Angsterkrankungen – Online-Infomappe - Ö1

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DIE RADIODOKTOR-INFOMAPPE
Ein Service von:
ORF
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Tel.: (01) 50101/18381
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A-1091 Wien, Spitalgasse 31
Tel.: (01) 404 14-600
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Österreichisches Bundesministerium für Gesundheit
A-1030 Wien, Radetzkystr. 2
Tel.: (01) 71100-4505
Fax: (01) 71100-14304
Homepage: www.bmg.gv.at/
RADIODOKTOR – MEDIZIN UND GESUNDHEIT
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RADIODOKTOR – MEDIZIN UND GESUNDHEIT
Die Sendung
Die Sendereihe „Der Radiodoktor“ ist seit 1990 das Flaggschiff der
Gesundheitsberichterstattung von Ö1. Jeden Montag von 14.05 bis 14.40 Uhr werden
interessante medizinische Themen in klarer informativer Form aufgearbeitet und Ö1Hörerinnen und -Hörer haben die Möglichkeit, telefonisch Fragen an das
hochrangige Expertenteam im Studio zu stellen.
Wir über uns
Seit September 2004 moderieren Univ.-Prof. Dr. Manfred Götz,
Univ.-Prof. Dr. Karin Gutiérrez-Lobos, Univ.-Prof. Dr. Markus Hengstschläger und Dr.
Christoph Leprich die Sendung.
Das Redaktionsteam besteht aus Mag. Nora Kirchschlager, Uschi Mürling-Darrer,
Mag. Mark Hammer, Dipl. Ing. Eva Obermüller, Dr. Doris Simhofer,
Dr. Michaela Steiner, Dr. Ronny Tekal-Teutscher und Dr. Christoph Leprich.
Das Service
Seit dem 3. Oktober 1994 gibt es das, die Sendereihe flankierende, Hörerservice,
das auf größtes Interesse gestoßen ist.
Unter der Wiener Telefonnummer 50 100 ist „Der Radiodoktor“ mit
Kurzinformationen zur aktuellen Sendung die ganze Woche per Tonband abrufbar.
Die zu jeder Sendung gestaltete Infomappe mit ausführlichen
Hintergrundinformationen, Buchtipps und Anlaufstellen komplettiert das Service
und stellt in der Fülle der behandelten Themen eigentlich bereits ein kleines
Medizin-Lexikon für den Laien dar.
Die Partner
Ermöglicht wird die Radiodoktor-Serviceleiste durch unsere Partner: die
Österreichische Apothekerkammer und das Österreichische Bundesministerium für
Gesundheit.
An dieser Stelle wollen wir uns ganz herzlich bei unseren Partnern für die
Zusammenarbeit bedanken!
Wir bitten um Verständnis, dass wir aus Gründen der besseren Lesbarkeit in dieser Infomappe
zumeist auf die weiblichen Endungen, wie z.B. PatientInnen, ÄrztInnen etc. verzichtet haben.
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WENN ANGSTE DAS LEBEN BEHERRSCHT
Mit Univ.-Profin. Dr.in. Karin Gutiérrez-Lobos
8. August 2011, 14.05 Uhr, Ö1
Redaktion und Infomappe: Mag. Mark Hammer, Mag. Nora Kirchschlager und
Dr. Christoph Leprich
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INHALTSVERZEICHNIS
INHALTSVERZEICHNIS
WENN ANGST DAS LEBEN BEHERRSCHT
Wann spricht man von einer Angststörung?
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Angst hat viele Gesichter
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Die verschiedenen Formen der Angststörung
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Panikattacken – die Angstexplosion
Sind Panikattacken eine Modeerkrankung?
Die Definition von Panikattacken
Wodurch werden Panikattacken ausgelöst?
Die Angst vor der Angst
Vermeidungsstrategien
Die 10 Gebote bei Panikattacken
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Die generalisierte Angststörung
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PHOBIEN – WENN ÄNGSTE ZUM GEFÄNGNIS WERDEN
Das Wesen der Phobie
Hoher Leidensdruck
Einschränkung des Lebens
Ein Leben mit der Angst – Eine Betroffene und ihre Angehörigen erzählen
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DIE WELT DER PHOBIEN
Spezifische Phobien
Die Agoraphobie
Soziale Phobien
Häufigkeit von Phobien
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Ursachen von Phobien
Von genetisch bedingt bis erlernt
Lerntheorie
Neurobiologische Verstärkungsmodelle
Psychoanalyse
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INHALTSVERZEICHNIS
Der lange Weg zur Therapie – Scham und Diagnose
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Umweg über Depression und Alkohol
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Erleichternde Diagnose
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Therapien gegen Phobien
Goethe am Kirchturm – die Selbstheilung
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Tranquilizer und Antidepressiva – Die medikamentöse Therapie
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Mit der Therapeutin ins Kaufhaus – Die Verhaltenstherapie
Verstehen und Fähigkeiten analysieren
Sich der Angst aussetzen
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Sich selbst besser kennenlernen – Die Psychoanalyse
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Sich und anderen helfen – Selbsthilfegruppen
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ANLAUFSTELLEN
BUCHTIPPS UND INFOLINKS
SENDUNGSGÄSTE
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RADIODOKTOR – MEDIZIN UND GESUNDHEIT
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PHOBIEN UND ANGSTSTÖRUNGEN
WENN ANGST DAS LEBEN BEHERRSCHT
Vergangene Woche haben wir uns ausführlich mit Phobien beschäftigt. Mehr zu
diesem Thema ab Seite 13.
In dieser Woche widmen wir uns den anderen Formen der Angsterkrankungen. Diese
sind ja neben Depressionen die häufigsten psychischen-psychiatrischen
Erkrankungen. Fast jeder fünfte Mensch entwickelt einmal im Leben eine
Angststörung.
WANN SPRICHT MAN VON EINER ANGSTSTÖRUNG?
Angst ist, sofern sie in Situationen auftritt, die wirklich „zum Fürchten“ sind, eine
überaus sinnvolle, ja notwendige Emotion. Jeder verspürt hin und wieder Angst, zum
Beispiel Angst vor einer Prüfung, einer Rede, vor einer Operation, Angst um das
Wohl eines Angehörigen, vor einer ungewissen Zukunft, bzw. Existenz- oder
Todesangst.
Durch die vermehrte Ausschüttung von Adrenalin und Noradrenalin und den Anstieg
der Pulsfrequenz erhalten wir blitzartig kurzfristig mehr Energie und können so
adäquat reagieren, indem wir zum Beispiel schnell fliehen oder aber kämpfen.
Hätten wir Menschen diese Fähigkeit zur Angstreaktion nicht, wir wären den
Gefahren der Umwelt schutzlos ausgeliefert.
Andererseits kann das Gefühl der Angst in manchen Fällen auch lustvoll sein und
wird von manchen Menschen sogar bewusst gesucht, zum Beispiel beim Ausüben
von Extremsportarten.
Von einer Angststörung ist dann die Rede, wenn Menschen in an sich ungefährlichen
Situationen mit übermäßiger Angst reagieren. Die Betroffenen - es handelt sich
immerhin um ca. 15 Prozent der Bevölkerung - leiden stark unter diesen irrationalen
Ängsten und haben keine Kontrolle über sie. Die einzige Lösung in diesem Dilemma
ist für die meisten, die angstauslösenden Situationen einfach zu vermeiden. Ein
Verhalten, dass den Aktionsradius meist enorm einschränkt. Es gibt verschiedene
Formen der Angsterkrankung (siehe folgende Kapitel). Wer an einer davon erkrankt
ist, ist in vielen Fällen zusätzlich von einer oder mehreren anderen Ausformungen
betroffen. Häufig beobachtet wird auch ein gemeinsames Auftreten von
RADIODOKTOR – MEDIZIN UND GESUNDHEIT
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PHOBIEN UND ANGSTSTÖRUNGEN
Angststörungen und Persönlichkeitsstörungen, sowie Substanzabhängigkeit
(speziell Alkohol und Tranquilizer) und
Medikamentenmissbrauch.
Am häufigsten gehen Angststörungen mit einer Depression einher.
ANGST HAT VIELE GESICHTER
Die Erforschung der Angsterkrankungen hat in den letzten Jahrzehnten Fortschritte
gemacht. Während noch vor etwa 30 Jahren nur über zwei Formen - Angstneurosen
und Phobien - diskutiert wurde, hat mittlerweile eine präzisere Einteilung
stattgefunden. Derzeit unterscheidet man zwischen spezifischer Phobie, sozialer
Phobie, Agoraphobie mit oder ohne Panikstörung, Panikattacken, generalisierter
Angsterkrankung, posttraumatischer Belastungsstörung sowie Zwangsstörungen.
Die Phobien, mit denen wir uns am vergangenen Montag ausführlich beschäftigt
haben, sind die häufigsten Angststörungen.
Die genannten Erkrankungsbilder können sich auch vermischen. So ist z.B. die
Kombination von Agoraphobie und Panikattacken nicht unüblich.
DIE VERSCHIEDENEN FORMEN DER
ANGSTSTÖRUNG
Angststörungen werden in zwei Gruppen unterteilt, und zwar in „gerichtete“ und
„ungerichtete“ Ängste. Von letzteren Betroffene können nicht genau sagen, wovor
sie eigentlich Angst haben. In diese Gruppe fällt die Panikstörung, die wohl
bedrohlichste Form einer Angststörung.
Plötzlich, ohne ersichtlichen Grund, beginnt das Herz zu rasen. Atemnot stellt sich
ein, Schweißausbrüche, Gleichgewichtsstörungen und schließlich die panische
Angst, verrückt zu werden oder zu sterben - das sind die typischen Symptome einer
Panikattacke.
Ebenso zu den „ungerichteten“ Ängsten gehört die so genannte generalisierte
Angststörung. Davon Betroffene sind geplagt von andauernden Sorgen und
Befürchtungen, die nicht selten psychosomatische Beschwerden nach sich ziehen,
vor allem im Magen-Darm-Bereich. Wie bei allen Angststörungen folgt einer
generalisierten Angststörung häufig auch eine Depression.
RADIODOKTOR – MEDIZIN UND GESUNDHEIT
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PHOBIEN UND ANGSTSTÖRUNGEN
PANIKATTACKEN – DIE ANGSTEXPLOSION
Plötzlich, ohne speziellen äußeren Anlass, „wie aus heiterem Himmel“ wird einem
schwindlig und übel, das Herz beginnt zu hämmern, man ringt nach Luft, die Knie
werden weich und man hat panische Angst, in Ohnmacht zu fallen, verrückt zu
werden oder zu sterben. So äußern sich die typischen Symptome einer Panikattacke.
Diese kann bis zwischen 10 Minuten und mehreren Stunden andauern, dann
verschwinden die Symptome von alleine wieder. 15 bis 30 Prozent der Bevölkerung
leiden irgendwann im Laufe ihres Lebens unter gelegentlichen Panikattacken. Zwei
bis fünf Prozent entwickeln eine Panikstörung mit regelmäßig auftretenden
intensiven Angstattacken.
Frauen sind laut vielen Studien zwei bis drei Mal häufiger von Panikattacken
betroffen, als Männer. Ob Frauen aber nun tatsächlich auch ängstlicher sind, ist
dadurch noch nicht gesagt. Denn es wird angenommen, dass Frauen einfach öfter
eine Ärztin/einen Arzt aufsuchen und Männer ihre Ängste häufig verschweigen.
Das Durchschnittsalter für das erstmalige Auftreten eines Panik-Syndroms liegt bei
26,3 Jahren, aber auch viele Frauen in den Wechseljahren sind betroffen.
Sind Panikattacken eine Modeerkrankung?
Wie alle Formen der Angststörungen dürfte es auch panikartige Angstzustände
schon immer gegeben haben.
Ein ähnliches Krankheitsbild beschrieb zum Beispiel der Militärarzt Da Costa bei 200
Soldaten während des amerikanischen Bürgerkriegs.
Körperliche Angstreaktionen in einem geradezu epidemischen Ausmaß wurden aber
auch im ersten Weltkrieg beobachtet: So zum Beispiel das so genannte „EffortSyndrom“, das durch funktionelle Herzbeschwerden gekennzeichnet war oder aber
das gehäuft auftretende Zittern österreichischer und deutscher Soldaten, die
Wochen oder Monate im Schützengraben unter schwerem Beschuss verbringen
mussten.
Sowohl Johann Wolfgang von Goethe als auch Sigmund Freud litten aller
Wahrscheinlichkeit nach unter Panikattacken.
Freud beschrieb auch die typischen Symptome, die er bei einer jungen Patientin
beobachtete - und zwar in seinen 1895 erschienenen „Studien über Hysterie“. Freud
sprach damals von einer Angstneurose, deren Ursache er in der Unterdrückung
sexueller Triebe sah.
RADIODOKTOR – MEDIZIN UND GESUNDHEIT
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PHOBIEN UND ANGSTSTÖRUNGEN
1980 wurde die Angstneurose schließlich in zwei Gruppen unterteilt: In das
generalisierte Angstsyndrom (Näheres dazu auf Seite 11f.) und eben in das
Paniksyndrom.
Die Definition von Panikattacken
Nach dem ICD-10, der von der WHO herausgegebenen „Internationalen statistischen
Klassifikation der Krankheiten und verwandter Gesundheitsprobleme" spricht man
dann von einer Panikattacke, wenn mindestens vier von den nachstehenden 14
Symptomen während eines Anfalls auftreten. Von den ersten vier in der folgenden
Liste angeführten Beschwerden muss außerdem eine vorhanden sein.
Vegetative Symptome:
Herzrasen, Herzklopfen oder erhöhte Herzfrequenz
Schweißausbrüche
fein- oder grobschlägiges Zittern (Tremor)
Mundtrockenheit (nicht als Folge von Medikamenten oder Austrocknung)
Symptome, die den Brustkorb oder den Bauch betreffen:
Atembeschwerden
Beklemmungsgefühl
Schmerzen und Missempfindungen in der Brust
Übelkeit oder Missempfindungen im Magen
Psychische Symptome:
Schwindel, Unsicherheit, Schwäche oder Benommenheit
Entfremdungsgefühl gegenüber der eigenen Person (Depersonalisation) oder
Gefühl der Unwirklichkeit der Umwelt (Derealisation)
Angst, die Kontrolle zu verlieren, verrückt zu werden oder „auszuflippen“
Angst zu sterben (die auftretenden Symptome lösen Todesangst aus)
Allgemeine Symptome:
Hitzegefühle oder Kälteschauer
Gefühllosigkeit oder Kribbelgefühle
Treten Panikattacken innerhalb von drei Wochen mindestens drei Mal auf, spricht
man von einer Panikstörung.
Quelle: Hans Morschitzky: „Angststörungen. Diagnostik, Konzepte, Therapie,
Selbsthilfe“. S. 46.
Wodurch werden Panikattacken ausgelöst?
RADIODOKTOR – MEDIZIN UND GESUNDHEIT
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PHOBIEN UND ANGSTSTÖRUNGEN
Die erste Panikattacke ist häufig eine Folge eines allgemein erhöhten Stressniveaus.
Meist entsteht sie aufgrund einer Kombination von zwei Arten von Stressfaktoren.
Ein Stressor sind körperliche Belastungen, wie etwa niedriger Blutdruck, Allergien,
die prämenstruelle Phase, Schwangerschaft, Geburt, übermäßiger Kaffee-, Alkoholoder Drogenkonsum etc.
Hinzukommende psychosoziale Belastungen, zum Beispiel Beziehungsprobleme
oder ein Todes- oder schwerer Krankheitsfall in der Familie lösen oftmals die erste
Panikattacke aus.
Vor diesem Hintergrund könnte man also sagen, dass Panikattacken eine Art
Alarmreaktion unseres Organismus sind, die uns darauf hinweist, dass etwas in uns
aus dem Lot geraten ist.
Panikattacken treten häufig aber nicht direkt während oder kurz nach einem
schwerwiegenden Lebensereignis auf, sondern oft Wochen oder Monate später.
Nicht selten in Phasen der Erholung oder sie reißen man/frau sogar aus dem Schlaf.
Die Angst vor der Angst
Ein Panik-Syndrom kann sich, wie jede Angsterkrankung, durch einen Effekt
verstärkt werden, der vom Betroffenen selbst ausgeht. Nämlich durch die
permanente ängstliche Erwartung, eine ähnlich schlimme Attacke könnte in jeder
nur erdenklichen Situation wieder passieren. So geschieht es, dass Betroffene
übergenau ihren Körper auf mögliche gefährliche Signale hin beobachten. Und
kommen sie zum Beispiel aufgrund einer körperlichen Anstrengung ins Schwitzen
oder ist Ihnen aufgrund eines zu deftigen Essens übel, sehen Sie nicht den wahren
Auslöser ihrer Befindlichkeit, sondern befürchten eine drohende Angstattacke. Doch
gerade durch diese intensive Selbstbeobachtung verstärken sich die Symptome und
damit die Angst wirklich. Ein Teufelskreislauf.
Vermeidungsstrategien
Egal wo eine Panikattacke das erste Mal auftritt – häufig ist dies an einem
öffentlichen Ort – haben danach die Betroffenen große Angst, sich wieder in eine
ähnliche Situation zu begeben. Sei es in den Supermarkt, in die U-Bahn, ins Kino, in
ein bestimmtes Restaurant etc. Ist dies aus welchen Gründen auch immer nicht
möglich, betreten sie diesen Ort mit der schon beschriebenen Erwartungsangst,
werden nun dadurch tatsächlich von den gefürchteten Symptomen befallen und
müssen, durch die Angst, gleich wieder eine Attacke zu erleiden, den Ort fluchtartig
verlassen. Und werden diesen dann auch so schnell nicht wieder aufsuchen.
30 bis 50 Prozent aller Panik-Patientinnen und -Patienten sind zusätzlich von einer
Agoraphobie betroffen. Dies bedeutet, dass sie nicht nur Angst an einem
RADIODOKTOR – MEDIZIN UND GESUNDHEIT
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PHOBIEN UND ANGSTSTÖRUNGEN
bestimmten Ort empfinden, sondern überall dort, wo sie das Gefühl haben, nicht
„entkommen“ zu können oder wo sich kein Arzt in der Nähe befindet.
Je länger die Erkrankung unbehandelt bleibt, desto mehr Orte werden von den
Betroffenen ängstlich vermieden, was natürlich deren Handlungsfreiraum enorm
einschränkt.
Mehr zum Thema Phobien erfahren Sie ab Seite 13ff.
Die 10 Gebote bei Panikattacken
Denken Sie daran, dass Panik eine normale Körperreaktion ist, nur in
übertriebener Form.
Panik ist nicht schädlich oder gefährlich, nur sehr unangenehm.
Achten Sie darauf, was gerade hier und jetzt passiert, nicht auf das, was Sie
fürchten, was passieren könnte.
Konzentrieren Sie sich darauf, was Sie hören, sehen und riechen können,
nicht aber auf Ihre Körperempfindungen.
Verschlimmern Sie die Angst nicht durch angsterzeugende Gedanken.
Warten Sie ab und lassen Sie der Angst Zeit, von selbst zu vergehen.
Bekämpfen Sie die Angst nicht und laufen Sie nicht vor ihr davon.
Denken Sie daran, dass jedes Auftreten von Angst eine gute Gelegenheit ist,
Fortschritte zu machen.
Atmen Sie ruhig und langsam, aber nicht zu tief.
Wenn Sie bereit sind, mit dem weiterzumachen, was Sie eigentlich tun
wollten, fangen Sie langsam und besonnen an. Es ist nicht nötig sich zu
beeilen.
Erzählen Sie jemanden von dem, was Sie gerade erlebt haben.
Quelle: http://www.panik.at/gebote.html
DIE GENERALISIERTE ANGSTSTÖRUNG
Zur Gruppe der „ungerichteten“ Ängste gehört neben der Panikstörung die
generalisierte Angststörung. Rund fünf Prozent der Bevölkerung leiden während
ihres Lebens einmal an einer solchen Erkrankung. Grundsätzlich sind eher jüngere
Menschen betroffen. Allerdings ist die generalisierte Angststörung in der Gruppe der
älteren Menschen (speziell bei Frauen) die am häufigsten vorkommende
Angststörung.
RADIODOKTOR – MEDIZIN UND GESUNDHEIT
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PHOBIEN UND ANGSTSTÖRUNGEN
Eine generalisierte Angststörung ist gekennzeichnet durch über längere Zeit
anhaltende, unkontrollierbare, „frei flottierende“ Angst und Befürchtungen, die sich
auf viele verschiedene Lebensbereiche beziehen.
Nach den klinisch-diagnostischen Leitlinien des ICD-10 sind für eine generalisierte
Angststörung folgende Symptome typisch:
Befürchtungen:
Sorge über zukünftiges Unglück und entsprechende Vorahnungen:
Angehörige könnten demnächst erkranken oder verunglücken, unbegründete
Geldsorgen, übertriebene Sorgen um die Leistungsfähigkeit in der Schule
oder im Beruf.
Nervosität: ständige geistige Übererregbarkeit, erhöhte Aufmerksamkeit und
Gereiztheit angesichts der unkontrollierbaren Befürchtungen,
Schreckhaftigkeit.
Konzentrationsschwierigkeiten oder Vergesslichkeit
Motorische Spannung:
Körperliche Unruhe
Spannungskopfschmerz
Zittern: sichtbarer Ausdruck der Muskelanspannung, unwillkürliches Zucken,
„wackelig auf den Beinen“ sein
Unfähigkeit, sich zu entspannen: ständige muskuläre Anspannung,
verbunden mit rascher Ermüdbarkeit und Erschöpfung
Vegetative Übererregbarkeit:
Schwindel oder Benommenheit
Atemnot, Erstickungsgefühle oder Atembeschleunigung
Herzrasen
Schwitzen
Hitzewallungen und Frösteln
Feucht-kalte Hände
Magen-Darm-Beschwerden: Übelkeit, Bauchschmerzen, Durchfall
Häufiges Wasserlassen (Harndrang)
Mundtrockenheit
Schluckbeschwerden oder Gefühl, einen „Kloß im Hals“ zu haben
Ein- oder Durchschlafstörungen
Quelle: Hans Morschitzky: „Angststörungen“. S. 69.
RADIODOKTOR – MEDIZIN UND GESUNDHEIT
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PHOBIEN UND ANGSTSTÖRUNGEN
Menschen, die von einer generalisierten Angststörung betroffen sind, weisen, wie
viele Angst-Patientinnen und –Patienten, auch noch andere Formen von
Angststörungen auf, vor allem soziale Phobien, spezifische Phobien oder
Panikstörungen.
Am häufigsten geht die Erkrankung mit einer depressiven Symptomatik einher.
PHOBIEN – WENN ÄNGSTE ZUM GEFÄNGNIS
WERDEN
Diese aus Angst erbauten Gefängnismauern sind unsichtbar. Die Welt der Angst hat
ihre eigenen Gesetzmäßigkeiten.
Phobien zählen zu den häufigsten psychischen Erkrankungen und können den
Betroffenen in vielen Bereichen das Leben zu Hölle machen. Flugangst, Furcht vor
Spinnen oder anderen Tieren und Dingen sind vergleichsweise noch harmlos. Aber
die Agoraphobie - die Angst vor Orten mit vielen Menschen - und die Sozialen
Phobien, z.B. die Angst vor sozialen Kontakten, vor Gesprächen, Vorträgen oder
gemeinsamen Abendessen mit anderen Menschen in einem Restaurant führen rasch
in die Isolation.
Situationen, die manchen von uns vielleicht gelegentlich unangenehm sind, werden
für Menschen mit einer Phobie unerträglich. Die Panik davor äußert sich in extremen
körperlichen Symptomen: Unruhe, Herzrasen, Schweißausbrüche, Atemnot,
Kopfweh und Bauchschmerzen zählen dazu. Die Betroffenen versuchen mit allen
Mitteln, diese Angstreaktion kein weiteres Mal erleben zu müssen.
So meiden Personen mit Agoraphobie öffentliche Orte, an denen sich viele
Menschen aufhalten. Im Zentrum der der Agoraphobie steht die Befürchtung, der
jeweiligen Situation schutz- und hilflos ausgeliefert zu sein, also keine
Fluchtmöglichkeit zu besitzen.
Diese Angst kann so weit reichen, dass sich die Betroffenen eines Tages nicht mehr
auf die Straße wagen. Isolation, der Verlust der Freunde und des Arbeitsplatzes sind
die Folgen.
Quelle (für alle folgenden Teile der Infomappe):
Interviewpartnerinnen und -partner der Sendung vom 1.8.2011
RADIODOKTOR – MEDIZIN UND GESUNDHEIT
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PHOBIEN UND ANGSTSTÖRUNGEN
DAS WESEN DER PHOBIE
Typisch für Phobien ist eine schier unerträgliche Angst. Sie unterscheidet sich
deutlich von jener Angst, die jeder von uns in bestimmten Alltags- oder
Ausnahmesituationen gelegentlich erlebt.
Es ist sprichwörtlich eine Angst vor der Angst, die die Betroffenen plagt.
Entscheidend für das Krankheitsbild ist ein pathologisches „Hineinsteigern“ in
Angstphänomene, nicht die Angst selbst. Denn Angst ist etwas Normales, dass
Menschen sogar brauchen, um Gefahren zu erkennen. Genauso, wie wir Schmerzen
brauchen, die uns ebenfalls vor gefährlichen Situationen und Krankheiten warnen.
Bei den Phobien handelt es sich um sogenannte gerichtete Ängste. Auslöser der
Phobien sind bestimmte Situationen oder Objekte, eine äußere Quelle der Angst –
zum Beispiel eine Flugreise, ein Vortrag oder Spinnen. Von Phobien Betroffene
wissen natürlich, was die Angst verursacht.
HOHER LEIDENSDRUCK
Doch wann wird Angst zur Phobie? Ein kalter Schauder, der beim Anblick einer
Spinne über den Rücken läuft, ist nicht noch keine Spinnenphobie. Ein starkes
Schwindelgefühl, wenn man von einem Turm hinuntersieht, ist nicht immer die Folge
von Höhenangst und wer vor einem Vortrag reichlich Nervosität verspürt, ist nicht
gleich ein Fall für eine Psychotherapie.
Entscheidend ist, in welcher Situation die Angst auftritt. Angesichts einer realen
Bedrohung ist Angst natürlich und kann uns das Leben retten. Tritt sie jedoch
permanent auf oder ist sie in unbegründet, handelt es sich um eine Angststörung.
Prim. Dr. Rainer Gross, Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie und Leiter der
Psychiatrischen Abteilung am Landesklinikum Hollabrunn beschreibt das Phänomen
so: „Menschen mit einer Phobie sind dauernd im Alarmmodus, wie eine
Alarmanlage, die immer eingeschaltet ist, auch dann, wenn die Gefahr schon seit
Jahren vorbei ist oder so gut wie nie auftritt oder nicht lebensbedrohlich ist.“
Wenn man zum Beispiel im Dschungel einen Tiger sieht und Angst hat, ist das sehr
gesund, so Prim. Gross. Das wird einem erlauben sich vielleicht zu retten. Wenn man
aber fünf Jahre später mitten in Wien immer noch genau so viel Angst vorm Tiger hat,
ist es krankheitswertig. Das Stresssystem der Betroffenen ist gestört, sie können
RADIODOKTOR – MEDIZIN UND GESUNDHEIT
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PHOBIEN UND ANGSTSTÖRUNGEN
nicht mehr herunter regulieren, sind immer angespannt, und ängstlich. Dies kostet
viel Energie und kann zu Depressionen führen.
Ähnlich verhält es sich mit anderen Ängsten. Wer ein wenig Angst hat, wenn er oder
sie einen Hund sieht, hat noch keine Hundephobie. Wer sich aber nicht mehr auf die
Straße traut, weil ihm oder ihr ein Hund begegnen könnte, leidet an einer Phobie.
EINSCHRÄNKUNG DES LEBENS
Die Lebensumstände der Betroffenen sind mit entscheidend dafür, ob es sich um
eine Phobie behandelt werden sollte. Wer Flugangst hat, kann damit meist gut
leben, auch wenn ihm andere Kontinente möglicherweise verwehrt bleiben. Wer
aber arbeitsbedingt oft fliegen muss, kann wegen der Flugangst seinem Beruf
eventuell nicht mehr nachgehen.
Eine Spinnenphobie wird einer Stadtbewohnerin möglicherweise weniger Sorgen
bereiten, als dem Bewohner eines efeuumrankten Häuschens am Waldrand.
Die angstauslösende Situation kann mitunter sehr spezifisch sein. Dr. Georg
Schönbeck, Facharzt für Psychiatrie und psychotherapeutische Medizin erzählt dazu
die Geschichte eines seiner Patienten: Der Betroffene berichtete, er habe
wahnsinnige Angst vor ägyptische Pyramiden und Panzern. Warum dies für den
Patienten entscheidend war, kam im Gespräch mit dem Arzt erst heraus, als der
Patient seine Beruf nannte: Er war Nahostkorrespondent für eine Zeitung.
Die Einschränkung des Alltags durch Phobien kann aber nahezu jeden
Lebensbereich betreffen und den Betroffenen die Zukunft verbauen. Wer aus
Prüfungsangst sein Studium nicht abschließt, muss vielleicht auf eine Karriere
verzichten, zu der er oder sie sonst fähig wäre.
Wer Sozialkontakte vermeidet – zum Beispiel unglaubliche Angst davor verspürt, in
einem Restaurant mit anderen zu essen – verliert mitunter alle Freunde.
EIN LEBEN MIT DER ANGST – EINE BETROFFENE
UND IHRE ANGEHÖRIGEN ERZÄHLEN
Wilma Köttl war Diplomkrankenschwester. Im Alter von 30 Jahren zeigten sich bei ihr
erste Anzeichen einer Agoraphobie. So wie viele Betroffene hat sie diese Symptome
zunächst ignoriert und versucht, den Alltag aufrecht zu erhalten. Die Agoraphobie
RADIODOKTOR – MEDIZIN UND GESUNDHEIT
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PHOBIEN UND ANGSTSTÖRUNGEN
äußerte sich bei Wilma Köttl in der Angst, in Verkehrsmitteln ohnmächtig zu werden.
Über mehrere Jahre hinweg wurden die Symptome immer schlimmer und ein
normales Leben nicht mehr möglich. Mittlerweile ist Wilma Köttl 55 Jahre alt. Sie
verlor ihre Arbeit und alle Freunde, hat sich in der Wohnung eingeschlossen und
traute sich nicht mehr auf die Straße. Mehrere Therapieversuche blieben erfolglos.
Erst Suizidgedanken führten sie nach Jahren zu einem Therapeuten. In der Sendung
erzählen Sie und ihr Mann Robert sowie die Tochter Sandra die Geschichte der
Erkrankung.
Wilma Köttl, Betroffene:
„Agoraphobie hat sich bei mir so geäußert, dass ich seit circa 20 Jahren nicht mehr
Bus fahr', U-Bahn, Straßenbahn. Mein Zuhause war mein Gefängnis. Zuhause war
das zum Teil so schlimm, dass ich nicht einmal alleine zuhause hab bleiben können.
Ich hab mich isoliert, weil ich gedacht habe, es versteht mich eh keiner."
„Ich hab' immer dieses Ohnmachtsgefühl gehabt und ich hab immer diese Angst
gehabt, ich brech' dort zusammen und was denken sich die Leute. Die größte Angst
war vor Verkehrsmitteln und dass ich auf die Straße gehen muss. Meine Tochter war
dazumals klein, im Kindergarten. Ich hab sie abgeholt, ich konnte mit ihr nirgends
mehr hingehen. Zum Schluss hab ich sie auch nicht mehr abgeholt, weil ich Angst
gehabt hab, wenn ich irgendwo hin geh', dass ich neben dem Kleinkind in Ohnmacht
falle.“
„Es hat damit begonnen, dass ich nach den Nachdiensten nicht schlafen konnte. Am
Anfang habe ich gedacht, es ist nur die Schlaflosigkeit. Ich habe verschiedene
homöopathische Mittel zum Schlafen eingenommen, aber das hat alles nichts
geholfen. Meine Hausärztin hat gesagt, ich soll in den Wald gehen und einen Baum
umarmen. Es hat dann mit Herzrasen begonnen, mit hohem Blutdruck, mit Angst,
einfach Angst.“
„Ich hab immer weiter gearbeitet, aber bin oft zum Teil zwei Stationen früher aus der
Straßenbahn ausgestiegen und in die Arbeitsstelle gelaufen, weil ich mich geniert
habe, falls ich zusammenbreche. Man hat immer das Gefühl gehabt, dass man in
Ohnmacht fällt. Und dieses Herzrasen ... So bin ich in die Arbeit gelaufen. In der
Garderobe hat sich das dann schon wieder ein bisschen gegeben. Und im Spital
selber hat mir ja nichts passieren können. Ich hab solang weitergearbeitet, bis ich
gemerkt habe, ich hab Konzentrationsstörungen, bis zum totalen Zusammenbruch.“
„Sie sind mein erster Gast seit zehn Jahren.“
RADIODOKTOR – MEDIZIN UND GESUNDHEIT
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PHOBIEN UND ANGSTSTÖRUNGEN
„Mein Therapeut hat mich einmal ins Kaffeehaus begleitet. Am Anfang hab ich mir
gedacht, hoffentlich überlegt er sich's noch. Das war unbeschreiblich. Voller Angst,
aber doch nicht Angst. Das war schön. Ich bin zum ersten Mal alleine in eine Badener
Bahn gestiegen und gefahren. Das war für mich eine Weltreise. Es ist einfach mehr
Lebensfreude. Diese Antriebslosigkeit, die ich gehabt habe, ist nicht mehr da. Das
Leben ist wieder schön.“
Sandra Köttl, 28, Tochter:
„Ich hab meine Mutter immer sehr angespannt, sehr nervös erlebt. Sie hat einerseits
natürlich versucht, mit mir was zu unternehmen, gemeinsam nach dem Kindergarten
in den Park zu gehen oder sonstige Aktivitäten, die man halt mit dem Kind macht.
Und man hat aber immer im Hintergrund gehabt, irgendwas stimmt nicht. Als Kind
hat man das nicht zuordnen können und hat halt immer die Ursache gesucht und
teilweise dann auch gedacht, zuhause ist sie nicht so, zuhause ist sie entspannt, nur
wenn sie mit mir unterwegs ist, ist sie ängstlich und nervös. Dann, vielleicht bin ich
der Auslöser.“
„Man erschrickt als Kind. Man weicht der Mutter einfach aus, versucht sich dann im
Grunde zu verstecken und abzuwarten, bis wieder Normalität eintritt. Man lernt mit
der Krankheit der Mutter zu leben. Also man arrangiert sich, man weiß, in der
Situation wird sie so und so reagieren und versucht entweder, die Situation zu
verhindern oder auszuweichen. Hilfestellungen kann man fast keine geben. Man
versucht halt, für denjenigen da zu sein mit dem Wissen, das man hat, aber das
reicht eben beim besten Willen nicht.“
„Ich hab sehr selten Schulkollegen mitgebracht nach Hause. Gesagt hab ich auch
nichts. Man schweigt's tot. Das ist eigentlich das typische Verhalten.“
Sandra Köttl zum Therapieerfolg ihrer Mutter:
„Sie ist offener, sie ist lebensfroher, es ist eine Wandlung von 180 Grad. Ich kann mit
ihr auf Urlaub fahren, ohne, dass jemand mitkommt, wir können gemeinsam
Wanderungen machen. Das war einfach nicht vorstellbar vor zehn Jahren."
Wilma Köttl, Betroffene:
„Es ist einfach mehr Lebensfreude. Diese Antriebslosigkeit, die ich gehabt habe, ist
nicht mehr da. Das Leben ist wieder schön.“
Robert Köttl, 57, Gatte:
„Am Anfang war das schon schwierig. Ich habe meine Frau immer mit dem Auto
abgeholt und überall hingeführt. Im Beruf ist dann halt immer die Schwierigkeit,
RADIODOKTOR – MEDIZIN UND GESUNDHEIT
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PHOBIEN UND ANGSTSTÖRUNGEN
dass man in Gedanken doch immer wieder beim Partner ist, und dass man versucht
seine Arbeit so einzuteilen, dass man nur kurze Zeiten irgendwo gebunden und doch
irgendwie erreichbar ist. Man fährt halt herum und erledigt später die Arbeit. Als
Partner versucht man da die Hilfestellung und das kann mitunter halt grad der
falsche Weg sein, dass man versucht, professionelle Hilfe zu umgehen. Und das ist
vielleicht grad das Schlechte, was man da am Anfang macht. Mein Tipp für andere
Betroffene ist, dass man möglichst rasch auf professionelle Hilfe zurückgreift und
nicht mit Selbsthilfe herumtut. Man bildet sich ein, es wird gut, aber es wird nicht
gut.“
„In weiterer Folge, wenn man sieht, es ist schon Licht am Ende des Tunnels, dann
kann man sehr wohl sagen: 'ja also in der Familie hat man eben so etwas'. Und dann
kommt man drauf, dass auch die anderen sagen, 'ja, ich hab genau das selbe'. Dann
wundert man sich eigentlich. Ich hab einen Arbeitskollegen, dessen Gattin hat im
Prinzip dasselbe gehabt. Sehr viele, die unter Phobien leiden, brüten im eigenen
Haus die Sachen aus. Manche haben halt den Mut zu Therapeuten zu gehen und das
zu behandeln. Manche verschweigen das oder unterdrücken das und versuchen halt
damit zu leben, was nicht immer glückt.“
DIE WELT DER PHOBIEN
Man unterscheidet drei Arten von Phobien: spezifische Phobien, Soziale Phobien
und die Agoraphobie.
SPEZIFISCHE PHOBIEN
Die teilweise exotisch anmutenden spezifischen Phobien mit ihren klingenden
lateinischen und griechischen Namen haben das Bild von phobischen Störungen in
der Öffentlichkeit geprägt. Diese Phobien sind zwar selten, können aber dennoch
den Betroffenen den Alltag zur Hölle machen.
Im Folgenden ein kleiner Auszug:
Aichmophobie – Angst vor spitzen Gegenständen, Messern, Scheren
Akrophobie – Angst vor Höhe
Betrachophobie – Angst vor Fröschen
Epistaxiophobie – Angst vor Nasenbluten
Iatrophobie – Angst vor Ärzten
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Gymnophobie – Angst vor Nacktheit
Melissophobie – Angst vor Bienen bzw. Insekten
Nekrophobie – Angst vor toten Körpern
Phobophobie – Angst vor der Angst
Talassophobie – Angst vor Gewässern, Seen und dem Meer
Thermophobie – Angst vor Hitze
Trichophobie – Angst vor Haaren
Zoophobie – Angst vor Tieren
Manche dieser Phobien sind typisch für Kinder: zum Beispiel die Angst vor einem
Gewitter oder vor Hunden. Bei Kindern sind solche Ängste kein Grund zur Sorge und
Eltern müssen deswegen nicht gleich mit ihren Schützlingen zum Therapeuten
gehen. In den meisten Fällen vergehen diese kindlichen Ängste wieder.
Es gibt einige Hundert beschriebene spezifische Phobien. Diese sind jeweils selten
und treten im Vergleich zu Sozialen Phobien und der Agoraphobie in den
Hintergrund.
DIE AGORAPHOBIE
Die Agora war im Griechenland der Antike der zentrale Platz einer Stadt. Hier wurden
Feste gefeiert, hier wurde der Markt abgehalten. Agoraphobie, also genau die Angst
vor Menschenansammlungen, ist eine der häufigsten Phobien. Die zentrale
Befürchtung von Menschen mit Agoraphobie, ist es bei Auftreten der
Angstsymptome aus der jeweiligen Situation, nicht flüchten zu können – zum
Beispiel, wenn sie sich in eine Menschenmenge mischen oder wenn sie ganz einfach
in der Schlange stehen.
Dr. Ulrike Demal, Klinische Psychologin, Gesundheitspsychologin und
Psychotherapeutin von der Universitätsklinik für Psychiatrie und Psychotherapie des
Allgemeinen Krankenhauses Wien erzählt die Geschichte einer Betroffenen: „Die
Patientin war in einem Kaufhaus einkaufen und plötzlich hat sie verschiedene
körperliche Symptome bekommen: Herzrasen, Zittern Schwitzen. Die Betroffene
meinte zunächst, es sei mit dem Kreislauf etwas nicht in Ordnung und ging
deswegen zum Arzt.“
Dies ist für den Beginn einer Agoraphobie typisch. Plötzlich kommt es in einer
Alltagssituation wie beim Einkaufen erstmals zu einer Panikattacke und ab dem
Zeitpunkt, wird genau diese Situation gemieden.
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PHOBIEN UND ANGSTSTÖRUNGEN
Angesichts einer solchen Lage geraten die Betroffenen in einen Teufelskreis. Aus
Angst vor den körperlichen Symptomen beginnen sie jene Orte, an denen die
Beschwerden auftreten zu vermeiden. Dies kann sich soweit steigern, dass die
Betroffenen die Wohnung oder das Haus nicht mehr verlassen können.
SOZIALE PHOBIEN
Personen mit Sozialer Phobie, quält eine andere Angst. Die Betroffenen fürchten
sich davor, in bestimmten sozialen Situationen von anderen Menschen negativ
beurteilt zu werden oder sich peinlich zu verhalten. Symptome dieser Phobie treten
häufig bei Jugendlichen auf und können mit zunehmender Lebenserfahrung wieder
schwächer werden.
Bleibt die Angst jedoch bestehen, beginnen die Betroffenen mitunter Sozialkontakte
zu vermeiden. Bei der Sozialen Phobie unterscheiden die Fachleute zwei Unterarten:
Die erste bezieht sich auf sogenannte Performance- oder Vorführsituationen. Sie
treten immer dann auf, wenn Menschen vor jemand anderem etwas leisten müssen.
Dazu gehört zum Beispiel, einen Vortrag halten oder vor anderen Menschen zu
essen, zu trinken oder zu telefonieren. In solchen Situationen befürchten Menschen
mit einer Sozialphobie, dass sie zum Beispiel zu zittern oder dass sie zu schwitzen
beginnen, dass dies den anderen auffällt, dass die Umgebung das negativ beurteilt
oder bewertet und dass die Betroffenen daher insgesamt als peinlich auffallen oder
sich blamieren.
Diese Art der Phobie betrifft oft simple Handlungen des Alltags. So können
Betroffene mitunter eine Unterschrift vor einer Beamtin oder einem Beamten nicht
leisten oder können nicht arbeiten, wenn sie beobachtet werden.
Die zweite Untergruppe der Sozialen Phobie tritt in jenen Situationen auf, in denen
mit anderen Menschen kommuniziert werden muss, also zum Beispiel ein Gespräch
auf einer Party zu führen, wenn man jemandem auf der Straße begegnet oder wenn
man ein Telefongespräch führen muss. Dies sind typische sogenannte engere
soziale Situationen, wo die Betroffenen fürchten, kein Wort herauszubringen, sich zu
blamieren, sich nicht adäquat zu verhalten und dadurch von anderen negativ
beurteilt oder bewertet zu werden.
HÄUFIGKEIT VON PHOBIEN
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PHOBIEN UND ANGSTSTÖRUNGEN
Die Wahrscheinlichkeit, an einer dieser Formen zu erkranken, ist recht hoch. Etwa 10
Prozent aller Menschen entwickeln im Laufe ihres Lebens so eine Störung. Phobien
sind die häufigsten Angsterkrankungen und die Angsterkrankungen
zusammengenommen sind wiederum gemeinsam mit Depressionen die häufigsten
psychischen Erkrankungen.
Alle drei Phobieformen – soziale Phobie, Agoraphobie und spezifische Phobien –
treten bei Frauen doppelt so häufig auf wie bei Männern. Eine eindeutige Erklärung
für dieses Phänomen gibt es nicht. Möglicherweise gestehen Frauen sich Ängste
eher ein als Männer und suchen daher auch häufiger eine Behandlungseinrichtung
auf. Eine andere Erklärung für den statistischen Unterschied könnte der
Substanzmissbrauch liefern. Denn Männer neigen eher zu Alkoholsucht. Dies könnte
die Statistik insofern verwässern, indem Männer mit Angsterkrankungen in der
Rubrik Alkoholmissbrauch und nicht in der Spalte Phobie aufscheinen.
Statistische Unterschiede in der Häufigkeit von Phobien gibt es aber nicht nur
zwischen Männern und Frauen. Die Sichtweise, was als Phobie gilt und was nicht,
welches Verhalten als normal beurteilt oder als therapiewürdig eingestuft wird,
ändert sich auch von Land zu Land mit der Kultur. Zum Beispiel in den USA ist die
Angst groß, von jemand anderem bewertet zu werden, in Japan hingegen die Angst,
jemand anderen zu brüskieren.
URSACHEN VON PHOBIEN
Im Wesentlichen geht man heute von einem sogenannten Vulnerabilitäts-StressModell bzw. von einem bio-sozialen Krankheitsmodell aus: Laut diesen spielen
sowohl die persönliche Anlage wie auch die Umwelt eine Rolle.
Von genetisch bedingt bis erlernt
Phobien treten manchmal familiär gehäuft auf. Dies deutet auf eine vererbbare
Ursache hin. Eine andere Theorie geht von einem – möglicher Weise ebenfalls
vererbbaren – Ungleichgewicht der Botenstoffe des Gehirns aus.
Auch das Verhalten phobischer Eltern könnte die Kinder in diese Richtung prägen.
Zu viel Fürsorge oder auch mangelnde Bindungssicherheit in den ersten
Lebensjahren fördern ebenfalls eine ängstliche Grundhaltung.
Im Vorfeld einer Agoraphobie finden sich häufig einschneidende Ereignisse wie Tod
oder schwere Erkrankung von Verwandten oder Freunden, Unfälle, eigene
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PHOBIEN UND ANGSTSTÖRUNGEN
bedrohliche Krankheit, Ehekrise, Fehlgeburt, Gefährdung des Arbeitsplatzes,
öffentliche Kränkungen usw.
Auch Trennungsängste und Traumatisierungen aus der frühen Kindheit sind häufig
bei Personen mit Phobien anzutreffen.
Spezifische Ängste können durch ein bestimmtes Ereignis ausgelöst werden, sagt
Dr. Georg Schönbeck: „Wer etwa erfährt, dass eine verwandte oder nahe bekannte
Person an einer Fischgräte erstickt ist, kann eine Fischphobie entwickeln.“
Je nach psychiatrischer oder psychotherapeutischer Schule gibt es unterschiedliche
Erklärungsversuche und daraus resultierende Behandlungsansätze. Diese im Detail
zu erklären, würde den Rahmen dieser Infomappe sprengen. Stellvertretend daher
ein kurzer Blick auf drei der bekannten Erklärungsmodelle.
Lerntheorie
Die lerntheoretische Erklärung für Phobien geht davon aus, dass ein Mensch in einer
ehemals neutralen Situation plötzlich Angst bekommt. Stichwort, Turbulenzen beim
Landeanflug. Ab nun ist diese Situation angstbesetzt und wird gemieden. Die Angst
wird also nicht aufgelöst und kann in der Folge phobische Ausmaße annehmen. Ein
Teufelskreis der Angst entsteht.
Neurobiologische Verstärkungsmodelle
Sie besagen, dass Menschen mit einer Phobie ein labileres autonomes
Nervensystem besitzen, das rasch zu Stress- und auch zu Angstreaktionen neigt.
Ähnlich, wie es optimistische und pessimistische Menschen gibt, gäbe es also
ängstliche und weniger ängstliche.
Psychoanalyse
Der psychoanalytische Ansatz geht davon aus, dass sich eine Phobie durch einen
psychischen Abwehrakt entwickelt, bei dem angsterregende ev. auch sexuell
besetzte Bewusstseinsinhalte abgewehrt, verdrängt werden. Stattdessen wird nun
eine meist harmlose Situation oder ein Tier mit Angst besetzt. Der vermeintliche
Vorteil: Vor diesem äußeren Angsterregen können die Betroffenen fliehen – oder
eben die Begegnung vermeiden.
So wie bei allen Angststörungen können auch bei Phobien häufig Panikattacken
auftreten. Viele Betroffene suchen erst wegen dieser Angstexplosionen Hilfe und im
Laufe der Behandlung wird dann die Phobie entdeckt.
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PHOBIEN UND ANGSTSTÖRUNGEN
DER LANGE WEG ZUR THERAPIE – SCHAM UND
DIAGNOSE
Vor allem eine soziale Phobie und eine Agoraphobie wollen sich viele Menschen
nicht eingestehen und auch nicht mit anderen darüber sprechen. Die Tatsache, dass
Menschen ihre Phobien der Umwelt meist nicht mitteilen, liegt laut Prim. Gross auch
am Umgang der Gesellschaft und der Patienten mit dem Gefühl der Angst:
„Depressiv darf man heut schon fast sein, speziell, wenn ich Burnout dazu sag', fein,
bin ich schon fast im akzeptierten Eck. Aber Angst haben, zu sagen, ich bin wirklich
krank vor Angst, ich kann das und das nicht mehr machen, weil ich davor so große
Angst hab, das ist sehr beschämend. Diese Scham ist einer der Gründe, warum wir
Patienten mit Phobien so selten sehen, obwohl diese Krankheiten recht häufig sind.“
Generell wenden sich von Angststörungen Betroffene spät an spezialisierte
Psychotherapeutinnen und -therapeuten, sagt auch Anita Holzinger, Professorin an
der Universitätsklinik für Psychiatrie und Psychotherapie der Medizinischen
Universität Wien und Leiterin der Ambulanz für Sozialpsychiatrie am AKH Wien.
Selbst wenn Betroffene eine Therapie beginnen, öffnen sie sich nur zögerlich, so
Prim. Rainer Gross: „Diese Menschen kommen und erzählen ihnen, sie haben diese
hohe Herzfrequenz, sie schwitzen plötzlich, sie kriegen dieses ganz enge
Globusgefühl im Hals und erst, wenn man mit ihnen länger spricht und sie fragt und
sie ein bisschen entängstigt sind und Vertrauen gefasst haben, erzählen sie Ihnen,
dass sie eigentlich wahnsinnige Angst haben.“
Um bei einer Diagnose sicher zu gehen, befragen die Therapeutinnen und
Therapeuten auch Verwandte der Betroffenen. Diese können dem Therapeuten
mitunter die Leiden offener schildern, als die Betroffenen selbst.
Manche Menschen mit einer Angsterkrankung nehmen vor allem die körperlichen
Beschwerden wahr und pilgern von Arzt zu Arzt und Labor zu Labor. Wenn diese
Personen dann letztlich doch eine Psychotherapie erwägen, erscheinen Sie zur
ersten Stunde mit einer dicken Befundmappe.
Vor der Behandlung einer Phobie müssen natürlich ohnehin alle in Frage
kommenden körperlichen Ursachen ausgeschlossen werden. Denn tatsächlich
können manche Phobien dadurch zustande kommen. Dr. Georg Schönbeck betreute
eine Patientin, die eine Rattenphobie hatte. Die Betroffene litt auch an einer
niedrigen Herzfrequenz. Als diese durch einen Herzschrittmacher korrigiert wurde,
verschwand auch die Phobie.
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PHOBIEN UND ANGSTSTÖRUNGEN
UMWEG ÜBER DEPRESSION UND ALKOHOL
Viele Betroffene leiden zehn oder 20 Jahre, ehe sie sich trauen, eine Therapeutin
oder einen Therapeuten aufzusuchen. Bei Sozialphobien zum Beispiel ist es
störungsimmanent, dass diese Patienten nicht zum Arzt gehen, weil sie sich vor
Sozialkontakten fürchten und auch der Weg zur Behandlung für sie Überwindung
bedeutet. Da sich Menschen mit Sozialer oder Agoraphobie isolieren, leiden sie
zudem oft unter Depressionen und Suizidgedanken.
Andere – vor allem Männer – versuchen die Angst mit Alkohol zu bekämpfen. Auch
Tablettenmissbrauch kommt häufig vor. Viele Phobiker kommen erst über den
Umweg dieser Folgekrankheiten in ein therapeutisches Zentrum. Gehen sie mit ihren
Beschwerden zunächst zu Allgemeinmedizinern, wird oft nur die vordergründige
Krankheit behandelt, aber nicht das phobische Leiden dahinter.
ERLEICHTERNDE DIAGNOSE
Obwohl Phobien zu den häufigsten psychischen Erkrankungen zählen, ernten viele
Betroffene von ihrem Umfeld Unverständnis. Angehörige hingegen zeigen sich meist
einfühlsamer, was die Situation eines betroffenen Familienmitglieds betrifft.
Dennoch wissen selbst sie mitunter nicht, wie sie mit der Phobie naher Verwandter
umgehen sollen.
Die Diagnose Phobie ist für viele Betroffene eine Erleichterung. Damit erhalten sie
endlich eine Erklärung für ihre Unruhe und ihre unklaren körperlichen Beschwerden außerdem ist somit klar, dass sie mit ihrer Krankheit nicht alleine sind.
THERAPIEN GEGEN PHOBIEN
Goethe am Kirchturm – die Selbstheilung
Phobien können unterschiedlich schwer ausgeprägt sein. Wer stark zu schwitzen
beginnt, weil er mit anderen Menschen reden muss, kann dennoch seinen Alltag
bewältigen, Freunde treffen und arbeiten. Manche leichte Formen von Phobien
können in der Tat von den Betroffenen selbst kuriert werden.
Einer, dem dies gelungen ist, ist Johann Wolfgang von Goethe. Er litt gleich an einer
Reihe von Phobien: Höhenangst, Angst vor Nacht und Dunkelheit, Angst vor
verletzten Körpern und vor lauten Geräuschen. Einige davon hat er durch mutige
Unternehmungen selbst beseitigt. In seinem Werk „Dichtung und Wahrheit“
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PHOBIEN UND ANGSTSTÖRUNGEN
beschreibt er, wie ihm dies mit der Höhenangst auf der Spitze des Straßburger
Münsters gelungen ist. Er ist so oft auf den Turm gestiegen und auf einer schmalen
Plattform gestanden, bis seine Angst überwunden war. Später ist Goethe laut
eigenen Worten auf freiliegenden Balken und auf Gesimsen mit Zimmerleuten um
die Wette gelaufen.
Zwei weitere Phobien soll Goethe durch Selbsttherapie in den Griff bekommen
haben: Jene vor lauten Geräuschen behandelte er, indem er neben Trommlern beim
Zapfenstreich herging. Um die Angst vor verletzten Körpern zu überwinden,
besuchte er Sezier- und Anatomiekurse.
Wer sich immer wieder der eigenen Angst aussetzt, erfährt einen Lernprozess und
stellt mitunter fest: Da passiert ja gar nichts. Die kann zum Beispiel bei Angst vor
Vorträgen oder bei der Angst vor einem Gespräch mit dem Chef oder der Chefin
helfen.
Dr. Georg Schönbeck hatte einen Patienten mit sozialer Phobie, der bewusst
Vertreter geworden ist, um sich mit seiner Angst zu konfrontieren. Da aber nicht alle
Symptome verschwunden sind, kam er in die Praxis. Denn solche Formen der
Selbsthilfe funktionieren nur bei leichten Phobien.
TRANQUILIZER UND ANTIDEPRESSIVA – DIE
MEDIKAMENTÖSE THERAPIE
Viele Patienten, die unter Phobien mit Panikattacken oder nur unter Panikattacken
leiden, wünschen sich ein Medikament zur schnellen Linderung der Angstsymptome.
„Es gibt einfach Patienten, die sagen, ich will das Symptom so schnell wie möglich
weg haben, mir ist jetzt alles egal, ich will Medikamente nehmen“, so Prof.in Anita
Holzinger vom AKH Wien.
In den meisten Fällen erhalten die Patientinnen und Patienten zunächst
angstlösende Substanzen aus der Gruppe der Tranquilizer.
Für die Dauertherapie werden meist Substanzen aus der Gruppe der Antidepressiva
verwendet. Allerdings dauert es circa zwei Wochen bis die angstlösende Wirkung
einsetzt. Patienten, die Agoraphobie kombiniert mit Panikattacken oder „nur“
Panikattacken haben, fehlt dafür mitunter die Geduld. Zudem wirkt nicht jedes
Antidepressivum bei jedem Menschen gleich. Bis das richtige gefunden ist und
mehrere ausprobiert worden sind, vergeht zusätzliche Zeit.
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Tranquilizer helfen gegen Panikattacken zwar verlässlich und rasch, sollten aber
zeitlich begrenzt eingenommen werden, da sie ein gewisses Abhängigkeitspotential
aufweisen.
Angstlösende Medikamente lindern aber nicht nur die Symptome. Sie ermöglichen
dadurch den Patientinnen und Patienten auch, sich besser auf eine Psychotherapie
einzustellen.
MIT DER THERAPEUTIN INS KAUFHAUS – DIE
VERHALTENSTHERAPIE
Um die Angst der Phobiepatientinnen und -patienten zu behandeln, stehen
verschiedene Formen der Psychotherapie zur Verfügung.
Die bei phobischen Störungen und Panikattacken am häufigsten angewandte ist die
Verhaltenstherapie. Sie gewöhnt Patientinnen und Patienten nach und nach wieder
an jene Situationen, die sie mitunter jahrelang unter allen Umständen vermieden
haben, bzw. hilft die körperlichen Wahrnehmungen so einzuordnen, dass nicht
sofort eine Panikattacke ausbricht.
Diese Konfrontationstherapie gegen Phobien funktioniert im Prinzip ähnlich wie
Goethes Selbstversuch auf dem Straßburger Münster. Schritt für die Schritt werden
die Betroffenen in zunehmender Intensität jener Situation ausgesetzt, die sie
fürchten. Da Patientinnen und Patienten mit einer starken Phobie dies nicht alleine
können, werden sie von ihrem Therapeuten oder ihrer Therapeutin dabei angeleitet.
Verstehen und Fähigkeiten analysieren
Der erste Schritt der Verhaltenstherapie besteht jedoch aus Information und
Psychoedukation, sagt Dr. Ulrike Demal, Klinische Psychologin,
Gesundheitspsychologin und Psychotherapeutin von der Universitätsklinik für
Psychiatrie und Psychotherapie des Allgemeinen Krankenhauses Wien. Den
Patienten wird die physische und lebensnotwendige Funktion der Angst erklärt. Sie
sollen lernen, das normale Gefühl der Angst von jenem der bei den Phobien
krankhaft übersteigerten Angst zu unterscheiden und den Unterschied zu verstehen.
Bei einer Sozialen Phobie wird zudem untersucht, ob tatsächlich eine Phobie
vorliegt und im Vordergrund steht, oder ob es den Betroffenen nicht einfach nur an
bestimmten Fähigkeiten fehlt. Manche Menschen haben in ihrem Leben vielleicht
einfach nicht gelernt, ein Gespräch zu führen, und haben daher panische Angst
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PHOBIEN UND ANGSTSTÖRUNGEN
davor. In diesem Fall muss vielleicht nur diese soziale Kompetenz erlernt und
trainiert werden.
Sich der Angst aussetzen
Ist dies geklärt, geht es in der Therapie einen Schritt weiter. Die Patientinnen und
Patienten müssen sich unter Anleitung des Therapeuten oder der Therapeutin ihrer
Angst stellen. Die Therapie beginnt mitunter damit, dass sich die Betroffenen die
entsprechende Situation nur vorstellen und bereits dadurch lernen, mit der Angst
umzugehen. Wenn die Betroffenen dazu bereit sind, suchen sie jedoch auch mit dem
Therapeuten oder der Therapeutin eine angstbesetzte Situation auf – und gehen
zum Beispiel ins Kaufhaus.
Dort wird bei der Patientin bzw. dem Patienten eine Angstreaktion entstehen. Es
wird genau das eintreten, was die Betroffenen versuchen zu vermeiden. Sie werden
jedoch dann vom Therapeuten bzw. der Therapeutin angehalten, in dieser Situation
zu verweilen. Nach einer gewissen Zeit wird die Angst nachlassen und die
Betroffenen lernen so mit dem Gefühl der Angst umzugehen. Diese Situationen
sollen dann in der Folge mit dem Therapeuten gemeinsam oder auch alleine immer
wieder aufgesucht werden.
Ob und nach welcher Zeitspanne eine Verhaltenstherapie Erfolge ermöglicht, hängt
von mehreren Faktoren ab: zum Beispiel von der Schwere der Symptome und davon,
wie weit oder wie schnell Betroffene bereit sind, sich mit den Angst auslösenden
Situationen zu konfrontieren.
Und auch, wenn nicht alle Beschwerden gleich verschwinden, erhöht sich die
Lebensqualität der Betroffenen durch die Therapie deutlich.
SICH SELBST BESSER KENNENLERNEN – DIE
PSYCHOANALYSE
Die psychodynamische Therapie, also analytisch orientierte Psychotherapien,
empfiehlt Prim. Rainer Gross dann, wenn der hinlängliche Verdacht besteht, dass die
Phobie ein integrierender Teil einer Persönlichkeitsstruktur ist und nicht eine
isolierte Phobie vorliegt. Da die Psychoanalyse bei den Ursachen der Phobie davon
ausgeht, dass es sich um eine verdrängte Angst, einen verdrängten Wunsch oder
andere Ursachen in der frühen Kindheit handelt, werden diese Ursachen in der
Therapie offengelegt.
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PHOBIEN UND ANGSTSTÖRUNGEN
In den letzten Jahrzehnten gab es ansatzweise einen Methodenstreit zwischen der
Verhaltenstherapie und den analytischen Verfahren. So nimmt die Psychoanalyse für
sich in Anspruch, den der Phobie zu Grunde liegenden Konflikt zuerst aufdecken und
dann auflösen zu können.
Während eine Phobie in vielen Fällen durch eine Verhaltenstherapie relativ rasch
gelindert werden kann, dauern psychoanalytische Verfahren deutlich länger,
nämlich mehrere Jahre.
Mitunter könnte man auch durch eine Verhaltenstherapie zunächst rasch die
Lebensqualität der Betroffenen erhöhen und später mit einer Psychoanalyse den
Ursachen weiter auf den Grund gehen. Dazu Prim. Gross: „Der große
Psychoanalytiker Otto Kernberg sagt bei verschiedenen Symptomen, die relativ
isoliert auftreten und einen großen Leidensdruck verursachen sehr wohl in manchen
Fällen: „Ich würde Ihnen raten, machen Sie eine Verhaltenstherapie. Wenn dann das
Symptom weg ist und es geht Ihnen gut und Sie haben kein Interesse mehr, fein,
wenn Sie was über sich erfahren wollen, kommen sie gern nachher zu mir'."
SICH UND ANDEREN HELFEN –
SELBSTHILFEGRUPPEN
Erste Unterstützung oder auch weiterführende Beratung neben einer Therapie
bieten Selbsthilfegruppen. Bei Angsterkrankungen ist das Gespräch mit anderen
Betroffenen besonders wichtig und es können auch neue soziale Kontakte geknüpft
werden.
Die Betroffenen merken dort, dass sie mit ihrer Phobie und Angst nicht allein sind
und lernen von den Erfahrungen der anderen. Meist werden Selbsthilfegruppen von
Menschen moderiert, die selbst betroffen sind oder waren.
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ANLAUFSTELLEN
ANLAUFSTELLEN
Auflistung österreichischer Selbsthilfegruppen zu den Themen Angst und
Depression
http://www.netdoktor.at/wegweiser/selbsthilfesuche/depressionen_und_aengste/
Club D & A – Selbsthilfe bei Depression und Angststörungen (Wien, Salzburg,
Südtirol)
http://www.club-d-a.at/
Liste mit Notrufnummern des Clubs D & A
http://www.club-d-a.at/htm/mains/kontakte/notrufe.htm
Online-Forum mit allgemeinen Infos zur Panikstörung, Buchtipps, sowie vielen
Adressen von FachärztInnen, Selbsthilfegruppen etc.
http://www.panik.at/
Panik-Attacken.de – Hilfe zur Selbsthilfe
http://www.panik-attacken.de/
Österreichische Gesellschaft für Verhaltenstherapie
http://www.oegvt.at/
Wiener Psychoanalytische Vereinigung
Salzgries 16
A-1010 Wien
Tel.: +43/1/533 07 66
E-Mail: [email protected]
Bundesverband für Psychotherapie
http://www.psychotherapie.at/
Berufsverband Österreichischer Psychologinnen und Psychologen
http://www.boep.eu/
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ANLAUFSTELLEN
Österreichischer Verein für Individualpsychologie
http://www.oevip.at
Österreichische Gesellschaft für analytische Psychologie, C.G. Jung-Gesellschaft
http://www.cgjung-gesellschaft-oesterreich.at
Wilhelm Reich Institut
http://www.wilhelmreich.at
Hilfe für Angehörige psychisch Erkrankter
http://www.hpe.at
Deutsches Angst-Forum
http://www.angstselbsthilfe.de/
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BUCHTIPPS & INFOLINK S
BUCHTIPPS UND INFOLINKS
Wittchen et. al.
Was Sie schon immer über Angst wissen wollten!
Karger Verlag 1995
ISBN-13: 978-3-8055-6005-4
Hans Morschitzky
Angststörungen. Diagnose, Konzepte, Therapie, Selbsthilfe
Springer Verlag 2009
ISBN-13: 978-3-211-09448-8
Roger Baker
Wenn plötzlich die Angst kommt: Panikattacken verstehen und überwinden
Verlag R. Brockhaus; 12. Auflage 2009
ISBN-13: 978-3417205558
Sigrun Schmidt-Traub
Angst bewältigen: Selbsthilfe bei Panik und Agoraphobie
Verlag Springer; 4. neu bearb. Aufl. 2008
ISBN-13: 978-3540790303
Doris Wolf
Ängste verstehen und überwinden. Wie Sie sich von Angst, Panik und Phobien
befreien
Verlag Pal, Aktual. Auflage 2009
ISBN-13: 978-3923614325
Margot Schmitz, Michael Schmitz
Seelenfraß. Wie Sie den inneren Terror der Angst besiegen
Verlag Ueberreuter 2005
ISBN-13: 978-3800070978
Marius Nickel
Ängste , Zwänge und Belastungsstörungen
Springer Verlag 2008
ISBN-13: 978-3-211-72010-3
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BUCHTIPPS & INFOLINK S
Alfons Hamm
Spezifische Phobien. Fortschritte der Psychotherapie
Hogrefe Verlag 2006
ISBN-13: 978-3-801716127
Bürgerlicher Schwindel und seine medizinische Fassung: Goethe und das
Straßburger Münster
Von Dr. med. Caroline Jagella, Medizinhistorisches Institut, der Universität Zürich.
Schweizer Medizinische Wochenschrift, 2000;130:209–21
http://www.smw.ch/docs/pdf/2000_07/2000-07-282.pdf
„Angststörungen – Medikamentöse Therapie“ – Fachartikel in Clinicum Neuropsy Das Medium für Psychiatrie und Neurologie, September 2009
http://www.geriatrieonline.at/mm/mm013/korrLow_Kons_Angststoerungen_0709_jh_kjk.pdf
„Angststörungen. Diagnostik, Konzepte, Therapie, Selbsthilfe“ – Artikel von Dr.
Hans Morschitzky (Linzer Klinischer und Gesundheitspsychologe)
http://www.panikattacken.at/angststoerung/angst.htm
Phobien – Artikel von Dr. Hans Morschitzky
http://www.panikattacken.at/phobie/phobie.htm
Patientenratgeber des Arbeitskreises Verhaltenstherapie
http://www.institut-avm.at/ratgeber_avm/PhobieErklaerung.htm
Symptomatik, Ursachen, Therapiemöglichkeiten – in Kurzform dargestellt von Univ.Prof. Dr. Martin Aigner (Facharzt für Psychiatrie, Neurologie und
Psychotherapeutische Medizin)
http://www.netdoktor.at/krankheiten/fakta/phobien.htm
http://www.netdoktor.at/krankheiten/fakta/angst.htm
„Panikstörung und andere Angststörungen“ – Umfassende Zusammenstellung von
Karl C. Mayer, deutscher Facharzt für Neurologie, Psychiatrie und
Psychotherapeutische Medizin
http://www.neuro24.de/angstst_rungen.htm
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SENDUNGSGÄSTE
SENDUNGSGÄSTE
In der Sendung Radiodoktor – Medizin und Gesundheit vom 8. August 2011
waren zu Gast:
Dr.in Andrea Berg
Psychologin und Psychotherapeutin
Ottakringer Straße 20
A-1170 Wien
Tel.: +43/699/1 944 55 84
E-Mail: [email protected]
Homepage: www.mentalsolutions.at
Prim. Dr. Rainer Gross
Sozialpsychiatrische Abteilung Landesklinikum Weinviertel Hollabrunn
Robert-Löffler-Straße 20
A-2020 Hollabrunn
Tel.: +43/2952/2275/631
E-Mail: [email protected]
Homepage: http://www.hollabrunn.lknoe.at
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