Artgerechte Fütterung - Albrecht

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ERNÄHRUNG-SPEZIAL
Der Gastrointestinaltrakt des Kaninchens –
Hinweise zur artgerechten Fütterung
Micah Kohles
In Kürze
Kaninchen gehören zu den Herbivoren. Die Verdauung des Nahrungsbreis findet hauptsächlich im
Enddarm statt. Da sie dämmerungs- bzw. nachtaktive Tiere sind,
fressen sie vor allem nachts. Weil
sie in der Natur mit faserreichem
Futter konfrontiert werden,
benötigen sie in der Nahrung einen hohen Fasergehalt . Die Darmflora besteht hauptsächlich aus
Bacteroides und Laktobazillen. Kaninchen fehlen die üblichen, bei
Säugetieren vorkommenden Enzyme, um Zellulose zu spalten.
Das Verdauungssystem
Kaninchen haben ein relativ kompliziertes Verdauungssystem, das ihnen erlaubt,
auch proteinarme Nahrung zu verwerten.
Die meisten Erkrankungen bei Kaninchen hängen mit dem Verdauungssystem
zusammen. Deshalb ist das Verständnis
der Verdauungsvorgänge bei Kaninchen
wichtig, da es nahezu alle Bereiche der
medizinischen und chirurgischen Versorgung von Kaninchenpatienten beeinflusst. Kaninchen sind in hohem Maße
von ihrer Blinddarmflora abhängig, die
es ihnen ermöglicht, Kohlenhydrate
pflanzlichen Ursprungs effektiv zu verdauen, die ihnen als Hauptenergielieferant dienen.
Zähne
Die Zahnformel des Kaninchens lautet:
I 2/1, C 0/0, P 3/2, M 3/3 = 28.
Kaninchen haben hypsodonte Zähne mit
einem offenen Wurzelkanal, die stetig
nachwachsen.
Die Schneidezähne dienen als Schneidewerkzeuge. Hinter den beiden oberen
Schneidezähnen befinden sich zwei weitere kleine Schneidezähne. Durch die Okklusion der Ober- und Unterkieferschneidezähne entsteht eine konstante Reibung,
die dazu führt, dass die Schneidezähne
immer „geschärft“ werden. Da die Zähne
pro Tag ca. 2 – 2,4 mm wachsen, entstehen bei Malokklusion klinische Probleme
sehr rasch.
Die Prämolaren und Molaren dienen
der Zerkleinerung von faserreicher Nahrung. Mit ca. 120 mahlenden Kieferbewegungen pro Minute wird das Futter
von den Backenzähnen zerkleinert. Das
wirkt sich außerdem positiv auf die Zahngesundheit aus. Eine mangelnde Faserversorgung durch Fütterung von faserarmer Fertignahrung oder fehlender Heu-
fütterung führt schnell zu Zahnproblemen. Da Kaninchen genau wie Wildtiere
eine Vorliebe für kalorienreiche faserarme Nahrung haben, führt eine körnerreiche Fütterung „bunter“ Futtermischungen
leicht zu Fehlernährung und Zahnproblemen (Abb. 2).
Werden die Kaninchen mit faserarmer
oder getreidereicher Nahrung gefüttert,
muss die Nahrung nicht mehr intensiv gekaut werden, als Folge davon treten Malokklusion, überlanges Wurzelwachstum
und gastrointestinale Probleme auf.
Durch unvollständige Abnutzung verlängern sich die Backenzähne und schließen
nicht mehr richtig aufeinander, Ober- und
Unterkiefer werden auseinandergedrückt
und das Diastema erscheint radiologisch
vergrößert. Schließlich kommt es zu einer
verminderten Bewegungsfreiheit der
Mandibula. Die Situation verschlechtert
sich durch Lockerung und Malokklusion
der Zähne, was schließlich zur Bildung
von Haken führt, die Zunge oder Wangenschleimhaut verletzen können. Die
Molaren im Oberkiefer wachsen in der
Regel nach bukkal, die Unterkiefer Ba-
Nahrungsaufnahme
Kaninchen haben ein sehr weites Gesichtsfeld. Sie haben relativ große Augen,
die seitlich am Kopf platziert sind. Das
ermöglicht ihnen während des Grasens
einen guten Überblick über ihre Umgebung. Die Futterauswahl erfolgt über den
Geruch und über Druckrezeptoren an den
Lippen. Als Selektivfresser bevorzugen
sie weiche, saftige Pflanzen, die faserarm
und energiereich sind. Kaninchen haben
einen hohen Grundumsatz und benötigen
deshalb relativ viel Energie (Abb. 1).
1 · Ernährung-Spezial 1/2012
Abb. 1: Stallhasen sind bei entsprechender Fütterung sehr agil.
© Anne Posthoff
Das Geheimnis
der OXProLine:
ERNÄHRUNG-SPEZIAL
– mit besten Gräsern
– reich an Ballaststoffen
– schmackhaft
– appetitanregend
artgerechte
Ernährung
kleiner Heimtiere
Abb. 2: Überlanges Zahnwachstum durch falsche Ernährung.
ckenzähne nach lingual. Das kann sogar
zu einer Brückenbildung über der Zunge
führen.
Magen und Dünndarm
Der Magen macht ungefähr 15 % des
Verdauungstraktes aus. Der pH-Wert im
Magen ist mit 1 – 2 sehr niedrig. Eine gut
entwickelte Kardia macht Erbrechen fast
unmöglich. Der pH-Wert des Magens
kann nach der Aufnahme des Blinddarmkotes auf 3 ansteigen. Kaninchen haben
einen sog. Stopfmagen, der immer etwas
Futterbrei enthalten muss. Nahrungskarenz vor Narkosen oder Operationen ist
weder sinnvoll noch notwendig. Eine
kurzzeitige Nahrungskarenz vor Zahnbehandlungen kann jedoch die Sicht in der
Maulhöhle erleichtern.
Der Dünndarm, bestehend aus Duodenum, Jejunum und Ileum, spielt bei den
aktiven Verdauungsvorgängen eher eine
untergeordnete Rolle. Im Magen und im
Dünndarm werden die Nahrungsbestandteile verdaut und resorbiert, ähnlich wie
bei mongastrischen Tieren.
Eine wichtige Verdauungsfunktion bei
Kaninchen ist die Aufnahme des Blinddarmkotes, der Caecotrophen. Dieser ist
von einer Schleimhülle überzogen, die
Schutz vor dem extrem niedrigen Magen-pH-Wert bietet und eine Verdauung
im Dünndarm erlaubt. Die Verweildauer
der Nahrung im Dünndarm ist sehr gering, Faserbestandteile werden schnell in
© Anne Posthoff
das Caecum und den Dickdarm transportiert.
Der Anfang des Dickdarms wird durch
den sacculus rotundus gebildet und geht
in die ampulla coli über, die den Übergang zum distalen Ileum, Caecum und
proximalen Colon bildet.
Im Caecum finden ständig rhythmische
Kontraktionen statt, die die Ingesta während der Fermentation durchmischen.
Die Verdauung erfolgt vor allem durch
Bacteriodes ssp. Bei der Verdauung entstehen flüchtige Fettsäuren wie Essigsäure, Propionsäure und Buttersäure, die von
der ceacalen Mukosa absorbiert werden
und dem Kaninchen als Hauptenergiequelle dienen. Zwischen Caecum und
Colon findet eigentlich eine permanente
Bewegung des Nahrungsbreis statt.
Durch kraftvolle peristaltische Bewegungen sowohl normo- wie retrograd wird
der Nahrungsbrei ständig hin und her bewegt. Durch die Kontraktionsbewegungen sammeln sich große Mengen faserreicher Partikel im Colon, von wo sie
schnell ins Rektum befördert und innerhalb von vier Stunden nach der Nahrungsaufnahme ausgeschieden werden.
Kleinere, leichter verdauliche Partikel
sammeln sich eher am Anfang des Colons, wo sie durch retrograde peristaltische Bewegungen der Haustren (Ausbuchtungen der Dickdarmwand, die dem
Colon ein segmentiertes Aussehen verleihen) zurück ins Caecum transportiert,
und dort weiter verdaut werden.
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Abb. 3: Streuverklebungen am After durch
festklebenden Blinddarmkot. © Anne Posthoff
Manchmal kommt es zu deutlichen Veränderungen der Peristaltikbewegungen
zwischen Ceacum und Colon. Die retrograde Bewegung der kleineren Faserpartikel hört auf und eine größere Menge des
Blinddarminhaltes wird in das Kolon befördert. Dieser Darminhalt wird normalerweise zweimal täglich als weicher,
schleimumhüllter Blinddarmkot ca. vier
Stunden nach der Nahrungsaufnahme
ausgeschieden. Dieser Vorgang wird
durch Fusus coli gesteigert. Fusus coli ist
besonders an diese Colonregion adaptiert
und fungiert als Schrittmacher für die
Produktion der Caecotrophen. Die Fähigkeit des Colons, größere, unverdauliche
Fasern schnell auszuscheiden und kleine-
re verdauliche Faserpartikel zurückzuhalten, macht das Kaninchen zu einem extrem effizienten Herbivoren, der auch bei
sehr minderwertigem Nahrungsangebot
gut überleben kann.
Die Bildung der Caecotrophen hängt sehr
stark vom Nahrungsangebot und den
Darmbakterien (besonders Bacteroides)
sowie den Protozoen ab. Durch bakterielle Fermentation entstehen flüchtige
Fettsäuren, Vitamine (B, C und K) und
Proteine, die nach der Aufnahme der Caecotrophen im Dünndarm verdaut werden.
Dies geschieht ein bis zweimal täglich. Es
wurden über 74 anaerobe Bakterienarten
in der Caecummukosa des Kaninchens
isoliert, aber nur wenige davon wurden
bisher genauer untersucht. Um große
Elektrolytmengen zu resorbieren, verfügt
das Ceacumepithel über eine hohe Elektrolyttransportrate (Abb. 3).
Bei gesunden Kaninchen, die physisch
dazu in der Lage sind, werden die Caecotrophen direkt vom After gefressen
(„Mitternachtsimbiss“). Verschiedene
Faktoren wie Stimulation der Mechanorezeptoren des Rektums, Wahrnehmung
des Geruchs der Caecotrophen und die
Blutkonzentration von verschiedenen
Metaboliten und Hormonen bewirken,
dass das Kaninchen den Blinddarmkot direkt vom After frisst. Faserreiche Nahrung stimuliert die Ceacophagie, faserarme Nahrung hemmt sie. Sobald der
Blinddarmkot abgeschluckt ist, wird die
Schleimhülle von der Magensäure aufgelöst. Im Dünndarm erfolgt die Resorption
von Eiweiß, Wasser und Vitaminen, die
der Blinddarmkot liefert.
Erhalten Kaninchen eine faserreiche
Nahrung, besteht ihre Keimflora im Cae-
Abb. 4: Blasengries durch zu hohen Mineralstoffanteil im Futter vor der Behandlung.
© Anne Posthoff
3 · Ernährung-Spezial 1/2012
cum aus grampositiven Bazillen, gramnegativen Bakterien (vor allem Bacteroides
spp. sowie auch E. coli), Hefen und Protozoen.
Diese Bakterienzusammensetzung hat synergistische Effekte bei der Verdauung.
Faktoren, die dieses ökologische Gleichgewicht stören können, sind hauptsächlich:
• Antibiotikagaben
Antibiotikagaben können zu einer Suppression der normalen grampositiven
Flora führen, und das Wachstum von
Clostridien, E. coli und anderen pathogenen Bakterien fördern.
• Faserarme Nahrung
Durch eine faserarme Nahrung werden
im Colon weniger flüchtige Fettsäuren
gebildet, der pH-Wert steigt an und
führt zu Störungen der Mikroflora.
• Hohe Konzentration von Einfachzuckern
• Falsche Fütterung erhöht die Konzentration von Einfachzuckern im Caecum,
was wiederum zu einem massiven
Wachstum von Clostridien führt.
• Proteinreiche Nahrung
Eine proteinreiche Nahrung führt zur
Bildung von Ammoniak. Dieser verändert den faecalen pH-Wert, was Dysbiosen hervorruft.
Da Kaninchen Beutetiere sind, führt
Stress zu einer vermehrten Ausschüttung
von Adrenalin und Kortisol. Dies wiederum beeinträchtigt Fusus coli. Dadurch
steigt die Gefahr, dass die Tiere an einem
Ileus erkranken.
Auch weitere Einflüsse wie Umgebungstemperatur, Käfigeinrichtung und viele
andere äußere Faktoren, können einen erheblichen Einfluss auf die Keimbesiede-
Abb. 5: Das gleiche Kaninchen nach der Behandlung.
© Anne Posthoff
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lung des Magen-Darm Trakts beim Kaninchen haben.
Ernährung
Die zuvor gemachten Ausführungen verdeutlichen, wie wichtig eine bedarfsgerechte Ernährung beim Kaninchen ist.
Das gilt in gleichem Maße für alle anderen Kleinnager.
Dabei sind folgende Eckpunkte zu beachten:
• Qualitativ hochwertiges, faserreiches
Heu (70 %).
• Heu sollte ad libitum gefüttert werden.
Grassorten wie Wiesenlieschgras, Wiesenknäuelgras oder Goldhafer sind
empfehlenswert.
• Faserreiche Pellets (25 %) auf Timothy
oder Alfalfa Basis, altersabhängig.
• Frisches oder getrocknetes Gemüse (ca.
5 %).
• Nur für die jeweilige Tierart geeignetes
Gemüse verwenden, nach gründlicher
Reinigung. Produkten aus organischem
Anbau ist Vorzug zu geben.
• Leckerli (ca. 5 %), geringer Zuckergehalt, hoher Faseranteil.
• Unlimitierter Zugang zu frischem Wasser.
Faserhaltiges, hochwertiges Heu oder
Gras sollten den Tieren stets zur Verfügung stehen. Es werden verschiedene
Heusorten angeboten, die sich in ihrem
Nährwert nicht sonderlich unterscheiden,
daher spielt die darin enthaltenen Grassorte keine große Rolle. Heu ist ein Naturprodukt. Daher variiert es in Farbe,
Geruch, Textur, Beschaffenheit und Geschmack. Es ist deshalb wichtig, immer
wieder verschiedene Heusorten zu füttern. Heufütterung ist nicht nur für die
Funktion des Magendarmtraktes wichtig,
sondern fördert auch natürlichen Verhaltensweisen wie Nahrungssuche und Grasen. Dadurch wird Langeweile vermieden, die Tiere sind beschäftigt, haben einen höheren Aktivitätslevel und fühlen
sich wohler (Abb. 4 und 5).
Im Handel sind verschiedenen Futtermischungen erhältlich. Am häufigsten sind
Mischungen aus verschiedenen Getreidearten und Pellets auf Heubasis. Da Kaninchen ihr Futter auf den höchsten Nährwert selektieren, kann die Fütterung von
„bunten“ Mischungen zu Nährstoffimbalanzen führen. Diese Mischungen sind
meistens sehr kohlenhydratreich. Die in
ihnen enthaltenen Einfachzucker führen
zu Verfettung, der geringe Fasergehalt zu
verminderter Darmaktivität und zu unzureichender Zahnabnutzung. Empfehlenswert sind faserreiche, proteinarme Pellets, die außerdem die Selektion auf bestimmte Inhaltsstoffe verhindern. Getrocknete oder frische Kräuter werden
gerne gefressen, sind aber nicht unbedingt notwendig. Sie tragen jedoch zu einer variantenreicheren Fütterung bei. In
frischem Zustand liefern sie außerdem
viel Flüssigkeit. Verschiedene Texturen
und Sorten sind eine Bereicherung für die
Kaninchen. Die Produkte sollten jedoch
gut gewaschen und möglichst aus BioAnbau gefüttert werden.
Leckerli sind für Kaninchen überflüssig,
tragen aber zur Tier-Besitzer-Bindung
bei.
Wichtig ist, darauf zu achten, dass die Leckerli eiweißarm, fettarm, calciumarm
und zuckerfrei sind. Ungeeignet sind
Nüsse, Getreidemischungen, Joghurtdrops, Popcorn, Brot und Kräcker. Leckerli auf Heubasis mit einem hohen Faseranteil oder getrocknete Früchte sind
besser geeignet. Im Handel werden leider
überwiegend ungeeignete Leckerli angeboten. In Fachgeschäften oder über das
Internet sind geeignete Leckerli erhältlich.
Kaninchen sollten jederzeit Zugang zu
frischem sauberen Wasser haben. Die
durchschnittliche Wasseraufnahme beträgt 50 – 100 ml /kg/Tag. Dabei fördern
verschiedene Trinkgefäße wie Nuckelflasche, Tontränkebecken etc. die Wasseraufnahme. Der tatsächliche Wasserbedarf
kann aber je nach Witterung und Fütterung stark variieren.
Literatur
1. Cheeke, P. R. (1987): Rabbit Feeding and Nutrition.
Academic Press, Orlando.
2. Harcourt-Brown, F. (2002): Textbook of Rabbit
Medicine, Butterworth Heinemann, Boston.
3. Hernandez-Divers, S. J. (????): Rabbit Nutrition
and Gastro-Intestinal Function. University of Georgia
College of Veterinary Medicine.
4. Irlbeck, N. (2001): How to feed the rabbit (Oryctolagus cuninulus) gastrointestinal tract. Journal of Animal Science. 79 (E. Suppl.): 343-436.
5. Quesenberry K. and Carpenter J. W. (2001): Ferrets, Rabbits & Rodents: Clinical Medicine & Surgery.
Second Edition. WB Saunders.
Korrespondenzadresse
Micah Kohles, DVM, MPA,
Universitiy of Nebraska,
College of Veterinary Medicine
Deutsche Übersetzung
Dr. Anne Posthoff
Ernährung-Spezial 1/2012 · 4
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