected] www.verlag-hanshuber.com 1. Auflage 2014 © 2014 by Verlag Hans Huber, Hogrefe AG, Bern (E-Book-ISBN [PDF] 978-3-456-95407-3) (E-Book-ISBN [EPUB] 978-3-456-75407-9) ISBN 978-3-456-85407-6 © 2014 by Verlag Hans Huber, Hogrefe AG, Bern Dieses Dokument ist nur für den persönlichen Gebrauch bestimmt und darf in keiner Form vervielfältigt und an Dritte weitergegeben werden. Aus: Heinz Boker, Paul Hoff, Erich Seifritz; «Personalisierte» Psychiatrie. 1. Auflage. 5 Inhalt Vorwort (Heinz Böker, Paul Hoff, Erich Seifritz) 7 Einführung (Heinz Böker, Paul Hoff, Erich Seifritz) 9 Teil 1: Der Begriff der Person in der Psychiatrie 19 1. Anthropologie in der Psychiatrie: mit der Aussicht auf individualisierte Medizin obsolet? (Andreas Heinz, Anne Beck, Ulrike Kluge) 21 2. Welcher Personbegriff taugt für die Psychiatrie? (Alice Holzhey-Kunz) 30 Teil 2: Psychiatrische Grundlagenforschung: Konsequenzen für Psychiatrie und Psychotherapie 51 3. Prägung und Individualisierung der Gehirnfunktion: epigenetische Mechanismen bei der Gehirnentwicklung (Katharina Braun, Nicole Gröger, Kathy Rether, Jörg Bock) 53 4. Theorien der Schizophrenie aus psychodynamischer und neuro­wissenschaftlicher Sicht (Georg Northoff, Michael Dümpelmann) 72 5. Psychoanalyse und Neurowissenschaften: eine neue Sichtweise psychischer Prozesse (Anna Buchheim und Ines Pernter) 89 © 2014 by Verlag Hans Huber, Hogrefe AG, Bern Dieses Dokument ist nur für den persönlichen Gebrauch bestimmt und darf in keiner Form vervielfältigt und an Dritte weitergegeben werden. Aus: Heinz Boker, Paul Hoff, Erich Seifritz; «Personalisierte» Psychiatrie. 1. Auflage. 6 Inhalt Teil 3: Individualisierte Ansätze bei psychiatrischen Erkrankungen 107 6. Behandlung depressiv kranker Menschen im Zeitalter der «personalisierten Psychiatrie» (Manfred Wolfersdorf, Stefanie Wagner, Johannes Kornacher, Ulrike Danneberg) 109 7. Langzeitverläufe der Depression und individuelles Umfeld (Heinz Böker) 138 8. Personalisierte Behandlung bipolarer Störungen (Gregor Hasler) 158 9. Was bedeutet » personalisierte Medizin» bei AD(H)S? (Rolf Haubl, Katharina Liebsch) 177 Teil 4: Historische und ethische Aspekte der Debatte um Personalisierung 203 10.Persönlicher – besser – kostengünstiger? Kritische medizinethische Anfragen an die «personalisierte Medizin» (Jochen Vollmann) 205 11.Von der Gefährdung einer personalen Psychotherapie in Zeiten der Ökonomisierung (Giovanni Maio) 219 Zusammenfassung und Ausblick (Heinz Böker, Paul Hoff) 235 Autorenverzeichnis 245 © 2014 by Verlag Hans Huber, Hogrefe AG, Bern Dieses Dokument ist nur für den persönlichen Gebrauch bestimmt und darf in keiner Form vervielfältigt und an Dritte weitergegeben werden. Aus: Heinz Boker, Paul Hoff, Erich Seifritz; «Personalisierte» Psychiatrie. 1. Auflage. 7 Vorwort Eine prinzipielle Schwäche der evidenzbasierten Psychiatrie besteht da­­ rin, dass sie bisher nicht in der Lage ist, die individuelle Variabilität therapeutischer Reaktionen bei Patienten gleicher Diagnose zu berücksichtigen. In der Folge des «Human-Genom-Projektes» (2001) entwickelte sich die Hoffnung, dass eine «personalisierte Psychiatrie» dazu beitragen könne, Prädiktoren zu definieren, die individuell angepasste, wirksame und möglichst nebenwirkungsarme pharmakologische Behandlungsstrategien ermöglichen. Dem beeindruckenden Zuwachs an Wissen (um molekulargenetische Zusammenhänge, neuronale Aktivitätsmuster, Pharmakogenomik, Pharmakogenetik) steht eine wachsende Enttäuschung klinisch orientierter Psychiater und Psychotherapeuten gegenüber, die den bisherigen Mangel an behandlungsrelevanten diagnostischen Entscheidungshilfen und wirksamen Behandlungsstrategien beklagen. Beispielsweise wurde eine Anzahl genetischer Polymorphismen identifiziert, die die Wirksamkeit bestimmter Behandlungen beeinflussen. Allerdings rechtfertigen die vorliegenden Befunde angesichts ihrer begrenzten Verallgemeinerbarkeit zumeist keine direkte Anwendung in einer individuell adaptierten Behandlungsstrategie. Pharmakologische und psychologische Behandlungen wirken auf dem Hintergrund genetischer Disposition und epigenetischer Adaptation im Zusammenhang mit Erfahrungen. Diese komplexen Zusammenhänge können mit eindimensionalen Ansätzen nicht erschlossen werden. Kritiker des Konzeptes der «personalisierten Psychiatrie und Psychotherapie» beklagen insbesondere, dass vielfältige behandlungsrelevante Dimensionen (Psychodynamik, Psychopathologie, subjektives Krankheitserleben, biographische und psychosoziale Aspekte) zunehmend vernachlässigt werden. In erkenntnistheoretischer Perspektive wird der Begriff der «personalisierten» Psychiatrie und Psychotherapie zunehmend in Frage gestellt, vor allem wegen seines oft verkürzenden Verständnisses von «Person». © 2014 by Verlag Hans Huber, Hogrefe AG, Bern Dieses Dokument ist nur für den persönlichen Gebrauch bestimmt und darf in keiner Form vervielfältigt und an Dritte weitergegeben werden. Aus: Heinz Boker, Paul Hoff, Erich Seifritz; «Personalisierte» Psychiatrie. 1. Auflage. 8 Vorwort Während optimistische Vertreter der «personalisierten» Psychiatrie und Psychotherapie weiterhin die Notwendigkeit eines Paradigmenwechsels in der Psychiatrie befürworten, sprechen manche Kritiker von einem Etikettenschwindel und vermuten forschungsstrategische Gesichtspunkte z.B. bei der Generierung von Forschungsmitteln. Vor dem Hintergrund dieser zugespitzten Debatte stand das Psychiatrische Kolloquium der Psychiatrischen Universitätsklinik, das gemeinsam mit der Zürcher Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie durchgeführt wird, im Herbstsemester 2012 unter dem Leitthema «Personalisierte» Psychiatrie und Psychotherapie: Paradigmenwechsel oder Etikettenschwindel? Die Buchbeiträge basieren auf den Vorträgen des Psychiatrischen Kolloquiums und ermöglichen den Befürwortern und Kritikern des Konzeptes, ihre jeweiligen Positionen zu vertreten. Das Buch soll zu einer Vertiefung der Debatte um die «personalisierte Psychiatrie und Psychotherapie» – jenseits plakativer Zuschreibungen – beitragen. Zürich, im April 2014 Heinz Böker Paul Hoff Erich Seifritz © 2014 by Verlag Hans Huber, Hogrefe AG, Bern Dieses Dokument ist nur für den persönlichen Gebrauch bestimmt und darf in keiner Form vervielfältigt und an Dritte weitergegeben werden. Aus: Heinz Boker, Paul Hoff, Erich Seifritz; «Personalisierte» Psychiatrie. 1. Auflage. 9 Einführung Heinz Böker, Paul Hoff, Erich Seifritz Das Ausgangsproblem, das zur Entwicklung der «personalisierten» Psychiatrie und Psychotherapie beitrug, besteht darin, dass die Dia­gnose psychischer Störungen weit überwiegend anhand äußerlich sichtbarer, beobachtbarer oder von den Betroffenen berichteter Symptome gestellt wird. Die im Rahmen der Behandlung eingesetzten Medikamente, die die jeweiligen Symptome (z. B. Schlafstörungen, Ängstlichkeit oder Antriebsmangel) günstig beeinflussen, zielen jedoch wahrscheinlich nicht auf die krankheitsverursachenden Mechanismen, die bis heute weitgehend unbekannt sind. Die Wirkung der Psychopharmaka ist im Einzelfall sehr unterschiedlich, oftmals auch unzulänglich. Eine personalisierte Medizin und Psychiatrie, die sich vorwiegend einem (neuro-)biologischen Selbstverständnis verpflichtet weiß, versucht, dem individuellen Patienten gerechter zu werden und Möglichkeiten zu eröffnen, prognostische Untergruppen besser zu behandeln. Dementsprechend sucht sie spezifische Marker in der Hirnaktivität, im Stoffwechsel und im Genom von psychiatrischen Patienten, um die Dia­gnose und Therapie psychiatrischer Erkrankungen auf einzelne Gruppen von Betroffenen zuzuschneiden. Die biologischen und neurobiologischen Kennzeichen sollen helfen, z. B. Subtypen von Depressionen und Schizophrenie zu definieren, die gezielter als bislang behandelt werden können. Wesentliche Voraussetzung einer so verstandenen personalisierten Me­­dizin ist die Validierung von Subgruppen (Falkai, 2011). Dieses Vorgehen orientiert sich u. a. an den Ergebnissen der Krebsforschung: Beispielsweise wird der Wirkstoff Trastuzumab zur Behandlung des Mammakarzinoms inzwischen gezielt bei solchen Patientinnen eingesetzt, deren Zellen zu viel von einem bestimmten Protein herstellen, wie sich durch einen © 2014 by Verlag Hans Huber, Hogrefe AG, Bern Dieses Dokument ist nur für den persönlichen Gebrauch bestimmt und darf in keiner Form vervielfältigt und an Dritte weitergegeben werden. Aus: Heinz Boker, Paul Hoff, Erich Seifritz; «Personalisierte» Psychiatrie. 1. Auflage. 10 Einführung einfachen Test feststellen lässt. Nur bei dieser Untergruppe entfaltet die Substanz ihre Wirkung. Vertreter der personalisierten Psychiatrie und Psychotherapie suchen nach ähnlichen Differenzierungen auch bei psychiatrischen Störungen. Es besteht das Ziel, mit Hilfe von Gentests und Biomarkern Untergruppen von Patienten zu definieren, die hinsichtlich des krankheitsverursachenden Mechanismus vergleichbar sind. Es besteht die optimistische Prognose, dass Biomediziner beispielsweise für einzelne Subtypen von depressiv Erkrankten in Zukunft immer spezifischere Wirkstoffe oder auch Kombinationen bereits bekannter Medikamente entwickeln können. Die Hoffnung besteht darin, dass Biomarker in Zukunft wesentlich dazu beitragen können, die Frage zu beantworten, welche Patienten von welcher Behandlung am ehesten profitieren. Der so verstandenen personalisierten Medizin und Psychiatrie stehen im Wesentlichen vier Forschungsansätze zur Verfügung: 1. Tiermodelle: Die Bedeutung individueller Unterschiede bei der Entwicklung von Medikamenten wurde bisher insbesondere im Tiermodell erforscht. 2. Humangenom-Analyse: Das komplexe Zusammenspiel von Erbgut und Umwelt wird in humangenetischen Studien erforscht. Die etwa 22 000 verschiedenen Gene des Menschen dienen in den Zellen des Körpers als Bauanleitungen zur Produktion von mehr als eine Million verschiedener Proteine. Die Details und die Dynamik dieser Prozesse (einzelne Gene werden immer wieder an- und abgeschaltet und können durch Umwelteinflusse verändert werden) wurden bisher nur annäherungsweise erschlossen. 3. Bildgebung (Neuroimaging): Anhand neuronaler Erregungsmuster, die beispielsweise mittels funktioneller Magnetresonanztomographie (fMRT) registriert werden können, werden Besonderheiten bei psychiatrisch Erkrankten untersucht. Dieser Ansatz liefert Informationen über die neuronalen Korrelate der Wirksamkeit und fehlenden Wirksamkeit therapeutischer Interventionen. 4. Proteonomik/Metabolomik: Die Analyse der Proteine und Stoffwechselprodukte des Körpers vermittelt Aufschlusse über dysfunktionale biochemische Prozesse. Nach der Sequenzierung des menschlichen Genoms wird derzeit das große Arsenal der Proteine und sonstiger biologisch wirksamer Verbindungen katalogisiert. Das Ziel besteht © 2014 by Verlag Hans Huber, Hogrefe AG, Bern Dieses Dokument ist nur für den persönlichen Gebrauch bestimmt und darf in keiner Form vervielfältigt und an Dritte weitergegeben werden. Aus: Heinz Boker, Paul Hoff, Erich Seifritz; «Personalisierte» Psychiatrie. 1. Auflage. Einführung 11 darin, die vielfältigen Wechselwirkungen zwischen diesen Stoffen so­­ wie mögliche Auswirkungen auf psychische Prozesse schrittweise zu erschließen. Die teilweise mit sehr großem Aufwand durchgeführten Studien lieferten – insbesondere im Bereich der Depressionsforschung – erste wichtige Erkenntnisse: Bei vielen depressiv Erkrankten sind die REM-Schlafphasen besonders intensiv (im Gegensatz zu den Tiefschlafphasen). Dieses veränderte Schlafmuster weisen diejenigen Patienten auf, bei denen das Stresshormon CRH (Corticotropin-Releasing Hormone) erhöht ist. Wird diesen Patienten im Rahmen des Dex-CRH-Tests das synthetische Stresshormon Dexamethasone injiziert, so bleibt bei ihnen der Cortisol-Spiegel – im Gegensatz zu gesunden Probanden – weiterhin erhöht. Wird nun zusätzlich noch CRH injiziert und steigen die Werte ex­trem an, so weist dies auf eine Dysregulation der Stresshormonachse hin. Anhand der Resultate des Dex-CRH-Tests lassen sich Subgruppen von Patienten bilden. Allerdings findet sich eine Dysregulation der Stresshormonachse nicht bei allen depressiv Erkrankten. Antidepressiva tragen zur Normalisierung der hyperaktiven Stresshormonachse bei depressiv Erkrankten bei (Ising et al., 2007). Bleibt das Stresshormonsystem überaktiv, ist die Prognose ungünstiger (Holsboer/Ising, 2010). Das Behandlungsergebnis des einzelnen Patienten und dessen Prognose kann dementsprechend bis zu einem gewissen Grad am Biomarker abgelesen werden. Optimistische Prognosen setzen da­­rauf, dass die Analyse funktioneller neuronaler Netzwerke eine wichtige Komponente bei der Entwicklung neuer Psychopharmaka darstellen wird (Costa e Silva, 2013). Die integrierte Anwendung unterschiedlicher Untersuchungstechniken wie Elektroenzephalografie, Magnetenzephalografie, funktionelle Magnetresonanz­ tomographie und Diffusion Tensor Imaging (DTI) in Kombination mit Pharmakogenetik sei vielversprechend und werde es ermöglichen, unser Verständnis der biologischen Mechanismen psychiatrischer Erkrankungen und ihrer Behandlung zu transformieren. Costa e Silva entwirft ein Konzept der Netzwerkmedizin («network medicine»), die dazu beitragen werde, Medikamente gezielt auf komplexen neuronalen Netzwerken anzuwenden entgegen der bisherigen Beeinflussung einzelner Komponenten neuronaler Netzwerke. © 2014 by Verlag Hans Huber, Hogrefe AG, Bern Dieses Dokument ist nur für den persönlichen Gebrauch bestimmt und darf in keiner Form vervielfältigt und an Dritte weitergegeben werden. Aus: Heinz Boker, Paul Hoff, Erich Seifritz; «Personalisierte» Psychiatrie. 1. Auflage.