Revolution im Dreiländereck 1848/49

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REVOLUTION
IM DREI LÄN DERECK
1 8 4 8 /4 9
Museum am Burghof
Baslerstrasse 143
D · 79540 Lörrach
T: +49 (0)7621-919 37-0
F: +49 (0)7621-919 37-20
Öffnungszeiten:
Mi-Sa 14-17 Uhr, So 11-17 Uhr
Führungen:
nach telefonischer
Vereinbarung
Was bedeutet Revolution?
Revolutionen sind kein singuläres Phänomen in der Menschheitsgeschichte.
Sie kommen in allen Lebensbereichen vor: Industrielle, Digitale, Sexuelle
und Friedliche Revolution zeugen von fundamentalen Umwälzungen. Die
Politikwissenschaft versteht unter diesem Begriff den radikalen Umsturz
der bestehenden politischen und gesellschaftlichen Verhältnisse. Damit es
soweit kommt, müssen jedoch mehrere Dinge gleichzeitig eintreten: Eine
Wirtschaftskrise, die Solidarisierung verschiedener Gesellschaftsgruppen,
um die bestehende Ordnung zu stürzen, eine Vision für eine bessere Gesellschaftsordnung sowie die Schwäche der bestehenden Herrschaftsverhältnisse sind Voraussetzungen für eine Revolution.
Für ein Leben in Freiheit, Gleichheit und Wohlstand kämpfen die Menschen in der Revolution 1848/49. In der Hoffnung, die als ungerecht empfundene Herrschaft der Fürsten abzuschütteln, setzen zahlreiche Menschen
ihr Leben aufs Spiel. Die Besonderheit hier in der Regio ist, dass drei sehr
unterschiedliche Herrschaftssysteme aufeinander treffen: Das revolutionserfahrene Frankreich, die liberalen Kantone der Nordwestschweiz und das
Großherzogtum Baden. Dies beeinflusst maßgeblich das Verhalten der
Menschen. Die liberale Nordwestschweiz und das republikanische Frankreich fördern die freiheitliche Gesinnung der badische Bevölkerung. In der
Schweiz werden Bücher und Flugschriften unter Umgehung der deutschen
Zensur gedruckt und ins nahe Baden gebracht. Revolutionäre flüchten
nach Frankreich und in die Schweiz, um sich der Strafverfolgung in Baden
zu entziehen und bereiten im Exil ihre Aufstände vor.
Lörrach ist 1848/49 in der Regio ein zentraler Schauplatz der politischen
Umwälzungen. Deshalb gehört eine große Anzahl wertvoller Exponate
zum historischen Bestand des Museums: Revolutionshemden, Waffen der
Bürgerwehr, Schilder der Republik, Zeitungsberichte und ein Abschiedsbrief
des radikalen Demokraten Friedrich Neff sind Zeugnisse aus jener Zeit. Exponate aus Frankreich und der Schweiz kamen im Laufe der Zeit dazu, so
dass die Ausstellung die unterschiedlichen Verläufe der Revolutionen und
deren gegenseitige Beeinflussung gut dokumentiert. Aus diesem Grund
werden in diesem Büchlein exemplarisch zentrale Exponate der Sammlung
vorgestellt, um mit diesen von den Revolutionen in der Regio zu erzählen.
FRÜ H E REVOLUTION EN
I N FRAN KREICH U N D DER SCHWEIZ
Der Sturz der französischen Monarchie
Ob der französische König Ludwig XVI. 1789 schon ahnt, dass er an
seinem eigenen Stuhl sägt, als er die Reichsstände seit fast 200 Jahren
zum ersten Mal wieder einberuft? Wohl kaum. Damals steht Frankreich kurz vor dem wirtschaftlichen Bankrott und für Steuererhöhungen
benötigt Ludwig XVI. die Unterstützung der drei Stände. Eine Machtteilung oder gar seine Absetzung zieht er sicherlich nicht in Betracht.
Der Kupferstich von 1815 zeigt die Ständeversammlung von 1789. Aus allen
Provinzen Frankreichs sind Ständevertreter angereist, so auch aus dem
Elsass. Wie seit Jahrhunderten üblich, thront auf der Tribüne unter dem
Baldachin der König. Hier ist es Ludwig XVI. umgeben von seinem Hofstaat.
Als Stütze des Königtums sitzen Erster und Zweiter Stand, die Vertreter der
Geistlichkeit und des Adel, links und rechts des französischen Herrschers.
Dem König gegenüber ist der Platz des Dritten Standes. Es sind vorwiegend Professoren, Richter, Ärzte und Kaufleute, die hier tagen. Sie vertreten
in ihrer Funktion 98 Prozent der Franzosen. Zudem trägt der Dritte Stand
die gesamte wirtschaftliche Belastung des Staates. Deshalb fordern die
Männer des Dritten Standes die politische Gleichstellung mit den beiden
anderen Ständen. Der König sowie die Mehrheit des Adels und des Klerus
lehnen dies jedoch ab.
Daraufhin erklärt sich der Dritte Stand zur alleinigen Vertretung
des Französischen Volkes (Nationalversammlung). Sein Ziel ist es, eine
Verfassung für den französischen Staat auszuarbeiten. Im August
verabschiedet die Nationalversammlung die Menschen- und Bürgerrechte. Dadurch wird das Recht auf Freiheit, Eigentum, Widerstand,
Meinungs- und Religionsfreiheit für die damaligen Männer zum ersten
Mal Gesetz, und die überkommene Ständeordnung abgeschafft.
Aufgrund der Grenznähe sind in der Markgrafschaft Baden die Anzeichen der Volksbewegung deutlicher als anderswo zu spüren. Aus
Furcht, die Revolution könnte auch Südbaden übergreifen, sendet
Markgraf Karl Friedrich (1728-1811) Truppen nach Rötteln, Badenweiler,
Hachberg-Emmendingen und Kehl. Dennoch hat die Markgrafschaft
mit den Auswirkungen der Revolution zu kämpfen: An die 10000 Emigranten sollen in Baden Zuflucht gesucht haben. Zudem droht das
revolutionäre Frankreich, Baden zu besetzen. Erst im Frieden von
Campo Formio 1797 wird der Rhein als Staatsgrenze anerkannt,
im Gegenzug muss der Markgraf jedoch auf die linksrheinischen
Gebiete verzichten.
Die erste helvetische Verfassung
In weiten Teilen der Nordwestschweiz ist die Situation ähnlich wie
in Frankreich: Die einfache Landbevölkerung und Menschen der
unteren Schichten besitzen bis zum Ende des 18. Jahrhunderts
weder Freiheit noch politische Rechte. Doch auch hier werden die
Ideen von Freiheit, Gleichheit und Demokratie heftig diskutiert.
Liberale Politiker wie der Basler Oberzunftmeister Peter Ochs sympathisieren mit der Französischen Revolution.
In Paris arbeitet Peter Ochs eine Verfassung für die Schweiz aus.
Der Kupferstich zeigt den Basler Juristen, Politiker und Historiker
als Stifter der neuen helvetischen Verfassung. Vor ihm auf einem Tisch
liegen eine Landkarte Mitteleuropas und ein geschlossenes Briefkuvert. Die nicht nach der realen Topografie gezeichnete Karte ist
möglicherweise ein Hinweis darauf, dass Peter Ochs in der Verfassung
vorsah, die Gebiete der Schweiz neu zu gliedern.
Nach dem Einmarsch der französischen Truppen wird die Verfassung von Peter Ochs als erste Verfassung der Schweiz angenommen. Am 12. April 1798 wird in Aarau die Helvetische Republik
(1798-1803) ausgerufen. Die Verfassung ähnelt sehr jener der
französischen Republik: Wesentliche Freiheitsrechte werden darin
berücksichtigt, die Leibeigenschaft sowie die Folter werden abgeschafft, ein für die gesamte Schweiz geltendes Strafgesetzbuch
wird eingeführt und ein Parlament mit einer zentralen Regierung
und mit einem Obersten Gericht eingerichtet.
Ein zentrales Problem der Verfassung ist jedoch, dass die Vielfalt
der Kantone nicht berücksichtigt wird. Dadurch fühlen sich die
Innerschweizer benachteiligt. Zudem erregt die Stationierung der
französischen Truppen den Unwillen der Bevölkerung. Im Sonderbundkrieg 1847/48 eskaliert dann der Konflikt zwischen den konservativen katholischen Kräften einerseits sowie den liberalen, de-
mokratischen und protestantischen Kräften anderseits. Nach der
Niederlage der Konservativen Kräfte wird aus dem schweizerischen
Staatenbund ein bürgerlich-liberaler Bundesstaat, der Grundrechte wie
Gleichheit vor dem Recht, Religionsfreiheit, Presse und Vereinsfreiheit
garantiert. Peter Ochs, der Stifter der ersten Helvetischen Verfassung,
kommt allerdings erst im 20. Jahrhundert zu Ehren. Die Eidgenossen
verübeln ihm lange, dass er in Anlehnung an das zentralistische Frankreich die Rechte der Kantone in der Verfassung nicht respektiert hat.
DI E EU ROPÄISCH E REVOLUTION 1848/49
Die Revolte im Elsass
50 Jahre nach der Französischen Revolution gärt es wieder in Frankreich. Der ursprünglich so bürgernahe französische König Louis Philippe
entpuppt sich als ein Vertreter des Alten Regimes. Zudem ist Frankreich
von einer schweren Wirtschaftskrise erschüttert, weshalb der Hunger
die Menschen auf die Straße treibt. Im elsässischen Mülhausen plündern am 26. Juni 1847, am Tag des Bäckerfestes, 5000 Arbeiter Bäckereien. Zwar schlagen die Soldaten des Königs den Aufstand nieder, aber
auch im nahen Thann und Gebweiler kommt es zu Revolten der von
Armut geplagten Bevölkerung.
Ein knappes halbes Jahr später erzwingen die Volksmassen am
24. Februar 1848 die Verwirklichung der freiheitlichen Ideen von 1789.
König Louis Philippe wird gestürzt und die Zweite Französische Republik ausgerufen. Die Volksbewegung beschränkt sich jedoch nicht auf
Frankreich. Auch im benachbarten Baden und im Deutschen Bund
rumort es. Vorsorglich gesteht der badische Großherzog der Bevölkerung Pressefreiheit, Versammlungsfreiheit und Volksbewaffnung zu,
um weitere demokratische Forderungen abzuwenden.
Dies hilft jedoch wenig: In Frankfurt wird ein Parlament eingerichtet,
das eine Verfassung für den Deutschen Bund ausarbeiten und somit
die Rechte der Monarchie einschränken soll. Zugleich fordern bei einer
Bürgerversammlung in Heidelberg die beiden Rechtsanwälte Friedrich
Hecker und Gustav Struve die Absetzung des Großherzogs und die
Errichtung einer demokratischen Republik. Von Konstanz ziehen sie los,
um mit einem Freischarenzug in Karlsruhe den Großherzog zu entmachten.
Einzug der Freischärler in Lörrach
In Lörrach ziehen die Freischärler am Gründonnerstag, dem 20. April
1848, ein. Angeführt werden sie von Joseph Weißhaar, einem Wirt
aus Lottstetten. Die Freischärler reiten von der Wallbrunnstraße auf
den Alten Markt. Es herrscht eine aufgeregte Stimmung in der Stadt.
Zahlreiche Schaulustige stehen an der Straße und schauen dem
Freischarenzug neugierig zu.
Der Lörracher Historienmaler Friedrich Kaiser hat dieses Ereignis
geschichtsbewusst festgehalten:
Zentrale Persönlichkeiten jener Tage sowie Menschen unterschiedlicher
gesellschaftlicher Herkunft sind im Bild zu sehen (Hier Reproduktion
des Originals): Im Vordergrund diskutiert Joseph Weißhaar mit der Lörracher Bürgerwehr.1 Er will die Männer dazu bewegen, sich dem Freischarenzug anzuschließen. Jedoch vergeblich, denn die Lörracher Bürgerwehr steht einem gewaltsamen Umsturz skeptisch gegenüber.
Auf der linken Seite des Ölbilds ist der damalige Bürgermeister Carl
Wenner 2 zu sehen. Zu diesem Zeitpunkt lehnt er den Anschluss an die
Freischären ab. Zwar befürwortet er die Forderungen der Demokraten
wie Versammlungsfreiheit, Pressefreiheit, gerechten Besteuerung und
Bildung für alle Schichten, doch will er keine gewaltsame Einführung
der Demokratie.
Im Vordergrund sind junge Männer in Hotzentracht zu sehen.3 Es handelt sich hier wohl um Knechte aus dem Hotzenwald im Schwarzwald,
die zumeist in ärmlichen Verhältnissen leben. Die Freischarenzüge rekrutieren sich vor allem aus Arbeitern, Handwerkern und Menschen aus
den unteren Bevölkerungsschichten. Ebenfalls im vorderen Teil des Bildes
ist Judith Vortisch in Vrenelitracht, d. h. mit weinrotem Kleid, schwarzem
Brusttuch und drei Korkenzieherlocken vor dem Ohr, zu sehen. Die Vrenelitracht ist die typische Kleidung unverheirateter Frauen im Markgräflerland. Frauen, unabhängig welcher Gesellschaftsschicht sie angehören,
sind damals selbst in Zeiten der Revolution von jeder politischen Teilhabe
ausgeschlossen. Neben Judith Vortisch hat sich der Maler in einem
schwarzen Anzug selbst im Bild verewigt.4
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Revolutionäre treffen auf Bundestruppen
Während die Freischärler unter Weißhaar in Lörrach einziehen, führt
Friedrich Hecker in Begleitung von Gustav Struve 800 Freischärler von
Konstanz über den Schwarzwald nach Kandern. Dort trifft er an der
Brücke bei Kandern auf 2000 badische und hessische Bundestruppen
unter dem Oberbefehlshaber Freiherr von Gagern.
Die Leipziger Illustrierten Zeitung berichtet in einem bebilderten
Zeitungsartikel über die Zusammenkunft der beiden. Die Lithografie
zeigt auf der linken Seite Friedrich Hecker mit zwei bewaffneten Begleitern in typischer Freischärlerkleidung. Hinter Hecker sind im Wald
schemenhaft die ungeordneten Verbände der Freischärler zu sehen.
Hecker gegenüber steht General Freiherr von Gagern, hinter dem in
geordneten Reihen die Bundestruppen aufgestellt sind.
Unterhalb der Lithografie hat die Zeitung einen fiktiven Dialog der
beiden abgedruckt. Obwohl er frei erfunden ist, zeigt dieser Dialog gut
die unvereinbaren Positionen der beiden so unterschiedlichen Anführer:
Freiherr von Gagern hält Hecker für einen Idealisten und fordert ihn
auf, die Waffen niederzulegen. Hecker hofft indes, die Bundestruppen
für den Kampf um die Republik zu gewinnen.
Um eine Entscheidung herbeizuführen, ziehen die Anführer mit ihren
Kämpfern die Scheideck, den Pass zwischen Kandern und Steinen,
hinauf. Oben angekommen, löst sich ein Schuss und Freiherr von Gagern wird tödlich verletzt. Dies zwingt die Bundestruppen zum Handeln, sie eröffnen das Feuer, 14 Freischärler und Soldaten lassen dabei
ihr Leben. Die Freischärler ergreifen die Flucht und treffen unterwegs
auf die Gruppe von Weißhaar. Beide Freischarenzüge lösen sich auf
und viele Kämpfer flüchten in die Schweiz und nach Frankreich. Südbaden wird militärisch besetzt und die Grenze nach Frankreich und in
die Schweiz militärisch abgeriegelt.
Unterstützung aus Frankreich
Die politischen Umwälzungen in Südbaden werden von den Revolutionären in der Schweiz und in Frankreich aufmerksam beobachtet:
In Paris wird eigens nach dem Ausbruch der Februarrevolution 1848
eine Deutsche Demokratische Gesellschaft gegründet. Zum Präsidenten wird der deutsche revolutionäre Dichter Georg Herwegh ernannt,
der sich durch couragierte Aktionen einen Namen gemacht hat: So
wird er 1842 vom preußischen König Friedrich Wilhelm IV. ausgewiesen,
weil er in einem offenen Brief die politischen Verhältnisse in Deutschland kritisiert.
Die Mitglieder der demokratischen Gesellschaft planen, den Aufstand
der badischen Republikaner zu unterstützen. Dabei stellt sich die Frage,
ob Republikaner unterschiedlicher Nationalität gemeinsam für die Freiheit kämpfen sollen. Friedrich Hecker selbst ist entschieden dagegen.
Er will keine Unterstützung aus Frankreich, sondern eine Revolution die
von innen heraus, also von den Badenern selbst, vollbracht wird.
Unbeirrt von diesen Meinungsverschiedenheiten ziehen zwischen
dem 24. März 1848 und dem 4. April 1848 Kolonnen der deutschen
demokratischen Legion von Paris nach Straßburg. Georg Herwegh und
seine Frau Emma kommen schließlich in der Nacht auf den 24. April,
also vier Tage nach dem Aufeinandertreffen von Friedrich Heckers
Freischärlern und Freiherr von Gagerns Truppen, mit 800 Freischärlern
unterschiedlicher Nationalität bei Kembs über den Rhein nach Baden.
Am 27. April werden die Freischärler bei Dossenbach von württembergischen Soldaten geschlagen. Die Niederlage besiegelt das Ende
des Aprilaufstandes und zeigt, dass sich die Republikaner trotz Unterstützung aus anderen Nationen nicht gegen die Truppen durchsetzen
können.
Struve proklamiert die Deutsche Republik
Gegen die Besatzung regt sich in der badischen Bevölkerung allmählich Widerstand und die Stimmung scheint zugunsten der Revolution
zu kippen. Hecker wird als Volksheld verehrt und zahlreiche republikanische Schriften werden in der Schweiz verfasst und nach Lörrach
und Umgebung geschmuggelt.
Gustav Struve glaubt, die Stunde der Revolution sei jetzt gekommen.
Im französischen Exil hat er einen neuen Aufstand vorbereitet. Am
21. September 1848 ist es dann soweit: Von Basel her zieht Struve nach
Lörrach. Im damaligen Rathaus in der Wallbrunnstraße ruft er unter
Hochrufen der Bevölkerung die Republik aus. Danach wird die republikanische Fahne gehisst. Die Druckerei Gutsch wird gezwungen, das
1. Republikanische Regierungsblatt der provisorischen Deutschen Regierung zu drucken und Flugblätter mit Aufrufen an die Bevölkerung
zu vervielfältigen. Großherzogliche Beamte und Bürger, die als Feinde
der Republik gelten, werden verhaftet, die Stadtkasse, Pferde, Gewehre
und Fuhrwerke beschlagnahmt. Gustav Struve ernennt sich selbst zum
Vorsitzenden der provisorischen Regierung.
Als nächstes lässt Struve ein republikanisches Heer ausheben. Alle
wehrfähigen Männer zwischen 18 und 40 Jahren in Lörrach und Umgebung werden zwangsweise eingezogen. Weigern sich die Männer,
wird ihnen Gewalt oder sogar die Todesstrafe angedroht. So zieht am
nächsten morgen Gustav Struve mit rund 2000 Mann in Richtung
Freiburg. In Staufen trifft der Zug auf die württembergischen Truppen.
Die meisten Freischärler nutzen die Gelegenheit und fliehen. Gustav
Struve wird in Wehr verhaftet. Am dritten Tag der provisorischen
Regierung marschieren Bundestruppen in Lörrach ein. Die Region um
Lörrach wird erneut besetzt und die Grenze zur Schweiz und Frankreich überwacht.
Über all diese Ereignisse berichtet die Leipziger Illustrierten Zeitung,
ein Zeichen dafür, dass ganz Deutschland den Struve-Putsch mit Spannung verfolgt. Die Redakteure der Leipziger Illustrierten Zeitung sind
ausgesprochen gut informiert. Selbst zum Inhalt des Regierungsblattes
von Gustav Struve können sie Stellung beziehen. Den Journalisten
ist es besonders wichtig zu betonen, dass die Mehrheit der Südbadener
sich nicht aus freien Stücken der Revolution anschließt.
SCH EITERN DER DEUTSCH EN REVOLUTION
Die Grundrechte des deutschen Volkes
Ab Mai 1848 tagt in Frankfurt in der Paulskirche das erste gesamtdeutsche
Parlament, dessen Hauptaufgabe es ist, eine Verfassung für den Deutschen Bund auszuarbeiten. Zahlreiche Hoffnungen sind damit verbunden.
Ein wichtiger Bestandteil des Verfassungsentwurfs sind die Grundrechte
des Deutschen Volkes, die am 27. Dezember 1848 veröffentlicht werden.
Diese Lithografie der deutschen Grundrechte ist ausgesprochen visionär, entspricht allerdings nicht den politischen Gegebenheiten: Die Grundrechte werden in Form mosaischer Gesetzestafeln dargestellt. In Anlehnung
an die Zehn Gebote wird damit ihre Allgemeingültigkeit betont. Die gesamte
Lithografie ist in den Farben des geeinten Deutschlands, schwarz-rot-gold
gehalten. In der Mitte der Darstellung steht Germania, die sich von ihren
Ketten befreit und den „Drachen der Gewaltherrschaft“ besiegt.
Um Rechtsgültigkeit zu erlangen, hätten die „deutschen Grundrechte“ in
den Gesetzblättern der Gliedstaaten des Deutschen Bundes veröffentlicht werden müssen. Einige Bundesländer weigern sich jedoch, dies zu
tun. Im März 1849 weist der preußische König Friedrich Wilhelm IV. die
Reichsverfassung zurück. Damit ist der Kompromiss einer konstitutionellen Monarchie im Deutschen Bund endgültig gescheitert.
Teile der deutschen Bevölkerung sehen in dem Verhalten des Königs
einen Verrat an seinen Versprechungen, eine Verfassung mit wesentlichen Grundrechten zu verabschieden. In Baden wie in anderen Teilen
des Deutschen Bundes kommt es zu Aufständen. Am 13. Mai 1849 entscheidet eine Volksversammlung in Offenburg, die Reichsverfassung
ohne Zustimmung des Königs zu verwirklichen. Infolge der Aufstände
der badischen Armee flüchtet der Großherzog aus Baden. In Karlsruhe
etabliert sich eine provisorische Regierung.
Brief des zum Tode verurteilten Republikaners Friedrich Neff
In Lörrach kommt es am 11. Mai 1849 ebenfalls zu einem Militäraufstand.
Soldaten halten eine Versammlung auf dem Schützenplatz ab und
erzwingen gemeinsam mit Freischärlern die Befreiung von Kameraden
aus dem Arrest. Nach Abzug der rebellischen Soldaten aus Lörrach
verebbt die Bewegung jedoch.
Der Rümminger Radikaldemokrat Friedrich Neff, der mit Ausbruch der
Mairevolution aus Paris ins Dreiländereck zurückkommt, scheitert am
14. Mai 1849 bei einer Volksversammlung in Lörrach mit dem Antrag auf
eine erneute Zwangsrekrutierung. Auch bei einer weiteren, von ihm
selbst einberufenen Volksversammlung in Efringen hat er wenig Erfolg.
Auf Bitte des Großherzogs marschieren Mitte Juni 1849 in Baden
preußische Truppen ein und schlagen die Reichsverfassungskampagne
in mehreren Gefechten nieder. Am 11. Juli 1849 ziehen die preußischen
Truppen in Lörrach ein. Die großherzogliche Regierung bildet zusammen
mit der preußischen Besatzungsmacht Standgerichte in Rastatt, Mannheim und Freiburg, um die Teilnehmer an der Mairevolution abzuurteilen.
Friedrich Neff wird verhaftet und am 9. August 1849 vor dem Wiehrener
Friedhof in Freiburg erschossen.
In einem Brief an seine Mutter, den er wenige Stunden vor seinem
Tod schreibt, heißt es „...Kein Schritt den ich je gethan habe in meinem
Leben reuet mich, u.(nd) wenn ich noch zehn Leben hätte, ich würde
alle zehn der Freiheit widmen.“ Wohl kaum deutlicher kann die Sehnsucht nach Freiheit und Demokratie ausgedrückt werden.
Die Deutschen müssen lange darauf warten: Die Weimarer Republik existiert wenig länger als ein Jahrzehnt. Erst nach dem Ende des
Zweiten Weltkriegs gibt es in Deutschland eine stabile Demokratie.
In der Schweiz und Frankreich sieht es anders aus: Die Eidgenossen
leben seit 1848 in einer dauerhaften Demokratie und mit einigen Rückschlägen herrschen in Frankreich seit 1871 mit der 3. Republik demokratische Verhältnisse.
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