68 BZB Juni 15 Wissenschaft und Fortbildung Eine klinische Herausforderung Systematische Parodontitistherapie unter antiresorptiver osteotroper Behandlung E i n B e i t r a g v o n D r. K l e o p a t r a Z i a t a , K r a i l l i n g Eine zunehmende Anzahl von Patienten erhält antiresorptive osteotrope Medikamente, insbesondere Bisphosphonate oder Denosumab. Die Behandlung dieser Patienten stellt den praktisch tätigen Zahnarzt vor Herausforderungen – nicht nur bei scheinbar banalen Extraktionen, sondern auch bei der systematischen Parodontitistherapie. Leider existieren bisher nur wenige verlässliche Daten, in welcher Form und unter welchen Kautelen bei diesen Patienten die Behandlung einer Parodontitis durchgeführt werden soll. Einsatzgebiete, Wirkung und Nebenwirkungen antiresorptiver osteotroper Medikamente Bisphosphonate werden hauptsächlich Patienten verabreicht, die an Osteoporose, einem Mammaoder Prostatakarzinom beziehungsweise an einem multiplen Myelom erkrankt sind. Die Prävalenz der Osteoporose liegt in Deutschland zwischen acht und zehn Millionen Patienten [1], mit einer steigenden Inzidenz von 885 000 Neuerkrankung pro Jahr. Diese Zahlen zeigen, dass die Kenntnis einer adäquaten Therapie dieser Patienten auch für den Zahnarzt in seiner täglichen Praxis wichtig ist. Eine potenzielle Nebenwirkung der Bisphosphonate ist die Bisphosphonat-assoziierte Kiefernekrose (Bisphosphonate-related Osteonecrosis of the Jaw, BRONJ). Neuerdings wird zur Therapie dieser Patienten auch der humane monoklonale Antikörper Denosumab eingesetzt. Auch hier wurden Kiefernekrosen als Nebenwirkung beobachtet [13]. Die American Association of Oral and Maxillofacial Surgeons (AAOMS) hat daher eine neue Bezeichnung vorgeschlagen, nämlich die mit Medikamenten assoziierte Kiefernekrose (Medication-Related Osteonecrosis of the Jaw, MRONJ) [3,4]. Zahnärztliche, oral- oder mund-, kiefer- und gesichtschirurgische Behandlungen solcher Patienten, wie zum Beispiel Zahnextraktionen, die nicht entsprechend der Leitlinien der Deutschen Gesellschaft für Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde (DGZMK) [1] durchgeführt werden, können die Entstehung einer Kiefernekrose begünstigen. Die nekrotischen, freiliegenden Kieferanteile können sich infizieren. Foetor ex ore, eitrige, offene Wunden und Schwellungen Abb. 1: Intraorale Manifestation einer Kiefernekrose im Unterkiefer rechts bei einer 58-jährigen Patientin mit einem Mammakarzinom. Die Patientin erhielt seit drei Jahren monatlich 4 mg Zoledronat intravenös. können sich klinisch manifestieren (Abb. 1). Auch Fisteln, Zahnlockerungen, persistierende Schmerzen nach Zahnextraktion oder anderen chirurgischen Maßnahmen können auf eine MRONJ hinweisen. Eine Sensibilitätsstörung im Bereich der Unterlippe (Vincent Symptom) kann ebenfalls vorkommen. Röntgenologisch sind nach Zahnextraktion oft nicht heilende Alveolen sichtbar. Basis des Verständnisses dieses Krankheitsbildes ist die Pharmokodynamik und -kinetik der antiresorptiven Medikamente. Bisphosphonate haben eine starke Affinität zum Hydroxylapatit des Knochens und wirken auf die Osteoklasten. Klinisch hemmen sie die Knochenresorption und erhöhen die Knochendichte, ein Effekt der für die Behandlung der Osteoporose sehr positiv ist. Im Wesentlichen führen sie zu einer Hemmung der Osteoklastenaktivität durch Apoptose. Sie wirken aber auch indirekt auf die Osteoblasten und interferieren somit mit dem gesamten Knochenstoffwechsel. Bisphosphonate haben eine sehr lange Halbwertszeit im Knochen, die mehr als zehn Jahre beträgt [4,12,13]. Denosumab ist ein monoklonaler Antikörper mit einem anderen Wirkmechanismus als die Bisphosphonate, der ebenfalls zu einer deutlichen Hemmung des „Remodellings“ des Knochens führt. Denosumab wird subkutan injiziert. Bei onkologi- Wissenschaft und Fortbildung BZB Juni 15 Abb. 2: Ausschnitt eines Orthopantomogramms einer 88-jährigen Patientin mit generalisierter Parodontitis marginalis. Die Patientin erhält seit einem Jahr im Abstand von drei Monaten intravenös 6 mg Ibandronsäure. Die Parodontitistherapie und konservierende Maßnahmen erfolgten vor der ersten Bisphosphonatgabe. Seitdem befindet sich die Patientin in einem engmaschigen Recall mit begleitender professioneller Zahnreinigung. Die PZR erfolgt nicht direkt nach der Bisphosphonatgabe, sondern in einem Abstand von mindestens einem Monat. Seit Beginn der Therapie mit dem antiresorptiven Medikament ist die Parodontitis nicht vorangeschritten. Anzeichen einer Kiefernekrose wurden bis jetzt nicht diagnostiziert. scher Indikation wird monatlich eine Dosis von 120 mg appliziert und im Rahmen der Osteoporosebehandlung werden halbjährlich 60 mg injiziert [4]. Ein wesentlicher Unterschied zu den Bisphosphonaten liegt in der deutlich kürzeren Halbwertszeit von Denosumab. Marginale Parodontitis Die Parodontitis ist eine durch den bakteriellen Biofilm bedingte entzündliche Erkrankung des Parodonts. Im Allgemeinen senken lokale Entzündungen den pH-Wert im umliegenden Gewebe. Im Mund-, Kiefer- und Gesichtsbereich treten Entzündungen sehr oft in Form von marginalen und apikalen Entzündungen sowie nach dento-alveolären chirurgischen Eingriffen, vor allem nach Zahnextraktionen, auf. Durch die Absenkung des pHWerts im Gewebe können die Bisphosphonate, die ja eine lange Halbwertszeit haben, aus dem Knochen herausgelöst und aktiviert werden und eine Bisphosphonat-assoziierte Kiefernekrose auslösen [6-10]. Die Parodontitis stellt also einen Risikofaktor für die Entstehung einer BRONJ beziehungsweise MRONJ dar und sollte daher vor einer anstehenden Behandlung mit antiresorptiven Medikamenten systematisch behandelt werden. Durch die systematische Parodontitistherapie sollen potenzielle Schlupfwinkelinfektionen vermieden und Keimeintrittspforten eliminiert werden, wodurch die Wahrscheinlichkeit für die Entstehung einer Kiefernekrose verringert wird. Behandlung vor einer antiresorptiven Therapie Zahnärztliche Patienten mit einer Osteoporose, die vor einer antiresorptiven Therapie stehen, sollten über das Risiko einer Kiefernekrose aufgeklärt werden. Notwendige Parodontitistherapien und Zahnsanierungen sollten vor der geplanten Behandlung durchgeführt werden. Die regelmäßige Entfernung von Zahnstein und Belägen sollte ausdrücklich empfohlen werden. Tumorpatienten, die vor einer antiresorptiven Therapie in onkologischer Dosis stehen, müssen – falls nötig – ebenfalls vor Beginn dieser Behandlung eine systematische Parodontitistherapie und Zahnsanierung erhalten. Eine Kiefernekrose tritt bei diesen Patienten oft nach einer dento-alveolären Infektion beziehungsweise dento-alveolären chirurgischen Maßnahmen, wie etwa nach einer Zahnextraktion, auf. Ein engmaschiger Recall und eine optimale Mundhygiene sind für Tumorpatienten mit antiresorptiver medikamentöser Therapie essenziell, um eine Kiefernekrose zu vermeiden (Abb. 2). Behandlung während einer antiresorptiven Therapie In Bezug auf die Parodontitistherapie bei Patienten unter antiresorptiver Medikation ist es wichtig, dass der Zahnarzt genau weiß, welches Medikament wie lange verabreicht wurde und wann der Zeitpunkt der letzten Gabe war. In enger Rücksprache mit dem Onkologen/Internisten ist gegebenenfalls ein Pausieren dieser Medikamente (drug holiday) möglich. 69 70 BZB Juni 15 Wissenschaft und Fortbildung Abb. 3: Ausschnitt eines Orthopantomogramms einer 61-jährigen Patientin mit Osteoporose und einer generalisierten marginalen Parodontitis. Seit vier Jahren steht die Patientin unter antiresorptiver Therapie (einmal im Jahr Zoledronat 5 mg intravenös). Die Patientin wurde erst im dritten Jahr nach Beginn der Bisphosphonattherapie vorstellig. Die notwendige Parodontitistherapie wurde bei laufender Behandlung mit Bisphosphonat durchgeführt. Die Patientin wurde systemisch antibiotisch mit 2 x 1000 mg Amoxicillin zwei Tage vor und drei Tage nach der Parodontitistherapie abgedeckt. Die Parodontitistherapie wurde in der zweiten Jahreshälfte nach Bisphosphonatgabe durchgeführt. Es kam zu einer reizlosen Abheilung. Die Dauer des „drug holiday“ ist individuell abzuwägen. Tumorpatienten mit monatlicher intravenöser Gabe von antiresorptiven Medikamenten haben ein höheres Risiko, eine Osteonekrose zu entwickeln. Daher sollte darauf geachtet werden, dass die Therapie einer Parodontitis und auch Zahnextraktionen möglichst vor der Behandlung mit antiresorptiven Medikamenten begonnen und abgeschlossen werden. Die Zahnextraktionen sollten möglichst atraumatisch sein. Scharfe Knochenkanten müssen geglättet und Extraktionswunden immer sorgfältig plastisch gedeckt werden [1]. Sollten eine Parodontitistherapie oder operative Eingriffe während der Behandlung mit antiresorptiven Medikamenten notwendig werden, muss eine antibiotische Abdeckung entsprechend der Leitlinien der DGZMK stattfinden (z. B. orale Gabe von Amoxicillin 3 x 750 mg/d oder Amoxicillin und Clavulansäure 3 x 625 mg/d). Bei einer Penicillinallergie kann Clindamycin 4 x 300 mg/d bis 4 x 600 mg/d oder Clarithromycin 2 x 250 mg/d verordnet werden. Die Einnahme sollte mindestens einen Tag vor dem Eingriff und bis zum Abschluss der primären Wundheilung stattfinden [1,11]. Eine geschlossene Parodontitisbehandlung ist zwar mit einem chirurgischen Eingriff wie etwa einer Zahnextraktion nicht zu vergleichen, dennoch kann sie einen Risikofaktor für die Entstehung einer Kiefernekrose darstellen. Somit ist eine Abschirmung mit Antibiotika vor und nach der Behandlung ebenfalls empfehlenswert. Die Dauer der Einnahme vor und nach dem Eingriff ist jeweils individuell auf den Patienten abzustimmen (Abb. 3). Fazit Das Krankheitsbild der mit Medikamenten assoziierten Kiefernekrose ist ein sehr aktuelles Thema für den praktisch tätigen Zahnarzt und Oralchirurgen. Leider ist die Datengrundlage über die Form und unter welchen Kautelen die Parodontitistherapie bei Patienten unter antiresorptiver Therapie erfolgen soll noch nicht ausreichend. Wichtig ist jedoch, dass eine Parodontitisbehandlung wie auch Zahnextraktionen oder andere oralchirurgische Eingriffe vor einer Therapie mit Bisphosphonaten oder Denosumab durchgeführt werden sollten, um Entzündungen während der Behandlung mit antiresorptiven Medikamenten möglichst zu minimieren und das Risiko der Entstehung einer Kiefernekrose zu vermeiden. Falls während der Behandlung mit antiresorptiven Medikamenten eine Parodontitistherapie und/ oder Zahnextraktionen notwendig werden sollten, muss eine antibiotische Abschirmung vor und nach dem Eingriff erfolgen. Die zahnärztliche Therapie sollte in entsprechenden zeitlichen Abständen zur Gabe von Bisphosphonaten oder Denosumab erfolgen und möglichst atraumatisch durchgeführt werden. Nach einer Zahnextraktion ist es sehr wichtig, scharfe Knochenkanten zu glätten und die Extraktionswunde plastisch zu decken, um eine ungestörte Wundheilung zu erzielen [1,3,4]. Korrespondenzadresse: Dr. Kleopatra Ziata Praxis für Zahnheilkunde Luitpoldstraße 22, 82152 Krailling [email protected] Literatur bei der Verfasserin