Junge Disziplin mit Entwicklungspotenzial

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Grundfragen und Trends | Talent Management
Inhalte, Perspektiven und Herausforderungen im Talent Management
Junge Disziplin mit Entwicklungspotenzial
Nach 20 Jahren der Debatten, Hype und begrifflicher Konfusionen rund um das Thema
„Talent Management“ stehen Wissenschaftler und Praktiker gleichermaßen vor der
Aufgabe, zukünftig einen Beitrag zu leisten für die Präzisierung und Abgrenzung von
Inhalten, deren theoretischer Fundierung sowie der Ermittlung von Zusammenhängen
dieses Themenuniversums. In Folgenden werden Inhalte, Perspektiven und Herausforderungen im Talent Management dargestellt. Zuvor wird kurz auf die Gründe für Talent
Management und auf Talent Management als Phänomen eingegangen.
Weder Talent noch Talent Management sind bis dato feststehend definiert. Eine Definition des Begriffs „Talent“ ist bei Tansley et al. (2007, S. 8) zu lesen. Demnach sind Talente
diejenigen Mitarbeiter, die in besonderer Weise zum
Unternehmenserfolg beitragen, entweder direkt durch
ihre Leistung oder längerfristig durch ihr Potenzial.
Talent Management umfasst im weitesten Sinne alle
auf Talente ausgerichteten Aktivitäten oder ProgramAutor |
me, wie beispielsweise deren Identifikation, RekrutieDaniel Stapf,
rung, Einsatz, Erhalt, Vergütung und Entwicklung, damit
Dipl.-Kfm., MBA,
Organisationen ihre geschäftlichen oder strategischen
Unternehmensberater
Ziele erreichen können (Silzer/Dowell 2010, S. 18).
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Heißes Thema im Personalmanagement
Warum ist Talent Management so ein heißes Thema? Der
in den 1990er-Jahren durch McKinsey Consultants (Michaels et al., 2001) und deren Publikation „War for Talent“
stark beeinflusste Diskurs um Talent hat verschiedene
Gründe (Dries 2013, S. 273). Im Wesentlichen sind diese
darauf zurückzuführen, dass Talent zunehmend eine wichtige Rolle bei der Erringung von strategischen Wettbewerbsvorteilen zugeschrieben wird. Talent wird in Verbindung mit Einzigartigkeit gesehen und ist nicht ohne Weiteres durch Wettbewerber kopierbar. Darüber hinaus
wird es immer schwieriger Talente, zu rekrutieren und zu
halten, basierend unter anderem auf demografischen
Entwicklungen (zum Beispiel abnehmenden Bevölkerungszahlen) oder gegenseitig abnehmender ArbeitgeberArbeitnehmer-Loyalität (Dries 2013, S. 273).
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Talent Management ist eines der meist debattierten
Themen im Personalmanagement (Thunnissen/Boselie/Fruytier 2013, S. 326) der letzten Jahre und manche Autoren (Iles/Preece/Chuai 2010, S. 125) sehen
Talent Management bereits in Zusammenhang mit einer
„Management-Mode“. Das Literaturaufkommen zu diesem Thema zwischen 1990 und 2013 ist schier explodiert (Dries 2013, S. 273). Davon sind lediglich ein
Bruchteil in peer-reviewed Journals erschienen (Dries
2013, S. 273; Lewis/Heckman 2006, S. 139). Die meisten Publikationen über Definition, Praktiken und Abgrenzungen von Talent Management sind in nicht-akademischen Publikationen beheimatet (Lewis/Heckman
2006, S. 139). Dies macht die Diskrepanz zwischen
den scheinbar unterschiedlichen Interessenlagen von
Praktikern und Akademikern deutlich, bietet aber viele
Ansatzpunkte, insbesondere für neue theoretische und
praktische Forschungsansätze (Dries 2013, S. 273).
Verschiedene Autoren (Collings/Mellahi 2009,
S. 305; Lewis/Heckman 2006, S. 140; Thunnissen/
Boselie/Fruytier 2013, S. 1) sind der Auffassung, dass
es im Hinblick auf Inhalte und Ziele des Talent Management sowie dessen theoretischer Fundierung keinen
Konsens in der Literatur gibt, dieser jedoch im Wachstum begriffen ist (Collings/Scullion/Vaiman 2011, S.
454). Die gegenwärtige Talent-Management-Literatur
fokussiert sich in ihren Strömungen auf die Definition
von Talent und Talent Management, die Untersuchung
von Talent-Management-Resultaten und Effekten, auf
Talent-Management-Aktivitäten und Praktiken (ThunWeiterbildung
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Grundfragen und Trends | Talent Management
Abb. 1: Perspektiven des Talent Management
Globales Talent Management
Europäische Ebene
Talent-Management-Perspektiven
Organisationsebene
Die Exclusive-Positions-Perspektive ist enger gefasst
als die obige und fokussiert ausschließlich Schlüsselpositionen oder Stellen mit strategischer Relevanz. Beide Perspektiven haben gemeinsam, dass
sie eine Differenzierung voraussetzen. Während oben
Leistung als Differenzierungsmerkmal herangezogen wird, ist bei dieser Perspektive nach zusätzlich
die strategische Bedeutung einer Stelle ausschlaggebend (Iles/Chuai/Preece 2010, S. 182). Eine weitere Sichtweise ist die Inclusive-People-Perspektive.
Diese bezieht sich auf alle Mitglieder einer Organisation und hat einen humanistischen Bezug. Jeder
Mitarbeiter trägt zum Erfolg eines Unternehmens
bei, daher ist es auch notwendig, alle Mitglieder zu
hoher Leistungsfähigkeit zu führen (Iles/Chuai/
Preece 2010, S. 182). Die Social-Capital-Perspektive wird mehrheitlich vertreten (Iles/Chuai/Preece
2010, S. 182) und sieht Talent Management insbesondere in Verbindung mit Kombinationen aus Wissen, Fähigkeiten und Eigenschaften (Tarique/Schuler 2010, S. 124) oder der Leistungsfähigkeit einer
Organisation (Iles/Chuai/Preece 2010, S. 182).
nissen/Boselie/Fruytier 2013, S. 327) sowie auf strategische Bezüge zu Unternehmenszielen (Collings/Mellahi 2009, S. 305).
Unterschiedliche Perspektiven
Die Perspektiven, das heißt die Betrachtungsebenen
von Talent Management, können sehr unterschiedlich
sein (Vaiman/Scullion/Collings 2012, S. 1). Im Folgenden werden beispielhaft drei wesentliche Betrachtungsebenen des Talent Management dargestellt. Daneben sind noch weitere Betrachtungsebenen existent,
zum Beispiel strategische oder output-orientierte
Betrachtungen. Zuerst wird auf eine organisationsspezifische Sichtweise (Iles/Chuai/Preece 2010) eingegangen, an die sich eine europäische (Collings/Scullion/Vaiman 2011) und schließlich globale Perspektive (Collings/Scullion/Morely 2007; McDonnell et al. 2010;
Scullion/Collings/Caliguri 2010; Tarique/Schuler 2010;
Vaiman/Scullion/Collings 2012) auf Talent Management anschließt.
l Die organisationsspezifische Sichtweise:
Welche Bezugspunkte hat Talent Management und
wer wird einbezogen? Manche Forscher vertreten
dazu eine organisationsspezifische Sichtweise, die
sich auf Positionen und Mitarbeiter sowie deren Grad
der Einbeziehung bezieht. Die Exclusive-People- Perspektive ist auf Mitarbeiter mit außergewöhnlichen
Beiträgen im Hinblick auf Leistung oder Potenzial
ausgerichtet und hat keinen direkten Bezug zu
bestimmten Positionen. Eine große Gruppe von Praktikern und Wissenschaftlern nehmen diese Perspektive ein (Iles/Chuai/Preece 2010, S. 181 f.).
Weiterbildung
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l
Die europäische Perspektive:
Die theoretische und empirische Fundierung von
Talent Management ist stark beeinflusst von nordamerikanischer Forschung. Um eine Balance zwischen verschiedenen Traditionen und Sichtweisen
zu schaffen, sollte daher die Einbeziehung europäischer Einflüsse stärker berücksichtigt werden. Unterschiede zu Nordamerika werden unter anderem durch
eine stärkere Regelung der Arbeitsmärke deutlich,
zum Beispiel im Hinblick auf die Einstellung oder
Literatur |
Collings, D. G./Mellahi, K.:
Strategic talent management: A review and theoretical synthesis. Human
Resource Management
Review, 2009, 19, S. 304313
Collings, D. G./Scullion,
H./Morley, M. J.: Changing
patterns of global staffing in
the multinational enterprise: Challenges to the
conventional expatriate
assignment an emerging
alternatives. Journal of
World Business, 2007,
42(2), S. 198-213
Collings, D. G./Scullion,
H./Vaiman, V.: European
perspectives on talent
management. European J.
International Management,
2011, 5(5), S. 453-462
Dries, N.: The psychology of
talent management: A
review and research
agenda. Human Resource
Management, 2013, 23,
S. 272-285
Guthridge, M./Komm, A.
B./Lawson, E.: The people
problem in talent management. The McKinsey Quarterly, 2006, 2, S. 6-8
Iles, P./Chuai, X./Preece, D.:
Talent management and
HRM in multinational companies in Beijing: Definitions, differences and drivers.
Journal of World Business,
2010, 45, S. 179-189
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Grundfragen und Trends | Talent Management
Abb. 2: Menschliche Barrieren im Talent Management
n % Angaben der Befragten zu Hindernissen bei Talent-Management-Programmen in Hinblick auf den Geschäftserfolg
Senior Manager verwenden zu wenig Zeit für Talent Management
Linien-Manager sind nicht genügend auf Mitarbeiter-Entwicklung eingestellt
Mangelnde Abstimmung durch abgeschirmte Organisationseinheiten
Ungenügende Differenzierung zwischen Top-, Durchschnitts- u. Under-Performern
Keine Verbindung von Talent Mangement und Unternehmensstrategie
38
39
45
47
50
Ineffizienter Umgang mit schlechtleistenden Mitarbeitern
51
Ineffiziente Nachfolgeplanung/Resourcen-Verteilung bei Stellenbesetzungen
52
54
Unterschiedliche Auffassung zur Bedeutung von Schlüsselpositionen
Fortsetzung Literatur |
Iles, P./Preece, D./Xin, C.:
Talent management as a
management fashion in
HRD: towards a research
agenda. Human Resource
Development International,
2010, 13(2), S. 125-145
Lewis, R./Heckman, R.:
Talent management: A critical review. Human Resource
Management Review, 2006,
16(1), S. 139-154
Silzer, R./Dowell, B. E.: Strategic talent management
matters. In: Silzer,
R./Dowell, B.E. (Hrsg.):
Strategy-driven talent
management: A leadership
imperative. San Franzisco,
CA 2010, S. 3-73
Tansley, C./Turner, P./Foster,
C./Harris, L./Sempik,
A./Stewart, J./Willians, H.:
Talent Management: Strategies, Policies and Practices.
Chartered Institute of Personnel and Development.
London 2007
Thunnissen, M./Boselie,
P./Fruytier, B.: Talent
management and the relevance of context: Towards a
pluralistic approach. Human
Resource Management
Review, 2013, 23, S. 326336
Vaiman, V./Scullion, H./Collings, D.: Talent management decision making.
Management Decision,
2012, 50(5), S. 925-941
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Quelle: Guthridge/Asmus/Komm 2006, S. 7
Entlassung von Mitarbeitern. Auch strukturelle Unterschiede können für Talent Management ausschlaggebend sein, da viele Unternehmen aufgrund der
geringen Größe ihres Heimatmarktes sehr früh zum
Export und dem damit verbundenen Aufbau von internationalen Strukturen gelangt sind. Auch der Blick
auf demografische Trends, wie beispielsweise die
bevorstehende Verrentung der Baby-Boom-Generation, die vor allem in Deutschland und Großbritannien zu Talent-Knappheit führen wird, hat zukünftig
Einflüsse auf das Talent Management in Europa (Collings/Scullion/Vaiman 2011, S. 455-458).
l
Globales Talent Management:
Die globale wirtschaftliche Vernetzung und die damit
verbundene Komplexität und Dynamik veranlassen
Organisationen zu lernen und zu verstehen, wie in
einem solchen Kontext effizient gearbeitet werden
kann. Diese Entwicklungen bedingen nicht nur Änderungen in Geschäftsmodellen, sondern machen auch
die Notwendigkeit deutlich, Mitarbeiter mit einem
globalen Verständnis zu führen (McDonnell et al.
2010, S. 150; Tarique/Schuler 2010, S. 123). Nach
einer Definition bezieht sich Global Talent Management auf „… all organizational activities for the purpose of attracting, selecting, developing, and retaining the best employees in the most strategic roles
(those roles necessary to achieve organizational strategic priorities) on a global scale. Global talent
management takes into account the differences in
both organizations’ global strategic priorities as well
as the differences across national contexts for how
talent should be managed in the countries where
they operate” (Scullion/Collings/Caliguri 2011,
S. 106).
Globales Talent Management wird häufig und aus
strategischen Gründen in Verbindung mit multinationalen Unternehmen gesehen (McDonnell et al. 2010,
S. 150; Scullion/Collings/Caliguri 2010, S. 106; Tarique/Schuler 2010, S. 124). Dies sind Firmen, welche nicht nur in einem Land oder Heimatmarkt beispielsweise Produktions- oder Vertriebsaktivitäten
entfalten, sondern in diversen Ländern aktiv sind.
So ist es einerseits für diese Unternehmen sehr
schwierig, international erfahrene Mitarbeiter zu finden und andererseits, diese zu rekrutieren und zu halten. Verglichen mit national operierenden Firmen ist
Talent Management für multinationale Unternehmen
mit einem höheren Komplexitätsgrad und höheren
Anforderungen an Managementfähigkeiten verbunden
(McDonnell et al. 2010, S. 150; Scullion/Collings/Caliguri 2010, S. 106; Vaiman/Scullion/Collings 2012,
S. 98). Zudem fällt es multinationalen Unternehmen
schwer, Talente zu identifizieren und zu lokalisieren
(Collings/Scullion/Morely 2007, S. 201).
Herausforderungen für Wissenschaft
und Praxis
Die Herausforderungen im Rahmen des Talent Management können an dieser Stelle nicht vollständig und eindeutig klassifiziert werden. Dennoch soll im FolgenWeiterbildung
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Grundfragen und Trends | Talent Management
den getrennt nach theoretischen und praktischen
Herausforderungen sowie anhand von Beispielen eine
Kurzübersicht skizziert werden.
Guthridge, Komm und Lawson haben 50 CEOs,
Business Unit Leader und Personal Manager in 29
Ländern nach Barrieren gefragt, die bei Talent-Management-Programmen geschäftlichem Erfolg im Wege
stehen können (siehe Abbildung 2). Danach haben
beispielsweise 54 Prozent der Befragten geäußert,
dass sie zu wenig Zeit für Talent Management aufbringen oder dieses nicht als ihre Aufgabe betrachten. Fast 50 Prozent waren der Auffassung, dass Talent
Management nicht genügend mit Unternehmensstrategien verknüpft ist, was jedoch für gute Geschäftsergebnisse notwendig wäre. Um interne Barrieren um
Talent zu überwinden, sollten Wissensnetzwerke und
Erfahrungsaustausch zu Talent auch über Geschäftseinheiten kultiviert werden (Guthridge/Komm/Lawson 2006, S. 6-8).
Zukünftige Herausforderungen liegen beispielsweise in der Konzeption von Theorien und Modellen
als Richtlinien für Talent-Management-Entscheidungen (Iles/Chuai/Preece 2010, S. 188; Lewis/Heckman 2006, S. 148), zum Beispiel bezogen auf verschiedene Industrie-Segmente (Iles/Xin/Preece 2010,
S. 188) oder unterschiedliche Altersgruppen von Mitarbeitern (Tarique/Schuler 2010, S. 129). Die notwendige theoretische Fundierung und Abgrenzung von
Inhalten sowie eine damit verbundene Entwicklung
eines einheitlichen Verständnisses von Talent Management (Thunnissen/Boselie/Fruytier 2013, S. 326) sind
derzeit und zukünftig zentrale Herausforderungen dieses Themenfeldes.
Talent Management als Themenstellung existiert
seit rund 20 Jahren und ist damit ein relativ neues
Gebiet der Managementliteratur. In der Zusammenschau der Aspekte um Talent Management wird die
große inhaltliche Bandbreite des Themas und dessen
Verbindung zum Personalmanagement und unternehmensstrategische Bezüge deutlich. Talent Management
kann unter anderem auf Organisationsebene, mit europäischer Perspektive oder, insbesondere in Verbindung
mit multinationalen Unternehmen, als globales Talent
Management betrachtet werden. Die gegenwärtigen
Herausforderungen für Praktiker und Wissenschaftler
sind vielfältig. Um diese zu meistern, ist Talent sicherlich sehr hilfreich.
Weiterbildung
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