[ 4 ] N R. 133 / W IN T ER 2016 TAG U NG F Ü R SZPI 5. Schweizerische Jahrestagung für SZPI ^ Mit über 250 Teilnehmerinnen und Teilnehmern war der Saal bis auf den letzten Platz besetzt. Das kleine Jubiläum der Jahrestagung wurde mit spannenden Referaten gekrönt: zu dentalen Erosionen und Selbstregulation bei Kindern, Parodontitis und Allgemeingesundheit sowie Humor im Zahngesundheitsunterricht. Melinda Spiesshofer Am 2. November fand in Olten bereits die 5. Schweizerische Jahrestagung für SZPI statt. Der grosse Saal des Kongresshotels Arte war bis auf den letzten Platz gefüllt. Mit über 250 interessierten SZPI war annähernd ein Drittel aller deutschsprachigen SZPI in Olten anwesend. Eine neue Rekordbeteiligung! Um alle Teilnehmer und Aussteller bequem unterzubringen, wurden die Räumlichkeiten um 150 Quadratmeter erweitert. Auch unsere Sponsoren hatten wiederum die Möglichkeit, sich dem interessierten Publikum zu präsentieren. Dr. med. dent. Christoph Senn eröffnete als neuer Stiftungsratspräsident die Ta- gung. Als Vorstandsmitglied der Schweizerischen Zahnärzte-Gesellschaft SSO ist er der Nachfolger von Dr. med. dent. Rolf Hess, der dem Stiftungsrat in seiner neuen Funktion als Kantonszahnarzt im Kanton TG erhalten bleibt. Christoph Senn verdankte nochmals den grossen Verdienst von Rolf Hess. Dank ihm steht die Stiftung heute so stabil da. Beide betonten, wie wichtig die Anbindung an die SSO sei. Die SSO fungiere sehr gerne als «Gotti» für die Stiftung und trage dadurch zur landesweiten Förderung der Mundgesundheit bei. Rolf Hess sprach den überaus grossen, sichtbaren Erfolg der Arbeit der SZPI an und betonte, dass Spar- massnahmen hier eindeutig am falschen Ort angesetzt seien. Dentale Erosionen bei Kindern und Jugendlichen Prof. Dr. med. dent. Adrian Lussi von der Klinik für Zahnerhaltung, Präventivund Kinderzahnmedizin der Universität Bern erklärte dem interessierten Publikum, was Säure auf dem Zahnschmelz bewirkt. Durch die Interaktion von Säure mit dem Schmelz lösen sich Mineralien von der Zahnoberfläche. Dadurch wird der Zahn aufgeweicht und anfällig für abrasive Prozesse. Durch den Kontakt mit der Zunge, Wange oder der Zahn- N R. 133 / W IN T ER 2016 bürste wird die aufgeweichte Zahnsubstanz abgetragen. Für einige Bevölkerungsgruppen stellen Erosionen ein grosses Problem dar. Insgesamt haben etwa 30% der Europäer mindestens einen Zahn mit klaren Erosionen. Das Hauptproblem ist aber immer noch Karies. Das darf nicht vergessen werden, wie Adrian Lussi betonte. Erosionen sind multifaktoriell Eine gewisse Veränderung der Zahnoberfläche im Laufe des Lebens ist normal. Sie verändert sich mit der Abnützung über die Jahre. Die Perikymatien (Wachstumslinien des Schmelzes) verschwinden langsam. Bei beginnenden Erosionen erscheint der Schmelz matt bis glänzend, bei fortgeschrittenen Erosionen liegt das Dentin frei und bestehende Füllungen können die abgetragene Zahnhartsubstanz überragen. Erosionen entstehen aufgrund von mehreren Faktoren. Ausgeprägte Erosionen treten bei Bulimie (Ess- und Brechsucht) auf, weil die Zähne beim Erbrechen mit Magensäure in Kontakt kommen. Zahnreinigung, saure Medikamente sowie Ess- und Trinkgewohnheiten wie dauerndes Nippen oder Spülen können zu Erosionen führen. Wird ein säurehaltiges Getränk schluckweise getrunken, werden die Zähne immer wieder mit Säure umspült, was Erosionen begünstigt. Bei Kindern beliebt sind Cola, Eistee und Candy Sprays, bei Jugendlichen und Erwachsenen auch Energy-Drinks. Werden vier oder mehr solche Lebensmittel pro Tag konsumiert, steigt das Risiko für Erosionen. Auch eine Refluxerkrankung (saurer Rückfluss von Magensäure in die Speiseröhre und den Mundbereich) kann zu Erosionen führen. Häufig wird die Refluxerkrankung erst wegen einer Erosion diagnostiziert. Erosionen treten dabei manchmal asymmetrisch auf, weil sich im Liegen der mit Säure angereicherte Speichel auf der Schlafseite sammelt. Bei Reflux kann der Zahnarzt oder die Zahnärztin die überempfindlichen Zahnflächen versiegeln. Zudem werden sogenannte Protonen- TAG U NG F Ü R SZPI pumpenhemmer verabreicht, um die Säureproduktion im Magen zu drosseln. Wie erosiv sind Lebens- und Genussmittel? Ob ein Produkt mehr oder weniger erosiv ist, entscheidet nicht einzig der pHWert. Wichtig ist auch der Säuretyp: Zitronensäure zum Beispiel ist aggressiver als Phosphorsäure und wird vom Speichel weniger gut neutralisiert. Es spielt auch eine Rolle, ob der Orangensaft mit Kalzium angereichert ist oder nicht. Kalzium wirkt sich schützend aus, der Saft ist weniger erosiv. Diesen Effekt haben auch andere Zusatzstoffe wie Phosphat und Fluorid. So wirkt kohlensäurehaltiges Mineralwasser nur als eine schwache Säure. Wird ihm jedoch Zitronengeschmack zugeführt, dann wirkt es erosiv. Deswegen ist nicht nur der pH-Wert ausschlaggebend. Das Zusammenspiel der Bestandteile ist entscheidend. Ein Forschungsteam um Prof. Adrian Lussi forscht über schützende Substanzen, die geschmacksneutral sind und viel- [ 5 ] leicht in Zukunft Speisen und Getränken zugegeben werden könnten, damit diese an Erosivität verlieren. Hagebuttentee z. B. ist unter den Tees am erosivsten. Auch Apfelsaft und Wein wirken erosiv, Bier hingegen nicht. Was kann man tun, um Erosionen zu vermeiden? Damit Erosionen verhindert werden können, ist es wichtig, Säurequellen zu identifizieren. Ein Ernährungsprotokoll kann sinnvoll sein. Die Vergangenheit ist ebenfalls zu berücksichtigen, z. B. eine durchgemachte Erkrankung oder Einnahme von sauren Medikamenten. Anhand des Ernährungsprotokolls können Empfehlungen zur Reduktion von sauren Nahrungsmitteln abgegeben werden. Wichtig ist, die Kontaktzeit bzw. die Häufigkeit des Kontakts mit erosiven Getränken zu reduzieren und unmittelbar nach Erbrechen den Mund zu spülen, da die Demineralisierung sofort einsetzt. Eine vollständige Wiedererhärtung (Remineralisierung) der Zähne dauert Monate, wie Prof. Lussi < Die SZPI erfuhren Neues und Wissenswertes, etwa zu Erosionen und der Selbstregulation bei Kindern. N R. 133 / W IN T ER 2016 TAG U NG F Ü R SZPI [ 7 ] < Alle Referenten an diesem Tag: Prof. Adrian Lussi der Universität Bern, die Psychologin Miriam Compagnoni, ... betonte. Er rät, unmittelbar nach dem Essen die Zähne zu putzen, auch wenn zum Beispiel etwas Saures getrunken wurde. Es hat keinen Sinn zu warten, denn der Schmelz ist weit über eine Stunde hinaus noch weich. Viel wichtiger ist es, die Plaque zu entfernen und so Karies entgegen zu wirken. Wer das Zähneputzen hinauszögert, vergisst es möglicherweise sogar. Selbstregulation bei Kindern Was sind Selbstregulation, Selbstkontrolle und selbstreguliertes Lernen? Und in welchem Zusammenhang stehen sie zum Zähneputzen? Über diese spannenden Wissensgebiete hat Miriam Compagnoni referiert. Sie ist Psychologin, forscht am Institut für Erziehungswissenschaft der Universität Zürich und doktoriert im Bereich Selbstregulation. Seit 2015 doziert Miriam Compagnoni an den Einführungskursen für SZPI im Bereich Pädagogik /Psychologie. Aufbau und Funktion des Gehirns In unserem Gehirn hat es etwa 100 Milliarden Neuronen (Nervenzellen), erfuhren die Tagungsteilnehmer von Miriam Compagnoni. Ein einzelnes Neuron kommuniziert mit anderen Neuronen über bis zu 100’000 Synapsen (Kontaktstellen). Es ist heute bekannt, dass unser Gehirn plastisch und lebenslang in der Lage ist, zu lernen. Die Selbstregulation ist im Präfrontalcortex anzusiedeln, also im Stirnhirn. Diese Hirnregion ist z. B. verantwortlich dafür, dass wir die Aufmerksamkeit willentlich fokussieren, Störreize gezielt ausblenden und einer Versuchung widerstehen können. Hier ist auch das Arbeitsgedächtnis zu Hause und Handlungsabläufe werden hier geplant. Der Präfrontalkortex kann Impulse kontrollieren, sodass wir nicht völlig dem Lustprinzip ausgeliefert sind. Werden einem Kind z. B. Gummibärchen angeboten, wird der Botenstoff Dopamin ausgeschüttet und das Belohnungssystem in seinem Hirn aktiviert. Das Kind hat Lust, Süsses zu essen – auch wenn das einen Konflikt mit längerfristigen Zielen wie der Zahngesundheit bedeutet. Kann es trotzdem dem Genuss widerstehen, dann hat sich der Präfrontalkortex erfolgreich eingeschaltet und das Kind hat sich «selbst reguliert». Verschiedene Hirnareale reifen unterschiedlich schnell. Der Präfrontalkortex ist erst mit etwa 20 Jahren vollständig ausgereift. Deshalb braucht es viele Situationen, in denen Kinder selbstreguliertes Verhalten üben können. Durch Training werden Nervenbahnen im Gehirn dicker, vernetzter und das Verhalten wird mit der Zeit automatisiert. Eine Anleitung durch die SZPI und die Eltern ist auch in Bezug auf das Zähneputzen sehr wichtig. Da Selbstregulation nicht von heute auf morgen und nicht allein aufgrund von Einsicht erfolgen kann, ist eine Führung, ein Coaching von aussen bis zur Oberstufe sinnvoll. Man kann nicht von Kindern verlangen, dass sie für ein späteres, abstraktes Ziel wie «Gesundheit» selbstreguliert die Zähne putzen. Man könnte sagen, dass die Eltern und SZPI die noch nicht ausreichende Funktion des Präfrontalkortexes für Kinder übernehmen sollten. Selbstkontrolle Wenn wir mehr Süsses essen, als wir eigentlich wollten, oder weniger Sport treiben als geplant, dann hat unsere Selbstkontrolle versagt. Isst ein Kind Süsses, schiebt aber das Zähneputzen danach immer wieder auf, obwohl es eigentlich das langfristige Ziel «gesunde Zähne» kennt, hat das mit mangelnder Selbstkontrolle zu tun. Langfristig haben wir zwar tolle Ziele wie gesunde Zähne, strahlendes Lächeln; aber kurzfristig machen wir etwas ganz Anderes. Selbstkontrolle ist die willentliche Regu- [ 8 ] N R. 133 / W IN T ER 2016 TAG U NG F Ü R SZPI > ... Dr. Philipp Sahrmann vom Zentrum für Zahnmedizin der Uni Zürich und der Sozialpädagoge, Clown und SchulzahnpflegeInstruktor Gianni Bertossa (v.l.n.r.). lation von emotionalen Impulsen und Verhaltensimpulsen, wenn sofortige Bedürfnisse und Wünsche mit längerfristigen Zielen konfligieren (im Konflikt stehen). Selbstreguliertes Lernen Selbstreguliertes Lernen ist ein zyklischer Prozess, der mit einem Heizungsthermostat verglichen werden kann. Es braucht ein Ziel (z. B. kein Mundgeruch), eine Handlung (morgens und abends Zähneputzen), ein Monitoring (die richtige Systematik, Zeit) und einen Vergleich (immer noch Mundgeruch? Warum? Ev. auch mittags Zähne putzen? Zunge bürsten?). Es braucht ein Feedback und einen neuen Versuch. Selbstreguliertes Lernen ist keinesfalls mit selbständigem Lernen ohne Anleitung zu verwechseln. Im Gegenteil: Ohne ein entsprechendes Feedback und Reflexion findet kein Lernprozess statt. Motivationsfördernde Strategien wie Zielsetzung und Planung, kognitive Lernstrategien und das Einüben von Reflexion zu vermitteln, ist zentral für erfolgreiches selbstreguliertes Lernen. Die Tätigkeit als SZPI hat unmittelbar mit selbstreguliertem Lernen zu tun. Das Ziel der SZPI ist, den Kindern Fähigkeiten zu vermitteln, damit sie selbstän- dig ihre Zähne gesund erhalten können. Im Vorfeld der Tagung konnten sich SZPI an einer anonymen Online-Befragung beteiligen. Diese hat ergeben, dass die Vermittlung von Selbstregulation von SZPI zwar als ähnlich wichtig eingestuft wird wie die Wissensvermittlung, sie aber im Unterricht vergleichsweise selten durchgeführt wird. Längsschnittuntersuchungen zeigen, dass Selbstregulierung nicht nur mit guten schulischen Leistungen einhergeht, sondern auch mit einer besseren Gesundheit und Mundgesundheit verbunden ist. Was ist für eine SZPI im Unterricht machbar? Zugegeben: Die wenigen Lektionen mit langen Intervallen dazwischen erscheinen auf den ersten Blick nicht wie eine ideale Voraussetzung. Trotzdem lassen sich Elemente zur Förderung von selbstreguliertem Lernen einbauen. Wie die Befragung ergab, gibt es auch schon einiges, was SZPI auf diesem Gebiet machen und gerne als Tipps weitergeben: die Pause auf dem Pausenplatz bei den Kindern verbringen zum Beispiel. So hat man direkt Einblick, was die Kinder essen, und kann sie persönlich darauf ansprechen (Feedback). Miriam Compagnoni erwähnte eine Vielzahl von Möglichkeiten, wie man den Kindern helfen kann, das langfristige Ziel «gesunde Zähne» zu erreichen: etwa kleine Verträge bzw. Abmachungen abschliessen, um die Kinder zu motivieren, realistische Ziele einzuhalten. Dabei sollte man darauf achten, dass die Ziele spezifisch, messbar, akzeptiert, realisierbar und terminierbar sind (SMART). Dazu gehört das Rückfragen, wie es den Kindern mit ihren Zielen ergangen ist; ein Bewusstsein für schwierige Situationen entwickeln und ansprechen, wie man mit so einer Situation umgeht; thematisieren, wie man sich nach der Diagnose Karies verhält; Spass an gesunder Ernährung vermitteln; Monitoring (Selbstbeobachtung) erklären. Und ansprechen, was man machen könnte, wenn man keine Lust hat, Zähne zu putzen. Wie überliste ich mich während des Zähneputzens, damit ich die zwei Minuten durchhalte? Eine Sanduhr, eine Zahnputz-App oder Musik helfen. Auch die Vermittlung von Planung und Zeitmanagement ist Teil von selbstreguliertem Lernen: Zu welchem Zeitpunkt esse ich was? Was sollte ich ändern? Ein Verhalten zu verändern ist schwierig, es treten Hindernisse auf. Warum schaffe ich es nicht? SZPI kön- N R. 133 / W IN T ER 2016 nen mit den Kindern Plakate und Postits gestalten, um z. B. ein erstrebenswertes Verhalten zu initiieren. Dabei ist es wichtig, dass auch die Lehrperson die richtige Einstellung hat und überzeugt ist, dass ein Kind alles lernen kann. Herausforderungen sind da, um auch Misserfolge zuzulassen und aus ihnen zu lernen. Die Vermittlung von Lernstrategien ist ebenfalls essentiell. Die Lehrperson soll erklären, wie Kinder sich Wissen aneignen können, und warum Lernstrategien helfen können, sich etwas besser zu merken. Eselsbrücken beispielsweise gehören dazu. Die Kinder können selbst Eselsbrücken erfinden. Dabei sollen so unterschiedliche Strategien wie möglich angewendet werden, idealerweise multimodal, d. h. mit allen Sinnen: Bilder zeigen, spüren, hören, ausprobieren, Wichtiges markieren, wiederholen, Notizen machen, Beispiele überlegen, mit eigenen Worten formulieren, planen, Ziele setzen, Zusammenfassungen machen, Mindmaps, Rückfragen stellen und argumentieren. TAG U NG F Ü R SZPI rungen zu stellen als zu tiefe. Eine gewisse Autonomie ist ebenfalls wichtig: Man kann die Kinder z. B. die Becherfarbe oder das Zahngel wählen lassen. Um das Interesse zu steigern, ist es sinnvoll, die Themen auf den Alltag der Kinder auszurichten. Kinder, die gerne da sind, lernen eher. Zusammengefasst riet Miriam Compagnoni als Take-Home-Message: Wissensvermittlung ist die Grundlage, aber ohne Selbstregulationsvermittlung kann das Wissen nicht in entsprechendes Verhalten umgesetzt werden. Neben dem Fokus auf Inhalte, Ziele und Wis- [ 9 ] Parodontitis und Allgemeingesundheit PD Dr. Philipp Sahrmann, Klinik für Präventivzahnmedizin, Parodontologie und Kariologie am Zentrum für Zahnmedizin der Universität Zürich, referierte über Zusammenhänge von Parodontitis und Allgemeingesundheit. Zahnlosigkeit galt noch im 19. Jahrhundert auch als Vorteil, weil man damals schon erkannte, dass Zähne ein gesundheitliches und finanzielles Risiko bergen. So zog man Frauen vor ihrer Verheiratung alle noch verbleibenden Zähne, um diese Risiken zu minimieren. Interesse und Motivation Interesse ist nicht angeboren, es entwickelt sich. Man muss ein Kind fünf Mal auf einen Berg mitnehmen, bevor Wandern vielleicht als toll empfunden wird. Wichtig ist, dass SZPI zeigen, was sie interessiert, auch wenn sie damit nicht alle Kinder erreichen. Interesse ist auch nicht mit Selbstregulation oder Selbstkontrolle zu verwechseln. Besteht schon Interesse, ist es nicht schwierig, sich für etwas zu begeistern und bei der Sache zu bleiben. Die Kunst ist, dran zu bleiben, auch wenn es nicht so spannend ist – und da habe die Forschung noch keine Wunderrezepte, wie Miriam Compagnoni sagte. Aber sie gab Tipps, um Interesse und Motivation zu wecken: Die Kinder müssen sich sozial eingebunden fühlen, weshalb Gruppenarbeiten helfen könnten, z. B. das Gruppenpuzzle (Expertengruppen bilden: Jeder liest einen anderen Text, die Kinder werden zu Experten, die Kinder erklären sich den gelesenen Text gegenseitig). Auch rät die Expertin, an Kinder besser höhere Anforde- ^ Stiftungsratspräsident Christoph Senn (li.) und sein Vorgänger Rolf Hess. sen darf nicht vergessen gehen, dass man auch lehren sollte, wie diese Ziele erreicht werden können. Man soll Selbstregulation nicht einfach an die Eltern oder Kinder delegieren. Als Lehrperson kann mit der Vermittlung von selbstreguliertem Lernen schon im Kindergarten ein wertvoller Beitrag zur Förderung von Selbstregulationsfähigkeiten und somit zur Verbesserung der (Mund-)Gesundheit geleistet werden. Glauben Sie als SZPI daran, dass jedes Kind lernen kann und helfen Sie ihm dabei, die Ziele zu erreichen! Aber warum sind Zähne für die Gesundheit relevant? Bakterien vermehren sich auf nichtabschilfernden Oberflächen. Zu diesen gehört der Zahn oder Zahnstein, dessen Oberfläche sich im Gegensatz zur Haut nicht ständig ablöst und erneuert bzw. abschilfert. Vor allem Bakterienarten, die keinen Sauerstoff brauchen (anaerobe Bakterien), vermehren sich in den sauerstoffarmen Bereichen der warmen und feuchten Mundhöhle, bevorzugt in parodontalen Taschen. Die Schäden bei der Parodontitis entstehen weniger durch die Bakterien selbst als vielmehr durch die körpereigene Abwehrreaktion. Bei der Zahnsteinentfernung im subgingivalen Bereich kommt es zu einer Blutung, wobei Bakterien in den Blutkreislauf gelangen [ 10 ] N R. 133 / W IN T ER 2016 TAG U NG F Ü R SZPI können. Das stellt für Risikopatienten, z. B. Patienten mit einer künstlichen Herzklappe, eine Gefahr dar. Die aus der Mundhöhle angeschwemmten Bakterien können über den Blutkreislauf zum Herzen gelangen, auf den künstlichen Herzklappen (nicht-abschilfernde Oberfläche) haften bleiben und auf diese Weise eine Endokarditis (Entzündung der Herzinnenhaut) verursachen. Deshalb werden Risikopatienten vor einem zahnärztlichen Eingriff Antibiotika verabreicht. Sinnvoll ist es, vorgängig mit einem Antiseptikum zu spülen, um die Anzahl der Bakterien zu minimieren. Herzinfarkt Eine Parodontitis kann auch zu einer endothelialen Dysfunktion führen, was die erste Stufe einer Arteriosklerose darstellt. Eine Arteriosklerose der Herzkranzgefässe wiederum kann zu einem Herzinfarkt führen. Die heutige Forschung ist sich einig, dass Parodontitispatienten ein erhöhtes Risiko für einen Herzinfarkt haben. Herzinfarkte gehören immer noch zu den wichtigsten Todesursachen weltweit. Die Forschung konnte auch zeigen, dass Raucher mehr Knochenverlust, grössere parodontale Taschen und weniger Zähne aufweisen. Rauchen ist daher ein Hauptrisikofaktor für Parodontitis. Es ist auch erwiesen, dass geriatrische Patienten von einer professionellen Zahnreinigung in mehrfacher Hinsicht profitieren können: Man konnte zeigen, dass sich die Zahl von Fiebertagen und Lungenentzündungen durch eine sehr intensive Mundhygiene absenken lassen. Eine gute Mundgesundheit trägt somit zu einer besseren Allgemeingesundheit bei. Diabetes mellitus Die Zahl der an Diabetes mellitus (Zuckerkrankheit) erkrankten Menschen betrug im Jahr 2010 weltweit etwa 220 Millionen. Bis im Jahr 2030 geht man von einer Verdoppelung dieser Zahl aus. Bei Diabetes-Patienten herrscht eine chronische Hyperglykämie im Blut, also ein zu hoher Zuckerspiegel. Dadurch entstehen verzuckerte Abfallstoffe, die sich ablagern und vor allem in kleinen, verästelten Gefässen das Gefässendothel (Innenauskleidung) schädigen. Es sind v. a. das Auge, die Nieren und die Nervenbahnen betroffen. Bei Letzteren kann es dadurch zu Missempfindungen kommen. In den Extremitäten kann es zu Wundheilungsstörungen kommen. Es konnte gezeigt werden, dass Diabetes das Voranschreiten einer Parodontitis begünstigt. Umgekehrt wirkt sich Parodontitis negativ auf den Blutzuckerspiegel bei Diabetes-Kranken aus. Schwangerschaft Studien zeigen, dass Hochrisiko-Patientinnen, die schon einmal einen Abort, eine Früh- oder Totgeburt gehabt haben, in der Schwangerschaft von einer Parodontitis-Behandlung profitieren. Diese senkt das Risiko für eine Frühgeburt und ein zu tiefes Geburtsgewicht. Man konnte aufzeigen, dass von der Behand- ^ Bettina Richle, Geschäftsführerin der Stiftung für SZPI, sorgte für einen reibungslosen Ablauf. lung keine Gefahr für den Schwangerschaftsverlauf ausgeht. Adipositas Von Adipositas (Fettleibigkeit) sprechen wir ab einem Body Mass Index (BMI) von 30. Der BMI gibt das Körpergewicht eines Menschen in Relation zu seiner Körpergrösse an (kg/m2). Das Fettgewebe ist auch ein endokrines Organ, das heisst, Hormone werden an die Blutbahn abgegeben. Mehr Stammfettzellen führen zu mehr Entzündungsreaktionen. So haben auch Patienten mit Adipositas häufiger Parodontitis. N R. 133 / W IN T ER 2016 Eine Parodontitis-Behandlung schlägt zudem bei adipösen Menschen weniger gut an als bei nicht adipösen. Osteoporose Osteoporose ist eine häufige Alterserkrankung des Knochens. Durch einen gesteigerten Knochenabbau kommt es zu einer abnehmenden Knochendichte, die den Knochen anfällig für Brüche macht. Die Erkrankung betrifft vor allem Frauen nach der Menopause. Besonders der Oberschenkelhalsbruch ist gefürchtet, weil er in fortgeschrittenem Alter oft zu einer Immobilität der Patienten führt. Die in die Blutbahn eintretenden Parodontitis-Keime können den bereits durch Osteoporose angegriffenen Knochen zusätzlich schädigen. Sowohl Parodontitis als auch die Osteoporose sind multifaktoriell und haben ähnliche Risikofaktoren wie Diabetes mellitus und Alter. Es finden sich auch Hinweise, dass Entzündungsprozesse im Körper bei Stress ansteigen und dies Parodontitis begünstigen könnte. Auch die rheumatoide Arthritis (häufigste entzündliche Erkrankung der Gelenke) wird mit Parodontitis assoziiert. Einzelne Studien zeigen, dass Parodontitis beim Mann mit einer höheren Spermienzahl einhergeht, die Motilität (Beweglichkeit) der Spermien allerdings eingeschränkt ist, was zu einer verminderten Fertilität (Fruchtbarkeit) führt. Wie wir sehen können, ist die Liste der Erkrankungen, die mit oralen Krankheiten assoziiert sind, bereits heute sehr lang. Sie wird vermutlich über die Jahre noch länger, weil immer mehr Zusammenhänge erforscht werden. Humor im Zahngesundheitsunterricht Wie man den Zahngesundheitsunterricht mit Humor gestalten kann, darüber referierte Gianni Bertossa. Er arbeitet als Schulzahnpflege-Instruktor in der Primarschule Mettmenstetten, ist Grafiker, Sozialpädagoge und Clown. Als SZPI betreut Gianni Bertossa auch Heilpädagogische Schulen und Asyl- TAG U NG F Ü R SZPI zentren, wo er bei der Vermittlung der Mundgesundheit einfallsreich bleiben muss, weil die sprachliche Kommunikation oft eingeschränkt ist. Er hat zudem den Verein geroclowns.ch gegründet mit dem Ziel, in Altersheimen und Pflegeinstitutionen Humor in der Gesundheitsprävention einzusetzen. «Humor ist Medizin mit nur positiven Nebenwirkungen», heisst es im Slogan der GeroClowns. Gianni Bertossa und seine nebenberuflichen Clown-Kollegen aktivieren durch ihre Besuche Selbstheilungskräfte und leisten einen wichtigen Beitrag zur Gesundheitsprävention. GeroClowns helfen, die Monotonie des Alltags und die Kontaktarmut durch Lachen, Staunen und Schmunzeln zu lindern. Die psychische und geistige Präsenz der Heimbewohner wird gestärkt. So feiert Gianni Bertossa als Clown zum Beispiel Geburtstage in Behinderten- und Alterswohnheimen und zaubert Jung und Alt mit seinen Darbietungen ein Lächeln aufs Gesicht. Was ist Humor? Der Referent beantwortete die Frage gleich selber: Freude, Kreativität, Positivität, Anpassung und [ 11 ] Geduld. Gianni Bertossa erzählte uns, wie er versucht, die Zahngesundheitslektion altersgerecht humorvoll zu gestalten: Im Kindergarten zieht er sich grundsätzlich Plattenleger-Knieschoner an und rutscht mit denen auf den Knien herum, um mit den Kindern auf Augenhöhe kommunizieren zu können – die < Die interessierten SZPI hörten gespannt zu und stellten den Referenten im Anschluss Fragen. [ 12 ] TAG U NG F Ü R SZPI Kinder freut es, schon hat er sie für sich eingenommen! Sie seien so begeistert, dass sie diese Angewohnheit auch am liebsten noch in der Primarschule einfordern würden. Doch diese Spezialeinlage sei den Kindergärtnern vorbehalten, betonte Gianni Bertossa. Er berichtete, dass er grundsätzlich keine Witze in der Schule erzähle, weil Witze im Allgemeinen ausgrenzend und beleidigend wirken. Um die Kinder zum Lachen zu bringen, macht er lieber eine Lach-Yoga-Übung mit ihnen, was auch in der Oberstufe ein Lachen ohne Grund hervorruft. Um den Kindern die Systematik des Zähneputzens näher zu bringen, vergleicht Gianni Bertossa die Reihenfolge mit dem richtigen Anziehen am Morgen, was er pantomimisch mit den Kindern zusammen durchführt. Auch da sei es schliesslich nicht egal, was zuerst angezogen wird. Schon wird eine wichtige Eselsbrücke gebildet. Auf diese Weise findet er mit jeder Altersgruppe die richtige Art zu kommunizieren, was wir Gianni Bertossa mit seiner gewinnenden Art gerne glauben. Damit SZPI authentisch bleiben, ist es wichtig, dass jeder und jede seine eigenen Mittel und Wege findet, das Eis bei einer Klasse zu brechen und das Interesse der Kinder zu wecken. > Verschiedene Aussteller stellten den SZPI vor Ort ihre Mundpflegeprodukte vor. N R. 133 / W IN T ER 2016