Tschetschenien und Putin

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Tschetschenien und Putin – ein grausamer Konflikt
Der Tschetschenienkonflikt ein historischer Überblick
Autor: Michael Hegele
Tschetschenien strebt seit sehr langer Zeit nach der Unabhängigkeit von Russland.
Der Wunsch nach Unabhängigkeit prägte die Geschichte des tschetschenischen
Volkes
und
seine
Identität
(vgl.
Cremer
2007,
S.
14).
Die
beiden
Tschetschenienkriege Mitte und Ende der 1990er Jahre stehen für die schlimmsten
und grausamsten Gewaltakte im gesamten postsowjetischen Raum der letzten
Jahrzehnte. Die Zahl der Toten liegt nach unterschiedlichen Angaben zwischen 75
000 und 100 000 und entspricht fast 10 % der tschetschenischen Bevölkerung. Dazu
kommen unzählige Vertriebene, die wegen der Kriege in andere Länder geflohen
sind. Auf Seiten der russischen Soldaten gab es ebenfalls hohe Verluste – von mehr
als 15 000 ist die Rede. Hunderttausende russischer Soldaten kamen mit den
Tschetschenienkriegen in Berührung, da sie auf Anweisung des Kremls rotierend
eingesetzt wurden (vgl. Halbach 2010; S. 51).
„Moralisch war dieser Krieg sinnlos und vergeblich. […] Der Haß der Tschetschenen
auf Russland [ist] tief, endlos und unumkehrbar“ (Krech 2002, S. 8)
Wie kam es dazu, dass zwei Kriege in einer maßlosen Gewaltorgie endeten, und
heute ein Despot namens Kadyrow das Land beherrscht? Die Gründe und Ursachen
des Konfliktes haben eine lange Geschichte.
Im Jahr 1780 versuchten erstmals zaristische, imperialistische russische Truppen
den Nordkaukasus zu unterwerfen, wobei die Tschetschenen, die sich bis heute als
eine homogene Volksgruppe verstehen, heftigsten Widerstand leisteten. Die ständige
Rebellion gegen ihre Unterwerfung verschaffte den Tschetschenen das in der
russischen Kultur tief verwurzelte Bild vom `Gesetzlosen´ und `Banditen´. Diese bis
heute gültige Zuschreibung macht es den jeweiligen Machthabern in Russland leicht,
moralische Unterstützung in der Bevölkerung für einen Feldzug gegen die
Tschetschenen zu bekommen. Die russische Politik der Unterdrückung hatte zur
Folge, dass die Tschetschenen sich als ethnische Gruppe noch homogener
zusammenschlossen, um ihrer Unterwerfung zu trotzen.
1
Im Jahr 1944 erreichte die russischen Gewalt einen vorläufigen Höhepunkt, als Lenin
über 400 000 Tschetschenen (und ca. 100 000 Inguschen) nach Zentralasien
zwangsumsiedeln ließ, wo innerhalb von fünf Jahren ein Viertel von ihnen ums
Leben kam. Den Tschetschenen wurde vorgeworfen mit der deutschen Wehrmacht
kooperiert zu haben, was jedoch nie nachgewiesen wurde. Erst 1957 wurde den
Überlebenden die Heimreise wieder erlaubt (vgl. Thomas de Waal 2003, S. 14ff).
Trotz all dieser gewaltsamen Versuche der Vereinnahmung schaffte es Moskau
nicht, die Tschetschenen vollends zu unterwerfen. Nirgendwo stieß die sowjetische
Staatsmacht auf so einen vehementen und ausdauernden Widerstand wie in
Tschetschenien (vgl. Halbach 2010, S. 55).
Der erste Tschetschenienkrieg und seine Kriegsursachen
Als Anfang der 1990er Jahre das sowjetische Vielvölkerreich im Übergang zu einer
Neuordnung war und einige Staaten wie Litauen und Estland sich lossagten und
unabhängig wurden, keimte auch der Tschestschenienkonflikt wieder auf. Der
damalige
tschetschenische
Führer
Dshochar
Dudajew
rief
als
Ziel
die
Unabhängigkeit aus. Diese Forderung stellte sich bald als unrealistisch heraus, da
Russland mit Boris Jelzin an der Macht sie kategorisch ablehnte (vgl. Thomas de
Waal 2003, S. 25). Es kam zwar zu einigen rhetorischen Scharmützeln, aber eine
einseitig tschetschenische Abspaltung hätte kaum Aussicht auf Erfolg gehabt, weil
Tschetschenien in dieser Zeit von inneren politischen Machtkämpfen und
wirtschaftlichen Niedergang geschwächt war (vgl. Halbach 2010, S. 55).
Dennoch kam es zum Krieg. Ausländische Analysten nannten als Grund das
tschetschenische Öl. Vermutlich aber war der direkte Anlass, dass im Kreml einige
wenige Leute annahmen, mit einer kurzen, schnellen Intervention Tschetschenien
wieder vollkommen unter Kontrolle zu bekommen. Diese Annahme stellt sich später
als falsch heraus, setzte sich aber mit Jelzins Unterstützung durch, der sich von
einem kurzen und erfolgreichen Krieg eine Steigerung seiner Popularität erhoffte.
Das belegt Jelzins Sicherheitsberater Oleg Lobow: „Wir brauchen einen kleinen,
siegreichen Krieg, um das Rating des Präsidenten zu heben“ (Thomas de Waal
2003, S. 25). Es kam zum Krieg, obwohl die russische Bevölkerung zu der Zeit noch
überwiegend gegen eine militärische Intervention war (vgl. Osthold 2012, S. 64).
Allgemein kann man sagen, dass die „korrupte und unfähige Politik in den ersten
Jahren des postsowjetischen Rußland“ (de Waal 2003, S. 16) in Tschetschenien zu
2
Massenmorden, Vergewaltigungen und Plünderungen führte. Obwohl die Region
geographisch gesehen zum modernen Europa gehört, hatte der Konflikt keine
internationalen Auswirkungen1. Für den Krieg gab es seinerzeit auch noch keinen
islamistischen Hintergrund, sondern er war vor allem aus dem Misstrauen zwischen
Tschetschenen und dem russischen Staat erwachsen. Der Krieg begann am 11.
Dezember 1994 und endete nach zahlreichen Toten und Verletzten am 31. August
1996 mit dem Abkommen von Chassewjurt. Es beinhaltete eine Veränderung der
politischen Beziehung zwischen beiden Ländern „entsprechend den Prinzipien des
Völkerrechts“ (Hallbach 2010, S. 58). Ein entscheidender Grund für den Kreml, den
Krieg zu beenden, war die demoralisierende Guerillataktik der Tschetschenischen
Kämpfer, der die russischen Truppen nicht gewappnet waren. Schon damals kam es
im südrussischen Budjonnowsk zu einer Geiselnahme eines Krankenhauses mit über
1000 Menschen und 140 Toten. Wie bei der Geiselnahme eines Moskauer Theater
und in Beslan war auch hier der tschetschenische Terrorist Bassajew verantwortlich.
Im Mai 1997 kam es zu einem Friedensabkommen über „Prinzipien gegenseitiger
Beziehungen zwischen Russland und Tschetschenien“ (Hallbach 2010, S. 58), das
jedoch
von
beiden
Seiten
unterschiedlich
interpretiert
wurden.
Was
in
Tschetschenien als Anerkennung der staatlichen Unabhängigkeit gefeiert wurde,
interpretierte Jelzin völlig anders. Die Fortsetzung des Konfliktes war damit
programmiert.
Der zweite Tschetschenienkrieg
Tschetschenien ging aus dem Krieg als Gewinner wie auch als Verlierer heraus. Der
gemäßigte Präsident Aslan Maschadow, der in freien Wahlen nach demokratischen
Maßstäben gegen den Terrorist und Warlord Schamil Bassajew gewann, konnte das
Land nicht vereinen und es auch wirtschaftlich nicht wieder aufrichten. Es
entwickelten sich mafiöse Strukturen und eine `Entführungsindustrie´ die das
Außenbild des Landes negativ zeichnete, und was zur Folge hatte, dass
1
Besonders auffällig in diesem Konflikt war die internationale
Zurückhaltung, da der Krieg als innerstaatlicher Krieg angesehen wurde. Der damalig US-Präsident
Bill Clinton gab folgendes Statement: „Ich möchte daran erinnern, dass auch wir einst einen
Bürgerkrieg in unserem Land hatten, bei dem wir auf die Bevölkerungszahl umgerechnet viel mehr
Menschen verloren haben als in allen Kriegen des 20. Jhd, und daß Abraham Lincoln sein Leben
dafür gegeben hat, daß kein Staat das Recht auf Rückzug aus unserer Union habe.“ (De Waal 2003,
S. 26). Die Zurückhaltung lag wohl auch daran, dass die internationale Gemeinschaft mit Jelzin froh
war, keinen Kommunisten als Regierungschef zu haben
3
internationale Organisationen sich aus dem Land zurückzogen. Ebenso nahm der
Islam eine immer größere Rolle ein (vgl. Hallbach 2010, S. 58).
Das alles schaffte in der russischen Bevölkerung eine breitere Akzeptanz für eine
erneute
militärische
Intervention.
Die
russische
Regierung,
nun
mit
dem
Ministerpräsident Wladimir Wladimirowitsch Putin, schaffte es geschickt den
erneuten Einzug als „antiterroristische Operation“ zu verkaufen (vgl. de Waal 2003,
S. 27). Auch hier verhielt sich die internationale Gemeinschaft sehr zurückhalten und
nur vereinzelte Stimmen forderten Sanktionen gegen Russland. Doch spätestens
nach dem Anschlag auf die World Trade Towers verteidigten die USA Russland
Intervention. Colin Paul, der damalige US Außenminister sagte folgenden Satz, der
die damalige Stimmung ausdrückte: „Rußland kämpft in Tschetschenien gegen
Terroristen, das ist überhaupt keine Frage, und wir verstehen das“ (de Waal 2003, S.
27).
Tatsächlich spielte im zweiten Tschetschenienkrieg der radikale Islam eine nicht zu
unterschätzende Rolle, was jedoch aus dem ersten Krieg resultierte, da sich als
Gegenpool zur gemäßigten Regierung eine islamistisch gefärbte separatistische
Bewegung um den bei den Präsidentschaftswahlen knapp unterlegenen Terroristen
Bassajew gründete, die ihre Verbündeten im Ausland hatte (vgl. Osthold 2012, S.
65). So begann der zweite Tschetschenienkrieg mit der Ausweitung des Konfliktes
von Bassajew und seinen Truppen nach Dagestan, wo er ebenso einen
Islamistischen Staat errichten wollte. Putin schickte daraufhin seine Truppen nach
Dagestan um sogleich hart zu reagieren. Bassajew zog sich daraufhin wieder in den
Terrorkampf nach Tschetschenien zurück.
In Moskau explodierte ein Wohnhaus mit 130 Toten, wovon sich aber auf
tschetschenischer Seite die offiziellen sowie inoffiziellen Vertreter wie Bassajew
distanzierten. Die russischen Vertreter jedoch sahen einen klaren Zusammenhang
und sprachen von „tschetschenischen Banditen“ und Tschetschenien im Allgemeinen
als „gewaltiges terroristisches Lager“ (Krech 2002, S. 46). Auch die in Moskau
lebenden Tschetschenen wurden dadurch stigmatisiert und systematisch verfolgt.
Nach weiteren Anschlägen in Wohnhäusern und Siedlungen 2 kam es durch Putins
2
Eine Verbindung zwischen den Anschlägen und
Tschetschenen wurde nie nachgewiesen. Es hält sich hartnäckig das Gerücht, dass der russische
Inlandsgeheimdienst darin verwickelt ist. Die Tageszeitung Nesawissimaja Gaseta resümierte nach
4
Anweisung zu Kampfeinsätzen auf Tschetschenischem Boden (vgl. Krech 2002, S.
46).
Die Vorurteile, die sich im Laufe der Zeit in den Köpfen auf beiden Seiten aufbauten,
führten
zu
einem
enormen
Hass
gegeneinander,
der
in
schreckliche
Kriegsverbrechen gipfelte. Vergewaltigungen, Folter und Morde waren an der
Tagesordnung. Zudem kamen noch die unzähligen Vermissten, die nie wieder
auftauchten. Nach weiteren Anschlägen und Geiselnahmen – unter anderem die
Geiselnahme eines ganzen Theaters in Moskau3 - wurden bis Ende 2002 alle
wichtigen tschetschenischen Figuren ermordet. Immer wieder wurde dabei der
russische Inlandsgeheimdienst für diese Taten gelobt. Putin setzte sich mit brachialer
Gewalt durch und lies sich nicht erpressen. „Die Armee und der Oberbefehl in
Tschetschenien führende Geheimdienst verfolgten eine von Putin befohlene Politik
staatlichen Terrors, um mit allen Mitteln das übergeordnete Ziel zu erreichen: eine
Unabhängigkeit Tschetscheniens zu verhindern“ (Hassel 2003, S.39).
Das System Putin
In einer Rede Putins zu seiner dreijährigen Bilanz im Mai 2003 sagte er zu den
Ereignissen folgendes:
„Unsere gesamte historische Erfahrung zeigt: Ein Land wie Rußland kann in seinen
existierenden Grenzen nur leben und sich entwickeln wenn es eine starke Großmacht ist.
In allen Schwächeperioden, ob politisch oder wirtschaftlich, stand Rußland immer (…) vor
der Gefahr des Zerfalls (…) Wir haben juristisch und faktisch die Einheit des Landes
wieder hergestellt“ [mit dem Tschetschenienkrieg habe Rußland den Preis] für die
Wiederherstellung der territorialen Unversehrtheit Rußlandes [gezahlt]“ (Hassel 2003, S.
39).
Somit war der Krieg für ihn beendet und er wurde als starker Führer von der
russischen Bevölkerung gefeiert. Kein Wort zu der schlimmen humanitären Lage in
Tschetschenien und den weiter anhaltenden Kämpfen. Putin beendete den Krieg mit
seinen Worten und seinen Taten.
dem Einblick in Geheimakten folgendes: „Es ist völlig offensichtlich, dass die Tschetschenen nach
Dagestan gelockt wurden (…), um einen legalen Anlass für die Durchsetzung föderaler Macht in der
Republik und für den Beginn der aktiven Kampphase gegen die sich in Tschetschenien sammelnden
Terroristen zu schaffen. Dies war klar eine Operation der russischen Geheimdienste (…) und auf
allerhöchster Ebene politisch sanktioniert“ (Hassel 2003, S. 51). Bassajew stand laut Dokumenten
immer wieder in Kontakt mit russischen Regierungsvertreter
3
700
Geiseln
wurden
genommen.
Die
russische
Spezialeinheit setzte bei der Stürmung Betäubungsgas ein. 132 Geiseln und 47 Geiselnehmer kamen
dabei zu Tode. Die betäubten Geiselnehmer wurden erschossen. Somit kam es auch hier zu keiner
Aufklärung des Falles.
5
Zwischen dem ersten und dem zweiten Tschetschenienkrieg gab es hinsichtlich der
Befürwortung zum Militärschlag gegen Tschetschenien eine große Differenz. Waren
beim ersten Militärschlag noch die Mehrheit gegen eine Intervention, so sprachen
sich vor der zweiten Intervention über 50 Prozent für einen Krieg aus, was vor allem
daran lag, dass der damalig neue Premierminister Putin die Militärmaßnahme als
„Verteidigung Russlands gegen den internationalen Terrorismus“ (Halbach 2010; S.
54) deklarierte.
Diese Taktik spiegelt das System Putin deutlich wieder: Er weiß wie er welche
Stimmung erzeugen kann und scheut niemals vor Lügen zurück. Weiter noch schafft
er es seine Lügen als Wahrheiten zu verkaufen. Wobei verkaufen bedeuten würde,
dass die Rezipienten eine Wahl hätten diese als Wahrheit anzuerkennen oder eben
nicht (vgl. Mommsen 2007). Dies ist unter Putin kaum der Fall, wie auch beim
Attentat von Beslan zu sehen war. Bevor auf Putins Handeln beim konkreten Fall
eingegangen wird, soll in Kürze sein Regierungsstil der `Vertikalen Macht´ aufgezeigt
werden, um deutlich zu machen, wie die Entscheidungsketten in Beslan (nicht)
funktioniert haben
Gelenkte Demokratie
Russland ist seit 1993 laut Verfassung eine Demokratie, was normalerweise
bedeuten würde, dass alle Macht vom Volke ausgeht. Wegen Putins Regierungsstil
wird jedoch noch das Adjektiv „gelenkte“ hinzugefügt. Die Schaffung einer gelenkten
Demokratie – wobei die Betonung wohl mehr auf gelenkte als auf Demokratie liegt war von Anfang an der große Plan Putins, deutlicher gesagt, „die Restauration der
Staatskontrolle“ (Hartmann 2013, S. 58). Nach seiner nun 15 jährigen Herrschaft 4
lässt sich resümieren, dass sein Ausbau der Staatskontrolle geglückt ist. Deutlich
machen das folgende ausgewählte Punkte:

Verfassung und Verfassungsgericht werden weitgehend von Putin beeinflusst
und zu seinen Gunsten benutzt. Ihnen wurde mit der Partei Einiges Russland
eine politische Institution hinzugefügt, die sie maßgeblich beeinflusst.
4
Vom Ministerpräsident Russlands wechselte er ins
Präsidentenamt der Russischen Föderation und wieder zurück. Aktuell ist er wieder Präsident der
Russischen Föderation. Auch dies ist ein Merkmal seiner Politik: Nicht die Rollen präsentieren die
Macht, sondern die jeweilige stärkere Persönlichkeit. Putin war in all seinen Ämtern die Schlüsselfigur
des Regimes (vgl. Hartmann 2013, S. 59).
6

Die Oligarchen dürfen weiter Geld verdienen, aber nur wenn sie sich dem
Kreml unterwerfen, der zudem bestimmt, mit was sie Geld verdienen dürfen.
Wer sich dem nicht unterwirft wird deutlich bestraft, wie das bei dem Oligarch
Michail Chodorkowski geschehen ist.

Außerkonstitutionelle Gesetze wurden dafür geschaffen, dass der Präsident
ebenso der Chef über die Regionalverwaltungen ist. Putin ist nun befugt die
Regionalverwaltungen
eigenständig
abzusetzen
und
einzusetzen(vgl.
Hartmann 2013, S. 59)
Dies sind wohl die zentralen drei Punkte, weitere können jedoch noch hinzugefügt
werden. Entscheidend jedoch ist, dass Putin durch seine Politik seine Macht soweit
ausgedehnt hat, dass er Russland nach seinem Willen lenken kann. Seine Härte, wie
er die Entscheidungen zu seinen Gunsten durchgedrückt hat, ist innerhalb Russlands
zu sehen, aber auch immer mehr auf dem internationalen Bankett.
Die `Vertikale der Macht´
Der Führungsstil der Machtvertikale, oder kurz „Vertikale“ bezieht sich auf die
Kommandokette, die sich durch ganz Russland zieht. Die seit 1994 geltende
Verfassung beinhaltete noch eine Vertikale, sowie Horizontale Gewaltenteilung, die
nun zugunsten der Exekutive verändert wurde. Diese hat nun die alleinige Kontrolle
über den Staat und die Gesellschaft.
So wird seit 2004 der Gouverneur der jeweiligen russischen Teilstaaten nicht mehr
von den Bürgern bzw. den Parlamenten gewählt, sondern vom Präsident eingesetzt
(vgl. Hartmann 2013, S. 153). In Tschetschenien wurde 2004 der Sohn des bis dahin
regierenden Präsidenten Achmat Kadyrov5, Ramsan Kadyrov eingesetzt. Die
Einflussnahme Putin zieht sich bis in die Gemeinden, die nun der Kontrolle der
Staatspartei, welche er mit gegründet hat, unterworfen sind. Doch neben der
bürokratischen, politischen Vertikalen gibt es ebenso eine gesellschaftliche Vertikale,
was anhand der Manipulationen der Medien ersichtlich wird (vgl. Mommsen 2004 S.
46ff).
5
Achmat Kadyrov wurde 2003 gewählt. Er galt als Prorussischer Kandidat und erhielt deshalb auch die russische Unterstützung. Die Wahl wurde von
Internationalen Beobachtern als Farce bezeichnet. Achmat Kadyrov kam 2004 bei einem
Bombenanschlag ums Leben.
7
Putin lehnte in einem Statement 2003 jegliche Alternative zur präsidentiellen
Republik ab und nennt eine parlamentarische Republik „gefährlich“ (Mommsen 2004,
S. 35).
Die jeweiligen rätselhaften Bombenangriffe auf Wohnhäuser in Moskau und anderen
Städten, welche vorschnell als kaukasischen Rebellen zugeschrieben wurden,
verhalfen Putin sich als neuen Mann für law and order zu stilisieren und die Gesetzt
so zu entwerfen, dass sie seiner Machtausweitung dienen(vgl. Mommsen 2004, S.
36).
Tschetschenien bis heute
Ahmat Kadyrow kam 2004 bei einem Bombenanschlag ums Leben. Sein Sohn
Ramsan übernahm die Macht, wurde wegen seines jungen Alters jedoch erst 2007
zum Präsidenten der Republik Tschetschenien ernannt. Putins Strategie ging auf –
die Kämpfe sowie die Anschläge nahmen deutlich ab. Der Preis dafür war die
Liquidation vieler früheren tschetschenischen Militärführer, unter anderem auch der
Initiator des Beslan Attentats, Bassajew. Kadyrow ließ keine Opposition mehr zu –
diese wurde ermordet, oder mit einem Amnestieprogramm in die Kadyrow-Milizen
eingegliedert (vgl. Halbach 2010, S. 60f). Kadyrow folgt dem Prinzip „der Staat bin
ich“ und hat sich so abgekoppelt von der russischen Verfassung, die prinzipiell auch
für Tschetschenien gelten sollte. Welche Stellung Menschen haben, wie ihr
Lebensstandart ausschaut, hängt alleine von der Loyalität zu Kadyrow ab.
Menschenrechtsverletzungen wie das `Verschwindenlassen´ von angeblichen
Angehörigen von Widerstandskämpfern und deren wochenlange Folterungen,
willkürliche Gewalt gegen mutmaßliche Gegner Kadyrows und massive Verstöße
gegen Frauenrechte sind nur ein Teil von Verstößen gegen die Menschenrechte.
Kadyrow schaltet und waltet wie es ihm gefällt. NGO´s oder auch GO´s wie die UNMenschenrechtsbeauftragten werden nicht ins Land gelassen, was auch der Kreml
unterstützt und in neuen Gesetzen6 geregelt hat (vgl. Menschenrechtsreport 2012,
S. 23).
2009 erklärte der russische `Übergangspräsident´ Medwedjew den Nordkaukasus
wegen
seiner
Mixtur
aus
„terroristischen
Aktivitäten,
Kämpfen
zwischen
6
2012 hat Putin auf Grund der Proteste die Möglichkeiten für
NGO´s massiv eingeschränkt. Sie müssen sich jetzt registrieren lassen und werden offiziell als
„ausländische Agenten“ bezeichnet.
8
Sicherheitsorganen und militanten Untergrundkräften, Clankämpfen innerhalb der
politischen Machteliten, extralegaler Gewalt offizieller Sicherheitsorgane, mafiösen
Konkurrenzkämpfen und interethnischen Konflikten“ (Halberg 2010, S. 61) zum
herausragenden inneren Problems Russlands. Anders als Putin betonte er die sozialökonomischen Ursachen von Gewalt und Instabilität. Dies hatte jedoch mehr
Auswirkungen auf Inguschetien und Dagestan. Tschetschenien selbst steht unter
Aufsicht des Alleinherrschers Ramsan Kadyrow, und Russland scheint einen Deal
eingegangen zu sein der heißt: Schreckensherrschaft in Tschetschenien und dafür
keine Ausweitung des Konfliktes in andere Teilrepubliken bzw. Russland. Viele
behaupten zynisch, dass Tschetschenien nun mehr Autonomie besitzt, als jemals
zuvor in den letzten 100 Jahren und Russland bezahlt auch noch die Rechnung: 90
% des Staatshaushaltes des Terrorregimes werden vom Kreml finanziert (vgl.
Menschenrechtsreport 2012, S. 21ff).
9
1. Literaturverzeichnis
Printmedien
Cremer, Marit (2007): Fremdbestimmtes Leben, Eine biographische Studie über Frauen in
Tschetschenien; transcript Verlag; Bielefeld
De Waal, Thomas (2003): Zwei Jahrhunderte Konflikt, Eine Einführung; Hrsg. Florian Hassel,
Der Krieg im Schatten, Rußland und Tschetschenien; Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main
Halbach, Uwe (2004): Gewalteskalation im Nordkaukasus, Verhärtung in Russland; Stiftung
Wissenschaft und Politik; Berlin
Hassel, Florian (2003): Der zweite Tschetschenienkrieg: Eine Unterwerfungskampagne in
imperialer Tradition, Hrsg. Florian Hassel, Der Krieg im Schatten, Rußland und
Tschetschenien; Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main
Halbach, Uwe (2004): Gewalteskalation im Nordkaukasus, Verhärtung in Russland; Stiftung
Wissenschaft und Politik; Berlin
Hartmann, Jürgen (2013): Russland, Einführung in das politische System und Vergleich mit
den postsowjetischen Staaten, Springer VS, Wiesbaden
Krech, Hans (2002): Der Zweite Tschetschenien-Krieg (1999-2002); Verlag Dr. Köster, Berlin
Mommsen & Nußberger (2007): Das System Putin, C.H.Beck oHG, München
Politkovskaja, Anna (2006): In Putins Russland; Lizenzausgabe für die Bundeszentrale für
politische Bildung; Bonn
Osthold, Christian (2012): Islamismus in Tschetschenien, Die Rolle des Islamismus für den
tschetschenischen Separatismus, Optimus Verlag, Göttingen
Cheloukhine & Lieberman (2011): Reforming Power Structures: Russian Counter-Terrorism
Response to Beslan; in Hrsg. Haberfeld & Agostino von Hassel: A new understanding of
Terrorism: Case Studies, Trajectories and Lessons Learned; Springer Science Business
Media; New York
Internetquellen (alle zuletzt aufgerufen am 13.03.2014):
http://www.novo-magazin.de/73/novo7362.htm
http://www.ag-friedensforschung.de/regionen/Tschetschenien/beslan-komm.html
http://www.laender-analysen.de/russland/pdf/Russlandanalysen108.pdf
GfBV
Report:
Die
Menschenrechtslage
in
Dagestan,
Tschetschenien
Inguschetien:http://issuu.com/gfbvonline/docs/mrreport_nr._68__nordkaukasus/23?e=6496256/3320766
10
und
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