TU Dortmund, Wintersemester 2009/10 Institut für Philosophie und Politikwissenschaft M. Herrmann/C. Beisbart Wohlergehen und Lebensstandard als Maßstäbe unseres Handelns Happiness Economics 1 Einordnung Wir wollen uns nun fragen, wie das (möglicherweise messbare) Glück für die Politik relevant ist. Kesebir & Diener (2008) argumentieren für eine Berücksichtigung des Glücks (genauer des subjective well-being“) in der Politik. Bergheim (2007) stellt im Geiste ” der happiness economics“ dar, was die Politik tun kann, damit sich die Menschen ” glücklicher fühlen. 2 Kesebir und Diener Ziel (60): Es soll gezeigt werden, dass Glück (im Sinne von SWB = subjective wellbeing) von der Politik befördert/hergestellt werden sollte. Dabei soll Glück nur ein Orientierungspunkt für politisches Handeln sein; KD lassen zu, dass sich die Politik auch an anderen Dingen ausrichten sollte. Argumentationsschritte: 1. Grenzen der bisherigen Kenngrößen (a) Ökonomische Indikatoren wie BIP (engl. GDP). Probleme: i. Mehr Einkommen heißt nicht notwendig mehr Glück (vgl. das Easterlin Paradoxon) ii. Der Grenznutzen von Geld/Einkommen nimmt stark ab (d.h. je höher das Einkommen, desto weniger Glück ermöglichen zusätzliche 10.000 Euro). iii. Das BIP enthält Beiträge, die nicht zum wirklichen Wohlstand beitragen (ökonomische Aktivität zur Bekämpfung von Kriminalität etc.); andere Beiträge werden nicht berücksichtigt (Arbeit in der Familie); (b) Soziale Indikatoren wie Alphabetisierungsrate, niedrige Kriminalitätsrate. Probleme: i. Diese Indikatoren sind oft stark mit Einkommen, BIP korreliert und bringen daher nichts Neues. ii. Sie sind oft schwer zu ermitteln. iii. Sie müssen gegeneinander gewichtet werden (was ist wichtiger: niedrige Kriminalitätsrate etc.). iv. Sie korrelieren nicht immer positiv mit dem subjektiven Well-being 2. Was ist subjektives Well-being (SWB)? Das SWB einer Person ist grob das Ausmaß, in dem die Person mit ihrem Leben zufrieden ist. Zufriedenheit hier im Sinne a. eines bewertenden Urteils ( Ich bin ” 1 mit meinem Leben zufrieden“); b. von Affekten ( Mein Leben fühlt sich gut an“). ” SWB als Oberbegriff, mehrere Arten der Operationalisierung. Gegen Einwände gegen das SWB: (a) SWB ist kein reiner mental-state account; es kommt auch darauf an, was die Leute als wichtig beurteilen. (b) SWB ist nicht rein genetisch bedingt (vgl. die set point theory), sondern lässt sich beeinflussen (wenn es das nicht wäre, dann wäre es kein geeignetes Ziel für die Politik). 3. Verteidigung des SWB als Standard für politisches Handeln. (a) Intrinsischer Wert: i. Die Menschen bewerten das SWB in Umfragen als sehr wichtig. ii. SWB ist ein demokratisches Ideal, da es auf die Einschätzungen der Individuen ankommt. (b) Instrumenteller Wert: i. Die geistige Leistungsfähigkeit wächst mit dem SWB. ii. Die Bereitschaft zu moralischem, altruistischem Verhalten wächst mit dem SWB. iii. Die Gesundheit wächst mit dem SWB. Problem dabei u.a.: a. Wie mißt man SWB verlässlich (dazu S. 74 ff.)? Wie lässt sich ein kausaler Zusammenhang vom SWB auf andere Kenngrößen nachweisen (die Richtung der Verursachung könnte umgekehrt sein; es könnte auch eine gemeinsame Ursache geben)? c. Vgl. dazu auch die Ausführungen von M. Herrmann: Ambiguität im Glücksbegriff bei KD ( happiness“): Manchmal im Sinne von SWB; manchmal im Sinne von Glück ” (umfassend, inhaltlich unspezifiziert). 3 Bergheim Die Arbeit identifiziert anhand eines SWB-Maßes vier Gruppen von Ländern; innerhalb der Gruppen ähneln sich die Länder hinsichtlich des durchschnittlichen Glücks/SWB der Menschen. Vorgehen: Im wesentlichen Clusteranalyse. Für jedes Land werden die folgenden Kenngrößen berechnet (jeweils Durchschnittsgrößen: Bevölkerungsmittel): 1. ein SWB-Index; 2. ein Index, der das Vertrauen in andere Menschen misst; 3. ein Koeffizient, der die Korruption misst; 4. die Arbeitslosenquote; 5. ein Koeffizient, der den Bildungsgrad misst (die durchschnittliche Dauer der Ausbildung); 6. ein Index für das Einkommen (hier Nettonationalprodukt pro Kopf in Dollarn). 2 Länder, die sich hinsichtlich dieser Kenngrößen ähnlich verhalten, bilden Gruppen in einem sechs-dimensionalen Raum, der durch die genannten Parameter aufgespannt wird. Diese Gruppen wurden identifiziert (graphisch und mathematisch). Ergebnis: Vier Gruppen: 1. Die glückliche Variante des Kapitalismus“, etwa USA, skandinavische Länder. ” 2. Die glückliche Variante des Kapitalismus“, etwa Deutschland, Österreich, Belgien, ” Frankreich; 3. Die unglückliche Variante des Kapitalismus“, einige südeuropäische Länder; ” 4. Die ostasiatische Variante“, etwa Japan. ” Weitere Ergebnisse: 1. Die genannten sechs Kenngrößen sind mit dem SWB korreliert: höheres SWB korreliert mit weniger Korruption etc. 2. Auch andere Größen sind mit der subjektiven Lebenszufriedenheit korreliert. 3. Die Position einiger Länder hinsichtlich des SWB hat sich in den letzten Jahren verändert. Literatur Bergheim, S., Die glückliche Variante des Kapitalismus charakterisiert durch ein Bündel von gemeinsamkeiten,, Deutsche Bank Research, Aktuelle Themen 380, http://www.dbresearch.com/PROD/DBR INTERNET DEPROD/PROD0000000000208628.pdf, 2007. Kesebir, P. & Diener, E., In Defense of Happiness: Why Policymakers Should Care about Subjective Well-Being, in: Capabilities and Happiness (Bruni, L., Comim, F., & Pugno, M., eds.), Oxford University Press, Oxford, 2008, pp. 60 – 80. 3