46 Finanzplatz Deutschland von Edgar Meister, Minister a.D., Mitglied des Direktoriums der Deutschen Bundesbank, Frankfurt a. M. Vortrag, gehalten am 7. Dezember 1993 anläßlich der Jahrestagung des Forschungsinstituts für Leasing an der Universität zu Köln I. Die im Oktober dieses Jahres abgeschlossene Ratifizierung des Vertrages von Maastricht und die anschließende Entscheidung für Frankfurt als Sitz des Europäischen Währungsinstituts sind währungspolitisch, aber auch für den Finanzplatz Deutschland bedeutsam. Die Staats- und Regierungschefs der EG haben ein sichtbares Zeichen der notwendigen Stabilitätsorientierung einer künftigen europäischen Geldpolitik gesetzt. Zugleich kommt darin zum Ausdruck, daß die durch die Bundesbank geprägte Tradition einer entschlossenen, auf niedrige Inflationsraten ausgerichteten Geldpolitik auch Leitlinie für das politische Handeln einer europäischen Zentralbank sein soll. Für die deutsche Bevölkerung, die vor dem Hintergrund zweier großer Inflationen sensibler als die Menschen in manch anderen Ländern auf eine Verschlechterung des Geldwertes reagiert, ist der "emotionale Wert" dieser Standortentscheidung nicht zu unterschätzen. Darüber hinaus erhält der in jüngster Zeit zusehends ins Stocken geratene europäische Integrationsprozeß mit dem Inkrafttreten des Vertrages von Maastricht einen neuen Impuls, und die zweite Stufe der europäischen Währungsunion kann nun wie geplant am 1. Januar 1994 beginnen. Letztlich gibt es keine erfolgversprechende Alternative für Europa zur Fortsetzung des eingeschlagenen Weges, auf dem vor allem Konvergenzfortschritte in den ökonomischen Fundamentaldaten und den Wirtschaftspolitiken erzielt werden müssen. Unter finanzmarktpolitischen Aspekten dürfte die Wahl Frankfurts als Sitz des EWI auf kurze Sicht eher begrenzte Wirkungen entfalten. Das EWI hat nach dem Vertrag keine geldpolitischen Befugnisse, und die Zahl seiner Mitarbeiter wird in der Anfangsphase relativ gering sein. Das Währungsinstitut soll vielmehr in erster Linie die bestehende Zusammenarbeit der europäischen Notenbanken vertiefen mit dem Ziel, die Geldwert- 47 stabilität sicherzustellen. Es soll darüber hinaus das EWS überwachen und die in Aussicht genommene Währungsunion konzeptionell, organisatorisch und logistisch vorbereiten. Die getroffene Standortentscheidung ist dennoch ein eindeutiger Beleg dafür, daß Frankfurt bereits heute einen guten Ruf als Finanzplatz hat, der durch die Ansiedlung des EWI zusätzlich aufgewertet wird. Mittel- und längerfristig dürften weitere Banken und Finanzinstitute die Nähe zur künftigen europäischen Zentralbank suchen und sich in Frankfurt sowie zum Teil sicher auch an anderen deutschen Börsenplätzen ansiedeln bzw. ihre in Deutschland bestehenden Aktivitäten im internationalen Vergleich stärker gewichten. Aus heutiger Sicht ist wohl kaum zu erwarten, daß Frankfurt London den Rang als führender Finanzplatz in Europa ablaufen wird. Vielmehr steht Frankfurt als Sitz des EWI und der künftigen europäischen Zentralbank unter anderem für die Möglichkeit einer dezentralen Umsetzung der Geldpolitik in einer europäischen Währungsunion. Damit werden gleichzeitig Zentralisierungstendenzen bei den Finanzmarktaktivitäten von unseren Partnerländern weit weniger zu befürchten sein, als dies etwa bei einer Entscheidung für London als Standort des EWI der Fall gewesen wäre. Der deutsche Finanzplatz wird nach meiner Einschätzung auf längere Sicht auch von der Öffnung Mittel- und Osteuropas profitieren. Angesichts der geografischen Nähe und der über Jahrzehnte hinweg gewachsenen Beziehungen zu diesen Ländern kann Deutschland eine wichtige politische und wirtschaftliche Brückenfunktion erfüllen. Der hiesige Finanzplatz kann dabei eine Vermittlerrolle übernehmen im Hinblick auf die Geld- und Kapitalströme von den hochindustrialisierten Ländern nach Mittel- und Osteuropa. Zudem sind deutsche Kreditinstitute besonders aufgerufen, den Aufbau einer funktionierenden Finanzinfrastruktur in diesen Reformstaaten beratend zu unterstützen und so den wirtschaftlichen Transformationsprozeß zu erleichtern. Erste Initiativen in diesem Bereich existieren erfreulicherweise bereits. II. Analysiert man die bisherige Entwicklung des Finanzplatzes Deutschland, so wird deutlich, daß sich seine Wettbewerbsfähigkeit und seine Solidität vor allem aus einer starken ökonomischen Basis im Inland und einem für Finanzdienstleistungen seit jeher günstigen ordnungspolitischen Ansatz des Staates ableiten. Eine aus meiner Sicht sehr wichtige Grundlage aller Finanzmarktaktivitäten ist die Stabilität unserer Währung. Durch ihre traditionelle Stärke hat sich die D-Mark zur zweitwichtigsten internationalen Anlageund Reservewährung entwickelt. Ende 1992 beliefen sich die im Ausland gehaltenen 48 DM-Anlagen auf rund 1,1 Billionen DM, der Anteil der D-Mark an den Weltdevisenreserven betrug zu diesem Zeitpunkt etwa 14 %. Dieses bedeutende Aktivum in seinem Wert zu erhalten, ist die vornehmste Aufgabe der Bundesbank. Vor dem Hintergrund der hohen DM-Anlagen im Ausland hat die Bundesbank bei ihrer Zinspolitik nicht nur die Entwicklung der Geldmenge sowie Preissteigerungstendenzen zu berücksichtigen, sondern auch mögliche Rückwirkungen auf den Außenwert der D-Mark. Binnenwirtschaftlich betrachtet hat die Stabilität der D-Mark eine im Vergleich zu vielen anderen Ländern hohe Ersparnisbildung begünstigt. Im Durchschnitt haben die (westdeutschen) privaten Haushalte in den vergangenen zehn Jahren jeweils mehr als 13 % ihres verfügbaren Einkommens gespart. Von ihren gesamten Anlagen innerhalb und außerhalb des Bankensektors sind etwa 60 % als längerfristig, d. h. mit einer Laufzeit von über einem Jahr, einzustufen, und sie sind daher unter dem Aspekt der gesamtwirtschaftlichen Kapitalbildung wertvoll. Die deutschen Banken und andere inländische Anbieter von Finanzdienstleistungen genießen vor diesem Hintergrund einen "Heimvorteil" bei DM-Geschäften, der oft als selbstverständlich angesehen wird, es aber keineswegs ist. Sie operieren in einer international gefragten Währung, erhalten dadurch zusätzliche Geschäftsmöglichkeiten und können bei ihrer Refinanzierung auf bisher sehr ergiebige inländische Quellen zurückgreifen. Unter den rechtlichen Rahmenbedingungen für den deutschen Finanzplatz möchte ich zunächst auf den wichtigen Bereich der Bankenaufsicht kurz eingehen. Unsere Bankenregulierung und -aufsicht sind durch eine vergleichsweise liberale Konzeption gekennzeichnet, die mit den Grundsätzen der sozialen Marktwirtschaft im Einklang steht. Das Kreditwesengesetz gibt lediglich einen Rahmen meist quantitativer Normen vor und stellt ergänzende Anforderungen für die Geschäftstätigkeit der Banken, die sicherstellen sollen, daß die Aufsicht ausreichende Informationen zur Wahrnehmung ihrer Überwachungsaufgabe erhält. Unmittelbare Eingriffe der Bankenaufsicht in unternehmenspolitische Entscheidungen von Kreditinstituten finden ganz selten statt; sie sind auch nur dann zulässig, wenn die Ziele des KWG anderweitig nicht erreicht werden können. Andererseits ist der deutsche Kreditinstitutsbegriff relativ weit gefaßt, weiter als die entsprechende EG-Definition der ersten Bankrechtskoordinierungsrichtlinie und weiter als in den meisten außereuropäischen Ländern. Zum Beispiel zählen dazu auch das Wertpapiergeschäft für Kunden und die Durchführung des bargeldlosen Zahlungsverkehrs. Eine Verlagerung traditioneller Funktionen der Banken zu Nichtbanken, die keiner besonderen Aufsicht oder nicht unmittelbar dem Einfluß der Notenbankpolitik unterliegen, hat nicht 49 zuletzt wegen dieser breit angelegten Bankdefinition bei uns kaum stattgefunden. Im Interesse der Effizienz unserer Geldpolitik war dies sicher von Vorteil. Der deutsche Kreditinstitutsbegriff geht allerdings nicht so weit, daß etwa auch Leasinggeschäfte die Bankeigenschaft begründen würden. Dies ist insofern nicht ganz unproblematisch, als der Aufsichtsgrundsatz "same business, same risk, same rules'' hier durchbrochen wird: Leasinggeschäfte sind von Banken - bzw. im Rahmen der bankaufsichtlichen Konsolidierung auch von deren Tochterunternehmen - mit Eigenkapital zu unterlegen und bei den Großkreditgrenzen zu berücksichtigen. Für unabhängige Leasinggesellschaften existieren dagegen keine vergleichbaren Anforderungen. Andererseits haben Leasinggesellschaften keinen Zugang zur Notenbankrefinanzierung und dürfen keine Einlagen entgegennehmen, so daß ihnen meines Erachtens aus der fehlenden Einbeziehung in die Bankenaufsicht keine ungerechtfertigten Wettbewerbsvorteile erwachsen. Leasinggesellschaften und Banken, die Leasingfinanzierungen anbieten, tragen natürlich auch zur Attraktivität des Finanzplatzes Deutschland bei. Derzeit wird das Leasing allerdings fast ausschließlich im privaten Sektor genutzt. In Zeiten angespannter öffentlicher Haushalte sollte meines Erachtens auch darüber nachgedacht werden, ob z. B. dringend notwendige Infrastrukturinvestitionen nicht zum Teil auch durch Leasing finanziert werden könnten. Aus meiner früheren Tätigkeit als Finanzminister in Rheinland-Pfalz weiß ich, daß Leasing eine kostengünstige und effiziente Alternative zur Kreditaufnahme der öffentlichen Hand sein kann. Im Rahmen einiger Pilotprojekte auf kommunaler Ebene wurde die Vorteilhaftigkeit des Leasing jedenfalls klar bestätigt. Der Einsatz dieser bisher wenig üblichen Form der Finanzierung öffentlicher Ausgaben darf freilich nicht dazu führen, daß die Verschuldungssitutation des Staats intransparent wird und die Verschuldungsgrenze insgesamt hinausgeschoben wird. Es geht vielmehr darum, die Vorteile der privatwirtschaftlichen Finanzierung sowie privates Know-how auch für den öffentlichen Sektor zu nutzen. Betrachtet man die staatliche Regulierung der wichtigsten Finanzdienstleistungen in Deutschland, also Bankdienstleistungen, Wertpapierdienstleistungen einschließlich des Börsenwesens sowie Versicherungsdienstleistungen, so zeigt sich, daß der vergleichsweise liberale ordnungspolitische Ansatz in seinen wesentlichen Elementen nahezu durchweg realisiert ist. Eine wichtige Ausnahme hierzu stellt allerdings der Versicherungssektor dar, wo bisher vor allem Verbraucherschutzüberlegungen eine hohe Regulierungsdichte bedingen, die meines Erachtens den Wettbewerb zwischen den Versicherern einschränkt. Mit der zunehmenden europäischen Harmonisierung der Aufsichtsregelungen für Versicherungen wird sich dies aber voraussichtlich in den nächsten Jahren ändern; beispielsweise soll die Genehmigung der Versicherungstarife durch die Versicherungsaufsicht aufgehoben werden. Die deutschen Versicherungsunternehmen werden 50 deshalb schon bald weit stärker als bisher mit ausländischen Anbietern in Konkurrenz treten müssen. Der soeben in seinen Grundzügen erläuterte Regulierungsansatz für Finanzdienstleistungen erhält eine wichtige Ergänzung durch die seit langem verwirklichten Freiheiten des grenzüberschreitenden Geld- und Kapitalverkehrs sowie des Angebots von Finanzdienstleistungen aus dem Ausland und des praktisch gleichberechtigten Zugangs ausländischer Konkurrenten zu unserem Markt. Die Liberalisierung in diesen Bereichen wurde in Deutschland früher vollzogen als in wichtigen anderen Ländern Europas sowie in den USA und Japan. Ein Mangel an Wettbewerb hat deshalb am Finanzplatz Deutschland, insbesondere im Bankensektor, nie bestanden. Die spezifischen ökonomischen Faktoren und rechtlichen Rahmenbedingungen in Deutschland, die ich hier nur anhand einiger wichtiger Beispiele zu charakterisieren versucht habe, haben naturgemäß die Entwicklung und das Erscheinungsbild des Finanzplatzes Deutschland entscheidend geprägt. Besonders augenfällig ist in diesem Zusammenhang die Dominanz der Universalbanken. Der Universalbanktyp ist mittlerweile als leistungsfähige Organisationsform für bankgeschäftliche Tätigkeiten anerkannt und in vielen anderen Ländern auf dem Vormarsch. In Deutschland drückt sich die Leistungsfähigkeit der Universalbanken in ihrem umfassenden Dienstleistungsangebot sowie ihrer überragenden Stellung im Rahmen der Geldvermögensbildung der Privaten und der Kreditversorgung von Wirtschaft und Staat aus. In der Abgrenzung der Finanzierungsrechnung der Bundesbank hatten die inländischen nichtfinanziellen Sektoren Ende 1992 etwa 42 % ihres gesamten Geldvermögens im Bankensektor angelegt. Die Kreditinstitute haben damit ihren ersten Platz bei der Geldvermögensbildung bisher behaupten können, wenngleich in den letzten Jahren vor allem Anlagen in festverzinslichen Wertpapieren und Lebensversicherungen deutlich an Bedeutung gewonnen haben. Bei ihren Fremdmittelaufnahmen am Markt stützten sich die inländischen nichtfinanziellen Sektoren zu fast 75 % auf von Banken bereitgestellte Finanzierungsmittel. Eine bemerkenswerte Rolle spielen die Kreditinstitute auch am Rentenmarkt. Sie treten dabei sowohl als Emittenten als auch als Käufer von Wertpapieren auf. Im Jahr 1992 beispielsweise plazierten die Banken eigene Schuldverschreibungen im Kurswert von rund 107 Mrd. DM. Zugleich stockten sie ihre Portfolios an Rentenwerten um etwa 78 Mrd. DM auf, einschließlich der zugeteilten Schuldverschreibungen des Ausgleichsfonds Währungsumstellung waren es sogar 128 Mrd. DM. Die hohen Anteile der Kreditinstitute im Anlage- und im Finanzierungsgeschäft sowie ihre überwiegend universelle Ausrichtung gehen einher mit einer auch längerfristig guten 51 Ertragsentwicklung. Gerade in konjunkturellen Schwächephasen erweist sich die Ertragsstärke der Banken als Vorteil, da sie stabilisierend auf die Konjunktur und auf das Finanzsystem wirkt. Die Dominanz der Universalbanken in unserem Finanzsystem wird teilweise mit der Kritik verbunden, die organisierten Kapitalmärkte in Deutschland seien unterentwickelt. Vor allem eine im Vergleich zu manchen anderen Ländern geringere Bedeutung des Aktienmarktes ist sicher nicht zu leugnen. Ein wichtiger Grund hierfür besteht meines Erachtens darin, daß Pensionsfonds, die in den angelsächsischen Ländern als bedeutende Käufer von Aktien auftreten, angesichts der Organisation unserer staatlichen Rentenversicherung in Deutschland kaum eine Rolle spielen. Hinzu kommt die starke Zurückhaltung der privaten Haushalte bei Aktienengagements. In jüngster Zeit hat auch die Gebührenpolitik der Banken bei Kleinaufträgen nicht gerade dazu beigetragen, Privatanleger stärker an den Aktienmarkt heranzuführen. Die häufig betonten Interessenskonflikte innerhalb einer Universalbank spielen dagegen meiner Meinung nach hier eher eine untergeordnete Rolle. Durch das Zweite Finanzmarktförderungsgesetz, das Mitte 1994 in Kraft treten soll, wird unter anderem der Mindestnennbetrag einer Aktie auf 5 DM herabgesetzt. Es wäre zu wünschen, daß damit neue Anlegergruppen, insbesondere im Bereich der Privatkunden, für den Aktienmarkt gewonnen werden können. Die genannte Kritik wenig entwickelter organisierter Finanzmärkte in Deutschland ist auch insofern zu pauschal und nicht schlüssig, als zumindest zwei Marktsegmente im internationalen Vergleich sehr bedeutend sind. Zum einen ist dies der Markt für Staatsanleihen, der mit einem Umlaufvolumen von fast 1 Billion DM nach den USA und Japan der drittgrößte der Welt ist. Zum zweiten hat sich die Deutsche Terminbörse, die erst 1990 ihre Tätigkeit aufgenommen hat, im Optionsbereich relativ rasch den ersten Rang in Europa erobert. Ihr Marktanteil, gemessen an den Optionsumsätzen aller europäischer Terminbörsen, liegt derzeit bei etwa einem Viertel. III. Darüber hinaus darf nicht übersehen werden, daß die deutschen Kreditinstitute zu dem dynamischen Wachstum der außerbörslichen Märkte in derivativen Finanzinstrumenten, wie Swaps, Optionen und Finanzterminkontrakte, beigetragen haben, das heute von den Aufsichtsbehörden weltweit eher kritisch beurteilt wird. Die rasche Expansion solcher Geschäfte auf nationaler wie internationaler Ebene ist einerseits eine Folge tiefgreifendender Veränderungen wichtiger Rahmenbedingungen an den Finanzmärkten, andererseits hat das Entstehen und die Zunahme der Derivate selbst 52 zu diesem Wandel maßgeblich beigetragen. Seit etwa Mitte der achtziger Jahre sind praktisch alle größeren Industrieländer in einen Deregulierungsprozeß eingetreten, der im Bereich der Finanzdienstleistungen besonders ausgeprägt war. Begünstigt durch den technischen Fortschritt auf dem Gebiet der Kommunikations-, Datenverarbeitungs- und Zahlungsverkehrstechnik entstanden neue Finanzprodukte, Finanzierungstechniken und Marktsegmente. Gleichzeitig hat sich die Integration der einzelnen nationalen Finanzmärkte in das Weltfinanzsystem so sehr intensiviert, daß diese heute stärker als jemals zuvor eine ''unkündbare Risikogemeinschaft" bilden. Die grenzüberschreitenden Geld- und Kapitalströme machen inzwischen ein Vielfaches der realwirtschaftlichen Ströme aus, und derivative Finanzinstrumente haben erst durch den Einsatz "cross-border" ihre derzeitige Bedeutung erlangt. Hinzu kommt eine Konzentration solcher Finanzgeschäfte auf relativ wenige "global player" und allgemein eine auf vielen Märkten zu beobachtende wachsende Bedeutung institutioneller Anleger. Die Folgen dieser Entwicklungen sind vielfältig, sie betreffen die Finanzplätze, die Marktteilnehmer, die Notenbanken, und die für die Finanzmarktregulierung zuständigen Stellen gleichermaßen. So ist im Verlauf der achtziger Jahre ein zunehmender Wettbewerb zwischen den bedeutenderen Finanzplätzen der Welt entstanden, der darauf ausgerichtet ist, den eigenen Anteil, vor allem an den erwähnten internationalen Geldbewegungen und anderen Finanzaktivitäten, auszuweiten. Zunächst sind manche Länder dabei in einen "competition in laxity" eingetreten. Dieser auf längere Sicht schädliche Deregulierungswettbewerb konnte nur dadurch eingedämmt werden, daß wichtige Regelungen an den Finanzmärkten international harmonisiert wurden. Ein Teil der Maßnahmen steht freilich noch aus, ein anderer Teil ist von den einzelnen Ländern noch in nationales Recht umzusetzen. Erst nach diesen zusätzlichen Schritten werden für die wichtigsten Finanzmarktinstitutionen, also Banken, Wertpapierhäuser, Versicherungen sowie das Wertpapier- und Börsenwesen gleichwertige Wettbewerbsbedingungen, das oft zitierte "level playing field", erreicht sein. Die Geschäftsbanken reagierten auf die neuen Umfeldbedingungen zum Teil mit sog. Allfinanzstrategien, d. h. dem Angebot praktisch aller gängigen Finanzdienstleistungen aus einer Hand. Manche Banken, insbesondere kleinere Institute, verfolgen dagegen eine Nischenpolitik, indem sie sich beispielsweise auf die Beratung sowie auf Anlagegeschäfte für vermögende Privatkunden spezialisieren. Darüber hinaus ist eine allgemeine Tendenz der Ausweitung bilanzunwirksamer und damit kapital- und kostensparender Geschäfte erkennbar. 53 Viele Notenbanken sehen sich seit einiger Zeit ungünstigeren Bedingungen für ihre Geldpolitik gegenüber. Bislang stabile monetäre Grundrelationen, wie sie in der Geldnachfragefunktion zum Ausdruck kommen, wurden insbesondere durch manche Finanzinnovationen und eine fortschreitende Disintermediation traditioneller Bank-Kunde-Beziehungen zunehmend gestört, so daß die verwendeten Geldmengenaggregate an Aussagekraft verloren. Zuletzt hat die amerikanische Fed ihre Orientierung an Geldmengengrößen offenbar endgültig aufgegeben. Die Deutsche Bundesbank ist bisher von solchen ungünstigen Entwicklungen weitgehend verschont geblieben, so daß weiterhin Geldmengenaggregate als Zwischenziele und Orientierungsmarken einer mittelfristigen Geldpolitik verwendet werden können. Letztlich bietet sich aus unserer Sicht auch keine andere Zwischenzielgröße oder ein Bündel von Indikatoren als praktikable Alternative hierzu an. Alle Notenbanken spüren zudem die "Macht der Finanzmärkte" heute stärker denn je. Erinnert sei nur an die jüngsten Krisen im europäischen Währungssystem. In diesem Zusammenhang gibt es Stimmen, die zur Eindämmung der "ungezügelten" Devisenspekulation quantitative Beschränkungen des Kapitalexports oder indirekte Maßnahmen zur Dämpfung von Kapitalexporten befürworten, wie z. B. eine Aktivmindestreserve oder eine Bardepotpflicht. Ein Rückfall in solche administrativen Eingriffe, die teilweise erst vor kurzem und von manchen Ländern nur mit einiger Mühe abgeschafft werden konnten, sind meines Erachtens keine wirklichen Lösungen. Von ordnungspolitischen Bedenken einmal abgesehen, wäre zu erwarten, daß bei dem inzwischen erreichten Grad der internationalen Verflechtung der Finanzmärkte direkte oder indirekte Kontrollen des Kapitalverkehrs letztlich scheitern würden. Insbesondere gelänge es wahrscheinlich nicht, derartige Maßnahmen mit einem vertretbaren Aufwand auch im Nichtbankensektor durchzusetzen, auf den sich größere Teile der Kapitalbewegungen verlagern würden. Aus Sicht der Finanzmarktregulierung schließlich entsteht durch die oben erwähnten Veränderungen ein Bedarf zur Weiterentwicklung des ordnungspolitischen Rahmens, wobei Effizienz und Sicherheit gleichzeitig als Ziele verfolgt werden sollten. Schocks an einem Finanzplatz werden heute dank moderner Kommunikationsmittel rasch um den Globus auf andere Märkte übertragen. Überdies birgt die zunehmende Institutionalisierung der Finanzaktivitäten erhöhte Gefahren. Bereits in der Vergangenheit war zum Teil ein kollektives Fehlverhalten von Banken und anderen Finanzmarktteilnehmern wiederholt zu beobachten. Beispiele hierfür sind die in den achtziger Jahren eingegangenen übermäßigen Länderrisiken vieler Banken, Engagements in Junk Bonds sowie mit hohem Fremdkapitalanteil finanzierte Firmenübernahmen oder die bekannten 54 Probleme von Banken in den USA, Japan, Großbritannien und Skandinavien aufgrund von Immobilienfinanzierungen. Offenbar sehen manche professionellen Akteure in einem weltweit sehr wettbewerbsintensiven Umfeld an den finanziellen Märkten kaum eine andere Möglichkeit, ausreichende Erträge zu erzielen, als sich an solchen Übersteigerungen zu beteiligen. Wie die Erfahrungen der Vergangenheit zeigen, führen die daraus entstehenden Risiken am Ende häufig zu hohen einzelwirtschaftlichen Verlusten und Gefahren für das Finanzsystem insgesamt. Um so mehr gilt es aus Sicht der Aufsichtsbehörden, geeignete Vorkehrungen zu treffen, damit die in der jüngsten Vergangenheit sprunghaft gewachsenen Aktivitäten in derivativen Finanzinstrumenten nicht das nächste Beispiel in dieser Reihe sind. Erfolgversprechende Ansatzpunkte sind dabei höhere Eigenkapitalanforderungen und eine verbesserte Transparenz für solche Geschäfte. IV. Der deutsche Finanzmarkt hat seine Leistungsfähigkeit gerade in den letzten Jahren eindrucksvoll unter Beweis gestellt. Die enormen zusätzlichen Finanzierungsanforderungen durch die deutsche Wiedervereinigung konnten bisher gut bewältigt werden. Der deutsche Kapitalmarktzins ist nicht zuletzt wegen der hohen Anlagebereitschaft aus dem Ausland bis auf fast 5 1/2 % gesunken, und eine Reihe von Emittenten ist dazu übergegangen, dreißigjährige Anleihen zu begeben. In diesen Entwicklungen spiegelt sich ein beachtlicher Vertrauensvorschuß für die Geldpolitik der Bundesbank bzw. für die DMark wider, der keinesfalls enttäuscht werden darf. Neben fundamentalen wirtschaftlichen Faktoren, wie der Stärke der heimischen Währung und der hohen Ersparnisbildung, sind die Infrastruktur und die Organisation des Marktes wichtige Voraussetzungen dafür, daß der Finanzsektor seine gesamtwirtschaftliche Aufgabe, die knappen Mittel kostengünstig der bestmöglichen Verwendung zuzuführen, erfüllen kann. In einem einheitlichen Währungsraum, wie er in Europa angestrebt wird, wird die Effizienz, aber auch die Soliditat der einzelnen Finanzzentren noch stärker als bisher über deren Wettbewerbsfähigkeit entscheiden. Im Verlauf der achtziger Jahre sind in Deutschland bereits wichtige Maßnahmen zur Verbesserung insbesondere des Wertpapier- und Börsenwesens getroffen worden. Lassen Sie mich nur einige davon stichwortartig in Erinnerung rufen: Die Abschaffung der Kuponsteuer auf Zinseinkünfte von Gebietsfremden aus inländischen Rentenpapieren, die Einführung des Geregelten Marktes als neues Börsensegment, die Erweiterung der Anlagemöglichkeiten für Versicherungen und Kapitalanlagegesellschaften, die Schaffung der gesetzlichen Grundlagen für Termingeschäfte mit Nichtkaufleuten und damit 55 zusammenhängend die Errichtung der Deutschen Terminbörse, ferner die Abschaffung des Emissionsgenehmigungsverfahrens für Schuldverschreibungen, die Liberalisierung der Erklärung der Bundesbank zu DM-Emissionen und schließlich die mit der Gründung der Deutsche Börse AG zunächst abgeschlossene Börsenstrukturreform. Nicht unerwähnt bleiben sollen aber auch Maßnahmen, die für den Finanzplatz Deutschland eher ungünstig waren. Ich denke dabei vor allem an die im ersten Halbjahr 1989 geltende Quellensteuer bzw. an die Anfang 1993 eingeführte Zinsabschlagsteuer. Unter dem Gesichtspunkt einer größeren Steuergerechtigkeit sind diese beiden Steuern uneingeschränkt zu begrüßen. Zudem sind die in Verbindung mit der Zinsabschlagsteuer stark erhöhten Freibeträge für Kapitaleinkünfte für die Steuerpflichtigen insgesamt ausreichend bemessen. Dennoch sind offenbar viele Anleger verunsichert und investieren einen Teil ihrer Ersparnisse an quellensteuerfreien Plätzen. Die tatsächlichen Einnahmen aufgrund der Zinsabschlagsteuer sind aus diesem Grund deutlich hinter den Erwartungen zurückgeblieben. Insoweit gehen dem Fiskus dauerhaft Einnahmen verloren. Die von deutschen Bürgern ins Ausland verlagerten Mittel fließen freilich wieder an den deutschen Markt zurück, da sie in aller Regel in deutschen Wertpapieren angelegt werden. Deshalb wird das im Inland verfügbare Kapitalangebot im Ergebnis kaum beeinträchtigt. Ein aus meiner Sicht wesentlicher Aspekt dieser Geldströme ins Ausland mit anschließendem "Recycling" besteht aber darin, daß bisher von privaten Haushalten selbst verwaltete Anlagen verstärkt in die Hand professioneller Vermögensverwalter und institutioneller Investoren gelangen. Das Anlageverhalten der Nichtbanken ändert sich dadurch, da die Gelder zinsund währungsreagibler werden mit möglichen Auswirkungen auf die Geldpolitik. Finanzmärkte sind in hohem Maße auf das Vertrauen der Marktteilnehmer in ihre Funktionsfähigkeit und Solidität angewiesen. Angesichts der in den letzten Jahren rasch gewachsenen Bedeutung des börslichen und außerbörslichen Wertpapierhandels ist eine effektive Marktaufsicht in diesen Bereichen zu einem notwendigen Bestandteil der Verfassung jedes Finanzmarktes geworden. Die Wertpapieraufsicht in Deutschland ist daher weiterzuentwickeln. Die bisherige, auf eine reine Rechtsaufsicht beschränkte staatliche Börsenaufsicht der Länder und die Kontrolle des Handelsgeschehens im Rahmen der Selbstverwaltung der Börsen bedürfen zwingend einer gesetzlichen Ergänzung. Mit dem bereits erwähnten Zweiten Finanzmarktförderungsgesetz wird ein entscheidender Schritt auf dieses Ziel hin getan. Das deutsche Aufsichtssystem im Wertpapierhandel 56 soll an international übliche Standards angepaßt werden. Von zentraler Bedeutung ist dabei die Errichtung eines Bundesaufsichtsamtes für den Wertpapierhandel. Dieses neue Aufsichtsamt wird etwa vergleichbar sein mit z. B. der amerikanischen Securities and Exchange Commission. Es wird Befugnisse zur Verfolgung und zur vorbeugenden Bekämpfung von Insidergeschäften erhalten, es wird die Einhaltung der von der EG-Transparenzrichtlinie vorgegebenen Melde- und Informationspflichten bei Transaktionen über wesentliche Beteiligungen an börsennotierten Gesellschaften überwachen, und es wird die internationale Zusammenarbeit im Bereich der Wertpapierhandelsaufsicht, insbesondere im Rahmen der IOSCO, wahrnehmen. Darüber hinaus sollen die Börsenaufsichtsbehörden der Länder neben der bisher schon ausgeübten Rechtsaufsicht auch für die Marktaufsicht über Börsen und Makler im Sinne einer ordnungsgemäßen Durchführung des Handels zuständig sein. Als weitere wichtige Maßnahme des Gesetzgebers steht - neben einer Neufassung der Prospekthaftung - die Umsetzung der EG-Wertpapierdienstleistungsrichtlinie an. Diese Richtlinie, die bis Ende 1995 in den Mitgliedstaaten der EG umgesetzt sein muß, wird den gemeinsamen Markt im Hinblick auf Wertpapierdienstleistungen ergänzen und in Deutschland zu einer gesetzlichen Verankerung sog. Wohlverhaltensregeln (rules of conduct) führen. V. Alle diese Anpassungen der rechtlichen Rahmenbedingungen werden dem Finanzplatz Deutschland zugute kommen, und angesichts der ganz am Anfang meines Referats genannten günstigen politischen und ökonomischen Entwicklungen sind die Aussichten gut, daß der hiesige Finanzplatz Marktanteile im internationalen Wettbewerb hinzugewinnen kann. Finanzplatzförderung in diesem Sinne ist auch aus Sicht der Deutschen Bundesbank uneingeschränkt zu begrüßen. Jede Notenbank ist bei der Umsetzung ihrer Geldpolitik auf effiziente und stabile Finanzmärkte angewiesen. Finanzmarktpolitik darf allerdings auch nicht falsch verstanden werden als Deregulierung um jeden Preis. Es geht meines Erachtens nicht in erster Linie darum, den Marktteilnehmern bessere Geschäftsmöglichkeiten zu verschaffen. Nicht nur aus Sicht der Finanzmarktregulierung und der Notenbank sollte klar sein, daß Finanzmärkte eine dienende Funktion gegenüber der realen Sphäre der Volkswirtschaft haben. Eine völlige Emanzipation der finanziellen Märkte von realwirtschaftlichen Grundlagen wäre keine auf Dauer 57 aufrechtzuerhaltende Situation, und man könnte mit Recht nach dem gesamtwirtschaftlichen Sinn und Nutzen einer solchen Veranstaltung fragen. Überdies muß die durch Deregulierung entstandene Freiheit der Akteure mit einer angemessenen Überwachung einhergehen, um die Risiken für das Finanzsystem als Ganzes nicht aus den Augen zu verlieren. Das erwähnte Zweite Finanzmarktförderungsgesetz betont gerade diesen Sicherheits- und Überwachungsaspekt. Stabilität an den Finanzmärkten läßt sich jedoch nicht staatlich verordnen. Der Staat kann und sollte sich nach meinem Verständnis nur darauf beschränken, geeignete Rahmenbedingungen zu schaffen, die die Marktdisziplin der Teilnehmer fördern und das Eingehen übermäßiger Risiken mit wirksamen Sanktionen belegen. Die Mitwirkung und Mitverantwortung vor allem der Banken und institutionellen Investoren aus dem Nichtbankbereich zur Erhaltung der Systemstabilität ist aber unverzichtbar. Schließlich - gestatten Sie mir abschließend diesen Hinweis als Vertreter der Deutschen Bundesbank - dürfen Finanzmarktreformen nicht so weit gehen, daß die Grundlagen der Geldpolitik zerstört werden. Ähnlich wie bei der Frage der Stabilität des Finanzsektors gilt es hier, gesamtwirtschaftliche Interessen gegen mögliche mikroökonomische Vorteile sorgfältig abzuwägen. Ein aktuelles Beispiel hierfür ist die Diskussion um die Mindestreserve. Die Bundesbank sieht das Instrument der Mindestreserve aus nationaler wie aus europäischer Sicht nach wie vor als notwendig für die Effizienz der Geldpolitik an. Auch in Zukunft wird die Bundesbank den Deregulierungsspielraum in diesem Bereich ausloten und ihn zur weiteren Verbesserung der Rahmenbedingungen am Finanzplatz Deutschland nutzen. Alle Anpassungen haben aber graduell und vorsichtig zu erfolgen, sie finden ihre Grenze dort, wo dieses geldpolitische Instrument in seinem Wesensgehalt angetastet würde.