Psychotherapie und Psychosomatik Über den allgemeinärztlichen Umgang mit Patienten, die sich in Psychotherapie befinden* E. Horn, S. Gervers Zusammenfassung Der Artikel beschreibt Irritationen in der Dreiecksbeziehung zwischen Hausarzt, Patient und Psychotherapeut**. In einer laufenden Psychotherapie wird der Hausarzt vermehrt aufgesucht, wenn Körpersymptome auftreten oder die therapeutische Beziehung schwierig wird. Aufgabe des Allgemeinarztes ist es, die Symptome in den passenden Kontext zu stellen und eine eigene Haltung zu finden. Vor dem Hintergrund des Triangulierungskonzeptes werden gelingende und misslingende Interaktionen verständlich. Summary The role of doctors in treating patients undergoing psychotherapy The article describes irritations in the relationship between general practitioners, patients and psychotherapists. During an ongoing therapy, general practitioners are often contacted when body symptoms appear or when therapy is in crises. In making the diagnoses, the doctor has to take into consideration the psychotherapeutic context. We interpret successful and less successful interactions on the bases of the concept of triangulation. Key words Basic psychosomatic care, psychotherapy, triangulation Psychisch kranke Menschen suchen häufig zuerst ihren Hausarzt auf. In Praxen von Allgemeinärzten leiden 30 % bis 40 % der Patienten an psychogenen oder sekundär psychosomatischen Syndromen (1). In diesem Bewusstsein haben sich viele Hausärzte in psychosomatischer Grundversorgung weiterbilden lassen und führen diese nach den bestehenden Richtlinien durch. Kriterien für eine Überweisung zur Fachpsychotherapie nach erfolgter psychosomatischer Grundversorgung sind in dem Artikel »Über den ärztlichen Umgang mit Patienten mit somatoformen Störungen« publiziert (2). Hier soll es darum gehen, welche Schwierigkeiten entstehen können, * Herrn Dr. Helmut Boden, Facharzt für Allgemeinmedizin, Chirotherapie in Issum, danken wir für ein anregendes Gespräch und die Durchsicht des Manuskriptes ** Zur besseren Lesbarkeit wird im gesamten Text entweder die feminine oder maskuline Form verwendet. Selbstverständlich sind jeweils beide Geschlechter gemeint. wenn ein Patient sich bereits in psychotherapeutischer Behandlung befindet und parallel seinen Hausarzt konsultiert. Fallbeispiel 1 Eine 44-jährige Patientin mit somatoformer Schmerzstörung befindet sich seit einem Jahr in einer psychoanalytischen Langzeittherapie im Sitzen. Sie kommt einbis zweimal pro Woche. Zentral waren zu Beginn der Behandlung die enorme Bedürftigkeit und Anspruchshaltung der Patientin, die alle ihre Wünsche nach Versorgung und Wiedergutmachung auf die Therapeutin richtete und diese idealisierte (»Sie sind die Einzige, die mich wirklich versteht und auf mich eingeht«). Im Verlauf einer solchen Therapie muss es zu Frustrationen und Enttäuschungen kommen, wenn die Therapeutin beginnt, Grenzen zu setzen. Diese Patientin erwartete z. B. wiederholtes finanzielles Entgegenkommen, nahezu unbegrenzte zeitliche Verfügbarkeit und unreflektierte Unterstützung eines Rentenbegehrens. Die Abgrenzung der Therapeutin gegenüber diesen Ansprüchen führte dazu, dass die Stimmung ins Aggressive kippte. Gleichzeitig traten vermehrt körperliche Beschwerden auf. Die Hausärztin, die nach Angaben der Patientin über die Psychotherapie informiert war, reagierte mit dem Satz: »Das wird ja nicht besser bei Ihnen, wollen Sie nicht mal in die Klinik gehen?« Die Patientin berichtete dies gegenüber der Therapeutin so, als sei dies nun eine beschlossene Sache, die unabwendbares Schicksal sei. Dr. med. Elke Horn Cranachstr. 3, 40235 Düsseldorf E-Mail: [email protected] Silke Gervers Eppinghovener Mühle, 41472 Neuss E-Mail: [email protected] Z. Allg. Med. 2003; 79: 223–227. © Hippokrates Verlag in MVS Medizinverlage Stuttgart GmbH & Co. KG, Stuttgart 2003 223 Psychotherapie und Psychosomatik Was ist hier passiert? In diesem Beispiel sucht die Patientin in einer Phase, in der die Therapeutin sich von überzogenen Ansprüchen abgrenzt, ihre Hausärztin auf, um über diesen Weg doch noch ihre Anspruchshaltung zu befriedigen. Die Patientin trägt der Hausärztin nur ihre aus der Frustration resultierenden entwertenden Impulse gegenüber der Therapeutin vor (»Es bringt ja alles nichts, ich komme nicht weiter, die gibt mir nicht, was ich brauche!«) und setzt die Hausärztin damit einerseits unter Druck, andererseits auch der Verführung aus, es besser zu machen. Die Hausärztin reagiert spontan so, dass sie einerseits die Ansprüche der Patientin erfüllen möchte, andererseits sie sich aber vom Leib hält: »Das wird ja nicht besser bei Ihnen, wollen Sie nicht mal in die Klinik gehen?«. Damit hat sie die von der Patientin vorgetragene Entwertung der Therapeutin mitgetragen und die Ansprüche der Patientin bestätigt. Die aus therapeutischer Sicht notwendige Konfrontation konnte dadurch nicht stattfinden. Die Frustration über nicht erfüllbare Wünsche muss jedoch bis in tiefe Gefühlsschichten erlebt werden, weil nur durch die emotionale Erfahrung die zugrunde liegende Vernachlässigung aus der Vergangenheit spürbar werden kann. Die Hausärztin hat hier aber im Dienste eines weiteren Agierens und der Abwehr des emotionalen Konflikts reagiert. Fallbeispiel 2 Frau B., 39 Jahre alt, ist seit ca. zwei Jahren in psychoanalytischer Behandlung im Sitzen wegen einer chronischen depressiven Entwicklung auf Borderline-Niveau vor dem Hintergrund einer multiplen frühkindlichen Traumatisierung. Positiv bewältigt wurden bereits ein erhebliches Alkoholproblem, eine anorektische Störung und die Störung sozialer Kontakte. Die Stimmungslage war wesentlich stabiler. Sie schaffte es in Ansätzen, sich aus ausbeuterischen Beziehungen in ihrem Umfeld zu distanzieren. In dieser Phase kam es zu einem Anfluten von Erinnerungen aus der frühen Kindheit mit massiven Selbstbeschimpfungen und Selbstzweifeln der Patientin, die sie kaum noch aushalten konnte (»Ich bin nur ein Dreckhaufen, ich habe die Therapie überhaupt nicht verdient, ich kann es Ihnen überhaupt nicht glauben, wenn Sie mir etwas anderes sagen, eigentlich wollen Sie mich los werden!«). Nach einer solchen schwierigen Stunde meldete sich die Patientin einige Tage später per Anrufbeantworter mit den Worten: »Ich danke Ihnen für alles, was sie für mich getan haben, aber mir ist klar geworden, dass ich die Therapie abbrechen muss. Es ist besser, wenn ich gehe.« Auch 224 weil es bei dieser Patientin im Vorfeld immer wieder zu suizidalen Krisen gekommen war, die sich ähnlich per Anrufbeantworter angekündigt hatten, meldet sich die Therapeutin und besteht auf dem vereinbarten Termin. Die Patientin berichtet, was in der Zwischenzeit vorgefallen ist: Sie habe den starken inneren seelischen Druck in der Therapie nicht mehr aushalten können und habe deshalb statt ihrer bisherigen, sie in ihrem Therapiewunsch unterstützenden Hausärztin einen neuen Hausarzt »um die Ecke« aufgesucht. Diesem Arzt habe sie geschildert, wie schlecht es ihr gehe, worauf dieser ihr »den Kopf gewaschen« habe: »Was, Sie gehen da schon zwei Jahre hin, schauen Sie doch, wie es Ihnen geht, das ist ja fürchterlich. Wenn Sie so weitermachen, werden sie nur noch kränker werden, am Schluss wird Ihnen das Jugendamt das Kind wegnehmen. Am besten, Sie reißen sich mal zusammen und beenden die Therapie.« Die Patientin schildert, dass sie sich daraufhin zunächst sehr erleichtert gefühlt habe und die Kraft hatte, die Therapie zu beenden. Allerdings seien in der Folge Suizidgedanken aufgetreten. Sie habe sich wieder »wie ein Stück Dreck« gefühlt und habe gedacht, es sei besser, wenn man sie aus der Welt entferne. Nur die Tatsache, dass sie eine kleine Tochter hat, habe sie daran gehindert, sich das Leben zu nehmen. Was zeigt dieser Fall? An diesem Fall wird deutlich, wie sehr die Patientin zwischen den positiven Gefühlen gegenüber der Therapeutin und dem bereits erreichten Therapieerfolg einerseits und den destruktiven und sadistischen Impulsen, die durch die Therapie in ihr aktiviert wurden, andererseits hin- und hergerissen ist. Da die Patientin zu diesem Zeitpunkt noch nicht über genügend Möglichkeiten der Integration verfügte, geriet sie unter schwere seelische Spannungen. Davon versuchte sie sich unbewusst mit dem Mechanismus der Spaltung zu entlasten. Das bedeutet, sie versuchte durch ihre Inszenierung das Gute und das Böse auseinander zu halten. Sie suchte den neuen Hausarzt auf und rechtfertigte diesen Hausarztwechsel mit dem Argument der Bequemlichkeit (er wohnte um die Ecke). Später wurde aber deutlich, dass sie vorbewusst sehr genau über die negative Einstellung dieses Arztes zur Psychotherapie Bescheid wusste. Sie bot dem Arzt an, die quälenden beschimpfenden und sadistischen Gedanken, die in ihr nicht zu ertragen waren, auszusprechen und zu übernehmen. Dadurch konnte sie die Therapeutin als »gutes Objekt« bewahren – wie aus dem Anrufbeantwortertext deutlich wird. Sie geht nicht mit Groll, sondern bedankt sich für das Gute, das sie erfahren hat. Die Z. Allg. Med. 2003; 79: 223–227. © Hippokrates Verlag in MVS Medizinverlage Stuttgart GmbH & Co. KG, Stuttgart 2003 Psychotherapie und Psychosomatik Patientin hat damit ihre massive innere Ambivalenz externalisiert und im Dreieck inszeniert. Nach der spontanen Entlastung muss es aber zu einer Verschlechterung kommen, weil durch die »Kopfwäsche« des Hausarztes die Patientin in ihrem negativen Selbstbild letztlich bestätigt wird: sie erlebt, »ich bin wirklich der letzte Dreck, ich habe wirklich keine gute Behandlung verdient, ich muss weg«; was nicht nur weg aus der Therapie, sondern auch weg aus dem Leben heißt. Fallbeispiel 3 Eine 35-jährige Patientin kam in Psychotherapie, weil sie seit über zehn Jahren an einer sehr schweren Bulimie (fünf bis sechs Brechattacken pro Tag) litt. Die Therapie nahm einen guten Start, die Patientin konnte nach relativ kurzer Zeit von ihren Brechattacken Abstand nehmen. Allerdings traten nach etwa einem Jahr Therapie gehäufte, unerklärliche Bauchschmerzen auf. Die Patientin ging zu ihrem Hausarzt, der sie gründlich untersuchte. Dieser konnte für die Unterbauchschmerzen keine körperlich schlüssige Ursache finden. Er wusste jedoch, dass die Patientin in Psychotherapie war. Nach der Untersuchung kam er mit der Patientin ins Gespräch und fragte sie: »Könnte es vielleicht sein, dass sie jetzt gerade in Ihrer Psychotherapie an einer schwierigen Stelle sind?« Unmittelbar danach fielen der Patientin eine Reihe von Szenen ein, die mit Kränkungen und Entwertungen von Seiten ihrer Mutter zusammenhingen. Diese konnte sie dann in die folgende Psychotherapiestunde einbringen und für sich bearbeiten. Die Kränkungen und Entwertungen der Mutter konnten bis dahin nicht gespürt werden, wurden ihr aber im Zusammenhang mit den Unterbauchschmerzen und der Bemerkung ihres Arztes bewusst. Ihre Mutter hatte sie immer wieder in ihrer Weiblichkeit entwertet. Was geschah in diesem Fall? Ihr Arzt hatte zum einen die Körperbeschwerden der Patientin ernst genommen, dann aber die Anamnese auf das Erleben der Patientin ausgeweitet und vorsichtig nachgefragt, ohne sie mit einem Urteil und einer vorschnellen Deutung zu überfrachten. Er bewies damit Vertrauen in den Prozess der Psychotherapie. Was wird an diesen Beispielen deutlich? Der Hausarzt wird vor allem dann vermehrt konsultiert, wenn in der therapeutischen Beziehung Krisen auftau- chen. Diese Krisen müssen aber nicht unbedingt negativ sein, vielmehr handelt es sich in der Regel um so genannte normative Krisen, d. h. Krisen, die anzeigen, dass der therapeutische Prozess in einer wichtigen Phase ist, die durchgestanden werden muss, wenn eine Veränderung zum Positiven stattfinden soll. Psychoanalytisch gesprochen geht es um die Durcharbeitung negativer Affekte und der negativen Übertragung auf den Therapeuten. Rudolf und Henningsen zeigten in ihrer Übersichtsarbeit über Patienten mit somatoformen Störungen, dass regelhaft in langwierigen Therapieverläufen den Fokus wechselnde Enttäuschungsaggressionen auftreten, die schrittweise bearbeitet werden müssen (4). In unseren Fallbeispielen wurden die Therapeutinnen oder aber auch Hausarzt und Hausärztin zu »Rollenträgern«: Im ersten Fall wurde die Therapeutin zu einer schlechten, die Patientin benachteiligenden und nicht gut versorgenden Mutter. Im zweiten Fall wurde der Hausarzt zu einer strafenden Instanz, indem er die Patientin ebenso beschimpfte, wie dies ihre Mutter früher tat. Im dritten Fallbeispiel verhielt sich der Hausarzt wie ein weiser Vater, der die Patientin einerseits ernst nimmt, andererseits die Beschwerden in den richtigen Kontext stellt. Exkurs zur Entwicklungspsychologie In der Art, wie das Beziehungsdreieck zwischen Hausarzt, Patient und Therapeut gestaltet wird, können sich reifere oder unreifere Formen der Beziehungsgestaltung abbilden. Solche »Beziehungsdreiecke« kommen natürlich auch im alltäglichen Leben vor, z. B. bei Scheidungsauseinandersetzungen, in beruflichen Konkurrenzsituationen oder bei der Geburt des ersten Kindes. Die persönlichen Grundüberzeugungen über Zweier- bzw. Dreierbeziehungen bildet sich jeder Mensch in seiner Kindheit. In der Entwicklung eines Kindes kommt es entscheidend darauf an, dass die Mutter-Kind-Dyade sich öffnen kann hin zu einer Triade mit dem Vater**. Die Hinwendung zum Vater ermöglicht es dem Kind, sich ohne Gefahr von der Mutter zu trennen und gleichzeitig mit ihr verbunden zu bleiben. Es lernt zwei verschiedene Sichtweisen der Welt kennen. So macht es die Erfahrung, dass es getrennt lebensfähig ist und dass unterschiedliche Sichtweisen nebeneinander existieren können. Hierbei kommt es darauf an, dass auch bei möglichen unterschiedlichen Haltungen die Eltern wertschätzend miteinander umgehen. Kommt es jedoch zu heftigen gegenseitigen Entwertungen, so lernt das Kind, dass in Dreiecksverhältnissen immer einer ausgeschlossen wird (»Wir beide sind gut, der Dritte ist schlecht.«). Es entwickelt sich ein massiver Loyalitätskonflikt, das Kind weiß nicht mehr, ob es zur Mutter oder zum Vater halten Z. Allg. Med. 2003; 79: 223–227. © Hippokrates Verlag in MVS Medizinverlage Stuttgart GmbH & Co. KG, Stuttgart 2003 225 Psychotherapie und Psychosomatik soll. Es kommt zu einem Schwarzweißdenken mit wechselnden Koalitionen. Das Kind kann auf Grund der gestörten Elternbeziehung seelisch keine Autonomie entwickeln und ist später nicht zu guten Mehrpersonenbeziehungen in der Lage. Die Welt wird in Gut und Böse aufgeteilt, es gibt nur ein Entweder/Oder statt des realistischeren Sowohl/Als auch. Zentral ist dabei nicht nur der reale Dialog zwischen den Eltern, sondern dass der jeweils Andere in der Auseinandersetzung mit dem Kind mitgedacht wird, d. h. innerlich präsent ist. Der dadurch dem Kind ermöglichte Prozess heißt Triangulierung (3). Triangulierung Fähigkeit des Kindes, sich wechselseitig liebend sowohl mit der Mutter als auch mit dem Vater zu identifizieren und die Verbindung zwischen ihnen anzuerkennen. Dies gilt sinngemäß auch für den Vater (bezogen auf die Mutter-KindVerbindung) und für die Mutter (bezogen auf die VaterKind-Verbindung). Triangulierung Die meisten unserer psychosomatischen und schwer traumatisierten Patienten haben eine Störung in der Triangulierung erlebt. In der Therapie kommt es deshalb regelmäßig zur Aktualisierung genau solcher Konflikte, die die Triangulierungsfähigkeit auf die Probe stellen. Besonders in der Gruppenpsychotherapie können wir Therapeuten solche Konflikte »life« beobachten. Wenn sich in der Therapie ein altes Triangulierungsproblem wiederherstellt, können Hausarzt und Psychotherapeut vom Patienten wie schlecht abgestimmte Eltern erlebt werden. Da der Patient zunächst seine bisherige Lösungsmöglichkeit der Spaltung in »gut« und »böse« versuchen wird, kann der Hausarzt verführt sein, auf das unbewusst angebotene »Rollenspiel« einzugehen und, wie im ersten und zweiten Fall, die Psychotherapie zu entwerten. Widersteht er dieser Verführung und macht seine eigene Sichtweise deutlich, ohne die Mutter zu entwerten oder gar zu »vernichten«, so ermöglicht er es dem Patienten, nach und nach seine Integrationsfähigkeit zu entwickeln. Damit trägt er zur Ichstärkung und Autonomieentwicklung des Patienten bei. Zur Arbeitsteilung zwischen Allgemeinarzt und Fachpsychotherapeut Gute Triangulierung ermöglicht eine klare Arbeitsteilung zwischen den nach einem biopsychosozialen 226 Modell arbeitenden Allgemeinmedizinern und den Fachpsychotherapeuten. Die Aufgabe des Allgemeinmediziners ist es, die seelischen Aspekte ganzheitlich mit zu berücksichtigen und immer wieder zu differenzieren, »Was gehört zu mir, was gehört in die Fachpsychotherapie?«. Diese Aufgabe hat z. B. der Arzt im dritten Fall mit ganz wenig Aufwand auf Grund seiner Haltung hervorragend gelöst. Er nimmt die Körperbeschwerden des Patienten ernst, ohne übertriebene somatische Diagnostik zu betreiben, ohne aber auch den Patienten direkt als »Psychofall« abzuqualifizieren, nur weil er auch in psychotherapeutischer Behandlung ist. Gleichzeitig hat er diese aber im Blick und kann im Kontakt mit dem Patienten die Psychotherapie mitrepräsentieren. Natürlich ist von der Hausärztin im ersten Fallbeispiel nicht zu erwarten, dass sie die beschriebene Psychodynamik durchschaut und berücksichtigt. Sie könnte aber zunächst einmal fragen, wie die Patientin mit ihrer Unzufriedenheit in der Therapie umgeht und ob sie mit ihrer Therapeutin darüber spricht. Statt die Entwertung der Therapeutin einseitig zu übernehmen, könnte sie sich selber fragen, ob die Therapeutin für ihr abgrenzendes Verhalten nicht gute Gründe hat. Umgekehrt können Hausärzte vom behandelnden Psychotherapeuten erwarten, dass dieser die »Körpermedizin« nicht entwertet. Es kommt ja häufig zu Klagen der Patienten über die Schulmedizin: Der Arzt rede nicht genug mit ihnen, schreibe sie trotz heftiger Beschwerden nicht krank, verordne Medikamente, die ihnen nicht gut täten, nehme die Beschwerden nicht ernst. Hier muss auch der Therapeut den Dritten mitrepräsentieren, indem er nicht einseitig die Entwertungen des Patienten für bare Münze nimmt. Er könnte z. B. im Sinne der Unterstützung einer guten Arbeitsteilung und zur Förderung der Triangulierungsfähigkeit sagen: Haben Sie ihre Zweifel am Medikament gegenüber dem Arzt angesprochen? oder: Sie waren doch bisher mit dem Arzt zufrieden, was glauben Sie, warum er Sie diesmal nicht mehr krank schreiben wollte? Wechselnde Rollen Zu einer guten Arbeitsteilung gehört das Wissen über die eigenen Möglichkeiten und Grenzen. Dann ist es möglich, Abschied von der Vorstellung zu nehmen, für alles verantwortlich und zuständig zu sein, eine Rolle, die gerade der Hausarzt auf Grund seines ganzheitlichen Modells schnell angetragen bekommt. Gute Arbeitsteilung im Verhältnis zwischen Arzt und Fachpsychotherapeut setzt also ein vertrauensvolles Verhältnis der Gegenseitigkeit voraus, wo jeder Kollege Z. Allg. Med. 2003; 79: 223–227. © Hippokrates Verlag in MVS Medizinverlage Stuttgart GmbH & Co. KG, Stuttgart 2003 Psychotherapie und Psychosomatik dem anderen zunächst einmal gute Gründe für sein Handeln unterstellen kann und den Patienten darin unterstützt, seine Konflikte mit dem jeweils anderen anzusprechen und zu klären. Dabei können die Rollen durchaus verschieden und wechselnd verteilt sein. Der Hausarzt fühlt sich sehr oft als Buhmann, der den »Kleinkram« erledigen muss. Das kann sich aber sehr schnell ändern, wenn in der Therapie Krisen auftreten, wo der Therapeut dann »der Böse« wird. Auch können die Rollen für »Grenzen setzen« und »Verständnis haben« durchaus verschieden verteilt sein. In der Regel bietet die Therapie zu Beginn einen Raum für alle Gefühle, Emotionen und ambivalente Empfindungen, während der Hausarzt schon einmal mehr Grenzen setzen muss. Im Verlauf können die Rollen sich ändern, wenn es z. B. in der Therapie dazu kommt, dass Konfrontationen für den Entwicklungsprozess notwendig werden und der Hausarzt dann als verständnisvoller aber nicht entwertender Partner aufgesucht wird. »Erste Hilfe« in der Praxis Vielleicht können folgende Gedanken hilfreich sein: Hat der Therapeut vielleicht gute Gründe, jetzt mit dem Patienten so umzugehen, wie er es tut? Ist es möglich, dass der Patient Ihnen nur die eine Seite der Medaille zeigt? Kann es sein, dass der Patient Sie zu einem bestimmten Verhalten verführen will (z.B. zur Legitimierung eines Therapieabbruchs, zu Entwertung, zu einer Verwöhnungshaltung, zu Krankschreibung oder Krankenhauseinweisung)? Handelt es sich vielleicht um eine »normative Krise« des Patienten? Welche Haltung kann der Hausarzt einnehmen? So mancher Hausarzt schildert seine Erfahrungen folgendermaßen: «Ich bin ausgebildet in psychosomatischer Grundversorgung und es ist wahrlich keine leichte Aufgabe, immer wieder Patienten zur Therapie zu motivieren. Manchmal gelingt es, dann aber bekomme ich keine Rückmeldungen und mache die Erfahrung, vor einer Mauer des Schweigens zu stehen.« Ein anderer Kollege: »Wenn es mal gut läuft, ist es frustrierend, nichts über den weiteren Verlauf der Therapie zu erfahren. Dann bin ich höchstens noch für die Krankschreibung zuständig.« Das Klagen über die mangelnde reale Kommunikation könnte bedeuten, dass das Fehlen der »elterlichen« Absprache als Störung im Dreieck wahrgenommen wird. Nach unseren Ausführungen könnte das Schweigen je- doch auch bedeuten, dass der Patient gut angekommen und es zu einer Beruhigung der Situation gekommen ist. Vielleicht erzählt ein Patient nichts über seine Therapie, weil er selbst differenzieren kann, was er wo besprechen will und weil vieles ihm auch peinlich ist. Er erlebt Therapie als einen geschützten und intimen Raum, den er für sich haben möchte. Über Therapieinhalte reden würde dann einen Vertrauensbruch bedeuten. Der Therapeut respektiert dies, er schweigt in der Regel, weil er seinem Patienten genügend Eigenständigkeit in der Triade zutraut oder diese mit ihm entwickeln will. Außerdem hat er die ärztliche Schweigepflicht zu beachten. Ausnahmen sind sehr früh gestörte Patienten wie z. B. schwere Anorexien oder Notfallsituationen wie Suizidversuch oder Psychose, wo direkte Kommunikation notwendig ist. Vertrauensbildende Maßnahmen Der Hausarzt darf sich entlastet fühlen und kann dies auch, wenn er mit Psychotherapie gute Erfahrungen gemacht hat. Wichtig sind deshalb »vertrauensbildende Maßnahmen« zwischen Allgemeinärzten und Fachpsychotherapeuten, so z. B. Balintgruppen, Ärztestammtische und gemeinsame Weiterbildungen. Auch das sind Formen guter Triangulierung. Literatur 1. Tress W (Hrsg.): Psychosomatische Grundversorgung. Kompendium der interpersonellen Medizin. Schattauer, Stuttgart-New York 1994 2. Horn E: Über den ärztlichen Umgang mit Patienten mit somatoformen Störungen. Z Allg Med 2000; 76: 127–131 3. Rhode-Dachser C: Die ödipalen Dreiecksbeziehungen bei narzistischen und bei Borderline-Störungen. In: Im Schatten des Kirschbaums. Psychoanalytische Dialoge. Verlag Hans Huber 1995 4. Rudolf G, Henningsen P: Die psychotherapeutische Behandlung somatoformer Störungen. In: Z Psychosom Med Psychother 2003; 49: 3–19 Zur Person Dr. med. Elke Horn, Fachärztin für Psychotherapeutische Medizin, Fachärztin für Psychiatrie, Psychoanalyse (DGPT), Gruppenanalyse. Projekttätigkeit an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf zum Thema »Somatoforme Störungen«, niedergelassen in eigener psychoanalytischer Praxis. Silke Gervers, Fachärztin für Psychotherapeutische Medizin, Fachärztin für Kinder- und Jugendmedizin, Gruppenanalyse, Konsiliar- und Beratungstätigkeit an einer Klinik und niedergelassen in eigener Praxis. Z. Allg. Med. 2003; 79: 223–227. © Hippokrates Verlag in MVS Medizinverlage Stuttgart GmbH & Co. KG, Stuttgart 2003 227