S014-022.qxd 29.07.2005 10:12 Seite 14 4 6 8 10 BRISANT MINIMAL-INVASIV! (TEIL 1 VON 2) Dr. Aneta PecanovSchröder: Im Expertenzirkel diskutieren Prof. Dr. Dr. S. Jepsen, PD Dr. P. Hahn, Prof. Dr. M. Wichmann, Dr. E. Behrens und Dr. G. M. Iglhaut 12 14 16 18 20 22 24 26 28 30 32 34 36 38 40 42 44 46 48 50 52 54 56 58 60 62 64 66 68 70 MINImalinvasiv! „Minimal-invasive Zahnheilkunde“ wird meist mit den Bereichen Kariologie und Füllungstherapie sowie Parodontologie verbunden. Ist der minimal-invasive Therapie-Ansatz also nur diesen Bereichen vorbehalten und bilden implantologische und prothetische Versorgungen dazu einen krassen Widerspruch? Unter minimal-invasiver Zahnheilkunde sollte nicht nur „das ‚Bohren kleiner Löcher’ verstanden werden, appelliert Prof. Dr. Dr. Hans Jörg Staehle in seinem Gasteditorial für die aktuelle DM-Ausgabe, denn „diese Sichtweise wird den dahinter stehenden Vorstellungen kaum gerecht. Es geht darum, wie die Disziplinen der Zahnmedizin zur Erhaltung gesunder oraler Strukturen beitragen können.“ 72 Deshalb gibt das Dental Magazin Experten aus verschiedenen Bereichen 74 76 78 80 82 84 86 88 90 92 94 96 98 100 102 104 106 108 110 112 114 116 118 das Wort. In dieser und der nächsten DM-Ausgabe diskutieren im Expertenzirkel PD Dr. Petra Hahn, Abteilung für Zahnerhaltungskunde und Parodontologie, Universität Freiburg; Prof. Dr. Dr. Søren Jepsen, Poliklinik für Parodontologie, Zahnerhaltung und Präventive Zahnheilkunde, Universität Bonn; Prof. Dr. Manfred Wichmann, Poliklinik für zahnärztliche Prothetik der Universität Erlangen; Dr. Eleonore Behrens, Klinik für Mund- Kiefer- und Gesichtschirurgie der Universität Kiel sowie Dr. Gerhard M. Iglhaut, in eigener Praxis in Memmingen/Allgäu niedergelassen sowie Fortbildungsreferent der Deutschen Gesellschaft für Implantologie. 120 122 124 126 128 130 DENTAL MAGAZIN 4/2005 S014-022.qxd 29.07.2005 10:12 Seite 15 3 BRISANT 5 Dr. Aneta PecanovSchröder: Im Expertenzirkel diskutieren Prof. Dr. Dr. S. Jepsen, PD Dr. P. Hahn, Prof. Dr. M. Wichmann, Dr. E. Behrens und Dr. G. M. Iglhaut 9 MINIMAL-INVASIV! (TEIL 1 VON 2) 7 11 13 15 17 19 21 „Extension for prevention“ – Das Black’sche Postulat war lange Zeit verbreitete Lehrmeinung. Heute heißt die Maxime in der modernen Zahnheilkunde: „Prevention of extension“. Minimalinvasive Zahnheilkunde liegt im Trend. Frau Dr. Hahn, was verstehen Sie konkret darunter? Hahn: Die minimal-invasive Therapie im Bereich Zahnerhaltung bedeutet Schonung der gesunden Zahnsubstanz während der invasiven Therapie. Sie beinhaltet ein komplexes Behandlungskonzept mit präventiven und invasiven Maßnahmen. Minimal-invasiv bedeutet auch, dass eine beginnende, noch auf den Schmelz begrenzte Karies durch eine Verbesserung der Ernährung und der Mundhygiene, Fluoridierungsmaßnahmen, Versiegelungen und antibakterielle Methoden zum Stillstand gebracht werden kann. Gegebenenfalls kann es auch zu einer restitutio ad integrum kommen. Im Wurzelbereich kann auch eine Karies, die bereits zur Erweichung des Dentins geführt hat, „ausheilen“. „Minimal-invasiv“ – ein Modewort oder ein klares Therapiekonzept, Herr Prof. Jepsen? Jepsen: Der Begriff „minimal-invasiv“ ist in den letzten Jahren sicherlich überstrapaziert worden. Gemeint ist die Vermeidung einer „Überbehandlung“, d. h eine gewebeschonende und damit defektbezogene Vorgehensweise bei therapeutischen Eingriffen jeder Art. Konkret für das Fachgebiet Parodontologie hat sich diese Hinwendung zu minimal-invasiven Methoden bereits vor vielen Jahren in der Abkehr von groß angelegten Lappenoperationen („von Ohr zu Ohr“) hin zu gezielten korrektiven oder aber regenerativen operativen Eingriffen unter Einsatz von feinen chirurgischen Instrumenten und Nahtmaterialien vollzogen. Was setzt ein solches Vorgehen in der Parodontologie voraus? Jepsen: Voraussetzung ist die zuvor erfolgreich durchgeführte antiinfektiöse Therapie, die durch Verwendung neu entwickelter Instrumente schonend und zugleich effektiv erfolgt. Auch wichtige Patienten-zentrierte Aspekte wie die Vermeidung von Schmerzen, eine möglichst rasche Wundheilung und gute ästhetische Ergebnisse gewinnen zurecht immer mehr an Bedeutung und können 23 mit einer modernen Parodontitistherapie realisiert werden. 25 27 Herr Dr. Iglhaut, was verbinden Sie mit dem Ausdruck „minimal-invasiv“? Iglhaut: Damit verbinde ich primär gewebeschonend. Ich verstehe unter diesem Begriff Behandlungsstrategien, die mit innovativen Techniken und Instrumenten bzw. Hilfsmitteln substanzerhaltend, präzise und atraumatisch realisiert werden. Im Bereich der Parodontologie und Implantologie sind dies z. B. Weichgewebsoperationen, die mit mikrochirurgischen Spezialinstrumenten und Nahtmaterialen unter Zuhilfenahme von Sehhilfen durchgeführt werden. Ziel ist eine primäre Wundheilung zur Sicherung von Hart- und Weichgewebsaufbauten. Behrens: Wir sehen in der minimal-invasiven Zahnheilkunde nicht nur die mögliche Kariestherapie mit Carisolv oder die Parodontaltherapie mit Emdogain, sondern auch die Therapie mit Adhäsivbrücken und Einzelzahnimplantaten oder mehreren Implantaten im zahnlosen Unter- oder Oberkiefer mit Sofortbelastung auf einer steggetragenen Suprakonstruktion. Wichmann: Ein klassisches Beispiel aus der Prothetik ist der Ersatz eines fehlenden Zahnes durch eine implantatgetragene Krone. Das Ziel minimal-invasiver Zahnheilkunde ist ja, durch eine räumliche Reduktion der medizinisch erforderlichen Behandlung auf die unmittelbar betroffenen Bereiche benachbarte Strukturen entweder gar nicht oder nur in einem minimalen Umfang zu beeinträchtigen. Durch den Einsatz von Implantaten ist es möglich, Zähne zu ersetzen, ohne dass karies- bzw. füllungsfreie Nachbarzähne für die Aufnahme von Brückenpfeilern beschliffen und damit irreversibel geschädigt werden müssen. Die Implantation, die für sich genommen ebenfalls einen invasiven Vorgang darstellt, spielt sich dagegen in einem regenerierbaren Bereich ab, der selbst im Falle des seltenen Misserfolges keine irreversible Schädigung nach sich zieht, wie es das Beschleifen eines Zahnes darstellt. Behrens: Eine entsprechend schonende, wenig traumatisierende Behandlungsform fand z. B. in der allgemeinen Chirurgie schon vor zwei Jahrzehnten in Form der endoskopischen Operationen Einzug. Bezogen auf die Implantologie zählt z. B. die Durchführung eines Sinus-Lifts mit Knochenersatzmaterial, so dass ein zweiter OP-Situs wie der Beckenkamm, die Linea obliqua oder das Kinn entfällt. 29 31 33 35 37 39 41 43 Hahn: „Erst wenn die kariöse Zahnfläche nicht mehr ‚prophylaxefähig’ ist, d. h. nach einem Einbruch der Oberfläche mit unterminierender Ausbreitung, sind invasive Maßnahmen notwendig, um den Prozess zum Stillstand zu bringen. Oder bei aus anderen Gründen progredienten Läsionen, z. B. nicht kooperativen Patienten.“ 45 47 49 51 53 55 57 59 61 63 65 67 69 71 73 75 77 79 81 83 85 Wichmann: „Sicherlich ist das vornehmste Ziel präventionsorientierter Zahnmedizin, dass keine Zähne verloren gehen und somit auch keine Implantate zu deren Ersatz erforderlich werden. Allerdings sind wir noch weit von diesem Zustand entfernt und müssen uns daher noch länger mit der Frage minimal-invasiver Therapien im Zusammenhang mit Zahnersatz auseinandersetzen.“ 87 89 91 93 95 97 99 101 103 105 107 109 111 113 115 117 119 121 123 125 127 DENTAL MAGAZIN 4/2005 129 S014-022.qxd 29.07.2005 10:12 Seite 16 4 6 8 10 BRISANT MINIMAL-INVASIV! (TEIL 1 VON 2) Dr. Aneta PecanovSchröder: Im Expertenzirkel diskutieren Prof. Dr. Dr. S. Jepsen, PD Dr. P. Hahn, Prof. Dr. M. Wichmann, Dr. E. Behrens und Dr. G. M. Iglhaut 12 14 16 18 20 22 24 佥 26 28 Foto-Dokumentation von Dr. Petra Hahn – Ausgangssituation: Die Patientin, 26 Jahre, wünschte eine ästhetische Korrektur ihrer Oberkiefer-Frontzähne, einen Diastemaschluss. Die Behandlungsalternativen in dieser Situation sind Lückenschluss durch direkte Composite-Veneers, indirekte Veneers aus Composite oder Keramik, VMK- oder Vollkeramik-Kronen. Die Therapieentscheidung für das minimal-invasive Vorgehen mit direkten Veneers aus Composite wurde durch den Befund und den Patientenwunsch 30 32 34 36 38 40 42 44 einer zahnsubstanzschonenden Behandlung beeinflusst. Es lagen kariesfreie Frontzähne (außer Kl IV 11 mes) vor, keine Verfärbungen, nur kleiner Stellungsanomalien. Da die Patientin angab, ab und zu zu Knirschen, wurde, um die Restauration langfristig zu sichern, nach Abschluss der restaurativen Behandlung eine Knirscherschiene angefertigt. Patientin wünschte möglichst substanzschonende Versorgung zum Schluss der Diastemata. 46 48 50 52 54 56 58 60 62 64 66 68 70 72 74 76 78 80 82 84 86 88 Hahn: „Das klinische Bild der Karies hat sich durch ein gestiegenes Gesundheitsbewusstsein und durch die Verbreitung von Prophylaxemaßnahmen, vor allem mit Fluoriden, verändert. Heute finden wir eine große Zahl an Initialläsionen. Durch die Prophylaxe schreitet der kariöse Zerstörungsprozess langsamer fort. Kommt es zum Einbruch der Oberfläche, zeigt sich in den meisten Fällen eine eher kleine Kavitation – mit gegebenenfalls weit unterminierendem Defekt.“ Abb. 1 und 2: Laterales Diastema beidseits. Links: Frontal-Ansicht in Okklusion. Rechts: Ansicht in von okklusal. Abb. 3: Laterales Diastema beidseits durch direkte Compositeaufbauten an den Zähnen 13 mesial, 12 distal, labial und mesial, 11 distal, 21 labial und distal, 22 mesial, labial und distal, 23 mesial. 90 Abb. 5: Diastemaschluss. Frontal-Ansicht in Okklusion. Fotos: Dr. Hahn sowohl bei z. B. avitalen Einzelzähnen, wie auch bei kompletten Zahnbögen bei z. B. alters- oder entwicklungsbedingt dunklen Zähnen. Bei Zahnfehlstellungen, unfallbedingten Klasse IV-Defekten oder angeborenen Missbildungen (z. B. Zapfenzähnen) haben wir mit der Adhäsivtechnik zusammen mit modernen, ästhetischen Compositematerialien eine sehr zahnsubstanzschonende Möglichkeit der Rekonstruktion und ästhetischen Verbesserung. Nehmen auch die gestiegenen Ansprüche an dentale Ästhetik auf die Entwicklung minimal-invasiver Therapiewege Einfluss? Hahn: Auf jeden Fall verlangen sie neue Wege in der Zahnerhaltung. z. B. ermöglicht das Bleichen von Zähnen eine Verbesserung des Erscheinungsbildes, Eine substanzschonende und defektbezogene Vorgehensweise stellt hohe Ansprüche an das Können und die Ausrüstung des Zahnarztes dar. Welche Instrumente oder Geräte gehören Ihrer Erfahrung zwingend zu einem minimal-invasiven Konzept, Frau Hahn? 92 94 96 98 100 102 104 106 108 110 112 114 116 118 120 Weitere Foto-Dokumentationen von Prof. Dr. M. Wichmann, Dr. Dr. E. Behrens und Dr. Gerhard M. Iglhaut in Teil 2 des Expertenzirkels in der DM-Oktober-Ausgabe. 122 124 126 128 130 Abb. 4: Diastemaschluss, frontale Ansicht. DENTAL MAGAZIN 4/2005 S014-022.qxd 29.07.2005 10:13 Seite 17 3 BRISANT 5 Dr. Aneta PecanovSchröder: Im Expertenzirkel diskutieren Prof. Dr. Dr. S. Jepsen, PD Dr. P. Hahn, Prof. Dr. M. Wichmann, Dr. E. Behrens und Dr. G. M. Iglhaut 9 MINIMAL-INVASIV! (TEIL 1 VON 2) 7 11 13 15 17 19 21 PD Dr. Petra Hahn Nach dem Studium der Zahnheilkunde an der Albert-Ludwigs-Universität in Freiburg begann ihre berufliche Laufbahn als wissenschaftliche Assistentin in der Abteilung Poliklinik für Zahnärztliche Prothetik der Universitätsklinik in Freiburg. 1987 folgte dann der Wechsel in die Abteilung Poliklinik für Zahnerhaltungskunde und Parodontologie und nacheinander 1990 die Ernennung zur Akademische Oberrätin, 1996 zur Oberärztin und 2001 die Habilitation. Als Dozentin im Meisterkurs für Zahntechnik der Handwerkskammer Freiburg, Referentin für das Fortbildungsforum FFZ der südbadischen Zahnärzteschaft, Gastdozentin ist sie sehr aktiv und ist Autorin zahlreicher wissenschaftlicher Vorträge und Publikationen im In- und Ausland. eine Software zur Risikobestimmung hilfreich (z. B. Cariogram). Für die frühzeitige Diagnose einer approximalen kariösen Läsion müssen neben der visuellen Diagnose sensiblere Techniken eingesetzt werden. Solange wir noch keine mindestens gleichwertigen Alternativen zur Verfügung haben, sind wir im Approximalbereich auf Bissflügel-Röntgen-Aufnahmen angewiesen. Zusätzlich kann auch die Fiberoptiktransillumination dem erfahrenen Anwender wertvolle Hinweise auf einen Approximaldefekt geben. Empfiehlt sich zur Diagnose der okklusalen Karies auch der Einsatz von Laserfluoreszensmessung, beispielsweise Diagnodent? Hahn: Ja, durchaus. Bei unsicherem Befund ist zur Diagnose der okklusalen Karies neben der Laserfluoreszensmessung auch die Widerstandsmessung sinnvoll. Die minimale Eröffnung der Fissur mit den speziellen Mikro-Diamant- oder Hartmetall-Schleifkörpern oder auch schallaktivierten Instrumenten bietet ebenfalls eine Alternative. 23 25 27 29 31 33 35 37 39 Hahn: „An der Zahn-, Mund- und Kieferklinik der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg ist dieser Therapie-Ansatz fest verankert. In der Abteilung für Zahnerhaltungskunde und Parodontologie basiert sowohl die Lehre als auch die klinische Behandlung auf minimalinvasiven Grundsätzen.“ 41 43 45 47 49 51 53 55 57 59 61 63 65 Hahn: Spezielle Mikro-Diamant- oder HartmetallSchleifkörper oder auch schallaktivierte Instrumente ermöglichen bei der Präparation einer Kavität die gezielte, substanzschonende Präparation des Zugangs zur Karies. Für die Exkavation der Karies ist die Anwendung einer Färbelösung zur Anfärbung der Karies vor allem in unter sich gehenden Bereich der Kavität empfehlenswert, z. B. im schlecht einsehbaren Bereich der Schmelz-Dentin-Grenze. Wenig sinnvoll ist die Anwendung hingegen in Pulpanähe. Bei der Sekundärpräparation, der Nachbearbeitung der Kavitätenränder, stellt vor allem bei kleinen Kavitäten die Verletzung des Nachbarzahnes ein großes Problem dar. In nahezu 100 Prozent der Erstversorgungen wird der nicht geschützte Nachbarzahn verletzt. Wir empfehlen deshalb den Einsatz von speziellen dicken Matrizen bei der Verwendung von rotierenden Instrumenten oder die Anwendung von oszillierenden Instrumenten wie schallaktivierten Ansätzen (z. B. Sonicflex-Ansätze von KaVo, Piezon Instrumente von EMS) oder einseitig diamantierte Feilen (z. B. von Intensiv). Vor dem Einsatz spezieller Instrumente ist im minimal-invasiven Therapiekonzept jedoch zunächst eine umfassende Anamnese und Befunderhebung, die die Bestimmung der Kariesaktivität zusammen mit den individuellen Risikofaktoren einschließt, Voraussetzung. Hierzu ist 67 Prof. Jepsen, welche Rolle spielen Diagnoseverfahren in der Parodontologie mit Blick auf eine minimal-invasive Therapie? Jepsen: Ein sehr gutes Beispiel ist die Entwicklung der Laserfluoreszenzspektroskopie. Hier werden schon in Kürze praxisreife Verfahren zur Verfügung stehen, die beispielsweise durch faseroptische Detektion von sub- 69 71 73 75 77 79 81 Dr. Gerhard Michael Iglhaut Der Oralchirurg mit Tätigkeitsschwerpunkt Implantologie (BDIZ) und Spezialist der Parodontologie (EDA) ist seit 1987 in freier Praxis in Memmingen/Allgäu niedergelassen. Seine Fachkompetenz lässt er in regelmäßgier Referententätigkeit national und international in den Bereichen Implantologie, Parodontologie, parodontale Mikrochirurgie und Microdentistry einfließen. Seit 2005 ist Dr. Iglhaut Dozent für den Studiengang Master of Science in Oral Implantology der Steinbeis-Universität Berlin und der Deutschen Gesellschaft für Implantologie (DGI). Darüber hinaus gehört Dr. Iglhaut als Fortbildungsreferent zum Vorstand der DGI. Iglhaut: „Die minimalinvasive Zahnheilkunde hat auch im Bereich der Implantologie Einzug gehalten. Durch Entwicklung neuer Techniken und Instrumente kann der Patientenkomfort und die Erfolgsaussicht erhöht werden, wichtige Kriterien für beruflich wie privat aktive Menschen. Erhebliche Einschränkungen durch Krankheit werden heute kaum mehr toleriert und sollten in einer patientenorientierten Praxis vermieden werden!“ 83 85 87 89 91 93 95 97 99 101 103 105 107 109 111 113 115 117 119 121 123 125 127 DENTAL MAGAZIN 4/2005 129 S014-022.qxd 29.07.2005 10:13 Seite 18 4 6 8 10 BRISANT MINIMAL-INVASIV! (TEIL 1 VON 2) Dr. Aneta PecanovSchröder: Im Expertenzirkel diskutieren Prof. Dr. Dr. S. Jepsen, PD Dr. P. Hahn, Prof. Dr. M. Wichmann, Dr. E. Behrens und Dr. G. M. Iglhaut 12 14 16 18 20 22 24 佥 26 28 Foto-Dokumentation von Prof. Dr. Dr. Søren Jepsen Regenerative parodontalchirurgische Therapie eines vertikalen Defekts bei einer 55-jährigen Patientin mit fortgeschrittener chronischer Parodontitis nach antiinfektiöser Therapie (Papillenerhaltende Schnitt- 30 32 34 führung, Applikation von Emdogain). Das evidenzbasierte Vorgehen zeichnet sich durch eine sehr gute Vorhersagbarkeit und postoperative Wundheilung bei minimaler Belastung des Patienten aus. 36 38 40 Prof. Dr. Dr. Søren Jepsen, M.S. 42 44 46 48 50 52 54 56 58 60 62 64 66 68 70 72 74 76 78 80 82 84 86 88 90 92 94 Jepsen: „In der universitären vorklinischen Ausbildung ist der Gedanke der minimal-invasiven Zahnheilkunde leider keineswegs etabliert – das Gegenteil ist der Fall! Das liegt an der veralteten Approbationsordung und der damit verbundenen Ausrichtung des vorklinischen Studiums auf Zahnersatz. Es bleibt zu hoffen, dass mit einer baldigen Umsetzung des neuvorgelegten Entwurfs der AppO-Z ein deutlicher Wandel eintritt. In den klinischen Kursen werden in den Fächern Zahnerhaltung und Parodontologie bereits heute gewebeschonende, defektorientierte Vorgehensweisen gelehrt.“ Abb. 1a: Zahn 33 mit mesialen Sondierungstiefen von 7 mm. Fotos: Prof. Jepsen Abb. 1b: Röntgenologisch sichtbarer vertikaler Defekt (Ausschnitt aus Panoramaaufnahme). ist Direktor der Poliklinik für Parodontologie, Zahnerhaltung und Präventive Zahnheilkunde an der Universität Bonn. Der gebürtige Hamburger, der in den USA sowohl ein Postgraduierten-Programm Parodontologie (Loma Linda University, Kalifornien, USA) als auch ein Post-Doktorat absolviert hat, war danach zunächst als Oberarzt an der Universität Kiel tätig. Prof. Jepsen ist Diplomate of the American Board of Periodontology, Vorstandsmitglied der Deutschen Gesellschaft für Parodontologie (DGP) und der European Federation of Periodontology (EFP) und aufgrund zahlreicher Publikationen und Vorträge international bekannt. gingivalen Konkrementen die Qualität der parodontalen Behandlung bei minimal-invasiver Vorgehensweise sichern und noch weiter verbessern können. Abb. 1c: Papillenerhaltende Schnittführung Abb. 1d: Blick in den vertikalen Zweiwanddefekt mit mesialer Defektbegrenzung (weißer Pfeil). 96 98 100 102 104 106 108 Bei der IDS 2003 wurde die Anwendung von rotierenden (Einweg-)Instrumenten auf Polymerbasis vorgestellt. Damit sollte Dentinkaries selektiv entfernt werden, ohne aber gesundes Dentin abzutragen. Hahn: Abgesehen von den Instrumenten auf Polymerbasis (SmartPrep) ermöglicht auch eine chemomechanische Exkavation (mit Carisolv) eine selektive und damit schonende Entfernung der Karies. Eine sinnvolle Einsatzmöglichkeit dieser Techniken – zur Reduktion des Risikos einer Pulpaeröffnung – liegt beim Entfernen einer pulpanahen Karies. 110 112 114 116 118 120 Abb. 1e: Situation bei Nahtentfernung nach zehn Tagen und primärer Wundheilung. 122 124 126 128 130 DENTAL MAGAZIN 4/2005 Abb. 1f: Situation nach sechs Monaten mit deutlicher Taschenreduktion und nur geringfügiger Rezession. Welche Rolle spielen Adhäsivsysteme in der minimal-invasiven Therapie? Hahn: Für die defektbezogene Rekonstruktion bietet die adhäsive Verankerung eine nahezu perfekte Technik. Durch die vielen Anwendungsmöglichkei- S014-022.qxd 29.07.2005 10:13 Seite 20 4 6 8 10 BRISANT MINIMAL-INVASIV! (TEIL 1 VON 2) Dr. Aneta PecanovSchröder: Im Expertenzirkel diskutieren Prof. Dr. Dr. S. Jepsen, PD Dr. P. Hahn, Prof. Dr. M. Wichmann, Dr. E. Behrens und Dr. G. M. Iglhaut 12 14 16 18 20 22 24 26 28 30 32 34 36 38 40 42 44 46 48 50 52 54 56 58 60 62 64 66 68 70 72 74 76 78 80 82 84 86 Wichmann: „Im Bereich der Implantologie selbst wird heute an Verfahren gearbeitet, die wiederum die Invasivität des implantologischen Eingriffs minimieren. Hier können stellvertretend Techniken wie die „flapless surgery“ genannt werden, bei denen auf eine umfangreiche Weichteilmobilisierung verzichtet wird. Ein weiteres Beispiel ist die Entwicklung geeigneter Knochenersatzmaterialien, wodurch sich ein weiterer invasiver Eingriff zur Entnahme von Knochen (z. B. Beckenkamm) vermeiden lässt…“ 88 90 92 94 96 98 100 102 104 106 108 110 112 114 116 118 120 Behrens: „Auch in unserer Klinik hat das Behandlungskonzept der minimal-invasiven Therapie einen festen Platz in den Vorlesungen der einzelnen Disziplinen. Das betrifft alle Fachbereiche.“ ten der modernen Adhäsivsysteme sind wir heute in der Lage sowohl sehr kleine Kavitäten wie andererseits auch immer größer werdende Defekte mit der direkten wie auch indirekten Technik substanzschonend zu versorgen. Als spezielle Instrumente für die Versorgung sehr kleiner Kavitäten sind spezielle Mikro-Modellationsinstrumente hilfreich, wie sie von verschiedenen Herstellern angeboten werden. Substanzschonung bei der Ausarbeitung verlangt ein abgestimmtes Instrumentenset aus diamantierten Finierinstrumenten, ggf. Hartmetallfinierern, Silikonpolieren und Schleifscheiben und ggf. Polierpasten, durch das die Gefahr der Verletzung der gesunden Zahnsubstanz minimiert wird. Herr Dr. Iglhaut, würden Sie die Liste noch ergänzen? Iglhaut: Meiner Erfahrung nach gehören Vergrößerungshilfen wie Lupe oder OP-Mikroskop mit entsprechender Beleuchtungseinrichtungen (Xenon-Licht) auch klar zu einem minimal-invasiven Konzept. Wichmann: Grundsätzlich setzt das gegenüber konventionellen Verfahren jeweils besondere Kenntnisse und Fertigkeiten sowie einen höheren apparativen Aufwand voraus. Im Hinblick auf den Einsatz enossaler Implantate muss z. B. die spezielle Kenntnis der chirurgischen und prothetischen Besonderheiten implantologischer Versorgungen vorhanden sein… Behrens: …man sollte Schleimhautstanzen im Instrumentarium haben, ebenso Knochenersatzmaterialien. In der Klinik wenden wir CAD/CAM Techniken an; digitales Röntgen und Navigation sind selbstverständlich. Wichmann: Neben der Ausrüstung muss auch die Infrastruktur für implantologische Eingriffe vorgehalten werden. Der apparative und damit finanzielle Aufwand beim Einsatz besonderer bildgebender Verfahren, die ein weniger invasives Vorgehen ermöglichen, ist ebenfalls gegenüber den Standardtechniken erhöht. Es klang ja schon mehrfach an: Apparative Diagnostik spielt für eine minimal-invasive Herangehensweise eine wichtige Rolle. Reicht klinische Diagnostik nicht mehr aus? Hahn: Nur mit der rein klinischen Diagnostik, ohne die Erhebung zusätzlicher Befunde, erkennen wir nur jede dritte approximale Karies bevor sie zum Einbruch der Randleiste geführt hat. Und für die Diag- 122 124 126 128 130 DENTAL MAGAZIN 4/2005 Prof. Dr. Manfred Wichmann hat 1993 in Hannover habilitiert. Seit 2000 lehrt er an der Universität Erlangen-Nürnberg und ist Direktor der Poliklinik für Zahnärztliche Prothetik. Nach 10-jähriger Arbeit im Vorstand der DGZPW wurde Prof. Wichmann im Jahre 2004 in den Vorstand der DGI gewählt. Durch zahlreiche wissenschaftliche Publikationen, Buchbeiträge und umfangreiche Vortragstätigkeit ist er international bekannt. nose einer Fissurenkaries, die das Dentin erreicht hat, ist die klinische Diagnose noch unsicherer. Behrens: Absolut! Ohne eindeutige Diagnostik ist keine adäquate Therapie möglich. Daher sind digitales Röntgen, Laserfluoreszenz-Verfahren und molekularbiologische Untersuchungen wie z. B. DNA-Sondentests zur Keimbestimmung bei einer periimplantären Infektion unumgänglich. Über die perfekte Diagnosestellung kann eine minmal invasive Therapie erst indiziert sein. Hahn: Durch die Anwendung sensiblerer Techniken in der Kariesdiagnostik wie z. B. Bissflügel-Röntgen (analog und digital), Fiberoptiktransillumination, Laserfluoreszensmessung und Widerstandsmessung sind wir viel früher in der Lage eine kariöse Zerstörung festzustellen, als dies mit der rein visuellen Diagnostik möglich wäre. Deshalb sollte das Bissflügelröntgen bei der Erstuntersuchung zur Routine gehören. Die zusätzlichen Methoden zur OkklusalKariesdiagnose (Laserfluoreszensmessung, Widerstandsmessung) können durch eine explorative Untersuchung der Fissur umgangen werden, die allerdings – wenn keine Dentinkaries vorliegt – unnötigen Substanzverlust bedeutet. Wichmann: In der Implantologie sind insbesondere die bildgebenden Verfahren von großer Bedeutung. In jüngster Zeit spielen dabei die dreidimensional auflösenden tomographischen Techniken eine zunehmend wichtigere Rolle, da sie im Rahmen der Behandlungsplanung- und Durchführung eine präzise Beurteilung des Hartgewebs-Angebotes bzw. Defizites erlauben. Für Techniken der „flapless surgery“ sind sie sogar unabdingbare Voraussetzung. S014-022.qxd 29.07.2005 10:13 Seite 22 4 6 8 10 BRISANT MINIMAL-INVASIV! (TEIL 1 VON 2) Dr. Aneta PecanovSchröder: Im Expertenzirkel diskutieren Prof. Dr. Dr. S. Jepsen, PD Dr. P. Hahn, Prof. Dr. M. Wichmann, Dr. E. Behrens und Dr. G. M. Iglhaut 12 14 16 18 20 22 24 26 28 30 32 34 36 38 40 42 44 46 48 50 52 54 56 58 60 62 64 66 68 Behrens: „Meiner Erfahrung nach, werden mit der minimal-invasiven Therapie die Kosten neutral gehalten. Wenngleich die Diagnostik eventuell etwas kostenaufwändiger ist, gleicht sich dies in der Therapie durch manche ersparende Behandlungsschritte aus.“ 70 72 74 76 78 80 82 84 86 88 90 Iglhaut: „Die minimalinvasive Zahnheilkunde sollte meines Erachtens fester Bestandteil der Ausbildung heute sein. In der Praxis sehe ich diesen innovativen Ansatz bereits umgesetzt.“ 92 94 96 98 100 102 104 106 108 110 112 114 116 118 120 Teil 1 des Expertenzirkels können DM-Leser unter www.dentalmagazin.de herunterladen. Prof. Wichmann, Sie hatten vorhin schon den finanziellen Aspekt angesprochen, lassen Sie uns darauf noch einmal eingehen: Welchen Einfluss haben „minimal-invasive“ Therapie-Konzepte auf die unmittelbaren (Behandlungs-)Kosten für den Patienten? Ist die Behandlung für den Patienten unter dem Strich preiswerter, teurer oder kostenneutral im Vergleich zu Therapien ohne besonders substanzschonendes Vorgehen? Wichmann: Am Beispiel implantatgetragenen Einzelzahnersatzes, vollkeramischer Klebebrücke und 3-D-navigierter Implantation wird deutlich, dass minimal-invasiven Therapien gegenüber den konventionellen Alternativen zunächst finanziell aufwändiger sind. Das liegt an ihrer zumeist höheren Komplexität, des höheren apparativen und materiellen Aufwands sowie des bereits beschriebenen höheren Anforderungen an Kenntnis- und Fertigkeit auf Seiten des Behandlers. Allerdings relativiert sich diese Betrachtungsweise bei einer längerfristigen Sichtweise. Aufgrund fehlender Kollateralschäden, die bei den invasiveren konventionellen Therapieformen unvermeidlich sind, kann langfristig durchaus eine Kostenneutralität, wenn nicht gar ein finanziell günstigerer Ausgang, erwartet werden. Gilt das auch für den Bereich der Zahnerhaltung, Frau Dr. Hahn? Hahn: Hier sind die Auswirkungen auf die Kosten für den Patienten verschieden. Im Bereich der erweiterten Befunderhebung und Diagnostik können für den Patienten zusätzliche Kosten entstehen, z. B. durch die Anwendung eines Kariesaktivitätstests oder moderne Techniken zur Karies-Diagnose. Auch Prophylaxe-Maßnahmen wie eine antibakterielle Therapie unter Verwendung von einem Medikamententräger oder eine professionelle Zahnreinigung bringen zusätzliche Kosten mit sich. Bei der selektiven Kariesexkavation können durch die Anwendung der entsprechenden Instrumente oder Substanzen, wie ich sie angesprochen habe, ebenfalls weitere Kosten entstehen. Im Gegensatz dazu besteht bei der Therapie größerer Substanzdefekte heute durch die Adhäsivtechnik die Möglichkeit, in verschiedenen Fällen eine indirekte Restauration (Teilkrone oder Krone) zu vermeiden. Auch durch die direkte Rekonstruktion von Frontzahn-Fehlstellungen oder -Verletzungen 122 124 126 128 130 DENTAL MAGAZIN 4/2005 Dr. Eleonore Behrens absolvierte das Studium der Medizin und Zahnmedizin an der Christian-Albrechts-Universität in Kiel und am Flinders Medical Center Adelaide, Australien. Nach dem Staatsexamen folgte die Assistentenzeit in freier Praxis. 1992 begann die Ausbildung als Assistentin in der Klinik für Zahnärztliche Prothetik, Propädeutik und Werkstoffkunde an der Christian Albrechts-Universität Kiel (Direktor: Professor Dr.K.H.Körber). 1995 erfolgte die Ernennung zur Oberärztin und 1996 zur stellvertretenden Direktorin. 1999 folgte der Wechsel in die Klinik für Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie der Christian-Albrechts-Universität Kiel (Direktor: Professor Dr.Dr.F.Härle). 2004 begann die Tätigkeit als freie Mitarbeiterin in der Klinik für MKG-Chirurgie der CAU Kiel (Direktor: Professor Dr. Dr. J. Wiltfang) in der Sektion Implantologie und die Gründung der Firma „ELAN“ („Conference and Science Medical Consulting“, Direktor: Dr. Eleonore Behrens). Seit 1993 bis heute liegt der Forschungsschwerpunkt in der Dentalen Implantologie können Veneers oder Kronen umgangen werden. Damit werden weiterer Substanzverlust durch die Präparation vermieden und gleichzeitig Kosten gespart. Herr Dr. Iglhaut, wie ist Ihre Erfahrung als niedergelassener Zahnarzt? Iglhaut: Teilweise schließe ich mich meinen Vorrednern an: Der apparative und zeitliche Aufwand ist bei minimal-invasiven Therapie-Konzepten deutlich erhöht. Dies muss zwangsläufig die Behandlungskosten verteuern. Andererseits erhöht das Arbeiten mit Vergrößerungshilfen und Mikroinstrumenten die Präzision und damit die Ergebnisqualität der Therapie. Dies sichert einen langfristigen Behandlungserfolg mit entsprechender Nachhaltigkeit für den Patienten. Kalkuliert man den Zeitfaktor mit ein, wird die Behandlung unter dem Strich preiswerter. Teil 2 des Expertenzirkels „Minimal-invasiv!“ erscheint in der nächsten DM-Ausgabe am 10. Oktober.