02/Asien-Krise (Page 64)

Werbung
Wirtschaft
W E LT W I R T S C H A F T
... wenn der Taifun tobt
Der Krisenherd Asien glüht weiter: Hektisch kämpfen der Währungsfonds und die Banken
gegen eine Ausbreitung der Wirtschaftskrise. Immer mehr Ökonomen prophezeien Düsteres: Auch
in Deutschland stehen dieses Jahr womöglich Gewinneinbußen und neue Entlassungen bevor.
F
VARIO-PRESS
ür das neue Jahr haben
Immer mehr Ökonomen
sich Verbandspräsidenstellten in den vergangenen
ten, Politiker und einige
Tagen Fragen, auf die niemand
Konjunkturforscher erkennbar
heute eine Antwort weiß: Wie
Optimismus verordnet.
etwa sollen die Asiaten, deren
„Wir haben ein gutes Jahr
Währungen stark an Wert vervor uns“, behauptet Michael
loren haben, die erteilten
Rogowski, Präsident des VerAufträge im Westen bezahlen?
bandes Deutscher MaschinenWas passiert, wenn die Länder
und Anlagenbau. Der Außenmit ihren nun noch billigehandel werde sich „fortgesetzt
ren Produkten – Autos, Schifdynamisch“ entwickeln, glaubt
fen, Computern – im ganz
Wirtschaftsminister Günter
großen Stil die Welt überRexrodt. Und auch das Münchschwemmen?
ner Ifo-Institut sieht Anlaß für
Auch die sozialen Folgen
kollektiven Frohsinn: „Die
sind unübersehbar: Sind
Entlassungswelle ist beendet.“
die strengen Auflagen des
Die schönen Prognosen sind
Währungsfonds, wie etwa die
wahrscheinlich schon bald ein
Möglichkeit, koreanische FirFall für den Altpapiercontaimen an Ausländer zu verkauner. Denn die Weltwirtschaft,
fen, für die selbstbewußten
von deren Entwicklung die
Asiaten überhaupt akzeptaDeutschen abhängig sind wie
bel? Wie werden Arbeiter und
kaum ein anderes Volk, läuft
Angestellte, die nun mit Arnicht mehr rund.
beitslosigkeit und Armut konEine schwere Währungsfrontiert sind, auf die ökonound Wirtschaftskrise hat – für
mische Krise reagieren?
die Mehrheit der Experten
Das Ausmaß der Turbulenüberraschend – große Teile
zen in Fernost habe seine
Asiens erfaßt. Der Krisenherd
schlimmsten Befürchtungen
glüht, trotz aller Milliardenhilübertroffen, bekennt US-Spefen des Weltwährungsfonds
kulant George Soros. „Was als
und der internationalen Bankleines Ungleichgewicht beken. Springt der Funke über
gann, wurde ein sehr viel
auf Amerika und Europa, steht
größeres, das mittlerweile auch
der Welt eine Wirtschaftskrise
den internationalen Handel
bevor – mit Firmenpleiten,
bedroht.“ Soros ist sicher:
Börsencrash und neuen Mas- Osram-Glühlampenproduktion in Japan: Springt der Funke über?
„Wir stehen am Rande einer
senentlassungen.
weltweiten Deflation.“
Noch sind die Beschwichtiger in BanDie Zweifel an der Beherrschbarkeit
Der Begriff bezeichnet eine gefährliche
ken und Wirtschaftsinstituten in der Mehr- der globalen Wirtschaftsmaschine wach- Abwärtsspirale von Preisen, Löhnen und
zahl. Aber wie lange noch? Noch wirkt die sen. Wenn in Asien der Taifun tobt, so Gewinnen, an deren Ende, wie das BeiMilliardenspritze für den Kollapspatienten die Logik einer verflochtenen Weltwirt- spiel der Weltwirtschaftskrise in den
Asien beruhigend. Aber was folgt, wenn schaft, kann in Europa nicht die Sonne dreißiger Jahren zeigt, jede wirtschaftliche
die Wirkung nachläßt?
scheinen.
Dynamik zum Stillstand kommen kann.
Wackelgeschäft
Umsatz- und Gewinnanteile deutscher Unternehmen in Asien* 1996 in Prozent, Quelle: Deutsche Morgan Grenfell
24
18
16
15
14
*ohne China
14
und Japan
am Umsatz
3
am Gewinn
64
0
7
d e r
15
s p i e g e l
2 / 1 9 9 8
8
17
AFP / DPA
Siemens-Werbung in Asien: Noch wirkt die Milliardenspritze
Auch das renommierte britische Fachblatt „Euromoney“, die Pflichtlektüre der
globalen Banker-Community, mag sich
nicht in den Kreis der Optimisten einreihen. „Die Welt steht vor ihrer schlimmsten Wirtschaftskrise seit den dreißiger Jahren“, schreibt die Zeitschrift. Für allzuviel
Hoffnung bestehe kein Anlaß, denn: „Nie-
10
2
mand hat eine Lösung für die Probleme.“
Selbst die „Börsenzeitung“, Zentralorgan
der deutschen Kreditwirtschaft, fürchtet,
daß die heftigen Turbulenzen der vergangenen Monate „nichts weiter als ein Prolog“ gewesen sein könnten. Das eigentliche „Drama“ beginne erst noch. Dabei
sah es zuletzt so aus, als hätte sich die Lage
9
3
8
7
8
3
d e r
stabilisiert. Vergangene Woche überwies
der Internationale Währungsfonds (IWF)
vorzeitig zwei Milliarden Dollar nach Südkorea und erhöhte damit die dem Land
gewährten Soforthilfen auf elf Milliarden
Dollar.
Das vom IWF und anderen Institutionen geschnürte Kreditpaket, mit dem die
Zahlungsunfähigkeit des elftgrößten
Industrielandes abgewehrt werden soll,
umfaßt insgesamt fast 60 Milliarden Dollar
– es ist die größte Hilfsaktion aller Zeiten.
Beruhigend wirkten auch die Absichtserklärungen internationaler Großbanken,
die dem Land finanzielle Hilfe zusagten.
Südkoreanische Schuldner haben Verbindlichkeiten von fast 100 Milliarden Dollar,
die kurzfristig fällig werden, aber nicht
zurückgezahlt werden können. Etliche dieser Kredite sollen nun erst einmal verlängert werden.
Bei den deutschen Geldhäusern steht
Südkorea mit rund zehn Milliarden Dollar
im Soll. Am vergangenen Montag trafen
sich Manager des Kreditgewerbes mit dem
Bonner Finanzstaatssekretär Jürgen Stark
und Vertretern der Bundesbank zu einer
Krisensitzung im Haus der Deutschen
Bank. Deren Vorstandsmitglied Josef
Ackermann plädierte für schnelle Hilfe.
Der Banker weiß: „In globalen Kapitalmärkten lassen sich solche Krisen heute
nicht mehr auf eine Region begrenzen.“
Die Kettenreaktion, in deren Verlauf die
lange bejubelten Volkswirtschaften in Fernost wie Dominosteine kippten, begann in
Thailand. Ausländische Investoren entzogen dem Land schlagartig das Vertrauen,
Währungs- und Aktienkurse stürzten ab.
Die tieferen Ursachen für die Panik sind bis
heute ungeklärt.
Wie bei einem Flächenbrand griff die
Krise auf Indonesien, Malaysia und die
Philippinen über. Gewaltige Aktienvermögen wurden entwertet, die nationalen
Währungen sausten nach unten.
Trotz schneller und umfangreicher Hilfszusagen des IWF gelang es nicht, die Turbulenzen zu begrenzen. Die Krise erfaßte
kurze Zeit später auch Südkorea, ein
mächtiges Industrieland, das in den vergangenen Jahren durch Wachstumsraten
von fast acht Prozent glänzte und seit 1996
sogar Mitglied in der exklusiven Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit
und Entwicklung (OECD) ist.
Schnell sind die meisten Experten, von
denen kaum einer die Krise vorhergesehen hat, nun mit Erklärungen bei der
Hand: Die Tigerstaaten müßten den Preis
für ein exzessives Wachstums zahlen. Mit
s p i e g e l
2 / 1 9 9 8
7
5
7
6
65
ausländischem Geld hätten sie Produktionskapazitäten aufgebaut, für deren Ausstoß sich keine Abnehmer fänden.
Verantwortlich dafür sei die verfehlte
Industriepolitik einer überheblichen und
von Ehrgeiz getriebenen Politikerkaste und
ein unterentwickeltes Bankensystem, das
eine überzogene Immobilienspekulation
finanzierte.
Dieselben Experten sind nun – wieder
mal – optimistisch. Die Weltwirtschaft werde weiter kräftig wachsen, Deutschland sei
kaum betroffen, weil der Handel mit den
asiatischen Schwellenländern nur sechs
Prozent der deutschen Ausfuhren ausmache. Nach einer Schätzung des Ifo-Instituts
wird die Krise die deutsche Wirtschaft daher allenfalls ein Viertelprozentpunkt ihres
Wachstums kosten.
Auch die Unternehmen verbreiten Zuversicht für das neue Jahr. Der Chemiekonzern Bayer will Umsatz und Ergebnis
steigern, Autohersteller BMW rechnet mit
„einem weiteren Exportwachstum“, und
der Schwermaschinenkonzern MAN freut
sich auf zunehmende Bestellungen.
Elektronikriese Siemens erwartet ein Gewinnplus deutlich über der Geschäftsausweitung.
Viele Analysten können die frohen Botschaften nur noch schwer nachvollziehen.
Die Gewinnperspektiven der Unternehmen
hätten sich „verschlechtert“, widerspricht
die Deutsche Morgan Grenfell, Investmentbanktochter der Deutschen Bank.
REUTERS
Wirtschaft
Devisenhändler in Tokio: Die asiatischen Währungen sausten nach unten
Die Experten rechnen damit, daß der
Export deutscher Autofirmen nach Asien
beeinträchtigt wird und die heimischen Zulieferunternehmen verstärkt unter internationalen Preisdruck geraten. Im Chemiebereich, so die Bank-Studie, werde es
zu einem „deutlichen Margenrückgang bei
den europäischen Herstellern“ von Basisprodukten kommen.
Verdüstert haben sich auch die Aussichten für die Hersteller von Standardprodukten der Elektronik wie Speicherchips
und Handys, denen heftige Preiskämpfe
bevorstünden.
Im Anlagenbau, so die Banker, werde
insbesondere Siemens unter Druck geraten. Bei dem Münchener Konzern und seinen Zulieferern hängen alles in allem
40 000 Arbeitsplätze vom Asiengeschäft ab.
Im Detail haben die Analysten die Abhängigkeit der Großkonzerne vom Geschäft mit den Tigerstaaten untersucht (siehe Grafik Seite 64). Das Ergebnis: Ohne
neue Aufträge dürfte so manches Unternehmen in Schwierigkeiten geraten.
Die Chemieriesen Bayer, BASF und
Hoechst machen 10 bis 16 Prozent ihrer
Geschäfte in Fernost, Japan und China nicht mitgerechnet. Stark en-
Die Fehlprognosen
der Ökonomen
Wie Fachleute die Wirtschaftsentwicklung
Südostasiens vorhersagten
OECD: „World Economic Outlook“, Mai 1997:
John Naisbitt, Autor von „Megatrends Asien“:
„In Korea hat die Verlangsamung des Wachstums auf
sieben Prozent das Risiko einer Überhitzung verringert.
Die kurzfristigen Wachstumserwartungen erscheinen
günstig.“
„Teile des Westens starren gebannt auf Südostasien,
manche nutzen bereits diese dynamische Schubkraft,
die durchaus mit der industriellen Revolution des 19.
Jahrhunderts vergleichbar ist… Kein Stein wird auf
dem anderen bleiben.“
Pacific Asset Management, Frühjahr 1997:
„Thailand ist unter den Fernostmärkten das attraktivste
Anlageziel für internationales Kapital.“
„Far Eastern Economic Review“, 19. Juni 1997:
„Die Volkswirtschaften der Region übertreffen den Rest
der Welt, und es sieht so aus, als ginge dies in absehbarer
Zukunft so weiter.“
Asiatische Entwicklungsbank (ADB),
„Asian Development Outlook 1996 and 1997“:
„Alle bisherigen empirischen Untersuchungen deuten
darauf hin, daß sich die positiven Wechselwirkungen
von Offenheit der Volkswirtschaften und Wachstumsbeschleunigung in der Region nicht verschlechtern.“
„Forbes“, 24. Februar 1997:
Vereinte Nationen:
„Economic and Social Survey of Asia and the Pacific 1997“:
„Die verfügbaren Projektionen zeigen ein gesundes
Wachstum für diese Länder bis ins 21. Jahrhundert
hinein.“
66
d e r
„Mehr Reichtum wird im pazifischen Raum im nächsten
Jahrzehnt geschaffen werden als an irgendeinem anderen Ort, zu irgendeiner anderen Zeit in der Geschichte.
Für Investoren und Unternehmer bietet Ostasien eine
herausragende Chance.“
s p i e g e l
2 / 1 9 9 8
D. GROSHONG / SYGMA
US-Spekulant Soros: „Wir stehen am Rande einer weltweiten Deflation“
andere Länder.“ Und fügt hinzu: „Aber
das sind unsere Haupthandelspartner.“
Alle Ökonomen rechnen derzeit damit,
daß die betroffenen Länder auf die Abwertungen ihrer Währungen mit einer Exportoffensive reagieren. Um aus der Krise
zu kommen, ihre Schulden zu begleichen
und dringend benötigte Dollardevisen einzufahren, werden asiatische Firmen ihre
Waren wahrscheinlich zu Billigpreisen auf
den Weltmärkten anbieten.
Im November stiegen die Verkäufe des
koreanischen Autoherstellers Kia in den
USA um 74 Prozent. Händler verscherbeln
den Kia-Sephia inzwischen für 8000 Dollar.
REUTERS
gagiert sind zudem Maschinen- und Anlagenbauer wie GEA, Gildemeister und
Deutsche Babcock.
Besonders betroffen von der Asienkrise
ist womöglich die bayerische Firma Krones,
Weltmarktführer bei Getränkeabfüllanlagen. Das Unternehmen erwirtschaftete
1996 ein Viertel seines Umsatzes in den Tigerstaaten. Schwieriger wird es vor allem
für die deutschen Maschinenbauer werden, die auf die asiatischen Märkte große
Hoffnungen gesetzt haben. „Manche Firma
wird kräftige Blessuren davontragen“, sagt
Alexander Batschari vom Verband Deutscher Maschinen- und Anlagenbau. Für
dieses Jahr erwartet der Branchensprecher
eine „Durststrecke“, dann aber werde es
wieder bergauf gehen.
„Nahezu alle Länder der Region haben
Groß- und Infrastrukturprojekte storniert
oder zunächst ganz aufgegeben“, sagt Jörg
Möller, Außenhandelsexperte bei der
Dresdner Bank. Er prognostiziert einen
„massiven Rückgang der Investitionstätigkeit“. Fatal für Firmen wie den Baukonzern Bilfinger + Berger, der bisher mindestens ein Viertel seines Umsatzes im asiatisch-pazifischen Raum erwirtschaftet hat.
Unternehmen, deren Geschäftspläne auf
stürmischem Wachstum in der Region basieren, müssen diese in den kommenden
Monaten womöglich revidieren. BMW
spürt bereits seit Oktober eine Zurückhaltung der Kundschaft, die Verkäufe hätten
deutlich abgenommen. Die Lufthansa registrierte im November auf den Asien-Pazifik-Strecken erstmals rückläufige Passagierzahlen.
„Wenn ein wesentlicher Wachstumsmotor der Weltwirtschaft stottert“, sagt auch
Dresdner-Bank-Vorstand Ernst-Moritz
Lipp, „kann unser Export nicht auf Hochtouren laufen.“
Schwer abzuschätzen sind die indirekten
Auswirkungen der Asienkrise. Das Beruhigende ist oft zugleich das Alarmierende:
Zu Recht sagt Michael Fuchs, Präsident des
Bundesverbands des Deutschen Groß- und
Außenhandel: „Schlimmer als uns trifft es
Als erster Konzern warnte im Dezember die kalifornische Computerfirma
Oracle, mit ihren Geschäften werde es auf
absehbare Zeit langsamer vorangehen.
Kurz darauf verkündete Nike, daß die Konzerngewinne wegen des rückläufigen Turnschuhabsatzes in Asien sinken würden.
Für Boeing, den größten US-Exporteur,
war die Krisenregion bislang der größte
Wachstumsmarkt, auf den schätzungsweise ein Drittel aller Bestellungen entfiel.
Jetzt parken am Rande einer Rollbahn in
Seattle drei nagelneue 737er, weil die indonesische Flugline Garuda den Kaufpreis
nach dem Verfall der Landeswährung nicht
zahlen kann.
Im kalifornischen Orange County, das
wie kein anderer Landstrich in Amerika
von Exporten nach Asien abhängig ist, registrieren Firmen 20 bis 40 Prozent weniger Verkäufe nach Japan, Südkorea, Indonesien oder Malaysia – Tausende von Jobs
sind in Gefahr.
Investoren wie Manager der großen USFondsgesellschaften sind in Alarmbereitschaft. Mark Holowesko, Manager des Anlageriesen Templeton, rechnet als Folge der
Asienkrise mit einem Kurssturz von bis zu
30 Prozent an der Wall Street: „Das Risiko, in Amerika zu investieren, ist derzeit
genausogroß wie in Asien.“
Clevere Standort-Experten in Deutschland wollen sich ihren Optimismus allerdings nicht zerreden lassen. Vor allem Hans
Peter Stihl, Präsident des Deutschen Indu-
VW-Präsentation auf der Auto Show in Tokio: „Ein Wachstumsmotor stottert“
Die gesamte US-Wirtschaft kalkuliert
derzeit ihre Geschäftszahlen für 1998 neu.
Vor allem die Multis, mit ihren Fabriken
in der Krisenregion, sind anfällig für den
Asienvirus. „Ein großer Teil der Gewinne von US-Multis wie Coca-Cola oder
Procter & Gamble kommt aus Asien“, sagt
der Hongkonger Investmentbanker Marc
Faber.
d e r
s p i e g e l
2 / 1 9 9 8
strie- und Handelstages, hat in all der Düsternis ein Licht erblickt.
Weil nun auch die Asiaten mit Arbeitslosigkeit, Staatsverschuldung und Steuererhöhungen konfrontiert seien, stünden die
Deutschen – so Stihl – im Standort-Wettstreit plötzlich wieder besser da: „Deutschland wird wieder einen Sprung nach vorn
machen.“
™
67
Herunterladen