Kolik bei Pferden

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AX
IS
Ü
ber die Kolik bei Pferden
wurde schon viel geschrieben. Man müsste daher annehmen, lauter wohlinformierte
Pferdehalter trügen nun dafür
Sorge, dass diese tückische
Krankheit
durch
sinnvolle
Prophylaxe und rechtzeitiges Erkennen immer geringere Schäden anrichtet. Leider ist dem
nicht so.
SERIE: Aus der Tierarztpraxis
Kolik bei Pferden
Mit Kolik wird ein Symptom, nämlich Schmerzen im Bauchraum,
bezeichnet. Bei einer Einteilung
nach der Ursache des Schmerzes
gibt es im Prinzip drei Arten von
Kolik: Krampfkolik, Aufblähung
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und Anschoppung. Dazu kommen
die Darmverdrehungen.
Die Schwere des Problems wird
immer noch von vielen Pferdehaltern unterschätzt.
Dr. med. vet. Jürgen Bartz
Studium und Promotion in Hannover, Berufsstart
in der Pferdepraxis, dann Lektor im Kosmos-Verlag, jetzt Produktmanager in der Veterinär-Pharmabranche. Betreuung von Distanzritten, Autor
mehrerer Fachbücher, langjährige journalistische
Tätigkeit, Seminare für Pferdehalter und Landwirtschaftskammern. Der geborene Rheinländer
lebt jetzt in Schleswig-Holstein.
US Kolik-Statistik
Tödlicher Bauchschmerz:
Kolik bei Pferden
Schmerzen als Symptom
Als Kolik werden heftige,
krampfartige Schmerzen im
Bauchraum definiert - also
zunächst nur ein Symptom. Dahinter können verschiedene
Krankheiten des Bauch- und
Beckenraumes stehen. Unter
Praxisbedingungen sind aber in
90 Prozent der Fälle krankhafte
Veränderungen am MagenDarm-Trakt die Ursache.
Koliken werden von der Fachwelt nach Ursache, Ablauf und
Art der Störung in zahlreiche
Formen eingeteilt. Für den Pferdehalter sind die wichtigsten:
● Krampfkoliken: krampfartige
Schmerzen ohne genauer zu
erklärende Ursache
● Gaskoliken: übermäßige Füllung des Darmes mit Gasen
● Verstopfungskoliken:
Verstopfungen durch eingedicktes Futter
● Darmverschluss: Verschluss
des Darmes durch eine
Drehung oder Verlagerung
Die Art der Kolik kann nur vom
Tierarzt diagnostiziert werden.
Foto: Dr. Paschke
US-amerikanische
Forscher
wollten es genauer wissen. Ihre
Langzeituntersuchungen
in
großen Pferdebeständen und
mit hohen Pferdezahlen, die im
Sommer dieses Jahres veröffentlicht wurden, zeigten: Mindestens 4,2 von 100 durchschnittlichen Pferden erleiden im Jahr
mindestens eine Kolik. 16,3 Prozent der Kolikpatienten machen
innerhalb eines Jahres sogar
mehrere Koliken durch; 1,5 Prozent der untersuchten Koliker
wurden operiert. Die Gesamt-Todesrate für alle Kolikpferde lag
bei 11,5 (!) Prozent. Daraus lässt
sich klar erkennen: Die Kolikerkrankung ist nach wie vor aktuell und von lebensbedrohender
Bedeutung für das Pferd.
Die Zahlen in Europa sehen
nicht viel anders aus. Interessante neuere Untersuchungen liegen hier auch bezüglich der operierten Koliker vor: Professor
Urs Schatzmann von der Pferdeklinik der Universität in Bern
wertete umfangreiches Zahlenmaterial zu 400 im Zeitraum
von 1995 bis 1999 in seiner Klinik operierten Kolikern aus. Unter anderem stellte er fest, daß
tragische 119 von 400 Berner
Pferdepatienten - also 29,7 Prozent aller operierten Tiere! - zu
Beginn der Kolik-OP, unmittelbar nach Eröffnung des Bauches, noch in der Narkose eingeschläfert werden mussten. Ihnen
konnte aufgrund des zu späten
OP-Termins nicht mehr geholfen
werden.
Viele dieser Patienten hätten bei
rechtzeitiger Einlieferung gerettet werden können.
Offen bleibt bei diesen Forschungsvorhaben, wie viele Koliken durch eine effektive Prophylaxe gar nicht erst eingetreten
wären. Hier bietet sich der beste
Ansatzpunkt für ein sinnvolles
Eingreifen des Pferdebesitzers
und Reiters.
Tierarztserie
Bis der Tierarzt kommt, sollte der Pferdehalter wichtige Maßnahmen einleiten.
BAYERNS PFERDE 2/2003
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tive Heilmittel können den sofortigen Tierarzt-Check nicht ersetzen.
Foto: Kemmler
Bis der Tierarzt kommt ...
Durch die immer besseren Methoden bei Kolik-Operationen
sind die Überlebenschancen in
den letzten Jahren gestiegen.
Aus der Diagnose leitet sich die
Behandlung ab und kann eine
Prognose abgeleitet werden.
Überschlägig gilt diesbezüglich:
Die Darmdrehung mit teilweisem oder totalem Darmverschluss ist die gefährlichste, weil
oft tödliche Kolikform. Aber viele andere, zunächst weniger gefährlich erscheinende Koliken
können nach mehr oder weniger
kurzer Zeit ohne weitere Vorwarnung in eine tödlich Kolik
münden.
Daher lautet für den Pferdehalter der wichtigste Leitsatz zu dieser Erkrankung: Es gibt keine
„harmlosen“ Koliken! Bei jeder
Kolik ist also ohne weiteren Zeitverlust sofort der Tierarzt zu benachrichtigen.
Das bei „Profi-Pferdehaltern“
bisweilen beobachtete eigenmächtige Injizieren von krampflösenden Wirkstoffen, die ein
vermeintlich „großzügiger“ Haustierarzt im voraus abgegeben
hat, ist purer und für das Pferd
tödliche
Leichtsinn.
Auch
homöopathische Arzneimittel,
Bachblüten und andere alterna-
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BAYERNS PFERDE 2/2003
... muss der Pferdehalter wichtige Maßnahmen einleiten. Vor allem sollte er in der Lage sein,
Puls, Atemfrequenz und Körpertemperatur bei seinem Pferd zu
ermitteln und dem Tierarzt bereits am Telefon mitzuteilen. Anhand dieser Werte kann der
Tierarzt den Ernst der Lage
leichter abschätzen.
Darüber hinaus gelten folgende
wichtige Grundsätze der Ersthilfe für Koliker:
● jede weitere Futter- und Wasseraufnahme verhindern
● Pferd langsam im Schritt
führen und eindecken
● nach Bedarf wälzen lassen,
aber nur in verletzungssicherer Umgebung
● entspannende Massagen und
Anwendung von TTouch sind
hilfreich
● außer homöopathischen Mitteln und Bachblüten dürfen
keine Medikamente verabreicht werden
● bei heftig wälzenden Kolikern
Box dick einstreuen oder
Pferd in eine Reithalle/Sandplatz bringen und weiter
nicht anfassen (Verletzungsgefahr für den Menschen)
● entstehende tiefe Wunden
durch Wälzen mit Verbänden
nach Bedarf versorgen
Fortschritte
bei der Kolik-Chirurgie
Die tierärztlichen Kliniken wenden immer ausgefeiltere Methoden der Operation bei Kolikern
an. Dadurch sind die Überlebenschancen in den letzten Jahren
immer weiter gestiegen. Dennoch: Der entscheidende Faktor
für den Erfolg bleibt die rechtzeitige Einlieferung. Die zitierte
Studie aus Bern zeigte: Von den
rechtzeitig eingelieferten 70 Prozent der untersuchten Koliker,
also jenen Patienten, bei denen
eine Kolik-OP aufgrund des frischen Geschehens sinnvoll war,
starben nur 2,8 Prozent in Folge
von Problemen direkt während
der Operation und Narkose
oder in der sich anschließenden
Aufwachphase - eine Zahl, die
Reitern und Pferdehaltern Mut
machen kann, sich im Zweifels-
Tierarztserie
fall für eine OP zu entscheiden.
Früh operierte Koliker haben also - je nach Art des Grundleidens - eine realistische Chance
für eine effektive Heilung. Allerdings ist zu berücksichtigen,
daß sich bei einem guten Teil
der Patienten erst nach Beginn
der Operation das ganze Ausmaß der Schäden im Bauch
zeigt. Dies dokumentiert, wie
wichtig das probeweise Öffnen
des Bauchraumes beim Koliker
ist, um definitive Klarheit über
das Problem zu erlangen. Es
ist daher guter Brauch in Pferdekliniken, den Besitzer noch
während des Eingriffs telefonisch über zweifelhafte Befunde
mit schlechter Prognose zu informieren und zumeist auch dahingehend zu beraten, diese
Pferde einzuschläfern, um ihnen
weiteres unnötiges Leiden zu ersparen.
Intensive Behandlung
im Stall
Das Wissen über eine medizinisch hochwertige Erstversorgung des Kolikers im heimischen
Stall erweitert sich fortlaufend.
Dazu gehört vor allem eine
rechtzeitige Infusion zur Kreislaufstabilisierung und zum
Ausgleich des Säure-BasenHaushaltes. Auch die sorgfältige
Diagnosestellung durch unter
Umständen mehrfache rektale
Darmuntersuchungen des Tierarztes und das bedarfsweise Legen einer Nasen-Schlund-Sonde
sollten zum Standard für jede
Kolik-Behandlung auch unter
den vielzitierten „Praxisbedingungen“ gehören. Das auf diese
Weise behandelte Pferd wird oft
auch ohne Operation wieder gesund werden. Sollte dennoch eine OP erforderlich sein, führt
die optimale Vorbehandlung zu
mehr Sicherheit bei der Narkose
und zu einem insgesamt besseren Operationsergebnis.
Es ist normal und richtig, dass
der Hoftierarzt den Koliker mit
Verdacht auf ein ernsthaftes Problem, dass nur durch eine Operation zu beheben ist (bspw. eine Darmverlagerung), lieber zu
früh - und dann vielleicht auch
einmal „vergebens“ in die Klinik
schickt, als zu lange abzuwarten
und dann bei einer plötzlichen
Verschlechterung des Zustandes
vor allem auch mit Transportproblemen rechnen zu müssen.
PAT-Werte messen –
ganz einfach
Puls, Atmung, Temperatur - diese so genannten Vitalwerte sollte jeder Pferdehalter bestimmen
können. Man braucht dazu: ein
einfaches Stethoskop (10 EUR
in der Apotheke), eine Armbanduhr, ein Digitalthermometer (6 EUR in der Apotheke).
Puls (= Herzfrequenz/Minute):
Die Pulsschläge sind am Fesselkopf und an der Unterkiefer-Arterie zu fühlen. Besser hört man
die Herz-Doppeltöne („buhdupp“ wird als ein Herzton gezählt) mit dem Stethoskop an
der linken Brustwand unter dem
Schulterblatt direkt über dem
Herzen ab. Mit der Uhr 15 Sekunden stoppen, dann den gemessenen Wert vervierfachen =
Minutenwert. Normal beim erwachsenen Pferd in Ruhe: 36
bis 40 Schläge/Minute.
Atemfrequenz/Minute: Die Zahl
der Atemzüge kann man anhand der Nüstern- oder Flankenbewegungen ermitteln - oder
mit dem Stethoskop über den
Rippen, etwa im Bereich der
Sattellage, oder über der Luftröhre (mittleres Halsdrittel) abhören. Normal in Ruhe: 8 bis
16 Atemzüge /Minute.
Körpertemperatur: Diese misst
man beim Pferd im After, am
besten mit einem Digitalthermometer, denn das ist bruchsicher
und misst schnell. Thermometer
beim Messen festhalten! Normalwert erwachsener Pferde in
Ruhe: 37 bis 38 Grad Celsius
Immer wieder:
artgerechte Fütterung
Die Botschaft ist schlicht, wird
aber oft überhört: Die artgerechte Pferdefütterung enthält möglichst viel Rauhfutter (Heu,
Stroh) und Weidedegang und
möglichst wenig Kraftfutter (Getreide, Pellets, Müsli). Damit ist
eine sehr wichtige Vorbeuge gegen fütterungsbedingte Koliken
gewährleistet.
Dass sportliche Höchstleistungen ein Abweichen von dieser
Regel erforderlich machen, ist
nachvollziehbar. Trotzdem wird
die Regel dadurch nicht ausser
Kraft gesetzt. Wer sich also zu
weit in den ungesunden Grenzbereich wagt, um sportlichen Erfordernissen Rechnung zu tragen, darf sich über die Folgen
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nicht wundern. Einwandfreie
Qualität aller Futtermittel und
eine stressfreie Umgebung zu
deren Aufnahme sind ohnehin
selbstverständlich.
Einige spezielle Tricks bei der
Fütterung können ebenfalls
helfen, das Kolikrisiko zu minimieren.
● Pferde benötigen mindestens
ein, besser 1,5 kg Rauhfutter je
kg Körpergwicht.
● Stroh sollte jedoch am Rauhfutter nur einen Anteil von maximal 35 Prozent ausmachen.
Sonst drohen verstärkt Verstopfungskoliken.
● Das gilt besonders auch im
Winter bei zusätzlichem Bewegungsmangel und zugefrorenen
Selbsttränken. Das Tränken aus
dem Eimer ist dann oft nicht ausreichend, der Futterbrei im Darm
dickt dadurch zusätzlich ein.
● Täglicher Weidegang ist auch
im Winter bei jeder Witterung
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möglich - aber nach Frostnächten und bei Schnee sollte zuerst
eine große Portion Heu gefüttert
werden, um den Magen zu
füllen.
● Gefrorenes und danach aufgetautes Saftfutter führt leicht zu
Gärungen mit Kolikfolgen.
● Kleine Mengen in Wasser
gelöster Zuckerschnitzel, Melasse und Kleie wirken mild abführend und halten den Darm
fit.
● Pferde vertragen keine Hungerpausen: Länger als drei bis
fünf Stunden sollte kein Pferd
regelmäßig ohne Rauhfutter aushalten müssen. Das gilt insbesondere für Tiere in Späne-Boxen und Weidepferde, die
zeitweise im Sandauslauf ausgesperrt werden, damit sie nicht
verfetten. Stroh oder Heu muss
dann gereicht werden.
Regelmäßige Bewegung in Form
von Ausdauerarbeit, aber auch
von freier Bewegung in der Herde auf der Weide oder im Auslauf unterstützt den Darm hervorragend. Das sollte auch
im Winter nicht vergessen werden. Täglicher Weidegang ist
ganzjährig sinnvoll und wichtig.
Bandwürmer
und Magengeschwüre
Zwei spezielle Gegebenheiten im
Pferde-Verdauungstrakt sollten
nach neueren Erkenntnissen unbedingt berücksichtigt werden:
● Bandwürmer führen schon in
kleinen Mengen zu immer wieder kehrenden Koliken. Ungefähr 35 Prozent aller Pferde leiden - oftmals unerkannt - unter
Bandwürmern. Zweimal im Jahr
sollte daher zur Entwurmung
ein Medikament verwendet werden, das auch gegen Bandwürmer wirkt, am besten im Frühjahr und dann ein zweites Mal
zeitgleich mit der Ivermectin-Behandlung im Herbst gegen Magendasseln.
● Magengeschwüre durch
Stress und eine falsche Fütterung quälen nachweislich viele
Pferde
unerkannt.
Diese
führen unter anderem zu immer wieder kehrenden leichten
Koliken. Der Tierarzt sollte
hier unbedingt zu einer Untersuchung und Behandlung gebeten werden.
Fazit: Der Kolik lässt sich recht
effektiv vorbeugen. Im Erkrankungsfalle muss der Tierarzt
sofort gerufen werden - es zählt
jede Minute. Die Erfolgsaussichten im schlimmsten Fall - der erforderlichen Operation - verbessern sich heute fortlaufend und
bieten dem Pferd eine reelle
Chance, wenn der Eingriff frühzeitig erfolgt.
■
Dr. Jürgen Bartz
BAYERNS PFERDE 2/2003
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