Achtsamkeit im Alltag Die Achtsamkeit können wir in jedem Augenblick unseres Alltagslebens praktizieren. In allen Aufgaben, Erlebnissen und Begebenheiten können wir diese Haltung bewahren. Das bedeutet, die Achtsamkeit tritt nicht als etwas Besonderes hinzu, sie wird vielmehr zu einer Grundhaltung im Alltag und zu etwas Natürlichem und Selbstverständlichen. Beispiele: - Zubereiten einer Mahlzeit Abwaschen Wäsche waschen Den Rasen mähen Zähne putzen Duschen Mit Kinder spielen Fahrrad, Bus oder Auto fahren, Die Haustiere versorgen Staubsaugen Einen Menschen umarmen und berühren Auf der Parkbank sitzen Die Kunst besteht darin, Stille, inneres Gleichgewicht und geistige Klarheit zu einem Teil des Alltags werden zu lassen. Dabei unterstützen uns die formalen Übungen, die wir kennengelernt haben. Jedes tun, jedes Erlebnis wird durch Achtsamkeit intensiviert. Wir sind unmittelbarer mit dem Leben verbunden. Christlich gesprochen kann man es so sagen: in jedem Augenblick kommt uns Gott als das entgegen, was diesen Augenblick ausmacht. Auf diesen Moment meines Lebens zu achten, heißt also, auf Gott zu achten. Byron Katie sagt: Gott ist die Wirklichkeit. Er kommt mir als Wirklichkeit, als das, was ist, entgegen. Wenn ich mich gegen die Wirklichkeit sträube, wehre ich Gott ab. Daher ist Achtsamkeit die spirituelle Grundhaltung, alles, was mir begegnet, willkommen zu heißen. Dazu gehört nicht nur das Angenehme, auch das Unangenehme. Wenn ich den Widerstand gegen Schmerz aufgebe und ihn geschehen lasse, bin ich mit diesem Augenblick des Schmerzes verbunden. Wenn ich Freude erlebe, ohne an ihr zu kleben, bin ich mit der Freude verbunden. Ich will nichts Bestimmtes, ich bin vielmehr einverstanden mit diesem Augenblick meines Lebens. Die formale Achtsamkeitspraxis steigert die Fähigkeit, mit jedem Augenblick des Lebens bewusst umzugehen. Wenn wir regelmäßig praktizieren, durchdringt diese Haltung allmählich das ganze tägliche Leben. Der Geist wird insgesamt ruhiger und reagiert weniger leicht auf Reize. Wir werden dann entdecken, dass es Freude bereitet, selbst bei einfachsten Verrichtungen ganz gegenwärtig zu sein. Ich brauche den Hausputz nicht mehr schnell hinter mich zu bringen, um mich etwas Besserem oder wichtigeren zuwenden zu können. Dieser Moment, in dem ich putze, ist jetzt gerade mein Leben. Versäume ich diesen Augenblick, weil mein Geist schon beim Nächsten oder Übernächsten ist, beraube ich mich selbst um einen wesentlichen Teil meines Lebens. Stattdessen kann ich alles erkunden, was mit dem Putzen an Körperbewegungen, an Gefühlen und Gerüchen usw. verbunden ist. Es kann zu einem Erlebnis werden. Genauso kann man mit jeder beliebigen Beschäftigung verfahren. Wenn man sich dafür entscheidet, Dinge bewusst zu tun, ist das Tun vom Geist des Nicht-Tuns getragen. Es ist dann so, dass etwas durch mich hindurch handelt, das Leben selbst oder Gott, wie immer man das nennen möchte. Das Tun hat dann kein bemühtes oder gestresstes Subjekt mehr. Es ereignet sich einfach, weil es jetzt getan wird. Punkt. So wird das Tun frei von Anstrengung und Bemühung. 1 Die täglichen Verrichtungen sind nicht länger lästige Notwendigkeiten, sondern Gelegenheiten zur Stille im Geist, zur wachen Präsenz. Ich erfahre bei solchen Alltagstätigkeiten sehr viel über mich und die Art, wie mein Geist funktioniert. Putze ich z.B. die Toilette, kann ich besonders aufmerksam beobachten, mit welchen Empfindungen ich das tue. Ich tue es einfach und bin mir dabei möglicherweise einer instinktiven Abwehr gegen die Tätigkeit bewusst. Aber da ist jetzt einfach Toilette reinigen, niemand der fragt, warum, wieso und ob mir das behagt oder nicht. Es gehört also auch zur achtsamen Alltagspraxis, sich den inneren Widerstand gegen bestimmte Tätigkeiten bewusst zu machen. Vielleicht beginne ich damit, einmal eine Tätigkeit auszuführen, um die ich mich bisher immer gedrückt habe. Ich kann dann besonders gut mit Anfängergeist herangehen und erkunden, was dann geschieht. Um beim Beispiel des Putzens zu bleiben. Habe ich mich schon einmal gefragt, was für mich eigentlich „sauber“ heißt? Welche Vorstellungen habe ich von Sauberkeit? Wann bezeichne ich die Wohnung als sauber? Die Menschen haben da sehr unterschiedliche Vorstellungen. Wann ist genug mit dem Putzen? Wie wichtig ist mir das? Auch solche Gedanken wahrzunehmen, gehört zur Achtsamkeit. Wenn die Hausarbeit zu einem Meditationsübung wird, kann eine bis dahin lästige Alltagspflicht zu einer völlig neuen Erfahrung werden. Möglicherweise putze ich künftig weniger, nicht weil mir Sauberkeit unwichtig geworden ist, sondern weil mein Verhältnis zur Sauberkeit bewusster geworden ist. Ich beobachte ohne zu werten und durchdringe den Schleier der Unbewusstheit, mit der ich Alltagsaufgaben mechanisch verrichte. Was ich jetzt über die Hausarbeit gesagt habe, gilt natürlich entsprechend auch für berufliche Tätigkeiten. Wie schreibe ich Mails, wie lese ich Mails? Wir sitze ich auf meinem Stuhl im Büro? Welche Signale sendet mir mein Körper. Wann ist es richtig, Pause zu machen? Kann ich meine Aufmerksamkeit ganz auf das richten, was jetzt gerade ansteht? Bin ich im Flow, also eins mit meiner Tätigkeit, oder von ihr entfremdet? Stresst mich meine Arbeit? Und wenn ja, was braucht es, um das zu ändern? Bei der Achtsamkeit geht es letztlich nur um eines: sich die Bedeutung des Hier und Jetzt klar zu machen: „Dies ist es.“ Mein Leben ist – genau jetzt. Gott ist – genau jetzt. Die Frage lautet: welche Beziehung habe ich zu diesem Jetzt. Jesus sagt: „Das Reich Gottes ist mitten unter euch“ (Lukas 17,21). Will sagen, wir brauchen es nicht anderswo zu suchen, als in diesem Augenblick. Bin ich Gefangener meiner Lebensumstände, meiner Zwänge und Gewohnheiten, meines Körpers, meiner Krankheiten, meiner Vergangenheit, meines Arbeitspensums? Reagiere ich auf bestimmte Auslöser sofort mit Widerstand und Abwehr. Oder mit einem Wohlgefühl, das ich nie mehr missen möchte? So oder so mache ich mich dann durch Abneigung oder durch Vorliebe abhängig von äußeren Umständen und Ereignissen meines Lebens. Was in mir vorgeht hat eine große Auswirkung auf meine Gesundheit, und auf meine Lebensqualität. Darum ist es sehr sinnvoll, die Übung der Achtsamkeit auf die alltägliche Lebensführung auszuweiten Zweiergespräch: Wie integriere ich zur Zeit Achtsamkeit in meinen Alltag? Was beobachte ich dabei? 2