3. VORLESUNG / 6. 3. 2000 (Lenz)

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3. VORLESUNG / 6. 3. 2000 (Lenz)
ANTRIEB
= Grundaktivität eines Menschen („innerer Motor“) = Lebensenergie;
* Grundlage für Aufmerksamkeit, Interesse, kognitive Leistungen
(z.B. in Depression = kognitive Leistungsfähigkeit vermindert)
* Äußert sich in zielgerichteter Aktivität;
* Grundlage = Zusammenspiel verschiedener Gehirnfunktionen + Kraftzustand des gesamten
Organismus
(-> Antriebsbeeinträchtigung bei körperlicher Krankheit, z.B. bei Zucker-,
Herzkrankheit; Patient bemerkt das alles subjektiv -> Veränderung gegenüber
des Habitualverhaltens, z.B.
=> bei allgemein niedrigem Antrieb - fällt zunächst nicht auf,
=> bei allgemein höherem Antrieb - fällt vor allem der Umgebung zuerst auf.
ANTRIEBSVERMINDERUNG
1) bei schweren Körperkrankheiten
(z.B. Krebs, Stoffwechselstörungen, Schilddrüsenunterfunktion
2) bei chronischer Hirnschädigung
(z.B. bei chronischem Alkoholismus)
3) bei lokaler Hirnschädigung
(z.B. Stirnhirnschäden -> schwere apathische Zustände)
4) bei schizophrenen Erkrankungen
(vor allem bei chronischen Fällen oder Restzuständen nach Psychose
-> Minussymptomatik; Rückzug / Passivität)
5) bei Depression
(hier Leitsymptom neben der Verstimmung -> Freizeitinteressen nehmen ab;
Rückzug, auch im Beruf; Denken = langsamer, weniger Einfälle)
6) bei neurotischen Entwicklungen
(Zwang / Angst / Persönlichkeitsstörung)
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7) bei schwer traumatischer lebensgeschichtlicher Entwicklung
(posttraumatische Belastungsstörung)
8) pharmakologisch (Schlafmittel); bei Übermüdung
ANTRIEBSSTEIGERUNG
1) bei Hyperthyreose
(Schilddrüsenüberfunktion)
2) bei lokalisierten Hirnschäden
(Stirnhirnbasis)
3) bei Manie
(typisch = schnelleres Denken, schnelleres Sprechen, „gut drauf sein“; wenig bis kein
Schlaf, euphorische Stimmung; „Telefonterror“ mit Bekannten,
ABER:Beeinträchtigung der Kritikfähigkeit, Enthemmung -> man tut Dinge, die
man später bereut; erhöhte Gefährdung im Autoverkehr, bei finanziellen
Angelegenheiten)
4) bei Einnahme von Psychostimulantien
(werden genommen, um wachzubleiben -> chronischer Gebrauch: vorübergehende
Antriebssteigerung, dann Dekompensation -> Psychose, etc.)
5) bei Einnahme von Antidepressiva
(wirken NUR bei Depression so; bei Gesunden gibt es nur die Nebenwirkungen.
Antidepressiva wirken aber erst nach 1- 2 Wochen, meist VOR Stimmungsaufhellung
-> gefährlich bei Suizidgefährdeten [wegen Antriebssteigerung];
daher: in kritischer Zeit gleichzeitig Sedierung notwendig, um dies zu verhindern)
EINTEILUNG DER DEPRESSIVEN STÖRUNGEN NACH ICD-10
1) volles depressives Syndrom: Vollbild der Depression ist erfüllt
a) erste depressive Episode ->depressive Episode
b) schon frühere depressive Episode -> rezidivierende depressive Episode
c) frühere manische Episode -> bipolare affektive Störung
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2) subdepressives Syndrom: Vollbild der Depression ist nicht erfüllt
a) psychosoziale Belastung -> depressive Reaktion („Krise“)
gelöst z.B. durch Jobverlust)
b) Dauer > 2 Jahre mit hypomanischer Episode -> Zyklothymie
c) Dauer > 2 Jahre ohne hypomanische Episode -> Dysthymie
Heute Unterscheidung nach Schwere, Dauer, Verlauf,
nicht mehr endogene oder reaktive Depression.
DAHER:
Sympomatik anschauen, Verlauf beobachten
(frühere depressive Episode / frühere manische Episode ?)
-> Dysthymie = früher: neurotische Depression;
= heute: langdauernde depressive Zustände leichterer Art
KERNSYMPTOME DES DEPRESSIVEN SYNDROMS:
1) Gefühl der Niedergeschlagenheit, Trauer, Deprimiertheit die meiste Zeit des Tages
(= leicht beobachtbar)
2) Interesse- oder Freudeverlust an Aktivität, die normalerweise angenehm waren
(Patienten berichten gern darüber; leichte Depression -> Freude kann noch empfunden
werden, z.B. an Besuch der Kinder, Theaterbesuch. Buch, Haustier, etc.; das alles geht
bei Volldepression verloren)
3) verminderter Antrieb oder gesteigerte Ermüdbarkeit
(alles fällt extrem schwer, z.B. Aufstehen, Morgentoilette, Patient will lieber den
ganzen Tag im Bett bleiben)
=> mindestens 2 dieser Symptome sollten vorhanden sein
ZUSATZSYMPTOME:
1) Verlust des Selbstvertrauens, Selbstwertgefühls
2) unbegründete Selbstvorwürfe oder ausgeprägte unangemessene Schuldgefühle
3) wiederkehrende Gedanken an Tod oder Suizid
4) Klagen über oder Nachweis eines verminderten Denk- und Konzentrationsvermögens;
Unschlüssigkeit, Unentschlossenheit (= besonders typisch -> Auswirkungen auf Beruf;
Lesen ist nicht mehr möglich)
5) psychomotorische Agitiertheit / Hemmung (subjektiv / objektiv)
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6) Schlafstörung (Durchschlafschwierigkeiten, vorzeitiges Erwachen)
7) Appetitlosigkeit oder gesteigerter Appetit mit Gewichtsveränderung
(vgl. Schokolade essen! -> aber eher atypisch; meist Gewichtsverlust von mindestens 10 kg)
TYPISCHE FRAGEN, UM DEPRESSION FESTZUSTELLEN:
1) Können Sie sich noch freuen? -> Affiziertheit
* Depressive können das nicht mehr
* manische Patienten können nicht traurig sein; erleben ALLES positiv / angenehm,
selbst die größten Katastrophen)
2) Fällt es Ihnen schwer in letzter Zeit Entscheidungen zu treffen? -> Antriebsverminderung
(z.B., Alltagsentscheidungen extrem langsam, vgl. was soll ich anziehen?)
3) Fällt es Ihnen in letzter Zeit schwer, sich zu beschäftigen? -> Antriebsstörung /
Konzentrationsfähigkeit (nimmt ab)
4) Haben Sie in letzter Zeit weniger Interessen? -> Interessensverlust (Beruf / Freizeit = egal)
5) Neigen Sie in letzter Zeit zum Grübeln? -> Patient findet keine Entscheidung, grübelt über
Zukunft; Pessimismus / Hoffnungslosigkeit
6) Haben Sie Schlafstörungen? -> vor allem Durchschlafstörungen, zu frühes Erwachen
(in dieser Zeit Suizidgefahr!)
7) Fühlen Sie sich müde und schwunglos? -> Antriebsverminderung
8) Plagt Sie der Gedanke, Ihr Leben sei sinnlos? -> Lebensüberdruß
(in verschiedenen Abstufungen:
* Haben Sie in letzter Zeit an Selbstmord gedacht? - ja ->
* Haben Sie sich etwas Konkretes vorgestellt? - ja ->
* Haben Sie etwas Bestimmtes versucht?)
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PRÄSUIZIDALES SYNDROM (E. RINGEL)
1. Einengung:
a) situative Einengung:
z.B. jemand sieht sich aus seiner Lebenssituation nicht mehr
hinaus; Partnerverlust, Durchfallen bei Prüfung, usw.
b) dynamische Einengung: „Ich habe keine Kraft mehr, ich kann nicht mehr“
(-> Kraftlosigkeit)
c) Einengung der zwischenmenschlichen Beziehungen:
keine Bereitschaft mehr mit anderen zusammenzukommen,
Ablehnung von Kontakten, Ablehnung von therapeutischer
Hilfe („Mir kann keiner mehr helfen“)
d) Einengung der Wertewelt: Patient hat nichts mehr, was ihm das Leben lebenswert
macht.
Vgl. dazu Depression:
„Mir geht’s schlecht, aber wegen meiner Kinder, aus
religiösen Gründen, usw. würde ich mich nie umbringen
-> Wertewelt = noch vorhanden!
2. gehemmte und gegen die eigene Person gerichtete Aggression:
Alkohol- und Drogenkonsum; selbstschädigendes Verhalten
3. Selbstmordphantasien:
Lebensüberdruß bis zu konkreten Suizidversuchen in unmittelbarer Vergangenheit, oder
Aussuchen eines günstigen Ortes für Selbstmord; Tablettensammeln, usw.
=> Je mehr Faktoren zutreffen, umso gefährlicher wird’s!
* Ambulante Behandlung von Suizidgefährdeten ist nur möglich, wenn Kontakt zum
Therapeuten; wenn Angehörige da sind, die aufpassen.
* Treffen alle Kriterien zu -> Einweisung (auch Zwangseinweisung!); sonst Eiertanz, da
Therapeut, wenn er sich irrt, mit einem Fuß im Kriminal steht...
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INTELLIGENZ
= Fähigkeit zur rechten Kenntnisnahme von und zur Einsicht in Sachverhalte und ihre
Zusammenhänge, sowie zu sich daraus ergebender Entfaltung von sinnvoll planendem
Verhalten
Besonders wichtige Bereiche:
Rechnen, Sprachverständnis, Abstraktionsvermögen, Einfallsreichtum,
Kombinationsfähigkeit
INTELLIGENZSTÖRUNGEN:
1) Intelligenzdefekte aufgrund von angeborenen (= Gehirnschaden / geistige
Behinderung) oder erworbenen (= Demenz) Abweichungen der Struktur
und Funktion des Gehirns
2) Intelligenzdefekte durch Fehlen der für die Intelligenz notwendigen
Grunderfahrungen (z.B. bei Deprivation -> Caspar-Hauser-Syndrom)
3) gestörter Kontakt- und Realitätsbezug in Psychose -> vorübergehende
Auswirkungen auf intellektuelle Leistungsfähigkeit
4) Beeinträchtigung von Wahrnehmung, Aufmerksamkeit, Motivation aus
affektiven Gründen (-> Depression: hier sekundäre Intelligenzstörung, weil
Folge von anderem)
KLINISCHE PRÜFUNG (GROB):
1) Prüfung der Rechenleistung (z.B. 100 weniger 7 = ?)
2) Prüfung des Abstraktionsvermögens
(z.B. Oberbegriffe bilden lassen: Apfel / Birne / Banane - Oberbegriff = ?)
3) Fragen in Richtung „Bildung“ (z.B. wie heißt der Bundespräsident, wie heißt die
Hauptstadt von Frankreich, usw) -> bei Hirnabbauerkrankungen problematisch!
=> anschließend diffizilere Tests
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Videofilm über eine depressive Patientin / Diskussion
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Ergänzungen aus der Diskussion:
* saisonale Depression (wichtig z.B. bei geplanter Schwangerschaft, wenn Medikamente
eingenommen werden, ist zu wissen, wann Depression zu erwarten ist)
* Depression ohne Auslöser
(MERKE: Oft aber auch sind sehr wohl bestimmte Auslöser vorhanden, die halt nicht so
einfach zu erkennen sind)
-> z.B. bei manisch / depressiven Erkrankungen treten depressive Phasen ohne
unmittelbaren Auslöser aus, ähnlich wie psychosomatische Erkrankung:
bestimmte Umweltfaktoren -> Veränderung der Biologie -> bei langjährigem
Andauern Veränderung in bestimmten Hirnstrukturen bzw. im Stoffwechsel (z.B.
im Serotoninstoffwechsel) -> Depression ohne Auslöser, da biologische
Eigendynamik entwickelt wurde (entspricht KINDLING Modell für Epilepsie).
Solche Depressionen sind auch mit Medikamenten gegen epileptische Anfälle zu
behandeln.
Beeinflussung des Erbmaterials durch Umweltfaktoren (vgl. psychosoziale Stressoren
-> biologische Veränderungen im Erbmaterial; erforscht von POST NIMH
Washington)
=> Fazit: Anlage-Umwelt-Problematik ist eigentlich ein Holler, da gegenseitige
Beeinflussung!
* gegen akute Depression hilft auch E-Schock -> Entkrampfung
* Bei depressiver Episode -> Medikamente -> „Ende“ der Episode.
Setzt Patient jetzt Medikament ab, so Rückfall, weil Episode ja noch nicht wirklich zu
Ende war, sondern durch Medikamente verdeckt wurde (Vulnerabilität bleibt bestehen!)
Bei depressiven Episoden in regelmäßigen Abständen
-> Vorbeugung möglich durch Verletzlichkeit vermindern (sich eine dickere Haut
zulegen) durch Lithiumtherapie oder Psychotherapie
* Derzeit im Experiment-Stadium:
Voraussageberechnung für depressive Episoden (müssen aber nicht kommen, da auch
Auslöser notwendig)
* Psychotherapie -> Verlernen der Vulnerabilität
Medikamentöse Therapie (zuerst); im Lauf der Zeit eventuell Verzicht auf Medikamente
=> Beides in Kombination = am besten!
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* früher:
=> neurotische Depression -> es hilft nur Psychotherapie
=> endogene Depression -> es hilft nur Medikament
= heute veraltet!
Zugehörige Unterlagen
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