Wirtschaft W E LT W I R T S C H A F T ... wenn der Taifun tobt Der Krisenherd Asien glüht weiter: Hektisch kämpfen der Währungsfonds und die Banken gegen eine Ausbreitung der Wirtschaftskrise. Immer mehr Ökonomen prophezeien Düsteres: Auch in Deutschland stehen dieses Jahr womöglich Gewinneinbußen und neue Entlassungen bevor. F VARIO-PRESS ür das neue Jahr haben Immer mehr Ökonomen sich Verbandspräsidenstellten in den vergangenen ten, Politiker und einige Tagen Fragen, auf die niemand Konjunkturforscher erkennbar heute eine Antwort weiß: Wie Optimismus verordnet. etwa sollen die Asiaten, deren „Wir haben ein gutes Jahr Währungen stark an Wert vervor uns“, behauptet Michael loren haben, die erteilten Rogowski, Präsident des VerAufträge im Westen bezahlen? bandes Deutscher MaschinenWas passiert, wenn die Länder und Anlagenbau. Der Außenmit ihren nun noch billigehandel werde sich „fortgesetzt ren Produkten – Autos, Schifdynamisch“ entwickeln, glaubt fen, Computern – im ganz Wirtschaftsminister Günter großen Stil die Welt überRexrodt. Und auch das Münchschwemmen? ner Ifo-Institut sieht Anlaß für Auch die sozialen Folgen kollektiven Frohsinn: „Die sind unübersehbar: Sind Entlassungswelle ist beendet.“ die strengen Auflagen des Die schönen Prognosen sind Währungsfonds, wie etwa die wahrscheinlich schon bald ein Möglichkeit, koreanische FirFall für den Altpapiercontaimen an Ausländer zu verkauner. Denn die Weltwirtschaft, fen, für die selbstbewußten von deren Entwicklung die Asiaten überhaupt akzeptaDeutschen abhängig sind wie bel? Wie werden Arbeiter und kaum ein anderes Volk, läuft Angestellte, die nun mit Arnicht mehr rund. beitslosigkeit und Armut konEine schwere Währungsfrontiert sind, auf die ökonound Wirtschaftskrise hat – für mische Krise reagieren? die Mehrheit der Experten Das Ausmaß der Turbulenüberraschend – große Teile zen in Fernost habe seine Asiens erfaßt. Der Krisenherd schlimmsten Befürchtungen glüht, trotz aller Milliardenhilübertroffen, bekennt US-Spefen des Weltwährungsfonds kulant George Soros. „Was als und der internationalen Bankleines Ungleichgewicht beken. Springt der Funke über gann, wurde ein sehr viel auf Amerika und Europa, steht größeres, das mittlerweile auch der Welt eine Wirtschaftskrise den internationalen Handel bevor – mit Firmenpleiten, bedroht.“ Soros ist sicher: Börsencrash und neuen Mas- Osram-Glühlampenproduktion in Japan: Springt der Funke über? „Wir stehen am Rande einer senentlassungen. weltweiten Deflation.“ Noch sind die Beschwichtiger in BanDie Zweifel an der Beherrschbarkeit Der Begriff bezeichnet eine gefährliche ken und Wirtschaftsinstituten in der Mehr- der globalen Wirtschaftsmaschine wach- Abwärtsspirale von Preisen, Löhnen und zahl. Aber wie lange noch? Noch wirkt die sen. Wenn in Asien der Taifun tobt, so Gewinnen, an deren Ende, wie das BeiMilliardenspritze für den Kollapspatienten die Logik einer verflochtenen Weltwirt- spiel der Weltwirtschaftskrise in den Asien beruhigend. Aber was folgt, wenn schaft, kann in Europa nicht die Sonne dreißiger Jahren zeigt, jede wirtschaftliche die Wirkung nachläßt? scheinen. Dynamik zum Stillstand kommen kann. Wackelgeschäft Umsatz- und Gewinnanteile deutscher Unternehmen in Asien* 1996 in Prozent, Quelle: Deutsche Morgan Grenfell 24 18 16 15 14 *ohne China 14 und Japan am Umsatz 3 am Gewinn 64 0 7 d e r 15 s p i e g e l 2 / 1 9 9 8 8 17 AFP / DPA Siemens-Werbung in Asien: Noch wirkt die Milliardenspritze Auch das renommierte britische Fachblatt „Euromoney“, die Pflichtlektüre der globalen Banker-Community, mag sich nicht in den Kreis der Optimisten einreihen. „Die Welt steht vor ihrer schlimmsten Wirtschaftskrise seit den dreißiger Jahren“, schreibt die Zeitschrift. Für allzuviel Hoffnung bestehe kein Anlaß, denn: „Nie- 10 2 mand hat eine Lösung für die Probleme.“ Selbst die „Börsenzeitung“, Zentralorgan der deutschen Kreditwirtschaft, fürchtet, daß die heftigen Turbulenzen der vergangenen Monate „nichts weiter als ein Prolog“ gewesen sein könnten. Das eigentliche „Drama“ beginne erst noch. Dabei sah es zuletzt so aus, als hätte sich die Lage 9 3 8 7 8 3 d e r stabilisiert. Vergangene Woche überwies der Internationale Währungsfonds (IWF) vorzeitig zwei Milliarden Dollar nach Südkorea und erhöhte damit die dem Land gewährten Soforthilfen auf elf Milliarden Dollar. Das vom IWF und anderen Institutionen geschnürte Kreditpaket, mit dem die Zahlungsunfähigkeit des elftgrößten Industrielandes abgewehrt werden soll, umfaßt insgesamt fast 60 Milliarden Dollar – es ist die größte Hilfsaktion aller Zeiten. Beruhigend wirkten auch die Absichtserklärungen internationaler Großbanken, die dem Land finanzielle Hilfe zusagten. Südkoreanische Schuldner haben Verbindlichkeiten von fast 100 Milliarden Dollar, die kurzfristig fällig werden, aber nicht zurückgezahlt werden können. Etliche dieser Kredite sollen nun erst einmal verlängert werden. Bei den deutschen Geldhäusern steht Südkorea mit rund zehn Milliarden Dollar im Soll. Am vergangenen Montag trafen sich Manager des Kreditgewerbes mit dem Bonner Finanzstaatssekretär Jürgen Stark und Vertretern der Bundesbank zu einer Krisensitzung im Haus der Deutschen Bank. Deren Vorstandsmitglied Josef Ackermann plädierte für schnelle Hilfe. Der Banker weiß: „In globalen Kapitalmärkten lassen sich solche Krisen heute nicht mehr auf eine Region begrenzen.“ Die Kettenreaktion, in deren Verlauf die lange bejubelten Volkswirtschaften in Fernost wie Dominosteine kippten, begann in Thailand. Ausländische Investoren entzogen dem Land schlagartig das Vertrauen, Währungs- und Aktienkurse stürzten ab. Die tieferen Ursachen für die Panik sind bis heute ungeklärt. Wie bei einem Flächenbrand griff die Krise auf Indonesien, Malaysia und die Philippinen über. Gewaltige Aktienvermögen wurden entwertet, die nationalen Währungen sausten nach unten. Trotz schneller und umfangreicher Hilfszusagen des IWF gelang es nicht, die Turbulenzen zu begrenzen. Die Krise erfaßte kurze Zeit später auch Südkorea, ein mächtiges Industrieland, das in den vergangenen Jahren durch Wachstumsraten von fast acht Prozent glänzte und seit 1996 sogar Mitglied in der exklusiven Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) ist. Schnell sind die meisten Experten, von denen kaum einer die Krise vorhergesehen hat, nun mit Erklärungen bei der Hand: Die Tigerstaaten müßten den Preis für ein exzessives Wachstums zahlen. Mit s p i e g e l 2 / 1 9 9 8 7 5 7 6 65 ausländischem Geld hätten sie Produktionskapazitäten aufgebaut, für deren Ausstoß sich keine Abnehmer fänden. Verantwortlich dafür sei die verfehlte Industriepolitik einer überheblichen und von Ehrgeiz getriebenen Politikerkaste und ein unterentwickeltes Bankensystem, das eine überzogene Immobilienspekulation finanzierte. Dieselben Experten sind nun – wieder mal – optimistisch. Die Weltwirtschaft werde weiter kräftig wachsen, Deutschland sei kaum betroffen, weil der Handel mit den asiatischen Schwellenländern nur sechs Prozent der deutschen Ausfuhren ausmache. Nach einer Schätzung des Ifo-Instituts wird die Krise die deutsche Wirtschaft daher allenfalls ein Viertelprozentpunkt ihres Wachstums kosten. Auch die Unternehmen verbreiten Zuversicht für das neue Jahr. Der Chemiekonzern Bayer will Umsatz und Ergebnis steigern, Autohersteller BMW rechnet mit „einem weiteren Exportwachstum“, und der Schwermaschinenkonzern MAN freut sich auf zunehmende Bestellungen. Elektronikriese Siemens erwartet ein Gewinnplus deutlich über der Geschäftsausweitung. Viele Analysten können die frohen Botschaften nur noch schwer nachvollziehen. Die Gewinnperspektiven der Unternehmen hätten sich „verschlechtert“, widerspricht die Deutsche Morgan Grenfell, Investmentbanktochter der Deutschen Bank. REUTERS Wirtschaft Devisenhändler in Tokio: Die asiatischen Währungen sausten nach unten Die Experten rechnen damit, daß der Export deutscher Autofirmen nach Asien beeinträchtigt wird und die heimischen Zulieferunternehmen verstärkt unter internationalen Preisdruck geraten. Im Chemiebereich, so die Bank-Studie, werde es zu einem „deutlichen Margenrückgang bei den europäischen Herstellern“ von Basisprodukten kommen. Verdüstert haben sich auch die Aussichten für die Hersteller von Standardprodukten der Elektronik wie Speicherchips und Handys, denen heftige Preiskämpfe bevorstünden. Im Anlagenbau, so die Banker, werde insbesondere Siemens unter Druck geraten. Bei dem Münchener Konzern und seinen Zulieferern hängen alles in allem 40 000 Arbeitsplätze vom Asiengeschäft ab. Im Detail haben die Analysten die Abhängigkeit der Großkonzerne vom Geschäft mit den Tigerstaaten untersucht (siehe Grafik Seite 64). Das Ergebnis: Ohne neue Aufträge dürfte so manches Unternehmen in Schwierigkeiten geraten. Die Chemieriesen Bayer, BASF und Hoechst machen 10 bis 16 Prozent ihrer Geschäfte in Fernost, Japan und China nicht mitgerechnet. Stark en- Die Fehlprognosen der Ökonomen Wie Fachleute die Wirtschaftsentwicklung Südostasiens vorhersagten OECD: „World Economic Outlook“, Mai 1997: John Naisbitt, Autor von „Megatrends Asien“: „In Korea hat die Verlangsamung des Wachstums auf sieben Prozent das Risiko einer Überhitzung verringert. Die kurzfristigen Wachstumserwartungen erscheinen günstig.“ „Teile des Westens starren gebannt auf Südostasien, manche nutzen bereits diese dynamische Schubkraft, die durchaus mit der industriellen Revolution des 19. Jahrhunderts vergleichbar ist… Kein Stein wird auf dem anderen bleiben.“ Pacific Asset Management, Frühjahr 1997: „Thailand ist unter den Fernostmärkten das attraktivste Anlageziel für internationales Kapital.“ „Far Eastern Economic Review“, 19. Juni 1997: „Die Volkswirtschaften der Region übertreffen den Rest der Welt, und es sieht so aus, als ginge dies in absehbarer Zukunft so weiter.“ Asiatische Entwicklungsbank (ADB), „Asian Development Outlook 1996 and 1997“: „Alle bisherigen empirischen Untersuchungen deuten darauf hin, daß sich die positiven Wechselwirkungen von Offenheit der Volkswirtschaften und Wachstumsbeschleunigung in der Region nicht verschlechtern.“ „Forbes“, 24. Februar 1997: Vereinte Nationen: „Economic and Social Survey of Asia and the Pacific 1997“: „Die verfügbaren Projektionen zeigen ein gesundes Wachstum für diese Länder bis ins 21. Jahrhundert hinein.“ 66 d e r „Mehr Reichtum wird im pazifischen Raum im nächsten Jahrzehnt geschaffen werden als an irgendeinem anderen Ort, zu irgendeiner anderen Zeit in der Geschichte. Für Investoren und Unternehmer bietet Ostasien eine herausragende Chance.“ s p i e g e l 2 / 1 9 9 8 D. GROSHONG / SYGMA US-Spekulant Soros: „Wir stehen am Rande einer weltweiten Deflation“ andere Länder.“ Und fügt hinzu: „Aber das sind unsere Haupthandelspartner.“ Alle Ökonomen rechnen derzeit damit, daß die betroffenen Länder auf die Abwertungen ihrer Währungen mit einer Exportoffensive reagieren. Um aus der Krise zu kommen, ihre Schulden zu begleichen und dringend benötigte Dollardevisen einzufahren, werden asiatische Firmen ihre Waren wahrscheinlich zu Billigpreisen auf den Weltmärkten anbieten. Im November stiegen die Verkäufe des koreanischen Autoherstellers Kia in den USA um 74 Prozent. Händler verscherbeln den Kia-Sephia inzwischen für 8000 Dollar. REUTERS gagiert sind zudem Maschinen- und Anlagenbauer wie GEA, Gildemeister und Deutsche Babcock. Besonders betroffen von der Asienkrise ist womöglich die bayerische Firma Krones, Weltmarktführer bei Getränkeabfüllanlagen. Das Unternehmen erwirtschaftete 1996 ein Viertel seines Umsatzes in den Tigerstaaten. Schwieriger wird es vor allem für die deutschen Maschinenbauer werden, die auf die asiatischen Märkte große Hoffnungen gesetzt haben. „Manche Firma wird kräftige Blessuren davontragen“, sagt Alexander Batschari vom Verband Deutscher Maschinen- und Anlagenbau. Für dieses Jahr erwartet der Branchensprecher eine „Durststrecke“, dann aber werde es wieder bergauf gehen. „Nahezu alle Länder der Region haben Groß- und Infrastrukturprojekte storniert oder zunächst ganz aufgegeben“, sagt Jörg Möller, Außenhandelsexperte bei der Dresdner Bank. Er prognostiziert einen „massiven Rückgang der Investitionstätigkeit“. Fatal für Firmen wie den Baukonzern Bilfinger + Berger, der bisher mindestens ein Viertel seines Umsatzes im asiatisch-pazifischen Raum erwirtschaftet hat. Unternehmen, deren Geschäftspläne auf stürmischem Wachstum in der Region basieren, müssen diese in den kommenden Monaten womöglich revidieren. BMW spürt bereits seit Oktober eine Zurückhaltung der Kundschaft, die Verkäufe hätten deutlich abgenommen. Die Lufthansa registrierte im November auf den Asien-Pazifik-Strecken erstmals rückläufige Passagierzahlen. „Wenn ein wesentlicher Wachstumsmotor der Weltwirtschaft stottert“, sagt auch Dresdner-Bank-Vorstand Ernst-Moritz Lipp, „kann unser Export nicht auf Hochtouren laufen.“ Schwer abzuschätzen sind die indirekten Auswirkungen der Asienkrise. Das Beruhigende ist oft zugleich das Alarmierende: Zu Recht sagt Michael Fuchs, Präsident des Bundesverbands des Deutschen Groß- und Außenhandel: „Schlimmer als uns trifft es Als erster Konzern warnte im Dezember die kalifornische Computerfirma Oracle, mit ihren Geschäften werde es auf absehbare Zeit langsamer vorangehen. Kurz darauf verkündete Nike, daß die Konzerngewinne wegen des rückläufigen Turnschuhabsatzes in Asien sinken würden. Für Boeing, den größten US-Exporteur, war die Krisenregion bislang der größte Wachstumsmarkt, auf den schätzungsweise ein Drittel aller Bestellungen entfiel. Jetzt parken am Rande einer Rollbahn in Seattle drei nagelneue 737er, weil die indonesische Flugline Garuda den Kaufpreis nach dem Verfall der Landeswährung nicht zahlen kann. Im kalifornischen Orange County, das wie kein anderer Landstrich in Amerika von Exporten nach Asien abhängig ist, registrieren Firmen 20 bis 40 Prozent weniger Verkäufe nach Japan, Südkorea, Indonesien oder Malaysia – Tausende von Jobs sind in Gefahr. Investoren wie Manager der großen USFondsgesellschaften sind in Alarmbereitschaft. Mark Holowesko, Manager des Anlageriesen Templeton, rechnet als Folge der Asienkrise mit einem Kurssturz von bis zu 30 Prozent an der Wall Street: „Das Risiko, in Amerika zu investieren, ist derzeit genausogroß wie in Asien.“ Clevere Standort-Experten in Deutschland wollen sich ihren Optimismus allerdings nicht zerreden lassen. Vor allem Hans Peter Stihl, Präsident des Deutschen Indu- VW-Präsentation auf der Auto Show in Tokio: „Ein Wachstumsmotor stottert“ Die gesamte US-Wirtschaft kalkuliert derzeit ihre Geschäftszahlen für 1998 neu. Vor allem die Multis, mit ihren Fabriken in der Krisenregion, sind anfällig für den Asienvirus. „Ein großer Teil der Gewinne von US-Multis wie Coca-Cola oder Procter & Gamble kommt aus Asien“, sagt der Hongkonger Investmentbanker Marc Faber. d e r s p i e g e l 2 / 1 9 9 8 strie- und Handelstages, hat in all der Düsternis ein Licht erblickt. Weil nun auch die Asiaten mit Arbeitslosigkeit, Staatsverschuldung und Steuererhöhungen konfrontiert seien, stünden die Deutschen – so Stihl – im Standort-Wettstreit plötzlich wieder besser da: „Deutschland wird wieder einen Sprung nach vorn machen.“ ™ 67