Beitrag von Frau Weißgerber [*, 0,65 MB]

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Psychische Extrembelastung und
Traumatisierung bei der Arbeit
Dipl.-Psych. Barbara Weißgerber, BAuA Dresden
Sächsischer Betriebsärztetag 2012
Gliederung
1. Warum dieses Thema?
2. Traumatisierung im Arbeitskontext
3. Symptomatik und Verlauf in den Reaktionen auf
traumatische Ereignisse
4. Einordnung in ICD-10
5. Betrachtung der Folgen psychischer
Traumatisierung
6. Prävention, Akutintervention und Nachsorge
20.06.2012
7. Gefährdungsbeurteilung: Die Prüfliste „Psychotrauma“
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8. Hinweise auf weitere Hilfsmittel, Literatur, Links
Dipl.-Psych. Barbara Weißgerber, BAuA Dresden
1. Warum dieses Thema?
Wussten Sie schon, dass . . .
... es bei Raubüberfällen im Einzelhandel auch Todesopfer gibt?
... sich in Deutschland täglich
mehrere Menschen auf
Bahngleisen das Leben nehmen?
20.06.2012
... Rettungsdienstmitarbeiter,
Polizisten und Feuerwehrleute
nach Extremsituationen oft
aufgewühlt sind und manche
unter Depressionen leiden?
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... Pflegekräfte in Krankenhäusern und
Heimen häufig tätlichen Angriffen von
Patienten ausgesetzt sind?
Dipl.-Psych. Barbara Weißgerber, BAuA Dresden
... Behördenmitarbeiter zunehmend
den Aggressionen frustrierter
Bürger ausgesetzt sind?
1. Warum dieses Thema?
Traumatische Ereignisse:
E x t r e m f ä l l e psychischer Belastung . . .
20.06.2012
. . . mit schwerwiegenden Folgen: menschlich
betrieblich
kostenseitig
„Was tun, wenn es hier bei uns passiert?“
Psychotrauma ist kein Tabuthema mehr,
aber im Umgang mit dem Problem gibt es oft noch Unsicherheit.
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Drei Fallbeispiele:
- Lokführer kann Suizid auf den Gleisen nicht mehr verhindern
- Kassiererin im Drogeriemarkt erlebt Raubüberfall
- Abstimmungsfehler zwischen Kollegen bewirkt schweren
Gabelstapler-Unfall
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2. Traumatisierung im Arbeitskontext
Psychische Traumatisierung
geschieht durch das Erleben hoch belastender Ereignisse:
Konfrontation mit Ereignissen, die den tatsächlichen oder
drohenden Tod, ernsthafte Verletzung oder sonstige Gefahr
für die Unversehrtheit der eigenen Person oder anderer Personen
beinhalten
Erleben von starker Angst, Bedrohtsein, Hilflosigkeit, Entsetzen
Unfall
Tod
20.06.2012
Gewalt
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Unfälle / Notfälle
Todesfälle, einschließlich Suizid
Hilfeleistungen bei schweren Unfällen
Gewalttätige Übergriffe bzw. Gewaltandrohung
Angriffe durch verwirrte Personen
Raubüberfälle
Geiselnahmen
Schusswaffengebrauch im Dienst
...
Dipl.-Psych. Barbara Weißgerber, BAuA Dresden
2. Traumatisierung im Arbeitskontext
Betroffene:
a) Helfer
Beschäftigte in der medizinischen und technischen Hilfeleistung
→ Feuerwehr
→ Polizei
→ THW
→ Rettungssanitäter
→ Notaufnahme
Beschäftigte, die mit der Unfalluntersuchung betraut sind
20.06.2012
→ Sicherheitsfachleute von Unternehmen und Behörden
→ Polizei
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Laienhelfer
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2. Traumatisierung im Arbeitskontext
Betroffene:
b) Opfer (einschließlich Zeugen)
Beschäftigte, die unmittelbar Opfer von Unfällen oder
Gefahrenlagen werden
Beschäftigte, die in Unfälle involviert sind,
z. B. Lokomotivführer im Falle eines Schienen-Selbstmörders
20.06.2012
Beschäftigte in gewaltgefährdeten Arbeitsbereichen
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→ Banken, Einzelhandel
→ öffentliche Verkehrsmittel, Taxis
→ Gesundheitswesen
→ Polizei, Grenzschutz, Strafvollzug
→ öffentlicher Dienst, z. B. Sozial-, Jugend-, Arbeitsämter
→ Erziehung und Bildung
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3. Symptomatik und Verlauf in den Reaktionen auf
traumatische Ereignisse
Die „klassische Trias“
Wiedererleben des Ereignisses:
sich aufdrängende Erinnerungen, Bilder, Gedanken („Flashback“), Träume,
körperliche und psychische Reaktionen auf die Konfrontation mit Hinweisreizen
Vermeidungssymptome:
Vermeidung von Situationen, Orten, Personen, Gegenständen, die einen Bezug zu
dem Ereignis haben;Vermeidung von Gedanken, Gefühlen, Gesprächen, geringes
Interesse, verflachter Affekt
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Übererregungssymptome:
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Anhaltendes erhöhtes Erregungsniveau, erhöhte Reizbarkeit, übermäßige
Wachsamkeit, Einschlaf- und Durchschlafstörungen,
Konzentrationsschwierigkeiten, Schreckhaftigkeit
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3. Symptomatik und Verlauf in den Reaktionen auf
traumatische Ereignisse
Des weiteren können auftreten:
psychosomatische Störungen
(z. B. akut erhöhter Blutdruck, Kopfschmerzen)
abweichendes Verhalten hinsichtlich Essen, Trinken;
Genussmittelmissbrauch
Beziehungsprobleme
Verlauf:
Akute Symptomatik: als unmittelbare Auswirkung des Erlebten
20.06.2012
Kann der Betroffene das Ereignis aus eigener Kraft verarbeiten,
klingen die Symptome nach einiger Zeit wieder ab.
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Unbewältigt kann sich der Zustand verfestigen, insbes. zur
posttraumatischen Belastungsstörung.
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3. Symptomatik und Verlauf in den Reaktionen auf
traumatische Ereignisse
Zeitlicher Ablauf der Erlebnisverarbeitung
Neuorganisation
Traumatisches
Ereignis
Schockphase
Einwirkphase
Verarbeitungsphase
20.06.2012
Akute
Belastungsreaktion
In Anlehnung an Lucas, 2000
In Anlehnung an Lucas, 2000
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Posttraumatische
Belastungsstörung
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4. Einordnung in die Internationale statistische
Klassifikation der Krankheiten
und verwandter Gesundheitsprobleme - ICD-10 Akute Belastungsreaktion [F 43.0]:
Vorübergehende Störung, die sich bei einem psychisch nicht manifest
gestörten Menschen als Reaktion auf eine außergewöhnliche physische oder
psychische Belastung entwickelt
und die im allgemeinen innerhalb von Stunden oder Tagen abklingt.
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Posttraumatische Belastungsstörung [F 43.1]:
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Verzögerte oder protrahierte (in die Länge gezogene) Reaktion auf ein
belastendes Ereignis oder eine Situation kürzerer oder längerer Dauer,
mit außergewöhnlicher Bedrohung oder katastrophenartigem Ausmaß,
die bei fast jedem eine tiefe Verzweiflung hervorrufen würde.
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4. Einordnung in die Internationale statistische
Klassifikation der Krankheiten
und verwandter Gesundheitsprobleme - ICD-10 Des Weiteren
innerhalb von F43 „Reaktionen auf schwere Belastungen
und Anpassungsstörungen“:
F43.2 Anpassungsstörung
F62.0 Andauernde Persönlichkeitsänderung nach Extrembelastung
20.06.2012
Diagnostisches und Statistisches Manual Psychischer
Störungen – DSM IV –
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Ausführliche diagnostische Kriterien für Akute Belastungsstörung [308.3]
und Posttraumatische Belastungsstörung [309.81].
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5. Betrachtung der Folgen psychischer
Traumatisierung
Auswirkungen der Posttraumatischen Belastungsstörung und verwandter
Störungen
Arbeitsunfähigkeit; Berufsunfähigkeit
Frühverrentung
schwere Beeinträchtigung der Lebensqualität
häufig Suchtproblematik
erhebliche Störungen in den sozialen Beziehungen
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betriebliche Probleme
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gesellschaftliche Kosten
Mitunter wird für gefährdete Berufsgruppen vorausgesetzt (auch von den Betroffenen
selbst!), die Verarbeitung seelisch schwer belastender Erlebnisse gehöre zum
Eignungsprofil.
ABER es ist normal, dass Extremerlebnisse körperliche und seelische Reaktionen
auslösen.
Dipl.-Psych. Barbara Weißgerber, BAuA Dresden
6. Prävention, Akutintervention und Nachsorge
Die „psychologische Rettungskette“
Traumatisierendes
Ereignis
Zeitverlauf
Vorsorgemaßnahmen
Akuthilfe
Nachbetreuung
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ggf. Therapie
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ggf. Unterstützung
beim
„Return to Work“
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6. Prävention, Akutintervention und Nachsorge
Personalbezogene Vorsorge
Vermitteln von Grundwissen,
ggf. auch Training
Ausbildung von psychologischen Ersthelfern
für gefährdete
Beschäftigtengruppen
Organisationsseitige Vorsorge im Betrieb
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Gefährdungsbeurteilung
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Aufbau von Strukturen zur Prävention und Versorgung im Betrieb,
z. B. Aufstellen eines Notfallplanes
Kontaktaufnahme mit externen Partnern, wie Unfallfallversicherungsträger,
Kriseninterventionsdienste, Polizei
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6. Prävention, Akutintervention und Nachsorge
Maßnahmen der Akuthilfe
- Begleiten, Schützen, Stützen Akuthilfe kann geleistet werden durch
Kollegen (am besten psychologische Ersthelfer),
Vorgesetzte (z. b. Notfallmanager, Teamchef),
Notfall-Seelsorge,
Kriseninterventionsdienste.
Psychologische Betreuung: Nachgespräch
20.06.2012
- Informieren, unterstützen -
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Ausführende können sein:
psychosoziale Fachkräfte,
sonstige Personen mit entsprechender
Ausbildung
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6. Prävention, Akutintervention und Nachsorge
Therapeutische Behandlung
wenn vom Betroffenen gewünscht
5 probatorische Sitzungen werden vom Versicherungsträger
gewährt;
weitere Behandlung nach Genehmigung
Unterstützung bei der Rückkehr in die Beschäftigung
20.06.2012
wenn vom Betroffenen gewünscht
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z. B. Begleitung bei Wiederaufnahme der Tätigkeit, in der es zu der
Traumatisierung gekommen war
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7. Gefährdungsbeurteilung: Prüfliste „Psychotrauma“
Die Prüfliste „Psychotrauma“ liegt innerhalb der
Handlungshilfe „Beurteilung der Arbeitsbedingungen
in der Bundesverwaltung“, Version 3.1, vor.*
Herausgeber:
Zentralstelle für Arbeitsschutz beim Bundesministerium des Innern
und Unfallkasse des Bundes
* Separate Papierveröffentlichung ist in Planung.
Fragebereiche:
1) Besteht eine Traumagefährdung bei der Arbeit?
2) Sind die organisatorischen Rahmenbedingungen geschaffen, um mit den
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Trauma-Gefährdungen umzugehen?
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3) Sind Vorsorgemaßnahmen getroffen?
4) Ist die Betreuung nach einem Ereignis gesichert?
Dipl.-Psych. Barbara Weißgerber, BAuA Dresden
8. Hinweise auf weitere Hilfsmittel, Literatur, Links
a) INQA
Broschüren
mit Schwerpunkt auf dem Aufbau von Strukturen
zur Prävention und Versorgung im Betrieb
20.06.2012
Webseite www.inqa-trauma-praevention.de
(reichhaltiger Faktenspeicher, FAQ, Downloads,
Literatur, Links, ...)
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b) DGUV
Sammlung von Praxishilfen
zum Thema Psychotrauma
unter
http://www.dguv.de/inhalt/praevention/fachaus_
fachgruppen/wirk/documents/prod_psychotr.pdf
z. B. GUV-I 8804 „Notfallmanagement“ (Unfallkasse Sachsen)
Notfallmappe „Betreuung traumatisierter Mitarbeiter“ (UK Post und Telekom)
Broschüre „Psychisch belastende Ereignisse bewältigen“ (DB mit EUK)
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8. Hinweise auf weitere Hilfsmittel, Literatur, Links
„Empfehlungen der Gesetzlichen Unfallversicherung
zur Prävention und Rehabilitation von psychischen Störungen
nach Arbeitsunfällen“
einschl.
- Modellverfahren zur „Einbindung von ärztlichen und psychologischen
Psychotherapeuten in das berufsgenossenschaftliche Heilverfahren bei
psychischen Gesundheitsschäden“
- Qualifikationsanforderungen, Anforderungen an Ausbildung und Referenten für
betriebliche Psychologische Erstbetreuer;
Einsatzkriterien und Aufgabenumfang der Erstbetreuer
20.06.2012
Arbeitsmedizinische Empfehlung
„Psychische Gesundheit im Betrieb“
des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales
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einschl.
Abschn. „Prävention posttraumatischer Belastungsstörungen“
Dipl.-Psych. Barbara Weißgerber, BAuA Dresden
20.06.2012
Danke
für Ihre Aufmerksamkeit!
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