Wissenschaft Stern Gliese 581 mit erdähnlichem Planeten (Zeichnung) ASTRONOMIE Tauwetter auf der Eiswelt Entdeckung im All: Gleich zwei erdähnliche Planeten kreisen um den Zwergstern Gliese 581. Klimamodelle zeigen, die fernen Himmelskörper könnten tatsächlich bewohnbar sein. Mit neuen Super-Teleskopen wollen Astronomen dort nach Spuren von Leben suchen. LYNETTE COOK / DPA lutrot glüht die fremde Sonne am sächlich die Möglichkeit, dass er bewohnHimmel, wie der Atem eines Feu- bar ist.“ erspuckers. Sie spendet nur wenig Das Gliese-System gilt ohnehin als das Licht und Wärme. Dafür scheint sie Tag aufregendste, das Astronomen bislang auund Nacht, das ganze Jahr über, welches ßerhalb unseres eigenen Sonnensystems auf diesem fernen Planeten gerade mal entdeckt haben. Insgesamt sechs Planeten zwei Erdenmonate dauert. umkreisen die rote Sonne im Sternbild Die Rückseite des Planeten hingegen Waage (siehe Grafik). Erst vorige Woche liegt in ewiger Finsternis. Hier geht die gaben US-Forscher bekannt, sie seien Zwergsonne niemals auf. Als Folge der dort auf einen noch erdähnlicheren extremen Temperaturunterschiede bilden Himmelskörper gestoßen: Der kleinere sich Megastürme, die irdische Orkane wie Gesteinsplanet Gliese 581 g scheint sich laue Lüftchen erscheinen lassen. Haus- ebenfalls in der „habitablen Zone“ um hoch türmen sich die Wellen und peit- seinen Stern zu bewegen. Kaltenegger schen gegen die Küsten. hat bereits begonnen, auch für diesen TraKeine Frage, ein ungemütlicher Him- banten das Klima zu berechnen. melskörper – und dennoch könnte dort Entscheidend ist, dass ein Planet so mowohl Leben existieren. derat von seinem Stern beheizt wird, dass Zu diesem aufregenden Befund ist die dort flüssiges Wasser vorkommen kann – Harvard-Astronomin Lisa Kaltenegger mit die wichtigste Bedingung dafür, dass Leihrem Team gelangt. Die Wissenschaftler ben, wie wir es kennen, entstehen kann. haben eine umfassende Klimasimulation „Wenn die Zutaten stimmen“, sagt MPIAdes Planeten Gliese 581 d erstellt, die dem- Direktor Thomas Henning, „könnte es nächst im Fachmagazin „Astrophysical beinahe automatisch dazu kommen.“ Nun nähren die Berechnungen des KalJournal“ erscheinen soll. „Eine faszinierende neue Welt“, sagt Kaltenegger, die tenegger-Teams den Verdacht: Vielleicht seit Ende September ihre Forschungen am befinden sich unter den knapp 500 PlaHeidelberger Max-Planck-Institut für As- neten, die bereits außerhalb unseres tronomie (MPIA) betreibt. „Es besteht tat- Sonnensystems gefunden wurden, einige B 142 D E R S P I E G E L 4 0 / 2 0 1 0 Oasen des Lebens – und keiner hat es bisher gemerkt. Anfangs galt auch Gliese 581 d, der schon 2007 entdeckt wurde, als tote Frostkugel. Erste Abschätzungen ergaben, dass er eigentlich zu weit von seinem Stern entfernt seine Bahnen zieht – eine Art fliegender Rieseneisball, auf dem Dauerfrost um die minus 40 Grad Celsius herrscht. Doch einen Faktor hatten die Planetenentdecker nicht ausreichend berücksichtigt: den Treibhauseffekt. Gliese 581 d ist siebenmal schwerer als die Erde – er gehört damit zur Klasse der Super-Erden. Alles spricht dafür, dass auf einem derart massereichen Gesteinsplaneten mächtige Vulkane einst noch weit größere Mengen CO² als bei uns in die Atmosphäre pusteten. Eine extrem drückende, dichte Lufthülle könnte sich so gebildet haben. Der daraus resultierende Treibhauseffekt ließe die Temperaturen deutlich über den Gefrierpunkt steigen – Tauwetter auf der Eiswelt. In Modellrechnungen geht Kaltenegger sogar von einem möglichen Atmosphärendruck von sieben bis acht Bar aus. Solche hohen Drücke herrschen auf der Erde Suche nach der Zwillingserde Gliese 581 zum Vergleich: Gliese 581 e unser Sonnensystem Die Planeten der roten Zwergsonne Gliese 581* ... b ... c ... g ... d Sonne am Grund von Binnenseen. „Es wäre schon ungeheuer anstrengend, sich dort fortzubewegen“, erklärt die Astronomin. „Ungefähr so, als würde man ständig im tiefen Wasser waten.“ Hinzu kommt die höhere Schwerkraft. Selbst ein schmächtiger Erdenmann würde auf Gliese 581 d so viel wiegen wie ein ausgewachsenes Gorillamännchen. „Speziell für Landbewohner wäre es sicher von Vorteil, dort ein paar Muskeln mehr zu besitzen“, spekuliert Kaltenegger. „Oder aber die Aliens müssten wie Schlangen über den Boden kriechen.“ Spürbar irdischere Schwerkraftverhältnisse dürften auf dem nun neu entdeckten Nachbarplaneten herrschen; Gliese 581 g ist nur drei- bis viermal so massig wie die Welt der Menschen. Noch geklärt werden muss indes, ob er auch ein lebensfreundliches Klima bietet. Nach ersten groben Schätzungen gleicht er einer Tiefkühltruhe – doch dabei fehlt noch ein vermutlich stark wärmender Treibhauseffekt. Auch über Vegetation auf dem GliesePlaneten kann spekuliert werden. Sollte es dort pflanzenähnliche Geschöpfe geben, sähen diese höchst exotisch aus. Doch da der Stern nur sehr schwach Venus leuchtet, müssten die Alien-Gewächse alles verfügbare Licht für ihre Fotosynthese nutzen – mit einer gruseligen Konsequenz, wie die US-Forscherin Nancy Kiang herausgefunden hat: Sollten tatsächlich Gräser oder Büsche unter roten Sonnen gedeihen, wären ihre Halme und Blätter pechschwarz, wie verkohlt. Bislang sind all dies Vermutungen, wenn auch wissenschaftlich untermauerte. Doch mit den geeigneten Teleskopen und Messinstrumenten ließe sich tatsächlich irgendwann herausfinden, ob auch auf den beiden erdähnlichen Gliese-Planeten die Bäume in den Himmel wachsen. Voraussetzung dafür wäre es, das Licht der Planeten aufzufangen und daraus die chemische Zusammensetzung der Atmosphären zu entschlüsseln. Schon aus einem hohen Sauerstoffgehalt würde sich ergeben, dass dort Leben existiert. Denn Sauerstoff ist ein sehr reaktionsfreudiges Gas, das in der Atmosphäre eines unbelebten Planeten nur in geringen Mengen vorkommen kann. Liegt der Anteil hoch, muss es Organismen wie Bakterien oder Pflanzen geben, die den Sauerstoff ständig neu produzieren – somit hätten die Forscher einen Beweis für außerirdische Lebensformen gefunden. S P I E G E L *Schematische Darstellung Etwa die siebenfache Erdmasse Sternumrundung: 66,8 Erdtage Merkur D E R bewohnbare Zone ... f Etwa die drei- bis vierfache Erdmasse Sternumrundung: 36,6 Erdtage STECHE.DE Astronomin Kaltenegger 4 0 / 2 0 1 0 Erde Mars Jupiter Allerdings bleibt es eine ungeheure technische Herausforderung, das Licht eines extrasolaren Planeten zu analysieren. Normale Sterne strahlen viele Millionen Mal heller als ihre düsteren Trabanten. Neben einer fernen Sonne eine Kugel von der Größe der Erde zu erspähen entspricht der Aufgabe, von Berlin aus ein Glühwürmchen zu erkennen, das in Kairo neben einem Autoscheinwerfer flattert. Bis sich die Atmosphären von Gesteinsplaneten wie Gliese 581 d oder Gliese 581 g entschlüsseln lassen, ist es daher noch ein weiter Weg. Umso erstaunlicher sind die Durchbrüche, die Astronomen in den vergangenen Jahren verkünden konnten. Mehrfach schafften sie es bereits, die Atmosphären größerer extrasolarer Planeten zu untersuchen – zumindest auf indirekte Weise. Trickreich nutzen die Forscher dabei Mini-Sonnenfinsternisse aus, zu denen es kommt, wenn ein ferner Planet sich vor seinen Stern schiebt. Dabei wird der Trabant gleichsam durchleuchtet und hinterlässt im Sternenlicht seinen chemischen Fingerabdruck. Einstweilen funktioniert dieser Trick nur bei Gasplaneten mit ihren riesigen 143 144 PRAKASH MATHEMA / AFP Atmosphären. Die bisher analysierten Gashüllen von extrasolaren Planeten enthalten überwiegend Wasserstoff und Helium, sie sind damit ganz ähnlich zusammengesetzt wie Jupiter oder Saturn; die Befunde bestätigen also, dass unser eigenes Sonnensystem keine Ausnahmeerscheinung in der Milchstraße darstellt. Anfang des Jahres gelang es MPIA-Forschern sogar erstmals, das Licht eines fernen Planeten direkt aufzufangen und zu analysieren. Zum Einsatz kam dabei das derzeit modernste Observatorium der Welt, das von den Europäern betriebene „Very Large Telescope“ in der chilenischen Atacama-Wüste. Seine Acht-MeterSpiegel sind so lichtempfindlich, dass sie eine Taschenlampe auf dem Mond erkennen könnten. Doch selbst das reicht nur für die wenigsten extrasolaren Planeten. Möglich wurde die messtechnische Meisterleistung, weil der untersuchte Planet ungewöhnlich hell leuchtet: Der Gasriese HR 8799 c ist noch sehr jung und deshalb so heiß wie ein Flammenwerfer. Die Astrophysiker sind zuversichtlich, die Grenzen zügig weiterverschieben zu können. Unbedingt wollen sie auch kleinere und kältere Exemplare direkt fotografieren. „Wir kommen viel schneller voran als erwartet“, konstatiert MaxPlanck-Forscher Henning. „Schon in fünf Jahren könnten wir so weit sein, erstmals die Atmosphären von Super-Erden zu vermessen, die um kleine leuchtschwache Sonnen kreisen.“ Die Hoffnungen richten sich dabei auf die Himmelsaugen der nächsten Generation. 2014 könnte das „James Webb Space Telescope“ ins All starten, der Nachfolger des legendären „Hubble“-Weltraumobservatoriums. Die Europäer wiederum wollen in der Atacama-Wüste das „Extremely Large Telescope“ errichten. Mit seinem 42-Meter-Spiegel wäre es das größte Fernrohr, das jemals gebaut wurde. Und es gibt sogar schon Pläne für ein 100Meter-Teleskop. Zumindest die Rätsel um die GliesePlaneten werden sich mit solchen SuperSternwarten wohl lösen lassen. Und was wäre, wenn bei der Ferndiagnose wirklich herauskommt, dass es dort unbekannte Lebensformen gibt? Könnte die Menschheit eine Expedition starten, um die Alien-Welten vor Ort zu erkunden? Immerhin befindet sich das Gliese-System nur 20,5 Lichtjahre von der Erde entfernt. Die rote Zwergsonne gehört damit zu den 100 nächsten Fixsternen, ein kosmischer Nachbar. Doch mit herkömmlichen Raketen ist selbst der vergleichsweise geringe interstellare Abgrund nicht zu überwinden. Um die Zwillingserden zu erreichen, wären irdische Astronauten rund 400 000 Jahre unterwegs – doppelt so lange wie es Menschen gibt. OLAF STAMPF HANS-CHRISTIAN PLAMBECK Wissenschaft US-Physiker Singer in Berlin, nepalesische Kabinettssitzung vor dem Mount Everest: „Man muss LOBBYISTEN Die Wissenschaft als Feind Eine Handvoll US-Wissenschaftler, von denen einige schon das Passivrauchen, den sauren Regen und das Ozonloch verharmlost haben, säen Zweifel am Klimawandel – auch im Bundestag. er 86-Jährige referierte mit sonorer Stimme, als wollte Opa seinem begriffsstutzigen Enkel etwas Offensichtliches erklären. „Die Natur, nicht menschliche Aktivität bestimmt das Klima“, erzählte der US-Physiker Fred Singer vor drei Wochen vor einer gutbesuchte Diskussionsrunde von FDP-Abgeordneten im Bundestag. Auch die umweltpolitische Sprecherin der CDU-Fraktion war gekommen. Marie-Luise Dött lobte Singers Vortrag anschließend als „sehr, sehr einleuchtend“. Ihre Kommentare seien aus dem Kontext gerissen, ruderte sie später zurück, natürlich stehe sie für ambitionierte Klimapolitik – ganz wie die Kanzlerin. Ebendie möchte der Amerikaner erreichen. „Politiker, die den Klimawandel aufhalten wollen, sind gefährlicher als der Klimawandel selbst“, warnt er. „Ich hoffe, dass Angela Merkel, die nicht dumm ist, das Licht sehen wird“, sagt Singer, der inzwischen nach Paris weitergereist ist. Berlin hat ihm gefallen: „Ich denke, dass ich etwas geschafft habe.“ Singer ist Handlungsreisender in Sachen Klimazweifel. Auf seiner diesjährigen Sommertournee sprach er in Haifa, Rom und Paris vor. Nach Berlin hatte D D E R S P I E G E L 4 0 / 2 0 1 0 ihn Paul Friedhoff eingeladen, der wirtschaftspolitische Sprecher der FDP-Fraktion. Singer und die FDP vertragen sich prächtig: Schon im vergangenen Dezember hatte der Amerikaner im Berliner Liberalen Institut seine eigenwilligen Klimathesen vorgetragen. Singer ist einer der einflussreichsten Klimaleugner weltweit. Er lebt in einer Welt, in der angesehene Klimaforscher als Lügner gelten; sie seien außen grün und innen rot und hätten in Wahrheit nur ein Ziel: den Sozialismus einzuführen. Singer will die Welt vor diesem Horror retten. Und dass er sich nach dem Zweiten Weltkrieg als glänzender Atmosphärenphysiker einen Namen machte, gibt seinen Worten Gewicht. Der in Wien geborene Singer floh 1940 in die USA und gehörte schon bald zu einer Elite, die den Kalten Krieg an der Wissenschaftsfront führte. Nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion kämpfte Singer seinen Krieg weiter – meist gegen Umweltschützer, immer gegen jede Form der Regulierung. Egal ob Ozonloch, saurer Regen oder Klimawandel – Singer wurde Profikritiker, wusste es immer besser als die Spezialisten des jeweiligen Feldes. Dabei kam er