Tschetschenien und Putin – ein grausamer Konflikt Der Tschetschenienkonflikt ein historischer Überblick Autor: Michael Hegele Tschetschenien strebt seit sehr langer Zeit nach der Unabhängigkeit von Russland. Der Wunsch nach Unabhängigkeit prägte die Geschichte des tschetschenischen Volkes und seine Identität (vgl. Cremer 2007, S. 14). Die beiden Tschetschenienkriege Mitte und Ende der 1990er Jahre stehen für die schlimmsten und grausamsten Gewaltakte im gesamten postsowjetischen Raum der letzten Jahrzehnte. Die Zahl der Toten liegt nach unterschiedlichen Angaben zwischen 75 000 und 100 000 und entspricht fast 10 % der tschetschenischen Bevölkerung. Dazu kommen unzählige Vertriebene, die wegen der Kriege in andere Länder geflohen sind. Auf Seiten der russischen Soldaten gab es ebenfalls hohe Verluste – von mehr als 15 000 ist die Rede. Hunderttausende russischer Soldaten kamen mit den Tschetschenienkriegen in Berührung, da sie auf Anweisung des Kremls rotierend eingesetzt wurden (vgl. Halbach 2010; S. 51). „Moralisch war dieser Krieg sinnlos und vergeblich. […] Der Haß der Tschetschenen auf Russland [ist] tief, endlos und unumkehrbar“ (Krech 2002, S. 8) Wie kam es dazu, dass zwei Kriege in einer maßlosen Gewaltorgie endeten, und heute ein Despot namens Kadyrow das Land beherrscht? Die Gründe und Ursachen des Konfliktes haben eine lange Geschichte. Im Jahr 1780 versuchten erstmals zaristische, imperialistische russische Truppen den Nordkaukasus zu unterwerfen, wobei die Tschetschenen, die sich bis heute als eine homogene Volksgruppe verstehen, heftigsten Widerstand leisteten. Die ständige Rebellion gegen ihre Unterwerfung verschaffte den Tschetschenen das in der russischen Kultur tief verwurzelte Bild vom `Gesetzlosen´ und `Banditen´. Diese bis heute gültige Zuschreibung macht es den jeweiligen Machthabern in Russland leicht, moralische Unterstützung in der Bevölkerung für einen Feldzug gegen die Tschetschenen zu bekommen. Die russische Politik der Unterdrückung hatte zur Folge, dass die Tschetschenen sich als ethnische Gruppe noch homogener zusammenschlossen, um ihrer Unterwerfung zu trotzen. 1 Im Jahr 1944 erreichte die russischen Gewalt einen vorläufigen Höhepunkt, als Lenin über 400 000 Tschetschenen (und ca. 100 000 Inguschen) nach Zentralasien zwangsumsiedeln ließ, wo innerhalb von fünf Jahren ein Viertel von ihnen ums Leben kam. Den Tschetschenen wurde vorgeworfen mit der deutschen Wehrmacht kooperiert zu haben, was jedoch nie nachgewiesen wurde. Erst 1957 wurde den Überlebenden die Heimreise wieder erlaubt (vgl. Thomas de Waal 2003, S. 14ff). Trotz all dieser gewaltsamen Versuche der Vereinnahmung schaffte es Moskau nicht, die Tschetschenen vollends zu unterwerfen. Nirgendwo stieß die sowjetische Staatsmacht auf so einen vehementen und ausdauernden Widerstand wie in Tschetschenien (vgl. Halbach 2010, S. 55). Der erste Tschetschenienkrieg und seine Kriegsursachen Als Anfang der 1990er Jahre das sowjetische Vielvölkerreich im Übergang zu einer Neuordnung war und einige Staaten wie Litauen und Estland sich lossagten und unabhängig wurden, keimte auch der Tschestschenienkonflikt wieder auf. Der damalige tschetschenische Führer Dshochar Dudajew rief als Ziel die Unabhängigkeit aus. Diese Forderung stellte sich bald als unrealistisch heraus, da Russland mit Boris Jelzin an der Macht sie kategorisch ablehnte (vgl. Thomas de Waal 2003, S. 25). Es kam zwar zu einigen rhetorischen Scharmützeln, aber eine einseitig tschetschenische Abspaltung hätte kaum Aussicht auf Erfolg gehabt, weil Tschetschenien in dieser Zeit von inneren politischen Machtkämpfen und wirtschaftlichen Niedergang geschwächt war (vgl. Halbach 2010, S. 55). Dennoch kam es zum Krieg. Ausländische Analysten nannten als Grund das tschetschenische Öl. Vermutlich aber war der direkte Anlass, dass im Kreml einige wenige Leute annahmen, mit einer kurzen, schnellen Intervention Tschetschenien wieder vollkommen unter Kontrolle zu bekommen. Diese Annahme stellt sich später als falsch heraus, setzte sich aber mit Jelzins Unterstützung durch, der sich von einem kurzen und erfolgreichen Krieg eine Steigerung seiner Popularität erhoffte. Das belegt Jelzins Sicherheitsberater Oleg Lobow: „Wir brauchen einen kleinen, siegreichen Krieg, um das Rating des Präsidenten zu heben“ (Thomas de Waal 2003, S. 25). Es kam zum Krieg, obwohl die russische Bevölkerung zu der Zeit noch überwiegend gegen eine militärische Intervention war (vgl. Osthold 2012, S. 64). Allgemein kann man sagen, dass die „korrupte und unfähige Politik in den ersten Jahren des postsowjetischen Rußland“ (de Waal 2003, S. 16) in Tschetschenien zu 2 Massenmorden, Vergewaltigungen und Plünderungen führte. Obwohl die Region geographisch gesehen zum modernen Europa gehört, hatte der Konflikt keine internationalen Auswirkungen1. Für den Krieg gab es seinerzeit auch noch keinen islamistischen Hintergrund, sondern er war vor allem aus dem Misstrauen zwischen Tschetschenen und dem russischen Staat erwachsen. Der Krieg begann am 11. Dezember 1994 und endete nach zahlreichen Toten und Verletzten am 31. August 1996 mit dem Abkommen von Chassewjurt. Es beinhaltete eine Veränderung der politischen Beziehung zwischen beiden Ländern „entsprechend den Prinzipien des Völkerrechts“ (Hallbach 2010, S. 58). Ein entscheidender Grund für den Kreml, den Krieg zu beenden, war die demoralisierende Guerillataktik der Tschetschenischen Kämpfer, der die russischen Truppen nicht gewappnet waren. Schon damals kam es im südrussischen Budjonnowsk zu einer Geiselnahme eines Krankenhauses mit über 1000 Menschen und 140 Toten. Wie bei der Geiselnahme eines Moskauer Theater und in Beslan war auch hier der tschetschenische Terrorist Bassajew verantwortlich. Im Mai 1997 kam es zu einem Friedensabkommen über „Prinzipien gegenseitiger Beziehungen zwischen Russland und Tschetschenien“ (Hallbach 2010, S. 58), das jedoch von beiden Seiten unterschiedlich interpretiert wurden. Was in Tschetschenien als Anerkennung der staatlichen Unabhängigkeit gefeiert wurde, interpretierte Jelzin völlig anders. Die Fortsetzung des Konfliktes war damit programmiert. Der zweite Tschetschenienkrieg Tschetschenien ging aus dem Krieg als Gewinner wie auch als Verlierer heraus. Der gemäßigte Präsident Aslan Maschadow, der in freien Wahlen nach demokratischen Maßstäben gegen den Terrorist und Warlord Schamil Bassajew gewann, konnte das Land nicht vereinen und es auch wirtschaftlich nicht wieder aufrichten. Es entwickelten sich mafiöse Strukturen und eine `Entführungsindustrie´ die das Außenbild des Landes negativ zeichnete, und was zur Folge hatte, dass 1 Besonders auffällig in diesem Konflikt war die internationale Zurückhaltung, da der Krieg als innerstaatlicher Krieg angesehen wurde. Der damalig US-Präsident Bill Clinton gab folgendes Statement: „Ich möchte daran erinnern, dass auch wir einst einen Bürgerkrieg in unserem Land hatten, bei dem wir auf die Bevölkerungszahl umgerechnet viel mehr Menschen verloren haben als in allen Kriegen des 20. Jhd, und daß Abraham Lincoln sein Leben dafür gegeben hat, daß kein Staat das Recht auf Rückzug aus unserer Union habe.“ (De Waal 2003, S. 26). Die Zurückhaltung lag wohl auch daran, dass die internationale Gemeinschaft mit Jelzin froh war, keinen Kommunisten als Regierungschef zu haben 3 internationale Organisationen sich aus dem Land zurückzogen. Ebenso nahm der Islam eine immer größere Rolle ein (vgl. Hallbach 2010, S. 58). Das alles schaffte in der russischen Bevölkerung eine breitere Akzeptanz für eine erneute militärische Intervention. Die russische Regierung, nun mit dem Ministerpräsident Wladimir Wladimirowitsch Putin, schaffte es geschickt den erneuten Einzug als „antiterroristische Operation“ zu verkaufen (vgl. de Waal 2003, S. 27). Auch hier verhielt sich die internationale Gemeinschaft sehr zurückhalten und nur vereinzelte Stimmen forderten Sanktionen gegen Russland. Doch spätestens nach dem Anschlag auf die World Trade Towers verteidigten die USA Russland Intervention. Colin Paul, der damalige US Außenminister sagte folgenden Satz, der die damalige Stimmung ausdrückte: „Rußland kämpft in Tschetschenien gegen Terroristen, das ist überhaupt keine Frage, und wir verstehen das“ (de Waal 2003, S. 27). Tatsächlich spielte im zweiten Tschetschenienkrieg der radikale Islam eine nicht zu unterschätzende Rolle, was jedoch aus dem ersten Krieg resultierte, da sich als Gegenpool zur gemäßigten Regierung eine islamistisch gefärbte separatistische Bewegung um den bei den Präsidentschaftswahlen knapp unterlegenen Terroristen Bassajew gründete, die ihre Verbündeten im Ausland hatte (vgl. Osthold 2012, S. 65). So begann der zweite Tschetschenienkrieg mit der Ausweitung des Konfliktes von Bassajew und seinen Truppen nach Dagestan, wo er ebenso einen Islamistischen Staat errichten wollte. Putin schickte daraufhin seine Truppen nach Dagestan um sogleich hart zu reagieren. Bassajew zog sich daraufhin wieder in den Terrorkampf nach Tschetschenien zurück. In Moskau explodierte ein Wohnhaus mit 130 Toten, wovon sich aber auf tschetschenischer Seite die offiziellen sowie inoffiziellen Vertreter wie Bassajew distanzierten. Die russischen Vertreter jedoch sahen einen klaren Zusammenhang und sprachen von „tschetschenischen Banditen“ und Tschetschenien im Allgemeinen als „gewaltiges terroristisches Lager“ (Krech 2002, S. 46). Auch die in Moskau lebenden Tschetschenen wurden dadurch stigmatisiert und systematisch verfolgt. Nach weiteren Anschlägen in Wohnhäusern und Siedlungen 2 kam es durch Putins 2 Eine Verbindung zwischen den Anschlägen und Tschetschenen wurde nie nachgewiesen. Es hält sich hartnäckig das Gerücht, dass der russische Inlandsgeheimdienst darin verwickelt ist. Die Tageszeitung Nesawissimaja Gaseta resümierte nach 4 Anweisung zu Kampfeinsätzen auf Tschetschenischem Boden (vgl. Krech 2002, S. 46). Die Vorurteile, die sich im Laufe der Zeit in den Köpfen auf beiden Seiten aufbauten, führten zu einem enormen Hass gegeneinander, der in schreckliche Kriegsverbrechen gipfelte. Vergewaltigungen, Folter und Morde waren an der Tagesordnung. Zudem kamen noch die unzähligen Vermissten, die nie wieder auftauchten. Nach weiteren Anschlägen und Geiselnahmen – unter anderem die Geiselnahme eines ganzen Theaters in Moskau3 - wurden bis Ende 2002 alle wichtigen tschetschenischen Figuren ermordet. Immer wieder wurde dabei der russische Inlandsgeheimdienst für diese Taten gelobt. Putin setzte sich mit brachialer Gewalt durch und lies sich nicht erpressen. „Die Armee und der Oberbefehl in Tschetschenien führende Geheimdienst verfolgten eine von Putin befohlene Politik staatlichen Terrors, um mit allen Mitteln das übergeordnete Ziel zu erreichen: eine Unabhängigkeit Tschetscheniens zu verhindern“ (Hassel 2003, S.39). Das System Putin In einer Rede Putins zu seiner dreijährigen Bilanz im Mai 2003 sagte er zu den Ereignissen folgendes: „Unsere gesamte historische Erfahrung zeigt: Ein Land wie Rußland kann in seinen existierenden Grenzen nur leben und sich entwickeln wenn es eine starke Großmacht ist. In allen Schwächeperioden, ob politisch oder wirtschaftlich, stand Rußland immer (…) vor der Gefahr des Zerfalls (…) Wir haben juristisch und faktisch die Einheit des Landes wieder hergestellt“ [mit dem Tschetschenienkrieg habe Rußland den Preis] für die Wiederherstellung der territorialen Unversehrtheit Rußlandes [gezahlt]“ (Hassel 2003, S. 39). Somit war der Krieg für ihn beendet und er wurde als starker Führer von der russischen Bevölkerung gefeiert. Kein Wort zu der schlimmen humanitären Lage in Tschetschenien und den weiter anhaltenden Kämpfen. Putin beendete den Krieg mit seinen Worten und seinen Taten. dem Einblick in Geheimakten folgendes: „Es ist völlig offensichtlich, dass die Tschetschenen nach Dagestan gelockt wurden (…), um einen legalen Anlass für die Durchsetzung föderaler Macht in der Republik und für den Beginn der aktiven Kampphase gegen die sich in Tschetschenien sammelnden Terroristen zu schaffen. Dies war klar eine Operation der russischen Geheimdienste (…) und auf allerhöchster Ebene politisch sanktioniert“ (Hassel 2003, S. 51). Bassajew stand laut Dokumenten immer wieder in Kontakt mit russischen Regierungsvertreter 3 700 Geiseln wurden genommen. Die russische Spezialeinheit setzte bei der Stürmung Betäubungsgas ein. 132 Geiseln und 47 Geiselnehmer kamen dabei zu Tode. Die betäubten Geiselnehmer wurden erschossen. Somit kam es auch hier zu keiner Aufklärung des Falles. 5 Zwischen dem ersten und dem zweiten Tschetschenienkrieg gab es hinsichtlich der Befürwortung zum Militärschlag gegen Tschetschenien eine große Differenz. Waren beim ersten Militärschlag noch die Mehrheit gegen eine Intervention, so sprachen sich vor der zweiten Intervention über 50 Prozent für einen Krieg aus, was vor allem daran lag, dass der damalig neue Premierminister Putin die Militärmaßnahme als „Verteidigung Russlands gegen den internationalen Terrorismus“ (Halbach 2010; S. 54) deklarierte. Diese Taktik spiegelt das System Putin deutlich wieder: Er weiß wie er welche Stimmung erzeugen kann und scheut niemals vor Lügen zurück. Weiter noch schafft er es seine Lügen als Wahrheiten zu verkaufen. Wobei verkaufen bedeuten würde, dass die Rezipienten eine Wahl hätten diese als Wahrheit anzuerkennen oder eben nicht (vgl. Mommsen 2007). Dies ist unter Putin kaum der Fall, wie auch beim Attentat von Beslan zu sehen war. Bevor auf Putins Handeln beim konkreten Fall eingegangen wird, soll in Kürze sein Regierungsstil der `Vertikalen Macht´ aufgezeigt werden, um deutlich zu machen, wie die Entscheidungsketten in Beslan (nicht) funktioniert haben Gelenkte Demokratie Russland ist seit 1993 laut Verfassung eine Demokratie, was normalerweise bedeuten würde, dass alle Macht vom Volke ausgeht. Wegen Putins Regierungsstil wird jedoch noch das Adjektiv „gelenkte“ hinzugefügt. Die Schaffung einer gelenkten Demokratie – wobei die Betonung wohl mehr auf gelenkte als auf Demokratie liegt war von Anfang an der große Plan Putins, deutlicher gesagt, „die Restauration der Staatskontrolle“ (Hartmann 2013, S. 58). Nach seiner nun 15 jährigen Herrschaft 4 lässt sich resümieren, dass sein Ausbau der Staatskontrolle geglückt ist. Deutlich machen das folgende ausgewählte Punkte: Verfassung und Verfassungsgericht werden weitgehend von Putin beeinflusst und zu seinen Gunsten benutzt. Ihnen wurde mit der Partei Einiges Russland eine politische Institution hinzugefügt, die sie maßgeblich beeinflusst. 4 Vom Ministerpräsident Russlands wechselte er ins Präsidentenamt der Russischen Föderation und wieder zurück. Aktuell ist er wieder Präsident der Russischen Föderation. Auch dies ist ein Merkmal seiner Politik: Nicht die Rollen präsentieren die Macht, sondern die jeweilige stärkere Persönlichkeit. Putin war in all seinen Ämtern die Schlüsselfigur des Regimes (vgl. Hartmann 2013, S. 59). 6 Die Oligarchen dürfen weiter Geld verdienen, aber nur wenn sie sich dem Kreml unterwerfen, der zudem bestimmt, mit was sie Geld verdienen dürfen. Wer sich dem nicht unterwirft wird deutlich bestraft, wie das bei dem Oligarch Michail Chodorkowski geschehen ist. Außerkonstitutionelle Gesetze wurden dafür geschaffen, dass der Präsident ebenso der Chef über die Regionalverwaltungen ist. Putin ist nun befugt die Regionalverwaltungen eigenständig abzusetzen und einzusetzen(vgl. Hartmann 2013, S. 59) Dies sind wohl die zentralen drei Punkte, weitere können jedoch noch hinzugefügt werden. Entscheidend jedoch ist, dass Putin durch seine Politik seine Macht soweit ausgedehnt hat, dass er Russland nach seinem Willen lenken kann. Seine Härte, wie er die Entscheidungen zu seinen Gunsten durchgedrückt hat, ist innerhalb Russlands zu sehen, aber auch immer mehr auf dem internationalen Bankett. Die `Vertikale der Macht´ Der Führungsstil der Machtvertikale, oder kurz „Vertikale“ bezieht sich auf die Kommandokette, die sich durch ganz Russland zieht. Die seit 1994 geltende Verfassung beinhaltete noch eine Vertikale, sowie Horizontale Gewaltenteilung, die nun zugunsten der Exekutive verändert wurde. Diese hat nun die alleinige Kontrolle über den Staat und die Gesellschaft. So wird seit 2004 der Gouverneur der jeweiligen russischen Teilstaaten nicht mehr von den Bürgern bzw. den Parlamenten gewählt, sondern vom Präsident eingesetzt (vgl. Hartmann 2013, S. 153). In Tschetschenien wurde 2004 der Sohn des bis dahin regierenden Präsidenten Achmat Kadyrov5, Ramsan Kadyrov eingesetzt. Die Einflussnahme Putin zieht sich bis in die Gemeinden, die nun der Kontrolle der Staatspartei, welche er mit gegründet hat, unterworfen sind. Doch neben der bürokratischen, politischen Vertikalen gibt es ebenso eine gesellschaftliche Vertikale, was anhand der Manipulationen der Medien ersichtlich wird (vgl. Mommsen 2004 S. 46ff). 5 Achmat Kadyrov wurde 2003 gewählt. Er galt als Prorussischer Kandidat und erhielt deshalb auch die russische Unterstützung. Die Wahl wurde von Internationalen Beobachtern als Farce bezeichnet. Achmat Kadyrov kam 2004 bei einem Bombenanschlag ums Leben. 7 Putin lehnte in einem Statement 2003 jegliche Alternative zur präsidentiellen Republik ab und nennt eine parlamentarische Republik „gefährlich“ (Mommsen 2004, S. 35). Die jeweiligen rätselhaften Bombenangriffe auf Wohnhäuser in Moskau und anderen Städten, welche vorschnell als kaukasischen Rebellen zugeschrieben wurden, verhalfen Putin sich als neuen Mann für law and order zu stilisieren und die Gesetzt so zu entwerfen, dass sie seiner Machtausweitung dienen(vgl. Mommsen 2004, S. 36). Tschetschenien bis heute Ahmat Kadyrow kam 2004 bei einem Bombenanschlag ums Leben. Sein Sohn Ramsan übernahm die Macht, wurde wegen seines jungen Alters jedoch erst 2007 zum Präsidenten der Republik Tschetschenien ernannt. Putins Strategie ging auf – die Kämpfe sowie die Anschläge nahmen deutlich ab. Der Preis dafür war die Liquidation vieler früheren tschetschenischen Militärführer, unter anderem auch der Initiator des Beslan Attentats, Bassajew. Kadyrow ließ keine Opposition mehr zu – diese wurde ermordet, oder mit einem Amnestieprogramm in die Kadyrow-Milizen eingegliedert (vgl. Halbach 2010, S. 60f). Kadyrow folgt dem Prinzip „der Staat bin ich“ und hat sich so abgekoppelt von der russischen Verfassung, die prinzipiell auch für Tschetschenien gelten sollte. Welche Stellung Menschen haben, wie ihr Lebensstandart ausschaut, hängt alleine von der Loyalität zu Kadyrow ab. Menschenrechtsverletzungen wie das `Verschwindenlassen´ von angeblichen Angehörigen von Widerstandskämpfern und deren wochenlange Folterungen, willkürliche Gewalt gegen mutmaßliche Gegner Kadyrows und massive Verstöße gegen Frauenrechte sind nur ein Teil von Verstößen gegen die Menschenrechte. Kadyrow schaltet und waltet wie es ihm gefällt. NGO´s oder auch GO´s wie die UNMenschenrechtsbeauftragten werden nicht ins Land gelassen, was auch der Kreml unterstützt und in neuen Gesetzen6 geregelt hat (vgl. Menschenrechtsreport 2012, S. 23). 2009 erklärte der russische `Übergangspräsident´ Medwedjew den Nordkaukasus wegen seiner Mixtur aus „terroristischen Aktivitäten, Kämpfen zwischen 6 2012 hat Putin auf Grund der Proteste die Möglichkeiten für NGO´s massiv eingeschränkt. Sie müssen sich jetzt registrieren lassen und werden offiziell als „ausländische Agenten“ bezeichnet. 8 Sicherheitsorganen und militanten Untergrundkräften, Clankämpfen innerhalb der politischen Machteliten, extralegaler Gewalt offizieller Sicherheitsorgane, mafiösen Konkurrenzkämpfen und interethnischen Konflikten“ (Halberg 2010, S. 61) zum herausragenden inneren Problems Russlands. Anders als Putin betonte er die sozialökonomischen Ursachen von Gewalt und Instabilität. Dies hatte jedoch mehr Auswirkungen auf Inguschetien und Dagestan. Tschetschenien selbst steht unter Aufsicht des Alleinherrschers Ramsan Kadyrow, und Russland scheint einen Deal eingegangen zu sein der heißt: Schreckensherrschaft in Tschetschenien und dafür keine Ausweitung des Konfliktes in andere Teilrepubliken bzw. Russland. Viele behaupten zynisch, dass Tschetschenien nun mehr Autonomie besitzt, als jemals zuvor in den letzten 100 Jahren und Russland bezahlt auch noch die Rechnung: 90 % des Staatshaushaltes des Terrorregimes werden vom Kreml finanziert (vgl. Menschenrechtsreport 2012, S. 21ff). 9 1. Literaturverzeichnis Printmedien Cremer, Marit (2007): Fremdbestimmtes Leben, Eine biographische Studie über Frauen in Tschetschenien; transcript Verlag; Bielefeld De Waal, Thomas (2003): Zwei Jahrhunderte Konflikt, Eine Einführung; Hrsg. Florian Hassel, Der Krieg im Schatten, Rußland und Tschetschenien; Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main Halbach, Uwe (2004): Gewalteskalation im Nordkaukasus, Verhärtung in Russland; Stiftung Wissenschaft und Politik; Berlin Hassel, Florian (2003): Der zweite Tschetschenienkrieg: Eine Unterwerfungskampagne in imperialer Tradition, Hrsg. Florian Hassel, Der Krieg im Schatten, Rußland und Tschetschenien; Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main Halbach, Uwe (2004): Gewalteskalation im Nordkaukasus, Verhärtung in Russland; Stiftung Wissenschaft und Politik; Berlin Hartmann, Jürgen (2013): Russland, Einführung in das politische System und Vergleich mit den postsowjetischen Staaten, Springer VS, Wiesbaden Krech, Hans (2002): Der Zweite Tschetschenien-Krieg (1999-2002); Verlag Dr. Köster, Berlin Mommsen & Nußberger (2007): Das System Putin, C.H.Beck oHG, München Politkovskaja, Anna (2006): In Putins Russland; Lizenzausgabe für die Bundeszentrale für politische Bildung; Bonn Osthold, Christian (2012): Islamismus in Tschetschenien, Die Rolle des Islamismus für den tschetschenischen Separatismus, Optimus Verlag, Göttingen Cheloukhine & Lieberman (2011): Reforming Power Structures: Russian Counter-Terrorism Response to Beslan; in Hrsg. Haberfeld & Agostino von Hassel: A new understanding of Terrorism: Case Studies, Trajectories and Lessons Learned; Springer Science Business Media; New York Internetquellen (alle zuletzt aufgerufen am 13.03.2014): http://www.novo-magazin.de/73/novo7362.htm http://www.ag-friedensforschung.de/regionen/Tschetschenien/beslan-komm.html http://www.laender-analysen.de/russland/pdf/Russlandanalysen108.pdf GfBV Report: Die Menschenrechtslage in Dagestan, Tschetschenien Inguschetien:http://issuu.com/gfbvonline/docs/mrreport_nr._68__nordkaukasus/23?e=6496256/3320766 10 und