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Andrea Mennicken · Hendrik Vollmer (Hrsg.)
Zahlenwerk
Organisation und Gesellschaft
Herausgegeben von
Günther Ortmann, Thomas Klatetzki und Arnold Windeler
Wie wünscht man sich Organisationsforschung?
Theoretisch reflektiert, weder in Empirie noch in Organisationslehre oder beratung sich erschöpfend.
An avancierte Sozial- und Gesellschaftstheorie anschließend, denn Organisationen
sind in der Gesellschaft.
Interessiert an Organisation als Phänomen der Moderne und an ihrer Genese im
Zuge der Entstehung und Entwicklung des Kapitalismus.
Organisationen als Aktionszentren der modernen Gesellschaft ernstnehmend, in
denen sich die gesellschaftliche Produktion, Interaktion, Kommunikation – gelinde
gesagt – überwiegend abspielt.
Mit der erforderlichen Aufmerksamkeit für das Verhältnis von Organisation und
Ökonomie, lebenswichtig nicht nur, aber besonders für Unternehmungen, die seit
je als das Paradigma der Organisationstheorie gelten.
Gleichwohl Fragen der Wahrnehmung, Interpretation und Kommunikation und also
der Sinnkonstitution und solche der Legitimation nicht ausblendend, wie sie in der
interpretativen resp. der Organisationskulturforschung und innerhalb des EthikDiskurses erörtert werden.
Organisation auch als Herrschaftszusammenhang thematisierend – als moderne,
von Personen abgelöste Form der Herrschaft über Menschen und über Natur und
materielle Ressourcen.
Kritisch gegenüber den Verletzungen der Welt, die in der Form der Organisation
tatsächlich oder der Möglichkeit nach impliziert sind. Verbindung haltend zu
Wirtschafts-, Arbeits- und Industriesoziologie, Technik- und Wirtschaftsgeschichte,
Volks- und Betriebswirtschaftslehre und womöglich die Abtrennung dieser
Departments voneinander und von der Organisationsforschung revidierend.
Realitätsmächtig im Sinne von: empfindlich und aufschlussreich für die gesellschaftliche Realität und mit Neugier und Sinn für das Gewicht von Fragen, gemessen an der
sozialen Praxis der Menschen.
So wünscht man sich Organisationsforschung. Die Reihe „Organisation und
Gesellschaft“ ist für Arbeiten gedacht, die dazu beitragen.
Andrea Mennicken
Hendrik Vollmer (Hrsg.)
Zahlenwerk
Kalkulation, Organisation
und Gesellschaft
Bibliografische Information Der Deutschen Nationalbibliothek
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der
Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über
<http://dnb.d-nb.de> abrufbar.
1. Auflage April 2007
Alle Rechte vorbehalten
© VS Verlag für Sozialwissenschaften | GWV Fachverlage GmbH, Wiesbaden 2007
Lektorat: Frank Engelhardt
Der VS Verlag für Sozialwissenschaften ist ein Unternehmen von Springer Science+Business Media.
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von jedermann benutzt werden dürften.
Umschlaggestaltung: KünkelLopka Medienentwicklung, Heidelberg
Satz: Anke Vogel
Druck und buchbinderische Verarbeitung: Krips b.v., Meppel
Gedruckt auf säurefreiem und chlorfrei gebleichtem Papier
Printed in the Netherlands
ISBN 978-3-531-15167-0
Inhalt
5
Inhalt
Inhalt
Günther Ortmann
Vorwort: Was wirklich zählt................................................................................................... 7
Andrea Mennicken und Hendrik Vollmer
Einleitung: Fundstellen von Zahlenforschung ........................................................................ 9
Peter Miller
Wie und warum das Rechnungswesen in der Soziologie in Vergessenheit geriet ............... 19
Uwe Vormbusch
Die Kalkulation der Gesellschaft .......................................................................................... 43
Bettina Heintz
Zahlen, Wissen, Objektivität: Wissenschaftssoziologische Perspektiven ............................ 65
Martin Messner, Tobias Scheytt und Albrecht Becker
Messen und Managen: Controlling und die (Un-)Berechenbarkeit des Managements ........ 87
Peter Pelzer
Basel II, oder:
die Einsicht in die unzureichende Verlässlichkeit reiner Quantifizierung.......................... 105
Michael Power
Die Erfindung operativer Risiken ....................................................................................... 123
Herbert Kalthoff
Ökonomisches Rechnen:
Zur Konstitution bankwirtschaftlicher Objekte und Investitionen ..................................... 143
6
Inhalt
Alex Preda
Formel-Bolschewismus: Eine historische Soziologie der Euro-Umrechnung.................... 165
Stefan Kühl
Zahlenspiele in der Entwicklungshilfe: Zu einer Soziologie des Deckungsbeitrages ........ 185
Andrea Mennicken und Alexandra Heßling
Welt(en) regulierter Zahlenproduktion zwischen Globalität und Lokalität:
Reflexionen zu globalen Standards in Rechnungslegung und Wirtschaftsprüfung............ 207
Daniel Schmidt
Buchführung für Oikos und Etat ......................................................................................... 229
Tobias Werron
Die zwei Wirklichkeiten des modernen Sports:
Soziologische Thesen zur Sportstatistik ............................................................................. 247
Die Autorinnen und Autoren............................................................................................... 271
7
Vorwort: Was wirklich zählt
Vorwort: Was wirklich zählt
Günther Ortmann
Ansehen-als, Erklären-für oder Betrachten-als heißt im Englischen „to account for“. Als
intransitives Verb heißt „account“: „Rechenschaft ablegen über“, „verantwortlich sein für“,
„erklären“, „begründen“. Als Substantiv: Rechnung, Jahresabschluss, Konto – „Das geht
auf dein Konto!“ –, Rechenschaftsbericht, Darstellung, Wichtigkeit („of no account“ =
„ohne Bedeutung“). „To take account of” heißt „Rechnung tragen”, „To leave out of account” „außer Betracht lassen”, „To take into account” umgekehrt „in Betracht ziehen”.
„Accountability” ist „Verantwortlichkeit”. „To give an account of oneself“ bedeutet, dass
jemand eine Geschichte über sich selbst erzählt, um sich dem anderen verständlich zu machen – sich zu erklären. Und „accounting“ heißt Rechnungswesen.
Was wirklich zählt, ist, wie es scheint, Zahlenwerk: Kennziffern, Ratings, ScoringModelle. Auditing, Accounting, Budgeting, Controlling, Benchmarking. Evaluation, Kalkulation und quantitative Analysen. Grund genug, sollte man meinen, dieses Feld nicht der
Betriebswirtschaftslehre (und den Statistikern) allein zu überlassen. Jedoch, seit Georg
Simmel, Max Weber und Werner Sombart sich für die Genese und die Effekte der doppelten Buchführung und der Kapitalrechnung und gar eine Philosophie des Geldes interessiert
haben, ist die Aufmerksamkeit zumal der Soziologie für diese spröde Materie für beinahe
ein Jahrhundert nahezu erloschen – ein paradigmatischer Fall institutionellen Vergessens
und/oder einer Kapitulation vor der Zuständigkeit und Definitionsmacht eben jener Ökonomen, deren Imperialismus die Soziologen doch zu Recht beklagen. Zu erinnern wäre
allerdings an die marxistisch inspirierten Analysen der Genesis der Elementarformen der
abstrakt geistigen Tätigkeit und des Verhältnisses von Geld und Geist Alfred Sohn-Rethels
und Rudolf Wolfgang Müllers, aus bekannten, guten und schlechten Gründen versunken im
Orkus der Geschichte.
Dabei ist ja die Schnittmenge solcher Termini und Begriffe frappant, die beide heute
„zuständigen“ Disziplinen, Betriebswirtschaftslehre einerseits und Soziologie andererseits,
in Anspruch nehmen, um ihre respektiven Probleme einzukreisen: Den accounts der
Ethnomethodologie – methodische Praktiken der Aufweisung von Sinn im Sprechen und
Handeln – korrespondiert das Accounting der Betriebswirtschaftslehre, in dem der aufgewiesene Sinn in Soll und Haben und in Ketten der Verursachung von Outputs durch Inputs
terminiert. Accountability ist ein Begriff des Managements und auch der Unternehmensethik. Der Attributionsproblematik der Soziologie entspricht das zentrale Problem der betriebswirtschaftlichen Zurechnung – Kosten, Leistungen, Gewinne und Erfolge müssen
(daher so genannten) Kosten-, Leistungs- oder Erfolgsträgern zugerechnet werden. Am
meisten aber sticht mir jener Zusammenhang zwischen Zählen und Gelten ins Auge, der
mit den Mitteln der Sprechakttheorie durch Austin und Searle ins Blickfeld gerückt worden
ist. John Searles performativer Sprechakt der allgemeinen Form
X zählt als Y im Kontext K
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Günther Ortmann
heißt ja deswegen „performativ“, weil er das „Zählt-als“ – das „Gilt-als“ – nicht etwa
konstativ behauptet, sondern wirksam etabliert. Er ist für Searle Ausdruck und sprachlicher
Kern von (machtabhängigen) Prozessen der Institutionalisierung – eines In-Kraft- oder InGeltung-Setzens: X1 zählt als Bundespräsident im Kontext K1. Dieses Stück Papier zählt
als Geld im Kontext K2. X3 zählt als Erfolg von Jürgen Schrempp im Kontext K3. X4 zählt
als Stückkosten des Produkts Y im Kontext K4. Eine Ebene der Abstraktion höher: Die
Unternehmen, Schulen, Krankenhäuser, Leistungen, Produkte X5-X9 etc. zählen als vergleichbar im Kontext K5-9. Und nun, noch eine Ebene höher: Zahlenwerke – und näher hin:
betriebswirtschaftliche Rechnungen – zählen als maßgebliche Systeme performativer
Sprechakte im Kontext K10, im Kontext einer dem Funktionalismus ergebenen Moderne.
In diesem letzteren Performativ – es ist ein Meta-Performativ, weil er performativ festlegt, welche Performative zählen – kommt als institutioneller Imperativ zum Ausdruck,
dass Zahlenwerke nicht nur eine konstative, sondern eben auch und vor allem eine dominante performative Funktion haben. Typisch dafür sind betriebswirtschaftliche ZuRechnungen. Sie sagen nicht nur, was ist, sondern, um Austins berühmten Buchtitel zu
paraphrasieren, sie „tun Dinge mit Zahlen“. Sie präsentieren uns die Rechnung. Das ist ihr
Werk. Zahlenwerke behaupten nicht nur quantitative Zusammenhänge, sondern etablieren
sie als geltend – verschaffen ihnen anerkannte, alsbald kaum mehr bezweifelbare Geltung.
So auch, wenn es heißt: X11 zählt als operatives Risiko im Kontext K11. X12 zählt als signifikant im Kontext K12.
Nicht zuletzt von dieser Dimension der Performanz, der Intervention im Unterschied
zur Repräsentation, der Konstruktion, des Enactment, schließlich auch der Fabrikation und
Manipulation handelt dieser Band. Er bietet dabei auch einen Überblick über den avancierten Stand der sozialwissenschaftlichen – überwiegend angloamerikanischen – AccountingForschung im weitesten Sinne und über die noch jungen Beiträge aus dem deutschsprachigen Raum. Da herrschte noch vor kurzem gähnende Leere, indiziert dadurch, dass hier eine
Zeitschrift fehlt, die in England im Jahre 1976 gegründet worden ist: Accounting, Organizations and Society.
Die repräsentative, vor allem aber die performative, selektive, konstruktive, ordnende,
kontrollierende, evaluierende, klassifizierende, imprägnierende, vergleichende, gleichmachende, zurichtende, zurechnende Funktion von Zahlenwerken, ihre Institutionalisierung als
calculative agencies in der modernen Gesellschaft, die Ausbildung entsprechender „epistemischer Kulturen“ und eines „kalkulierenden Selbst“, schließlich das wechselseitige Steigerungsverhältnis von Kalkulation und Organisation: das alles ist wichtig. Wir müssen
darauf Acht geben, wenn wir wissen und wahren wollen, was wirklich zählt.
Einleitung: Fundstellen von Zahlenforschung
9
Einleitung: Fundstellen von Zahlenforschung
Andrea Mennicken und Hendrik Vollmer1
„Durch die ganze Geschichte des Westens haben wir traditionsgemäß und zu Recht die Schrift
als Wiege der Zivilisation betrachtet und in unseren Literaturen ein Gütezeichen kultureller
Leistung gesehen. Doch auf dem ganzen Wege hat uns der Schatten der Zahl begleitet. [...] Genau wie die Schrift eine Ausweitung und Trennung unseres neutralsten und objektivsten Sinnes
ist, so ist die Zahl eine Ausweitung und Trennung unserer intimsten und am stärksten in gegenseitiger Beziehung stehenden Tätigkeit, nämlich unseres Tastsinns.“
(McLuhan 1992: 129)
Zahlen und Rechenpraktiken sind in der Gegenwartsgesellschaft, ihren Organisationen,
ihren Alltagswelten, in Wirtschaft, Politik, Massenmedien, Erziehung und Wissenschaft
allgegenwärtig. Jeden Tag werden wir mit Zahlen, z. B. in der Form von Prognosen, Preisen, Risikobewertungen, Kostennutzenanalysen, Schulnoten, Bilanzen, Sportergebnissen
und Tabellen oder innerbetrieblichen Kennzahlen konfrontiert. Privates und öffentliches
Zusammenleben vollzieht sich in numerisierten Umwelten (Rose 1991). Gleichwohl findet
man in den Sozialwissenschaften kaum systematisches Interesse daran, ob und inwiefern
die massenhafte Mobilisierung von Zahlen, Messungen und Kalkulationen die Aufrechterhaltung sozialer Ordnung beeinträchtigt, abstützt oder unterläuft. Auch die Diskussion über
organisiertes Rechnen, die im englischsprachigen Raum seit geraumer Zeit unter dem Oberbegriff des „Accounting“ geführt wird (z. B. Hopwood/Miller 1994; Vollmer 2003a), ist
weitgehend auf Spezialistenkreise beschränkt geblieben.
Der vorliegende Band möchte dazu beitragen, diese Randständigkeit sozialwissenschaftlicher Zahlenforschung zu überwinden und ihr Erkenntnispotential in einem breiten
Spektrum an Fragen zu den Voraussetzungen, Folgen und Problemen des Umgangs mit
Zahlen und Rechenwerken in Organisationen, Wirtschaft und Gesellschaft verorten: Welche Rolle spielen Zahlen und Rechenprozesse in gegenwärtigen Ordnungsregimen? Wie
greifen sie in die Gestaltung sozialer Beziehungen in, zwischen und über Organisationen
hinaus ein? Inwiefern vermitteln sie zwischen Organisationen und Gesellschaft, stabilisieren, transformieren und regulieren Organisationen und Organisationsfelder, bis hin zu weltgesellschaftlichen Gefügen?
Die Beiträge des Bandes dokumentieren eine allmählich erwachende sozialwissenschaftliche Aufmerksamkeit für das Thema der „Macht der Zahlen“ in unserer Gesellschaft
(Vormbusch 2004; Wagner 2005). Sie bedienen sich verschiedener theoretischer wie auch
methodischer Ansätze und Konzepte und testen dabei Schnittstellen zwischen Soziologie
und Betriebswirtschaftslehre, organisations- und gesellschaftstheoretischen sowie kulturwissenschaftlichen Ansätzen. Keineswegs verfolgen die Autorinnen und Autoren hierbei
ein einheitliches Forschungsprogramm. Alle teilen jedoch die Ansicht, dass Zahlen und
1
An dieser Stelle möchten wir uns bei Susan Geideck bedanken, die die Idee zu diesem Band mitentwickelt hat.
Ohne ihre Initiative und ihren Einsatz in der Anfangsphase wäre das Buch wahrscheinlich nicht entstanden.
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Andrea Mennicken und Hendrik Vollmer
Zahlenwerke mehr als einer Erfassung von Tatsachen, mehr als einer neutralen, objektiven
Wiedergabe ökonomischer und gesellschaftlicher Sachverhalte dienen. Durchgängig heben
die Beiträge konstruktive, wirklichkeitsgenerierende Effekte des Gebrauchs von Zahlen und
Rechenverfahren hervor. Sie demonstrieren: Der Wirkungsbereich von Zahlen geht weit
über eine Repräsentation und Symbolisierung von Werteinschätzungen hinaus. Zahlen
greifen substanziell in die Reproduktion sozialer Ordnung ein. Verfahren und Methoden der
Kalkulation bringen neue ökonomische und regulatorische Objekte hervor, wie die Beiträge
von Kalthoff, Preda, Power sowie Messner, Scheytt und Albrecht im vorliegenden Band
besonders deutlich machen. Zahlen und Rechenapparaturen fungieren als Scharniere, die
politische Programmatiken, individuelle und organisationsspezifische Handlungsmotive
miteinander verknüpfen und transformieren (Miller, Schmidt, Vormbusch, Pelzer). Sie produzieren neue Evaluations- und Vergleichsräume, Kommunikationsmöglichkeiten und
Differenzierungsmuster (Heintz, Werron, Mennicken und Heßling). Gleichzeitig sind Zahlen und Rechenwerke sozial eingebettet und angewiesen auf ein Netzwerk an sozialen Vorkehrungen, Konventionen, Regeln und Definitionen, sei es in und zwischen Organisationen
(Kühl), in Organisationsfeldern (Power) auf zwischenstaatlicher (Pelzer, Preda) oder globaler Ebene (Mennicken und Heßling).
Trotz aller Unterschiedlichkeit in der Herangehensweise erscheint Zahlengebrauch also durchgängig als mehr als nur eine arithmetische Operation. Nun geht es den Autorinnen
und Autoren nicht darum, diesen Tatbestand zu skandalisieren. Weder finden sich hier
Versuche einer Denunzierung ‚ungenauer’, ‚falscher’ oder ‚nicht-objektiver’ Zahlen, noch
sind die Beiträge auf der Suche nach normativen Bemessungsgrundlagen für Sinn und
Zweck des Messens, Zählens, Kalkulierens. In erster Linie bemühen sie sich um ein besseres, breiteres und wirklichkeitsnäheres Verständnis des Umgangs mit Zahlen, also darum,
die soziale Beschaffenheit von Zahlenwerken in ihren Bedingungen, Möglichkeiten, Grenzen und Konfliktstellen im Kontext von Organisationen und Gesellschaft zu erkunden. Es
geht um den sozialen Zusammenhang, die soziale Einbettung und Verflechtung des
Zahlengebrauchs, von Messen zu Managen, Rechnen zu Regieren oder Kalkulieren zu
Konstruieren; nicht darum, derlei Zusammenhänge kontrafaktisch abzuschütteln, sondern
darum, sie zunächst einmal in ihrer sozialen Tragweite zu verstehen.
Mit seinen Beiträgen stellt der vorliegende Band wesentliche Aktivposten gegenwärtiger Zahlenforschung erstmalig in einem gemeinsamen Rahmen vor. In dieser Hinsicht
möchte er als Materialsammlung dienen und zur Entstehung eines gemeinsamen, transdisziplinären Feldes beitragen, das die unterschiedlichen Interessen und Ansätze nicht nur
seiner Autorinnen und Autoren zusammenführt, sondern auch, so hoffen wir, seine Leserinnen und Leser zu weiterer Erkundung einlädt. Hierfür importiert der Band eine Reihe
von Forschungsansätzen aus dem englischsprachigen Raum, deren Resonanz in Deutschland bis heute ausgesprochen bescheiden blieb. Doch auch im internationalen Fachdiskurs
gab es bislang erstaunlich wenig Brückenschläge zwischen Arbeiten aus dem Bereich der
„critical accounting studies“ (z. B. Hopwood/Miller 1994; Miller/Rose 1990; Power 1997,
2004) und solchen der „social studies of finance“ (z.B. Callon/Muniesa 2005; Knorr Cetina/Preda 2005; MacKenzie/Millo 2003), den vielleicht produktivsten Aktivposten zeitgenössischer Zahlenforschung. Beide haben je für sich nahezu das Niveau einer Schulenbildung erreicht. Mit welcher Erkenntnisrendite?
Wie Miller in seinem Beitrag zu Beginn des Bandes aufzeigt, hat sich die Schule der
soziologisch orientierten „critical accounting studies“ seit Anfang der achtziger Jahre vor-
Einleitung: Fundstellen von Zahlenforschung
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wiegend im angelsächsischen Raum herausgebildet. Die soziologisch orientierte Accounting-Forschung hat sich seitdem sowohl mit der Frage nach der Einbindung von Praktiken
der Rechnungslegung, des Controlling, Performance Managements und anderen Formen
organisierten Rechnens in soziale, organisationale und gesellschaftliche Zusammenhänge,
als auch mit der Auswirkung jener kalkulativer Praktiken auf die Organisation von Wirtschaft und Gesellschaft befasst. Sie hat die Bedeutung von Accounting-Praktiken im Hinblick auf die Sichtbarmachung ökonomischer Größen, die Hervorbringung bestimmter
Muster des Managements sowie die Erzeugung von Machtstrukturen thematisiert. Wie
Miller verdeutlicht, knüpft das Forschungsfeld der „critical accounting studies“ hierbei an
verschiedene, zum Teil konfligierende soziologische Theorieströmungen und organisationstheoretische Ansätze an. Hierzu zählen etwa Neoinstitutionalismus, Praxistheorien, die
Ethnomethodologie, Ansätze aus der Politischen Ökonomie, marxistische Theorien sowie
an Foucault orientierte Ansätze. Trotzdem hat sich die soziologisch orientierte AccountingForschung interessanterweise außerhalb der Disziplin der Soziologie entwickeln und etablieren müssen. Obwohl das frühe soziologische Interesse an Zahlenforschung unter anderem bei Max Weber (1980: 45ff.), einem der Gründungsväter der Soziologie, eine zentrale
Stellung einnahm, wurde dieses Interesse, wie Miller feststellt, bereits wenig später innerhalb der Disziplin der Soziologie weitgehend vergessen.
Dabei hatte neben Weber auch sein Zeitgenosse Werner Sombart in der doppelten
Buchführung viel mehr als eine Technik rationalen Wirtschaftens erkannt. „Ohne doppelte
Buchführung, so Sombart, kein Kapitalismus“, rekapituliert der Beitrag von Vormbusch,
um danach einen erweiterten Begriff der ‚Soziokalkulation’ zu entwickeln, der in gewisser
Weise den Sombartschen Diffusionsgedanken generalisiert: „Weder die Funktionalität noch
die Kulturbedeutung von Soziokalkulation als Steuerungstypus ist noch an ökonomische
Zusammenhänge im engeren Sinne gebunden“ (Vormbusch). Aus dieser Perspektive sollte
die wachsende gesellschaftliche Bedeutung von ‚Accounting’, accounting-ähnlichen und
accounting-geleiteten Praktiken (Controlling, Evaluation, Budgetierung, Benchmarking,
Ergebnissteuerung usw.) Grund genug sein, einen Teil der in Accounting Departments und
Management Schools exportierten Zahlensoziologie zu re-importieren.
Im Gegensatz zu den „critical studies of accounting“ entwickelte sich das jüngere Feld
der „social studies of finance“ weitestgehend innerhalb der Disziplinen von Soziologie und
Anthropologie. Unter der Anwendung von Methoden und Theorien der „science and technology studies“ sind hier seit Mitte der neunziger Jahre Finanzmärkte bzw. deren Institutionen, Instrumente und Akteure untersucht worden. Der Beitrag Kalthoffs demonstriert die
hierbei federführenden empirischen Forschungsinteressen. Diese haben sich beispielsweise
auf Transaktionspraktiken von Wertpapierhändlern (Knorr Cetina/Brügger 2002), die räumliche Organisation von Trading Rooms (Buenza/Stark 2004) oder Aushandlungsprozesse
im Direktorium der US-amerikanischen Notenbank gerichtet (Abolafia 2004).2 Das Augenmerk finanzsoziologischer Forschung liegt so einerseits auf lokal situierten Praktiken, in die
ökonomisches Handeln eingebettet ist, andererseits auf der konstitutiven Bedeutung bzw.
„Performativität“ (MacKenzie/Millo 2003) ökonomischer Darstellungen (Graphiken, Formeln, Rechenmodelle), die ökonomisches Handeln rahmen und gestalten oder, wie Callon
(1998) es nennt, „formatieren“. Der Beitrag von Preda greift diese Erkenntnismotive auf:
Vor dem Hintergrund der sozialen Einbettung der Entwicklung und Anwendung der Euro2
Vgl. dazu auch den Sammelband von Knorr Cetina und Preda (2005) für ein Spektrum aktueller Beiträge.
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Andrea Mennicken und Hendrik Vollmer
Umstellungsformel, so Preda, „gab es für den Euro keine andere Wahl, als Bolschewik zu
sein“.
Accounting-Forschung und Finanzsoziologie bilden zusammengenommen einen thematischen Schwerpunkt sozialwissenschaftlicher Zahlenforschung, dem sich die vorliegende Sammlung, auch wenn sie sich um eine möglichst breite Aufstellung ihres Interesses an
Zahlenforschung bemüht, also nicht ganz entziehen kann. Bis heute liegt das Gravitationszentrum sozialwissenschaftlicher Zahlenforschung überwiegend im Bereich des organisierten Rechnens mit Finanzzahlen, also dort, wo schon das frühe soziologische Interesse an
Zahlenforschung bei Weber und Sombart seinen Platz hatte. Doch in vieler Hinsicht haben
sich insbesondere die selbst nun schon traditionsreichen „critical accounting studies“
bereits um eine breitere Einbettung ihrer Forschungsinteressen bemüht. Hierfür stehen
insbesondere ihre von Foucault inspirierten Arbeiten. Vor allem in Foucaults posthum veröffentlichten Vorlesungen über die „Gouvernementalität“ (Foucault 2000, 2004), die in
Großbritannien ein gutes Jahrzehnt früher rezipiert wurden als im deutschsprachigen Raum
(Burchell et al. 1991), spielt die Statistik eine maßgebliche Rolle bei der Transformation
bürokratischer Herrschaftsapparate in wissenshungrige Abwickler periodisch wechselnder
Regierungsprogramme. Nun ist ‚statistisches Denken’ für sich genommen seit geraumer
Zeit bereits Thema sozialwissenschaftlicher Forschung gewesen (z. B. Porter 1986; Hacking 1990), wohl nicht zuletzt, weil es die Soziologie selbst so direkt betrifft – angefangen
bei Durkheims Auseinandersetzung mit Selbstmordraten (Durkheim 1983; vgl. Vanderstraeten 2006). Der Aufstieg der Statistik ist eng verbunden sowohl mit dem Aufbau
bürokratischer Herrschaftsapparate (Spittler 1980; Woolf 1989), als auch mit der wechselhaften Geschichte ihrer Regierungs- und Regulierungsprogramme (Hacking 1982, 1991;
Desrosières 1998; Keller 2001). Sie ist von sozialen Interessen durchzogen (MacKenzie
1978), eingebunden in eine gemeinsame Matrix von Programmen und Technologien des
Regierens – und genau das verbindet sie mit einem breiten Spektrum zeitgenössischer Accounting-Praktiken (vgl. Rose/Miller 1992).
Zahlen machen dabei nicht nur gesellschaftliche Wirklichkeiten, Bevölkerungsgruppen,
Populationsgrößen, Selbstmordraten, Arbeitslosenzahlen usw. zugänglich für politische
Interventionen, sondern erfassen und adressieren zudem den Einzelnen, seine Leistungen,
seine Karriere, wenn nicht sein Leben per se. Nicht alleine die Entfaltung von Gouvernementalität, sondern auch das Streben nach Disziplinierung (im Sinne von Foucault 1977)
begleitet die historische Verbreitung von Accounting-Praktiken (Roberts/Scapens 1990;
Hoskin/Macve 1994). Der Beitrag von Schmidt im vorliegenden Band spürt einem Disziplinierungsimpuls nach, der nicht in erster Linie auf die Herrschaftsbürokratie, sondern auf die
Alltagswelt des Einzelnen zielt. Die Führung von Haushaltsbüchern soll die ökonomische
Selbstregulierung der Haushaltsbewohner an die Stelle disziplinierender Interventionen des
Staates setzen. Schmidt zeichnet diesen Diskurs nach, nicht ohne den in beunruhigender
Weise kontinuierlichen Beitrag der Soziologie bis in die Gegenwart zu verfolgen. An der
Ausbreitung von Soziokalkulation, so könnte man mit Vormbusch reformulieren, ist die
Soziologie alles andere als unbeteiligt.
Neben ihrer intensiven Foucault-Lektüre hat die Accounting-Forschung seit den neunziger Jahren eine Reihe von Ansätzen aus der Wissenschaftssoziologie rezipiert. Schließlich
legt es die Allgegenwart von Mess- und Bewertungsapparaturen in Organisationen gerade
in ihrer Kombination mit Programmen verwissenschaftlichter Betriebsführung nahe, die
Fabrik als Laboratorium zu betrachten (Miller/O'Leary 1996). Als besonders einschlägig
Einleitung: Fundstellen von Zahlenforschung
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für entsprechende Analysen hat sich die Actor-Network-Theory im Anschluss an Latour
(1987) erwiesen. Gerade vor dem Hintergrund dieser Berührungspunkte fällt jedoch auf,
wie wenig Korrespondenz die Accounting-Literatur bislang zur Soziologie der Mathematik
als von jeher zentralem Bestandteil der neueren Wissenschaftssoziologie unterhalten hat.
Mit der Formulierung ihres „strong programme“ hatte sich diese schließlich mit der Mathematik gezielt demjenigen Gegenstandsbereich zugewandt, von dem sie den heftigsten
Widerstand gegen die soziologische Erklärung wissenschaftlichen Wissens erwartete
(Bloor 1976, 1994). Heintz nimmt ihren Beitrag zum vorliegenden Band zum Anlass, wesentliche Erkenntnisse und Inspirationen in Augenschein zu nehmen, die sich einer breiter
aufgestellten sozialwissenschaftlichen Zahlenforschung aus wissenschaftssoziologischer
Perspektive anbieten lassen. Vor allem mahnt Heintz Differenzierungen an, die bislang
weder in der zeitgenössischen Accounting-Forschung noch in der Finanzsoziologie hinreichend in Anschlag gebracht wurden: Quantifizierung ist nicht gleichzusetzen mit einer
Durchsetzung von Mathematik; die Überzeugungskraft von Formeln ist eine andere als die
Überzeugungskraft von Zahlen.
Die Beiträge von Kalthoff und Preda zeigen, dass Verbindungen zur Wissenschaftssoziologie zum jetzigen Zeitpunkt in der Finanzsoziologie sicherlich etwas aktiver genutzt
werden als in der Accounting-Forschung, was nicht zuletzt wohl den Überschneidungen im
Forschungspersonal geschuldet ist. Es sind die grundlagenorientierten Fragestellungen, die
hier aufgenommen werden – im Anschluss an Heidegger bei Kalthoff, im Anschluss an
Wittgenstein und Austin bei Preda – die diesen Bereich zeitgenössischer Zahlenforschung
so viel versprechend für eine Erweiterung ihrer Forschungsinteressen in neue Gegenstandsbereiche hinein erscheinen lassen (Vollmer 2003b: 16-18). Der Beitrag von Heintz und
insbesondere die Kritik am Zahlenverständnis Porters (Porter 1995), die aus dieser Perspektive resultiert, illustriert auch, wie viel Arbeit zu leisten bleibt, um ein gleichzeitig allgemeines wie soziologisch differenziertes Verständnis des Umgangs mit Zahlen in Wissenschaft, Wirtschaft und anderswo zu entwickeln.
Vielleicht findet sich dann die bedeutsamste Lücke im Gegenstandsbezug sozialwissenschaftlicher Zahlenforschung in einer bislang weitgehend fehlenden Alltagssoziologie
des Zahlengebrauchs. Erste Schritte in diese Richtung lassen sich wiederum in der Finanzsoziologie durchaus ausmachen, etwa in ihrer Beschäftigung mit Laieninvestoren (Preda
2001). Auffällig ist hier, wie mit dem Börsenticker ein Medium der Zahlenpräsentation den
vielleicht wesentlichsten Einstiegspunkt für die Inklusion von Publikum in die Interaktion
auf Finanzmärkten markiert (Preda 2006; Stäheli 2004). Ohne Zweifel sind weitere Studien
zum Umgang mit Finanzzahlen im Alltag wünschenswert, schließlich ist schon der
Gebrauch einfacher Arithmetik kaum unter Absehen ihrer Verwendungskontexte soziologisch zu dechiffrieren (so schon Wittgenstein 1974; vgl. Lave 1986). Doch der Zahlengebrauch im Alltag begrenzt sich keineswegs auf Finanzzahlen, und der Beitrag von Werron nimmt einen ganz anderen Bereich gesellschaftlicher Aktivität und Aufmerksamkeit
unter die Lupe: den Sport. Zahlen, Verfahren der Leistungsmessung und -bewertung, so
Werron, binden nicht nur die Aufmerksamkeit eines Publikums, sondern leisten auch einen
gewichtigen Beitrag zur Ausdifferenzierung des Sports und seiner Sportarten. Das Eigentümliche am modernen Sport besteht in der Einbettung lokaler Ereignisse in umspannende
Vergleichszusammenhänge, in Tabellen und Rekordbücher, Individual- oder Vereinsstatistiken. Das situative Erleben (Mitfiebern, Wetten auf usw.) einzelner Wettkampfereignisse
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Andrea Mennicken und Hendrik Vollmer
findet vor der Präsenz eines größeren (nationalen, globalen) Wettkampfgeschehens statt, in
das es sich anhand von Zahlen einordnet.
Wenn sich in dieser Einbettung einzelner Situationen in situationsübergreifende soziale Ordnungen, Organisationen, Organisationsfelder oder (Welt-)Gesellschaft ein besonders
einschlägiger sozialer Effekt des Umgangs mit Zahlen beobachten lässt, dann ist der Blick
in die Gegenrichtung – von der Alltagswelt über Organisationen in Richtung Weltgesellschaft wenigstens ebenso lohnenswert. Wenn die Vergleichbarkeit von Zahlen ein entscheidendes Scharnier der Einbettung von Situationen und Organisationen in übergreifende,
tendenziell globale gesellschaftliche Ordnungen darstellt, rückt damit beinahe zwangsläufig
das Problem der Standardsetzung ins Blickfeld (Brunsson/Jacobsson 2000; Loya/Boli 1999;
Mennicken 2006). Diesem Problem widmet sich der Beitrag von Mennicken und Heßling
anhand desjenigen Bereichs gesellschaftlichen Zusammenlebens, in dem mit zunehmender
Globalisierung auch Prozesse der Standardsetzung für die Erzeugung und Zirkulation von
Zahlen außerordentlich weit vorangeschritten ist: der Wirtschaft. Hier zeigen sich wie kaum
anderswo Formen einer globalen Regulierung der Zahlenproduktion, einer Regulierung, die
in erster Linie nicht von staatlichen oder zwischenstaatlichen Institutionen, sondern in großen Teilen von privaten Autoritäten getragen und durchgesetzt wird. Mennicken und Heßling hinterfragen die Funktionalität globaler Wirtschafts- und Rechnungslegungsstandards
und betonen die Fragilität der Fiktion von Vergleichbarkeit, die den Standards so oft
zugrunde gelegt wird. Sie zeigen, dass die Standards ein Streitobjekt konstituieren, in das
verschiedene Vorstellungen von Unternehmenskalkulation und -repräsentation hineinprojiziert werden, und untersuchen unterschiedliche Vorstellungen darüber, was ein Standard ist
und leisten soll, bzw. inwieweit er regulierend in Praktiken der Unternehmenskalkulation
einzugreifen habe.
Wir befinden uns damit erneut im Gravitationszentrum sozialwissenschaftlicher Zahlenforschung. Das Regelwerk von Basel II ist für zwei weitere Beiträge dieses Bandes der
Anlass, einem konkreten und besonders komplexen Versuch programmgesteuerter Regulierung von Organisationen und Organisationsfeldern – hier: von Banken – im Kontext des
globalen Finanzsystems auf die Spur zu kommen. Die Beiträge von Pelzer und Power
zeichnen nach, in welch komplexer Weise Mess- und Rechenverfahren in die Baseler Regulierungsanstrengung und ihre Aufnahme durch Organisationen verflochten sind. „Regulierung als Stück auf der Bühne, Aufsicht als Autoren und Schiedsrichter in einem, und all das
auf dem turbulenten Markt mit einer eingebauten Neigung zur Übertreibung und dazu eine
übertrieben erscheinende Quantifizierung“, so formuliert Pelzer seinen Eindruck. Die
Komplexität dieser Konstellation, so Pelzer, ist auch eine Spiegelung der Komplexität der
Regulierungsbedingungen im globalen Finanzsystem. Der Beitrag von Power konzentriert
sich demgegenüber auf die Konzeption operativer Risiken, die Basel II in Geltung zu setzen
versucht. Power zeichnet den Siegeszug operativer Risiken hin zu ihrer Institutionalisierung als Schlüsselkomponente globaler Bankenregulierung nach. Erfolgreich in diesem
Sinne sind operative Risiken jedoch nicht, weil sie ein robustes und wohldefiniertes Kontrollinstrument darstellen, sondern weil sie als formbares „boundary object“ fungieren, das
die Interessen unterschiedlicher Zahlenexperten mit ihren je spezifischen Kalkulationsphilosophien in seinen Bann zieht.
An einem ganz anderen Bereich, der Entwicklungshilfe, zeigt der Beitrag von Kühl eine ähnliche Verflechtung von Zahlenproduktion und Zahlentausch in Aushandlungsprozesse nicht nur in, sondern auch zwischen Organisationen auf. Das Zurückgreifen auf Zahlen
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