Kognitive und affektive Einflüsse auf Einstellungen in

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National Centre of Competence in Research (NCCR)
Challenges to Democracy in the 21st Century
Working Paper No. 21
Kognitive und affektive Einflüsse auf Einstellungen in
direktdemokratischen Kampagnen
Christian Schemer, Werner Wirth, Jörg Matthes
June 2008
Institute of Mass Communication and Media Research (IPMZ)
University of Zurich
Andreasstrasse 15
CH-8050 Zurich
Kognitive und affektive Einflüsse auf Einstellungen in direktdemokratischen
Kampagnen1
Christian Schemer, Werner Wirth und Jörg Matthes
1
Einleitung
In neuerer Zeit beschäftigt sich eine Reihe von Studien mit dem Einfluss von Affekten,
Emotionen oder Stimmungen auf politische Entscheidungen. Ein Grossteil der Forschung
stammt dabei aus den USA und fokussiert dementsprechend auf Präsidentschaftswahlen. Von wenigen Ausnahmen abgesehen ist das Forschungsinteresse in Europa an
dieser Frage weniger stark ausgeprägt. Vereinzelt finden sich Studien, die den
Emotionseinfluss auf politische Einstellungen oder politisches Verhalten untersuchen
(Montada/Schmidt 1989; Opp 1986; Schoen 2006). Die Bedeutung von Emotionen,
Affekte oder Stimmungen bei der Entscheidungsbildung über politische Sachfragen in
Abstimmungen wurde bislang kaum untersucht. Dieser Frage widmet sich die
vorliegende Untersuchung. In einem ersten Schritt wird auf die Befundlage bisheriger
Studien zum Affekteinfluss auf Einstellungen und Präferenzen bei Wahlen eingegangen.
Anschließend wird der Unterschied zwischen politischen Entscheidungen bei Wahlen
bzw. bei Abstimmungen herausgearbeitet. Darauf baut die empirische Studie auf, die den
Einfluss
von
Affekten
im
Zusammenhang
mit
einer
Abstimmung
über
die
Asylgesetzverschärfung in der Schweiz im September 2006 untersucht.
2
Der Einfluss von Affekten auf politische Entscheidungen
Die erste systematische Untersuchung zum Einfluss von Affekten auf politische
Einstellungen zu Präsidentschaftskandidaten stammt von Abelson und Kollegen (1982).
In dieser und auch in den nachfolgenden Studien wird Affekt als Überbegriff für
Emotionen, Stimmungen oder Gefühle gegenüber politischen Kandidaten oder anderen
Einstellungsobjekten verstanden. Dabei ist vor allem die Valenzdimension von
Emotionen gemeint. Mit anderen Worten es wird unterschieden, inwiefern Wählerinnen
1
Kontakt: Christian Schemer, IPMZ – Institut für Publizistikwissenschaft und Medienforschung, Universität
Zürich, Andreasstrasse 15, CH-8050 Zürich, [email protected]
und Wähler negative Emotionen, wie Angst oder Ärger bzw. positive Emotionen, wie
Freude oder Hoffnung, gegenüber politischen Kandidaten empfinden.
Für diese Studien spielen aber differenzielle Emotionen in der Regel keine
bedeutsame Rolle (vgl. aber Conover/Feldman 1986; Montada/Schmidt 1989). Weiter
wird davon ausgegangen, dass Affekte unabhängig von Charakterbewertungen oder
kognitiven Einschätzungen sind, z.B. der Kompetenz und Problemlösungsfähigkeit von
politischen Kandidaten. Beispielsweise haben Abelson und Kollegen (1982) in zwei
Studien Wählerinnen und Wähler befragt, in wiefern sie gegenüber unterschiedlichen
Präsidentschaftskandidaten positive und negative Emotionen empfinden. Gleichzeitig
wurde
nach
Charakterbewertungen
zu
diesen
Politikern
gefragt,
z.B.
mutig,
voreingenommen oder ehrlich. Schließlich wurden die Befragten gebeten, ihre
Kandidatenpräferenz mittels eines Feeling-Thermometers anzugeben. In der Analyse
wurde dann diese Kandidatenpräferenz auf positive und negative Affekte sowie auf
positive und negative Charakterbewertungen regrediert und dabei die Parteiidentifikation
kontrolliert. Im Ergebnis zeigt sich erstens, dass positive und negative Affekte (ebenso
wie die Charakterbewertungen) gegenüber politischen Kandidaten unabhängige
Affektdimensionen sind. Zweitens können die Autoren belegen, dass bei manchen
Kandidaten (z.B. Kennedy) sowohl positiver als auch negativer Affekt gleichermaßen
signifikante Prädiktoren für die Präferenz sind. Gleichzeitig sind affektive Bewertungen
wichtiger für die Kandidatenpräferenz als Charakterbewertungen gegenüber Kennedy.
Bei Reagan waren positive Charakterbewertungen am wichtigsten, negativer Affekt hatte
ebenfalls einen Einfluss auf die Kandidatenpräferenz, positiver Affekt hingegen nicht
(Abelson u.a. 1982).
In der Folge wurde eine Vielzahl von Studien durchgeführt, die ähnlich vorgingen und
den Einfluss von positivem und negativem Affekt unter anderem auf Kandidateneinstellungen (Granberg/Brown 1989; Marcus/MacKuen 1993; Ottati 1997), Einstellungen
gegenüber
Minderheiten
(Haddock/Zanna,
1993;
Kuklinski
u.a.
1991;
Stan-
gor/Sullivan/Ford 1991), gegenüber Umweltrisiken (Karger/Wiedemann 1998), der
Todesstrafe
(Haddock/Zanna
1998),
der
Abtreibung
ungeborenen
Lebens
(Breckler/Wiggins, 1989) oder der wirtschaftlichen Entwicklung (Conover/Feldman 1986)
untersucht haben.
Die meisten Studien wurden dabei im US-amerikanischen Raum durchgeführt. Nur
vereinzelt finden sich Studien im europäischen oder deutschsprachigen Raum. Opp
(1986) zeigt etwa, dass Angst ein bedeutsamer Prädiktor für die Bereitschaft ist, sich an
der Antikernkraftbewegung zu beteiligen. Montada und Schneider (1989) belegen, dass
z.B. Ärger über das Unrecht gegenüber sozial Benachteiligten bedeutsam für prosoziales
Verhalten ist. In einer neueren Studie untersucht Schoen (2006) den Einfluss von Angst
auf politische Einstellungen. Dabei zeigt sich, dass Angst im Zusammenhang mit dem
Golfkrieg Anfang der 90er Jahre dazu führt, dass ein deutscher Truppeneinsatz in der
Golfregion abgelehnt wird. Gleichzeitig führt Angst zu einer schlechteren Bewertung der
damaligen Regierung, während sich die Bewertung der Opposition unter dem
Angsteinfluss verbesserte.
Insgesamt kommt man auf Basis der bisherigen Studien zu dem Schluss, dass
Emotionen einen bedeutsamen Einfluss auf politische Einstellungen haben. Allerdings
weist die Durchsicht früherer Studien auch auf einige Desiderate hin: Erstens ist die
Forschung – von Ausnahmen abgesehen – auf den US-amerikanischen Sprachraum
beschränkt. Zweitens sind die meisten Studien Querschnittstudien und können daher
keine Aussage über die Veränderung des Affekteinfluss im Laufe einer Kampagne
treffen. Drittens liegt der Schwerpunkt der empirischen Studien bis anhin auf der
Untersuchung von affektiven Einflüssen auf Kandidaten- und Parteipräferenzen. D.h. der
Affekteinfluss auf Urteile und Einstellungen im Zusammenhang mit Sachfragen in
Themenkampagnen wurde weitaus seltener untersucht. Zur Bedeutung von Emotionen
bei direktdemokratischen Entscheiden liegen also keine empirischen Befunde vor. Man
kann aber annehmen, dass die Entscheidungssituation bei Wahlen bzw. Abstimmungen
im Rahmen von direktdemokratischen Verfahren sich unterscheiden und daher auch
Unterschiede im Affekteinfluss auf Einstellungen auftreten können.
3
Der Einfluss von Affekten bei Wahlen vs. Abstimmungen
Obwohl Wahlen und Abstimmungen einige Gemeinsamkeiten aufweisen, gibt es eine
Reihe von Unterschieden, die zu der Annahme führen, dass Emotionen bei
Abstimmungen weniger bedeutsam sind als bei politischen Wahlen. Zunächst zu den
Gemeinsamkeiten:
Wahlen
wie
auch
Abstimmungen
sind
politische
Akte
der
Entscheidung durch das Stimmvolk, die politische Akteure zur Ausübung von Macht
legitimieren (vgl. hierzu etwa Jenkins/Mendelsohn 2001; LeDuc 2002; Mittendorf 2002).
Der Einfachheit halber wird im Weiteren nicht weiter zwischen unterschiedlichen Formen
von Abstimmungen unterschieden (vgl. hierzu Kriesi 2005). Beide Legitimationsvorgänge
stellen Kommunikationsereignisse dar, die mehr oder weniger stark von Kampagnen
begleitet werden, die sowohl auf Aufmerksamkeit als auch Unterstützung durch das
Stimmvolk zielen (Jenkins/Mendelsohn 2001; Mittendorf, 2002). Bei genauerer
Betrachtung finden wir jedoch einige Unterschiede zwischen Wahlen und Abstimmungen,
die für die vorliegende Frage – Emotionseinfluss auf politische Entscheidungen des
Elektorats – relevant sind:
Durch Wahlen erhalten politische Akteure „generalisierte Handlungsmacht, die auf
unverbindlicher Einhaltung von Versprechungen beruht“ (Mittendorf 2002: 281). Bei
Abstimmungen hingegen geht es primär um konkrete Problemlösungsvorschläge. D.h.
das Wahl- oder Stimmvolk hat bei Abstimmungen konkrete Erwartungshaltungen in
Bezug auf ein zu lösendes Problem, bei Wahlen ist die Erwartungshaltung sehr
unspezifisch, weil sie sich kaum auf konkrete Maßnahmen richtet. Ein weiterer
Unterschied ist der kognitive Anspruch an den Souverän. Bei Wahlen ist der kognitive
Anspruch geringer, weil kaum über konkrete Sachfragen entschieden wird, sondern über
das politische Personal.
Bei Abstimmungen hingegen ist ein Mindestmass an kognitivem Aufwand notwendig,
ansonsten können die zur Abstimmung stehenden konkreten politischen Alternativen
nicht beurteilt werden (Jenkins/Mendelsohn 2001; Mittendorf, 2002). Der für die
vorliegende Fragestellung wichtigste Unterschied bezieht sich auf die Kampagnen die
Wahlen bzw. Abstimmungen begleiten. In Wahlen spielen die politischen Kandidaten und
Kommunikationsstrategen eine zentrale Rolle in der Kampagne. Bei Abstimmungen kann
zwar auch eine zunehmende Personalisierung der Kampagne attestiert werden (vgl.
etwa
de
Vreese/Semetko
2004;
Marcinkowski
2007).
Allerdings
agieren
bei
Abstimmungen aber neben dem politischen Personal und Parteien auch Interessenverbände unterschiedlichster Couleur in der Kampagne. Mittendorf (2002; vgl. auch
Jenkins/Mendelsohn 2001; Kriesi 2005: 12) vermutet denn auch, dass bei Abstimmungen
die Kommunikation von konkreten Maßnahmen im Mittelpunkt stehen, während bei
Wahlen die personenbezogene Kommunikation zentral ist. Diese Unterscheidung kann
man auch als Image- vs. Issue-Orientierung bezeichnen (vgl. etwa Kaid 2004). Wahlen
sind stärker image-orientiert, d.h. die Wahlkampfkommunikation dreht sich vermehrt um
das Image des politischen Personals bzw. der Parteinen als Akteur. Abstimmungen sind
eher issue-orientiert, weil die Kommunikation stärker auf die Vermittlung von
Sachthemen gerichtet ist, über die abgestimmt wird (vgl. Mittendorf 2002). Eine Reihe
von experimentellen Studien zeigt, dass etwa politische Werbung oder Botschaften bei
Wahlen, die das Image von Kandidaten auf Kosten politischer Standpunkte zu einem
Thema in den Vordergrund stellen, Rezipienten stärker emotional ansprechen
(Dalto/Ossoff/Pollack 1994; Kaid 2004). In der Studie von Dalto und Kollegen (1994)
zeigt sich beispielsweise, dass eine Rede von Präsident Bush positivere Emotionen
hervorruft, wenn sie image-orientiert ist, also wenn die Persönlichkeit des Präsidenten im
Fokus steht, und nicht so sehr die politische Substanz des Themas.
Mit der Unterscheidung zwischen Image- und Issue-Orientierung ist jedoch nicht
gemeint, dass Abstimmungskampagnen per se issue-orientiert und Wahlen per se
image-orientiert sind. Es handelt sich dabei um graduelle Unterschiede, die auch davon
abhängen, welche Themen in Wahl- oder Abstimmungskämpfen behandelt werden. Bei
manchen Themen, die zur Abstimmung kommen, mögen Emotionen eine geringere Rolle
spielen, bei anderen Themen wiederum eine größere (vgl. hierzu etwa LeDuc 2002).
Beispielsweise eignen sich Themen wie Ausländerpolitik oder Innere Sicherheit oder
Terrorbekämpfung sehr gut für emotionalisierende Kampagnen, sei es bei Wahlen oder
bei Abstimmungen. D.h. letztlich bleibt es eine empirische Frage, welchen Einfluss
Emotionen für Urteilsbildung bei Abstimmungen haben.
4
Forschungsfragen und Methode
Aufbauend auf diesen Überlegungen und in Anlehnung an frühere Studien zur Rolle von
Affekten bei Wahlen, wurde eine Panelbefragung durchgeführt. Die Befragung fand im
Rahmen einer Kampagne im Jahr 2006 in der Schweiz statt, bei der es um die
Abstimmung über die Verschärfung des Asylgesetzes ging. Genauer gesagt, sah ein
Gesetzesvorschlag eine Verschärfung des Asylgesetzes vor, gegen den die Gegner
insbesondere aus der politischen Linken das Referendum ergriffen (vgl. zur
Koalitionsbildung
im Detail
Kriesi/Bernhard/Hänggli
2008).
Dabei
umfasste die
Gegnerschaft der Asylgesetzverschärfung sowohl die politische Linke (SP, Grüne),
Kirchen, Menschenrechtsorganisationen als auch Intellektuelle aus Kunst und Literatur.
Die bürgerlichen und konservativen Parteien (CVP, SVP, FDP) waren mehrheitlich für
eine Verschärfung des Asylgesetzes.
Um die Bedeutsamkeit des Emotionseinflusses bemessen zu können, ist ein
Vergleich zu anderen Einflussgrößen notwendig. In den Studien von Abelson und
Kollegen (1982) oder auch Nachfolgestudien wird in der Regel getestet wie stark der
Emotionseinfluss im Vergleich zu kognitiven Bewertungen, z.B. Kompetenzbewertungen
bei Kandidaten oder die Zustimmung zu Argumenten bei Themeneinstellungen .In der
vorliegenden Studie wird daher die Forschungsfrage untersucht, welchen Einfluss
affektive im Unterschied zu kognitiven Faktoren auf die Einstellung zum Asylgesetz
haben.
Da
bei
Abstimmungskampagnen
konkrete
Problemlösungsstrategien
im
Mittelpunkt stehen, sind Gegner und Befürworter in der Kampagne darum bemüht, Pround Contra-Argumente zu vermitteln, um das Stimmvolk zu überzeugen. Argumente
sollen Stimmbürgerinnen und –bürger kognitiv ansprechen und überzeugen. Daher kann
man die für die Kampagne wichtigen Argumente als kognitive Aspekte oder Bewertungen
verstehen, die im Unterschied zu affektiven Faktoren, die Einstellung beeinflussen
sollten. Außerdem wurde in einer zweiten Forschungsfrage untersucht, wie sich diese
Einflüsse im Verlauf der Kampagne ändern.
4.1
Stichprobe und Durchführung der Befragung
Die Abstimmung über das Asylgesetz fand am 24. September 2006 statt. Die
Asylgesetzverschärfung
wurde
von
67,8%
der
Stimmbürgerinnen
und
–bürger
gutgeheißen. Die erste von drei Wellen der Panelbefragung dauerte von 4. bis zum 20.
Juli 2006, die zweite vom 28. August bis 2. September 2006, und die letzte Welle folgte
direkt im Anschluss an die Abstimmung (d.h. vom 25. bis 30. September 2006). Die
zweite
Befragungswelle
wurde
kurz
vor
den
Zeitpunkt
gelegt,
zu
dem
die
Abstimmungsunterlagen verschickt wurden. Damit sollte sichergestellt werden, dass die
Befragten nicht schon per Briefpost abgestimmt haben. Die Stichprobe umfasste in der
Schweiz Stimmberechtigte und ist repräsentativ für die deutsch- und französischsprachige Schweiz. Die erste Welle umfasste 1725 realisierte Interviews, die zweite 1415 und
die dritte 1094.
Die vorliegende Analyse basiert auf den Daten von Befragten, die zu allen drei
Zeitpunkten befragt werden konnten. Aufgrund von fehlenden Werten bei einigen Fragen
reduzierte sich das Sample auf letztlich 1037.
4.2
Messung
Um den Emotionseinfluss für die Einstellungsbildung zu erheben, wurden positive und
negative Emotionen gegenüber Asylbewerbern abgefragt. Als negative Emotionen
gegenüber Asylbewerbern wurden drei Items gewählt: Angst, Ärger und Unbehagen
(Cronbachs α = .73 in Welle 1, .76 in Welle 2 und .78 in Welle 3). Als positive Emotionen
wurden ebenfall drei Items abgefragt: Freude, Hoffnung und Stolz (Cronbachs α = .72 in
Welle 1, .78 in Welle 2 und .79 in Welle 3).
Eine
konfirmatorische
Faktoranalyse
belegte
die
Zweidimensionalität
des
Konstruktes. Analog wurden kognitive Bewertungen im Zusammenhang mit der
Asylgesetzverschärfung erhoben. Die kognitiven Bewertungen umfassten die in der
Kampagne wichtigen Argumente. Diese wurden aus dem Kampagnenmaterial von
Gegnern und Befürwortern sowie aus ersten Medienberichten zum Thema extrahiert und
in einer ersten Studie (repräsentative Befragung in der Deutschschweiz, Juni 2006, N =
500) getestet. Als positive Kognitionen werden die wichtigsten Argumente der Gegner
der Asylgesetzverschärfung bezeichnet. Diese drehten sich um Menschenrechtsschutz
für Asylbewerber und die Wahrung der humanitären Tradition der Schweiz. Die positiven
Kognitionen wurden mit drei Items gemessen (z.B. „Die Grundrechte der Asylbewerber
müssen geschützt werden“, Cronbachs α = .61 in Welle 1, .65 in Welle 2 und .68 in Welle
3). Negative Kognitionen bezogen sich auf die Argumente der Befürworter einer
Verschärfung. Dabei argumentierten die Befürworter mit einer Effizienzsteigerung bzw.
Missbrauchsbekämpfung. Zur Messung wurden drei Items abgefragt (z.B. „In der
Asylpolitik braucht es einen effizienteren Vollzug“, Cronbachs α = .73 in Welle 1, .77 in
Welle 2 und .82 in Welle 3). Auch hier bestätigt eine konfirmatorische Faktoranalyse die
Zweidimensionalität
des
Konstrukts.
Die
Items
zu
affektiven
und
kognitiven
Einflussgrößen wurden auf fünfstufigen Ratingskalen abgefragt (1 „stimme voll und ganz
zu bis 5 „stimme überhaupt nicht zu“).
Als Kontrollvariablen wurden erhoben: Geschlecht (52% weiblich), Alter (M = 48.18,
SD = 17.11), Bildung (höchster Bildungsabschluss, 68% keine (Fach-)Hochschulreife),
Links-Rechts-Selbsteinschätzung (zehnstufige Skala von 1 „links“ bis 10 „rechts) und
allgemeines politisches Interesse („Wie interessiert sind Sie eigentlich im Allgemeinen an
der Politik?“ 1 „überhaupt nicht interessiert“ bis 4 „sehr interessiert“). Als zentrale
abhängige Variable wurde die Einstellung zum Asylgesetz mit einem Item erhoben („Ich
bin für eine Verschärfung der Asylpolitik in der Schweiz“, 1 „stimme überhaupt nicht zu“
bis 10 „stimme voll und ganz zu“). Die Kontrollvariablen wurde nur zum ersten
Messzeitpunkt erhoben, alle anderen Variablen zu allen drei Wellen.
5
Ergebnisse der Panelstudie
Um den affektiven im Unterschied zum kognitiven Einfluss auf die Einstellung zum
Asylgesetz zu analysieren, wurde für alle drei Befragungswellen separat eine
schrittweise Regression gerechnet. In einem ersten Schritt wurde die Einstellung auf die
Kontrollvariablen regrediert, dann auf die kognitiven Bewertungen und schließlich auf die
affektiven Faktoren. Die Ergebnisse sind in der folgenden Tabelle dargestellt (Tabelle 1).
Erstens zeigt sich, dass die Kontrollvariablen über alle Befragungswellen einen
Erklärungsanteil von 26% an der Varianz der Einstellung haben. Bildung und LinksRechtsselbsteinschätzung sind signifikante Prädiktoren der Einstellung zum Asylgesetz.
D.h. Befragte mit niedrigeren Bildungsgraden und solche, die sich weiter rechts im
politischen Spektrum einordnen, sind für eine Verschärfung des Asylgesetzes. Die
weiteren Kontrollvariablen sind nicht signifikant mit der Einstellung zum Asylgesetz
assoziiert.
Tabelle 1
Einfluss von Emotionen, Kognitionen und Kontrollvariablen auf die
Einstellung zum Asylgesetz (schrittweise Regression, unstandardisierte Regressionskoeffizienten,
Standardfehler in Klammern)
Einstellung zur Asylgesetzverschärfung
Welle 1
Welle 2
Welle 3
-.06 (.12)
.02 (.13)
.10 (.13)
.00 (.01)
.00 (.01)
-.00 (.01)
-.10** (.02)
-.11** (.02)
-.09** (.02)
Links-Rechts-Selbstein- schätzung.22** (.03)
.25** (.04)
.23** (.03)
-.05 (.01)
.02 (.09)
.05 (.09)
.26**
.26**
.26**
Negative Kognitionen
1.39** (.08)
1.25** (.08)
1.35** (.08)
Positive Kognitionen
-.58** (.08)
-.54** (.09)
-.58** (.09)
.29**
.25**
.27**
Negative Emotionen
.44** (.07)
.32** (.07)
.35** (.07)
Positive Emotionen
-.22** (.05)
-.21** (.08)
-.14** (.08)
.02**
.01**
.01**
.57
.52
.54
Einflussfaktoren
Block 1: Kontrollvariablen
Geschlecht
Alter
Bildung
Politisches Interesse
∆R2
Block 2: Kognitionen
∆R2
Block 3: Affekte
∆R2
Korr. R2
N=
Der zweite wichtige Befund bezieht sich auf den Einfluss von positiven und negativen
Kognitionen, d.h. die Zustimmung zu Pro- und Contra-Argumenten. Positive und negative
Kognitionen zusammen machen einen ähnlich großen Erklärungsanteil aus wie die
Kontrollvariablen. Je grösser die Zustimmung zu Argumenten der Verschärfungsbefürworter (negative Kognitionen), desto eher sind die Befragten für die Asylgesetzverschärfung. Umgekehrt führt die Zustimmung zu den Argumenten der Verschärfungsgegner
(positive Kognitionen) zu einer Ablehnung der Asylgesetzverschärfung. Im Vergleich
zeigt sich, dass negative Kognitionen die Einstellung zum Asylgesetz stärker
beeinflussen als positive. Über alle Wellen hinweg ist der Erklärungsanteil der negativen
Kognitionen mehr als doppelt so groß verglichen mit dem Erklärungsanteil der positiven
Kognitionen. Hier zeigt sich ein allgemeiner Negativity Bias (z.B. Baumeister u.a. 2001),
d.h. negative Aspekte wiegen schwerer als positive.
Im dritten Block wurde die Einstellung auf positive und negative Emotionen
regrediert. Im Ergebnis wird ein signifikanter Affekteinfluss auf die Einstellung zum
Asylgesetz deutlich. D.h. affektive Einflüsse leisten einen Erklärungsbeitrag von 1 bis 2%
an der Varianz der Einstellung zum Asylgesetz. Dieser Erklärungsbeitrag ist dabei
unabhängig vom Einfluss von Kognitionen und Kontrollvariablen. Betrachtet man die
Affekteinflüsse
genauer,
wird
deutlich,
dass
negative
Emotionen
gegenüber
Asylbewerbern die Präferenz für eine Asylgesetzverschärfung verstärken. Umgekehrt
schwächen positive Emotionen die Präferenz für eine Asylgesetzverschärfung ab. Dabei
fällt wiederum auf, dass der negative Effekt stärker ist als der positive. D.h. über alle
Befragungswellen sind negative affektive Einflüsse auf die Einstellung deutlich stärker als
positive affektive Einflüsse.
Zunächst könnte man nun annehmen, dass dieser zwar signifikante, aber geringe
Einfluss von Emotionen auf die Einstellung zum Asylgesetz vernachlässigbar sei.
Allerdings handelt es sich bei dieser Analyse um einen sehr konservativen Test, da nur
der Affekteinfluss auf die Einstellung ausgewiesen wird, der unabhängig von
Kontrollvariablen und kognitiven Einflüssen ist. Vernachlässigt wird dabei also der
Affekteinfluss, der im Zusammenspiel mit kognitiven Faktoren auf die Einstellung wirkt.
Rechnet man dieselbe Regression wie zuvor und bezieht die affektiven Einflüsse als
zweiten Block ein und die kognitiven im dritten Block, zeigt sich ein etwas anderes Bild
(siehe Tabelle 2). Der Emotionseinfluss, der nach Kontrolle von demographischen
Variablen nachweisbar ist, ist erheblich grösser und beläuft sich auf 12 bis 16% erklärte
Varianz an der Varianz der Einstellung zum Asylgesetz. D.h. es gibt affektive Einflüsse,
die sich indirekt im Zusammenspiel mit kognitiven Einflüssen auf die Einstellung zum
Asylgesetz auswirken und durch die erste Analyse aber verdeckt und damit unterschätzt
wurden.
Betrachtet man zusätzlich die Veränderung der affektiven und kognitiven Einflüsse
über die drei Befragungswellen, fällt Folgendes auf: Von der ersten zur zweiten Welle
geht der Einfluss von negativen Kognitionen wie auch von negativen Affekten auf die
Einstellung zurück. Bei den negativen Affekten gegenüber Asylanten bleibt dann der
Einfluss auf die Einstellung auf dem Niveau der zweiten Welle, während der Einfluss von
negativen Kognitionen von der zweiten zur dritten Welle wieder auf das Ausgangsniveau
steigt. Bei positiven Emotionen wie Kognitionen zeigen sich weniger deutliche
Veränderungen. Da die vorliegende Analyse lediglich statischen Charakter hat, wurde mit
Hilfe eines Strukturgleichungsmodells überprüft, inwiefern sich die Einflüsse von
Kognitionen und Emotionen auf die Einstellung über die Zeit verändern.2 In dieser
Analyse stellt sich heraus, dass negative Kognitionen sich in ihrer Erklärungskraft in
Bezug auf die Einstellung von der ersten zur zweiten Welle abschwächen, dann in der
dritten Welle stabil bleiben.
2
Die Modellierung beschränkte sich dabei auf negative Kognitionen und Emotionen ohne
Berücksichtigung von positiven Emotionen und Kognitionen. Erstens liefern positive Emotionen
und Kognitionen einen geringeren Erklärungsbeitrag für die Einstellung. Zweitens finden sich kaum
bedeutsame Änderungen positiver Emotionen und Kognitionen im Zeitverlauf. Daher wurde auch
aus modellökonomischen Gründen bei der Strukturgleichungsmodellierung (autoregressives fixedeffects Modell) darauf verzichtet. Gleichwohl wurden dieselben Kovariaten als zeitinvariante
Prädiktoren einbezogen.
Tabelle 2
Einfluss von Emotionen, Kognitionen und Kontrollvariablen auf die Einstellung zum
Asylgesetz (schrittweise Regression, unstandardisierte Regressionskoeffizienten, Standardfehler
in Klammern)
Einstellung zur Asylgesetzverschärfung
Welle 1
Welle 2
Welle 3
Geschlecht
-.06 (.12)
.02 (.13)
.10 (.13)
Alter
.00 (.01)
.00 (.01)
-.00 (.01)
Bildung
-.10** (.02)
-.11** (.02)
-.09** (.02)
Links-Rechts-Selbsteinschätzung
.22** (.03)
.25** (.04)
.23** (.03)
Politisches Interesse
-.05 (.01)
.02 (.09)
.05 (.09)
.26**
.26**
.26**
Negative Emotionen
.44** (.07)
.33** (.07)
.35** (.07)
Positive Emotionen
-.22** (.05)
-.21** (.08)
-.14** (.08)
.16**
.12**
.13**
Negative Kognitionen
1.39** (.08)
1.26** (.08)
1.35** (.08)
Positive Kognitionen
-.58** (.08)
-.54** (.09)
-.58** (.09)
.15**
.14**
.15**
.57
.52
.54
Einflussfaktoren
Block 1: Kontrollvariablen
∆R2
Block 2: Affekt
∆R2
Block 3: Kognitionen
∆R2
Korr. R2
N=
Die negativen Emotionen verändern sich im Zeitverlauf jedoch nur tendenziell in
ihrem Einfluss auf die Einstellung. Diese Veränderungen insbesondere des kognitiven
Einflusses kann man mit Blick auf den Kampagnenverlauf in der Medienberichterstattung
interpretieren. Die dreiwellige Befragungsstudie wurde begleitet von einer Inhaltsanalyse
der Kampagnenberichterstattung sowie einer Befragung von politischen Akteuren, die für
die Kampagnen der jeweiligen Lager verantwortlich waren (vgl. hierzu Kriesi/Bernhard/Hänggli 2008). Insbesondere die Inhaltsanalyse macht deutlich, dass zu
Beginn der Kampagne, d.h. zwischen den ersten beiden Befragungswellen, die Gegner
der Asylgesetzverschärfung die Kampagne dominierten. Obwohl die Befragten bei der
ersten Befragungswelle noch kaum wussten, dass sie im September über die
Asylgesetzverschärfung abzustimmen hatten, war der Grossteil der Bevölkerung sehr
stark für eine Verschärfung. Diese Präferenz wurde jedoch durch das Ausmaß der
Kampagne der Verschärfungsgegner abgemildert. Der Kampagneneinfluss scheint also
die Zustimmung zu den Argumenten, die für die Verschärfung sprechen und zumindest
auch in der Tendenz die negativen Emotionen gegenüber Asylbewerbern abgeschwächt
zu haben. In der zweiten Phase der Kampagne traten dann auch vermehrt die
Befürworter der Asylgesetzverschärfung auf den Plan. D.h. in dieser Situation war das
Stimmvolk nicht mehr primär den Argumenten der Gegner ausgesetzt, sondern einen
zweiseitigen Kommunikation.
Die Hauptargumente der Gegner der Verschärfung bezogen sich auf den
Menschenrechtsschutz für Asylbewerber sowie die Wahrung der humanitären Tradition
der Schweiz. Die Hauptargumente der Befürworter waren zunächst auf Effizienzsteigerung und Missbrauchsbekämpfung im Asylwesen fokussiert. Allerdings zeigt die
Inhaltsanalyse auch, dass die Befürworter im Verlauf der Kampagne die Argumentation
der Gegner aushebelten. Dies geschah insbesondere dadurch, dass sie in ihrer
Argumentation versicherten, die Asylgesetzverschärfung stehe im Einklang mit den
Menschenrechten und der humanitären Tradition.
Während also in der ersten Phase der Asylgesetzkampagne die Stimmbürgerinnen
und –bürger unter dem Kampagneneinfluss der Gegner ein „schlechtes Gewissen“
haben
mussten
angesichts
ihrer
anfänglich
ausgeprägten
Präferenz
für
eine
Verschärfung, wurde ihr Gewissen durch diese Argumentation der Verschärfungsbefürworter in der zweiten Phase entlastet. D.h. die Befürworter lieferten das Argument, dass
es dem Stimmvolk erlaubte, zu seiner ursprünglichen Befürwortung der Verschärfung zu
stehen. Ob dies nun tatsächlich diejenigen Einflüsse waren, die für das Muster der
vorliegenden Ergebnisse ursächlich waren, kann an dieser Stelle jedoch nicht
abschließend belegt werden. Dazu sind weiterführende Medienwirkungsanalysen
notwendig.
6
Diskussion
Die vorliegende Studie belegt erstmals den Einfluss von Emotionen auf politische
Einstellungen in Abstimmungskampagnen. Sie ist darüber hinaus eine der wenigen
Studien,
die
Affekteinflüsse
über
den
Verlauf
einer
Kampagne
analysiert.
Zusammenfassend zeigt sich, dass positive wie negative Affekte die Einstellung zum
Asylgesetz beeinflussen. Der um Einflüsse aus Kontrollvariablen und Kognitionen
bereinigte affektive Einfluss ist dabei eher gering. Nun könnte man diesen geringen
Einfluss darauf zurückführen, dass Argumente oder Issues die Währung von
Abstimmungen sind und affektive Aspekte oder Image-Aspekte bei Wahlen. Diese
Annahme greift jedoch aus zwei Gründen zu kurz: Erstens zeigt eine Reihe von Studien
ebenfalls nur geringe Emotionseinflüsse selbst wenn es um Wahlen und damit
Personalentscheidungen geht. Zum Beispiel ist der Anteil erklärter Varianz an der
Kandidatenpräferenz bei Marcus und MacKuen (1993) mit 2% ähnlich gering. Bei
Abelson und Kollegen (1982) findet man ebenfalls geringe Erklärungsanteile von
affektiven Bewertungen bei einigen Kandidaten. Der geringe Erklärungsanteil von
Emotionen an politischen Einstellungen scheint also kein Spezifikum zu sein, das nur bei
Wahlen Gültigkeit hat. Wichtig ist aber zu beachten, dass bei der vorliegenden Studie nur
Emotionen gegenüber Asylbewerbern berücksichtigt wurden. In dieser Kampagne mag
es aber weitere Auslöser für emotionale Reaktionen gegeben haben, z.B. Empörung
darüber, wie die Proponenten der Asylgesetzverschärfung Asylbewerber behandeln,
Ärger über die gegnerische Kampagne oder Frustration über den Schlagabtausch der
Kontrahenten in der Kampagne. Diese Emotionseinflüsse treten vermutlich ebenfalls auf
und wirken sich auf die Einstellung zum Thema aus. Diese affektiven Einflüsse konnten
jedoch nicht berücksichtigt werden.
Es gibt jedoch einen zweiten Grund für die geringe Erklärungskraft von emotionalen
Einflüssen auf die Einstellung zum Asylgesetz. In der zweiten Analyse, in der affektive
Einflüsse vor den kognitiven zur Vorhersage der Einstellung berücksichtigt wurden,
zeigte sich, dass beide Faktoren sich zum Teil überlagern. D.h. affektive und kognitive
Anteile sagen zu einem gewissen Teil denselben Anteil der Varianz der Einstellung zum
Asylgesetz. Dies deutet darauf hin, dass Affekte und Kognitionen zwar analytisch
trennbar sind, empirisch aber Korrelationen auftreten, die dafür verantwortlich sind, dass
Affekte und Kognition denselben Anteil erklärter Varianz an der Einstellung von
Stimmbürgerinnen und –bürgern aufweisen. Dieser Befund kann zweierlei bedeuten:
Einerseits ist es wahrscheinlich, dass die Befragten auf bestimmte Argumente auf eine
bestimmte Weise emotional reagieren. Andererseits dürften bei Befragten spezifische
Argumente salient werden, wenn diese bestimmte emotionale Reaktionen gegenüber
Asylbewerbern verspüren. Beide Effekte sind aus der experimentellen Forschung zu
Affekteinflüssen auf politische Urteile bekannt.
Beispielsweise zeigt eine Reihe von Studien, dass bei Personen, die negative
Emotionen gegenüber Ausländern verspüren, auch eher negative Kognitionen mental
verfügbar und abrufbar sind, wenn sie ihre Einstellung kundtun (Forgas 1995).
Umgekehrt lässt sich zeigen, dass bei der Konfrontation mit bestimmten Argumentationsmustern bestimmte Emotionen auftreten. Werden beispielsweise im Verlaufe einer
Kampagne Ausländer als Kriminelle dargestellt, die missbräuchlich Asyl erhalten haben,
dürfte dies die Entstehung negativer Emotionen, wie Angst oder Ärger befördern (vgl. für
ähnliche Befunde Gross/d’Ambrosio 2004; Igartua u.a. 2007; Montada/Schneider 1989).
Die Befunde der vorliegenden Untersuchung lassen solche Annahmen plausibel
erscheinen, allerdings unter anderem Vorzeichen. Die Kampagne der Gegner stellte
Asylbewerber als Schutzbedürftige dar und löste vermutlich mit ihrer Kampagne eher
Mitleid aus. Die Empfindung von Mitleid mit den Asylbewerbern dürfte maßgeblich dazu
beigetragen haben, dass der Einfluss negativer Emotion und Kognitionen auf die
Einstellung von der ersten zur zweiten Befragungswelle zurückgegangen ist. Darüber
hinaus geben die längsschnittlichen Befunde Hinweise auf Kampagnenwirkungen, die in
vertiefenden Medienwirkungsanalysen überprüft werden könnten. Es zeigt sich, dass die
kognitiven und affektiven Einflüsse auf die Einstellung zum Asylgesetz im Laufe der
Kampagne in ihrer Stärke schwanken. Dies deutet auf die Wirkung der Kampagnenkommunikation der Befürworter wie auch der Gegner der Asylgesetzverschärfung hin.
Dabei ist die vorliegende Analyse auf Einflüsse auf Einstellungen der Befragten im
Aggregat beschränkt. Unberücksichtigt bleiben etwa individuelle Kampagneneinflüsse bei
anfänglichen Befürwortern bzw. Gegnern der Abstimmungsvorlage, die sich bei der
Analyse von aggregierten Daten gegenseitig aufheben. Diese Einflüsse könnten
ebenfalls in entsprechenden Analysen untersucht werden.
Letztlich belegt die vorliegende Studie, dass affektive Einflüsse für politische
Einstellungen und Präferenzen auch in direktdemokratischen Kampagnen bedeutsam
sind. Oft werden diese Emotionseinflüsse aber auch als wenig wünschenswert, erratisch
oder irrational abgetan (vgl. hierzu etwa Marcus 2002). Dies kann man als die
dysfunktionale Perspektive auf die Rolle von Emotionen bei der politischen Urteilsbildung
verstehen. Im Unterschied dazu geht eine funktionale Perspektive hingegen davon aus,
dass emotionale Reaktionen bei politischen Entscheidungen wichtige Funktionen für das
Individuum erfüllen: Emotionale Reaktionen im Zusammenhang mit einem spezifischen
politischen Thema können das Individuum zum einen darüber informieren, ob eine
bestimmte Situation oder ein Einstellungsobjekt positiv oder negativ für das Individuum
ist. Darüber hinaus haben Emotionen eine motivationale und handlungsvorbereitende
Funktion (vgl. hierzu Keltner & Haidt 1999). Ob eine solche Handlung allerdings
ausgeführt wird, hängt vom Ausmaß der kognitiven Kontrolle von Individuen ab.
Dementsprechend sind affektive Reaktionen nicht einfach „irrationale“ Reaktionen
von Individuen, die wenig über das Thema wissen und sich durch emotionale Appelle in
der Kampagne lenken lassen. Erstens erweisen sich affektive Einflüsse als weniger
volatil als kognitive und sind damit vermutlich doch nicht so leicht durch eine Kampagne
zu beeinflussen. Zweitens, wie Zusatzauswertungen zur vorliegenden Studie nahe legen,
ist der Affekteinfluss auf die Einstellung keine Funktion des Wissens über die Kampagne,
der Bildung oder der Parteineigung. Drittens deuten die Korrelationen zwischen Affekten
und Kognitionen darauf hin, dass aus beiden Reaktionen gleichgerichtete Einflüsse auf
Einstellungen resultieren. Herrscht allerdings Inkonsistenz zwischen kognitiven und
affektiven Bewertungen im Hinblick auf ein Einstellungsobjekt, dann dürfte der affektive
Einfluss in seiner Bedeutung steigen. Dies haben beispielsweise Kepplinger und Maurer
(2005) im Zusammenhang mit der Präferenz für Schröder nachgewiesen.
7
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