10.09.2013 » Drucken WirtschaftsWoche.de Serie „Bodycheck“ Gysi betont perfekt – selbst wenn er brüllt von Michael Moesslang | Quelle: Handelsblatt Online Geballte Fäuste, stechende Zeigefinger, das Spiel mit der Stimme – auf welche Gestik setzen Politiker und wie wirkt sie? Ein Körpersprachen-Experte analysiert für uns die Spitzenkandidaten. Heute: Gregor Gysi. Es macht richtig Spaß dem Kanzlerkandidaten der Linken zuzuhören. Okay, es ist nicht immer einfach, die Aussagen zu ertragen, wenn man anderer Meinung ist. Manchmal kann man lachen, wie er die Dinge darstellt. Wenn er erklärt, warum er beispielsweise der SPD das Soziale abspricht. Doch Gysi ist auch einer, der vor Begeisterung nur so sprüht. Der das dann auch glaubhaft sagt. Dem man ansieht, wie er sich wirklich engagiert. Zumindest rhetorisch. Diesen Trumpf spielt der Spitzenkandidat der Linkspartei. Die meisten Menschen werden ihm im Wahlkampf nur bei Fernsehberichten begegnen, was die Bedeutung von Körpersprache und Stimme erhöht. Deshalb konzentriert sich auch diese Analyse auf den Eindruck, den die Zuschauer gewinnen, die Gysi via TV bei seinen Reden im Bundestag oder in InterviewSituationen erleben. Gysi ist brillant, das Rednerpult wird zur großen Bühne und seine Reden zum Schauspiel im besten und unterhaltendsten Sinne. Wenn er brüllt, dann kommt das nicht zuletzt deswegen so gut an, weil er einfach perfekt betont. Weil er den Worten mit allen Mitteln Wirkung verleiht durch eine klare Artikulation, lebendige Sprechweise und richtig gesetzte Pausen. Weil er dazu eine Gestik einsetzt, die bis weit über seinen Kopf hinausgeht, fast fuchtelt und so seine eigene Überzeugung auch ohne Ton erkennen lässt. Selbst dann, wenn der Linke vom Manuskript abliest, redet er lebendiger, spannender und letztlich überzeugender als die Mehrheit der Politiker, wenn diese frei sprechen. Das muss man erst Mal können. Das macht die Energie seines Redefeuerwerks aus. Wirkt das noch seriös? Ist das zu viel? Ist das übertrieben? Jein. Erstens: der Erfolg gibt ihm Recht. Wo wären die Linken heute, wenn nicht Gysi mit seiner Art es immer wieder schaffen würde, die Linkspartei in den Medien zu positionieren? Wo wären sie, wenn Gysi nicht so durchwegs sympathisch rüber käme? Wo wären sie, wenn Gysi nicht alle Vorwürfe zu SED und Stasi immer wieder rhetorisch vom Tisch wischen könnte? Auf unser Unterbewusstsein wirkt seine Gestik überzeugend Zweitens: Einige denken sicher, das wäre unpassend, weil es nicht dem entspricht, was man sonst so sieht. Doch auf unser Unterbewusstsein wirkt seine große Gestik schlicht überzeugend. Auch dann, wenn er im Sommerinterview des ZDF den verständnisvollen Kumpel gibt. Der dabei natürlich weniger fuchtelt. Der dafür immer wieder Fehler oder Mängel einfach so zugibt. Das ist man von vielen Politikern nicht gewohnt. Das schafft sogar Vertrauen. Denn es lässt ihn souverän und ehrlich erscheinen. Unmöglich ist zwar seine Art, ständig zu unterbrechen – doch er setzt sich damit immer durch und damit in Szene. Unmöglich, wie er immer wieder den drohenden oder zustechenden Oberlehrerfinger einsetzt – doch es unterstützt seine Emotionalität. Unmöglich, wie er mit Zahlen und Fakten seine Zuhörer geradezu bombardiert – doch es erweckt den Eindruck, da ist jemand absolut perfekt vorbereitet und weiß alles. Doch Gysi hat es auch leicht. Seine Aufgabe ist nicht die Wahl zu gewinnen und als Kanzler alles besser zu machen. Seine Aufgabe ist es, auf die Linken aufmerksam zu machen. Das gelingt ihm vor allem durch seine extrovertierte und aktive Art. Der Spitzenkandidat Gysi weiß zu unterhalten. Seine Aussagen wirken auf den ersten Blick positiv auf seine Wählerschaft. Er traut sich zu polarisieren, ohne beleidigend oder zu aggressiv zu werden. Körpersprache, Sprechweise und rhetorischer Stil sind nahezu perfekt. Und er schafft es, dass die Menschen glauben, er habe die besseren Argumente, obwohl die Überzeugung vor allem auf der unbewussten Ebene durch sein persönliches Auftreten geschieht. Fazit: Überzeugend, glaubhaft, brillant: Seine Sprechweise und rhetorischer Stil sind nahezu perfekt. Doch Gysi macht nicht alles gut. Unmöglich beispielsweise, wie er immer wieder den drohenden oder zustechenden Oberlehrerfinger einsetzt. Michael Moesslang ist Trainer für Präsentation und Körpersprache. Quelle: Handelsblatt Online © 2013 Handelsblatt GmbH - ein Unternehmen der Verlagsgruppe Handelsblatt GmbH & Co. KG Nutzungsbedingungen Impressum Datenschutz Mediadaten-Online Mediadaten-Print Archiv Kontakt