ThemenhefT neurologie • Psychiatrie

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P.b.b. Verlagspostamt 1180 Wien • GZ10Z038411M • ISSN 0048-5128
Themenheft neurologie • Psychiatrie
TYP 1 UND TYP 2 DIABETES MELLITUS
Lantus® – mit 1. Juli 2008 bewilligungsfrei (RE2)*
Apidra® – Positive Opinion der Emea für die
Zulassung für Kinder ab 6 Jahren
THEMENHEFT
DIABETES
April
2012
Nr. 984a • 66. Jg.
Inkretine – ein neuer
Ansatz in der Therapie
des Typ 2 Diabetes
Insulinanaloga
Aktuelle
Therapie
des Morbus Parkinson
Diabetes im Alter
Antihypertensiva
Angststörungen
und bei
ihre
Diabetes mellitus
Behandlung
Überblick
PROATGLA080601
HbA1c < 7% unter
Lebensstiltherapie
–
Schizophrenie
was nun? Therapie im
medikamentöse
Fachkurzinformation siehe Seite 30
Diabetes im Spannungsfeld
von Lebensstil und
Die
optimale
Medizin
antidementive
Therapie
24-Stunden Diabetes Hotline: 01/801 85-2448
www.diabetesportal.at
* Alle Darreichungsformen sind dokumentationspflichtig
P.b.b. Verlagspostamt 1180 Wien • 04Z035389 M • ISSN 0048-5128
Juni 2008 Nr. 940a 62. Jahrgang
•
•
2
t h e m e n h e f t n e u r o lo g i e • p sy c h i at r i e
INHALT
Neuropsychiatrische
„Volkskrankheiten“ ein therapeutisches Update
D
ie in diesem Themenheft besprochenen
Entitäten sind ebenso häufig wie von
komplexer Natur. Die therapeutischen
Möglichkeiten sind aber bei etlichen Patienten
noch nicht optimal ausgeschöpft - Grund genug, österreichische Experten um eine Darlegung des derzeitigen Spektrums an Behandlungsmöglichkeiten zu ersuchen.
Die Parkinson-Therapie zielt auf gute Sym­
ptomkontrolle und Erhaltung von beruflichen
und sozialen Kompetenzen, Selbständigkeit und
Lebensqualität ab. Dabei sollten kurz- und langfristige Nebenwirkungen der Therapie möglichst vermieden werden. In den letzten Jahren konnte insbesondere die Behandlung von
Langzeitproblemen verbessert werden. Univ.
Prof. Dr. Walter Pirker aus Wien gibt in seinem
Beitrag einen Überblick zur aktuellen Therapie
des Mb. Parkinson.
Nach wie vor besteht ein großes Defizit in der
Demenz-Früherkennung - zudem wird die medikamentöse antidementive Behandlung oft zu
spät etabliert, nur kurz verschrieben und nicht
regelmäßig eingenommen. Darüber hinaus sind
nicht-medikamentöse Behandlungsmaßnahmen im Gesamtbehandlungsplan leider nach
wie vor unterrepräsentiert. Zur optimalen antidementiven Therapie nehmen Chefarzt Prim.
Dr. Georg Psota aus Wien und Prim. Dr. Christian Jagsch aus Graz Stellung.
Da bei Angsterkrankungen häufig körperliche Symptome im Vordergrund stehen, werden sie oft verkannt. Es kann einige Jahre dauern, bis die richtige Diagnose gestellt und damit
auch eine zielführende Therapie begonnen werden kann. Angsterkrankungen sind nicht nur
häufig, sie nehmen oft auch einen chronischen
Verlauf - zudem tragen ein hohes Rezidivrisiko
und häufige Komorbiditäten entscheidend zur
Krankheitslast bei. Univ. Prof. Dr. Karin Gutierrez-Lobos aus Wien befasst sich in ihrem Beitrag mit Angststörungen und ihrer Behandlung.
wissenschaft
W. Pirker
Aktuelle Therapie des
Morbus Parkinson
4
K. Gutierrez-Lobos
Angststörungen und ihre Behandlung
10
G. Psota, C. Jagsch
Die optimale antidementive Therapie
16
Fortbildung
Schizophrenie - medikamentöse Therapie im Überblick
20
Coverfoto: Gabriele Vasak, Journalistin und Literatin. www.gabrielevasak.com
IMPRESSUM ISSN 0048-5128 DVR 0163538
Medieninhaber und Verleger: ARZT & PRAXIS VerlagsgmbH, Währinger Straße 112, 1180 Wien, Tel. 01/479 05 78, Fax: 01/479 05 78 DW 30, E-Mail:
[email protected], www.arztundpraxis.at Herausgeber: Dkfm. Karin Schmitt Geschäftsführung: Mag. Manuela Moya
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(einschließlich Porto, in Österreich auch einschließlich Ust.) Euro 35,– . Turnusärzte: Euro 19,– . Abonnement Ausland: Euro 80,–
/ Erscheinungsort: 1180 Wien. Schriftleitung: Dr. Michael Burgmann, Oberer Panoramaweg 10, 8112 Gratwein, Tel: 0676/671
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Druckauflage: 15.000
Namentlich gezeichnete Artikel, Leserbriefe und sonstige Beiträge sind die persönliche und/oder wissenschaftliche
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Schriftleitung
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Jahrgang 66 / 984a / 2012
t h e m e n h e f t n e u r o lo g i e • p sy c h i at r i e
 privat
Aktuelle Therapie des
Morbus Parkinson
Univ. Prof. Dr. Walter Pirker
Universitätsklinik für Neurologie
Medizinische Universität Wien
Währinger Gürtel 18-20, 1090 Wien
[email protected]
Der Morbus Parkinson ist eine chronisch progressive neurodegenerative Erkrankung mit
den motorischen Hauptsymptomen Bewegungsarmut (Bradykinese), Muskelsteifheit
(Rigor) und Ruhezittern (Ruhetremor). Die Haltungsinstabilität gilt als viertes Kardinalsym­
ptom, tritt aber in der Regel nicht früh, sondern erst im Verlauf der Erkrankung auf. Die
Symptomatik tritt beim überwiegenden Teil der
Patienten asymmetrisch mit Betonung einer
Körperseite auf. Die Diagnose des M. Parkinson fußt auf der Anamnese und der typischen
Klinik. Zu achten ist immer auf Symptome, die
auf ein anderes Parkinson-Syndrom hinweisen
könnten (z.B. frühe Stürze, früh auftretende
Inkontinenz). Zum Ausschluss von läsionellen
Parkinson-Syndromen (z.B. Hydrozephalus)
und zur Erfassung von Begleiterkrankungen
sollte zumindest einmalig eine strukturelle
Bildgebung (CCT oder besser MRT) durchgeführt werden. Im Fall von uncharakteristischen
Frühsymptomen (z.B. Schulter-Arm-Syndrom,
depressives Syndrom) kann die klinische Dia­
gnose durch das Dopamintransporter-Imaging
unterstützt werden (Abb. 1).
Prinzipien der Therapie im Verlauf
des M. Parkinson
Die Parkinson-Therapie zielt auf eine gute
Symptomkontrolle und die Erhaltung beruflicher und sozialer Kompetenzen, der Selbständigkeit und der Lebensqualität ab. Dabei sollten
kurz- und langfristige Nebenwirkungen der
Therapie möglichst vermieden werden. Grundlage der Therapie sind die richtige Diagnose
und die Aufklärung des Patienten über die Natur der Erkrankung und die verschiedenen Therapiemöglichkeiten.
Jahrgang 66 / 984a / 2012
Fünfzig Jahre nach dem erstmaligen Einsatz bei Parkinson-Patienten ist
L-Dopa weiterhin die wirksamste Substanz in der Therapie der Erkrankung. L-Dopa kann allerdings den fortschreitenden Verlust Dopaminhältiger Nervenzellen, der der Erkrankung zugrunde liegt, nicht aufhalten. Darüberhinaus treten nach langjähriger L-Dopa-Therapie bei einem
erheblichen Teil der Patienten unwillkürliche Bewegungen (Dyskinesien)
und Tagesschwankungen der Beweglichkeit (Fluktuationen) auf. In
den letzten Jahren konnte die Behandlung dieser Langzeitprobleme der
Parkinson-Krankheit verbessert werden.
Die verfügbaren Parkinson-Medikamente sind
primär symptomatisch wirksam. Ein neuroprotektiver Effekt ist bislang für keine Sub­
stanz bewiesen. Neuere Studien legen aber nahe, dass ein frühzeitiger Therapiebeginn einen
günstigen Einfluss auf den klinischen Krankheitsverlauf haben dürfte. In jedem Fall sollte mit einer Therapie begonnen werden, wenn
die Parkinson-Symptomatik subjektiv beeinträchtigend wird. Die Schwere der ParkinsonSymptomatik, Alter, Begleiterkrankungen und
soziale Faktoren (insbesondere Art der Berufstätigkeit) sind entscheidend für die Wahl der
Medikation.
Die Einstellung auf die dopaminerge Ersatztherapie führt beim M. Parkinson initial meist
zu einer deutlichen Besserung der Symptomatik. In den ersten Therapiejahren ist das Ansprechen stabil („L-Dopa-Honeymoon“), wiewohl das Fortschreiten des Nervenzellverlusts
meist eine langsame Steigerung der Medikamentendosis und bei Patienten, die initial mit
anderen Substanzen behandelt wurden, eine
Einstellung auf L-Dopa erfordert.
L-Dopa ist das wirksamste orale ParkinsonMedikament, löst aber bei der Mehrheit der Patienten motorische Komplikationen (Fluktuationen und Dyskinesien) aus. Diese treten häufig
erst nach vielen Jahren, bei einem Teil der Patienten jedoch bereits nach wenigen Therapiemonaten auf. Wichtige Risikofaktoren für das
Auftreten dieser Komplikationen sind der Grad
der dopaminergen Degeneration (erkennbar an
der Schwere der Parkinson-Symptomatik) und
das Patientenalter (Risiko bei jüngeren Patienten deutlich höher). Die Vermeidung motorischer Komplikationen ist der Hauptgrund, dass
jüngere Parkinson-Patienten heute meist nicht
primär mit L-Dopa behandelt werden. Patienten, die initial mit Dopaminagonisten behandelt werden, haben - zumindest in den ersten
10 Therapiejahren - ein niedrigeres Risiko für
motorische Komplikationen. Der motorische
Effekt ist im Vergleich zu L-Dopa allerdings etwas schwächer und die Verträglichkeit etwas
schlechter.
L-Dopa verbessert die Lebenserwartung von
Parkinson-Patienten und seine Wirksamkeit
auf Rigor, Tremor und Bradykinese bleibt bis in
fortgeschrittene Krankheitsstadien erhalten.
Im Krankheitsverlauf treten jedoch eine Reihe von motorischen Symptomen auf, die zunächst z.T. auf L-Dopa anspechen, später aber
häufig therapieresistent werden (Starthemmung, Freezing, Fehlhaltung, Stürze, Dysartrie,
Dysphagie). In fortgeschrittenen Krankheitsstadien dominieren häufig schwere nicht-motorische Symptome wie Inkontinenz, orthostatische Hypotension, Schlafstörungen, Wahn,
Halluzinationen und Demenz, die wiederum
spezifische Therapiemaßnahmen erfordern,
das Krankheitsbild. In dieser Krankheitsphase sind gute Pflege und unterstützende Therapien (z.B. Physiotherapie, Logopädie) von entscheidender Bedeutung für die Patienten.
Tabelle 1 gibt einen Überblick über die verschiedenen Gruppen der Parkinson-Medikamente
und die wichtigsten in Österreich erhältlichen
Präparate. In Tabelle 2 sind übliche Tagesmaximaldosen angegeben.
Therapie des frühen M. Parkinson
Der Dopaminmangel, welcher der motorischen
Parkinson-Symptomatik zugrunde liegt, kann
durch die dopaminerge Ersatztherapie zumindest teilweise kompensiert werden. L-Dopa ist
ARZT & PRAXIS
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4
Fachkurzinformation siehe Seite 13 – AT1204033012, Datum der Erstellung 04/2012
eine Vorläufersubstanz von Dopamin, die oral
aufgenommen wird, durch aktiven Transport
über die Blut-Hirn-Schranke ins Gehirn gelangt und dort zu Dopamin metabolisiert wird.
Um eine vorzeitige Konversion von L-Dopa zu
Dopamin, welches nicht Blut-Hirn-Schranken-gängig ist, zu verhindern, ist L-Dopa in
handelsüblichen Präparaten fix mit einem Dopa-Decarboxylase-Hemmer (Benserazid oder
Carbidopa) kombiniert. Die Resporption der
Aminosäure L-Dopa im Darm kann durch andere Aminosäuren aus der Nahrung kompetitiv gehemmt werden. Bei Patienten mit fortgeschrittenem M. Parkinson können die gestörte
Magenmotilität und die Kompetition der Resorption durch Nahrung zur Verstärkung motorischer Fluktuationen führen. Bei diesen
Patienten sollte die Einnahme von L-Dopa unabhängig von den Mahlzeiten erfolgen.
Die Verträglichkeit von L-Dopa ist im Allgemeinen gut. Typische Nebenwirkungen, die unter allen dopaminerg wirksamen Medikamenten auftreten können, sind Übelkeit, Erbrechen,
Obstipation, Schwindel und Tagesmüdigkeit.
Die durch dopaminerge Medikamente ausgelöste Übelkeit klingt bei längerfristiger Therapie meist ab und kann in den ersten Thera-
Die wichtigsten Medikamentengruppen in der Therapie der Parkinson-Krankheit
L-Dopa
L-Dopa/Carbidopa (Sinemet®, Duodopa® zur Pumpenbehandlung)
Dopaminagonisten
Nicht-Ergot-Agonisten
Ropinirol (Requip®)
Pramipexol (Sifrol®)
Rotigotin (Neupro® Pflaster)
Apomorphin (ApoGo®, als Injektion oder zur Pumpenbehandlung)
Ergot-Agonisten
MAO-B Hemmer
Cabergolin (Cabaseril®)
Rasagilin (Azilect®)
Selegilin (Jumex®)
COMT Hemmer
Entacapon (Comtan®)
L-Dopa/Carbidopa/Entacapon (Stalevo®)
Tolcapon (Tasmar®)
Amantadin
(PK-Merz®, Hofcomant®, in Tablettenform oder als Infusion)
Anticholinergika
z.B. Biperiden (Akineton®), Bornaprin (Sormodren®)
piewochen durch eine Zusatzbehandlung mit
dem peripher wirksamen Dopamin-Antagonisten Domperidon (Motilium®) gut kontrolliert werden.
Besonders bei betagten Patienten oder Demenz kann L-Dopa
zu Halluzinationen
Stalevo®
und Wahn führen.
Wirksame Parkinsontherapie bei Wearing-off Das Risiko für psychotische NebenBei vielen Parkinsonpatienten kommt
wirkungen ist für
es im Krankheitsverlauf zu Wearing-off,
L-Dopa jedoch gedas sich als Zeichen nachlassender L-Doringer als für jepa-Wirkung mit motorischen und nicht
des andere Parkinmotorischen Symptomen manifestiert.
son-Medikament.
Neben der therapeutischen HerausforHauptproblem von
derung der medikamentösen Einstellung,
L-Dopa ist, wie bebedeutet das Auftreten von Wearing-off-Symptomen für den Patienten
reits angeführt, die
ein Verlust an Lebensqualität. Aktuellen Leitlinien zufolge ist die zusätzliche
Auslösung motoriCOMT-Hemmung für Patienten mit Wearing-Off eine der ersten Optionen1.
scher KomplikatioStalevo® (Levodopa, Carbidopa und Entacapon) ist ein Levodopa Präparat,
nen (Fluktuationen
das Levodopa in Kombination mit den beiden Enzymhemmern Carbidopa
und Dyskinesien)
und Entacapon enthält. Durch die Hemmung der beiden wichtigsten metanach Langzeitthebolischen Abbauwege von Levodopa verbessert Stalevo® die Pharmakokirapie.
netik von Levodopa in Richtung gleichmäßiger und länger anhaltender LeDopaminagonisvodopa-Plasmaspiegel2.
ten wirken im GeFür Patienten bedeutet das eine Verkürzung der täglichen „Off“-Zeit mit
gensatz zu L-Dopa,
korrespondierender Verlängerung der „On“-Zeit von bis zu 1,7 Stunden pro
das erst in Dopamin
Tag und eine Verbesserung der motorischen Funktionen und der Aktivitäumgewandelt werten des täglichen Lebens3-5.
den muss, direkt an
Referenzen: 1Diener HC, Putzki N: Leitlinien für Diagnostik und Therapie in der Neurologie, Thie2
3
Dopamin-Rezeptome Verlag 2008: 82-112. Thieme Praxis Report 2011;3(6):1-12. Rinne UK et al., Neurology
1998;51(5):1309-14; 4 Poewe W et al., Acta Neurol Scand 2002;105:245-55; 5Brooks DJ et al, J
ren im Striatum. Die
Neurol Neurosurg Psychiatry 2003;74:1071-79.
frühe Monotherapie
des M. Parkinson
ARZT & PRAXIS
Tab. 1
L-Dopa/Benserazid (Madopar®)
mit Dopaminagonisten führt zu einer Reduktion des Risikos motorischer Komplikationen.
Dopaminagonisten gelten heute daher als erste Wahl in der Initialtherapie des jungen Parkinson-Patienten (etwa bis 70 Jahre). Nachteile der Therapie mit Dopaminagonisten sind die
Notwendigkeit langsamer Dosissteigerung, eine im Vergleich zu L-Dopa höhere Nebenswirkungrate und schwächere Wirksamkeit auf die
motorische Parkinson-Symptomatik. L-Dopa ist daher beim älteren Parkinson-Patienten,
der ein geringeres Risiko für das Aufteten motorischer Komplikationen, aber ein höheres Risiko für andere dopaminerge Nebenwirkungen
hat, weiter das Mittel der ersten Wahl. Auch
die meisten Patienten mit initialer Dopaminagonisten-Therapie benötigen zur Kontrolle der
Parkinson-Symptomatik nach einigen Jahren
zusätzlich L-Dopa.
Tagesmüdigkeit, Halluzinationen und Wahn
treten unter Dopaminagonisten häufiger auf
als unter L-Dopa. Eine typische Nebenwirkung
der Dopaminagonisten, die mitunter erst nach
langer Therapiedauer auftritt, sind Ödeme. Klar
assoziiert mit der Dopaminagonisten-Therapie sind Impulskontrollstörungen wie Spielsucht, Hypersexualität, vermehrtes Essen und
Kaufsucht. Impulskontrollstörungen treten
zwar nur bei einer Minderheit der Patienten
auf, können aber dramatische soziale und ökonomische Konsequenzen haben. Sie betreffen
häufig junge Patienten und können nach kurzer Therapiedauer auftreten. Patienten, die Dopaminagonisten einnehmen, sollten daher be-
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wusst nach diesen Nebenwirkungen gefragt
werden. Impulskontrollstörungen werden mit
einer Überstimulation des im ventralen Striatum lokalisierten Belohnungssystems des Gehirns durch die Dopaminagonisten in Zusammenhang gebracht. Die Stimulation dieses
Systems könnte auch den milden antidepressiven Effekt der Dopaminagonisten beim M. Parkinson erklären.
Hinsichtlich der klinischen Wirksamkeit bestehen zwischen den einzelnen Dopaminagonisten keine gesicherten Unterschiede (Ausnahme: Apomorphin, das subkutan verabreicht
wird). Um das therapeutische Potential der
Substanzen voll auszuschöpfen, ist auf ausreichend hohe Dosierung zu achten. Seit langem
sind für Ergot-Dopaminagonisten eine Reihe
von sehr seltenen Nebenwirkungen bekannt,
z.B. pleuropulmonale Fibrosen. Untersuchungen aus den letzten Jahren zeigen für Pergolid und Cabergolin darüberhinaus ein deutlich
erhöhtes Risiko für Herzklappenfibrosen. Pergolid wurde daher vom Markt genommen. Die
maximale Tagesdosis von Cabergolin wurde
auf 3 mg beschränkt. Bei Patienten, die mit Cabergolin behandelt werden, müssen regelmäßige Echokardiographie-Kontrollen durchgeführt werden. Ergot-Agonisten sind heute nur
mehr als Reserve-Medikamente zu betrachten.
Das Fehlen fibrotischer Nebenwirkungen ist
ein wesentlicher Vorteil von Nicht-Ergot-Dopaminagonisten wie Ropinirol, Pramipexol
und Rotigotin. Mit Rotigotin steht ein Parkinson-Medikament in transkutaner Applikationsform zur Verfügung. Weitgehend stabile
Wirkspiegel sind auch mit den neuen RetardFormulationen von Ropinirol und Pramipexol
erreichbar. Diese Retard-Präparate müssen nur
einmal täglich verabreicht werden, ein wesentlicher Gewinn für den Patientencomfort und
die Compliance. Pramipexol wird renal eliminiert. Bei Patienten mit eingeschränkter Nierenfunktion ist daher eine Dosisanpassung erforderlich.
MAO-B-Hemmer stellen eine Alternative in
der Initialtherapie von Patienten mit mildem
M. Parkinson dar. Sie wirken durch eine Hemmung des Abbaus von endogenem, aber auch
von pharmakologisch über den Precursor LDopa zugeführtem Dopamin. Ältere Studien
zeigten, dass die Notwendigkeit einer L-DopaTherapie durch eine Therapie mit Selegilin hinausgeschoben werden kann. Ein möglicher
Nachteil dieser Substanz ist der Abbau zu Amphetaminderivaten, die einerseits Vigilanzsteigernd wirken, andererseits negative kardiovaskuläre und psychiatrische Effekte haben
könnten. Diese Effekte sind für bukkal lösliches
Selegilin, das in Österreich zurzeit leider nicht
verfügbar ist, aufgrund veränderter Pharmakokinetik vernachlässigbar.
Rasagilin ist ein neuer MAO-B-Hemmer, der
nicht zu Amphetaminderivaten metabolisiert
wird. Die Wirksamkeit von Rasagilin in der frühen Monotherapie des M. Parkinson ist durch
Studien gut belegt. Die motorischen Effekte
sind vergleichbar mit Selegilin und schwächer
als jene von Dopaminagonisten. Die Verträglichkeit von Rasagilin ist sehr gut. Der Einsatz
von Rasagilin beim frühen M. Parkinson ist
zurzeit leider durch die fehlende Erstattung
durch die Krankenkassen limitiert. Bei Kombination von MAO-B-Hemmern mit SerotoninWiederaufnahme-Hemmern ist an das Risiko
eines Serotonin-Syndroms zu denken.
Amantadin ist eine alte Substanz, die eine Al-
Zugelassene maximale Tagesdosen ausgewählter Parkinson-Medikamente
Dopaminagonisten
Ropinirol
Pramipexol
Rotigotin
Cabergolin
24 mg/Tag
3,15 mg/Tag (Base)
16 mg/Tag
3 mg/Tag
MAO-Hemmer
Selegilin
10 mg/Tag
Rasagilin
1 mg/Tag
COMT-Hemmer
Entacapon
200 mg mit jeder L-Dopa-Dosis, bis 2.000 mg/ Tag
Tolcapon
3 x 100 mg, in Ausnahmefällen 3 x 200 mg
Amantadin
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300 (bis max. 600) mg/Tag
Tab. 2
ternative in der Initialtherapie sehr milder Patienten darstellt. Amantadin hat eine komplexe
Pharmakologie, gut gesichtert ist seine antagonistische Wirkung an Glutamat-Rezeptoren
vom NMDA-Subtyp. Die Verträglichkeit ist im
Allgemeinen gut. Mögliche Nebenwirkungen
sind Übelkeit, Mundtrockenheit, Obstipation,
Ödeme, Hautveränderungen und Schlafstörungen. Besonders bei alten und dementen Patienten kann Amantadin Verwirrtheitszustände auslösen. Amantadin wird renal eliminiert.
Bei Patienten mit eingeschränkter Nierenfunktion ist auf eine Dosisanpassung zu achten.
Anticholinergika werden bereits seit über 100
Jahren in der Therapie des M. Parkinson eingesetzt. Aufgrund des hohen Risikos für Nebenwirkungen (vor allem Verwirrtheit, aber auch
zahlreiche autonome Nebenwirkungen) stellen
sie heute Reservemedikamente für junge Patienten dar, bei denen der Parkinson-Tremor auf
dopaminerge Medikamente nicht ausreichend
anspricht.
Von den relevanten Fachgesellschaften werden für die Initialtherapie des M. Parkinson
folgende Medikamente als Therapie der ersten
Wahl empfohlen:
• Dopaminagonisten bei Patienten mit frühem Krankheitsbeginn
• L-Dopa bei betagten bzw. multimorbiden
Patienten
• MAO-B-Hemmer bei Patienten mit sehr
milder Parkinson-Symptomatik
Therapie von motorischen
Komplikationen
In den ersten Erkrankungsjahren wird die Wirkung einzelner L-Dopa-Dosen vom Patienten
nicht wahrgenommen (Langzeitwirkung im „LDopa-Honeymoon“). Motorische Fluktuationen sind Ausdruck einer verkürzten Wirkdauer
von L-Dopa. Sie machen sich initial meist durch
ein Wiederauftreten der Parkinson-Symptomatik nach dem morgendlichen Erwachen bemerkbar. Die morgendliche Akinese ist häufig
mit dystonen Krämpfen, vor allem im Fußbereich, assoziiert. Im Weiteren kommt es während des Tages vor Einnahme der jeweils nächsten Dosis eines dopaminergen Medikaments
zu einer Verschlechterung der Symptomatik („wearing off“). Besonders nach größeren
Mahlzeiten kann das Ansprechen auf die Medikation völlig ausbleiben. Dies ist meist pharmakokinetisch erklärbar (Medikament bleibt im
Magen liegen, Kompetition der Resorption von
L-Dopa mit anderen Aminosäuren). In fortge-
ARZT & PRAXIS
5
t h e m e n h e f t n e u r o lo g i e • p sy c h i at r i e
schrittenen Krankheitsstadien treten zu diesen
berechenbaren Fluktuationen unberechenbare, oft plötzlich einsetzende „off“-Zustände,
die mit oraler Medikation kaum beeinflussbar
sind (komplexe Fluktuationen).
Nicht-motorische Fluktuationen. Bei den
meisten Patienten treten in „off“-Phasen neben der motorischen Verschlechterung auch
nicht-motorische Symptome auf. Dazu zählen autonome, kognitive, affektive und sensorische Symptome. Zu den häufigsten dieser
Symptome gehören Angst, Schweißausbrüche,
verlangsamtes Denken und Müdigkeit. Nichtmotorische Fluktuationen sind für einen Teil
der Patienten belastender als die motorischen
Fluktuationen.
L-Dopa-induzierte Dyskinesien sind abnorme Überbewegungen, die aus einem Wechselspiel von dopaminerger Degeneration und
L-Dopa-Therapie resultieren. Typischer Weise treten sie zunächst zur Zeit der maximalen L-Dopa-Wirkung in Form von spielerischen
Bewegungen, besonders distaler Extremitätenabschnitte, auf (choreatische oder choreoathetotische „peak-dose“-Dyskinesien). Die
Dauer der Dyskinesien nimmt im Krankheitsverlauf zu. Schließlich können choreatische
Dyskinesien alle Körperabschnitte betreffen
und über die gesamte Wirkdauer der Medikation bestehen (Plateau-Dyskinesien). Besonders
schwer behandelbar sind biphasische Dyskinesien. Diese treten in der Anflutungs- und Abflutungsphase von L-Dopa auf, haben einen
stereotypen, repetitiven Charakter und betreffen vor allem die Beine.
Die Theapieoptionen bei Fluktuationen sind
vielfältig (Tabelle 3). Erster Schritt ist häufig eine Verkürzung der Dosierungsintervalle von
L-Dopa und die Empfehlung, L-Dopa spätestens 30 Minuten vor bzw. frühestens 60 Minuten nach Mahlzeiten einzunehmen. Im Fall
einer schweren oder protrahierten morgendlichen Akinese empfiehlt sich die Einnahme der
ersten L-Dopa-Dosis unmittelbar nach dem Erwachen, noch im Bett. In dieser Situation und
bei plötzlichen, unerwarteten „off´s“ kann lösliches L-Dopa hilfreich sein, das aufgrund rascherer Resorption zu einer Verkürzung von
„off“-Phasen beitragen kann. Bei nächtlicher
Akinese kann die Einnahme eines L-Dopa-Retardpräparates vor dem Schlaf oder beim ersten nächtlichen Erwachen sinnvoll sein. Von ihrem Einsatz während des Tages wird aufgrund
ihrer im Vergleich zu normalem L-Dopa weniger gut berechenbaren Resorption abgeraten.
Der nächste Schritt ist die Kombination mit
ARZT & PRAXIS
Abb. 1:
Dopamintransporter-SPECT.
Rechtsbetonter Bindungsverlust, vor allem im hinteren
Anteil des Striatums (Putamen), bei einem ParkinsonPatienten mit linksbetonter
Symptomatik. Axiale Schichten auf Höhe des Striatums.
Substanzen, welche die Wirkdauer von L-Dopa
verlängern. Der COMT-Hemmer Entacapon
verkürzt die „off“-Zeit bei Patienten mit motorischen Fluktuationen. Die Einführung eines
Entacapon/L-Dopa-Kombinationspräparats
hat die praktische Anwendbarkeit dieser Substanz wesentlich verbessert. Entacapon führt
zu einem Ausgleich von Blutspiegelschwankungen von L-Dopa. Die Initialtherapie des M.
Parkinson mit Entacapon/L-Dopa reduziert
das Risiko für ein Auftreten motorischer Komplikationen jedoch nicht. Entacapon ist daher
nur bei Patienten mit manifesten Fluktuationen indiziert.
Der COMT-Hemmer Tolcapon wurde vor etwa
15 Jahren wegen Hepatotoxizität vom Markt
rapiebeginn zu einer Diarrhoe führen, die eine Beendigung der Therapie erzwingen kann.
Tolcapon ist darüber hinaus, wie bereits angeführt, potentiell hepatotoxisch.
MAO-B-Hemmer führen bei Patienten mit
motorischen Fluktuationen durch die Hemmung des Dopaminabbaus zu einer Reduktion der „off“-Zeit. Die Verkürzung der „off“-Zeit
durch Rasagilin ist vergleichbar mit Entacapon. Dieser Effekt ist auch bei Patienten zu beobachten, deren Therapie bereits mit anderen
Substanzen optimiert wurde. Eine Kombination von MAO-B-Hemmern, COMT-Hemmern
und Dopaminagonisten kann daher bei schweren Fluktuationen sinnvoll sein.
Dopaminagonisten wurden ursprünglich bei
mit freundlicher Genehmigung von Medtronic
6
genommen. Tolcapon ist in den letzten Jahren wieder verfügbar und stellt unter strengem
Monitoring der Leberfunktionsparameter eine
Alternative bei Patienten mit schweren Fluktuationen dar. Diese Therapie sollte durch in der
Parkinson-Therapie erfahrene Neurologen erfolgen.
Die Kombination von L-Dopa mit COMT-Hemmern kann zu den typischen dopaminergen Nebenwirkungen Übelkeit, Erbrechen,
Schwindel, Müdigkeit, Halluzinationen, Wahn
und Dyskinesien führen. Diese Nebenwirkungen sind bei einem Teil der Patienten durch
eine par­allele Reduktion der L-Dopa-Dosis
reversibel. Eine Substanz-spezifische Nebenwirkung von Entacapon ist eine völlig harmlose dunkelgelb-rötliche Harnverfärbung. Beide
COMT-Hemmer können relativ bald nach The-
Abb. 2:
Tiefe Hirnstimulation bei
M. Parkinson. Schematische
Darstellung des implantierten Systems (links) mit
intrazerebralen Elektroden,
subkutanen Verlängerungen
und infraklavikulär inplantiertem Impulsgeber. Die
Elektrode hat 4 Pole, von
denen meist 2 im Nucleus
subthalamicus liegen.
Patienten mit motorischen Fluktuationen eingesetzt. Sie können die „off“-Zeit reduzieren.
Retard-Präparate und nicht-retardierte Dopaminagonisten haben einen vergleichbaren
Effekt auf die Fluktuationen. Die Nebenwirkungen entsprechen jenen in der Frühphase, wobei das Risiko für psychotische Nebenwirkungen bei Patienten mit fortgeschrittener
Erkrankung höher ist. Bei bereits bestehenden
Dyskinesien können diese durch Dopaminagonisten auch verstärkt werden.
Amantadin kann zu einer Besserung von Fluktuationen führen. Besser belegt ist allerdings
sein positiver Effekt auf Dyskinesien. Die Infusion ist eine wichtige Therapieoption bei akinetischen Krisen und schluckunfähigen Patienten. Bei dementen Patienten sollte die
Indikation für Amantadin sehr zurückhaltend
Jahrgang 66 / 984a / 2012
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gestellt werden (hohes Risiko für die Auslösung
von Verwirrtheitszuständen). Bei vulnerablen
Patienten ist besonders auf die Anpassung der
Dosis an die Nierenfunktion zu achten.
Subkutane Apomorpin-Einzelinjektionen
(mittels Pen-Injektor) sind eine wirksame Rescue-Therapie bei schweren „off“-Phasen. Die
individuelle Einzeldosis dieses Dopaminagonisten muss jedoch in einem Apomorphin-Test
bestimmt werden. Viele Patienten benötigen
aufgrund des emetischen Potentials von Apomorphin eine vorbeugende Dauerbehandlung mit Domperidon.
Bei Patienten, deren Fluktuationen mit diesen
Maßnahmen nicht kontrollierbar sind, sollte
eine invasive Parkinson-Therapie (Apomorpin-Pumpe, Duodopa-Pumpe, tiefe Hirnstimulation) erwogen werden.
Die Therapiemöglichkeiten bei Dyskinesien sind beschränkt. Nur bei deutlich übertherapierten Patienten ist eine Reduktion
der L-Dopa-Dosis, eine Aufteilung von L-Dopa auf mehrere Einzeldosen oder ein teilweiser Ersatz von L-Dopa durch eine höhere Dopaminagonisten-Dosis erfolgversprechend.
Amantadin hat einen gut belegten Effekt auf
Dyskinesien und sollte immer versucht werden, sofern keine Kontraindikationen vorliegen. Clozapin (Leponex®) ist ein atypisches
Neuroleptikum mit guter Wirksamkeit auf psychotische Symptome bei M. Parkinson und
führt zu einer Besserung von Parkinson-Tremor und Dyskinesien. Sein Einsatz ist durch die
erforderlichen Blutbildkontrollen (Agranulozytose-Risiko) limitiert und mit der Substanz erfahrenen Neurologen vorbehalten.
In der Regel haben Patienten in frühen Krankheitsstadien heute große Angst vor dem Auftreten von Dyskinesien. Patienten mit bereits
bestehenden motorischen Komplikationen akzeptieren aber „on“-Zustände mit Dyskinesien
meist eher als die quälenden „off“-Zustände.
Bei Patienten mit behindernden Dyskinesien,
die mit oraler Medikation nicht verbessert werden können, sollte aber immer an die Möglichkeit einer invasiven Parkinson-Therapie, besonders die tiefe Hirnstimulation, gedacht werden.
Therapie des therapierefraktären
Tremors
Der Parkinson-Tremor spricht bei den meisten
Patienten gut auf die dopaminerge Therapie
an. Auch beim Ruhetremor ist L-Dopa grundsätzlich das stärkste orale Medikament. Eine Minderheit der Patienten leidet jedoch bei
sonst guter Kontrolle der Symptomatik unter
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Dopaminagonisten
der tiefen Hirnstimulation erfolgt eine kontinuierliche elektrische Stimulation von Nucleus subthalamicus oder anderen Kerngebieten
über im Rahmen einer stereotaktischen Operation eingebrachte Elektroden, die mit einem
subkutan implantierten Schrittmachersystem
verbunden sind (Abb. 2). Alle Verfahren haben
Vor- und Nachteile (Apomorphin: Hautprobleme, Betreuungsaufwand; Duodopa: Notwendigkeit einer PEG-Sonden-Versorgung, Dislokation der PEJ-Sonde; tiefe Hirnstimulation:
chirurgische Risiken). Welches invasive Verfahren zum Einsatz kommt, hängt von der Verfügbarkeit, der Patientenpräferenz und der
klinischen Situation ab. Für die tiefe Hirnstimulation bestehen natürgemäß mehr Kontraindikationen als für die Pumpentherapien. Bei
geeigneten Patienten ist sie jedoch das Verfahren, das zur deutlichsten Verbesserung der Unabhängigkeit des Patienten führt.
Amantadin
Nicht-motorische Symptome
Apomorphin: Einzelinjektionen
Die Therapie nicht-motorischer Symptome des
M. Parkinson stand lange im Hintergrund. Für
eine detailierte Darstellung der Therapiemöglichkeiten muss auf andere Literatur verwiesen werden. Trotz des alltäglichen Einsatzes
von Antidepressiva (vor allem von SSRI´s und
neueren Substanzen) bei Parkinson-Patienten
ist deren Wirksamkeit in dieser Indikation wenig untersucht. Die Wirksamkeit von Clozapin
in der Therapie der Parkinson-Psychose ist gut
belegt, Quetiapin stellt eine weniger gut belegte Therapiealternative dar. Ein entscheidender
Fortschritt ist die Dokumentation der Wirksamkeit des Cholinesterase-Hemmers Rivastigmin in der Therapie der Parkinson-Demenz.
Die Effektgröße ist etwa vergleichbar mit jener bei der Alzheimer-Demenz. Cholinesterase-Hemmer führen bei der Parkinson-Demenz
auch zu einer Besserung psychotischer Sym­
ptome.
einem persistierenden schweren Tremor. Therapieoptionen sind bei diesen Patienten eine
Steigerung von L-Dopa, eine Kombination mit
einem Dopaminagonisten bzw. eine Kombination mit einem Anticholinergikum, falls keine Kontraindikation vorliegt. Eine Therapie mit
Clozapin kann im Einzelfall erwogen werden.
Bei starkem Aktionstremor kann eine Kombination mit Propranolol (Inderal®) sinnvoll sein.
Für Patienten, bei denen medikamentöse Maßnahmen zu keiner befriedigenden Kontrolle des
Therapieoptionen bei motorischen Fluktuationen Tab. 3
Mehrere Einzeldosen von L-Dopa, Abstand zu Mahlzeiten
Lösliches L-Dopa
L-Dopa retard
Kombination mit COMT-Hemmer
MAO-B-Hemmer
Invasive Parkinson-Therapien
• Tiefe Hirnstimulation
• Apomorphin-Pumpe
• Duodopa-Pumpe
Parkinson-Tremors führen, stellt die tiefe Hirnstimulation eine sehr gute Therapieoption dar.
Invasive Therapieverfahren
Die Therapie schwerer motorischer Komplikationen konnte in den letzten zwei Jahrzehnten
durch die Verfügbarkeit der invasiven Therapieverfahren deutlich verbessert werden. Indikation für alle drei Verfahren (Apomorpin-Pumpe,
Duodopa-Pumpe, tiefe Hirnstimulation) sind
therapierefraktäre Fluktuationen und Dyskinesien. Für die tiefe Hirnstimulation stellen der
therapierefraktäre Parkinson-Tremor und (selten) Medikamentenunverträglichkeit weitere Indikationen dar. Voraussetzung ist für alle
Verfahren ein grundsätzlich gutes Ansprechen
auf L-Dopa, d.h. der Patient sollte bei suffizienter Dosierung irgendwann im Laufe des Tages
gut beweglich sein.
Mit der Apomorphin-Pumpe wird dieser Dopaminagonist in der Regel über 16 Stunden
des Tages kontinuierlich subkutan verabreicht.
Mit der Duodopa-Pumpe wird in eine Gelmatrixform eingebettetes L-Dopa über 16 Stunden des Tages mittels eines in eine PEG-Sonde
vorgeschobenen Jejunalkatheters kontinuierlich in das proximale Jejunum infundiert. Bei
Ungelöste Probleme in der
Parkinson-Therapie
Zu den unerreichten Zielen in der ParkinsonTherapie zählen eine kausale Therapie (Neuroprotektion) und langfristig wirksame symptomatische Therapien ohne Risiko für motorische
Komplikationen. Dringend notwendig wären
darüberhinaus bessere Therapiemöglichkeiten für die nicht-L-Dopa-responsiven Sym­
ptome wie Haltungsstörungen, Sturzneigung
und Schluckstörung, die primär für die erhöhte Mortalität der Erkrankung verantwortlich
sind.
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Die optimale
antidementive Therapie
Chefarzt Prim. Dr. Georg Psota (links)
Psychosozialer Dienst Wien
[email protected]
Prim. Dr. Christian Jagsch (rechts)
Abteilung für Alterspsychiatrie und Alterspsychotherapie
Landesnervenklinik Sigmund Freud, Graz
[email protected]
Die Alzheimer-Demenz ist mit einem Anteil von
60-70% die häufigste Demenzform. Die Patienten erleben Veränderungen auf drei Ebenen,
nämlich Einschränkungen ihrer Alltagsfertigkeiten (Activities of daily living / ADL), Auftreten von Verhaltensauffälligkeiten (Behavior)
und kognitivem Abbau (Cognition).
Depressive Symptome können ein Erstsymptom darstellen bzw. am Anfang stehen, sie
können jedoch auch im späteren Verlauf rezidivierend auftreten.
Antidementive Therapien zielen auf die Verbesserung aller drei Domänen ab.
Für die Behandlung einer leichten bis mittelschweren AD (MMSE 26-11) stehen die Cholinesteraseinhibitoren (Donepezil, Galantamin
und Rivastigmin) sowie Memantin und Ginkgo
biloba zur Verfügung, während für die schwere Form (MMSE 10-3) nur Memantin zugelassen ist.
Neben der Alzheimer-Krankheit profitieren
noch die subkortikale vaskuläre Demenz, die
Lewy- Body-Demenz sowie die Parkinson- assoziierte Demenz von einer cholinergen Substitutionstherapie mit Cholinesteraseinhibitoren.
Kombinationstherapie-Studien mit einem
Cholinesterasehemmer plus Memantin wurden vorwiegend in fortgeschrittenen Stadien der Alzheimerdemenz gemacht und zeigten
durchaus günstige Effekte auf mehreren Ebenen - so auch im „Behavior“-Bereich (s.o.), eine gute Verträglichkeit, eine Reduktion in der
Pflegebelastung und einen verzögerten Eintritt in Pflegeeinrichtungen.
Durch die Reduktion von Verhaltensstörun-
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Dementielle Erkrankungen bewegen sich in einem interdiszi­
plinären Feld zwischen Allgemeinmedizinern, Psychiatern, Neurologen und Geriatern. Nach wie vor besteht ein großes Defizit
in der Früherkennung, die Erstdiagnose einer Demenz findet oft
erst in einem mittleren oder schweren Stadium der Erkrankung
statt. Die zweite Schwierigkeit liegt in der medikamentösen
antidementiven Behandlung, die oft zu spät etabliert, nur kurz
verschrieben und dann auch nicht regelmäßig eingenommen
wird. Nicht-medikamentöse Behandlungsmaßnahmen sind im
Gesamtbehandlungsplan leider nach wie vor unterrepräsentiert.
gen und psychiatrischen Symptomen trägt
die Therapie auch dazu bei, dass man auf der
anderen Seite Antipsychotika und Sedativa
einsparen kann und sich dadurch die zum Teil
erheblichen Nebenwirkungen dieser Substanzen erspart. Ob die Kombinationstherapie auch
prophylaktisch wirkt bezüglich des Neuauftretens oder auch der Abmilderung von Verhaltensstörungen im weiteren Verlauf der Erkrankung ist sicherlich wert zu diskutieren.
Neben der medikamentösen Therapie sind
psychosoziale, psychotherapeutische, psychologische sowie pflegerische Begleitmaßnahmen unentbehrlich, um einen an Demenz erkrankten Menschen und sein Umfeld adäquat
zu unterstützen. Diese verschiedenen Interventionsformen - vom kognitiven Training der
Betroffenen bis hin zu Experten-geleiteten
Selbsthilfegruppen für Angehörige - sind natürlich personalintensiv, meist nur in Ballungsräumen organisiert und stehen auch deshalb
leider nicht flächendeckend zu Verfügung.
Empfehlungen für Psychotherapie und psychologische Interventionen bei AlzheimerPatienten:
• Orientierung der Interventionen an den Fähigkeiten der Betroffenen
• Neuropsychologische Defizite wahrnehmen, nicht verleugnen und taktvoll ansprechen
• Selbstreferenziellen Prozess in Gang setzen
- Suche nach Motivationen und nach bedeutungsvollen Menschen, Tätigkeiten und
Themen
• Patienten aktiv an der selbstreferenziellen
Arbeit beteiligen
- „Hausaufgaben“: Niederschrift von Erinnerungen an Themen der Sitzungen, von
Gedanken zu anderen Themen aus dem Leben, künstlerische Ausdrucksformen fördern
• Kognitive Reserven mobilisieren
- Abhängigkeit von Nichtkönnen von bestimmten Situationen erheben; Rolle der
Angst, des Leistungsdrucks und des Zeitdrucks bei der Erzeugung von Hilflosigkeit
definieren; Tendenzen klären, mehr an andere zu delegieren als notwendig
• Angehörige verstärkt mit einbeziehen
- Patienten nicht auf seine Diagnose reduzieren; Überfürsorglichkeit und Leistungsdruck sowie heftige Kritik vermeiden; Patienten nicht abschirmen und nicht sozial
isolieren - Vermeidung von regressionsfördernden Maßnahmen
Empfehlungen für psychosoziale Maßnahmen und Pflege:
• Genug Zeit einplanen (Demenzkranke und
deren Angehörige brauchen Zeit und Ruhe)
• Tatsächlichen Pflegebedarf erheben (entspricht oft nicht der aktuellen Pflegestufe!)
• Differenzierung Pflege - Betreuung zeitlich
festhalten
• Pflege individualisieren (Ressourcen-orientiert; Berücksichtigung der Biografie, z.B.
Ausflüge an bekannte Orte)
• Case-Management sicherstellen
• Gesunde Ernährung sicherstellen
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Fachkurzinformation siehe Seite 13
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•
•
•
Sicherheitsvorkehrungen treffen (z.B. Sturzprophylaxe)
Orientierungshilfen schaffen (z.B. in Form von bildhaften
Darstellungen/Symbolen, Dekorationen)
Angehörige anhören und miteinbeziehen; informieren und beraten
(Entlastung der Angehörigen!)
• Beratung der Angehörigen bezüglich des Umgangs mit Demenzerkrankten, Pflegegeldprozedere, Patientenverfügung, Sachwalterschaft
Zusammenfassung der Inhalte des Konsensusstatements Demenz 2010 der Österreichische Alzheimergesellschaft zur
medikamentösen Therapie:
Alzheimerdemenz
Cholinesterasehemmer (1a,A)
Richtwert MMSE 11-26 - leichte bis mittelschwere Alzheimer­
demenz
Langzeittherapie (2a,A)
Therapieunterbrechungen vermeiden (2b,A)
Absetzen von Cholinesterasehemmern unter MMSE <10 abzu­
lehnen
Präparatewechsel bei Unverträglichkeit (A), Unwirksamkeit (C)
Keine eindeutige Evidenz für Überlegenheit eines Präparates (1b,B)
Memantin (1a,B)
Richtwert MMSE 11-19 - mittelschwere Alzheimerdemenz
Unverträglichkeit gegen Cholinesterasehemmer auch bei leichter
Demenz (1b,B)
Mangelnder Wirksamkeit von Cholinesterasehemmern (2b,B)
Donepezil oder Memantin (1a,A)
Richtwert MMSE 1-10 - schwere Alzheimerdemenz (nur Memantin
zugelassen)
Kombinationstherapie Memantin und Cholinesterasehemmer
bei schwerer oder mittelschwerer Demenz ist anzustreben MMSE
5-14 (1b,A)
Weitere Antidementiva
Cerebrolysin (1a,B) bei Unverträglichkeit von Cholinesterase­
hemmern, i.v. Gabe
Ginkgo biloba (1a,B) bei Unverträglichkeit von Cholinesterase­
hemmern
Vaskuläre Demenz
Sekundärprävention von Schlaganfällen (1a, A)
Donepezil oder Memantin (1a,B)
Galantamin besonders bei Mischformen effektiv (1b,B)
Rivastigmin besonders bei Mischformen effektiv (2b,C)
Ginkgo biloba besonders bei Mischformen effektiv (2b,C)
Lewy-Body-Demenz
Rivastigmin (1b,A) - Mittel der ersten Wahl
Donepezil (2b,C)
Parkinson-Demenz
Rivastigmin (1b,A) - Mittel der ersten Wahl
Donepezil und Memantin (1b,B) - Mittel der zweiten Wahl
Frontotemporale Demenz oder Degeneration
SSRI (3,B) - günstige Effekte auf affektive Symptome
Memantin (3,C) - Mittel zweiter Wahl
Cholinesterasehemmer nicht zu empfehlen (2a,D)
1. Anwendungsbeschränkungen und Kontraindikationen bei komorbiden Erkrankungen:
Donepezil
Rivastigmin
Galantamin
Memantin
Schwere Verwirrtheit
ø
ø
ø
AB
Epilepsie
AB
AB
AB
AB
Sick-Sinus-Syndrom
AB
AB
AB
ø
Frischer Myokardinfarkt, Herzinsuffizienz, NY HA III-IV
AB
AB
AB
AB
Kardiale Arrhythmien (AV-Block II)
AB
AB
AB
ø
Asthma/COPD III-IV
AB
AB
AB
ø
Schwere Störung der Leberfunktion
KI
KI
KI
AB
Niereninsuffizienz
ø
AB/KI
AB/KI
AB/KI
Floride Magen-Darm-Ulzera
AB
AB
AB
ø
Ø = keine Einschränkungen; AB = Anwendungsbeschränkungen; KI = Kontraindikation; (Quelle: Handbuch der Arzneimitteltherapie I, 2001 (Fox et al.); Fachinformation 2006)
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Neuroprotection
Neuroplasticity
Neurogenesis
Neuronal Survival
CERE/A/02/2011/2
Neurogenesis
Neuroplasticity
Neuroprotection
Neuronal Survival
Cerebrolysin Neurotrophic Action
Neurogenesis
Neuroplasticity
Neuroprotection
Neuronal Survival
Cerebrolysin Neurotrophic Action
Neurogenesis
Neuroplasticity
Neuronal Survival
Cerebrolysin Neurotrophic Action
Neuroprotection
Cerebrolysin Neurotrophic Action
Wieder wachsen
Connecting Neurons
Neurotrophe Wirkung mit pleiotropem
Effekt für die effiziente Behandlung von
• ischämischem Insult
• Demenz
• Schädel-Hirn-Trauma
Fachkurzinformation siehe Seite 13
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2. Nebenwirkungen
ChE-Hemmer
Sehr häufige (≥ 10%) Nebenwirkungen dieser
Substanzen sind bei im Allgemeinen guter Verträglichkeit das Auftreten von Erbrechen, Übelkeit, Schwindel, Appetitlosigkeit, Diarrhoe und
Kopfschmerzen. Diese Nebenwirkungen sind
oft vorübergehend und durch eine langsamere Aufdosierung oder Einnahme der Medikation zum Essen gegebenenfalls zu vermeiden.
Bradykardien und Synkopen sind in den jeweiligen Fachinformationen als Nebenwirkungen
von Cholinesterasehemmern aufgeführt. In einer kanadischen Registerstudie wurde 19.803
Personen mit Demenz und Einnahme von
Cholinesterasehemmern mit 61.499 Personen mit Demenz ohne diese Behandlung verglichen. Es zeigte sich eine signifikant häufigere Krankenhausaufnahme wegen Synkopen
(Risikoerhöhung: 1,76) und Bradykardien (Risikoerhöhung: 1,69) bei den behandelten Demenzkranken. Es zeigten sich ebenfalls leicht
erhöhte Risiken für eine Herzschrittmacherimplantation und für Schenkelhalsfrakturen in
dieser Gruppe, wobei der Zusammenhang mit
den Bradykardien und Synkopen spekulativ ist.
Memantin
Häufige Nebenwirkungen (>=1-<10%) sind
Schwindel, Kopfschmerz, Obstipation, erhöhter Blutdruck und Schläfrigkeit, die passager
sein können.
Ginkgo biloba
Die Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft empfiehlt bei Anwendung von Ginkgo
biloba-Präparaten zumindest eine eingehende Gerinnungsanamnese zu erheben, da es Hinweise für eine erhöhte Blutungsneigung gibt.
3. Interaktionen
ChE-Hemmer
ChE-Hemmer und Medikamente bei
kardiovaskulären Erkrankungen
(Betablocker und Antiarrhythmika)
(häufigste Interaktionen)
Bradykardie und Synkopen
Substanzen: Betablocker, Kalziumkanalblocker,
Digoxin, Amiodaron
ChE-Hemmer und Anticholinergika (zweithäufigste Interaktionen)
Anticholinergika hemmen Acetylcholin-Wir-
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kung, verschlechtern kognitive Leistungen und
Symptome der Demenz bis hin zur Gefahr des
anticholinergen Delirs
Substanzen: Atropin, Scopolamin, Arzneimittel zur Behandlung der Harninkontinenz, Antitussiva, trizyklische Antidepressiva (Imipramin-Typ), Antiparkinsonmittel, Medikamente
zur Bronchialdilatation und mit antispastischer
Wirkung, einige Antiarrhythmika.
ChE-Hemmer und Inhibitoren bzw. Induktoren des Cytochrom P450-Systems (dritt häufigste Interaktionen)
Die ChE-Hemmer Donepezil und Galantamin
werden in der Leber durch CYT-P450-Isoenzym 3A4 und 2D6 metabolisiert - ein Interaktionspotential mit all jenen Substanzen, die als
Inhibitoren und Induktoren an diesem Cytochrom-System fungieren, ist somit gegeben.
Rivastigmin hat nur sehr geringe CYP-Beteiligung.
Inhibitoren am Isoenzym 3A4: z.B. Amiodaron,
Diltiazem, Verapamil, Azol-Antimykotika (Ketoconazol), Proteaseinhibitoren, Erythromycin,
Clarithromycin bzw. Josamycin führen zu einer
Hemmung des ChE-Metabolismus und zur Erhöhung der ChE-Plasmakonzentration
Inhibitoren am Isoenzym 2D6: z.B. Metoprolol, Duloxetin, Fluoxetin, Paroxetin, Melperon
bzw. Thioridazin führen zu einer Hemmung des
ChE-Metabolismus und zur Erhöhung der ChEPlasmakonzentration
Induktoren am Isoenzym 3A4: z.B. Carbamazepin, Phenytoin, Johanniskraut, Rifampicin bzw.
Barbiturate führen zu einer Beschleunigung
des ChE-Metabolismus und zu einer Erniedrigung der ChE-Plasmakonzentration
Memantin
Hat kein Wechselwirkungspotential durch Inhibition und/oder Induktion im Cytochrom
P450-System, da es von diesem nicht verstoffwechselt, sondern renal ausgeschieden wird.
Mögliche Interaktionen:
Memantin und Cimetidin oder vegetarische
Ernährung - Spiegelanstieg
Memantin und L-Dopa, Dopaminagonisten Schwindel, Dyskinesien
Memantin und Amantadin, Ketamin Psychose-ähnliche Zustände
Eingeschränkte Nierenfunktion Dosishalbierung
ChE-Hemmer und Memantin - Kombinationstherapie
Verträglichkeit und Nebenwirkungsraten der
Kombinationstherapie waren auf dem Niveau
der Plazebo-Gruppe, es gab keine Beeinflussung der Vitalzeichen, der Laborwerte oder des
EKGs.
Die gute Verträglichkeit wurde auch in einer
deutschen Studie durch Rückmeldung der behandelnden Ärzte bestätigt (Hartmann et al.,
2002). Diese berichteten überdies häufig, dass
sich vor allem die Kommunikationsfähigkeit
und die Stimmung ihrer Patienten verbesserten.
In einer Beobachtungsstudie konnte darüber
hinaus noch festgestellt werden, dass durch
die Kombinationstherapie die Aufnahme in ein
Seniorenheim hinauszögert werden kann. Patienten mit der Kombinationstherapie bekamen
weniger Psychopharmaka verordnet - vor allem Antipsychotika und Sedativa - als Patienten ohne antidementive Medikation oder unter
einer Monotherapie mit Cholinesterasehemmern (Lopez O. et al., 2008).
Praxistipps
Patienten mit einer dementiellen Erkrankung
erleben Veränderungen auf drei Ebenen,
nämlich Einschränkungen ihrer Alltagsfertigkeiten (Activities of daily living / ADL), Auftreten von Verhaltensauffälligkeiten (Behavior) und kognitivem Abbau (Cognition).
Medikamentöse und nicht-medikamentöse
antidementive Therapiemaßnahmen zielen
auf eine Verbesserung aller drei Domänen ab.
Es liegen mittlerweile in großem Umfang gute Erfahrungen und Ergebnisse zu modernen
Antidementiva vor.
Kombinierte antidementive Therapie zeigte in
Studien zusätzliches Wirkungspotential.
Neben der medikamentösen Therapie sind
psychosoziale, psychotherapeutische, psychologische sowie pflegerische Begleitmaßnahmen unentbehrlich, um einen demenzerkrankten Menschen und sein Umfeld
adäquat zu unterstützen.
Literatur:
Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft
(Hrsg.): Blutungen unter der Gabe von Ginkgo-bilobaExtrakten - Cave Kombination mit Gerinnungshemmern! (Mitteilungen aus der UAW-Datenbank). Dtsch
Ärztebl 2002; 99(33): A-2214 / B-1886 / C-1770.
Jahrgang 66 / 984a / 2012
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Alzheimer-Krankheit, Management aus multidisziplinärer
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Carnahan RM, Lund BC, Perry PJ, Chrischilles EA. The concurrent use of anticholinergics and cholinesterase inhibitors: rare event or common practice? J Am Geriatr
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Deutsche Gesellschaft für Psychiatrie, Psychotherapie und
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Gill SS, Anderson GM, Fischer HD, et al.: Syncope and its
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Grossberg T. et al. Rationale for combination therapy with
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Schmidt R. et al. Konsensusstatement „Demenz 2010“ der
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Lopez O. et al. Memantine augments the effect of cholinesterase inhibition in the treatment of Alzheimer`s
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Tavassoli N, Sommet A, Lapeyre-Mestre M, Bagheri H,
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Pertl D. et al.: Interaktionen zwischen Antidementiva und
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Fachkurzinformationen
Cerebokan® 80 mg – Filmtabletten. Inhaber der Zulassung: Dr. Willmar Schwabe GmbH & Co, Willmar-Schwabe-Str. 4, 76227 Karlsruhe, Deutschland. Vertrieb in Österreich: Austroplant Arzneimittel GmbH, Wien. Qualitative und quantitative Zusammensetzung: 1 Filmtablette enthält: Wirkstoff: 80 mg Trockenextrakt aus Ginkgo-biloba-Blättern (EGb 761®) (DEV = 35 - 67:1), Der Extrakt ist quantifiziert auf 17,6 - 21,6 mg Ginkgoflavonglykoside und 4,32 - 5,28 mg Terpenlaktone davon 2,24 - 2,72 mg Ginkgolide A, B und C und 2,08 - 2,56 mg Bilobalid. Erstes Auszugsmittel Aceton 60% m/m. Liste der sonstigen Bestandteile: Lactose-Monohydrat 45,5
mg; Croscarmellose Natrium; Antischaum-Emulsion; Hochdisperses Siliciumdioxid; Macrogol 1500; Magnesiumstearat; Maisstärke; Hypromellose; Mikrokristalline Cellulose; Talkum; Farbstoffe: Titandioxid E171, rotes Eisenoxid E172, braunes Eisenoxid E172. Anwendungsgebiete: Cerebokan® 80 mg – Filmtabletten werden angewendet bei Erwachsenen zur symptomatischen Behandlung von hirnorganisch bedingten geistigen Leistungseinbußen im Rahmen eines therapeutischen Gesamtkonzeptes bei dementiellen Syndromen mit der Leitsymptomatik: Gedächtnisstörungen, Konzentrationsstörungen, depressive Verstimmung, Schwindel, Kopfschmerzen. Zur primären Zielgruppe gehören Patienten mit dementiellem Syndrom bei primär degenerativer Demenz, vaskulärer Demenz und Mischformen aus beiden. Das individuelle Ansprechen auf die Medikation kann nicht
vorausgesagt werden. Hinweis: Bevor die Behandlung mit Cerebokan® 80 mg - Filmtabletten begonnen wird, sollte geklärt werden, ob die Krankheitsbeschwerden nicht auf einer spezifisch zu behandelnden Grunderkrankung beruhen. Verlängerung der schmerzfreien Gehstrecke bei peripherer arterieller Verschlusskrankheit bei Stadium II nach Fontaine (Claudicatio intermittens) im Rahmen physikalisch-therapeutischer Maßnahmen, insbesondere Gehtraining. Vertigo. Gegenanzeigen: Überempfindlichkeit gegen den Wirkstoff oder einen der sonstigen Bestandteile des Arzneimittels, Schwangerschaft. Pharmakodynamische Eigenschaften: Andere
Antidementiva, Ginkgo biloba. Abgabe: Rp, apothekenpflichtig. Weitere Angaben zu Dosierung, Warnhinweisen und Vorsichtsmaßnahmen, Wechselwirkungen, Schwangerschaft und Stillzeit, Nebenwirkungen und Haltbarkeit sind der veröffentlichten Fachinformation zu entnehmen.
Cerebrolysin® - parenterale Lösung. Zusammensetzung (arzneilich wirksame Bestandteile nach Art und Menge): 1 ml enthält 215,2 mg einer proteolytischen Peptidfraktion aus Schweinehirnprotein (Cerebrolysin Konzentrat) in wässriger Lösung. Anwendungsgebiete: Cerebrale hirnorganisch bedingte Stoffwechselstörungen, insbesondere senile Demenz vom Alzheimertyp. Postapoplektische Ausfallserscheinungen. Schädel-Hirntraumata
(Commotio und Contusio, operative Schädeleingriffe) Gegenanzeigen: Überempfindlichkeit gegen einen Bestandteil des Präparates. Status epilepticus. Schwere Nierenfunktionsstörungen. Zulassungsinhaber und Hersteller: EVER Neuro Pharma GmbH, A-4866 Unterach. Hilfsstoffe: Natriumhydroxid und Wasser für Injektionszwecke. Verschreibungspflicht/Apothekenpflicht: Rp, apothekenpflichtig. Weitere Angaben zu den Warnhinweisen
und Vorsichtsmaßnahmen für die Anwendung, Wechselwirkungen mit anderen Mitteln und Nebenwirkungen sowie betreffend die Gewöhnungseffekte sind der veröffentlichten Fachinformation zu entnehmen.
Ebixa 20 mg-Filmtabletten; ATC-Code: N06DX01; Qualitative und quantitative Zusammensetzung: Jede Filmtablette enthält 20 mg Memantinhydrochlorid, entsprechend 16,62 mg Memantin. Liste der sonstigen Bestandteile: Tablettenkern :Mikrokristalline Cellulose, Croscarmellose-Natrium, Hochdisperses Siliciumdioxid, Magnesiumstearat (Ph. Eur.); Tablettenfilm: Hypromellose, Macrogol 400, Titandioxid (E 171), Eisen(III)-oxid (E 172).
Anwendungsgebiete: Zur Behandlung von Patienten mit moderater bis schwerer Alzheimer-Demenz. Gegenanzeigen: Überempfindlichkeit gegen den Wirkstoff oder einen der sonstigen Bestandteile. Inhaber der Zulassung: H. Lundbeck A/S, Ottiliavej 9, DK-2500 Valby Dänemark. Verschreibungspflicht/Apothekenpflicht: Rezept- und apothekenpflichtig. Weitere Angaben zu Warnhinweisen und Vorsichtsmaßnahmen für die Anwendung,
Wechselwirkungen mit anderen Arzneimitteln und sonstigen Wechselwirkungen, Schwangerschaft und Stillzeit und Nebenwirkungen entnehmen Sie bitte der veröffentlichten Fachinformation. Stand Jänner 2012.
Stalevo 50 mg/12,5 mg/200 mg Filmtabletten, Stalevo 100 mg/25 mg/200 mg Filmtabletten, Stalevo 150 mg/37,5 mg/200 mg Filmtabletten. Qualitative und quantitative Zusammensetzung: Eine Tablette enthält 50 mg Levodopa, 12,5 mg Carbidopa und 200 mg Entacapon. Sonstiger Bestandteil: Eine Tablette enthält 1,2 mg Sucrose. Eine Tablette enthält 100 mg Levodopa, 25 mg Carbidopa und 200 mg Entacapon. Sonstiger
Bestandteil: Eine Tablette enthält 1,6 mg Sucrose. Eine Tablette enthält 150 mg Levodopa, 37,5 mg Carbidopa und 200 mg Entacapon. Sonstiger Bestandteil: Eine Tablette enthält 1,9 mg Sucrose. Liste der sonstigen Bestandteile: Tablettenkern: Croscarmellose-Natrium, Magnesiumstearat (Ph. Eur.), Maisstärke, Mannitol (Ph. Eur.) (E421), Povidon (E1201), Film-Überzug: Glycerol 85 % (E 422), Hypromellose, Magnesiumstearat (Ph. Eur.),
Polysorbat 80, Eisen(III)-oxid (E172), Sucrose, Titandioxid (E171), Eisenoxidhydrat x H2O (E172), Anwendungsgebiete: Stalevo wird bei erwachsenen Patienten mit Morbus Parkinson eingesetzt, bei denen „end-of-dose“-Fluktuationen im Krankheitsbild auftreten, die durch eine Behandlung mit Levodopa und einem Dopadecarboxylase-Hemmer (DDC-Hemmer) nicht ausreichend stabilisiert sind. Gegenanzeigen: Überempfindlichkeit gegenüber
den Wirkstoffen oder einem der sonstigen Bestandteil, schwere Leberinsuffizienz, Engwinkelglaukom, Phäochromozyto, gleichzeitige Anwendung von Stalevo mit nichtselektiven Monoaminoxidase- (MAO-A- und MAO-B-)
Hemmern (z. B. Phenelzin, Tranylcypromin), gleichzeitige Anwendung eines selektiven MAO-A- und eines selektiven MAO-B-Hemmers (siehe Abschnitt 4.5 in der Fachinformation), Malignes neuroleptisches Syndrom (MNS)
und/oder atraumatische Rhabdomyolyse in der Anamnese. Pharmakotherapeutische Gruppe: Dopa und Dopa-Derivate. ATC-Code: N04BA03. Inhaber der Zulassung: Orion Corporation Orionintie 1, FI-02200 Espoo
Finnland. Verschreibungspflicht/Apothekenpflicht, Rezept- und apothekenpflichtig. Informationen betreffend Warnhinweise und Vorsichtsmaßnahmen für die Anwendung, Wechselwirkung mit anderen Mitteln, Nebenwirkungen und Gewöhnungseffekte sind den veröffentlichten Fachinformationen zu entnehmen.
Cipralex® 5 mg/10 mg/20mg – Filmtabletten; ATC-Code: N 06 AB. Qualitative und quantitative Zusammensetzung: Jede Filmtablette enthält 5 mg bzw. 10 mg bzw. 20mg Escitalopram (als Oxalat); Liste der sonstigen
Bestandteile: Tablettenkern: Mikrokristalline Cellulose, Hochdisperses wasserfreies Siliciumdioxid, Talk, Croscarmellose-Natrium, Magnesiumstearat; Tablettenhülle: Hypromellose, Macrogol 400, Titandioxid (E-171). Anwendungsgebiete: Behandlung von Episoden einer Major Depression. Behandlung von Panikstörung mit oder ohne Agoraphobie. Behandlung von sozialer Angststörung (Sozialphobie). Behandlung von generalisierter
Angststörung. Behandlung von Zwangsstörung. Gegenanzeigen: Überempfindlichkeit gegen Escitalopram oder einen der sonstigen Bestandteile. Die gleichzeitige Behandlung mit nicht selektiven, irreversiblen Monoaminoxidase-Hemmern ist kontraindiziert aufgrund des Risikos eines Serotonin-Syndroms mit Agitation, Tremor, Hyperthermie etc. (siehe Abschnitt 4.5). Eine Kombination von Escitalopram mit reversiblen MAO-A Hemmern (z.B. Moclobemid) oder dem reversiblen nicht selektiven MAO-Hemmer Linezolid ist kontraindiziert aufgrund des Risikos eines Serotonin-Syndroms (siehe Abschnitt 4.5). Escitalopram ist bei Patienten mit bekannter
QT Intervall Verlängerung oder vererbtem langem QT Syndrom kontraindiziert. Die Kombination von Escitalopram mit Arzneimitteln die bekannterweise das QT Intervall verlängern, ist kontraindiziert (siehe Abschnitt 4.5).
Zulassungsinhaber und Hersteller: H. Lundbeck A/S, Ottiliavej 9, DK-2500 ValbyKopenhagen - Dänemark. Vertrieb: Lundbeck Austria GmbH, Dresdner Straße 82, 1200 Wien. Verschreibungspflicht/Apothekenpflicht: Rezept- und apothekenpflichtig, wiederholte Abgabe verboten. Weitere Angaben zu Dosierung, Nebenwirkungen, Wechselwirkungen, Schwangerschaft und Stillzeit und zu den besonderen Warnhinweisen zur sicheren Anwendung sind der veröffentlichten Fachinformation zu entnehmen.
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Angststörungen und
ihre Behandlung
ao.Univ. Prof. Karin Gutierrez-Lobos
Medizinische Universität Wien
Währinger Gürtel 18-20, 1090 Wien
[email protected]
Seit den 1980iger Jahren werden Angststörungen in der psychiatrischen Diagnostik als
eigenständige Krankheitsbilder definiert und
eine Abgrenzung zwischen Phobien auf der einen Seite und Panikattacken und Generalisierter Angststörung (GAD) auf der anderen Seite
vorgenommen. Die 1-Jahres Prävalenz für alle
Angststörungen liegt in Europa bei 14%, darunter sind spezifische Phobien mit einer 1-Jahresprävalenz von 6,4% am häufigsten, gefolgt von Sozialphobie (2,3%), Agoraphobie
(2%,) Panikstörung (1,8%) und Generalisierter
Angststörung (14–65 Jahre: 1,7%, ≥66 Jahre:
3,4%) (Wittchen et al. 2011). Bei Frauen werden Angststörungen zwei bis dreimal häufiger
als bei Männern diagnostiziert.
Die einzelnen Angststörungen zeigen bezüglich ihres Ersterkrankungsalters Unterschiede.
So können spezifische Phobien bereits in der
Kindheit auftreten, soziale Phobien manifestieren sich meist in Pubertät und Adoleszenz,
Panikstörung, Agoraphobie und Generalisierte Angststörung im jungen Erwachsenenalter und letztere unter Umständen auch erst
um das 40. Lebensjahr (Perkonigg & Wittchen,
1995). Da bei Angsterkrankungen häufig die
körperlichen Symptome im Vordergrund stehen, werden sie oft verkannt. Es kann einige
Jahre dauern, bis die richtige Diagnose gestellt
und damit auch eine zielführende Therapie begonnen werden kann. Angsterkrankungen sind
nicht nur häufig, sie nehmen oft auch einen
chronischen Verlauf - zudem tragen ein hohes
Rezidivrisiko und häufige Komorbidität entscheidend zur Krankheitslast bei.
Angst und Furcht haben eine überlebensnotwendige Warn- und Schutzfunktion. Anders ist es jedoch bei Angststörungen. In diesem Fall ist die
Angst dysfunktional, da sie durch Situationen oder Objekte, die keine
objektive Bedrohung darstellen, ausgelöst wird.
tretens einer Angsterkrankung hängt von einer Kombination aus Lebensereignissen sowie
psychologischen und genetischen Faktoren ab.
Genetische Disposition scheint bei manchen
Angststörungen wie etwa der Panikstörung eine größere Rolle zu spielen als bei anderen. Darüber hinaus spielt ein Ungleichgewicht von
noradrenergen, serotonergen und GABAergen
Neurotransmittern bei der Angstentstehung
eine Rolle. Neuroanatomisch gesehen, entsteht die Angstreaktion durch pathologische
Prozesse im limbischen System - ihm kommt
eine entscheidende Bedeutung in Entstehung
und Wiederkennung von Angst zu. Entwicklungspsychologische Modelle betonen die
Rolle von Trennung und Verlust in der frühen
Kindheit. Verhaltenstherapeutische Modelle
gehen von erlernten Defiziten in der Angstbewältigung, der Assoziation harmloser Reize mit
Gefahr im Sinne der klassischen Konditionierung und bestimmten dysfunktionalen Überzeugungen („die Welt ist gefährlich“) aus.
Tiefenpsychologisch betrachtet, stellen Angststörungen ein Missverhältnis zwischen objektiver Situation und empfundener Angst dar.
Die bewusst wahrgenommene Bedrohung
steht für einen unbewussten inneren Konflikt,
z.B. eine triebhafte Strebung. Das gefürchtete Objekt oder die Situation werden nicht zufällig gewählt, sondern stehen in Verbindung
mit dem unbewussten intrapsychischen Konflikt. Durch Verschiebung wird dieser unlösbare Konflikt auf ein äußeres Objekt verlagert
und kann nun erfolgreich - durch Vermeidung
- gelöst werden.
Ursachen
Grundlegendes zur Therapie von
Angststörungen
Die Ursachen für Angststörungen sind multifaktoriell. Die Wahrscheinlichkeit des Auf-
Im Bereich der Psychopharmakotherapie stellen SSRI´s für die Mehrheit der Angststörun-
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gen entsprechend aktuellen Guidelines die Behandlung der 1. Wahl dar. Generell sollte mit
der niedrigsten möglichen Dosis begonnen
werden, um unerwünschte Wirkungen so gering wie möglich zu halten, und eine schrittweise Dosissteigerung erfolgen. Die Aufklärung der Patienten über die Wirklatenz der
SSRI´s stellt eine wichtige Voraussetzung für
die Therapie dar.
Benzodiazepine haben einen zwar effektvollen, aber unspezifischen Wirkmechanismus.
Sie sind für die Akutbehandlung geeignet,
werden aber wegen ihrer Toleranzentwicklung
und anderer unerwünschter Wirkungen wie
gesteigerter Müdigkeit, Schwindel und möglichen kognitiven Beeinträchtigungen für eine
Langzeittherapie nicht empfohlen.
Psychotherapeutische Verfahren zeigen eine ähnliche Wirkstärke wie Psychopharmaka bei der Behandlung von Angststörungen.
Liest man die aktuelle Literatur dazu, so könnte man den Eindruck gewinnen, dass es hauptsächlich verhaltenstherapeutische Verfahren
sind, die wirksam bzw. gut durch empirische
Daten abgesichert sind. Shedler (2010) hat jedoch erst jüngst darauf hingewiesen, dass dies
möglicherweise eine „selektive Verbreitung“
von Forschungsergebnissen reflektiere. In seiner Arbeit werden so auch mehrere Metaanalysen zu psychodynamischen Verfahren diskutiert, die ihre Wirksamkeit bei Angst und Panik
belegen. Im Vergleich zu verhaltenstherapeutischen Therapien gehen die psychodynamischen Therapien über die Linderung akuter
Symptome hinaus, da sie daran arbeiten, unbewusste Konflikte aufzudecken und zugänglich zu machen. Studien belegen aber auch,
dass nicht alle Patienten von einer Verhaltenstherapie profitieren. Manche Autoren empfeh-
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len daher eine integrative Psychotherapie, d.h.
eine Kombination verschiedener Interventionstechniken der unterschiedlichen psychotherapeutischen Schulen (Butollo & Maragkos 2005).
Inwieweit eine Kombination von Psychotherapie und Psychopharmakotherapie den Therapieerfolg erhöht, wird für die unterschiedlichen Angststörungen und in Abhängigkeit
davon, ob es sich um eine Akut- oder Langzeitbehandlung, differenziert bewertet. Für die Panikstörung scheint eine Erhöhung des therapeutischen Effektes durch eine Kombination
von Imipramin und Expositionsbehandlung in
der Akutbehandlung erzielbar (Kapfhammer
2008).
Diagnostik
Im ICD-10 gehören Angststörungen zu den
Neurotischen, Belastungs- und Somatoformen Störungen (F40 - F48), wo zwei Kategorien von Angststörungen unterschieden werden.
Zu den phobischen Ängsten (ICD-10 F40.-)
werden all jene gerichteten Ängste gezählt, die
objektiv keine Bedrohung darstellen und die
durch Vermeidungsverhalten charakterisiert
sind. Unter dem Begriff „andere Angststörungen“ (ICD-10 F41.-) werden Ängste subsumiert,
die spontan in unterschiedlichen Situationen
oder in sämtlichen Lebensbereichen (generalisiert) auftreten.
Im Vorfeld ist eine sorgfältige somatische Abklärung erforderlich, denn auch körperliche Erkrankungen wie z.B. Schilddrüsenerkrankungen, hormonelle und Stoffwechselstörungen,
Tumorerkrankungen, Arrhythmien, Asthma
oder Epilepsien können Angstsymptome verursachen. Ebenso können bei psychischen Erkrankungen wie Schizophrenie und Abhängigkeitserkrankungen Ängste auftreten, die
differentialdiagnostisch von den Angststörungen im engeren Sinn abzugrenzen sind. Bestimmte Substanzen wie z.B. Sympathomimetika, Kortikosteroide oder Alkohol können
unter Umständen schwere Angstsymptome
auslösen.
ICD-10 F 40.0 Agoraphobie
(mit oder ohne Panikstörung)
Unter Agoraphobie wird die Angst vor weiten
Plätzen, Menschenmengen, Schlange Stehen
oder vor Reisen mit großer Entfernung von zu
Hause verstanden. Meist kommt es im Zusammenhang mit Triggern wie Atemnot und Angst
vor Kontrollverlust zu einem spontanen Auf-
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treten. Als angstlindernd wird in vielen Fällen
die Begleitung durch andere Menschen oder
der Aufenthalt in der Nähe eines Fluchtweges
empfunden. Gelegentlich können auch Objekte
wie ein Talisman oder das Wissen, ein Anxiolytikum bei sich zu haben, angstreduzierend sein.
Eine Agoraphobie ohne vorhergehende Panik­
attacke ist selten.
ICD-10 F41.0 Panikstörung
Typisch für die Panikstörung sind plötzlich
auftretende, unvorhersehbare Angstattacken
mit ausgeprägten vegetativen (Tachykardie,
Beklemmung, Schwitzen, Atemnot) und psychischen (Depersonalisation, Angst vor Kontrollverlust) Symptomen. Die Angstattacken
dauern etwa 3 Minuten und selten länger als
30 Minuten. Im Verlauf einer Panikstörung
kann sich eine Erwartungsangst - eine Angst
vor der Angst - entwickeln, die Patienten leiden
besonders an der Unvorhersehbarkeit ihrer Attacken. Etwa zwei Drittel der Patienten mit Panikattacken leiden gleichzeitig an einer Agoraphobie.
Therapie von Agoraphobie bzw.
Panikstörung
Bei Agoraphobie und Panikattacken zeigen die
älteren TCA Imipramin und Clomipramin auch
im Vergleich zu neueren Substanzen eine gute Wirkstärke hinsichtlich der Reduzierung der
Frequenz der Attacken und der Stärke der Erwartungsangst. Aufgrund der anticholinergen
und antiadrenergen Nebenwirkungen werden sie in den meisten Leitlinien aber nicht als
„First-line“-Präparate empfohlen. Dies trifft
auch auf MAO-Hemmer zu, die ebenso wenig wegen ihrer vielfachen Interaktionen mit
anderen Substanzen der 1. Wahl angewendet
werden sollten. Unter den Benzodiazepinen
ist Alprazolam hinsichtlich seiner Wirksamkeit
bei Panikstörungen der am beste untersuchte Wirkstoff. Alprazolam wirkt schnell und besitzt ein günstiges Nebenwirkungsprofil, ist jedoch aufgrund der hohen Toleranzentwicklung
und Abhängigkeitsgefahr für eine Standardtherapie nicht sinnvoll. Alprazolam und Lorazepam sind im Fall einer akuten Panikattacke
und zu Beginn einer Pharmakotherapie einsetzbar.
SSRI´s wie Paroxetin, Fluvoxamin, Escitalo­pram
und Sertralin weisen die gleiche Wirkstärke wie TCA auf, sind jedoch nebenwirkungsärmer und werden daher in sämtlichen Leitlinien als Medikamente der 1. Wahl geführt.
Bedacht werden muss, dass bei SSRI´s eine
Wirklatenz von mehreren Wochen bestehen
kann. In dieser Zeit können unerwünschte Wirkungen wie Herzklopfen, Tremor und Übelkeit
im Vordergrund stehen. Diese werden aber gerade von Patienten mit Angststörung besonders schlecht toleriert. In solchen Fällen kann
die zusätzlich Gabe von Benzodiazepinen erfolgen. Diese sollte nach vollem Wirkungseintritt der SSRI´s wieder langsam reduziert werden. Auch wenn die Angstattacken besonders
stark ausgeprägt sind, können Benzodiazepine
zu Therapiebeginn erwogen werden. Die Anwendungsdauer der SSRI´s richtet sich in erster
Linie nach der erreichten Symptomreduktion.
In der Literatur wird wegen des häufig chronischen Verlaufes und der Rezidivneigung eine mindestens 12-monatige Erhaltungstherapie für sinnvoll erachtet. Bei Therapieresistenz
kann eine Umstellung auf Reboxetin (NARI),
Duloxetin (SNRI) oder Mirtazapin (NaSSA) versucht werden (Kapfhammer 2008).
Die kognitive Verhaltenstherapie wird zur Behandlung der Panikstörung aufgrund einer in
der Literatur beschriebenen hohen Erfolgsquote empfohlen. Sie setzt an prädisponierenden, auslösenden oder aufrechterhaltenden
Bedingungen der Angst an. Zu Beginn der Therapie stehen die Aufklärung über die Erkrankung und die Sensibilisierung gegenüber dem
eigenen Denken und Fühlen. Techniken zur Bewältigung der Angstsymptome (Entspannung,
Atemübung, autogenes Training) und zur ko­
gnitiven Neubewertung dysfunktionaler Denkstile sowie Expositionsverfahren bei der Agoraphobie werden eingesetzt. Mittlerweile liegen
auch zu psychodynamischen Verfahren gesicherte Ergebnisse bei der Panikstörung vor.
ICD-10 F40.1 Soziale Phobie
Die soziale Phobie ist charakterisiert durch
Angst vor prüfender Betrachtung durch andere Menschen. Tätigkeiten wie in der Öffentlichkeit zu essen, zu schreiben oder zu sprechen,
werden gefürchtet. Der Übergang von Schüchternheit zu Sozialphobie ist fließend. Die Angst
kann in klar abgegrenzten oder in fast allen sozialen Situationen auftreten. Sie geht in der Regel mit niedrigem Selbstwertgefühl und Angst
vor Kritik einher. Die Angstsymptome können sich bis hin zu Panikattacken entwickeln.
Durch Vermeidung der gefürchteten Situationen kann es zur sozialen Isolierung und depressiven Störungen kommen. Sie tritt häufig
gemeinsam mit anderen Angststörungen auf.
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Zur Behandlung der sozialen Phobie haben
sich die kognitive Verhaltenstherapie und die
Expositionstherapie als ähnlich wirksam wie
eine Psychopharmakotherapie erwiesen.
In der klinischen Praxis zeigt sich, dass sowohl
Psychotherapie als auch Psychopharmakotherapie alleine zu einer deutlichen Verbesserung
der Symptomatik führen.
Anfangs wurden MAO-Inhibitoren in Placebo-kontrollierten Studien für besonders geeignet zur Behandlung der sozialen Phobie gehalten, während sich TCA als nur wenig wirksam
erwiesen. Aufgrund des bekannt ungünstigen
Nebenwirkungsprofils konnte sich die Therapie
mit MAO-Inhibitoren nicht durchsetzen. Heute werden die SSRI´s Paroxetin, Fluvoxamin,
Escitalopram und Sertralin sowie der SNRI
Venlafaxin in Retardform (Venlafaxin ER) als
Therapeutika der 1. Wahl empfohlen.
Benzodiazepine können auch in diesem Fall zu
Beginn adjuvant angewendet werden. Nichtkardioselektive β-Blocker wie etwa Propranolol werden für die Langzeitbehandlung nicht
empfohlen, sie eignen sich jedoch zur kurzfristigen Anwendung - und zwar besonders dann,
wenn Schwitzen, Herzrasen, Übelkeit und Tremor („Lampenfieber“, Prüfungsangst) im Vordergrund stehen. Die Einnahme sollte vorzugsweise 30- 60 Minuten vor dem Ereignis
erfolgen.
ICD-10 F40.2 Spezifische (isolierte)
Phobien
Spezifische Phobien werden durch bestimmte Objekte oder Situationen ausgelöst und
nachfolgend vermieden. Häufige Phobien sind
Angst vor Spinnen, vor dem Fliegen, vor Krankheiten oder vor großen Höhen. Bei den Phobien
sind auch kulturspezifische Formen wie Koro
(Südostasien, Angst vor Retraktion des Genitals) und Frigophobie (Südostasien, Angst vor
Kälte und Wind) bekannt. Grundsätzlich kann
jede Situation und jeder Gegenstand - im Ex­
tremfall sogar die bildliche Darstellung oder die
bloße Verbalisierung des angstbesetzen Objektes - Angst auslösen. Nicht jede Phobie erreicht
jedoch das Ausmaß einer Erkrankung.
Spezifische Phobien sind die Domäne der Psychotherapie. Diese wird auch in aktuellen Leitlinien übereinstimmend zur Behandlung als
Therapie der 1. Wahl empfohlen. Empirisch gut
belegt ist die Effizienz der Expositionstherapie.
Grundlage dieser Behandlungsform ist es, die
Situationen oder Objekte nicht zu vermeiden,
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sondern sich ihnen aktiv auszusetzen. Dies
kann entweder durch Reizüberflutung oder
durch schrittweise Exposition erfolgen.
Um der mit der Angst verbundenen Muskelanspannung entgegenzuwirken, können ergänzend Entspannungstechniken zum Einsatz
kommen. Auch tiefenpsychologisch fundierte Therapieverfahren sind gut geeignet, da sie
an der Aufdeckung des zugrunde liegenden intrapsychischen Konfliktes arbeiten und so die
phobische Abwehr unnötig machen können.
ICD-10 F41.1 Generalisierte Angststörung
Bei der generalisierten Angststörung bestehen
anhaltende, frei flottierende, quälende Befürchtungen, Vorahnungen und Sorgen mit
Anspannung und Übererregtheit, die mindestens während 6 Monaten anhalten. Perioden
der Angst können sich mit weitgehend sym­
ptomfreien Intervallen abwechseln.
Bei der generalisierten Angststörung sind die
Therapie mit Psychopharmaka und die Kognitive Verhaltenstherapie gut untersucht. In einer Metaanalyse über 19 Studien zur Effizienz
von kognitiver Verhaltenstherapie wurde ein
deutlicher Vorteil gegenüber Placebo ermittelt
(Mitte 2005). In klinischen Studien wurden Paroxetin (20-50 mg täglich) und Escitalopram
(10-20 mg täglich) untersucht. In der Praxis
hat sich beispielsweise für Paroxetin eine deutlich niedrigere Anfangsdosis von 10 mg ergeben, die dann über einige Tage hindurch auftitriert werden kann. Als „First-line“-Substanzen
zur Behandlung der Generalisierten Angststörung gelten heute SSRI´s (z.B. Citalopram, Escitalopram, Fluoxetin) und SNRI´s (Venlafaxin ER, Duloxetin). Auch hier gilt, dass es durch
Einnahme von SSRI´s zu Beginn der Therapie
zu einer Verstärkung der Angstsymptomatik
kommen kann, die eine kurzfristige Einnahme
von Benzodiazepinen notwendig macht.
Auch wenn eine neuere Studie ergeben hat,
dass die Wirkstärke von Benzodiazepinen vergleichbar ist mit jener von SSRI´s und Venlafaxin (Hidalgo RB et al. 2007), sind sie aus anderen Gründen (hohes Abhängigkeitspotential,
Sedierung etc.) für die Langzeittherapie nicht
geeignet. Darüber hinaus besteht bei Langzeiteinnahme die Gefahr eines Entzugssyndroms
mit dem erhöhten Risiko des Wiederauftretens
der Angstsymptome im Sinne eines ReboundPhänomens.
Pregabalin scheint in der Kurzzeitbehandlung
und auch zur Vorbeugung von Angstsymptomen effektiv zu sein. Das Medikament ist seit
März 2006 für diese Indikation zugelassen. In
randomisierten Studien war Pregabalin in Tagesdosen von 300 bis 600 mg einem Placebo
deutlich überlegen, während die ebenfalls zugelassene Tagesdosis von 150 mg nur mäßig
erfolgreich war. In Vergleichsstudien schnitt
das Antikonvulsivum ebenso gut ab wie Venlafaxin und Alprazolam. Die Wirkung tritt schon
innerhalb der ersten Woche ein. Etwa ein Drittel der Patienten klagen über Schläfrigkeit, Benommenheit und fallweise Blähungen. Bei eingeschränkter Nierenfunktion muss die Dosis
reduziert werden (Karaiskos et al. 2012, Wensel
et al. 2012) Bei schneller Dosissteigerung sind
Nebenwirkungen ausgeprägter. Es wird auch
von älteren Menschen gut vertragen.
Angststörungen in der Gravidität
Die Anwendung von Psychopharmaka in der
Gravidität muss sorgfältig hinsichtlich des Risikos für die Mutter, eventueller teratogener Schäden und postpartaler Folgewirkungen abgewogen werden. Die Indikation muss
eng gestellt und es sollte die niedrigste Dosis
verordnet werden. Von Medikamentenkombinationen wird abgeraten. Benzodiazepine
sollten im 1. Trimenon wegen des Risikos einer Lippen-Kiefer-Gaumenspalte und am Ende der Schwangerschaft wegen der Gefahr eines Entzugssyndroms beim Neugeborenen
nicht verordnet werden. Die TCA Amitriptylin,
Desimipramin und Nortriptylin gelten als relativ sicher, jedoch scheinen TCA insgesamt ein
höheres Risiko für Fehlbildungen als SSRI´s zu
haben. Clomipramin sollte wegen des Risikos
von kardialen Missbildungen keinesfalls verabreicht werden (Lester et al. 1993). Unter den
SSRI´s gilt Citalopram als relativ sicher, weiters
auch Venlafaxin (SNRI) und Mirtazapin (NaSSA). Für SSRI´s ist das Risiko für Fehlbildungen
moderat erhöht - Paroxetin, Fluoxetin und Sertralin sollten nicht angewendet werden. Nach
der Geburt kann es beim Neugeborenen nach
Einnahme von SSRI´s durch die Mutter zu Anpassungsstörungen wie Übererregbarkeit, Tremor, Trinkstörungen, Schlafstörungen etc.
kommen. Neuere Untersuchungen (Kieler et al.
2011) beschreiben ein deutlich erhöhtes Risiko
für primäre pulmonale Hypertonie bei Säuglingen - und zwar auch dann, wenn die Mütter erst nach der 20.SSW mit SSRI´s behandelt
wurden. Alle SSRI´s treten in die Muttermilch
über, allerdings in deutlich geringere Konzentration im Vergleich zur Serumkonzentration
der Mutter. In Anbetracht der Datenlage soll-
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te daher in der Gravidität der Psychotherapie
bzw. psychoedukativen Verfahren der Vorrang
gegeben werden.
Angst im Alter
Angstsyndrome stellen auch in höherem Alter
eine häufige Erkrankung dar. Wichtig ist dabei besonders die diagnostische Abgrenzung
zu Demenz und Depression. Im Vorfeld wie im
Verlauf einer Demenz kann es zum Auftreten
von Ängsten kommen. Depression und Angststörungen weisen darüber hinaus generell eine häufige Komorbidität auf und ihre Sym­
ptome überlappen sich teilweise. Die Diagnose
von Angststörungen stellt daher gerade bei älteren Menschen eine besondere Herausforde-
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rung dar. Gleiches gilt für die Therapie, denn
die Wirkung von Psychopharmaka ist bei älteren Menschen kaum untersucht. Ältere Menschen weisen eine veränderte Pharmakodynamik und -kinetik auf. Es wird in geringerem
Umfang Magensäure produziert, Muskelmasse vermehrt in Fett umgewandelt, Lebermetabolismus und renale Ausscheidung sind verändert. Eine Psychopharmakotherapie sollte
daher vorsichtig unter Abwägung dieser Faktoren sowie unter Vermeidung einer Polypharmazie vorgenommen werden. SSRI´s sind wegen ihres günstigen Nebenwirkungsprofils
TCA´s vorzuziehen. TCA sollten aufgrund ihrer anticholinergen Wirkung nicht angewendet werden. Vergleichsweise gut untersucht
sind die SSRI´s Paroxetin und Citalopram. Einige Untersuchungen weisen darauf hin, dass
gerade im Alter die Behandlung häufig mit
Benzodiazepinen erfolgt. Gerade ältere Menschen reagieren aber auf die unerwünschten
Wirkungen noch empfindlicher. Benzodiazepine wirken aufgrund der veränderten Verteilung
länger und werden langsamer abgebaut. Das
erhöhte Risiko für Verwirrtheitszustände, Unruhe, Gedächtnisstörungen und ein nicht unbeträchtliches Sturzrisiko mit der Gefahr einer
Fraktur machen deutlich, dass Benzodiazepine
im höheren Alter nur für absolute Notfallindikationen geeignet sind.
♦
Literatur bei der Verfasserin
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Schizophrenie - medikamentöse Therapie
im Überblick
Nach wie vor steht die medikamentöse Therapie im Zentrum der Schizophreniebehandlung - allerdings
ist sie stets im Kontext eines biopsychosozialen Gesamtbehandlungskonzeptes zu sehen. Neben der Behandlung psychotischer Symptome sind dabei in den letzten Jahren zunehmend auch die Therapie von
Negativ-, affektiven bzw. kognitiven Symptomen und eine „nebenwirkungsgeleitete“ Behandlung in den
Mittelpunkt des Interesses gerückt.
S
chizophrene Erkrankungen treten in
verschiedenen Ländern der Welt relativ
unabhängig vom soziokulturellen Hintergrund ähnlich häufig auf. Die Lebenszeitprävalenzrate liegt durchschnittlich bei etwa
1% - in Österreich erkranken demnach etwa
80.000 Personen mindestens einmal im Lauf
ihres Lebens an einer psychotischen Episode,
welche die Kriterien einer Schizophrenie erfüllt. Die Jahresinzidenzrate liegt bei 0,01 Prozent - dies entspricht etwa 800 Neuerkrankungen pro Jahr in Österreich. Männer und Frauen
sind etwa gleich häufig betroffen - etwa neun
Zehntel der Männer und zwei Drittel der Frauen erkranken vor dem 30. Lebensjahr.
Schizophrenien stellen eine - sowohl im Hinblick auf die vorherrschende Symptomatik als
auch den Verlauf - heterogene Gruppe an Erkrankungen dar. Aktuell werden gemäß dem
Vorherrschen von psychopathologischen Prägnanztypen verschiedene Diagnosegruppen
unterschieden.
Neben der Positivsymptomatik (Halluzinationen, Wahnvorstellungen) und der im Wesentlichen durch eingeschränkten Affektausdruck
charakterisierten Negativsymptomatik (Apathie, Affektverflachung, emotionale Isolation)
repräsentieren kognitive Funktionseinschränkungen den dritten wesentlichen Syndrombereich.
Sowohl Positiv- als auch Negativsymptome
sind mit fassbaren neurochemischen Störungen im Bereich zentraler Neuromodulatoren
korreliert, wobei spezifische Veränderungen im
dopaminergen und serotonergen System bzw.
in letzter Zeit auch im glutamatergen System
am besten dokumentiert sind. Zudem beeinflussen psychosoziale Faktoren Ausbruch und
Verlauf. Besonders bedeutsame Stressoren
sind Beziehungsklima und lebensverändernde Ereignisse - vor allem dann, wenn mehrere
Veränderungen in kurzer Zeit passieren [1]
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Grundzüge der Behandlung
Verschiedenste medikamentöse wie auch
nicht-medikamentöse (z.B. spezifische psychosoziale Interventionen) Therapiemöglichkeiten stehen zur Verfügung. Dies ermöglicht
die Entwicklung eines Gesamttherapieplans,
welcher auf die individuellen Bedürfnisse der
Patienten abgestimmt ist [1].
Als Grundvoraussetzungen für eine erfolgreiche Umsetzung gelten das gemeinsame Erarbeiten eines Konzepts der Störung und deren
Behandlung, der Einbezug von Familienangehörigen und Bezugspersonen sowie eine vertrauensvolle therapeutische Beziehung. Da ein
vorzeitiges Absetzen der Medikation mit einem erheblichen Rückfallrisiko verbunden ist,
sind Maßnahmen zur Verbesserung der Therapieadhärenz von großer Bedeutung. Beim
Auftreten von psychotischen Symptomen im
Rahmen von Erstmanifestation wie auch Rezidiv ist eine schnelle und unkomplizierte Verfügbarkeit von therapeutischer Hilfe wichtig.
Hierfür bieten gemeinsam erarbeitete Krisenpläne mit individuellen Frühwarnsymptomen
und einfachen Behandlungsschritten eine große Unterstützung [2].
Grundsätzlich sollte immer das geringfügigste autoritäre Behandlungssetting angestrebt
werden - und zwar ideologiefrei und sich strikt
an Beschwerden und Ressourcen des Patienten orientierend. Man unterscheidet stationäre, teilstationäre und ambulante Settings. Eine wichtige Rolle spielen Tagesstätten,
ergotherapeutische Trainingseinrichtungen
und therapeutische Wohnformen (z. B. Übergangswohnheime, betreute bzw. unbetreute Wohngruppen) sowie damit Hand in Hand
gehende sozialpsychiatrische präventive Maßnahmen [1].
In der Akutphase steht die Behandlung der Positivsymptomatik im Vordergrund, insbesondere die Symptomkontrolle der psychotischen
Angst und des oftmals daraus resultierenden
aggressiven Verhaltens. Zentrale therapeutische Bedeutung kommt dabei den atypischen
Antipsychotika bzw. entsprechenden Begleitund ergänzenden medikamentösen Maßnahmen zu. Als weiteres wesentliches Ziel gilt die
Abschätzung und Behandlung von Selbstbzw. Fremdgefährdungen [1].
In der postakuten Stabilisierungsphase ist Psychoedukation wichtig, um PatientInnen im
besseren Umgang (z.B. Compliance) mit ihrer Erkrankung zu unterstützen. Kognitiv-psychotherapeutische Therapiemethoden sollen in
dieser Phase ebenso beginnen wie die Arbeit mit
Angehörigen. Zusätzlich existieren noch einige
weitere - den Gesamtbehandlungsplan ergänzende - psychotherapeutische Optionen [1].
In der Remissionsphase stehen soziotherapeutische Maßnahmen im Mittelpunkt therapeutischen Bemühens [1].
Eine kontinuierliche antipsychotische Medikation ist während aller Behandlungsphasen indiziert [1]. Dabei steht derzeit neben der Erforschung neuer Wirksubstanzen vor allem die
optimierte Anwendung der am Markt befindlichen Substanzen im Vordergrund [3].
Akuttherapie
Medikamente der ersten und zweiten Wahl
sind die neuen/atypischen Antipsychotika.
Evidenzbasiert ist eine Differenzialindikation
bezüglich Wirksamkeit der neuen Substanzen
nicht möglich, es existieren jedoch Unterschiede im Nebenwirkungsprofil (EPMS, Gewicht,
Prolaktin, Agitation, Sedierung). Die Auswahl
des Antipsychotikums ergibt sich aus Wirksamkeitsüberlegungen, verfügbaren Darreichungsformen, Patientenwünschen, Nebenwirkungsprofil und - ohne dass es dafür eine
wissenschaftliche Evidenz gibt - früheren Therapieerfahrungen [1].
Im Idealfall sollte das Medikament einmal
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täglich peroral verabreicht werden. Bei unsicherer Compliance ist eine flüssige (Amisulprid, Risperidon, Ziprasidon, Haloperidol) oder
rasch lösliche (Aripiprazol-Schmelztabletten,
Olanzapin-Velotab, Risperidon-Quicklet) Galenik vorzuziehen. Die Einnahme von Ziprasidon
sollte mit Nahrungsaufnahme erfolgen, wobei
für eine optimale Bioverfügbarkeit die Mahlzeit
zumindest 500kcal entsprechen sollte. Intramuskulär stehen Ziprasidon, Olanzapin, Aripiprazol und Haloperidol zur Verfügung, intravenös kann Haloperidol verabreicht werden [1].
Die richtige Dosierung gilt als wesentliche Voraussetzung für ein optimales Wirkungs-/Nebenwirkungsprofil - Schizophrenie-Ersterkrankte benötigen dabei eine niedrigere
Dosierung als Mehrfacherkrankte, da nicht die
Akuität der Symptomatik, sondern die Dauer der Erkrankung für die Dosierung entscheidend ist [3]. Für Patienten mit einer ersten Episode kann also eine deutlich niedrigere Dosis
genügen, bei Patienten mit multiplen Episoden
ist die zuletzt effektive Dosis die Zieldosis. Eine schrittweise Dosissteigerung verringert das
Nebenwirkungsrisiko bei einigen atypischen
Antipsychotika bzw. typischen Neuroleptika
[1].
Bei ängstlichen, agitierten oder aggressiven
Zuständen ist die Kombination von atypischen
Antipsychotika mit Benzodiazepinen (Diazepam, Lorazepam, Clonazepam) effektiver und
sicherer als eine höherdosierte (über die maximale empfohlene Dosis hinausgehende) Therapie mit atypischen Antipsychotika oder eine
Kombination mit niederpotenten (älteren) typischen Neuroleptika [1].
Studien zeigen dass die Pharmakotherapie der
Schizophrenie umso erfolgreicher ist, je früher
diese zum Einsatz kommt - 80% der Ersterkrankten erholen sich damit innerhalb von 3-6
Monaten [3].
Bei inadäquatem therapeutischem Ansprechen kann eine Überprüfung von Diagnostik,
Komorbidität (speziell Substanzmissbrauch),
Compliance bzw. Metabolismus eine rasche
Hilfe darstellen. Daraus ergeben sich als mögliche Konsequenzen eine Dosiserhöhung, eine adjuvante oder alternative Medikation oder
das weitere Abwarten einer Therapieantwort,
falls eine berechtigte Annahme besteht, dass
der Patient ein „Slow Responder“ ist. Eine orientierende Plasmaspiegelbestimmung ist sinnvoll [1].
Konkret sollte bei Ersterkrankung - nach vorherigem Ausschluss obiger Faktoren - ein The-
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Amisulprid
Solian®
Aripiprazol
Abilify®
Clozapin
Lanolept®, Leponex®
Olanzapin
Aedon®, Olanzapin „1APharma“®, „Actavis“®, „Bluefish“®,
„easypharm“®, „G.L.“®, „Genericon“®, „Mylan“®, „ratiopharm“®, Sandoz“®,
„Stada“®, Zalasta®, Zypadhera®, Zyprexa®
Paliperidon
Xeplion®
Quetiapin
Quetialan®, Quetiapin „easypharm“®, „G.L.“®, „Genericon“®, „Krka“®,
„+pharma“®, „ratiopharm“®, „Sandoz“®, Seroquel®
Risperidon
Aleptan®, Risperdal®, Risperidon „1APharma“®, „Actavis“®,
„easypharm“®, „Genericon“®, „Hexal“®, „+pharma“®, „ratiopharm“®
„Sandoz“®, „Stada“®
Sertindol
Serdolect®
Ziprasidon
Zeldox®
Tab. 1: Neue/atypische Antipsychotika und zugehörige - in Österreich derzeit zugelassene und im
Warenverzeichnis aufgeführte - Präparate
rapiewechsel aufgrund fehlender Wirksamkeit
frühestens nach zwei Wochen vorgenommen
werden. Wurden zwei Antipsychotika - worunter jedenfalls ein neues/atypisches sein
sollte - erfolglos eingesetzt, so ist die Indikation für eine Verwendung von Clozapin gegeben. Erst nach dessen erfolglosem Einsatz wird
die Kombination verschiedener Antipsychotika
empfohlen. Am bislang besten überprüft wurden dabei die Kombinationen von Clozapin und
Amisulprid bzw. Risperidon. Auch der adjuvante Einsatz von Stimmungsstabilisatoren sowie
die Elektrokrampftherapie sind bei Therapieresistenz zu überlegen [3].
Als begleitende therapeutische Maßnahmen
gelten Sozio- und Psychotherapie. Dabei soll
erstere in der Akutphase aktuelle soziale Probleme lösen (Wohnen, Arbeit) und das soziale Netz des Patienten unterstützen. In psychotherapeutische Maßnahmen sollen auch in
diesen frühen Therapiestadien bereits Familie und Angehörige involviert werden, da die
Psychoedukation die Compliance von Patienten und Angehörigen verbessert, die psychotherapeutische Familienarbeit deren Belastung
vermindert und den Umgang mit der Krankheit erleichtert bzw. die Gruppentherapie soziale Interaktionen, Einsicht und Coping-Strategien verbessert [1].
Rückfallsprophylaxe und
Langzeittherapie
Gerade in der Langzeitbehandlung ist auf die
Wichtigkeit eines integrierten biopsychosozialen Behandlungskonzepts hinzuweisen.
Was die Pharmakotherapie betrifft, so stellen
atypische Antipsychotika die Mittel der Wahl
zur Rückfallsprophylaxe und in der Langzeitbehandlung dar - dies aufgrund deren Wirksamkeit nicht nur auf die positive, sondern
auch auf die negative, affektive und kognitive Symptomatik und aufgrund ihres günstigen
Nebenwirkungsprofils.
Dabei sollte jenes Medikament, das sich in der
Akuttherapie bewährt hat, auch zur Erhaltungstherapie und Rezidivprophylaxe verwendet werden - dies sollte bereits bei der Auswahl
des Antipsychotikums für die Akutbehandlung
berücksichtigt werden, da Medikamentenwechsel mit Rezidivrisiken verbunden sind. Für
die Langzeittherapie ist zudem das Nebenwirkungsprofil von besonderer Bedeutung, weshalb atypischen Antipsychotika der Vorzug
gegeben werden soll. Zudem reduzieren atypische Antipsychotika die Rezidivrate signifikant gegenüber Placebo. Somit sollten typische Neuroleptika in der Langzeittherapie nur
im begründeten Einzelfall zum Einsatz kommen [1].
Seitens der Dosierung ist bei atypischen Antipsychotika für Rückfallsprophylaxe und Langzeitbehandlung keine Dosisreduktion im Vergleich zur Akuttherapie erforderlich.
Typische Neuroleptika sollten nach Möglichkeit schrittweise (in Halbjahresschritten Dosisreduktion um 20% der akut wirksamen Dosis)
auf die geringste noch wirksame Tagesdosis
reduziert werden (allerdings nicht unter einem
Drittel der Initialdosis!). Höhere als die empfohlenen Dosen bringen insgesamt keinen kli-
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nischen Vorteil, auch nicht bei therapieresistenten Patienten.
Die Dauergaben von Anticholinergika sind
nicht zuletzt wegen der kognitiven Beeinträchtigung abzulehnen [1].
Meist stellt die Pharmakotherapie eine lebensbegleitende Maßnahme dar - konkret richtet
sich die Behandlungsdauer allerdings nach Anzahl und Charakteristika der Krankheitsepisoden [1]:
- bei Erstmanifestation: mindestens 1 Jahr
- bei Anamnese von mindestens zwei akuten
psychotischen Störungen oder bei Rezidiv
innerhalb eines Jahres: mindestens 5 Jahre
- bei besonders häufigen Rezidiven, primär
chronischem Verlauf oder zusätzlichen Risiken durch Fremd- und/oder Selbstgefährdung: länger, eventuell auch lebensbegleitend
Möglicherweise zwingt eine mangelnde Compliance zur Umstellung auf ein Depotpräparat
(Olanzapin, Paliperidon, Risperidon) - dabei
gelten neben den angesprochenen Compliance-Überlegungen auch Wünsche und Erfahrungen der Patienten als Entscheidungskriterien bezüglich oral versus Depot [1].
Als Vorteile der Depotmedikation können zunächst eine zuverlässige Freisetzung des Wirkstoffes, eine bessere Bioverfügbarkeit sowie
die fehlende Wechselwirkung mit Antazida
genannt werden. Der erzielte konstante Plasmaspiegel kann zu einer Reduktion von Nebenwirkungen beitragen. Die bessere Kontrollierbarkeit der Einnahme vermag nicht nur einer
verlässlichere Wirkung zu mediieren, sondern
auch das Risiko für gewollte wie auch zufällige
Überdosierungen zu vermindern. Zudem kann
die reduzierte Verabreichungsfrequenz insbesondere bei kognitiven Störungen günstig sein.
Lehnt ein Patient jedoch die Antipsychotikagabe prinzipiell ab, kann auch durch eine Depotgabe die Compliance auf Dauer nicht positiv
beeinflusst werden [3].
Eine Langzeitbehandlung mit Antipsychotika reduziert die Rückfallrate von etwa 80 auf
20% im ersten Jahr [3].
Im Sinne einer Auswahl begleitender therapeutischer Maßnahmen seien genannt [1]:
-Milieugestaltung (klar strukturierter Tagesablauf, Annäherung an gewohnte Lebensbedingungen, Förderung von Initiative, Vermeidung von Inaktivität)
-Ergo- und Arbeitstherapie (Übung kognitiver Fähigkeiten, Antriebsförderung, Stärkung des Selbstvertrauens, Training von
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Ausdauer, Belastungserprobung, Maßnahmen zur beruflichen Integration)
- Verhaltenstherapeutisch orientierte Familientherapie (Entlastung der Angehörigen)
- Psychoedukation (Patienten- und Angehörigengruppen, Einzelberatungen, Beratung
von Selbsthilfevereinigungen)
-Training von sozialen Fertigkeiten (Stärkung
der intakten Persönlichkeitsanteile, Kompensation krankheitsbedingter Einschränkungen)
- Wohnheime und Wohngemeinschaften
(betreutes Einzelwohnen bzw. Wohngemeinschaften, Wohngruppen, Übergangsbzw. Langzeitwohnheime)
Fokus neue/atypische Antipsychotika
Für die antipsychotische Wirkung ist eine Blockade von Dopamin-D2-Rezeptoren im zentralen Nervensystem für alle typischen Neuroleptika und atypischen Antipsychotika von
wesentlicher Bedeutung. Dies wird auch durch
moderne PET-Untersuchungen an schizophrenen Patienten bestätigt, wobei die meisten
atypischen Antipsychotika eine sich von den
älteren Substanzen unterscheidende D2-Rezeptor-Blockade im Striatum zeigen. Die neuen/atypischen Eigenschaften scheinen aber
nicht nur durch eine zum Teil geringere D2-antagonistische Wirkung ausgelöst zu werden,
sondern durch zusätzliche pharmakologische
Komponenten. Die besondere therapeutische
Wirkung von kombinierten D2-/5-HT2A-Blockern wird als Folge einer Blockade sowohl
limbischer D2-Rezeptoren als auch kortikaler
5-HT2-Rezeptoren angesehen. Man vermutet, dass die kortikale 5-HT2-Blockade in dieser Region (präfrontaler Kortex) zu einer höheren Dopaminfreisetzung führt [1]. Neben dem
subkortikalen Dopaminüberschuss scheint also auch der präfrontale Dopaminmangel von
Bedeutung - ersterer wird für die Positiv­
symptome verantwortlich gemacht, während
letzterer mit Negativsymptomen und kognitiver Beeinträchtigung in Verbindung gebracht
werden. Im Rahmen einer modernen medikamentösen Therapie wird versucht, Dopaminüberschuss wie -mangel auszugleichen und
somit auf alle genannten Symptombereiche
günstig einzuwirken [3].
Eine bessere Funktion der frontalen Hirnrinde
zieht konsekutiv eine Normalisierung der Funktion anderer Neurotransmittersysteme (z.B.
GABAerge und glutamaterge Neurone) nach
sich, wobei vermutet wird, dass auch diese bei-
den Systeme eine Rolle in der Pathogenese positiver und negativer Symptome spielen.
Die postsynaptische 5-HT2A-Blockade der
atypischen Antipsychotika bewirkt, dass auch
antidepressive Effekte vermittelt werden (ausgenommen Amisulprid, das diesen antidepressiven Effekt über einen Dopamin-Autorezeptoragonismus bei niedriger Dosierung
vermittelt), was insbesondere bei gemischten
schizophrenen und affektiven Syndromen von
Vorteil ist.
Zusätzlich weisen Quetiapin und Ziprasidon
eine Noradrenalin-, letzteres darüber hinaus
noch eine Serotonin-Wiederaufnahmehemmung auf.
Als Atypika der dritten Generation, wie z.B.
Aripiprazol, bezeichnet man Substanzen, deren Wirkmechanismus sich von anderen derzeit verfügbaren, atypischen Antipsychotika
unterscheidet: partieller Agonismus am D2und 5HT1A-Rezeptor sowie Antagonismus am
5-HT2A-Rezeptor. Die intrinsische Aktivität am
D2-Rezeptor erlaubt eine Modulation und Stabilisation des Dopamin-Serotonin-Systems [1].
Der wesentliche Unterschied zwischen den typischen Neuroleptika und den atypischen Antipsychotika liegt also nicht nur in der unterschiedlichen Beeinflussung der Symptomatik,
sondern ist auch biochemisch durch die spezifische Pharmakodynamik (Rezeptorprofil)
bzw. die toposelektive Beeinflussung des dopaminergen Nervensystems gekennzeichnet.
Somit sind neben der gewünschten raschen
antipsychotischen Wirkung fehlende oder geringere extrapyramidale Nebenwirkungen
(EPMS) sowie ein positiver Effekt auf die negative, affektive und kognitive Symptomatik zu
beobachten [1]. Bislang ist es allerdings nicht
möglich, vorherzusagen, mit welchem Antipsychotikum bei einem bestimmten Patienten
eine optimale Wirkung erzielt werden kann [3].
Ein weiterer zentraler therapeutischer Aspekt
ist das individuell optimierte Nutzen-RisikoProfil - sprich Erzielung einer optimalen Wirkung bei Minimierung von Nebenwirkungen
[3]. Durch die Einführung der atypischen Antipsychotika wurden insofern auch neue Behandlungsperspektiven ermöglicht, als diese
Medikamente die bei vor allem (älteren) typischen Neuroleptika häufig auftretenden Nebenwirkungen, wie z.B. extrapyramidale oder
kognitive Störungen, nicht mehr oder nur zu
einem geringen Teil aufweisen [1].
Wegen ihres günstigen klinischen Wirkungsund Nebenwirkungsprofils stellen atypische
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Antipsychotika mittlerweile die Medikation erster Wahl in der Schizophrenie-Behandlung dar. Im Vergleich zu typischen Neuroleptika sind weniger Compliance-Probleme, höhere
Lebensqualität, günstigerer Gesamtverlauf und
vergleichsweise niedrige Gesamtbehandlungskosten zu erwarten [1]. Insbesondere Anwendung finden sollen sie bei [3]:
-Ersterkrankten oder Antipsychotika-naiven Patienten (75% der Ersterkrankten sind
EPMS-sensitiv)
- Patienten mit tardiven Dyskinesien oder einem erhöhten Risiko dafür
- ausgeprägten Negativsymptomen
- kognitiven Störungen
- psychiatrischer Komorbidität
- schlechtem Ansprechen auf konventionelle
Antipsychotika
Atypische Antipsychotika (siehe auch Tabelle
1) stellen pharmakodynamisch eine heterogene Gruppe dar und unterscheiden sich dadurch
auch hinsichtlich der Nebenwirkungen (z.B.
Gewicht, Prolaktin, Agitation, Sedierung) [1].
Als weitere Auswahlkriterien für ein bestimmtes Antipsychotikum können daher zudem
körperliche Begleiterkrankungen angesehen
werden. So sprechen ein erhöhtes Körpergewicht, ein gestörter Fettstoffwechsel oder ein
bestehender Diabetes mellitus gegen eine Ga-
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be von Antipsychotika, deren Nebenwirkungsprofil diese bestehenden Erkrankungen potenzieren könnten. Besteht eine Erkrankung, deren
Verlauf durch einen erhöhten Prolaktinspiegel
negativ beeinflusst werden könnte, sollten Antipsychotika, welche den Prolaktinspiegel erhöhen können, nach Möglichkeit vermieden
werden bzw. sollte in solchen Fällen der Prolaktinspiegel kontrolliert werden [3].
Ein Auftreten von Nebenwirkungen rechtfertigt bzw. sollte bei einer subjektiven Beeinträchtigung des Patienten oder einer gesundheitlichen Gefährdung eine Adaptierung der
Dosierung oder den Wechsel des Antipsychotikums nach sich ziehen. Ein erhöhter Prolaktinspiegel ohne Auftreten von Nebenwirkungen
stellt allerdings derzeit keine Indikation für einen Medikamentenwechsel dar [3].
Therapiemonitoring: Bei der Applikation von
Clozapin sind rechtlich bindende Therapiekontrollen vorgeschrieben: Kontrolle des Blutbilds vor Therapiebeginn, danach während der
ersten 18 Behandlungswochen wöchentlich.
Während der gesamten weiteren Therapiedauer soll das weiße Blutbild mindestens einmal im
Monat kontrolliert werden, nach Beendigung
der Behandlung über einen Zeitraum von weiteren 4 Wochen.
Bei Sertindol, das wie Clozapin nach atypischen Antipsychotika und typischen Neuroleptika nur in dritter Linie verwendet werden darf,
sind zwingende EKG-Kontrollen vor Beginn der
Therapie, dann nach 3 Wochen oder nach Erreichen einer Dosis von 16 mg, nach 3 Monaten bzw. dann alle 3 Monate vorgeschrieben.
Bei Ziprasidon, einer Substanz, die auch sehr
gut als First-line-Präparat eingesetzt werden
kann, ist es nicht vorgeschrieben, aber empfehlenswert, eine EKG-Kontrolle am Anfang
und nach Erreichen der therapeutischen Dosis
durchzuführen.
Bei allen atypischen Antipsychotika ist es sinnvoll, aber nicht zwingend, den Nüchtern- und
postprandialen Blutzucker, Bauchumfang, Gewicht, HDL-Cholesterin und Triglyzeride zu
kontrollieren [1].
-mb- ♦
Literatur:
[1] Kasper S, Lehofer M; Schizophrenie - Medikamentöse Therapie; Konsensus-Statement - State of the art
2008; Clinicum NeuroPsy Sonderausgabe November
2008
[2] Cattapan-Ludewig K, Krebs S, Kunz HP, Bridler R; Medikamentöse Therapie der Schizophrenie; Schweiz
Med Forum 2012; 12(9): 189-193
[3] Hummer M; Neues in der medikamentösen Therapie
der schizophrenen Erkrankung; Österreichische Schizophrenie Gesellschaft; Online-Version eines Vortrags
2011; www.schizophrenie.or.at
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Erfahrung braucht die Chance
gelebt zu werden:
e Box
CEB_120412_AuP
Grün
Fachkurzinformation siehe Seite 13
CEREBOKAN ® bei Demenz.
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