„Schambeinentzündung“? Was wirklich dahinter steckt Es ist die aktuell heimtückischste und langwierigste Verletzung im Fußball, aber auch andere Sportler sind davon betroffen: Immer wieder müssen Profis wegen der Symptome der sogenannten Schambeinentzündung über extrem lange Zeiträume pausieren, erleiden unerklärliche Rückschläge, manche kommen nie wieder richtig in Tritt. Nun ist sich ein Orthopäde aus Köln sicher, die Ursache des Teufelskreises erkannt zu haben. Dr. Emanuel Merkle glaubt, dass das Krankheitsbild oft falsch diagnostiziert und deshalb auch falsch therapiert wird. Gestützt wird die These unter anderem von den Erfahrungen des Fußballprofis Mario Götze und aktuell Karim Bellarabi von Bayer Leverkusen. Dr. Emanuel Merkle ist Facharzt für Orthopädie und Sporttraumatologie. Er betreut seit vielen Jahren Amateur und Profivereine im Sport und ist Vertrauensarzt einiger Spitzensportler. Von dieser großen Erfahrung profitieren auch die Patienten seiner Praxen in Köln, Brühl und Hürth. Herr Dr. Merkle, was ließ Sie an den bisherigen Diagnosen zweifeln? Dr. Merkle: Vor allem die langen Ausfallzeiten. Es ist doch merkwürdig, dass dieses Krankheitsbild oft einen längeren Heilungsprozess benötigt als härteste Verletzungen wie Kreuzband- und Achillessehnenrisse oder Knochenbrüche. Da stehen Fußballer heute nach vier bis sechs Monaten wieder auf dem Platz. Bei der Schambeinentzündung haben wir Fälle, die sich über ein halbes bis ein ganzes Jahr und noch länger hinziehen. Dass eine erkannte und behandelte Entzündung so lange Probleme bereitet, ist sehr ungewöhnlich. Damit kann sich eigentlich kein Mediziner abfinden. Sie gehen mittlerweile so weit, von einer Fehldiagnose zu sprechen. Zu welchem Ergebnis kommen Sie? Dr. Merkle: Nach meiner Überzeugung handelt es sich nicht um eine Entzündung, sondern häufig um eine Fraktur. Einen Ermüdungsbruch. Mit den gleichen Symptomen, wie sie häufig auch im Mittelfuß auftreten. Erstaunlicherweise werden die Symptome hier aber nicht entsprechend gedeutet und gewertet. Und die Verletzung demnach falsch behandelt? Dr. Merkle: Genau. Eine Fraktur erfordert zwingend eine Ruhigstellung. Den Fuß würde man sofort eingipsen. Das ist in der Schambeinregion leider nicht möglich. Medizin Aktuell Um so wichtiger wäre es, die betroffenen Sportler sofort komplett aus jeglichen Trainings- und Therapieprogrammen herauszunehmen und weitestgehend ruhigzustellen. Keinerlei Belastung. Vier, besser sechs Wochen lang. Am besten nicht mal Sex. Stattdessen greifen sofort physiotherapeutische und andere Maßnahmen, die dazu führen, dass die fragile Region immer wieder unter Stress gerät. Ich habe das früher ja genauso gemacht und mit Kortison behandelt, Dehnungsgymnastik, Beckenboden- oder Rückentraining und Akupunktur verordnet unddie Patienten zum Osteopathen geschickt. Was hat Sie letztlich stutzig gemacht? Dr. Merkle: Seit wir über ein eigenes MRT (Kernspin-Tomographie) verfügen, machen wir sofort und nach einigen Wochen Kontrollaufnahmen. Und da war eindeutig eine Verschlechterung zu erkennen. Das Knochenmarködem, also eine Flüssigkeitsansammlung am unteren Schambeinast, war gewachsen. Trotz aller Therapien. Oder gerade deswegen. Würden diese Untersuchungen häufiger gemacht, würde man sehen, dass sich der Zustand durch Physiotherapie und jegliche Belastung verschlimmert. Und warum werden diese Aufnahmen nicht regelmäßig durchgeführt? Dr. Merkle: Das Problem ist vielschichtig. Zum einen ist das eine Region, in der Leisten-, Adduktoren- oder eben Schambein- beschwerden nur schwer voneinander abzugrenzen sind. Die Spieler werden alle die gleichen Symptome schildern. Zum anderen sind Spieler und Vereine an kurzen Ausfallzeiten interessiert. Kein Spieler wird freiwillig sechs Wochen gar nichts machen. Alle wissen, dass man konditionell und muskulär enorm verliert. Also versucht man es mit reduzierter Belastung. Radfahren, schwimmen, Physiotherapie. Und dann wundert man sich, dass nach den ersten ernsthaften Belastungen die Symptome erneut auftreten. nalspieler in Urlaub und gönnte ihm vier Wochen absolute Ruhe. „Es war natürlich schwer, von heute auf morgen gar nichts mehr zu machen“, sagt Götze heute, „aber mein Heilungsverlauf spricht dafür, dass es absolut das Beste war.“ Immerhin konnte Götze noch im April wieder in die Endphase der Meisterschaft eingreifen und zählte auch zum deutschen EM-Kader. Im Vergleich zu anderen Leidtragenden (der Spieler Karim Bellarabi fehlte z. B. 300 Tage trotz OP) eine moderate Pause. Was macht Sie so sicher, dass es sich wirklich um eine Fraktur handelt? Dr. Merkle: In der Dünnschicht-Computertomographie sieht man eine Frakturlinie. Aber die wird wegen der Strahlenbelastung selten eingesetzt. Der beste Beweis ist der Behandlungserfolg. Spieler wie Kölns Adil Chihi oder Pape Diakhaté, die sehr lange wegen vermeintlicher Schambeinentzündungen ausfielen, konnten wir in relativ kurzer Zeit wieder fit bekommen. Es gibt aber mittlerweile auch Beispiele von Spielern, die nicht meine Patienten waren. Herr Dr. Merkle, vielen Dank für Ihre Ausführungen! Zu denen zählt offenbar auch Mario Götze. Als im Januar 2012 die Schambeinproblematik bei dem damals noch Dortmunder erkannt wurde, nahm ihn die Borussia sofort aus dem Trainingsund Spielbetrieb, schickte den Natio- Weitere Informationen www.dr-merkle.de www.schambeinentzuendung.com