Emotion und Sprache

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Emotion und Sprache
1. Einleitung
In meiner Diplomarbeit beschäftigte ich mich mit Fragen zum Thema Emotion und
Sprache. Emotionen sind im Leben von uns allen zentral und bedeutsam. Interessant ist, auch vom Standpunkt der Logopädin aus, deren Verbindung zur Sprache,
denn es gibt im Menschen offensichtlich einen Drang, Gefühle in Worte zu fassen.
Ebenso gibt es aber auch das Phänomen, aufgrund starker oder fehlender Gefühle
«sprachlos» zu sein.
Ziel meiner Arbeit war es daher, dem engen Zusammenhang von Emotionen und
Sprache nachzuspüren und nach Theorien zu suchen, die Aussagen zu diesem Zusammenhang machen.
SAL-Bulletin Nr. 133
September 2009
Sabine Kägi,
dipl. Logopädin
Auszüge aus der
Diplomarbeit /
Bachelor-Thesis,
SHLR 2005/08
2. Definition Gefühl/Emotion
Eine genaue Definition der Begriffe «Emotion» und «Gefühl» ist angezeigt. In meiner
Definition lehne ich mich T. Hülshoff (2006:14) an, der eine systemisch-integrative
und damit wissenschaftlich sehr aktuelle Sichtweise vertritt. Er begreift das Gefühl
als ein mehrdimensionales Geschehen. Dieses hat eine körperliche und eine seelische Dimension, steht aber auch in Wechselwirkung mit dem Denken und Handeln
einer Person, und hat Ursachen und Auswirkungen im sozialen Bereich bzw. in den
zwischenmenschlichen Beziehungen. Ein Gefühl entsteht also in Wechselwirkung
mit der Umwelt. Eine Emotion oder ein Gefühl ist, gemäss Hülshoff, eine körperlich-seelische Reaktion auf einen inneren oder äusseren Umweltreiz (ein Ereignis,
einen eigenen Gedanken oder einen zwischenmenschlichen Austausch), der aufgenommen, verarbeitet, klassifiziert und interpretiert wird, wobei, ganz wichtig, auch
eine Bewertung des Geschehens stattfindet.
Bei einem Gefühl steht, gemäss Hülshoff, zunächst ein körperlich-vegetativer Aspekt im Vordergrund: Gefühlstypische Veränderungen zeigen sich im Organsystem,
im Herz-Kreislauf-System, in der Motorik etc. Unsere Sprache kennt dafür viele
Bilder wie «erschauern vor Angst», «sich den Kopf zerbrechen», «etwas zum Kotzen finden» etc.. Dieser Aspekt ist der sogenannte «Emotions-Aspekt».
Zweitens umfasst eine Emotion einen erlebten Zustand, eine Stimmung, die auch
benannt und beschrieben werden kann («Gefühlsaspekt»). Beispiele dafür wären
Empfindungen von Wut, Angst oder Hass.
Drittens: Emotionen können teilweise bewusst gemacht werden. Beispiel: «Ich
kriege eine solche Wut!». Dieses Bewusstwerden und In-Sprache-Fassen wird als
«kognitiver Aspekt» bezeichnet. Viertens können Gefühle vom Willen zum Teil kontrolliert und gesteuert werden (Verhaltensaspekt). Beispiel: «Ich kriege eine solche
Wut – am besten zähle ich bis zehn bevor ich etwas sage!»
Zusammengefasst kann man, so Hülshoff, sagen, dass Emotionen uns helfen, die
Welt auszulegen und zu bewerten. Lustvolle Emotionen werden dabei vorgezogen
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und nicht lustvolle Emotionen gemieden. Lust oder Unlust spielen eine ausserordentlich wichtige Rolle in unserem Leben und bestimmen oft über unser Tun. Emotionen werden von Hülshoff mit dem prägnanten Ausdruck eines «Beratungsdienstes» (2006:31) bezeichnet, der uns hilft, Situationen zu bewerten, Entscheidungen
zu fällen und angemessen auf Umweltreize zu reagieren. Das Ziel der Regulation des menschlichen Organismus mittels Gefühlen ist die Aufrechterhaltung der
sogenannten Homöostase. Die Homöostase ist das Gleichgewicht der inneren Zustände des Körpers, das trotz vieler verschiedener äusserer und innerer Reize die
Funktionsfähigkeit des Körpers garantieren soll. (Beispielsweise muss der Körper
trotz einer Schreckreaktion weiterhin Herzschlag und Atmung aufrechterhalten.)
Emotionen sind also lebenswichtig, und umfassen - kurz gesagt - einen körperlich-vegetativen (Emotions-)Aspekt als auch einen gefühlsmässig-subjektiven
(Gefühls-)Aspekt. Gefühle können eingeteilt werden in Primär- und Sekundäremotionen (Angst, Freude, Ekel, Ärger, Trauer bzw. Stolz, Scham, Schuld, Neid und
Verlegenheit). Ambivalente Gefühle sind sehr häufig und führen zu komplexen Gefühlslagen, die wohl jeder von uns kennt.
Neurophysiologisch gesehen werden primäre Gefühle vor allem in der funktionellen Einheit des «Limbischen Systems» hervorgebracht. Dieses liegt am Übergang
vom Zwischen- zum Grosshirn und besteht aus Amygdala, Hippocampus, Teilen des
Hypothalamus, Mamillarkörper und Fornix.
3. Spiegelneurone als Bindeglied zwischen Emotionen und Sprache
Lange Zeit hatte die Wissenschaft auf die Frage der neuronalen Grundlagen der
Einfühlung und Sprache und damit auch auf die Frage «Was geschieht zwischen
dir und mir?» keine Antwort. In den letzten Jahren ist man den Antworten auf diese
Fragen etwas näher gekommen.
Anfangs der 1990er Jahre machte eine Gruppe von Neurophysiologen an der Universität von Parma eher zufällig eine interessante Entdeckung. Giacomo Rizzolatti, Vittorio Gallese und Leonardo Fogassi interessierten sich für die Bewegungsplanung
im Säugetiergehirn und untersuchten dazu die Aktivität einzelner Nervenzellen im
Gehirn eines Makakenäffchens, während dieses nach verschiedenen Objekten wie
zum Beispiel Obststückchen griff. Die Journalistin Katja Gaschler beschreibt die
dabei gemachten Entdeckungen folgendermassen:
Dazu hatten sie einige Elektroden in einem Hirnareal namens F5 im unteren
Teil des prämotorischen Cortex platziert – in diesem Bereich der Grosshirnrinde werden Handlungen geplant und angestossen. Kurz vor einer weiteren
Messung langte Fogassi selbst nach einer Rosine. Das verkabelte Äffchen
rührte sich nicht, aber es beobachtete den Experimentator und löste im
nächsten Moment einen kleinen Tumult aus. Denn das Messgerät sprach an:
Eines der prämotorischen [handlungsplanenden, Anm. d. Verf.] Neurone feu24
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erte, genau wie in den Versuchen zuvor, als der Makake selbst nach den Leckerbissen gegriffen hatte! (2006:28)
Die Forscher merkten, dass sie eine Nervenzelle entdeckt hatten, die nicht nur aktiv war, wenn das Tier sich selbst bewegte, sondern auch wenn es mit ansah, wie
jemand anderes dies tat. Die Nervenzellen, die auf diese Weise reagierten, nannten
die Forscher Spiegelneurone oder Spiegelnervenzellen.
Joachim Bauer, Professor für Psychoneuroimmunologie in Freiburg i. B., hat in
deutscher Sprache über das Konzept der Spiegelneurone publiziert (2005). Bei seinen Überlegungen geht er von alltäglichen Phänomenen aus, die mit dem Konzept
der Spiegelneurone erklärbar sind:
In so genannten Resonanzphänomenen treten Menschen, gemäss Bauer (2005:7),
intuitiv in einen Austausch. So ist beispielsweise Lachen ansteckend, aber auch
Gähnen, eine gewisse Sitzhaltung oder der emotionale Ausdruck anderer Menschen, indem man beispielsweise das Gesicht verzieht, wenn jemand Schmerz erleidet. In der Psychoanalyse sind diese Phänomene unter dem Namen «Übertragung» und «Gegenübertragung» schon lange bekannt. Diese Spiegelung geschieht
intuitiv und unbewusst. Auch Blicke des Gegenübers binden die Aufmerksamkeit
und lösen Mitreaktionen aus (dieses Phänomen ist auch in der Logopädie bekannt
als sogenannte Joint Attention).
Bauer (2005:23) sieht folgenden Zusammenhang zwischen Alltagserleben und den
Spiegelneuronen: Auf jede beobachtete (oder auf andere Weise miterlebte) Handlung wird eine bioelektrische Resonanz im Körper ausgelöst, die einer Simulation
der tatsächlich durchgeführten Handlung entspricht.
Die Aktivierung dieser Spiegelneuronensysteme lassen sich auch beim Menschen
mit Hilfe der Kernspintomographie nachweisen. Ausschliesslich beim Menschen
kann, gemäss Bauer, nachgewiesen werden, dass die Systeme auch dann «funken», wenn er gebeten wird, er möge sich eine Handlung nur vorstellen. Am meisten feuern sie jedoch, wenn eine beobachtete Handlung simultan imitiert werden
kann.
In weiteren Experimenten konnte nachgewiesen werden, dass die Aktivierung
der Spiegelneuronensysteme auch gelingt, wenn eine kurze Anfangssequenz einer Handlung nur angedeutet wurde. Und noch brisanter: Diese Aktivierung erfolgt nicht nur bei motorischen Aktivitäten, sondern auch bei Empfindungen und
Gefühlen. Empfindungen und Gefühle einer anderen Person werden also intuitiv
verstanden. Dabei reicht ein kurzer Eindruck von einer Person aus, um eine intuitive Ahnung zu erzeugen (2005:44). Intuitive Ahnungen von Gefühlen und Handlungen haben gegenüber dem rationalen Verstand den Vorteil, dass sie spontaner
und schneller ablaufen. Wie die Experimente auch bewiesen, reduzieren Angst,
Anspannung und Stress die Möglichkeiten der Spiegelneurone erheblich. Diese Erkenntnis spielt insbesondere für das Lernen eine grosse Rolle.
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Interessanterweise fühlten sich die Spiegelneurone, gemäss Bauer (2005:38), immer nur angesprochen, wenn ein biologischer Akteur, also eine lebende und handelnde Person, einen Handlungsplan veranlasste. Technische Vorbilder hatten auf
die Spiegelneurone keinen aktivierenden Effekt. Hingegen wirkten lebende Vorbilder in Film, Fernsehen oder PC-Spielen ebenfalls aktivierend auf die Spiegelneuronensysteme.
Bauer bezeichnet das intuitive Wissen um innere Zustände und die Voraussage der
Bewegungen und Absichten anderer Menschen als «Frühwarnsystem» (2005:14).
Diese Intuition funktioniert ohne den analytischen Verstand und ist daher in der
Lage, sehr schnell und effizient zu arbeiten. In kürzester Zeit kann sie Vorhersagen
und Gewissheiten über Gefühle und Absichten anderer Menschen bilden, dies wird
dann mit dem Fachbegriff als Theory of Mind bezeichnet (2005:50).
Ziel dieser unwillkürlichen Ahnungen ist es, gemäss Bauer (2005:105), gemeinsame sogenannte «Bedeutungsräume» unter Menschen herzustellen.
Darunter versteht man die Erfahrung, in einen gemeinschaftlichen, vorsprachlichen, sozialen Bezugsraum «hinein genommen» zu werden, sei es durch Blicke,
Gesten oder Joint Attention. Dieser gemeinsame Bedeutungsraum ist eine wichtige
Voraussetzung für Kommunikation und Spracherwerb, aber auch für das soziale
Wohlbefinden. Wird einem Menschen der Zugang zum gemeinsamen Bedeutungsraum nicht gewährt, hat dies, gemäss Bauer (2005:16), auch negative psychische
und körperliche Auswirkungen (Folgen von Mobbing, frühkindliche Verwahrlosung).
Das Funktionieren der Spiegelneuronensysteme kann also als Voraussetzung für
den Spracherwerb gesehen werden.
3.1 Spiegelneurone und Emotionen
Die Nervenzellen für die Vorstellung von Empfindungen ergänzen, so Bauer,
(2005:42) die Programme für die Handlung und die Ziele einer Handlung durch Informationen darüber, wie sich die geplante Handlung für den Körper anfühlen würde. Erst die Kombination des handelnden und des empfindenden Systems ergibt die
neuronale Basis für die Vorstellung, Planung und Ausführung von Aktionen.
Dass das Gehirn immer auch fühlt, wenn Handlungen geplant werden, lässt sich,
so Bauer, mit modernen Untersuchungsverfahren nachweisen. Auch dies ist ein
automatisches, spontan ablaufendes Geschehen.
Die neurobiologische Resonanz, die wir in der Gegenwart anderer Menschen erleben, umfasst auch die inneren Organe und das emotionale Befinden sowie die
Schmerzwahrnehmung. In einer Untersuchung konnte, gemäss Bauer (2005:45),
bewiesen werden, dass Patienten, deren Ekelzentrum im Gehirn durch einen
Schlaganfall geschädigt war, nicht nur keinen Ekel mehr empfinden, sondern ihn
auch bei anderen Menschen nicht mehr erkennen konnten.
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3.2 Spiegelneurone und kindliche Entwicklung
Gemäss Bauer (2005:57) verfügt der Säugling bei der Geburt über ein bestimmtes
«Startset» an Spiegelnervenzellen, mit denen er bereits kurz nach der Geburt erste
Spiegelungsaktionen durchführen kann. So kann er zum Beispiel die Mimik eines
Erwachsenen imitieren, später auch die Motorik und die Lautbildung. Jedoch kann
der Säugling von sich aus noch nicht aktiv werden, er braucht einen geeigneten
Interaktionspartner, der ihn wiederum spiegelt und aktiviert. Zuerst bleibt das Kind
eher passiv, mit zunehmendem Alter beginnt es mehr zu imitieren, bevor es dann
beginnt, gewisse Handlungen selbständig im Spiel zu üben. Wie Bauer (2005:59)
betont, ist es ein Fehlschluss zu meinen, dass der Schlüssel zum Gelingen der
kindlichen Entwicklung ausschliesslich in den Genen zu finden sei. Tatsächlich hätten Beziehungserfahrungen und Lebensstil wiederum einen gewaltigen Einfluss
auf Gen-Aktivität und Mikrostrukturen des Gehirns.
Wie Bauer (2005:61) darlegt, hat bereits der Säugling ein emotionales und neurobiologisch begründetes Bedürfnis nach intuitivem Verstandenwerden, auf das der
Körper mit der Produktion von Opioiden (Glückshormonen) reagiert.
Wird dieses Bedürfnis nicht entsprechend beantwortet, wird sich ein Hospitalismus (frühkindliche Verwahrlosung) entwickeln. Frühe Spiegelungen führen also
zu körperlichem wie zu seelischem Glück, und legen so den Grundstein für die so
genannte emotionale Intelligenz und für das Gefühl der intuitiven Verbindung mit
einem anderen gleichartigen Wesen.
Ab dem Alter von 1 ½ Jahren tritt das Kind, gemäss Bauer, in die «Imitationsphase»
ein, die, wenn sie durch ein ausreichendes Spielangebot unterstützt wird, später
das volle Spektrum intuitiven Handelns und Verstehens ermöglicht. Da Handlungen
immer durch Wahrnehmungen begleitet werden, muss das Kind auch lernen abzuschätzen, ob es positive Gefühle oder Missempfindungen zu erwarten hat. Bauer
(2005:68) führt dazu folgendes Beispiel an: Wenn es neben seiner Mutter hinfällt,
wird es die Mutter anschauen und sich so erkundigen, ob ihm dieser Sturz sehr
oder nur wenig wehgetan hat. Das Kind braucht also die Eltern zum permanenten Abgleich. So speichert das Kind in seinen Netzwerken interne Arbeitsmodelle
äusserer Ereignisse und Abläufe in Form von Skripten und Schemata, nach denen
Menschen handeln und sich sozial organisieren. Es wird fähig zum Mitgefühl, wenn
die Spiegelsysteme durch zwischenmenschliche Erfahrung ausreichend eingespielt
und zur Funktion gebracht wurden. Normalerweise erwerben Kinder Empathie zwischen dem zweiten und dritten Lebensjahr.
3.3 Spiegelneurone und die Sprache
Wie bereits beschrieben, befinden sich im Gehirn die Nervenzellnetze, die für die
Sprachproduktion zuständig sind, an gleicher Stelle wie die Spiegelneurone des bewegungssteuernden Systems, nämlich in Area Brodman 44 und 45. Es ist, gemäss
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Bauer (2005:75), nicht ausgeschlossen, dass die Nervenzellen teilweise identisch
sind. Er meint daher, dass sich die Sprache im Verlauf der Entwicklung des Menschen aus den motorischen Systemen des Gehirns entwickelt habe.
Er bezeichnet die Sprache als «Teil des Resonanzsystems», das in uns Handlungsszenarien anstosse. Bauer schreibt dazu folgendes:
Ohne die durch Spiegelneurone vermittelte Resonanz wäre die Sprache nicht
jenes schnelle, hochwirksame Mittel, um Vorstellungen, die wir selbst haben,
in einen anderen Menschen einzuspiegeln. Die Sprache versetzt uns in die
Lage, Spiegelbilder unserer Vorstellungen im anderen wachzurufen und dadurch gegenseitiges Verstehen zu erzeugen. (2005:76)
Bauer geht davon aus, dass Sprache ursprünglich ein lautes Nachdenken über
Handlungen bzw. Handlungsszenarien war. Die Beziehung zu Handlungsszenarien
zeige sich auch daran, dass die Sprache Handlungsersatz sein könne und ein starkes dynamisches Leistungsvermögen beinhalte. Als Beispiel führt er an, dass wir
etwas Gesagtes manchmal wie einen «Schlag» oder eine «Ohrfeige» empfinden
können. Bauer (2005:78) legt dar, wie sich Sprache und Motorik beim Kleinkind parallel entwickeln und daher in einem engen Zusammenhang stehen.
Dazu führt er das Beispiel des rhythmischen Sprechens von Silben an, das sich
gleichzeitig mit dem Klatschen der Hände zeigt, und zwar zwischen dem sechsten
und achten Lebensmonat. Zwischen dem achten und zehnten Monat erwirbt das
Kind einfache Gesten und gleichzeitig bedeutungstragende Laute (wie «Da!»). Ab
dem elften bis dreizehnten Monat verbindet es sogenannte Gebrauchsgesten (beispielsweise Bürste zum Haar führen) mit ersten benennenden Worten.
Als weiteren Aspekt des Zusammenhangs zwischen Sprache und Motorik führt
Bauer (2005:79) an, dass ab ca. zwölf Monaten die gleiche Hirnhälfte im prämotorischen Areal das Sprachzentrum steuert, die für die Händigkeit verantwortlich
ist (bei Rechtshändern die linke Hirnhälfte). Mit der Zeit verdrängt die Sprache die
Gestik, aber ein enger Bezug zur Handlung bleibt: So ist der primäre Gegenstand
der Sprache, gemäss Bauer (2005:81), die Wiedergabe und Beschreibung der Art
und Weise, wie lebende Akteure in der Welt handeln, interagieren und was sie dabei
fühlen. Sprache kann sich also nur entwickeln, wo zwischenmenschliche Beziehungen das Terrain für Interaktionserfahrungen bieten.
3.4 Sprache und Verstehen
Bauer (2005:82) legt dar, dass Handlungen auch ohne Sprache, dank der Spiegelneurone, verstanden werden können. Andererseits ist es aber nicht möglich, Sprache
ohne entwickelte Handlungsvorstellungen zu bilden. Als Beispiel erwähnt er die
Apraxie, eine Bewegungsstörung, bei der die Patienten infolge der Unfähigkeit,
Handlungsfolgen zu planen und auszuführen, immer auch unter einer Aphasie
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(Sprachstörung) leiden. Umgekehrt kann aber die Handlungsfähigkeit trotz einer
Aphasie voll erhalten sein.
Intuitives Verstehen benötigt also keine Sprache, aber es gibt keine Sprache ohne
Verstehen (von Handlungen).
3.5 Sprache und Empfindungen
Bauer (2005:84) zeigt aber auch auf, dass die Sprache nicht unbedingt die Aktion
den Empfindungen vorzieht. Die Nervennetze, die Handlungsvorstellungen kodieren (auf dem inferioren prämotorischen Kortex), stehen in permanenter Verbindung
mit den Nervennetzen, in denen Vorstellungen von Empfindungen abgespeichert
sind (auf dem inferioren parietalen Kortex). Parallel zu jeder Handlungsvorstellung
wird also das Körpergefühl aktiviert, das sich bei der Handlung einstellen würde.
Dasselbe gilt auch für die Sprache, die ihren «Sitz» nicht nur am Ort der Handlungsvorstellungen hat (Broca-Areal), sondern auch am Ort der Sprachempfindung
und des Sprachverständnisses (Wernicke-Areal).
Durch von der Sprache ausgelöste Spiegelphänomene können im Zuhörer nicht nur
Handlungsideen aktiviert, sondern auch Körpergefühle hervorgerufen werden.
Gemäss Bauer, kann das, was wir einem Menschen sagen, eine starke Wirkung
erzielen und sein Befinden positiv oder negativ beeinflussen, indem im Hörenden
Handlungs- und Empfindungsvorstellungen erzeugt werden.
3.6 Schule und die Theorie der Spiegelneurone
Bauer (2005:122) bezeichnet die Spiegelneurone als entscheidende Bindeglieder
zwischen der Beobachtung eines Vorganges und dessen selbständiger Durchführung, d.h. als die neuronale Basis des Lernens am Modell. Im Zentrum dieses Modell-Lernens steht eine gute und konstruktive Arbeitsbeziehung zwischen Lehrperson und KlientIn oder SchülerIn. Die sozialen Aufgaben der Lehrperson umschreibt
Bauer folgendermassen: «Eltern [wie Lehrpersonen, Anm. d. Verf.] sollten die
Lernbemühungen von Schulkindern sehen, wahrnehmen und positiv zurückspiegeln»(2005:126). Als optimale Lernform bezeichnet Bauer das handlungsorientierte Lernen, da es seiner Meinung nach nicht reicht, den Schülern abstraktes Wissen
in sprachlich verpackter Form darzubieten. Das handelnde und fühlende Ausprobieren des Gelernten sollte eine zentrale Stellung einnehmen, da es in den neuronalen Netzwerken vor allem um Handlungsvorstellungen und Empfindungen gehe.
3.7 Fazit
Durch das Konzept der Spiegelneurone, das anfangs der 90er Jahre in Parma entdeckt wurde, konnte erstmals das Phänomen des intuitiven Verständnisses anderer
Menschen und des emotionalen Mitschwingens (Empathie) auf neurobiologischer
Ebene festgemacht werden. Spiegelneurone sind Neurone im prämotorischen Kor29
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tex, in denen vollständige oder angedeutete Bewegungen oder Gefühle, seien sie
selber durchgeführt oder nur bei anderen beobachtet worden, codiert sind. Ein
grosser Teil dieser Spiegelneurone hat ihren Sitz im sogenannten Broca-Areal, das
auch für die Sprache zuständig ist. Insofern liegt ein Zusammenhang zwischen motorischer Aktivität, Emotion und Sprache auf der Hand. Wie diese Zusammenhänge
genau aussehen, ist derzeit noch Gegenstand von Vermutungen und Hypothesen.
4. Bedeutung des Themas für die Logopädie
Die Sprachheilpädagogin Ulrike Lüdtke geht davon aus, dass vor allem zwei Nachbardisziplinen der Logopädie Hinweise zum Zusammenhang von Emotion und
Sprache geben: Die Neurowissenschaften und die Entwicklungspsychologie.
4.1 Erkenntnisse aus der neurowissenschaftlich fundierten Entwicklungspsychologie
Gemäss Lüdtke kann die neurowissenschaftlich fundierte Psychologie den Zusammenhang zwischen Emotionen und vorsprachlicher bzw. sprachlicher Kommunikation mit folgenden beiden Konzepten erhellen:
• Mit dem Konzept der Spiegelmechanismen (siehe oben)
und dem Konzept der psychobiologischen Dyade (vgl. Trevarthen 1998, 1999,
2001, 2004, in Lüdtke 2006b:161).
Bereits die Entdecker der Spiegelneurone vertraten die These, dass die Spiegelung
von Handlungen der Ursprung der Sprachentwicklung sei (vgl. Lüdtke 2006a:18).
In jüngster Zeit beschäftigte sich der Psychologe Colwyn Trevarthen von der Universität Edinburgh mit der Sprachentwicklung, und vertritt folgende Auffassung:
Die unter der Hirnrinde ablaufende Spiegelung von Emotionen ist der wesentliche
Organisator der kommunikativen sprachlichen Entwicklung. Mutter und Kind spiegeln also nicht primär die motorischen Handlungen des jeweils Anderen, sondern
deren emotionale Zustände. Als Motoren dieser Spiegelung von beziehungsstiftenden Emotionen vermutet Trevarthen die angeborenen neurobiologischen Systeme
des IMF (Intrinsic Motive Formation) und des EMS (Emotional Motor System). Diese
stellen das Kind bereits vor der Geburt auf eine andere, ihm emotional antwortende Person ein. Lüdtke (2006b:162) spricht sogar von der «pränatalen Anlage eines
sozialen Ichs, welches den intersubjektiven emotionalen Austausch mit seinen
wichtigsten Bezugspersonen braucht, ihn erwartet und [...] von ihm abhängig ist».
Das neurophysiologische Substrat des IMF treibt den Prozess, soziale Emotionen
wie Liebe oder Schüchternheit körperintern hervorzubringen und zu kommunizieren, an, und steuert das EMS mittels neurochemischer Regulation. (Die am IMF
beteiligten Hirnstrukturen sind die Formatio reticularis, Teile des limbischen Systems, der Basalganglien sowie des Kortex).
•
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Das EMS dagegen hat die Aufgabe, diese Emotionen in äusserlich wahrnehmbaren
Emotionsausdruck zu verwandeln, beispielsweise mittels Mimik, Gestik und Stimme. (Die Hirnstrukturen des EMS sind die Fasern und Kerne der Hirnnerven 1-12
und assoziierte sensomotorische Systeme).
Mit der Zeit etablieren sich, so Lüdtke, emotional-kommunikative Erzählstrukturen und Muster und bilden die Grundlage einer sogenannten psychobiologischen
Dyade (Trevarthen 2001, in Lüdtke 2006a:18). In der Dyade gleichen sich die neurochemischen Parameter von Mutter und Kind an und werden zeitlich aufeinander
abgestimmt. Dies geschieht zum Beispiel mittels Bewegungen, Berührungen oder
lautlichen Äusserungen. Immer von Emotionen begleitet, werden so Informationen
und soziokulturelle Regeln sukzessive aufgebaut (Lüdtke 2006a:19). Die psychobiologische Dyade gemäss Trevarthen ist ein Entwicklungsraum, die «dem kulturellen
Lernen und damit vor allem auch dem Erlernen der verbalen Sprache dient» (Lüdtke 2006b:164).
Die wichtigste Erkenntnis aus diesen Konzepten formuliert Lüdtke (2006a:17) so:
«Das lernende Kind braucht für seine neuronale und sprachliche Entwicklung von
Geburt an den emotional bestätigenden, kommunikativen Anderen.» Diese Bezogenheit auf eine andere Person bezeichnet Lüdtke als Intersubjektivität, d.h. «Aufmerksamkeit [eines Subjektes, Anm. d. Verf.] für kognitive und sozial-emotionale
Zustände im anderen Subjekt, die jeden kommunikativen Austausch zwischen beiden wechselseitig reguliert».
Lüdtke ist der Meinung, dass der Erwerb sprachlicher Bedeutung immer abhängig
sei von einem emotional unterstützenden didaktischen Kontext. Nur in zwischenmenschlichen Beziehungen ist Bedeutung konstruierbar.
4. 2 Die Relationale Sprachdidaktik
In ihrem didaktischen Grundverständnis, das Lüdtke als «Relationale Didaktik» bezeichnet, wird der Fokus der Therapie weg von der neutralen, homogenen Übernahme des Sprachsystems hin zur individuellen Bedeutungskonstruktion des Klienten/
der Klientin gelegt.
Folgende Frage formuliert Lüdtke (2004:189) als zentral für das sprachliche Lernen:
«Wie kann ich die einzelnen Schülerinnen und Patientinnen darin unterstützen, genau diejenigen sprachlichen Elemente - z.B. semantische Felder - zu erlernen, die
momentan für jede Einzelne emotional bedeutsam sind?»
Grundsätzlich betrachtet Lüdtke Lehren von Sprache als emotionale Kontextunterstützung, nicht als kognitive Wissensvermittlung. Lernfortschritte entstehen
dort, wo ein guter emotionaler Lernkontext besteht und die therapeutische Situation mehr ist als die Summe ihrer Einzelteile, was als sogenannte «Emergenz»
bezeichnet wird. Lüdtke formuliert dazu folgende Frage (2004:191): «Womit kann
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ich heute – z.B. bei einer neuen Schülerin oder Patientin – versuchen, die emotionale Verbindung zwischen uns herzustellen, die ihrer Sprachförderung den nötigen
Beziehungskontext und den nötigen Sinn verleiht?»
Gemeinsamer Ausgangspunkt der therapeutischen Beziehung ist die sprachliche
Differenz (Unterschiedlichkeit zwischen der Sprache der/des Therapierenden und
derjenigen der Klientin/des Klienten), die von der/dem Therapierenden gewürdigt
und respektiert werden soll, sei es im Alltag oder in ihren Berichten und Abklärungen. Als Hauptlernziel einer relationalen Didaktik bezeichnet Lüdtke die sprachliche Identität. Diese besteht aus einem inneren Gefühl der sprachlichen Zufriedenheit bei dem einzelnen Klienten. Das Kind oder der Erwachsene setzen so ihre
eigenen Lernziele. Sprachliche Grenzen können so von der Therapierenden besser
akzeptiert werden. Folgende Frage formuliert Lüdtke zur Lernzielbestimmung:
«Welche selbstbestimmten und identitätsrelevanten sprachlichen Lernbedürfnisse
äussern die Schülerinnen und Patientinnen? Wie kann ich in der Sprachförderung
zwischen sprachlichen Selbst- und Fremdanforderungen integrierend wirken?»
(2004:194).
Gemäss Lüdtke muss sich die Logopädin auch mit der grundsätzlichen Unbeherrschbarkeit und Unberechenbarkeit des Klienten auseinandersetzen, und sich
durch die Übernahme von abweichenden Perspektiven eigener Machtphantasien
entledigen. Als Hauptaufgabe der Logopädin bezeichnet sie das «Vorbereiten, Einladen und Unterstützen sprachlicher Emergenz» (2004:195). Dadurch stellt sich
immer wieder auch die Sinnfrage, die in der herkömmlichen Didaktik meist ausgeklammert bleibt. Da die relationale Didaktik die Gefühlsebene mit einschliesst,
erfolgt bei Lehrenden und Lernenden eine emotionale Öffnung für Lernanstösse
und Störungen. Das Verhältnis zu den Lernenden muss nicht durch Hierarchie geprägt sein, sondern kann auf Gegenseitigkeit und Gemeinschaftserleben beruhen.
Als wichtige Aufgabe der Therapeutin betrachtet Lüdtke (2004:97) «auf die eigene Selbstwirksamkeit zu achten, sie mit den individuell passenden Methoden zu
stärken und sie für das berufliche Wohlbefinden, die Gesundheit, und eine immer
wieder neu auszuhandelnde Work-Life-Balance einzusetzen.» (Unter Work-LifeBalance versteht man ein ausgewogenes Verhältnis verschiedener Lebensbereiche
und den selbstverantwortlichen Umgang mit eigenen Ressourcen und persönlichen Zielen.) Die folgende Frage soll sich deshalb die Therapeutin selber stellen:
«Welche meiner Gefühlslagen, die ich heute im Zusammensein mit meinen Schülerinnen und Patientinnen erlebt habe, erfordert meine Beachtung und Reflektion,
damit ab morgen unsere gemeinsame Lern- und Arbeitsatmosphäre verbessert
wird?» (2004:198).
Zusammengefasst kann man sagen, dass Gefühle der/des Therapierenden und der
Klientin/des Klienten, seien sie nun angenehmer oder unangenehmer Art, in der
Therapie Platz haben können und müssen, da sie erst der Sprache und dem ge-
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meinsamen Lernen Bedeutung und Sinn verleihen.
Literatur
•
Bauer, J. 2005. Warum ich fühle, was du fühlst. Intuitive Kommunikation und das Geheimnis der
Spiegelneurone. Hamburg: Hoffmann und Campe Verlag.
•
Gaschler, K. 2006. Spiegelneurone. In: Gehirn und Geist. 10. 28-33.
•
Hülshoff, T. 2006. Emotionen. München: Ernst Reinhardt Verlag.
•
Lüdtke, U. 2006a. Sprache und Emotion: Neurowissenschaftliche und linguistische Zusammenhänge. In: Bahr, R. und Iven, C. (Hrsg.).
•
Sprache – Emotion – Bewusstheit. Idstein: Schulz-Kirchner-Verlag. 17 – 26.
•
Lüdtke, U. 2006b. Emotion und Sprache: Neurowissenschaftliche und linguistische Relationen. In:
Die Sprachheilarbeit. 4. 160 – 175.
•
Lüdtke, U. 2004. Emotionen in Therapie und Unterricht – Grundlagen einer relationalen Didaktik.
In: Lüdtke, U. (Hrsg.). Fokus: Mensch. Subjektzentrierte Unterrichts- und Therapiemodelle in der
Sprachbehindertenpädagogik. Festschrift zur Verabschiedung von Prof. Dr. Gerhard Homburg.
Würzburg: Edition von Freisleben. 187 – 201.
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