Physik-Labor Fachbereich Elektrotechnik und Informatik Fachbereich Mechatronik und Maschinenbau Physikalisches Praktikum M3 Drehschwinger Versuchsziel Für verschiedene Körper, die als Drehschwinger ausgelegt sind, sollen die Massenträgheitsmomente bezüglich der Drehachse aus den Periodendauern bestimmt werden. In einem Fall wird das experimentelle Ergebnis mit einer theoretischen Berechnung verglichen. Weiterhin soll der STEINERsche Satz experimentell nachgewiesen werden. Die Geräte sind: Drillachse, Kreisscheibe mit Bohrungen, rotationssymmetrischer Körper, Kraftmesser, Tafelwaage, Maßstab, Messschieber, Stoppuhr. Literatur Tipler Gerthsen Höfling Halliday/Resnick Walcher Physik Physik Physik, Band II, Teil 1 Physik 1 Praktikum der Physik Grundlagen 1. Begriffe und Größen (werden als bekannt vorausgesetzt) Starrer Körper, Winkelgeschwindigkeit, Winkelbeschleunigung, Kraft, Wirkungslinie, Arbeit, Energie, Drehmoment, Massenträgheitsmoment, Schwerpunkt, antiparallel, Vektor, Vektorprodukt. 2. Rotationsenergie Dreht sich ein starrer Körper um irgendeine Körperachse A , so besitzt er bezüglich dieser Achse die Rotationsenergie (1) WROT = 1 1 J A ω2 = J A (ϕ )2 2 2 mit ω= dϕ = ϕ dt 1 Hierin ist ω = ϕ der Betrag der Winkelgeschwindigkeit und JA das Massenträgheitsmoment des Körpers bezüglich der Achse A. 3. Massenträgheitsmoment J Anhand der nebenstehenden Skizze lässt sich Gleichung (1) leicht für eine Scheibe (zweidimensionaler Körper) herleiten: Die Scheibe sei aus N Massepunkten mit den Massen Δm1, Δm2, ...., ΔmN zusammengesetzt. Sie möge um die Achse A mit der konstanten Winkelgeschwindigkeit ω rotieren. Dann bewegt sich der i-te Massenpunkt mit der Masse Δmi auf einer Kreisbahn vom Radius ri um A mit der konstanten Bahngeschwindigkeit vi . Dabei besitzt er die kinetische Energie (2) ∆Wi = 1 ∆mi ⋅ v i2 2 (3) ∆Wi = 1 ∆mi ⋅ ri2 ⋅ ω2 2 Δm2 Δmi r2 ri A Δm1 oder mit r1 v i = ri ⋅ ω Die Summe der Bewegungsenergien aller rotierenden Massepunkte ergibt die Rotationsenergie der sich um A drehenden Scheibe: N (4) N N 1 1 ∆mi ⋅ ri2 ⋅ ω2 = ω2 Σ ∆mi ⋅ ri2 2 i=1 2 i=1 WROT = Σ ∆Wi = Σ i=1 N (5) J A = Σ ∆mi ⋅ ri2 i=1 nennt man das Massenträgheitsmoment (kurz MTM) des Körpers bezüglich der Drehachse A. Betrachtet man infinitesimale Massenpunkte (Δm → 0) , erhält man beim Grenzübergang statt der Gleichung (5) allgemeiner m (6) J A = ∫ r 2 ⋅ dm mit r = r(m) 0 Die Größe des MTM hängt davon ab, wie sich die Masse (das ist: Trägheit und Schwere) eines Körpers relativ zur Drehachse verteilt. Darum besitzt ein starrer Körper mit der Masse m um verschiedene Körperachsen auch unterschiedliche Massenträgheitsmomente. Die Angabe eines MTM hat also nur dann einen Sinn, wenn es einer Drehachse (Körperachse) zugeordnet wird. 2 4. STEINERscher Satz Drehachsen, die durch den Schwerpunkt eines Körpers verlaufen, nennt man „Schwerpunktachsen“. Ist das Massenträgheitsmoment JS eines Körpers bezüglich einer Schwerpunktachse S bekannt, lässt sich sein MTM bezüglich jeder beliebigen zur Schwerpunktachse parallel verlaufenden Achse X angeben: (7) J X = JS + m ⋅ b 2 STEINERscher Satz Hierin bedeutet JX das MTM des Körpers bezüglich der Achse X , JS das MTM bezüglich der Schwerpunktachse S , m die Masse des Körpers und b der Abstand der zueinander parallelen Achsen X und S. 5. Drehmoment Zwei gleich große antiparallele Kräfte F und − F , deren Wirkungslinien nicht zusammenfallen, nennt man ein Kräftepaar. Greift an einem starren Körper ein Kräftepaar an, erfährt der Körper eine beschleunigte Ortsvektor, der vom Angriffspunkt der Kraft zum Drehbewegung. Ist r der F − Angriffspunkt der Kraft F weist, wird das Vektorprodukt der beiden Vektoren r und F das Drehmoment M des Kräftepaares genannt. Man schreibt F (8) M = r ×F r Das Drehmoment M ist also ein Vektor, der senkrecht auf der Drehebene (Ebene, die von den Vektoren F −F und − F aufgespannt wird) steht, und der in diejenige Richtung zeigt, in die sich eine Rechtsschraube bewegt, wenn man sie so dreht, dass man auf dem kürzesten Weg aus der Richtung von in die Richtung von gelangt. In der Abbildung F r zeigt M senkrecht in die Papierebene nach unten! Wird durch den Angriffspunkt der Kraft − F senkrecht zur Drehebene eine Drehachse gesteckt, dann genügt zur Ausübung des Drehmomentes M scheinbar das Wirkender Kraft im Abstand r von A. In Wirklichkeit wirkt jedoch auch hier ein Kräftepaar ( F , wird. − F ), da die Kraft − F von der Drehachse A geliefert Ganz allgemein sagt man: das Kräftepaar ( F , − F ) übt am Körper das Drehmoment M aus, wodurch der Körper beschleunigt rotiert. Der Betrag der Winkelbeschleunigung α hängt ab vom Betrag des Drehmomentes M und vom Massenträgheitsmoment. Die Richtungen von α und M sind gleich. Damit gilt für die Vektoren (9) M = J⋅α und für die Beträge = J⋅ϕ M = J⋅α = J⋅ω 3 6. Winkelrichtgröße Ist ein Körper um eine festgelegte Achse drehbar – ein eingespannter Draht, eine Spiralfeder – und an eine Gleichgewichtslage gebunden, braucht man ein Drehmoment vom Betrag M , damit man den Körper um den Winkel ϕ aus seiner Gleichgewichtslage herausdrehen kann. Experimentell findet man in gewissen Grenzen: (10) M~ϕ aus dieser Proportionalität wird (11) M = D⋅ϕ wenn man D als eine Apparatekonstante einführt, die im wesentlichen die elastischen Eigenschaften des Drahtes oder der Spiralfeder (Federhärte) kennzeichnet. (12) D= M ϕ nennt man daher die „Winkelrichtgröße“, das „Richtmoment“ oder „Direktionsmoment“ des Drahtes bzw. der Spiralfeder. 7. Dreharbeit Beim Herausdrehen des Körpers aus seiner Gleichgewichtslage um den Winkel ϕ wird die Arbeit (13) W = M⋅ϕ verrichtet, wenn M = const. also unabhängig von ϕ ist. Im Allgemeinen ist jedoch M = M ( ϕ ) , also irgendeine Funktion von ϕ . Ein Beispiel hierfür ist unter 6. genannt. In diesem Fall wird die Arbeit ϕ1 (14) W = ∫ M(ϕ) ⋅ dϕ ϕ0 beim Drehen des Körpers um die Winkelauslenkung ∆ϕ = ϕ1 − ϕ 0 verrichtet. Diese Arbeit bleibt als potentielle Energie solange im System, wie die Winkelauslenkung erhalten bleibt. 8. Drehschwinger Das unter 6. beschriebene System wird dann zum Drehschwinger, wenn man den aus der Gleichgewichtslage ausgelenkte Körper freigibt. Dann übt der Draht auf den Körper ′ Betrag jedoch die ein rückstellendes Drehmoment M aus, das den gleichen entgegengesetzte Richtung wie M hat ( M′ = −M ) . M′ versucht den Körper wieder in seine Gleichgewichtslage zu drehen. Wegen seiner Trägheit (festgelegt durch das MTM bezüglich der Drehachse) schwingt der Körper jedoch über die Gleichgewichtslage hinaus. Beim Fehlen jeglicher Reibung (Idealfall!) gewinnt der Körper dieselbe maximale 4 Auslenkung ϕ̂ auch auf der anderen Seite der Gleichgewichtslage, wie er sie zuvor auf der einen Seite hatte. Das „Spiel“ beginnt von neuem, der Körper schwingt periodisch und ungedämpft. Hierbei findet ständig eine Umformung von potentieller in kinetische Energie statt und umgekehrt. Da sich der Auslenkungswinkel ϕ als Funktion der Zeit t ändert, ändern sich auch die Momentanwerte der potentiellen und kinetischen Energie zeitlich, die beide Funktionen von ϕ und damit auch von t sind (siehe die Gleichungen (14) und (1) ). Unter Vernachlässigung der Reibung bleibt jedoch die Summe aus potentieller und kinetischer Energie im System zeitlich konstant, so dass nach dem Energieerhaltungssatz (15) WPot (ϕ( t )) + WKin (ϕ( t )) = const ϕ (16) 1 ∫ M(ϕ) ⋅ dϕ + 2 J ⋅ (ϕ ) 2 gilt. Hieraus wird = const 0 wenn (14) und (1) berücksichtigt werden. Setzt man hier Gleichung (11) (17) M = D ⋅ ϕ ein und löst das Integral, so erhält man 1 1 D ⋅ ϕ 2 + J ⋅ (ϕ )2 = const 2 2 mit ϕ = ϕ( t ) und ω = ϕ = ϕ ( t ) Differenziert man (17) nach der Zeit, ergibt sich (18) = 0 D ⋅ ϕ ⋅ ϕ + J ⋅ ϕ ⋅ ϕ (19) = 0 D⋅ϕ + J⋅ϕ und nach Division durch ϕ ≠ 0 Dies ist eine homogene Differentialgleichung 2.Ordnung vom Typ (20) mit ω02 = + ω02 ⋅ ϕ = 0 ϕ D J Wie man durch Einsetzen prüfen kann, ist (21) ϕ( t ) = ϕˆ ⋅ sin( ω0 t + ϕ 0 ) die Lösung der Gleichung (20). Diese Gleichung (21) nennt man Schwingungsgleichung. Sie gibt den Winkelausschlag ϕ als Funktion der Zeit t an. ϕ̂ ist die Amplitude, d.h. der maximal mögliche Winkelausschlag. ϕ 0 ist der Phasennullwinkel. (22) ω 0 = 2π ⋅ f 0 = 2π D = T0 J ist die Eigenfrequenz. Sie hängt von den Systemgrößen J und D ab. 5 T02 J= D 4π 2 (23) ergibt sich aus (22). Wenn man die Winkelrichtgröße D der Spiralfeder kennt und die Periodendauer T0 eines Drehschwingers misst, kann man aus (23) das Massenträgheitsmoment des Schwingers bestimmen. Hierbei wird allerdings von einer Dämpfung (Reibung) während der Messung abgesehen (siehe (15)). Diese Annahme führt im Realfall natürlich zu Fehlern. Aufgabe 1. 2. 3. Ermitteln Sie die Winkelrichtgröße D der Drillachsenfeder mehrmals und berechnen Sie die Fehler ∈ D und δD (s. Einführung in die Fehlerrechnung). Messen Sie die Periodendauer T0 , mit der ein auf der Drillachse montierter rotationssymmetrischer Körper (Holz- bzw. Styroporscheibe) schwingt. Bestimmen Sie sein Massenträgheitsmoment J bezüglich seiner Drehachse, die hier eine Schwerpunktsachse ist, nach Gleichung (23). Prüfen Sie den STEINERschen Satz und bestimmen Sie aus Ihren Messwerten JS das MTM bezüglich der Schwerpunktachse und die Masse der Metallscheibe. Durchführung und Auswertung 1. Zur Messung von D wird die Kreisscheibe (Metall) auf der Drillachse befestigt. Im Abstand 12 cm vom Mittelpunkt wird in der entsprechenden Bohrung ein Stift festgeschraubt, an dem der Kraftmesser angesetzt werden kann. Nun misst man jeweils dreimal die Kraft, die zur Verstellung der Scheibe um die Winkel ϕ = π/2, π, 3π/2 aus der Gleichgewichtslage notwendig ist. Dabei muss darauf geachtet werden, dass der Kraftmesser immer senkrecht zum Radiusvektor, also tangential zum Kreisbogen steht (warum?). Aus den Messwerten für den Winkel und die Kraft ist jeweils D nach Gl. (12) zu berechnen. Aus den berechneten neun D- Werten ist schließlich der Mittelwert von D und der absolute Fehler εD zu bestimmen. 2. Messen Sie für den rotationssymmetrischen Körper ∆t = 10 ⋅ T0 , d.h. die Zeit für 10 Schwingungen, bei einer Anfangsauslenkung von ϕˆ ≈ 90° . Der Fehler ∈ T0 wird abgeschätzt. Die Messung wird 2-mal durchgeführt. Die Anfangsauslenkung von ϕˆ ≈ 90° ist ein Erfahrungswert. Der Winkel sollte so groß sein, dass möglichst viele Schwingungen zustande kommen, er sollte jedoch nicht so groß sein, dass die erste Schwingung bis zur Ausgangslage überschlägt, da dies die Messung verfälschen würde. Bei der Auswertung wird J nach Gleichung (23) bestimmt und ∈ J und δJ nach dem Fehlerfortpflanzungsgesetz berechnet. 3. Für diese Messungen wird wieder die Metallscheibe verwendet. Für die Bestimmung des Massenträgheitsmomentes nach Gleichung (7) wird die Masse und der Radius der Scheibe benötigt. Zusätzlich wird J aus der Schwingungsdauer ( ∆t = 5 T0 ) bestimmt. Dazu wird die Scheibe zunächst in ihrem Mittelpunkt auf der Drillachse befestigt, dann nacheinander exzentrisch in weiteren 4 Bohrungen. Deren Abstände b vom Mittelpunkt 6 werden gemessen. Zur Darstellung der Lösung wird eine Tabelle angefertigt mit den jeweiligen b − , b 2 − , T0 − und T02 − Werten, sowie den daraus berechneten J – Werten (Gl. (23)) und den aus Masse und Radius nach dem STEINERsche Satz berechneten J – Werten (Gl (7)). Auf eine Fehlerrechnung wird hierbei verzichtet. Abschließend wird die aus den Messwerten nach Gl. (23) bestimmte Funktion J = J (b2) graphisch dargestellt. Wenn der STEINERsche Satz stimmt, muss dies eine Gerade ergeben (warum?), aus deren Achsenabschnitt das Massenträgheitsmoment bezüglich der Schwerpunktsachse und aus deren Steigung die Masse der Scheibe bestimmt werden können. Fragen 1. 2. 3. (zur Versuchsvorbereitung) Was versteht man unter Masse? Ist die Winkelgeschwindigkeit ein Vektor? Warum besitzt ein Körper um verschiedene Drehachsen unterschiedliche Massenträgheitsmomente? 7