Eidgenössisches Departement für Wirtschaft, Bildung und Forschung WBF Staatssekretariat für Wirtschaft SECO Arbeitsbedingungen Basisinformationen über psychosoziale Risiken Was bedeutet eigentlich „psychisch“? Psyche ist eine Funktion des Gehirns, die das Denken und Fühlen betrifft oder anders ausgedrückt kognitive und emotionale Prozesse. Mit dem Wort “psychisch“ sind alle Vorgänge im Menschen gemeint, die mit Wahrnehmen, Bewerten, Denken, Erinnern, Empfinden, Entscheiden, Problemlösen und Verhalten zu tun haben. Es geht somit um mehr als das persönliche Empfinden. Auch Wahrnehmungs- und Informationsverarbeitungsvorgänge, das heisst das Verarbeiten von Eindrücken, wirken auf das Verhalten und Erleben ein. Jede Arbeit stellt an den Menschen sowohl physische als auch psychische Anforderungen. Es arbeitet nicht nur der Körper, der die Bewegungen ausführt, sondern ein Mensch, der sich konzentriert, die Situation wahrnimmt, bewertet und darauf reagiert. Die physischen und psychischen Prozesse sind eng miteinander verbunden. Was versteht man unter psychosozialen Risiken? „Unter psychosozialen Risiken am Arbeitsplatz werden diejenigen Merkmale der Gestaltung und Organisation von Arbeit und Arbeitsprozessen (einschliesslich der jeweiligen sozialen Kontexte) verstanden, die psychischen oder physischen Schaden verursachen können. … Sie stehen in Verbindung mit Problemen wie Stress, Gewalt, Mobbing und Belästigung am Arbeitsplatz.“ 1 Psychosoziale Risiken entstehen durch strukturelle Faktoren, wie z. B. geringen Entscheidungsspielraum, Arbeitsplatzunsicherheit oder das Fehlen unterstützender Beziehungen. Psychosoziale Risiken der Arbeit zu kennen und entsprechende Präventionsmassnahmen umzusetzen zahlt sich aus. So steht in den Leitlinien der WHO und EU zum psychosozialen Risikomanagement folgendes: „Gute Praxis in Bezug auf psychosoziales Risikomanagement reflektiert im Wesentlichen gute Praxis im Hinblick auf Unternehmensführung, Lernen und Entwicklung, soziale Verantwortung und Qualität der Arbeit. Es führt zu einer Steigerung der Produktivität, einer höheren Qualität von Produkten und Dienstleistungen, gesteigerter Attraktivität am Arbeitsmarkt und grösserem Potenzial für Innovationen.“ Belastungen und Fehlbelastungen Der Mensch wird durch die Anforderungen, die eine Arbeit an ihn stellt, belastet. Diese „Belastungen“, sowohl die psychischen wie die physischen, sind an sich nicht gesundheitsschädigend. Stehen die Belastungen und die eigenen Möglichkeiten, diese zu bewältigen, in einem Gleichgewicht, so können Belastungen innert kürzester Zeit zusätzliche Energie mobilisieren und Mitarbeitende zu Höchstleistungen treiben. Wenn die Anforderung die vorhandenen Handlungsmöglichkeiten und Ressourcen jedoch übersteigen, dann führt das zu übermässiger Beanspruchung und gilt als Fehlbelastung. Eine gleiche Belastung kann bei verschiedenen Personen zu einer unterschiedlichen Beanspruchung führen. 1 Quelle PRIMA-EF, WHO (2009).Leitlinien zum Europäischen Handlungsrahmen für Psychosoziales Risikomanagement. Ein Handbuch für Arbeitgeber und Arbeitnehmervertreter. S.1 Hrsg. Für die deutsche Auflage: Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin www.baua.de oder www.prima-ef.org Februar 2014 Staatssekretariat für Wirtschaft SECO Arbeitsbedingungen Holzikofenweg 36, 3003 Bern [email protected] www.seco.admin.ch 1/5 Beispiele für psychische Fehlbelastung 2: - Wenn bei einer Überwachungstätigkeit z. B. 30 Signale gleichzeitig wahrgenommen, richtig bewertet werden und jeweils die richtige Entscheidung getroffen werden muss, dann überfordert das die menschliche Informationsverarbeitungsfähigkeit. Die Anforderung entspricht nicht der durchschnittlichen menschlichen Leistungsfähigkeit. Es handelt sich um eine Fehlbelastung die zu einer Fehlbeanspruchung der betreffenden Person führt. - Ein Programmierer muss gleichzeitig programmieren und eine Hotline bedienen: Diese Aufgaben stellen unvereinbare Anforderungen dar und sind daher eine Fehlbelastung. Der Programmierer wird dadurch fehlbeansprucht. - Die psychische Belastung durch das Ablesen von Daten auf Etiketten in einem schlecht beleuchteten Lagerraum kann je nach Alter und Sehkraft der betreffenden Person diese normal beanspruchen oder fehlbeanspruchen (Altersweitsichtigkeit). Wenn der Mensch zu stark, zu einseitig oder auch zu wenig beansprucht wird, spricht man von Fehlbeanspruchung. Was ist Stress? Im Alltag wird das Wort Stress für verschiedene Bedeutungsinhalte verwendet, z. B. wenn es hektisch zu und her geht, eine schwierige Aufgabe bevorsteht, oder sich eine Person angespannt und nervös fühlt. Damit sind unterschiedliche Merkmale des Stressgeschehens angesprochen, die nur zusammengenommen ein vollständiges Bild von Stress ergeben. Das SECO definiert arbeitsbedingten Stress als “Emotionale und psychophysiologische Reaktion auf ungünstige und schädliche Aspekte der Arbeit, des Arbeitsumfelds und der Arbeitsorganisation. Stress ist ein Zustand, der durch hohe Aktivierungs- und Belastungsniveaus gekennzeichnet und oft mit dem Gefühl verbunden ist, man könne die Situation nicht bewältigen“ 3. Demnach entsteht Stress, wenn die qualitativen und quantitativen Anforderungen, die an eine Person gestellt werden, höher sind als die Fähigkeiten, diese zu bewältigen bzw. zu kontrollieren. Stress ist ein länger dauernder und als unangenehm empfundener Zustand von Anspannung und Erregung, der von der Person als bedrohlich und unausweichlich erlebt wird. Es geht damit eindeutig um einen negativen Zustand, der länger anhält und nicht um eine kurz dauernde Herausforderung. Alle Belastungen sind potenzielle Ursachen von Stress. Es gibt aber einige, die sich als besonders bedeutsam gezeigt haben 4. Diese Fehlbelastungen werden häufig als Stressoren bezeichnet. Die Gestaltung der Arbeitsaufgabe, der Organisation der Arbeit, der sozialen Beziehungen sowie der Arbeitsumgebung können zu einer Überforderung von Mitarbeitenden durch psychische Fehlbelastungen führen. Die nachfolgende Übersichtstabelle listet Merkmalsbereiche arbeitsbedingter psychischer Belastungen auf und beschreibt mögliche kritische Ausprägungen. 2 Quelle: Huber, E. (2011). Bewertung der Evaluierung arbeitsbedingter psychischer Fehlbelastungen bei der Kontroll- und Beratungstätigkeit . Leitfaden für die Arbeitsinspektion. Hrsg. Bundesministerium für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz, Zentral-Arbeitsinspektorat. Wien 3 Quelle: Anhang zur Wegleitung des ArGV 3 Art. 2 in Übereinstimmung mit der Europäischen Kommission (Generaldirektion V, 1997) 4 Siehe auch Grebner et al (2010) 2/5 Arbeitsaufgabe Merkmalsbereich Ungünstige / kritische Ausprägungen (ohne Anspruch auf Vollständigkeit) Körperliche Anforderungen - Hohe Anforderungen an Sehen, Hören, Fühlen, Genauigkeit - Sehr schwere körperliche Arbeit mit hohem Kraftaufwand Geistige Anforderungen - Fehlende Ganzheitlichkeit der Tätigkeit: - nur vorbereiten - nur ausführen - nur kontrollieren usw. - Einseitige Anforderungen: immer die gleiche Tätigkeit ausführen - Stark repetitive, kurzzyklische Tätigkeiten, Monotonie - Hohe Konzentration und Aufmerksamkeit - Informationsprobleme: - zu umfangreich, z.B. Reizüberflutung durch zu viele Signale, die gleichzeitig beachtet werden müssen - schlecht dargeboten - lückenhaft Qualifikation - Aufgaben überfordern, fehlende Einschulung/ Unterweisung - Aufgaben unterfordern: Es können nur wenige Kompetenzen und Fertigkeiten genutzt werden - Fehlende Entwicklungsmöglichkeiten Emotionale Inanspruchnahme - Zeigen müssen von Emotionen, die mit den eigenen Empfindungen nicht übereinstimmen oder gar im Widerspruch sind), z.B. durch „Lächelstress“ in Dienstleistungsberufen - Umgang mit Leid (Sozialwesen, Pflege usw.) - Häufiger Umgang mit schwierigen Kunden z.B. bei der Entgegennahme von Reklamationen, Mitteilen von Negativentscheiden, Sicherheitskontrollen usw. - Erleben von Bedrohung und Gewalt - Hohe Verantwortung für Personen bzw. Ergebnisse 3/5 Arbeitsorganisation Merkmalsbereich Ungünstige / kritische Ausprägungen (ohne Anspruch auf Vollständigkeit) Arbeitszeiten - Arbeitsabläufe, Arbeitsmenge - Unterbrechungen und Störungen - Arbeitsintensität: hoher Zeit-/Termindruck - Aufgabe ist in der vorgegebenen Zeit oder Qualität nicht erfüllbar - Hohe Taktbindung - Fehlende Vorhersehbarkeit und Planbarkeit der Arbeit, Arbeitsmenge ist sehr unregelmässig Handlungsspielraum Lange Arbeitszeiten Arbeit in der Freizeit Ungünstige Schichtpläne Umfangreiche Überstunden, nicht bezogene Ferienguthaben - Starre Arbeitszeiten oder stark wechselnde Arbeitszeiten - Arbeitszeiten nicht vorhersehbar, Arbeit auf Abruf - Mangelhafte Pausengestaltung - - Fehlende Gestaltungsmöglichkeit der Organisation der Arbeit, z.B. kein oder kaum Einfluss der Beschäftigten auf: - Arbeitsinhalt - Arbeitstempo und Arbeitspensum - Reihenfolge der Tätigkeiten - Arbeitsmethoden/-verfahren - Pausengestaltung Fehlende Mitwirkungsmöglichkeit bei arbeitsrelevanten Massnahmen Arbeitsmittel (Werkzeuge, usw.) - Fehlende oder ungeeignete Arbeitsmittel und Werkzeuge Unzureichende Softwaregestaltung Ungünstige Einrichtung von Maschinen Betriebliche Strukturen - Unklarheiten bei Zuständigkeiten, Kompetenzen und/oder Schnittstellen Unklare oder widersprüchliche Arbeitsaufträge /Ziele Rollenunklarheit Persönlichkeitsschutz: fehlende Regelung zum Umgang mit auftretenden Problemen, keine vertrauliche Ansprechstelle - Information, Kommunikation, Kooperation, Mitwirkung - Fehlende, nicht rechtzeitige Information Undurchsichtige Kommunikationswege Fehlende organisatorische Mitwirkungsmöglichkeit der Mitarbeitenden Erlebte Ungerechtigkeit, Unfairness Fehlende Möglichkeit, Probleme und Konflikte anzusprechen und konstruktiv nach Lösungen zu suchen Soziale Isolation z.B. durch Einzelarbeitsplätze Zu geringe / zu hohe Zahl sozialer Kontakte 4/5 Soziale Beziehungen Merkmalsbereich Ungünstige / kritische Ausprägungen (ohne Anspruch auf Vollständigkeit) Vorgesetztenverhalten - Fehlende Qualifizierung der Führungskräfte Fehlende Rückmeldung / Anerkennung zur erbrachten Leistung Fehlende Unterstützung im Bedarfsfall Fehlende Führung Arbeitsumgebung Merkmalsbereich Ungünstige / kritische Ausprägungen (ohne Anspruch auf Vollständigkeit) Klimatische Bedingungen - Raumtemperatur: zu grosse Hitze/zu grosse Kälte Luftfeuchtigkeit: zu hoch/zu niedrig Akustische Bedingungen - Grosser Lärm und/oder Störungen: - durch „Mithören müssen“ von Gesprächen (Grossraumbüro) beeinträchtigt die Konzentration, - Wichtige Signale sind wegen des Lärmpegels nicht wahrnehmbar oder unterscheidbar Visuelle Bedingungen - Zu wenig oder zu viel Licht (Blendung) Reflexion Ungenügende Steuerbarkeit Gestaltung des Arbeitsplatzes und der Sozialräume - Ungünstige ergonomische Gestaltung Ungünstige Arbeitsräume (Platzangebot entspricht nicht den Arbeitsanforderungen) Fehlende Sicht ins Freie Mängel bei der Gestaltung der Aufenthaltsräume, Toiletten, Waschräume, Garderobe usw. - Gesellschaftliche Faktoren und spezifische Rahmenbedingungen des Betriebs Merkmalsbereich Ungünstige / kritische Ausprägungen (ohne Anspruch auf Vollständigkeit) Wirtschaftliche Situation - Veränderungen - Schlechte wirtschaftliche Situation allgemein oder des Unternehmens Rationalisierungsmassnahmen Reorganisationen: - neue Technologien - Fusionen - Organisationsveränderungen. Je mehr und je häufiger solche kritischen Merkmale kombiniert auftreten, desto wahrscheinlicher sind ungünstige Auswirkungen auf das Befinden und Verhalten der davon betroffenen Personen. Als besonders nachteilig gilt die Kombination von hohen Anforderungen mit geringem Handlungs- und Entscheidungsspielraum sowie mangelnder sozialer Unterstützung. 5/5