Samstag, 30. April 2016 Schnell wachsende Müllhalde im All gefährdet Satelliten Problem Weltraumschrott: Mindestens 100 000 größere Objekte umkreisen die Erde – Unumkehrbare Kettenreaktion hat begonnen Von Alexei Makartsev ● RAVENSBURG - Nur 5000 Menschen leben auf der sibirischen Halbinsel Tajmyr; es ist eher unwahrscheinlich, dass einer von ihnen am 10. Februar 2009 über seinem Kopf ein Aufleuchten sah, das die Menschheit teuer zu stehen kommen könnte. In 788 Kilometer Höhe prallte der Militärsatellit „Kosmos 2251“ mit dem Kommunikationssatelliten „Iridium 233“ zusammen, zwei Objekte mit einer Gesamtmasse von 1,4 Tonnen, die einander mit der Geschwindigkeit von elf Kilometer pro Sekunde trafen. Die Explosionsenergie war wohl mit der von zehn Tonnen TNTSprengstoff vergleichbar. Bei diesem kosmischen Feuerwerk entstanden rund 2000 Trümmerstücke von fünf bis zehn Zentimetern im Durchmesser und etwa 100 000 weitere, winzige Splitter. Sollte nur einer von ihnen jemals einen funktionierenden Satelliten in der Erdumlaufbahn treffen, es wäre ziemlich sicher dessen Ende. Die Wissenschaftler hatten im Februar 2009 falsch vorausberechnet, dass sich die zwei Satelliten um 584 Meter verfehlen würden. Doch selbst bei den heute wesentlich genaueren und frühzeitigeren Vorhersagen bleibt es eine extrem schwierige Aufgabe, die Flugkörper im Orbit vor den umherfliegenden, leeren Raketenstufen, Sonden-Teilen, Schutzkappen, abgeplatzten Lackresten Künstlerimpression eines explodierenden Satelliten im Orbit. FOTO: ESA und anderen Partikeln zu schützen, mit denen die Menschheit seit dem Sputnik-Start 1957 das erdnahe Weltall zugemüllt hat. Unsere Zivilisation ist im 21. Jahrhundert auf die vielen verschiedenen Funktionen von Satelliten angewiesen. Navigation, Klimabeobachtung, globale Telekommunikation, Digitalfernsehen, elektronische Aufklärung, Wetterprognosen und Weltraumforschung – all dies wäre ohne die nützlichen Helfer im Kosmos undenkbar. Es gibt allerdings eine zeitlich noch weit entfernte, aber durchaus reale Gefahr, dass die Menschen auf die Satelliten werden verzichten müssen. Oder aber, dass sich deren Betrieb in Zukunft extrem verteuert. 2013 füllte der Thriller „Gravity“ weltweit die Kinosäle. Der Blockbuster zeigt die fiktiven Folgen eines realen Szenarios, das 1978 der NasaWissenschaftler Don Kessler entworfen hat. Laut dem „Kessler-Syndrom“ erzeugen Kollisionen wie die von „Kosmos“ und „Iridium“ Trümmer, die ihrerseits neue Kollisionen verursachen, wodurch mehr Müll entsteht und so weiter. Im Film führt die Zerstörung eines russischen Satelliten in einer Kettenreaktion zur Entstehung eines großen Trümmerfeldes, das einen Spaceshuttle und die Internationale Raumstation ISS schwer beschädigt – mit teilweise fatalen Folgen für die Raumfahrer. Lawine im Weltraum Holger Krag, Leiter des Büros für Raumfahrtrückstände bei der Europäischen Weltraumagentur (Esa), vergleicht dieses Szenario mit einer Lawine im All. „Kessler“ habe bereits eingesetzt, warnt der Experte. „Momentan haben wir statistisch gesehen alle fünf Jahre eine Kollision. Wenn es so weitergeht, gibt es in 100 Jahren jedes Jahr eine Kollision. Das ist ein sehr langsamer Prozess, aber das Problem bei Kettenreaktionen ist, dass sie kaum zu stoppen sind.“ Krag schätzt, dass heute 750 000 Objekte größer als einen Laser gegen Trümmer Das akute Problem Weltraumschrott in der Erdumlaufbahn, von einem Künstler visualisiert. Zentimeter die Erde umrunden und 150 Millionen Teilchen von einem Millimeter und größer. Jeden Tag werden es mehr. Durch ihr Netz aus Sensoren (SSN, Space Surveillance Network) kann die US-Raumfahrtbehörde Nasa lediglich etwa 25 000 größere Objekte in verschiedenen Bahnhöhen verfolgen, allerdings mit erstaunlich hoher Präzision. Anhand von täglich mehreren Tausend Messungen von Flugbahnen ist das US-Militär imstande, bis zu einer Woche im Voraus eine mögliche Kollision mit Satelliten vorherzusagen, worüber deren Betreiber gewarnt werden. Sie können dann etwa durch eine kurzzeitige Triebwerkszündung den gefährdeten Sa- telliten auf eine höhere Umlaufbahn befördern. Im Darmstädter Esa-Kontrollzentrum müssen Holger Krag und seine Kollegen auf diese Weise pro Satellit ein- bis zweimal im Jahr eingreifen. Jedes Manöver dieser Art verbrauche aber die ohnehin knappen Treibstoffreserven und verkürze die Funktionsdauer der Satelliten, erklärt der Experte. „Das Problem des Weltraummülls ist quasi unumkehrbar“, sagt Krag. „Aber wir müssen etwas tun, damit es sich für die nächsten Generationen nicht zu sehr verschlimmert.“ Der Fachmann sieht die beste Lösung darin, den verbleibenden Treibstoff dazu zu verwenden, um die ausgedienten Satelliten auf tiefere Or- FOTO: ESA bits (600 Kilometer) zu schieben. Dort würden sie durch die Bremswirkung der Atmosphäre binnen 25 Jahren verglühen. Danach sollte man durch Ablassen des Überdrucks die Explosionen von Satelliten am Ende ihrer Betriebszeit verringern. Erst nachdem diese einfacheren und billigeren Maßnahmen ergriffen werden, mache das sogenannte „aktive Entfernen“ Sinn, sagt Krag. So nennen die Wissenschaftler das Aufräumen im All mit „Putzmaschinen“, die große Trümmer mit einem Roboterarm oder einem ausgeworfenen Netz fassen können, ehe diese in tiefere Bahnen abgeschleppt werden. Bei der Esa arbeitet man bereits an solchen Technologien. Das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) arbeitet derzeit an Konzepten für extrem leistungsfähige Laser, mit deren Hilfe die Umlaufbahn von Weltraumschrott von der Erde aus gezielt beeinflusst werden könnte, um beispielsweise eine Kollision mit Satelliten zu vermeiden. Die Technologie sieht vor, durch intensive Laserbestrahlung der Trümmer kurzzeitig eine große Energiedichte zu erzeugen. „An der Oberfläche des Teilchens wird dadurch etwas Material verdampft, es entsteht ein Plasma. Dieses verursacht einen Impuls, der die Geschwindigkeit des Objektes verlangsamt. Dadurch sinkt das Teilchen in eine tiefere Umlaufbahn und verglüht schließlich in der Erdatmosphäre“, erklärt Wolfgang Riede vom DLR-Institut für Technische Physik in Stuttgart. Riede schätzt die Kosten einer möglichen Station mit dieser Lasertechnologie im „dreistelligen Millionenbereich“. Die nötige Finanzierung vorausgesetzt, könnte dieses Verfahren etwa binnen zehn Jahren entwickelt werden. Alle Länder müssten heute bei der Lösung des akuten Problems Weltraumschrott aktiv mitziehen, fordert der Experte. In den letzten Monaten konnten die Stuttgarter DLR-Forscher bereits erfolgreich eine lasergestützte Methode zur Ortung von Weltraumschrott als ersten Schritt zur Vermeidung von Zusammenstößen demonstrieren. Denn die Zeit laufe davon. „Jede neue Kollision im All verursacht unzählige weitere Schrottteilchen und verschlechtert so die Bedingungen für alle“, sagt Wolfgang Riede. (alm) Der Sternenhimmel im Mai Der Blick durchs Teleskop bietet diesen Monat das seltene Himmelsschauspiel eines Merkurdurchgangs er Sternhimmel im Mai. Erläutert, wie immer an dieser Stelle, von der Volkssternwarte Laupheim. D ● Die Sonne Die Auf- und Untergangszeiten, angegeben – wie alle anderen Zeiten in diesem Artikel – in mitteleuropäischer Sommerzeit (MESZ): 1. Mai: 5.56 Uhr, 20.39 Uhr; 10. Mai: 5.41 Uhr, 20.53 Uhr; 20. Mai: 5.27 Uhr, 21.07 Uhr; 31. Mai: 5.16 Uhr, 21.20 Uhr. ● Der Mond Unser Erdbegleiter beginnt den Monat zunächst als abnehmende Sichel im Sternbild „Steinbock“. Diese wird immer schmaler und verschwindet schließlich in der Neumondnacht des 6. vom Firmament. Sie kehrt jedoch in den folgenden Tagen rasch an den abendlichen Westhorizont zurück – mit gespiegelter Krümmung, die aber stets auf die Sonne zeigt. Die Mondsichel wandelt sich zum 13. in den zunehmenden Halbmond (Phase des ersten Viertels) und streift dabei durch den „Krebs“. Am 21. hat sich der Erdtrabant zum Vollmond gerundet und ist inzwischen in die „Waage“ weitergewandert. Seine Leuchtkraft läßt danach wieder nach. Am 29. steht der abnehmende Halbmond (Phase des letzten Viertels) im „Wassermann“. ● Die Planeten Der sonnennächste Planet Merkur ist dafür bekannt, daß er schwierig mit bloßem Auge aufzuspüren ist. So auch in diesem Monat, in dem er sich nicht aus dem Glanz der Sonne lösen kann. Am 9. Mai bietet sich im Teleskop allerdings das seltene Himmelsschauspiel eines Merkurdurchgangs, bei dem Merkur als kleiner Punkt direkt vor der Sonne vorbeizieht. Eile ist bei diesem Spektakel nicht geboten, es erstreckt sich über mehrere Stunden: Merkur wird gegen 13.12 Uhr am linken Sonnenrand (etwa auf Neun-Uhr-Position) seinen Durchgang beginnen, etwa gegen 16.57 Uhr die Mitte seines Weges vor der Sonne erreicht haben und ge- gen 20.42 Uhr wieder am rechten Sonnenrand (etwa auf Fünf-Uhr-Position) heraustreten. Achtung: Vor einer unvorsichtigen Beobachtung eines Merkurtransits mit einem Teleskop oder Fernglas sei ausdrücklich gewarnt! Niemals dürfen diese Geräte ohne fachmännischen Sonnenfilter direkt in die Sonne gerichtet werden! Der sofortige Verlust des Augenlichts wäre die Folge. Der nächste von Deutschland aus zu sehende Merkurtransit findet übrigens am 11. November 2019 statt. 5.29 Uhr unter, am Monatsende bereits um 4.41 Uhr. Der Riesenplanet Jupiter kommt in der Nacht auf dem 10. Mai im „Löwen“ zum Stillstand, setzt aber in den folgenden Tagen dort seine Bewegung wieder fort. In dieser Sternenregion ist er als hellstes Nachtobjekt nach dem Mond leicht aufzuspüren, überstrahlt er damit doch auch sämtliche Sterne am Nachthimmel. Der giganti- sche Gasplanet mit elffachem Erddurchmesser verabschiedet sich in der zweiten Nachthälfte vom Firmament, am 1. um 4.24 Uhr, am 31. bereits um 2.27 Uhr. Der Saturn durchwandert fast doppelt so weit von der Erde entfernt wie der Jupiter, in etwa 1,3 Milliarden km Entfernung, am Sternhimmel das Gebiet des „Schlangenträgers“. Der mit neun Erddurchmessern zweitgrößte Planet im Sonnensystem steigt am Die Venus, der Nachbarplanet der Erde im inneren Sonnensystem, ist auf ihrem Weg hinter die Sonne und ist nicht zu beobachten. Der Mars, der Nachbarplanet der Erde im äußeren Sonnensystem, hält sich unübersehbar im „Skorpion“ auf. Er bietet in diesem Monat die beste Beobachtungsmöglichkeit des ganzen Jahres: Er erreicht dort am 22. Mai seine Oppositionsstellung. Bei einer Marsopposition sind Sonne, Erde und Mars entlang einer geraden Linie angeordnet. Diese Stellung ist für die Marsbeobachtung optimal, da zum einen der Planet die ganze Nacht über zu sehen ist – er geht bei Sonnenuntergang auf und bei Sonnenaufgang unter – zum anderen ist auch seine Entfernung zur Erde am geringsten und dadurch sein scheinbarer Durchmesser am Himmel und seine Helligkeit am größten. Genau genommen gilt dies nur für eine ideale Marsopposition, aufgrund ihrer elliptischen Bahnen erreichen Erde und Mars diesmal erst eine Woche später ihre geringste Entfernung (75,3 Millionen Kilometer). Der Rote Planet geht am Oppositionstag um 21.02 Uhr auf und um Monatsersten gegen 23.20 Uhr über den Horizont, am Monatsletzten bereits um 21.12 Uhr. Schon in einem kleinen Teleskop ist sein einzigartiges, in Wirklichkeit aus Hunderten Einzelringen zusammengesetztes Ringsystem zu sehen. Es zeigt sich uns im Mai um 26 Grad zugeneigt. ● Die Fixsterne Die berühmteste Figur am Frühlingsnachthimmel setzt sich aus den hellsten Sternen dreier Sternbilder zusammen: das Frühlingsdreieck. Es wird gebildet durch die Sterne Arktur im „Bärenhüter“, Spica in der „Jungfrau“ und Regulus im „Löwen“. Sie rangieren unter den 15 hellsten Sternen, die in Deutschland überhaupt beobachtet werden können. Der orangefarbene Arktur sitzt gewissermaßen am spitzen Ende des Sternbilds „Bärenhüter“, das einer Papierdrachenform ähnelt. Spica und Regulus liegen in der Nähe der Ekliptik, der auf der Sternkarte eingezeichneten Linie, auf welcher sich die Sonne und alle Planeten am Firmament bewegen. Weiter östlich der „Jungfrau“ finden wir neben der „Waage“ die großflächigen Sternbilder „Schlangenträger“ und „Schlange“. Diese beiden Sternbilder zusammenzusuchen kommt einem Puzzle gleich, da sie aus eher lichtschwachen Sternen bestehen. Der Sternhimmel am 1. gegen 0 Uhr, am 15. gegen 23 Uhr und am 31. gegen 22 Uhr (MESZ). Die Kartenmitte zeigt den Himmel im Zenit. Der Kartenrand entspricht dem Horizont. Norden ist oben, Westen rechts, Süden unten und Osten links. Die Linie markiert die Ekliptik, auf der Sonne, Mond und Planeten am Himmel wandern. FOTO: STERNWARTE LAUPHEIM Nördlich davon steht „Herkules“, der antike Arnold Schwarzenegger. Mindestens drei seiner sagenhaften zwölf Heldentaten sind auf der Sternkarte verewigt: Er erwürgte nicht nur den unverwundbaren „Löwen“, sondern er erschlug auch den „Drachen“ und tötete die neunköpfige „Wasserschlange“, wobei er den verräterischen „Krebs“ zertrat, welcher der Wasserschlange zu Hilfe So stimmt’s Im Artikel „Der Sternhimmel im April“ haben sich bei der Übertragung bedauerlicherweise zwei Fehler eingeschlichen: Sämtliche Zeiten sind in mitteleuropäischer Sommerzeit (MESZ) angegeben, und nicht in mitteleuropäischer Zeit (MEZ), wie es in der Einleitung hieß. Der Saturn geht am Monatsletzten um 23.24 Uhr auf, nicht unter. Wir bitten, das Versehen zu entschuldigen. (sz) kam. An der westlichen Seite des „Sternen“-Brustkastens des Haudrauf-Helden ist mit dem Fernglas ein uraltes Objekt zu beobachten: der Kugelsternhaufen M13, der sich aus Hunderttausenden Sternen zusammensetzt. Das Licht, das wir von ihm jetzt sehen, wurde vor 22 200 Jahren ausgeschickt – lange bevor die Geschichte des Herkules von den Menschen zu erzählen begonnen wurde. Fernglasastronomen finden westlich des Frühlingsdreiecks im „Krebs“ ein ebenso interessantes Objekt: den offenen Sternhaufen Praesepe (M44). Bei klaren Nächten fernab jeder Lichtquelle, heutzutage oft nur noch in den Bergen oder in südlichen Ländern möglich, ist er sogar mit dem bloßen Auge zu erkennen. Er ist eine Ansammlung von etwa 350 Sternen in 580 Lichtjahren Entfernung – eine , für die ein 300 km/h schneller Sportwagen etwa zwei Milliarden Jahre bräuchte! Der aktuelle Sternhimmel und weitere besondere Ereignisse werden auch in öffentlichen Vorführungen des Planetariums in Laupheim erläutert. Nähere Informationen unter der Telefonnummer 07392/91059 und im Internet unter www.planetariumlaupheim.de. © 2016 Schwäbisch Media Digital GmbH & Co. KG STERNHIMMEL Schwäbische Zeitung