P.b.b. Verlagspostamt 1180 Wien • GZ10Z038411M • ISSN 0048-5128 Themenheft neurologie • Psychiatrie TYP 1 UND TYP 2 DIABETES MELLITUS Lantus® – mit 1. Juli 2008 bewilligungsfrei (RE2)* Apidra® – Positive Opinion der Emea für die Zulassung für Kinder ab 6 Jahren THEMENHEFT DIABETES April 2012 Nr. 984a • 66. Jg. Inkretine – ein neuer Ansatz in der Therapie des Typ 2 Diabetes Insulinanaloga Aktuelle Therapie des Morbus Parkinson Diabetes im Alter Antihypertensiva Angststörungen und bei ihre Diabetes mellitus Behandlung Überblick PROATGLA080601 HbA1c < 7% unter Lebensstiltherapie – Schizophrenie was nun? Therapie im medikamentöse Fachkurzinformation siehe Seite 30 Diabetes im Spannungsfeld von Lebensstil und Die optimale Medizin antidementive Therapie 24-Stunden Diabetes Hotline: 01/801 85-2448 www.diabetesportal.at * Alle Darreichungsformen sind dokumentationspflichtig P.b.b. Verlagspostamt 1180 Wien • 04Z035389 M • ISSN 0048-5128 Juni 2008 Nr. 940a 62. Jahrgang • • 2 t h e m e n h e f t n e u r o lo g i e • p sy c h i at r i e INHALT Neuropsychiatrische „Volkskrankheiten“ ein therapeutisches Update D ie in diesem Themenheft besprochenen Entitäten sind ebenso häufig wie von komplexer Natur. Die therapeutischen Möglichkeiten sind aber bei etlichen Patienten noch nicht optimal ausgeschöpft - Grund genug, österreichische Experten um eine Darlegung des derzeitigen Spektrums an Behandlungsmöglichkeiten zu ersuchen. Die Parkinson-Therapie zielt auf gute Sym­ ptomkontrolle und Erhaltung von beruflichen und sozialen Kompetenzen, Selbständigkeit und Lebensqualität ab. Dabei sollten kurz- und langfristige Nebenwirkungen der Therapie möglichst vermieden werden. In den letzten Jahren konnte insbesondere die Behandlung von Langzeitproblemen verbessert werden. Univ. Prof. Dr. Walter Pirker aus Wien gibt in seinem Beitrag einen Überblick zur aktuellen Therapie des Mb. Parkinson. Nach wie vor besteht ein großes Defizit in der Demenz-Früherkennung - zudem wird die medikamentöse antidementive Behandlung oft zu spät etabliert, nur kurz verschrieben und nicht regelmäßig eingenommen. Darüber hinaus sind nicht-medikamentöse Behandlungsmaßnahmen im Gesamtbehandlungsplan leider nach wie vor unterrepräsentiert. Zur optimalen antidementiven Therapie nehmen Chefarzt Prim. Dr. Georg Psota aus Wien und Prim. Dr. Christian Jagsch aus Graz Stellung. Da bei Angsterkrankungen häufig körperliche Symptome im Vordergrund stehen, werden sie oft verkannt. Es kann einige Jahre dauern, bis die richtige Diagnose gestellt und damit auch eine zielführende Therapie begonnen werden kann. Angsterkrankungen sind nicht nur häufig, sie nehmen oft auch einen chronischen Verlauf - zudem tragen ein hohes Rezidivrisiko und häufige Komorbiditäten entscheidend zur Krankheitslast bei. Univ. Prof. Dr. Karin Gutierrez-Lobos aus Wien befasst sich in ihrem Beitrag mit Angststörungen und ihrer Behandlung. wissenschaft W. Pirker Aktuelle Therapie des Morbus Parkinson 4 K. Gutierrez-Lobos Angststörungen und ihre Behandlung 10 G. Psota, C. Jagsch Die optimale antidementive Therapie 16 Fortbildung Schizophrenie - medikamentöse Therapie im Überblick 20 Coverfoto: Gabriele Vasak, Journalistin und Literatin. www.gabrielevasak.com IMPRESSUM ISSN 0048-5128 DVR 0163538 Medieninhaber und Verleger: ARZT & PRAXIS VerlagsgmbH, Währinger Straße 112, 1180 Wien, Tel. 01/479 05 78, Fax: 01/479 05 78 DW 30, E-Mail: [email protected], www.arztundpraxis.at Herausgeber: Dkfm. Karin Schmitt Geschäftsführung: Mag. Manuela Moya Druckerei: „agensketterl“ Druckerei GesmbH, 3001 Mauerbach Bezugsbedingungen: Der Abonnementpreis beträgt jährlich (einschließlich Porto, in Österreich auch einschließlich Ust.) Euro 35,– . Turnusärzte: Euro 19,– . Abonnement Ausland: Euro 80,– / Erscheinungsort: 1180 Wien. Schriftleitung: Dr. Michael Burgmann, Oberer Panoramaweg 10, 8112 Gratwein, Tel: 0676/671 01 98, [email protected]. Druckauflage: 15.000 Namentlich gezeichnete Artikel, Leserbriefe und sonstige Beiträge sind die persönliche und/oder wissenschaftliche ÖAK-geprüft (1.HJ/11) Meinung des Verfassers und müssen daher nicht mit der Meinung der Redaktion übereinstimmen. Die Zeitschrift dient zur persönlichen Information des Empfängers und seiner Mitarbeiter, soll aber nicht im Wartezimmer aufgelegt werden. Für Angaben über Dosierungen, Applikationsformen und Angaben Pharmazeutischer Spezialitäten kann der Verlag keine Gewähr übernehmen. Sie sind vom jeweiligen Anwender auf ihre Richtigkeit zu überprüfen. Alle Rechte, insbesondere das Recht der Vervielfältigung und Verbreitung sowie der Übersetzung, vorbehalten. Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form (Fotokopie, Mikrofilm oder ein anderes Verfahren) oder unter Verwendung elektronischer Systeme gespeichert, verarbeitet, vervielfältigt, verwertet oder verbreitet werden. Eine informative Lektüre wünscht Ihnen Dr. Michael Burgmann Schriftleitung ARZT & PRAXIS Liebe Leserin, lieber Leser, aus Gründen der besseren Lesbarkeit wird bei Personenbezeichnungen die männliche Form gewählt. Die Angaben beziehen sich aber auf Angehörige beider Geschlechter. Jahrgang 66 / 984a / 2012 t h e m e n h e f t n e u r o lo g i e • p sy c h i at r i e privat Aktuelle Therapie des Morbus Parkinson Univ. Prof. Dr. Walter Pirker Universitätsklinik für Neurologie Medizinische Universität Wien Währinger Gürtel 18-20, 1090 Wien [email protected] Der Morbus Parkinson ist eine chronisch progressive neurodegenerative Erkrankung mit den motorischen Hauptsymptomen Bewegungsarmut (Bradykinese), Muskelsteifheit (Rigor) und Ruhezittern (Ruhetremor). Die Haltungsinstabilität gilt als viertes Kardinalsym­ ptom, tritt aber in der Regel nicht früh, sondern erst im Verlauf der Erkrankung auf. Die Symptomatik tritt beim überwiegenden Teil der Patienten asymmetrisch mit Betonung einer Körperseite auf. Die Diagnose des M. Parkinson fußt auf der Anamnese und der typischen Klinik. Zu achten ist immer auf Symptome, die auf ein anderes Parkinson-Syndrom hinweisen könnten (z.B. frühe Stürze, früh auftretende Inkontinenz). Zum Ausschluss von läsionellen Parkinson-Syndromen (z.B. Hydrozephalus) und zur Erfassung von Begleiterkrankungen sollte zumindest einmalig eine strukturelle Bildgebung (CCT oder besser MRT) durchgeführt werden. Im Fall von uncharakteristischen Frühsymptomen (z.B. Schulter-Arm-Syndrom, depressives Syndrom) kann die klinische Dia­ gnose durch das Dopamintransporter-Imaging unterstützt werden (Abb. 1). Prinzipien der Therapie im Verlauf des M. Parkinson Die Parkinson-Therapie zielt auf eine gute Symptomkontrolle und die Erhaltung beruflicher und sozialer Kompetenzen, der Selbständigkeit und der Lebensqualität ab. Dabei sollten kurz- und langfristige Nebenwirkungen der Therapie möglichst vermieden werden. Grundlage der Therapie sind die richtige Diagnose und die Aufklärung des Patienten über die Natur der Erkrankung und die verschiedenen Therapiemöglichkeiten. Jahrgang 66 / 984a / 2012 Fünfzig Jahre nach dem erstmaligen Einsatz bei Parkinson-Patienten ist L-Dopa weiterhin die wirksamste Substanz in der Therapie der Erkrankung. L-Dopa kann allerdings den fortschreitenden Verlust Dopaminhältiger Nervenzellen, der der Erkrankung zugrunde liegt, nicht aufhalten. Darüberhinaus treten nach langjähriger L-Dopa-Therapie bei einem erheblichen Teil der Patienten unwillkürliche Bewegungen (Dyskinesien) und Tagesschwankungen der Beweglichkeit (Fluktuationen) auf. In den letzten Jahren konnte die Behandlung dieser Langzeitprobleme der Parkinson-Krankheit verbessert werden. Die verfügbaren Parkinson-Medikamente sind primär symptomatisch wirksam. Ein neuroprotektiver Effekt ist bislang für keine Sub­ stanz bewiesen. Neuere Studien legen aber nahe, dass ein frühzeitiger Therapiebeginn einen günstigen Einfluss auf den klinischen Krankheitsverlauf haben dürfte. In jedem Fall sollte mit einer Therapie begonnen werden, wenn die Parkinson-Symptomatik subjektiv beeinträchtigend wird. Die Schwere der ParkinsonSymptomatik, Alter, Begleiterkrankungen und soziale Faktoren (insbesondere Art der Berufstätigkeit) sind entscheidend für die Wahl der Medikation. Die Einstellung auf die dopaminerge Ersatztherapie führt beim M. Parkinson initial meist zu einer deutlichen Besserung der Symptomatik. In den ersten Therapiejahren ist das Ansprechen stabil („L-Dopa-Honeymoon“), wiewohl das Fortschreiten des Nervenzellverlusts meist eine langsame Steigerung der Medikamentendosis und bei Patienten, die initial mit anderen Substanzen behandelt wurden, eine Einstellung auf L-Dopa erfordert. L-Dopa ist das wirksamste orale ParkinsonMedikament, löst aber bei der Mehrheit der Patienten motorische Komplikationen (Fluktuationen und Dyskinesien) aus. Diese treten häufig erst nach vielen Jahren, bei einem Teil der Patienten jedoch bereits nach wenigen Therapiemonaten auf. Wichtige Risikofaktoren für das Auftreten dieser Komplikationen sind der Grad der dopaminergen Degeneration (erkennbar an der Schwere der Parkinson-Symptomatik) und das Patientenalter (Risiko bei jüngeren Patienten deutlich höher). Die Vermeidung motorischer Komplikationen ist der Hauptgrund, dass jüngere Parkinson-Patienten heute meist nicht primär mit L-Dopa behandelt werden. Patienten, die initial mit Dopaminagonisten behandelt werden, haben - zumindest in den ersten 10 Therapiejahren - ein niedrigeres Risiko für motorische Komplikationen. Der motorische Effekt ist im Vergleich zu L-Dopa allerdings etwas schwächer und die Verträglichkeit etwas schlechter. L-Dopa verbessert die Lebenserwartung von Parkinson-Patienten und seine Wirksamkeit auf Rigor, Tremor und Bradykinese bleibt bis in fortgeschrittene Krankheitsstadien erhalten. Im Krankheitsverlauf treten jedoch eine Reihe von motorischen Symptomen auf, die zunächst z.T. auf L-Dopa anspechen, später aber häufig therapieresistent werden (Starthemmung, Freezing, Fehlhaltung, Stürze, Dysartrie, Dysphagie). In fortgeschrittenen Krankheitsstadien dominieren häufig schwere nicht-motorische Symptome wie Inkontinenz, orthostatische Hypotension, Schlafstörungen, Wahn, Halluzinationen und Demenz, die wiederum spezifische Therapiemaßnahmen erfordern, das Krankheitsbild. In dieser Krankheitsphase sind gute Pflege und unterstützende Therapien (z.B. Physiotherapie, Logopädie) von entscheidender Bedeutung für die Patienten. Tabelle 1 gibt einen Überblick über die verschiedenen Gruppen der Parkinson-Medikamente und die wichtigsten in Österreich erhältlichen Präparate. In Tabelle 2 sind übliche Tagesmaximaldosen angegeben. Therapie des frühen M. Parkinson Der Dopaminmangel, welcher der motorischen Parkinson-Symptomatik zugrunde liegt, kann durch die dopaminerge Ersatztherapie zumindest teilweise kompensiert werden. L-Dopa ist ARZT & PRAXIS 3 t h e m e n h e f t n e u r o lo g i e • p sy c h i at r i e 4 Fachkurzinformation siehe Seite 13 – AT1204033012, Datum der Erstellung 04/2012 eine Vorläufersubstanz von Dopamin, die oral aufgenommen wird, durch aktiven Transport über die Blut-Hirn-Schranke ins Gehirn gelangt und dort zu Dopamin metabolisiert wird. Um eine vorzeitige Konversion von L-Dopa zu Dopamin, welches nicht Blut-Hirn-Schranken-gängig ist, zu verhindern, ist L-Dopa in handelsüblichen Präparaten fix mit einem Dopa-Decarboxylase-Hemmer (Benserazid oder Carbidopa) kombiniert. Die Resporption der Aminosäure L-Dopa im Darm kann durch andere Aminosäuren aus der Nahrung kompetitiv gehemmt werden. Bei Patienten mit fortgeschrittenem M. Parkinson können die gestörte Magenmotilität und die Kompetition der Resorption durch Nahrung zur Verstärkung motorischer Fluktuationen führen. Bei diesen Patienten sollte die Einnahme von L-Dopa unabhängig von den Mahlzeiten erfolgen. Die Verträglichkeit von L-Dopa ist im Allgemeinen gut. Typische Nebenwirkungen, die unter allen dopaminerg wirksamen Medikamenten auftreten können, sind Übelkeit, Erbrechen, Obstipation, Schwindel und Tagesmüdigkeit. Die durch dopaminerge Medikamente ausgelöste Übelkeit klingt bei längerfristiger Therapie meist ab und kann in den ersten Thera- Die wichtigsten Medikamentengruppen in der Therapie der Parkinson-Krankheit L-Dopa L-Dopa/Carbidopa (Sinemet®, Duodopa® zur Pumpenbehandlung) Dopaminagonisten Nicht-Ergot-Agonisten Ropinirol (Requip®) Pramipexol (Sifrol®) Rotigotin (Neupro® Pflaster) Apomorphin (ApoGo®, als Injektion oder zur Pumpenbehandlung) Ergot-Agonisten MAO-B Hemmer Cabergolin (Cabaseril®) Rasagilin (Azilect®) Selegilin (Jumex®) COMT Hemmer Entacapon (Comtan®) L-Dopa/Carbidopa/Entacapon (Stalevo®) Tolcapon (Tasmar®) Amantadin (PK-Merz®, Hofcomant®, in Tablettenform oder als Infusion) Anticholinergika z.B. Biperiden (Akineton®), Bornaprin (Sormodren®) piewochen durch eine Zusatzbehandlung mit dem peripher wirksamen Dopamin-Antagonisten Domperidon (Motilium®) gut kontrolliert werden. Besonders bei betagten Patienten oder Demenz kann L-Dopa zu Halluzinationen Stalevo® und Wahn führen. Wirksame Parkinsontherapie bei Wearing-off Das Risiko für psychotische NebenBei vielen Parkinsonpatienten kommt wirkungen ist für es im Krankheitsverlauf zu Wearing-off, L-Dopa jedoch gedas sich als Zeichen nachlassender L-Doringer als für jepa-Wirkung mit motorischen und nicht des andere Parkinmotorischen Symptomen manifestiert. son-Medikament. Neben der therapeutischen HerausforHauptproblem von derung der medikamentösen Einstellung, L-Dopa ist, wie bebedeutet das Auftreten von Wearing-off-Symptomen für den Patienten reits angeführt, die ein Verlust an Lebensqualität. Aktuellen Leitlinien zufolge ist die zusätzliche Auslösung motoriCOMT-Hemmung für Patienten mit Wearing-Off eine der ersten Optionen1. scher KomplikatioStalevo® (Levodopa, Carbidopa und Entacapon) ist ein Levodopa Präparat, nen (Fluktuationen das Levodopa in Kombination mit den beiden Enzymhemmern Carbidopa und Dyskinesien) und Entacapon enthält. Durch die Hemmung der beiden wichtigsten metanach Langzeitthebolischen Abbauwege von Levodopa verbessert Stalevo® die Pharmakokirapie. netik von Levodopa in Richtung gleichmäßiger und länger anhaltender LeDopaminagonisvodopa-Plasmaspiegel2. ten wirken im GeFür Patienten bedeutet das eine Verkürzung der täglichen „Off“-Zeit mit gensatz zu L-Dopa, korrespondierender Verlängerung der „On“-Zeit von bis zu 1,7 Stunden pro das erst in Dopamin Tag und eine Verbesserung der motorischen Funktionen und der Aktivitäumgewandelt werten des täglichen Lebens3-5. den muss, direkt an Referenzen: 1Diener HC, Putzki N: Leitlinien für Diagnostik und Therapie in der Neurologie, Thie2 3 Dopamin-Rezeptome Verlag 2008: 82-112. Thieme Praxis Report 2011;3(6):1-12. Rinne UK et al., Neurology 1998;51(5):1309-14; 4 Poewe W et al., Acta Neurol Scand 2002;105:245-55; 5Brooks DJ et al, J ren im Striatum. Die Neurol Neurosurg Psychiatry 2003;74:1071-79. frühe Monotherapie des M. Parkinson ARZT & PRAXIS Tab. 1 L-Dopa/Benserazid (Madopar®) mit Dopaminagonisten führt zu einer Reduktion des Risikos motorischer Komplikationen. Dopaminagonisten gelten heute daher als erste Wahl in der Initialtherapie des jungen Parkinson-Patienten (etwa bis 70 Jahre). Nachteile der Therapie mit Dopaminagonisten sind die Notwendigkeit langsamer Dosissteigerung, eine im Vergleich zu L-Dopa höhere Nebenswirkungrate und schwächere Wirksamkeit auf die motorische Parkinson-Symptomatik. L-Dopa ist daher beim älteren Parkinson-Patienten, der ein geringeres Risiko für das Aufteten motorischer Komplikationen, aber ein höheres Risiko für andere dopaminerge Nebenwirkungen hat, weiter das Mittel der ersten Wahl. Auch die meisten Patienten mit initialer Dopaminagonisten-Therapie benötigen zur Kontrolle der Parkinson-Symptomatik nach einigen Jahren zusätzlich L-Dopa. Tagesmüdigkeit, Halluzinationen und Wahn treten unter Dopaminagonisten häufiger auf als unter L-Dopa. Eine typische Nebenwirkung der Dopaminagonisten, die mitunter erst nach langer Therapiedauer auftritt, sind Ödeme. Klar assoziiert mit der Dopaminagonisten-Therapie sind Impulskontrollstörungen wie Spielsucht, Hypersexualität, vermehrtes Essen und Kaufsucht. Impulskontrollstörungen treten zwar nur bei einer Minderheit der Patienten auf, können aber dramatische soziale und ökonomische Konsequenzen haben. Sie betreffen häufig junge Patienten und können nach kurzer Therapiedauer auftreten. Patienten, die Dopaminagonisten einnehmen, sollten daher be- Jahrgang 66 / 984a / 2012 t h e m e n h e f t n e u r o lo g i e • p sy c h i at r i e wusst nach diesen Nebenwirkungen gefragt werden. Impulskontrollstörungen werden mit einer Überstimulation des im ventralen Striatum lokalisierten Belohnungssystems des Gehirns durch die Dopaminagonisten in Zusammenhang gebracht. Die Stimulation dieses Systems könnte auch den milden antidepressiven Effekt der Dopaminagonisten beim M. Parkinson erklären. Hinsichtlich der klinischen Wirksamkeit bestehen zwischen den einzelnen Dopaminagonisten keine gesicherten Unterschiede (Ausnahme: Apomorphin, das subkutan verabreicht wird). Um das therapeutische Potential der Substanzen voll auszuschöpfen, ist auf ausreichend hohe Dosierung zu achten. Seit langem sind für Ergot-Dopaminagonisten eine Reihe von sehr seltenen Nebenwirkungen bekannt, z.B. pleuropulmonale Fibrosen. Untersuchungen aus den letzten Jahren zeigen für Pergolid und Cabergolin darüberhinaus ein deutlich erhöhtes Risiko für Herzklappenfibrosen. Pergolid wurde daher vom Markt genommen. Die maximale Tagesdosis von Cabergolin wurde auf 3 mg beschränkt. Bei Patienten, die mit Cabergolin behandelt werden, müssen regelmäßige Echokardiographie-Kontrollen durchgeführt werden. Ergot-Agonisten sind heute nur mehr als Reserve-Medikamente zu betrachten. Das Fehlen fibrotischer Nebenwirkungen ist ein wesentlicher Vorteil von Nicht-Ergot-Dopaminagonisten wie Ropinirol, Pramipexol und Rotigotin. Mit Rotigotin steht ein Parkinson-Medikament in transkutaner Applikationsform zur Verfügung. Weitgehend stabile Wirkspiegel sind auch mit den neuen RetardFormulationen von Ropinirol und Pramipexol erreichbar. Diese Retard-Präparate müssen nur einmal täglich verabreicht werden, ein wesentlicher Gewinn für den Patientencomfort und die Compliance. Pramipexol wird renal eliminiert. Bei Patienten mit eingeschränkter Nierenfunktion ist daher eine Dosisanpassung erforderlich. MAO-B-Hemmer stellen eine Alternative in der Initialtherapie von Patienten mit mildem M. Parkinson dar. Sie wirken durch eine Hemmung des Abbaus von endogenem, aber auch von pharmakologisch über den Precursor LDopa zugeführtem Dopamin. Ältere Studien zeigten, dass die Notwendigkeit einer L-DopaTherapie durch eine Therapie mit Selegilin hinausgeschoben werden kann. Ein möglicher Nachteil dieser Substanz ist der Abbau zu Amphetaminderivaten, die einerseits Vigilanzsteigernd wirken, andererseits negative kardiovaskuläre und psychiatrische Effekte haben könnten. Diese Effekte sind für bukkal lösliches Selegilin, das in Österreich zurzeit leider nicht verfügbar ist, aufgrund veränderter Pharmakokinetik vernachlässigbar. Rasagilin ist ein neuer MAO-B-Hemmer, der nicht zu Amphetaminderivaten metabolisiert wird. Die Wirksamkeit von Rasagilin in der frühen Monotherapie des M. Parkinson ist durch Studien gut belegt. Die motorischen Effekte sind vergleichbar mit Selegilin und schwächer als jene von Dopaminagonisten. Die Verträglichkeit von Rasagilin ist sehr gut. Der Einsatz von Rasagilin beim frühen M. Parkinson ist zurzeit leider durch die fehlende Erstattung durch die Krankenkassen limitiert. Bei Kombination von MAO-B-Hemmern mit SerotoninWiederaufnahme-Hemmern ist an das Risiko eines Serotonin-Syndroms zu denken. Amantadin ist eine alte Substanz, die eine Al- Zugelassene maximale Tagesdosen ausgewählter Parkinson-Medikamente Dopaminagonisten Ropinirol Pramipexol Rotigotin Cabergolin 24 mg/Tag 3,15 mg/Tag (Base) 16 mg/Tag 3 mg/Tag MAO-Hemmer Selegilin 10 mg/Tag Rasagilin 1 mg/Tag COMT-Hemmer Entacapon 200 mg mit jeder L-Dopa-Dosis, bis 2.000 mg/ Tag Tolcapon 3 x 100 mg, in Ausnahmefällen 3 x 200 mg Amantadin Jahrgang 66 / 984a / 2012 300 (bis max. 600) mg/Tag Tab. 2 ternative in der Initialtherapie sehr milder Patienten darstellt. Amantadin hat eine komplexe Pharmakologie, gut gesichtert ist seine antagonistische Wirkung an Glutamat-Rezeptoren vom NMDA-Subtyp. Die Verträglichkeit ist im Allgemeinen gut. Mögliche Nebenwirkungen sind Übelkeit, Mundtrockenheit, Obstipation, Ödeme, Hautveränderungen und Schlafstörungen. Besonders bei alten und dementen Patienten kann Amantadin Verwirrtheitszustände auslösen. Amantadin wird renal eliminiert. Bei Patienten mit eingeschränkter Nierenfunktion ist auf eine Dosisanpassung zu achten. Anticholinergika werden bereits seit über 100 Jahren in der Therapie des M. Parkinson eingesetzt. Aufgrund des hohen Risikos für Nebenwirkungen (vor allem Verwirrtheit, aber auch zahlreiche autonome Nebenwirkungen) stellen sie heute Reservemedikamente für junge Patienten dar, bei denen der Parkinson-Tremor auf dopaminerge Medikamente nicht ausreichend anspricht. Von den relevanten Fachgesellschaften werden für die Initialtherapie des M. Parkinson folgende Medikamente als Therapie der ersten Wahl empfohlen: • Dopaminagonisten bei Patienten mit frühem Krankheitsbeginn • L-Dopa bei betagten bzw. multimorbiden Patienten • MAO-B-Hemmer bei Patienten mit sehr milder Parkinson-Symptomatik Therapie von motorischen Komplikationen In den ersten Erkrankungsjahren wird die Wirkung einzelner L-Dopa-Dosen vom Patienten nicht wahrgenommen (Langzeitwirkung im „LDopa-Honeymoon“). Motorische Fluktuationen sind Ausdruck einer verkürzten Wirkdauer von L-Dopa. Sie machen sich initial meist durch ein Wiederauftreten der Parkinson-Symptomatik nach dem morgendlichen Erwachen bemerkbar. Die morgendliche Akinese ist häufig mit dystonen Krämpfen, vor allem im Fußbereich, assoziiert. Im Weiteren kommt es während des Tages vor Einnahme der jeweils nächsten Dosis eines dopaminergen Medikaments zu einer Verschlechterung der Symptomatik („wearing off“). Besonders nach größeren Mahlzeiten kann das Ansprechen auf die Medikation völlig ausbleiben. Dies ist meist pharmakokinetisch erklärbar (Medikament bleibt im Magen liegen, Kompetition der Resorption von L-Dopa mit anderen Aminosäuren). In fortge- ARZT & PRAXIS 5 t h e m e n h e f t n e u r o lo g i e • p sy c h i at r i e schrittenen Krankheitsstadien treten zu diesen berechenbaren Fluktuationen unberechenbare, oft plötzlich einsetzende „off“-Zustände, die mit oraler Medikation kaum beeinflussbar sind (komplexe Fluktuationen). Nicht-motorische Fluktuationen. Bei den meisten Patienten treten in „off“-Phasen neben der motorischen Verschlechterung auch nicht-motorische Symptome auf. Dazu zählen autonome, kognitive, affektive und sensorische Symptome. Zu den häufigsten dieser Symptome gehören Angst, Schweißausbrüche, verlangsamtes Denken und Müdigkeit. Nichtmotorische Fluktuationen sind für einen Teil der Patienten belastender als die motorischen Fluktuationen. L-Dopa-induzierte Dyskinesien sind abnorme Überbewegungen, die aus einem Wechselspiel von dopaminerger Degeneration und L-Dopa-Therapie resultieren. Typischer Weise treten sie zunächst zur Zeit der maximalen L-Dopa-Wirkung in Form von spielerischen Bewegungen, besonders distaler Extremitätenabschnitte, auf (choreatische oder choreoathetotische „peak-dose“-Dyskinesien). Die Dauer der Dyskinesien nimmt im Krankheitsverlauf zu. Schließlich können choreatische Dyskinesien alle Körperabschnitte betreffen und über die gesamte Wirkdauer der Medikation bestehen (Plateau-Dyskinesien). Besonders schwer behandelbar sind biphasische Dyskinesien. Diese treten in der Anflutungs- und Abflutungsphase von L-Dopa auf, haben einen stereotypen, repetitiven Charakter und betreffen vor allem die Beine. Die Theapieoptionen bei Fluktuationen sind vielfältig (Tabelle 3). Erster Schritt ist häufig eine Verkürzung der Dosierungsintervalle von L-Dopa und die Empfehlung, L-Dopa spätestens 30 Minuten vor bzw. frühestens 60 Minuten nach Mahlzeiten einzunehmen. Im Fall einer schweren oder protrahierten morgendlichen Akinese empfiehlt sich die Einnahme der ersten L-Dopa-Dosis unmittelbar nach dem Erwachen, noch im Bett. In dieser Situation und bei plötzlichen, unerwarteten „off´s“ kann lösliches L-Dopa hilfreich sein, das aufgrund rascherer Resorption zu einer Verkürzung von „off“-Phasen beitragen kann. Bei nächtlicher Akinese kann die Einnahme eines L-Dopa-Retardpräparates vor dem Schlaf oder beim ersten nächtlichen Erwachen sinnvoll sein. Von ihrem Einsatz während des Tages wird aufgrund ihrer im Vergleich zu normalem L-Dopa weniger gut berechenbaren Resorption abgeraten. Der nächste Schritt ist die Kombination mit ARZT & PRAXIS Abb. 1: Dopamintransporter-SPECT. Rechtsbetonter Bindungsverlust, vor allem im hinteren Anteil des Striatums (Putamen), bei einem ParkinsonPatienten mit linksbetonter Symptomatik. Axiale Schichten auf Höhe des Striatums. Substanzen, welche die Wirkdauer von L-Dopa verlängern. Der COMT-Hemmer Entacapon verkürzt die „off“-Zeit bei Patienten mit motorischen Fluktuationen. Die Einführung eines Entacapon/L-Dopa-Kombinationspräparats hat die praktische Anwendbarkeit dieser Substanz wesentlich verbessert. Entacapon führt zu einem Ausgleich von Blutspiegelschwankungen von L-Dopa. Die Initialtherapie des M. Parkinson mit Entacapon/L-Dopa reduziert das Risiko für ein Auftreten motorischer Komplikationen jedoch nicht. Entacapon ist daher nur bei Patienten mit manifesten Fluktuationen indiziert. Der COMT-Hemmer Tolcapon wurde vor etwa 15 Jahren wegen Hepatotoxizität vom Markt rapiebeginn zu einer Diarrhoe führen, die eine Beendigung der Therapie erzwingen kann. Tolcapon ist darüber hinaus, wie bereits angeführt, potentiell hepatotoxisch. MAO-B-Hemmer führen bei Patienten mit motorischen Fluktuationen durch die Hemmung des Dopaminabbaus zu einer Reduktion der „off“-Zeit. Die Verkürzung der „off“-Zeit durch Rasagilin ist vergleichbar mit Entacapon. Dieser Effekt ist auch bei Patienten zu beobachten, deren Therapie bereits mit anderen Substanzen optimiert wurde. Eine Kombination von MAO-B-Hemmern, COMT-Hemmern und Dopaminagonisten kann daher bei schweren Fluktuationen sinnvoll sein. Dopaminagonisten wurden ursprünglich bei mit freundlicher Genehmigung von Medtronic 6 genommen. Tolcapon ist in den letzten Jahren wieder verfügbar und stellt unter strengem Monitoring der Leberfunktionsparameter eine Alternative bei Patienten mit schweren Fluktuationen dar. Diese Therapie sollte durch in der Parkinson-Therapie erfahrene Neurologen erfolgen. Die Kombination von L-Dopa mit COMT-Hemmern kann zu den typischen dopaminergen Nebenwirkungen Übelkeit, Erbrechen, Schwindel, Müdigkeit, Halluzinationen, Wahn und Dyskinesien führen. Diese Nebenwirkungen sind bei einem Teil der Patienten durch eine par­allele Reduktion der L-Dopa-Dosis reversibel. Eine Substanz-spezifische Nebenwirkung von Entacapon ist eine völlig harmlose dunkelgelb-rötliche Harnverfärbung. Beide COMT-Hemmer können relativ bald nach The- Abb. 2: Tiefe Hirnstimulation bei M. Parkinson. Schematische Darstellung des implantierten Systems (links) mit intrazerebralen Elektroden, subkutanen Verlängerungen und infraklavikulär inplantiertem Impulsgeber. Die Elektrode hat 4 Pole, von denen meist 2 im Nucleus subthalamicus liegen. Patienten mit motorischen Fluktuationen eingesetzt. Sie können die „off“-Zeit reduzieren. Retard-Präparate und nicht-retardierte Dopaminagonisten haben einen vergleichbaren Effekt auf die Fluktuationen. Die Nebenwirkungen entsprechen jenen in der Frühphase, wobei das Risiko für psychotische Nebenwirkungen bei Patienten mit fortgeschrittener Erkrankung höher ist. Bei bereits bestehenden Dyskinesien können diese durch Dopaminagonisten auch verstärkt werden. Amantadin kann zu einer Besserung von Fluktuationen führen. Besser belegt ist allerdings sein positiver Effekt auf Dyskinesien. Die Infusion ist eine wichtige Therapieoption bei akinetischen Krisen und schluckunfähigen Patienten. Bei dementen Patienten sollte die Indikation für Amantadin sehr zurückhaltend Jahrgang 66 / 984a / 2012 t h e m e n h e f t n e u r o lo g i e • p sy c h i at r i e gestellt werden (hohes Risiko für die Auslösung von Verwirrtheitszuständen). Bei vulnerablen Patienten ist besonders auf die Anpassung der Dosis an die Nierenfunktion zu achten. Subkutane Apomorpin-Einzelinjektionen (mittels Pen-Injektor) sind eine wirksame Rescue-Therapie bei schweren „off“-Phasen. Die individuelle Einzeldosis dieses Dopaminagonisten muss jedoch in einem Apomorphin-Test bestimmt werden. Viele Patienten benötigen aufgrund des emetischen Potentials von Apomorphin eine vorbeugende Dauerbehandlung mit Domperidon. Bei Patienten, deren Fluktuationen mit diesen Maßnahmen nicht kontrollierbar sind, sollte eine invasive Parkinson-Therapie (Apomorpin-Pumpe, Duodopa-Pumpe, tiefe Hirnstimulation) erwogen werden. Die Therapiemöglichkeiten bei Dyskinesien sind beschränkt. Nur bei deutlich übertherapierten Patienten ist eine Reduktion der L-Dopa-Dosis, eine Aufteilung von L-Dopa auf mehrere Einzeldosen oder ein teilweiser Ersatz von L-Dopa durch eine höhere Dopaminagonisten-Dosis erfolgversprechend. Amantadin hat einen gut belegten Effekt auf Dyskinesien und sollte immer versucht werden, sofern keine Kontraindikationen vorliegen. Clozapin (Leponex®) ist ein atypisches Neuroleptikum mit guter Wirksamkeit auf psychotische Symptome bei M. Parkinson und führt zu einer Besserung von Parkinson-Tremor und Dyskinesien. Sein Einsatz ist durch die erforderlichen Blutbildkontrollen (Agranulozytose-Risiko) limitiert und mit der Substanz erfahrenen Neurologen vorbehalten. In der Regel haben Patienten in frühen Krankheitsstadien heute große Angst vor dem Auftreten von Dyskinesien. Patienten mit bereits bestehenden motorischen Komplikationen akzeptieren aber „on“-Zustände mit Dyskinesien meist eher als die quälenden „off“-Zustände. Bei Patienten mit behindernden Dyskinesien, die mit oraler Medikation nicht verbessert werden können, sollte aber immer an die Möglichkeit einer invasiven Parkinson-Therapie, besonders die tiefe Hirnstimulation, gedacht werden. Therapie des therapierefraktären Tremors Der Parkinson-Tremor spricht bei den meisten Patienten gut auf die dopaminerge Therapie an. Auch beim Ruhetremor ist L-Dopa grundsätzlich das stärkste orale Medikament. Eine Minderheit der Patienten leidet jedoch bei sonst guter Kontrolle der Symptomatik unter Jahrgang 66 / 984a / 2012 Dopaminagonisten der tiefen Hirnstimulation erfolgt eine kontinuierliche elektrische Stimulation von Nucleus subthalamicus oder anderen Kerngebieten über im Rahmen einer stereotaktischen Operation eingebrachte Elektroden, die mit einem subkutan implantierten Schrittmachersystem verbunden sind (Abb. 2). Alle Verfahren haben Vor- und Nachteile (Apomorphin: Hautprobleme, Betreuungsaufwand; Duodopa: Notwendigkeit einer PEG-Sonden-Versorgung, Dislokation der PEJ-Sonde; tiefe Hirnstimulation: chirurgische Risiken). Welches invasive Verfahren zum Einsatz kommt, hängt von der Verfügbarkeit, der Patientenpräferenz und der klinischen Situation ab. Für die tiefe Hirnstimulation bestehen natürgemäß mehr Kontraindikationen als für die Pumpentherapien. Bei geeigneten Patienten ist sie jedoch das Verfahren, das zur deutlichsten Verbesserung der Unabhängigkeit des Patienten führt. Amantadin Nicht-motorische Symptome Apomorphin: Einzelinjektionen Die Therapie nicht-motorischer Symptome des M. Parkinson stand lange im Hintergrund. Für eine detailierte Darstellung der Therapiemöglichkeiten muss auf andere Literatur verwiesen werden. Trotz des alltäglichen Einsatzes von Antidepressiva (vor allem von SSRI´s und neueren Substanzen) bei Parkinson-Patienten ist deren Wirksamkeit in dieser Indikation wenig untersucht. Die Wirksamkeit von Clozapin in der Therapie der Parkinson-Psychose ist gut belegt, Quetiapin stellt eine weniger gut belegte Therapiealternative dar. Ein entscheidender Fortschritt ist die Dokumentation der Wirksamkeit des Cholinesterase-Hemmers Rivastigmin in der Therapie der Parkinson-Demenz. Die Effektgröße ist etwa vergleichbar mit jener bei der Alzheimer-Demenz. Cholinesterase-Hemmer führen bei der Parkinson-Demenz auch zu einer Besserung psychotischer Sym­ ptome. einem persistierenden schweren Tremor. Therapieoptionen sind bei diesen Patienten eine Steigerung von L-Dopa, eine Kombination mit einem Dopaminagonisten bzw. eine Kombination mit einem Anticholinergikum, falls keine Kontraindikation vorliegt. Eine Therapie mit Clozapin kann im Einzelfall erwogen werden. Bei starkem Aktionstremor kann eine Kombination mit Propranolol (Inderal®) sinnvoll sein. Für Patienten, bei denen medikamentöse Maßnahmen zu keiner befriedigenden Kontrolle des Therapieoptionen bei motorischen Fluktuationen Tab. 3 Mehrere Einzeldosen von L-Dopa, Abstand zu Mahlzeiten Lösliches L-Dopa L-Dopa retard Kombination mit COMT-Hemmer MAO-B-Hemmer Invasive Parkinson-Therapien • Tiefe Hirnstimulation • Apomorphin-Pumpe • Duodopa-Pumpe Parkinson-Tremors führen, stellt die tiefe Hirnstimulation eine sehr gute Therapieoption dar. Invasive Therapieverfahren Die Therapie schwerer motorischer Komplikationen konnte in den letzten zwei Jahrzehnten durch die Verfügbarkeit der invasiven Therapieverfahren deutlich verbessert werden. Indikation für alle drei Verfahren (Apomorpin-Pumpe, Duodopa-Pumpe, tiefe Hirnstimulation) sind therapierefraktäre Fluktuationen und Dyskinesien. Für die tiefe Hirnstimulation stellen der therapierefraktäre Parkinson-Tremor und (selten) Medikamentenunverträglichkeit weitere Indikationen dar. Voraussetzung ist für alle Verfahren ein grundsätzlich gutes Ansprechen auf L-Dopa, d.h. der Patient sollte bei suffizienter Dosierung irgendwann im Laufe des Tages gut beweglich sein. Mit der Apomorphin-Pumpe wird dieser Dopaminagonist in der Regel über 16 Stunden des Tages kontinuierlich subkutan verabreicht. Mit der Duodopa-Pumpe wird in eine Gelmatrixform eingebettetes L-Dopa über 16 Stunden des Tages mittels eines in eine PEG-Sonde vorgeschobenen Jejunalkatheters kontinuierlich in das proximale Jejunum infundiert. Bei Ungelöste Probleme in der Parkinson-Therapie Zu den unerreichten Zielen in der ParkinsonTherapie zählen eine kausale Therapie (Neuroprotektion) und langfristig wirksame symptomatische Therapien ohne Risiko für motorische Komplikationen. Dringend notwendig wären darüberhinaus bessere Therapiemöglichkeiten für die nicht-L-Dopa-responsiven Sym­ ptome wie Haltungsstörungen, Sturzneigung und Schluckstörung, die primär für die erhöhte Mortalität der Erkrankung verantwortlich sind. ♦ ARZT & PRAXIS 7 8 t h e m e n h e f t n e u r o lo g i e • p sy c h i at r i e Die optimale antidementive Therapie Chefarzt Prim. Dr. Georg Psota (links) Psychosozialer Dienst Wien [email protected] Prim. Dr. Christian Jagsch (rechts) Abteilung für Alterspsychiatrie und Alterspsychotherapie Landesnervenklinik Sigmund Freud, Graz [email protected] Die Alzheimer-Demenz ist mit einem Anteil von 60-70% die häufigste Demenzform. Die Patienten erleben Veränderungen auf drei Ebenen, nämlich Einschränkungen ihrer Alltagsfertigkeiten (Activities of daily living / ADL), Auftreten von Verhaltensauffälligkeiten (Behavior) und kognitivem Abbau (Cognition). Depressive Symptome können ein Erstsymptom darstellen bzw. am Anfang stehen, sie können jedoch auch im späteren Verlauf rezidivierend auftreten. Antidementive Therapien zielen auf die Verbesserung aller drei Domänen ab. Für die Behandlung einer leichten bis mittelschweren AD (MMSE 26-11) stehen die Cholinesteraseinhibitoren (Donepezil, Galantamin und Rivastigmin) sowie Memantin und Ginkgo biloba zur Verfügung, während für die schwere Form (MMSE 10-3) nur Memantin zugelassen ist. Neben der Alzheimer-Krankheit profitieren noch die subkortikale vaskuläre Demenz, die Lewy- Body-Demenz sowie die Parkinson- assoziierte Demenz von einer cholinergen Substitutionstherapie mit Cholinesteraseinhibitoren. Kombinationstherapie-Studien mit einem Cholinesterasehemmer plus Memantin wurden vorwiegend in fortgeschrittenen Stadien der Alzheimerdemenz gemacht und zeigten durchaus günstige Effekte auf mehreren Ebenen - so auch im „Behavior“-Bereich (s.o.), eine gute Verträglichkeit, eine Reduktion in der Pflegebelastung und einen verzögerten Eintritt in Pflegeeinrichtungen. Durch die Reduktion von Verhaltensstörun- ARZT & PRAXIS Dementielle Erkrankungen bewegen sich in einem interdiszi­ plinären Feld zwischen Allgemeinmedizinern, Psychiatern, Neurologen und Geriatern. Nach wie vor besteht ein großes Defizit in der Früherkennung, die Erstdiagnose einer Demenz findet oft erst in einem mittleren oder schweren Stadium der Erkrankung statt. Die zweite Schwierigkeit liegt in der medikamentösen antidementiven Behandlung, die oft zu spät etabliert, nur kurz verschrieben und dann auch nicht regelmäßig eingenommen wird. Nicht-medikamentöse Behandlungsmaßnahmen sind im Gesamtbehandlungsplan leider nach wie vor unterrepräsentiert. gen und psychiatrischen Symptomen trägt die Therapie auch dazu bei, dass man auf der anderen Seite Antipsychotika und Sedativa einsparen kann und sich dadurch die zum Teil erheblichen Nebenwirkungen dieser Substanzen erspart. Ob die Kombinationstherapie auch prophylaktisch wirkt bezüglich des Neuauftretens oder auch der Abmilderung von Verhaltensstörungen im weiteren Verlauf der Erkrankung ist sicherlich wert zu diskutieren. Neben der medikamentösen Therapie sind psychosoziale, psychotherapeutische, psychologische sowie pflegerische Begleitmaßnahmen unentbehrlich, um einen an Demenz erkrankten Menschen und sein Umfeld adäquat zu unterstützen. Diese verschiedenen Interventionsformen - vom kognitiven Training der Betroffenen bis hin zu Experten-geleiteten Selbsthilfegruppen für Angehörige - sind natürlich personalintensiv, meist nur in Ballungsräumen organisiert und stehen auch deshalb leider nicht flächendeckend zu Verfügung. Empfehlungen für Psychotherapie und psychologische Interventionen bei AlzheimerPatienten: • Orientierung der Interventionen an den Fähigkeiten der Betroffenen • Neuropsychologische Defizite wahrnehmen, nicht verleugnen und taktvoll ansprechen • Selbstreferenziellen Prozess in Gang setzen - Suche nach Motivationen und nach bedeutungsvollen Menschen, Tätigkeiten und Themen • Patienten aktiv an der selbstreferenziellen Arbeit beteiligen - „Hausaufgaben“: Niederschrift von Erinnerungen an Themen der Sitzungen, von Gedanken zu anderen Themen aus dem Leben, künstlerische Ausdrucksformen fördern • Kognitive Reserven mobilisieren - Abhängigkeit von Nichtkönnen von bestimmten Situationen erheben; Rolle der Angst, des Leistungsdrucks und des Zeitdrucks bei der Erzeugung von Hilflosigkeit definieren; Tendenzen klären, mehr an andere zu delegieren als notwendig • Angehörige verstärkt mit einbeziehen - Patienten nicht auf seine Diagnose reduzieren; Überfürsorglichkeit und Leistungsdruck sowie heftige Kritik vermeiden; Patienten nicht abschirmen und nicht sozial isolieren - Vermeidung von regressionsfördernden Maßnahmen Empfehlungen für psychosoziale Maßnahmen und Pflege: • Genug Zeit einplanen (Demenzkranke und deren Angehörige brauchen Zeit und Ruhe) • Tatsächlichen Pflegebedarf erheben (entspricht oft nicht der aktuellen Pflegestufe!) • Differenzierung Pflege - Betreuung zeitlich festhalten • Pflege individualisieren (Ressourcen-orientiert; Berücksichtigung der Biografie, z.B. Ausflüge an bekannte Orte) • Case-Management sicherstellen • Gesunde Ernährung sicherstellen Jahrgang 66 / 984a / 2012 Fachkurzinformation siehe Seite 13 10 t h e m e n h e f t n e u r o lo g i e • p sy c h i at r i e • • • Sicherheitsvorkehrungen treffen (z.B. Sturzprophylaxe) Orientierungshilfen schaffen (z.B. in Form von bildhaften Darstellungen/Symbolen, Dekorationen) Angehörige anhören und miteinbeziehen; informieren und beraten (Entlastung der Angehörigen!) • Beratung der Angehörigen bezüglich des Umgangs mit Demenzerkrankten, Pflegegeldprozedere, Patientenverfügung, Sachwalterschaft Zusammenfassung der Inhalte des Konsensusstatements Demenz 2010 der Österreichische Alzheimergesellschaft zur medikamentösen Therapie: Alzheimerdemenz Cholinesterasehemmer (1a,A) Richtwert MMSE 11-26 - leichte bis mittelschwere Alzheimer­ demenz Langzeittherapie (2a,A) Therapieunterbrechungen vermeiden (2b,A) Absetzen von Cholinesterasehemmern unter MMSE <10 abzu­ lehnen Präparatewechsel bei Unverträglichkeit (A), Unwirksamkeit (C) Keine eindeutige Evidenz für Überlegenheit eines Präparates (1b,B) Memantin (1a,B) Richtwert MMSE 11-19 - mittelschwere Alzheimerdemenz Unverträglichkeit gegen Cholinesterasehemmer auch bei leichter Demenz (1b,B) Mangelnder Wirksamkeit von Cholinesterasehemmern (2b,B) Donepezil oder Memantin (1a,A) Richtwert MMSE 1-10 - schwere Alzheimerdemenz (nur Memantin zugelassen) Kombinationstherapie Memantin und Cholinesterasehemmer bei schwerer oder mittelschwerer Demenz ist anzustreben MMSE 5-14 (1b,A) Weitere Antidementiva Cerebrolysin (1a,B) bei Unverträglichkeit von Cholinesterase­ hemmern, i.v. Gabe Ginkgo biloba (1a,B) bei Unverträglichkeit von Cholinesterase­ hemmern Vaskuläre Demenz Sekundärprävention von Schlaganfällen (1a, A) Donepezil oder Memantin (1a,B) Galantamin besonders bei Mischformen effektiv (1b,B) Rivastigmin besonders bei Mischformen effektiv (2b,C) Ginkgo biloba besonders bei Mischformen effektiv (2b,C) Lewy-Body-Demenz Rivastigmin (1b,A) - Mittel der ersten Wahl Donepezil (2b,C) Parkinson-Demenz Rivastigmin (1b,A) - Mittel der ersten Wahl Donepezil und Memantin (1b,B) - Mittel der zweiten Wahl Frontotemporale Demenz oder Degeneration SSRI (3,B) - günstige Effekte auf affektive Symptome Memantin (3,C) - Mittel zweiter Wahl Cholinesterasehemmer nicht zu empfehlen (2a,D) 1. Anwendungsbeschränkungen und Kontraindikationen bei komorbiden Erkrankungen: Donepezil Rivastigmin Galantamin Memantin Schwere Verwirrtheit ø ø ø AB Epilepsie AB AB AB AB Sick-Sinus-Syndrom AB AB AB ø Frischer Myokardinfarkt, Herzinsuffizienz, NY HA III-IV AB AB AB AB Kardiale Arrhythmien (AV-Block II) AB AB AB ø Asthma/COPD III-IV AB AB AB ø Schwere Störung der Leberfunktion KI KI KI AB Niereninsuffizienz ø AB/KI AB/KI AB/KI Floride Magen-Darm-Ulzera AB AB AB ø Ø = keine Einschränkungen; AB = Anwendungsbeschränkungen; KI = Kontraindikation; (Quelle: Handbuch der Arzneimitteltherapie I, 2001 (Fox et al.); Fachinformation 2006) ARZT & PRAXIS Jahrgang 66 / 984a / 2012 Neuroprotection Neuroplasticity Neurogenesis Neuronal Survival CERE/A/02/2011/2 Neurogenesis Neuroplasticity Neuroprotection Neuronal Survival Cerebrolysin Neurotrophic Action Neurogenesis Neuroplasticity Neuroprotection Neuronal Survival Cerebrolysin Neurotrophic Action Neurogenesis Neuroplasticity Neuronal Survival Cerebrolysin Neurotrophic Action Neuroprotection Cerebrolysin Neurotrophic Action Wieder wachsen Connecting Neurons Neurotrophe Wirkung mit pleiotropem Effekt für die effiziente Behandlung von • ischämischem Insult • Demenz • Schädel-Hirn-Trauma Fachkurzinformation siehe Seite 13 12 t h e m e n h e f t n e u r o lo g i e • p sy c h i at r i e 2. Nebenwirkungen ChE-Hemmer Sehr häufige (≥ 10%) Nebenwirkungen dieser Substanzen sind bei im Allgemeinen guter Verträglichkeit das Auftreten von Erbrechen, Übelkeit, Schwindel, Appetitlosigkeit, Diarrhoe und Kopfschmerzen. Diese Nebenwirkungen sind oft vorübergehend und durch eine langsamere Aufdosierung oder Einnahme der Medikation zum Essen gegebenenfalls zu vermeiden. Bradykardien und Synkopen sind in den jeweiligen Fachinformationen als Nebenwirkungen von Cholinesterasehemmern aufgeführt. In einer kanadischen Registerstudie wurde 19.803 Personen mit Demenz und Einnahme von Cholinesterasehemmern mit 61.499 Personen mit Demenz ohne diese Behandlung verglichen. Es zeigte sich eine signifikant häufigere Krankenhausaufnahme wegen Synkopen (Risikoerhöhung: 1,76) und Bradykardien (Risikoerhöhung: 1,69) bei den behandelten Demenzkranken. Es zeigten sich ebenfalls leicht erhöhte Risiken für eine Herzschrittmacherimplantation und für Schenkelhalsfrakturen in dieser Gruppe, wobei der Zusammenhang mit den Bradykardien und Synkopen spekulativ ist. Memantin Häufige Nebenwirkungen (>=1-<10%) sind Schwindel, Kopfschmerz, Obstipation, erhöhter Blutdruck und Schläfrigkeit, die passager sein können. Ginkgo biloba Die Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft empfiehlt bei Anwendung von Ginkgo biloba-Präparaten zumindest eine eingehende Gerinnungsanamnese zu erheben, da es Hinweise für eine erhöhte Blutungsneigung gibt. 3. Interaktionen ChE-Hemmer ChE-Hemmer und Medikamente bei kardiovaskulären Erkrankungen (Betablocker und Antiarrhythmika) (häufigste Interaktionen) Bradykardie und Synkopen Substanzen: Betablocker, Kalziumkanalblocker, Digoxin, Amiodaron ChE-Hemmer und Anticholinergika (zweithäufigste Interaktionen) Anticholinergika hemmen Acetylcholin-Wir- ARZT & PRAXIS kung, verschlechtern kognitive Leistungen und Symptome der Demenz bis hin zur Gefahr des anticholinergen Delirs Substanzen: Atropin, Scopolamin, Arzneimittel zur Behandlung der Harninkontinenz, Antitussiva, trizyklische Antidepressiva (Imipramin-Typ), Antiparkinsonmittel, Medikamente zur Bronchialdilatation und mit antispastischer Wirkung, einige Antiarrhythmika. ChE-Hemmer und Inhibitoren bzw. Induktoren des Cytochrom P450-Systems (dritt häufigste Interaktionen) Die ChE-Hemmer Donepezil und Galantamin werden in der Leber durch CYT-P450-Isoenzym 3A4 und 2D6 metabolisiert - ein Interaktionspotential mit all jenen Substanzen, die als Inhibitoren und Induktoren an diesem Cytochrom-System fungieren, ist somit gegeben. Rivastigmin hat nur sehr geringe CYP-Beteiligung. Inhibitoren am Isoenzym 3A4: z.B. Amiodaron, Diltiazem, Verapamil, Azol-Antimykotika (Ketoconazol), Proteaseinhibitoren, Erythromycin, Clarithromycin bzw. Josamycin führen zu einer Hemmung des ChE-Metabolismus und zur Erhöhung der ChE-Plasmakonzentration Inhibitoren am Isoenzym 2D6: z.B. Metoprolol, Duloxetin, Fluoxetin, Paroxetin, Melperon bzw. Thioridazin führen zu einer Hemmung des ChE-Metabolismus und zur Erhöhung der ChEPlasmakonzentration Induktoren am Isoenzym 3A4: z.B. Carbamazepin, Phenytoin, Johanniskraut, Rifampicin bzw. Barbiturate führen zu einer Beschleunigung des ChE-Metabolismus und zu einer Erniedrigung der ChE-Plasmakonzentration Memantin Hat kein Wechselwirkungspotential durch Inhibition und/oder Induktion im Cytochrom P450-System, da es von diesem nicht verstoffwechselt, sondern renal ausgeschieden wird. Mögliche Interaktionen: Memantin und Cimetidin oder vegetarische Ernährung - Spiegelanstieg Memantin und L-Dopa, Dopaminagonisten Schwindel, Dyskinesien Memantin und Amantadin, Ketamin Psychose-ähnliche Zustände Eingeschränkte Nierenfunktion Dosishalbierung ChE-Hemmer und Memantin - Kombinationstherapie Verträglichkeit und Nebenwirkungsraten der Kombinationstherapie waren auf dem Niveau der Plazebo-Gruppe, es gab keine Beeinflussung der Vitalzeichen, der Laborwerte oder des EKGs. Die gute Verträglichkeit wurde auch in einer deutschen Studie durch Rückmeldung der behandelnden Ärzte bestätigt (Hartmann et al., 2002). Diese berichteten überdies häufig, dass sich vor allem die Kommunikationsfähigkeit und die Stimmung ihrer Patienten verbesserten. In einer Beobachtungsstudie konnte darüber hinaus noch festgestellt werden, dass durch die Kombinationstherapie die Aufnahme in ein Seniorenheim hinauszögert werden kann. Patienten mit der Kombinationstherapie bekamen weniger Psychopharmaka verordnet - vor allem Antipsychotika und Sedativa - als Patienten ohne antidementive Medikation oder unter einer Monotherapie mit Cholinesterasehemmern (Lopez O. et al., 2008). Praxistipps Patienten mit einer dementiellen Erkrankung erleben Veränderungen auf drei Ebenen, nämlich Einschränkungen ihrer Alltagsfertigkeiten (Activities of daily living / ADL), Auftreten von Verhaltensauffälligkeiten (Behavior) und kognitivem Abbau (Cognition). Medikamentöse und nicht-medikamentöse antidementive Therapiemaßnahmen zielen auf eine Verbesserung aller drei Domänen ab. Es liegen mittlerweile in großem Umfang gute Erfahrungen und Ergebnisse zu modernen Antidementiva vor. Kombinierte antidementive Therapie zeigte in Studien zusätzliches Wirkungspotential. Neben der medikamentösen Therapie sind psychosoziale, psychotherapeutische, psychologische sowie pflegerische Begleitmaßnahmen unentbehrlich, um einen demenzerkrankten Menschen und sein Umfeld adäquat zu unterstützen. Literatur: Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft (Hrsg.): Blutungen unter der Gabe von Ginkgo-bilobaExtrakten - Cave Kombination mit Gerinnungshemmern! (Mitteilungen aus der UAW-Datenbank). Dtsch Ärztebl 2002; 99(33): A-2214 / B-1886 / C-1770. Jahrgang 66 / 984a / 2012 t h e m e n h e f t n e u r o lo g i e • p sy c h i at r i e Alzheimer-Krankheit, Management aus multidisziplinärer Sicht, Experten-Statement der Österreichischen Alzheimer Liga, Clinicum Sonderausgabe 11/2007 Carnahan RM, Lund BC, Perry PJ, Chrischilles EA. The concurrent use of anticholinergics and cholinesterase inhibitors: rare event or common practice? J Am Geriatr Soc. 2004 Dec;52(12):2082-7 Diagnose- und Behandlungsleitlinie Demenz Reihe: Interdisziplinäre S3-Praxisleitlinien, Band 0 Deutsche Gesellschaft für Psychiatrie, Psychotherapie und Nervenheilkunde (DGPPN); Deutsche Gesellschaft für Neurologie (Hrsg.) 1st Edition, 2010 Gill SS, Anderson GM, Fischer HD, et al.: Syncope and its consequences in patients with dementia receiving cholinesterase inhibitors: a population-based cohort study. Arch Intern Med 2009; 169: 867-873 Gill SS, Bronskill SE, Normand SL, Anderson GM, Sykora K, Lam K, Bell CM, Lee PE, Fischer HD, Herrmann N, Gurwitz JH, Rochon PA. Antipsychotic drug use and mortality in older adults with dementia. AnnIntern Med. 2007 Jun 5;146(11):775-86 Österreich GmbH, Geschäftsbereich BIQG im Auftrag des Gesundheitsministeriums, 2010 Grossberg T. et al. Rationale for combination therapy with Galantamin and memantine in Alzheimer`s disease. J Clin Pharmacol 2006; 46:17S-26S Porsteinsson A. et al. Memantine treatment in patients with mild to moderate Alzheimer`s disease already receiving a cholinesterase inhibitor: a randomized, double-blind, placebo-controlled trial. Current Alzheimer Research 2008; 5:83-89 Hartmann S. et al. Tolerability of memantine in combination with cholinesterase inhibitors in dementia therapy. J Clin Pharmacol 2003; 18:81-85 Schmidt R. et al. Konsensusstatement „Demenz 2010“ der Österreichischen Alzheimergesellschaft. Neuropsychiatrie Nr. 2/2010; Band 24: 67-87 Lopez O. et al. Memantine augments the effect of cholinesterase inhibition in the treatment of Alzheimer`s disease. J Neurol. Neurosurg. Psychiatry 2009; published online doi: 10.1136/Jnnp.2008.158964 Tavassoli N, Sommet A, Lapeyre-Mestre M, Bagheri H, Montrastruc JL. Drug interactions with cholinesterase inhibitors: an analysis of the French pharmacovigilance database and a comparison of two national drug formularies (Vidal, British National Formulary).Drug Saf. 2007;30(11):1063-71 Pertl D. et al.: Interaktionen zwischen Antidementiva und anderen Medikamenten, Qick Assesment. Gesundheit Fachkurzinformationen Cerebokan® 80 mg – Filmtabletten. Inhaber der Zulassung: Dr. Willmar Schwabe GmbH & Co, Willmar-Schwabe-Str. 4, 76227 Karlsruhe, Deutschland. Vertrieb in Österreich: Austroplant Arzneimittel GmbH, Wien. Qualitative und quantitative Zusammensetzung: 1 Filmtablette enthält: Wirkstoff: 80 mg Trockenextrakt aus Ginkgo-biloba-Blättern (EGb 761®) (DEV = 35 - 67:1), Der Extrakt ist quantifiziert auf 17,6 - 21,6 mg Ginkgoflavonglykoside und 4,32 - 5,28 mg Terpenlaktone davon 2,24 - 2,72 mg Ginkgolide A, B und C und 2,08 - 2,56 mg Bilobalid. Erstes Auszugsmittel Aceton 60% m/m. Liste der sonstigen Bestandteile: Lactose-Monohydrat 45,5 mg; Croscarmellose Natrium; Antischaum-Emulsion; Hochdisperses Siliciumdioxid; Macrogol 1500; Magnesiumstearat; Maisstärke; Hypromellose; Mikrokristalline Cellulose; Talkum; Farbstoffe: Titandioxid E171, rotes Eisenoxid E172, braunes Eisenoxid E172. Anwendungsgebiete: Cerebokan® 80 mg – Filmtabletten werden angewendet bei Erwachsenen zur symptomatischen Behandlung von hirnorganisch bedingten geistigen Leistungseinbußen im Rahmen eines therapeutischen Gesamtkonzeptes bei dementiellen Syndromen mit der Leitsymptomatik: Gedächtnisstörungen, Konzentrationsstörungen, depressive Verstimmung, Schwindel, Kopfschmerzen. Zur primären Zielgruppe gehören Patienten mit dementiellem Syndrom bei primär degenerativer Demenz, vaskulärer Demenz und Mischformen aus beiden. Das individuelle Ansprechen auf die Medikation kann nicht vorausgesagt werden. Hinweis: Bevor die Behandlung mit Cerebokan® 80 mg - Filmtabletten begonnen wird, sollte geklärt werden, ob die Krankheitsbeschwerden nicht auf einer spezifisch zu behandelnden Grunderkrankung beruhen. Verlängerung der schmerzfreien Gehstrecke bei peripherer arterieller Verschlusskrankheit bei Stadium II nach Fontaine (Claudicatio intermittens) im Rahmen physikalisch-therapeutischer Maßnahmen, insbesondere Gehtraining. Vertigo. Gegenanzeigen: Überempfindlichkeit gegen den Wirkstoff oder einen der sonstigen Bestandteile des Arzneimittels, Schwangerschaft. Pharmakodynamische Eigenschaften: Andere Antidementiva, Ginkgo biloba. Abgabe: Rp, apothekenpflichtig. Weitere Angaben zu Dosierung, Warnhinweisen und Vorsichtsmaßnahmen, Wechselwirkungen, Schwangerschaft und Stillzeit, Nebenwirkungen und Haltbarkeit sind der veröffentlichten Fachinformation zu entnehmen. Cerebrolysin® - parenterale Lösung. Zusammensetzung (arzneilich wirksame Bestandteile nach Art und Menge): 1 ml enthält 215,2 mg einer proteolytischen Peptidfraktion aus Schweinehirnprotein (Cerebrolysin Konzentrat) in wässriger Lösung. Anwendungsgebiete: Cerebrale hirnorganisch bedingte Stoffwechselstörungen, insbesondere senile Demenz vom Alzheimertyp. Postapoplektische Ausfallserscheinungen. Schädel-Hirntraumata (Commotio und Contusio, operative Schädeleingriffe) Gegenanzeigen: Überempfindlichkeit gegen einen Bestandteil des Präparates. Status epilepticus. Schwere Nierenfunktionsstörungen. Zulassungsinhaber und Hersteller: EVER Neuro Pharma GmbH, A-4866 Unterach. Hilfsstoffe: Natriumhydroxid und Wasser für Injektionszwecke. Verschreibungspflicht/Apothekenpflicht: Rp, apothekenpflichtig. Weitere Angaben zu den Warnhinweisen und Vorsichtsmaßnahmen für die Anwendung, Wechselwirkungen mit anderen Mitteln und Nebenwirkungen sowie betreffend die Gewöhnungseffekte sind der veröffentlichten Fachinformation zu entnehmen. Ebixa 20 mg-Filmtabletten; ATC-Code: N06DX01; Qualitative und quantitative Zusammensetzung: Jede Filmtablette enthält 20 mg Memantinhydrochlorid, entsprechend 16,62 mg Memantin. Liste der sonstigen Bestandteile: Tablettenkern :Mikrokristalline Cellulose, Croscarmellose-Natrium, Hochdisperses Siliciumdioxid, Magnesiumstearat (Ph. Eur.); Tablettenfilm: Hypromellose, Macrogol 400, Titandioxid (E 171), Eisen(III)-oxid (E 172). Anwendungsgebiete: Zur Behandlung von Patienten mit moderater bis schwerer Alzheimer-Demenz. Gegenanzeigen: Überempfindlichkeit gegen den Wirkstoff oder einen der sonstigen Bestandteile. Inhaber der Zulassung: H. Lundbeck A/S, Ottiliavej 9, DK-2500 Valby Dänemark. Verschreibungspflicht/Apothekenpflicht: Rezept- und apothekenpflichtig. Weitere Angaben zu Warnhinweisen und Vorsichtsmaßnahmen für die Anwendung, Wechselwirkungen mit anderen Arzneimitteln und sonstigen Wechselwirkungen, Schwangerschaft und Stillzeit und Nebenwirkungen entnehmen Sie bitte der veröffentlichten Fachinformation. Stand Jänner 2012. Stalevo 50 mg/12,5 mg/200 mg Filmtabletten, Stalevo 100 mg/25 mg/200 mg Filmtabletten, Stalevo 150 mg/37,5 mg/200 mg Filmtabletten. Qualitative und quantitative Zusammensetzung: Eine Tablette enthält 50 mg Levodopa, 12,5 mg Carbidopa und 200 mg Entacapon. Sonstiger Bestandteil: Eine Tablette enthält 1,2 mg Sucrose. Eine Tablette enthält 100 mg Levodopa, 25 mg Carbidopa und 200 mg Entacapon. Sonstiger Bestandteil: Eine Tablette enthält 1,6 mg Sucrose. Eine Tablette enthält 150 mg Levodopa, 37,5 mg Carbidopa und 200 mg Entacapon. Sonstiger Bestandteil: Eine Tablette enthält 1,9 mg Sucrose. Liste der sonstigen Bestandteile: Tablettenkern: Croscarmellose-Natrium, Magnesiumstearat (Ph. Eur.), Maisstärke, Mannitol (Ph. Eur.) (E421), Povidon (E1201), Film-Überzug: Glycerol 85 % (E 422), Hypromellose, Magnesiumstearat (Ph. Eur.), Polysorbat 80, Eisen(III)-oxid (E172), Sucrose, Titandioxid (E171), Eisenoxidhydrat x H2O (E172), Anwendungsgebiete: Stalevo wird bei erwachsenen Patienten mit Morbus Parkinson eingesetzt, bei denen „end-of-dose“-Fluktuationen im Krankheitsbild auftreten, die durch eine Behandlung mit Levodopa und einem Dopadecarboxylase-Hemmer (DDC-Hemmer) nicht ausreichend stabilisiert sind. Gegenanzeigen: Überempfindlichkeit gegenüber den Wirkstoffen oder einem der sonstigen Bestandteil, schwere Leberinsuffizienz, Engwinkelglaukom, Phäochromozyto, gleichzeitige Anwendung von Stalevo mit nichtselektiven Monoaminoxidase- (MAO-A- und MAO-B-) Hemmern (z. B. Phenelzin, Tranylcypromin), gleichzeitige Anwendung eines selektiven MAO-A- und eines selektiven MAO-B-Hemmers (siehe Abschnitt 4.5 in der Fachinformation), Malignes neuroleptisches Syndrom (MNS) und/oder atraumatische Rhabdomyolyse in der Anamnese. Pharmakotherapeutische Gruppe: Dopa und Dopa-Derivate. ATC-Code: N04BA03. Inhaber der Zulassung: Orion Corporation Orionintie 1, FI-02200 Espoo Finnland. Verschreibungspflicht/Apothekenpflicht, Rezept- und apothekenpflichtig. Informationen betreffend Warnhinweise und Vorsichtsmaßnahmen für die Anwendung, Wechselwirkung mit anderen Mitteln, Nebenwirkungen und Gewöhnungseffekte sind den veröffentlichten Fachinformationen zu entnehmen. Cipralex® 5 mg/10 mg/20mg – Filmtabletten; ATC-Code: N 06 AB. Qualitative und quantitative Zusammensetzung: Jede Filmtablette enthält 5 mg bzw. 10 mg bzw. 20mg Escitalopram (als Oxalat); Liste der sonstigen Bestandteile: Tablettenkern: Mikrokristalline Cellulose, Hochdisperses wasserfreies Siliciumdioxid, Talk, Croscarmellose-Natrium, Magnesiumstearat; Tablettenhülle: Hypromellose, Macrogol 400, Titandioxid (E-171). Anwendungsgebiete: Behandlung von Episoden einer Major Depression. Behandlung von Panikstörung mit oder ohne Agoraphobie. Behandlung von sozialer Angststörung (Sozialphobie). Behandlung von generalisierter Angststörung. Behandlung von Zwangsstörung. Gegenanzeigen: Überempfindlichkeit gegen Escitalopram oder einen der sonstigen Bestandteile. Die gleichzeitige Behandlung mit nicht selektiven, irreversiblen Monoaminoxidase-Hemmern ist kontraindiziert aufgrund des Risikos eines Serotonin-Syndroms mit Agitation, Tremor, Hyperthermie etc. (siehe Abschnitt 4.5). Eine Kombination von Escitalopram mit reversiblen MAO-A Hemmern (z.B. Moclobemid) oder dem reversiblen nicht selektiven MAO-Hemmer Linezolid ist kontraindiziert aufgrund des Risikos eines Serotonin-Syndroms (siehe Abschnitt 4.5). Escitalopram ist bei Patienten mit bekannter QT Intervall Verlängerung oder vererbtem langem QT Syndrom kontraindiziert. Die Kombination von Escitalopram mit Arzneimitteln die bekannterweise das QT Intervall verlängern, ist kontraindiziert (siehe Abschnitt 4.5). Zulassungsinhaber und Hersteller: H. Lundbeck A/S, Ottiliavej 9, DK-2500 ValbyKopenhagen - Dänemark. Vertrieb: Lundbeck Austria GmbH, Dresdner Straße 82, 1200 Wien. Verschreibungspflicht/Apothekenpflicht: Rezept- und apothekenpflichtig, wiederholte Abgabe verboten. Weitere Angaben zu Dosierung, Nebenwirkungen, Wechselwirkungen, Schwangerschaft und Stillzeit und zu den besonderen Warnhinweisen zur sicheren Anwendung sind der veröffentlichten Fachinformation zu entnehmen. Jahrgang 66 / 984a / 2012 ARZT & PRAXIS 13 14 t h e m e n h e f t n e u r o lo g i e • p sy c h i at r i e Angststörungen und ihre Behandlung ao.Univ. Prof. Karin Gutierrez-Lobos Medizinische Universität Wien Währinger Gürtel 18-20, 1090 Wien [email protected] Seit den 1980iger Jahren werden Angststörungen in der psychiatrischen Diagnostik als eigenständige Krankheitsbilder definiert und eine Abgrenzung zwischen Phobien auf der einen Seite und Panikattacken und Generalisierter Angststörung (GAD) auf der anderen Seite vorgenommen. Die 1-Jahres Prävalenz für alle Angststörungen liegt in Europa bei 14%, darunter sind spezifische Phobien mit einer 1-Jahresprävalenz von 6,4% am häufigsten, gefolgt von Sozialphobie (2,3%), Agoraphobie (2%,) Panikstörung (1,8%) und Generalisierter Angststörung (14–65 Jahre: 1,7%, ≥66 Jahre: 3,4%) (Wittchen et al. 2011). Bei Frauen werden Angststörungen zwei bis dreimal häufiger als bei Männern diagnostiziert. Die einzelnen Angststörungen zeigen bezüglich ihres Ersterkrankungsalters Unterschiede. So können spezifische Phobien bereits in der Kindheit auftreten, soziale Phobien manifestieren sich meist in Pubertät und Adoleszenz, Panikstörung, Agoraphobie und Generalisierte Angststörung im jungen Erwachsenenalter und letztere unter Umständen auch erst um das 40. Lebensjahr (Perkonigg & Wittchen, 1995). Da bei Angsterkrankungen häufig die körperlichen Symptome im Vordergrund stehen, werden sie oft verkannt. Es kann einige Jahre dauern, bis die richtige Diagnose gestellt und damit auch eine zielführende Therapie begonnen werden kann. Angsterkrankungen sind nicht nur häufig, sie nehmen oft auch einen chronischen Verlauf - zudem tragen ein hohes Rezidivrisiko und häufige Komorbidität entscheidend zur Krankheitslast bei. Angst und Furcht haben eine überlebensnotwendige Warn- und Schutzfunktion. Anders ist es jedoch bei Angststörungen. In diesem Fall ist die Angst dysfunktional, da sie durch Situationen oder Objekte, die keine objektive Bedrohung darstellen, ausgelöst wird. tretens einer Angsterkrankung hängt von einer Kombination aus Lebensereignissen sowie psychologischen und genetischen Faktoren ab. Genetische Disposition scheint bei manchen Angststörungen wie etwa der Panikstörung eine größere Rolle zu spielen als bei anderen. Darüber hinaus spielt ein Ungleichgewicht von noradrenergen, serotonergen und GABAergen Neurotransmittern bei der Angstentstehung eine Rolle. Neuroanatomisch gesehen, entsteht die Angstreaktion durch pathologische Prozesse im limbischen System - ihm kommt eine entscheidende Bedeutung in Entstehung und Wiederkennung von Angst zu. Entwicklungspsychologische Modelle betonen die Rolle von Trennung und Verlust in der frühen Kindheit. Verhaltenstherapeutische Modelle gehen von erlernten Defiziten in der Angstbewältigung, der Assoziation harmloser Reize mit Gefahr im Sinne der klassischen Konditionierung und bestimmten dysfunktionalen Überzeugungen („die Welt ist gefährlich“) aus. Tiefenpsychologisch betrachtet, stellen Angststörungen ein Missverhältnis zwischen objektiver Situation und empfundener Angst dar. Die bewusst wahrgenommene Bedrohung steht für einen unbewussten inneren Konflikt, z.B. eine triebhafte Strebung. Das gefürchtete Objekt oder die Situation werden nicht zufällig gewählt, sondern stehen in Verbindung mit dem unbewussten intrapsychischen Konflikt. Durch Verschiebung wird dieser unlösbare Konflikt auf ein äußeres Objekt verlagert und kann nun erfolgreich - durch Vermeidung - gelöst werden. Ursachen Grundlegendes zur Therapie von Angststörungen Die Ursachen für Angststörungen sind multifaktoriell. Die Wahrscheinlichkeit des Auf- Im Bereich der Psychopharmakotherapie stellen SSRI´s für die Mehrheit der Angststörun- ARZT & PRAXIS gen entsprechend aktuellen Guidelines die Behandlung der 1. Wahl dar. Generell sollte mit der niedrigsten möglichen Dosis begonnen werden, um unerwünschte Wirkungen so gering wie möglich zu halten, und eine schrittweise Dosissteigerung erfolgen. Die Aufklärung der Patienten über die Wirklatenz der SSRI´s stellt eine wichtige Voraussetzung für die Therapie dar. Benzodiazepine haben einen zwar effektvollen, aber unspezifischen Wirkmechanismus. Sie sind für die Akutbehandlung geeignet, werden aber wegen ihrer Toleranzentwicklung und anderer unerwünschter Wirkungen wie gesteigerter Müdigkeit, Schwindel und möglichen kognitiven Beeinträchtigungen für eine Langzeittherapie nicht empfohlen. Psychotherapeutische Verfahren zeigen eine ähnliche Wirkstärke wie Psychopharmaka bei der Behandlung von Angststörungen. Liest man die aktuelle Literatur dazu, so könnte man den Eindruck gewinnen, dass es hauptsächlich verhaltenstherapeutische Verfahren sind, die wirksam bzw. gut durch empirische Daten abgesichert sind. Shedler (2010) hat jedoch erst jüngst darauf hingewiesen, dass dies möglicherweise eine „selektive Verbreitung“ von Forschungsergebnissen reflektiere. In seiner Arbeit werden so auch mehrere Metaanalysen zu psychodynamischen Verfahren diskutiert, die ihre Wirksamkeit bei Angst und Panik belegen. Im Vergleich zu verhaltenstherapeutischen Therapien gehen die psychodynamischen Therapien über die Linderung akuter Symptome hinaus, da sie daran arbeiten, unbewusste Konflikte aufzudecken und zugänglich zu machen. Studien belegen aber auch, dass nicht alle Patienten von einer Verhaltenstherapie profitieren. Manche Autoren empfeh- Jahrgang 66 / 984a / 2012 16 t h e m e n h e f t n e u r o lo g i e • p sy c h i at r i e len daher eine integrative Psychotherapie, d.h. eine Kombination verschiedener Interventionstechniken der unterschiedlichen psychotherapeutischen Schulen (Butollo & Maragkos 2005). Inwieweit eine Kombination von Psychotherapie und Psychopharmakotherapie den Therapieerfolg erhöht, wird für die unterschiedlichen Angststörungen und in Abhängigkeit davon, ob es sich um eine Akut- oder Langzeitbehandlung, differenziert bewertet. Für die Panikstörung scheint eine Erhöhung des therapeutischen Effektes durch eine Kombination von Imipramin und Expositionsbehandlung in der Akutbehandlung erzielbar (Kapfhammer 2008). Diagnostik Im ICD-10 gehören Angststörungen zu den Neurotischen, Belastungs- und Somatoformen Störungen (F40 - F48), wo zwei Kategorien von Angststörungen unterschieden werden. Zu den phobischen Ängsten (ICD-10 F40.-) werden all jene gerichteten Ängste gezählt, die objektiv keine Bedrohung darstellen und die durch Vermeidungsverhalten charakterisiert sind. Unter dem Begriff „andere Angststörungen“ (ICD-10 F41.-) werden Ängste subsumiert, die spontan in unterschiedlichen Situationen oder in sämtlichen Lebensbereichen (generalisiert) auftreten. Im Vorfeld ist eine sorgfältige somatische Abklärung erforderlich, denn auch körperliche Erkrankungen wie z.B. Schilddrüsenerkrankungen, hormonelle und Stoffwechselstörungen, Tumorerkrankungen, Arrhythmien, Asthma oder Epilepsien können Angstsymptome verursachen. Ebenso können bei psychischen Erkrankungen wie Schizophrenie und Abhängigkeitserkrankungen Ängste auftreten, die differentialdiagnostisch von den Angststörungen im engeren Sinn abzugrenzen sind. Bestimmte Substanzen wie z.B. Sympathomimetika, Kortikosteroide oder Alkohol können unter Umständen schwere Angstsymptome auslösen. ICD-10 F 40.0 Agoraphobie (mit oder ohne Panikstörung) Unter Agoraphobie wird die Angst vor weiten Plätzen, Menschenmengen, Schlange Stehen oder vor Reisen mit großer Entfernung von zu Hause verstanden. Meist kommt es im Zusammenhang mit Triggern wie Atemnot und Angst vor Kontrollverlust zu einem spontanen Auf- ARZT & PRAXIS treten. Als angstlindernd wird in vielen Fällen die Begleitung durch andere Menschen oder der Aufenthalt in der Nähe eines Fluchtweges empfunden. Gelegentlich können auch Objekte wie ein Talisman oder das Wissen, ein Anxiolytikum bei sich zu haben, angstreduzierend sein. Eine Agoraphobie ohne vorhergehende Panik­ attacke ist selten. ICD-10 F41.0 Panikstörung Typisch für die Panikstörung sind plötzlich auftretende, unvorhersehbare Angstattacken mit ausgeprägten vegetativen (Tachykardie, Beklemmung, Schwitzen, Atemnot) und psychischen (Depersonalisation, Angst vor Kontrollverlust) Symptomen. Die Angstattacken dauern etwa 3 Minuten und selten länger als 30 Minuten. Im Verlauf einer Panikstörung kann sich eine Erwartungsangst - eine Angst vor der Angst - entwickeln, die Patienten leiden besonders an der Unvorhersehbarkeit ihrer Attacken. Etwa zwei Drittel der Patienten mit Panikattacken leiden gleichzeitig an einer Agoraphobie. Therapie von Agoraphobie bzw. Panikstörung Bei Agoraphobie und Panikattacken zeigen die älteren TCA Imipramin und Clomipramin auch im Vergleich zu neueren Substanzen eine gute Wirkstärke hinsichtlich der Reduzierung der Frequenz der Attacken und der Stärke der Erwartungsangst. Aufgrund der anticholinergen und antiadrenergen Nebenwirkungen werden sie in den meisten Leitlinien aber nicht als „First-line“-Präparate empfohlen. Dies trifft auch auf MAO-Hemmer zu, die ebenso wenig wegen ihrer vielfachen Interaktionen mit anderen Substanzen der 1. Wahl angewendet werden sollten. Unter den Benzodiazepinen ist Alprazolam hinsichtlich seiner Wirksamkeit bei Panikstörungen der am beste untersuchte Wirkstoff. Alprazolam wirkt schnell und besitzt ein günstiges Nebenwirkungsprofil, ist jedoch aufgrund der hohen Toleranzentwicklung und Abhängigkeitsgefahr für eine Standardtherapie nicht sinnvoll. Alprazolam und Lorazepam sind im Fall einer akuten Panikattacke und zu Beginn einer Pharmakotherapie einsetzbar. SSRI´s wie Paroxetin, Fluvoxamin, Escitalo­pram und Sertralin weisen die gleiche Wirkstärke wie TCA auf, sind jedoch nebenwirkungsärmer und werden daher in sämtlichen Leitlinien als Medikamente der 1. Wahl geführt. Bedacht werden muss, dass bei SSRI´s eine Wirklatenz von mehreren Wochen bestehen kann. In dieser Zeit können unerwünschte Wirkungen wie Herzklopfen, Tremor und Übelkeit im Vordergrund stehen. Diese werden aber gerade von Patienten mit Angststörung besonders schlecht toleriert. In solchen Fällen kann die zusätzlich Gabe von Benzodiazepinen erfolgen. Diese sollte nach vollem Wirkungseintritt der SSRI´s wieder langsam reduziert werden. Auch wenn die Angstattacken besonders stark ausgeprägt sind, können Benzodiazepine zu Therapiebeginn erwogen werden. Die Anwendungsdauer der SSRI´s richtet sich in erster Linie nach der erreichten Symptomreduktion. In der Literatur wird wegen des häufig chronischen Verlaufes und der Rezidivneigung eine mindestens 12-monatige Erhaltungstherapie für sinnvoll erachtet. Bei Therapieresistenz kann eine Umstellung auf Reboxetin (NARI), Duloxetin (SNRI) oder Mirtazapin (NaSSA) versucht werden (Kapfhammer 2008). Die kognitive Verhaltenstherapie wird zur Behandlung der Panikstörung aufgrund einer in der Literatur beschriebenen hohen Erfolgsquote empfohlen. Sie setzt an prädisponierenden, auslösenden oder aufrechterhaltenden Bedingungen der Angst an. Zu Beginn der Therapie stehen die Aufklärung über die Erkrankung und die Sensibilisierung gegenüber dem eigenen Denken und Fühlen. Techniken zur Bewältigung der Angstsymptome (Entspannung, Atemübung, autogenes Training) und zur ko­ gnitiven Neubewertung dysfunktionaler Denkstile sowie Expositionsverfahren bei der Agoraphobie werden eingesetzt. Mittlerweile liegen auch zu psychodynamischen Verfahren gesicherte Ergebnisse bei der Panikstörung vor. ICD-10 F40.1 Soziale Phobie Die soziale Phobie ist charakterisiert durch Angst vor prüfender Betrachtung durch andere Menschen. Tätigkeiten wie in der Öffentlichkeit zu essen, zu schreiben oder zu sprechen, werden gefürchtet. Der Übergang von Schüchternheit zu Sozialphobie ist fließend. Die Angst kann in klar abgegrenzten oder in fast allen sozialen Situationen auftreten. Sie geht in der Regel mit niedrigem Selbstwertgefühl und Angst vor Kritik einher. Die Angstsymptome können sich bis hin zu Panikattacken entwickeln. Durch Vermeidung der gefürchteten Situationen kann es zur sozialen Isolierung und depressiven Störungen kommen. Sie tritt häufig gemeinsam mit anderen Angststörungen auf. Jahrgang 66 / 984a / 2012 t h e m e n h e f t n e u r o lo g i e • p sy c h i at r i e Zur Behandlung der sozialen Phobie haben sich die kognitive Verhaltenstherapie und die Expositionstherapie als ähnlich wirksam wie eine Psychopharmakotherapie erwiesen. In der klinischen Praxis zeigt sich, dass sowohl Psychotherapie als auch Psychopharmakotherapie alleine zu einer deutlichen Verbesserung der Symptomatik führen. Anfangs wurden MAO-Inhibitoren in Placebo-kontrollierten Studien für besonders geeignet zur Behandlung der sozialen Phobie gehalten, während sich TCA als nur wenig wirksam erwiesen. Aufgrund des bekannt ungünstigen Nebenwirkungsprofils konnte sich die Therapie mit MAO-Inhibitoren nicht durchsetzen. Heute werden die SSRI´s Paroxetin, Fluvoxamin, Escitalopram und Sertralin sowie der SNRI Venlafaxin in Retardform (Venlafaxin ER) als Therapeutika der 1. Wahl empfohlen. Benzodiazepine können auch in diesem Fall zu Beginn adjuvant angewendet werden. Nichtkardioselektive β-Blocker wie etwa Propranolol werden für die Langzeitbehandlung nicht empfohlen, sie eignen sich jedoch zur kurzfristigen Anwendung - und zwar besonders dann, wenn Schwitzen, Herzrasen, Übelkeit und Tremor („Lampenfieber“, Prüfungsangst) im Vordergrund stehen. Die Einnahme sollte vorzugsweise 30- 60 Minuten vor dem Ereignis erfolgen. ICD-10 F40.2 Spezifische (isolierte) Phobien Spezifische Phobien werden durch bestimmte Objekte oder Situationen ausgelöst und nachfolgend vermieden. Häufige Phobien sind Angst vor Spinnen, vor dem Fliegen, vor Krankheiten oder vor großen Höhen. Bei den Phobien sind auch kulturspezifische Formen wie Koro (Südostasien, Angst vor Retraktion des Genitals) und Frigophobie (Südostasien, Angst vor Kälte und Wind) bekannt. Grundsätzlich kann jede Situation und jeder Gegenstand - im Ex­ tremfall sogar die bildliche Darstellung oder die bloße Verbalisierung des angstbesetzen Objektes - Angst auslösen. Nicht jede Phobie erreicht jedoch das Ausmaß einer Erkrankung. Spezifische Phobien sind die Domäne der Psychotherapie. Diese wird auch in aktuellen Leitlinien übereinstimmend zur Behandlung als Therapie der 1. Wahl empfohlen. Empirisch gut belegt ist die Effizienz der Expositionstherapie. Grundlage dieser Behandlungsform ist es, die Situationen oder Objekte nicht zu vermeiden, Jahrgang 66 / 984a / 2012 sondern sich ihnen aktiv auszusetzen. Dies kann entweder durch Reizüberflutung oder durch schrittweise Exposition erfolgen. Um der mit der Angst verbundenen Muskelanspannung entgegenzuwirken, können ergänzend Entspannungstechniken zum Einsatz kommen. Auch tiefenpsychologisch fundierte Therapieverfahren sind gut geeignet, da sie an der Aufdeckung des zugrunde liegenden intrapsychischen Konfliktes arbeiten und so die phobische Abwehr unnötig machen können. ICD-10 F41.1 Generalisierte Angststörung Bei der generalisierten Angststörung bestehen anhaltende, frei flottierende, quälende Befürchtungen, Vorahnungen und Sorgen mit Anspannung und Übererregtheit, die mindestens während 6 Monaten anhalten. Perioden der Angst können sich mit weitgehend sym­ ptomfreien Intervallen abwechseln. Bei der generalisierten Angststörung sind die Therapie mit Psychopharmaka und die Kognitive Verhaltenstherapie gut untersucht. In einer Metaanalyse über 19 Studien zur Effizienz von kognitiver Verhaltenstherapie wurde ein deutlicher Vorteil gegenüber Placebo ermittelt (Mitte 2005). In klinischen Studien wurden Paroxetin (20-50 mg täglich) und Escitalopram (10-20 mg täglich) untersucht. In der Praxis hat sich beispielsweise für Paroxetin eine deutlich niedrigere Anfangsdosis von 10 mg ergeben, die dann über einige Tage hindurch auftitriert werden kann. Als „First-line“-Substanzen zur Behandlung der Generalisierten Angststörung gelten heute SSRI´s (z.B. Citalopram, Escitalopram, Fluoxetin) und SNRI´s (Venlafaxin ER, Duloxetin). Auch hier gilt, dass es durch Einnahme von SSRI´s zu Beginn der Therapie zu einer Verstärkung der Angstsymptomatik kommen kann, die eine kurzfristige Einnahme von Benzodiazepinen notwendig macht. Auch wenn eine neuere Studie ergeben hat, dass die Wirkstärke von Benzodiazepinen vergleichbar ist mit jener von SSRI´s und Venlafaxin (Hidalgo RB et al. 2007), sind sie aus anderen Gründen (hohes Abhängigkeitspotential, Sedierung etc.) für die Langzeittherapie nicht geeignet. Darüber hinaus besteht bei Langzeiteinnahme die Gefahr eines Entzugssyndroms mit dem erhöhten Risiko des Wiederauftretens der Angstsymptome im Sinne eines ReboundPhänomens. Pregabalin scheint in der Kurzzeitbehandlung und auch zur Vorbeugung von Angstsymptomen effektiv zu sein. Das Medikament ist seit März 2006 für diese Indikation zugelassen. In randomisierten Studien war Pregabalin in Tagesdosen von 300 bis 600 mg einem Placebo deutlich überlegen, während die ebenfalls zugelassene Tagesdosis von 150 mg nur mäßig erfolgreich war. In Vergleichsstudien schnitt das Antikonvulsivum ebenso gut ab wie Venlafaxin und Alprazolam. Die Wirkung tritt schon innerhalb der ersten Woche ein. Etwa ein Drittel der Patienten klagen über Schläfrigkeit, Benommenheit und fallweise Blähungen. Bei eingeschränkter Nierenfunktion muss die Dosis reduziert werden (Karaiskos et al. 2012, Wensel et al. 2012) Bei schneller Dosissteigerung sind Nebenwirkungen ausgeprägter. Es wird auch von älteren Menschen gut vertragen. Angststörungen in der Gravidität Die Anwendung von Psychopharmaka in der Gravidität muss sorgfältig hinsichtlich des Risikos für die Mutter, eventueller teratogener Schäden und postpartaler Folgewirkungen abgewogen werden. Die Indikation muss eng gestellt und es sollte die niedrigste Dosis verordnet werden. Von Medikamentenkombinationen wird abgeraten. Benzodiazepine sollten im 1. Trimenon wegen des Risikos einer Lippen-Kiefer-Gaumenspalte und am Ende der Schwangerschaft wegen der Gefahr eines Entzugssyndroms beim Neugeborenen nicht verordnet werden. Die TCA Amitriptylin, Desimipramin und Nortriptylin gelten als relativ sicher, jedoch scheinen TCA insgesamt ein höheres Risiko für Fehlbildungen als SSRI´s zu haben. Clomipramin sollte wegen des Risikos von kardialen Missbildungen keinesfalls verabreicht werden (Lester et al. 1993). Unter den SSRI´s gilt Citalopram als relativ sicher, weiters auch Venlafaxin (SNRI) und Mirtazapin (NaSSA). Für SSRI´s ist das Risiko für Fehlbildungen moderat erhöht - Paroxetin, Fluoxetin und Sertralin sollten nicht angewendet werden. Nach der Geburt kann es beim Neugeborenen nach Einnahme von SSRI´s durch die Mutter zu Anpassungsstörungen wie Übererregbarkeit, Tremor, Trinkstörungen, Schlafstörungen etc. kommen. Neuere Untersuchungen (Kieler et al. 2011) beschreiben ein deutlich erhöhtes Risiko für primäre pulmonale Hypertonie bei Säuglingen - und zwar auch dann, wenn die Mütter erst nach der 20.SSW mit SSRI´s behandelt wurden. Alle SSRI´s treten in die Muttermilch über, allerdings in deutlich geringere Konzentration im Vergleich zur Serumkonzentration der Mutter. In Anbetracht der Datenlage soll- ARZT & PRAXIS 17 18 t h e m e n h e f t n e u r o lo g i e • p sy c h i at r i e te daher in der Gravidität der Psychotherapie bzw. psychoedukativen Verfahren der Vorrang gegeben werden. Angst im Alter Angstsyndrome stellen auch in höherem Alter eine häufige Erkrankung dar. Wichtig ist dabei besonders die diagnostische Abgrenzung zu Demenz und Depression. Im Vorfeld wie im Verlauf einer Demenz kann es zum Auftreten von Ängsten kommen. Depression und Angststörungen weisen darüber hinaus generell eine häufige Komorbidität auf und ihre Sym­ ptome überlappen sich teilweise. Die Diagnose von Angststörungen stellt daher gerade bei älteren Menschen eine besondere Herausforde- ARZT & PRAXIS rung dar. Gleiches gilt für die Therapie, denn die Wirkung von Psychopharmaka ist bei älteren Menschen kaum untersucht. Ältere Menschen weisen eine veränderte Pharmakodynamik und -kinetik auf. Es wird in geringerem Umfang Magensäure produziert, Muskelmasse vermehrt in Fett umgewandelt, Lebermetabolismus und renale Ausscheidung sind verändert. Eine Psychopharmakotherapie sollte daher vorsichtig unter Abwägung dieser Faktoren sowie unter Vermeidung einer Polypharmazie vorgenommen werden. SSRI´s sind wegen ihres günstigen Nebenwirkungsprofils TCA´s vorzuziehen. TCA sollten aufgrund ihrer anticholinergen Wirkung nicht angewendet werden. Vergleichsweise gut untersucht sind die SSRI´s Paroxetin und Citalopram. Einige Untersuchungen weisen darauf hin, dass gerade im Alter die Behandlung häufig mit Benzodiazepinen erfolgt. Gerade ältere Menschen reagieren aber auf die unerwünschten Wirkungen noch empfindlicher. Benzodiazepine wirken aufgrund der veränderten Verteilung länger und werden langsamer abgebaut. Das erhöhte Risiko für Verwirrtheitszustände, Unruhe, Gedächtnisstörungen und ein nicht unbeträchtliches Sturzrisiko mit der Gefahr einer Fraktur machen deutlich, dass Benzodiazepine im höheren Alter nur für absolute Notfallindikationen geeignet sind. ♦ Literatur bei der Verfasserin Jahrgang 66 / 984a / 2012 t h e m e n h e f t n e u r o lo g i e • p sy c h i at r i e Schizophrenie - medikamentöse Therapie im Überblick Nach wie vor steht die medikamentöse Therapie im Zentrum der Schizophreniebehandlung - allerdings ist sie stets im Kontext eines biopsychosozialen Gesamtbehandlungskonzeptes zu sehen. Neben der Behandlung psychotischer Symptome sind dabei in den letzten Jahren zunehmend auch die Therapie von Negativ-, affektiven bzw. kognitiven Symptomen und eine „nebenwirkungsgeleitete“ Behandlung in den Mittelpunkt des Interesses gerückt. S chizophrene Erkrankungen treten in verschiedenen Ländern der Welt relativ unabhängig vom soziokulturellen Hintergrund ähnlich häufig auf. Die Lebenszeitprävalenzrate liegt durchschnittlich bei etwa 1% - in Österreich erkranken demnach etwa 80.000 Personen mindestens einmal im Lauf ihres Lebens an einer psychotischen Episode, welche die Kriterien einer Schizophrenie erfüllt. Die Jahresinzidenzrate liegt bei 0,01 Prozent - dies entspricht etwa 800 Neuerkrankungen pro Jahr in Österreich. Männer und Frauen sind etwa gleich häufig betroffen - etwa neun Zehntel der Männer und zwei Drittel der Frauen erkranken vor dem 30. Lebensjahr. Schizophrenien stellen eine - sowohl im Hinblick auf die vorherrschende Symptomatik als auch den Verlauf - heterogene Gruppe an Erkrankungen dar. Aktuell werden gemäß dem Vorherrschen von psychopathologischen Prägnanztypen verschiedene Diagnosegruppen unterschieden. Neben der Positivsymptomatik (Halluzinationen, Wahnvorstellungen) und der im Wesentlichen durch eingeschränkten Affektausdruck charakterisierten Negativsymptomatik (Apathie, Affektverflachung, emotionale Isolation) repräsentieren kognitive Funktionseinschränkungen den dritten wesentlichen Syndrombereich. Sowohl Positiv- als auch Negativsymptome sind mit fassbaren neurochemischen Störungen im Bereich zentraler Neuromodulatoren korreliert, wobei spezifische Veränderungen im dopaminergen und serotonergen System bzw. in letzter Zeit auch im glutamatergen System am besten dokumentiert sind. Zudem beeinflussen psychosoziale Faktoren Ausbruch und Verlauf. Besonders bedeutsame Stressoren sind Beziehungsklima und lebensverändernde Ereignisse - vor allem dann, wenn mehrere Veränderungen in kurzer Zeit passieren [1] Jahrgang 66 / 984a / 2012 Grundzüge der Behandlung Verschiedenste medikamentöse wie auch nicht-medikamentöse (z.B. spezifische psychosoziale Interventionen) Therapiemöglichkeiten stehen zur Verfügung. Dies ermöglicht die Entwicklung eines Gesamttherapieplans, welcher auf die individuellen Bedürfnisse der Patienten abgestimmt ist [1]. Als Grundvoraussetzungen für eine erfolgreiche Umsetzung gelten das gemeinsame Erarbeiten eines Konzepts der Störung und deren Behandlung, der Einbezug von Familienangehörigen und Bezugspersonen sowie eine vertrauensvolle therapeutische Beziehung. Da ein vorzeitiges Absetzen der Medikation mit einem erheblichen Rückfallrisiko verbunden ist, sind Maßnahmen zur Verbesserung der Therapieadhärenz von großer Bedeutung. Beim Auftreten von psychotischen Symptomen im Rahmen von Erstmanifestation wie auch Rezidiv ist eine schnelle und unkomplizierte Verfügbarkeit von therapeutischer Hilfe wichtig. Hierfür bieten gemeinsam erarbeitete Krisenpläne mit individuellen Frühwarnsymptomen und einfachen Behandlungsschritten eine große Unterstützung [2]. Grundsätzlich sollte immer das geringfügigste autoritäre Behandlungssetting angestrebt werden - und zwar ideologiefrei und sich strikt an Beschwerden und Ressourcen des Patienten orientierend. Man unterscheidet stationäre, teilstationäre und ambulante Settings. Eine wichtige Rolle spielen Tagesstätten, ergotherapeutische Trainingseinrichtungen und therapeutische Wohnformen (z. B. Übergangswohnheime, betreute bzw. unbetreute Wohngruppen) sowie damit Hand in Hand gehende sozialpsychiatrische präventive Maßnahmen [1]. In der Akutphase steht die Behandlung der Positivsymptomatik im Vordergrund, insbesondere die Symptomkontrolle der psychotischen Angst und des oftmals daraus resultierenden aggressiven Verhaltens. Zentrale therapeutische Bedeutung kommt dabei den atypischen Antipsychotika bzw. entsprechenden Begleitund ergänzenden medikamentösen Maßnahmen zu. Als weiteres wesentliches Ziel gilt die Abschätzung und Behandlung von Selbstbzw. Fremdgefährdungen [1]. In der postakuten Stabilisierungsphase ist Psychoedukation wichtig, um PatientInnen im besseren Umgang (z.B. Compliance) mit ihrer Erkrankung zu unterstützen. Kognitiv-psychotherapeutische Therapiemethoden sollen in dieser Phase ebenso beginnen wie die Arbeit mit Angehörigen. Zusätzlich existieren noch einige weitere - den Gesamtbehandlungsplan ergänzende - psychotherapeutische Optionen [1]. In der Remissionsphase stehen soziotherapeutische Maßnahmen im Mittelpunkt therapeutischen Bemühens [1]. Eine kontinuierliche antipsychotische Medikation ist während aller Behandlungsphasen indiziert [1]. Dabei steht derzeit neben der Erforschung neuer Wirksubstanzen vor allem die optimierte Anwendung der am Markt befindlichen Substanzen im Vordergrund [3]. Akuttherapie Medikamente der ersten und zweiten Wahl sind die neuen/atypischen Antipsychotika. Evidenzbasiert ist eine Differenzialindikation bezüglich Wirksamkeit der neuen Substanzen nicht möglich, es existieren jedoch Unterschiede im Nebenwirkungsprofil (EPMS, Gewicht, Prolaktin, Agitation, Sedierung). Die Auswahl des Antipsychotikums ergibt sich aus Wirksamkeitsüberlegungen, verfügbaren Darreichungsformen, Patientenwünschen, Nebenwirkungsprofil und - ohne dass es dafür eine wissenschaftliche Evidenz gibt - früheren Therapieerfahrungen [1]. Im Idealfall sollte das Medikament einmal ARZT & PRAXIS 19 20 t h e m e n h e f t n e u r o lo g i e • p sy c h i at r i e täglich peroral verabreicht werden. Bei unsicherer Compliance ist eine flüssige (Amisulprid, Risperidon, Ziprasidon, Haloperidol) oder rasch lösliche (Aripiprazol-Schmelztabletten, Olanzapin-Velotab, Risperidon-Quicklet) Galenik vorzuziehen. Die Einnahme von Ziprasidon sollte mit Nahrungsaufnahme erfolgen, wobei für eine optimale Bioverfügbarkeit die Mahlzeit zumindest 500kcal entsprechen sollte. Intramuskulär stehen Ziprasidon, Olanzapin, Aripiprazol und Haloperidol zur Verfügung, intravenös kann Haloperidol verabreicht werden [1]. Die richtige Dosierung gilt als wesentliche Voraussetzung für ein optimales Wirkungs-/Nebenwirkungsprofil - Schizophrenie-Ersterkrankte benötigen dabei eine niedrigere Dosierung als Mehrfacherkrankte, da nicht die Akuität der Symptomatik, sondern die Dauer der Erkrankung für die Dosierung entscheidend ist [3]. Für Patienten mit einer ersten Episode kann also eine deutlich niedrigere Dosis genügen, bei Patienten mit multiplen Episoden ist die zuletzt effektive Dosis die Zieldosis. Eine schrittweise Dosissteigerung verringert das Nebenwirkungsrisiko bei einigen atypischen Antipsychotika bzw. typischen Neuroleptika [1]. Bei ängstlichen, agitierten oder aggressiven Zuständen ist die Kombination von atypischen Antipsychotika mit Benzodiazepinen (Diazepam, Lorazepam, Clonazepam) effektiver und sicherer als eine höherdosierte (über die maximale empfohlene Dosis hinausgehende) Therapie mit atypischen Antipsychotika oder eine Kombination mit niederpotenten (älteren) typischen Neuroleptika [1]. Studien zeigen dass die Pharmakotherapie der Schizophrenie umso erfolgreicher ist, je früher diese zum Einsatz kommt - 80% der Ersterkrankten erholen sich damit innerhalb von 3-6 Monaten [3]. Bei inadäquatem therapeutischem Ansprechen kann eine Überprüfung von Diagnostik, Komorbidität (speziell Substanzmissbrauch), Compliance bzw. Metabolismus eine rasche Hilfe darstellen. Daraus ergeben sich als mögliche Konsequenzen eine Dosiserhöhung, eine adjuvante oder alternative Medikation oder das weitere Abwarten einer Therapieantwort, falls eine berechtigte Annahme besteht, dass der Patient ein „Slow Responder“ ist. Eine orientierende Plasmaspiegelbestimmung ist sinnvoll [1]. Konkret sollte bei Ersterkrankung - nach vorherigem Ausschluss obiger Faktoren - ein The- ARZT & PRAXIS Amisulprid Solian® Aripiprazol Abilify® Clozapin Lanolept®, Leponex® Olanzapin Aedon®, Olanzapin „1APharma“®, „Actavis“®, „Bluefish“®, „easypharm“®, „G.L.“®, „Genericon“®, „Mylan“®, „ratiopharm“®, Sandoz“®, „Stada“®, Zalasta®, Zypadhera®, Zyprexa® Paliperidon Xeplion® Quetiapin Quetialan®, Quetiapin „easypharm“®, „G.L.“®, „Genericon“®, „Krka“®, „+pharma“®, „ratiopharm“®, „Sandoz“®, Seroquel® Risperidon Aleptan®, Risperdal®, Risperidon „1APharma“®, „Actavis“®, „easypharm“®, „Genericon“®, „Hexal“®, „+pharma“®, „ratiopharm“® „Sandoz“®, „Stada“® Sertindol Serdolect® Ziprasidon Zeldox® Tab. 1: Neue/atypische Antipsychotika und zugehörige - in Österreich derzeit zugelassene und im Warenverzeichnis aufgeführte - Präparate rapiewechsel aufgrund fehlender Wirksamkeit frühestens nach zwei Wochen vorgenommen werden. Wurden zwei Antipsychotika - worunter jedenfalls ein neues/atypisches sein sollte - erfolglos eingesetzt, so ist die Indikation für eine Verwendung von Clozapin gegeben. Erst nach dessen erfolglosem Einsatz wird die Kombination verschiedener Antipsychotika empfohlen. Am bislang besten überprüft wurden dabei die Kombinationen von Clozapin und Amisulprid bzw. Risperidon. Auch der adjuvante Einsatz von Stimmungsstabilisatoren sowie die Elektrokrampftherapie sind bei Therapieresistenz zu überlegen [3]. Als begleitende therapeutische Maßnahmen gelten Sozio- und Psychotherapie. Dabei soll erstere in der Akutphase aktuelle soziale Probleme lösen (Wohnen, Arbeit) und das soziale Netz des Patienten unterstützen. In psychotherapeutische Maßnahmen sollen auch in diesen frühen Therapiestadien bereits Familie und Angehörige involviert werden, da die Psychoedukation die Compliance von Patienten und Angehörigen verbessert, die psychotherapeutische Familienarbeit deren Belastung vermindert und den Umgang mit der Krankheit erleichtert bzw. die Gruppentherapie soziale Interaktionen, Einsicht und Coping-Strategien verbessert [1]. Rückfallsprophylaxe und Langzeittherapie Gerade in der Langzeitbehandlung ist auf die Wichtigkeit eines integrierten biopsychosozialen Behandlungskonzepts hinzuweisen. Was die Pharmakotherapie betrifft, so stellen atypische Antipsychotika die Mittel der Wahl zur Rückfallsprophylaxe und in der Langzeitbehandlung dar - dies aufgrund deren Wirksamkeit nicht nur auf die positive, sondern auch auf die negative, affektive und kognitive Symptomatik und aufgrund ihres günstigen Nebenwirkungsprofils. Dabei sollte jenes Medikament, das sich in der Akuttherapie bewährt hat, auch zur Erhaltungstherapie und Rezidivprophylaxe verwendet werden - dies sollte bereits bei der Auswahl des Antipsychotikums für die Akutbehandlung berücksichtigt werden, da Medikamentenwechsel mit Rezidivrisiken verbunden sind. Für die Langzeittherapie ist zudem das Nebenwirkungsprofil von besonderer Bedeutung, weshalb atypischen Antipsychotika der Vorzug gegeben werden soll. Zudem reduzieren atypische Antipsychotika die Rezidivrate signifikant gegenüber Placebo. Somit sollten typische Neuroleptika in der Langzeittherapie nur im begründeten Einzelfall zum Einsatz kommen [1]. Seitens der Dosierung ist bei atypischen Antipsychotika für Rückfallsprophylaxe und Langzeitbehandlung keine Dosisreduktion im Vergleich zur Akuttherapie erforderlich. Typische Neuroleptika sollten nach Möglichkeit schrittweise (in Halbjahresschritten Dosisreduktion um 20% der akut wirksamen Dosis) auf die geringste noch wirksame Tagesdosis reduziert werden (allerdings nicht unter einem Drittel der Initialdosis!). Höhere als die empfohlenen Dosen bringen insgesamt keinen kli- Jahrgang 66 / 984a / 2012 t h e m e n h e f t n e u r o lo g i e • p sy c h i at r i e nischen Vorteil, auch nicht bei therapieresistenten Patienten. Die Dauergaben von Anticholinergika sind nicht zuletzt wegen der kognitiven Beeinträchtigung abzulehnen [1]. Meist stellt die Pharmakotherapie eine lebensbegleitende Maßnahme dar - konkret richtet sich die Behandlungsdauer allerdings nach Anzahl und Charakteristika der Krankheitsepisoden [1]: - bei Erstmanifestation: mindestens 1 Jahr - bei Anamnese von mindestens zwei akuten psychotischen Störungen oder bei Rezidiv innerhalb eines Jahres: mindestens 5 Jahre - bei besonders häufigen Rezidiven, primär chronischem Verlauf oder zusätzlichen Risiken durch Fremd- und/oder Selbstgefährdung: länger, eventuell auch lebensbegleitend Möglicherweise zwingt eine mangelnde Compliance zur Umstellung auf ein Depotpräparat (Olanzapin, Paliperidon, Risperidon) - dabei gelten neben den angesprochenen Compliance-Überlegungen auch Wünsche und Erfahrungen der Patienten als Entscheidungskriterien bezüglich oral versus Depot [1]. Als Vorteile der Depotmedikation können zunächst eine zuverlässige Freisetzung des Wirkstoffes, eine bessere Bioverfügbarkeit sowie die fehlende Wechselwirkung mit Antazida genannt werden. Der erzielte konstante Plasmaspiegel kann zu einer Reduktion von Nebenwirkungen beitragen. Die bessere Kontrollierbarkeit der Einnahme vermag nicht nur einer verlässlichere Wirkung zu mediieren, sondern auch das Risiko für gewollte wie auch zufällige Überdosierungen zu vermindern. Zudem kann die reduzierte Verabreichungsfrequenz insbesondere bei kognitiven Störungen günstig sein. Lehnt ein Patient jedoch die Antipsychotikagabe prinzipiell ab, kann auch durch eine Depotgabe die Compliance auf Dauer nicht positiv beeinflusst werden [3]. Eine Langzeitbehandlung mit Antipsychotika reduziert die Rückfallrate von etwa 80 auf 20% im ersten Jahr [3]. Im Sinne einer Auswahl begleitender therapeutischer Maßnahmen seien genannt [1]: -Milieugestaltung (klar strukturierter Tagesablauf, Annäherung an gewohnte Lebensbedingungen, Förderung von Initiative, Vermeidung von Inaktivität) -Ergo- und Arbeitstherapie (Übung kognitiver Fähigkeiten, Antriebsförderung, Stärkung des Selbstvertrauens, Training von Jahrgang 66 / 984a / 2012 Ausdauer, Belastungserprobung, Maßnahmen zur beruflichen Integration) - Verhaltenstherapeutisch orientierte Familientherapie (Entlastung der Angehörigen) - Psychoedukation (Patienten- und Angehörigengruppen, Einzelberatungen, Beratung von Selbsthilfevereinigungen) -Training von sozialen Fertigkeiten (Stärkung der intakten Persönlichkeitsanteile, Kompensation krankheitsbedingter Einschränkungen) - Wohnheime und Wohngemeinschaften (betreutes Einzelwohnen bzw. Wohngemeinschaften, Wohngruppen, Übergangsbzw. Langzeitwohnheime) Fokus neue/atypische Antipsychotika Für die antipsychotische Wirkung ist eine Blockade von Dopamin-D2-Rezeptoren im zentralen Nervensystem für alle typischen Neuroleptika und atypischen Antipsychotika von wesentlicher Bedeutung. Dies wird auch durch moderne PET-Untersuchungen an schizophrenen Patienten bestätigt, wobei die meisten atypischen Antipsychotika eine sich von den älteren Substanzen unterscheidende D2-Rezeptor-Blockade im Striatum zeigen. Die neuen/atypischen Eigenschaften scheinen aber nicht nur durch eine zum Teil geringere D2-antagonistische Wirkung ausgelöst zu werden, sondern durch zusätzliche pharmakologische Komponenten. Die besondere therapeutische Wirkung von kombinierten D2-/5-HT2A-Blockern wird als Folge einer Blockade sowohl limbischer D2-Rezeptoren als auch kortikaler 5-HT2-Rezeptoren angesehen. Man vermutet, dass die kortikale 5-HT2-Blockade in dieser Region (präfrontaler Kortex) zu einer höheren Dopaminfreisetzung führt [1]. Neben dem subkortikalen Dopaminüberschuss scheint also auch der präfrontale Dopaminmangel von Bedeutung - ersterer wird für die Positiv­ symptome verantwortlich gemacht, während letzterer mit Negativsymptomen und kognitiver Beeinträchtigung in Verbindung gebracht werden. Im Rahmen einer modernen medikamentösen Therapie wird versucht, Dopaminüberschuss wie -mangel auszugleichen und somit auf alle genannten Symptombereiche günstig einzuwirken [3]. Eine bessere Funktion der frontalen Hirnrinde zieht konsekutiv eine Normalisierung der Funktion anderer Neurotransmittersysteme (z.B. GABAerge und glutamaterge Neurone) nach sich, wobei vermutet wird, dass auch diese bei- den Systeme eine Rolle in der Pathogenese positiver und negativer Symptome spielen. Die postsynaptische 5-HT2A-Blockade der atypischen Antipsychotika bewirkt, dass auch antidepressive Effekte vermittelt werden (ausgenommen Amisulprid, das diesen antidepressiven Effekt über einen Dopamin-Autorezeptoragonismus bei niedriger Dosierung vermittelt), was insbesondere bei gemischten schizophrenen und affektiven Syndromen von Vorteil ist. Zusätzlich weisen Quetiapin und Ziprasidon eine Noradrenalin-, letzteres darüber hinaus noch eine Serotonin-Wiederaufnahmehemmung auf. Als Atypika der dritten Generation, wie z.B. Aripiprazol, bezeichnet man Substanzen, deren Wirkmechanismus sich von anderen derzeit verfügbaren, atypischen Antipsychotika unterscheidet: partieller Agonismus am D2und 5HT1A-Rezeptor sowie Antagonismus am 5-HT2A-Rezeptor. Die intrinsische Aktivität am D2-Rezeptor erlaubt eine Modulation und Stabilisation des Dopamin-Serotonin-Systems [1]. Der wesentliche Unterschied zwischen den typischen Neuroleptika und den atypischen Antipsychotika liegt also nicht nur in der unterschiedlichen Beeinflussung der Symptomatik, sondern ist auch biochemisch durch die spezifische Pharmakodynamik (Rezeptorprofil) bzw. die toposelektive Beeinflussung des dopaminergen Nervensystems gekennzeichnet. Somit sind neben der gewünschten raschen antipsychotischen Wirkung fehlende oder geringere extrapyramidale Nebenwirkungen (EPMS) sowie ein positiver Effekt auf die negative, affektive und kognitive Symptomatik zu beobachten [1]. Bislang ist es allerdings nicht möglich, vorherzusagen, mit welchem Antipsychotikum bei einem bestimmten Patienten eine optimale Wirkung erzielt werden kann [3]. Ein weiterer zentraler therapeutischer Aspekt ist das individuell optimierte Nutzen-RisikoProfil - sprich Erzielung einer optimalen Wirkung bei Minimierung von Nebenwirkungen [3]. Durch die Einführung der atypischen Antipsychotika wurden insofern auch neue Behandlungsperspektiven ermöglicht, als diese Medikamente die bei vor allem (älteren) typischen Neuroleptika häufig auftretenden Nebenwirkungen, wie z.B. extrapyramidale oder kognitive Störungen, nicht mehr oder nur zu einem geringen Teil aufweisen [1]. Wegen ihres günstigen klinischen Wirkungsund Nebenwirkungsprofils stellen atypische ARZT & PRAXIS 21 22 t h e m e n h e f t n e u r o lo g i e • p sy c h i at r i e Antipsychotika mittlerweile die Medikation erster Wahl in der Schizophrenie-Behandlung dar. Im Vergleich zu typischen Neuroleptika sind weniger Compliance-Probleme, höhere Lebensqualität, günstigerer Gesamtverlauf und vergleichsweise niedrige Gesamtbehandlungskosten zu erwarten [1]. Insbesondere Anwendung finden sollen sie bei [3]: -Ersterkrankten oder Antipsychotika-naiven Patienten (75% der Ersterkrankten sind EPMS-sensitiv) - Patienten mit tardiven Dyskinesien oder einem erhöhten Risiko dafür - ausgeprägten Negativsymptomen - kognitiven Störungen - psychiatrischer Komorbidität - schlechtem Ansprechen auf konventionelle Antipsychotika Atypische Antipsychotika (siehe auch Tabelle 1) stellen pharmakodynamisch eine heterogene Gruppe dar und unterscheiden sich dadurch auch hinsichtlich der Nebenwirkungen (z.B. Gewicht, Prolaktin, Agitation, Sedierung) [1]. Als weitere Auswahlkriterien für ein bestimmtes Antipsychotikum können daher zudem körperliche Begleiterkrankungen angesehen werden. So sprechen ein erhöhtes Körpergewicht, ein gestörter Fettstoffwechsel oder ein bestehender Diabetes mellitus gegen eine Ga- ARZT & PRAXIS be von Antipsychotika, deren Nebenwirkungsprofil diese bestehenden Erkrankungen potenzieren könnten. Besteht eine Erkrankung, deren Verlauf durch einen erhöhten Prolaktinspiegel negativ beeinflusst werden könnte, sollten Antipsychotika, welche den Prolaktinspiegel erhöhen können, nach Möglichkeit vermieden werden bzw. sollte in solchen Fällen der Prolaktinspiegel kontrolliert werden [3]. Ein Auftreten von Nebenwirkungen rechtfertigt bzw. sollte bei einer subjektiven Beeinträchtigung des Patienten oder einer gesundheitlichen Gefährdung eine Adaptierung der Dosierung oder den Wechsel des Antipsychotikums nach sich ziehen. Ein erhöhter Prolaktinspiegel ohne Auftreten von Nebenwirkungen stellt allerdings derzeit keine Indikation für einen Medikamentenwechsel dar [3]. Therapiemonitoring: Bei der Applikation von Clozapin sind rechtlich bindende Therapiekontrollen vorgeschrieben: Kontrolle des Blutbilds vor Therapiebeginn, danach während der ersten 18 Behandlungswochen wöchentlich. Während der gesamten weiteren Therapiedauer soll das weiße Blutbild mindestens einmal im Monat kontrolliert werden, nach Beendigung der Behandlung über einen Zeitraum von weiteren 4 Wochen. Bei Sertindol, das wie Clozapin nach atypischen Antipsychotika und typischen Neuroleptika nur in dritter Linie verwendet werden darf, sind zwingende EKG-Kontrollen vor Beginn der Therapie, dann nach 3 Wochen oder nach Erreichen einer Dosis von 16 mg, nach 3 Monaten bzw. dann alle 3 Monate vorgeschrieben. Bei Ziprasidon, einer Substanz, die auch sehr gut als First-line-Präparat eingesetzt werden kann, ist es nicht vorgeschrieben, aber empfehlenswert, eine EKG-Kontrolle am Anfang und nach Erreichen der therapeutischen Dosis durchzuführen. Bei allen atypischen Antipsychotika ist es sinnvoll, aber nicht zwingend, den Nüchtern- und postprandialen Blutzucker, Bauchumfang, Gewicht, HDL-Cholesterin und Triglyzeride zu kontrollieren [1]. -mb- ♦ Literatur: [1] Kasper S, Lehofer M; Schizophrenie - Medikamentöse Therapie; Konsensus-Statement - State of the art 2008; Clinicum NeuroPsy Sonderausgabe November 2008 [2] Cattapan-Ludewig K, Krebs S, Kunz HP, Bridler R; Medikamentöse Therapie der Schizophrenie; Schweiz Med Forum 2012; 12(9): 189-193 [3] Hummer M; Neues in der medikamentösen Therapie der schizophrenen Erkrankung; Österreichische Schizophrenie Gesellschaft; Online-Version eines Vortrags 2011; www.schizophrenie.or.at Jahrgang 66 / 984a / 2012 Erfahrung braucht die Chance gelebt zu werden: e Box CEB_120412_AuP Grün Fachkurzinformation siehe Seite 13 CEREBOKAN ® bei Demenz.