Hausaufgabe zum Grundseminar Soziologie I -1- Thomas Thoss 2. Sitzung, 28.Oktober 1999 von Wiese, Leopold 1960: „Soziologie als selbständige Einzelwissenschaft vom zwischenmenschlichen Geschehen“, in ders. Soziologie, Berlin S. 5-21 Zusammenfassung Der Autor beschäfigt in diesem Abschnitt seines Buches die Frage, was die Wissenschaft Soziologie“ grundsätzlich erforschen möchte. Er möchte aufzeigen, daß es sich hierbei um eine eigenständige Wissenschaft handelt, deren Forschungsobjekt nicht einfach durch das Summieren der Ergebnisse anderer Wissenschaften möglich ist. Dazu grenzt er andere Wissenschaftsfelder von der Soziologie ab, zeigt aber auch gegenseitige Wechselwirkungen auf. Ferner beschäftigt er sich noch mit der begrifflichen Problematik der Namensgebung des Gegenstandes der Soziologie. So geht von Wiese davon aus, daß die Soziologie eine Grundwissenschaft ist und beweist diese Annahme, indem er aufzeigt, daß die Zusammenfügung der Ergebnisse aus allen anderen sozialwissenschaftlichen Fächern noch nicht die Grundfragen der Soziologie beantworten. Dazu nennt er diese zunächst: 1.) 2.) Was ist „das Soziale“ überhaupt und welche Auswirkungen hat „das Soziale“, was bewirkt es? Von Wiese bestreitet dazu nicht, daß moderne Wissenschaften durchaus soziologische Fragestellungen beinhalten können. Die Soziologie besitze einen gewissen Universalcharakter, man finde den gesellschaftlichen Aspekt und dessen Konsequenz auf die jeweilige akademische Disziplin in vielen Fächern. Aber dabei werde immer die Frage vernachläßigt, was das Soziale überhaupt und, was eigentlich die Quelle dieser Auswirkungen sei. Damit bleibe Frage Nummer 1 ungeklärt. Und zu deren Beantwortung bestünde die Einzelwissenschaft Soziologie, die hier ihre klare Umrandung und eine eigene Wissenschaftsebene besitze. Sie möchte ergründen, was mit diesem Begriff, dem Sozialen, gemeint sei, ein Begriff, auf den sich andere Bereiche nur beziehen, ihn aber nicht näher beleuchten. Auch die Geschichtswissenschaft könne keine Auskunft darüber geben, was dieses Soziale sei. Sie liefere lediglich Fakten, zu was gesellschaftliches Leben in der Vergangenheit führte. Sie zeige aber nicht, welcher soziale Zusammenhang zwischen den Individuen bestanden habe. Die Philosophie hingegen liefere nur selten einen objektiven, wissenschaftlichen Blick auf das Zwischenmenschliche, sie gebe zu sehr eine normative Bewertung des gesellschaftlichen Lebens ab, die Menschen sollen hier erfahren, wie sie zu leben haben, welche ethischen Normen es gibt und wie zwischenmenschliche Kontakte stattfinden sollen. Die Psychologie hingegen beziehe sich, ebenso wie die Physiologie nur auf das Innere des Individuums, nicht jedoch auf sein Kontakt zum Äußeren. Allerdings bestreitet von Wiese nicht, daß eine gewisse Wechelwirkung zwischen dem Inneren und dem Äußeren besteht. So wirke das Individuum auf seine soziale Umgebung und werde aber durch selbige auch wieder geprägt. Hausaufgabe zum Grundseminar Soziologie I -2- Thomas Thoss So hat nach von Wiese jede Wissenschaft ihr eigenes Aufgabenfeld, das klar abgegrenzt ist. Häufig überschneiden sich die individuellen Thematiken, dennoch bearbeiten nie zwei Wissenschaften die gleiche Fragestellung. Von Wiese beweist in seinem Text, daß auch die Grundfragen der Soziologie von keiner anderen Wissenschaft vollständig beantwortet werden, damit zeigt er, daß es sich hierbei um eine selbständige Einzelwissenschaft handelt. Dennoch seien die anderen Wissenschaften der Soziologie durchaus dienlich, denn sie beobachten ausschnittsweise deren zweite, große Grundfrage, nämlich die menschliche Kultur, also die Auswirkungen des Sozialen auf das Zusammenleben der Menschen. Dennoch betrachten diese anderen Wissenschaften nur unter ihren jeweiligen individuellen Aspekten dieses Zusammenleben, beispielsweise die wirtschaftliche oder die politische Interaktion. Die Aufgabe des Soziologen sei es, aus diesen mannigfaltigen Gesichtspunkten ein Gesamtbild über das Soziale zeichnen zu können. Er thematisiert auch den Gegenstand dieser Einzelwissenschaft und dabei zuerst die begrifflichen Schwierigkeiten, die hier zu finden seien. Es soll erkannt werden, daß der Gegenstand der Soziologie im Grunde kein Gegenstand ist. Das Soziale sei das zwischenmenschliche Geschehen, also kein greifbarer Gegenstand, sondern vielmehr ein substanzloses Netz von gegenseitigen Beziehungen. Ferner bedinge die Erforschung dieses Netzes eine Distanzierung von häufig mit Begriffen asoziierten Wertungen. So sei die „ negative“ Vergesellschaftung auf keinen Fall als „ schlecht“ sondern lediglich als „ verneinend“ gedacht. Unter „ verneinender Vergesellschaftung“ versteht von Wiese das Lösen einer Gesellschaft. Er benutzt hier nicht das Substantiv Gesellschaft, da, wie bereits erläutert, das zwischenmenschliche Geschehen, was fälschlicherweise häufig als Gesellschaft bezeichnet werde, eben nun mal keine Substanz besitze, sondern vielmehr die Eigenschaften einer Sphäre habe, die nicht aus einem Ding, sondern einer interaktiven Handlung bestünde.