Netzwerke und Netzwerkentwicklung

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Fachhochschule Köln
Forschungsschwerpunkt
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Herbert Schubert
SOZIAL RAUM MANAGEMENT
Schubert/SRM
Netzwerke und
Netzwerkentwicklung
Einführung zum Workshop unter der
Frage:
Wie können Zuwanderer-Communities
in den bestehenden Netzwerken auf
kommunaler und Landesebene
partizipieren?
Interkultureller Tag, LSB Hessen, 29.09.2003
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1. Einleitung
Warum ist das Thema „Netzwerke“ für den Interkulturellen Tag im Landessportbund
Hessen eigentlich interessant? Das hängt mit den Veränderungen unserer Gesellschaft
zusammen. Unter den Schlagworten „Enttraditionalisierung“ und „Individualisierung“ hat
sich in den vergangenen Jahren die Einsicht verbreitet, dass institutionelle Bindungen
(wie Kirchen, Gewerkschaften u.ä.) in den westeuropäischen Staaten an Bedeutung
verlieren und jede/r Einzelne ihren bzw. seinen Weg in der Gesellschaft finden muss. In
der so genannten „offenen Netzwerkgesellschaft“ findet Integration deshalb immer mehr
über Beziehungen und immer weniger über institutionelle Zugehörigkeit statt.
Viele Zuwanderer kommen aus Ländern und Kulturen, wo die Gesellschaft noch
hierarchisch und institutionell organisiert ist. Ihre Netzwerke sind stark familienzentriert;
den in Deutschland verbreiteten außerfamiliären Beziehungsnetzen von Parteien,
Vereinen und Verbänden stehen sie deshalb oft relativ skeptisch und verschlossen
gegenüber.
Folglich steht hier heute die Frage im Mittelpunkt, ob der Sport und insbesondere die
Sportvereine einen Brückenschlag leisten können, um die Netzwerke der Einheimischen
mit den Beziehungskreisen von Zuwanderer-Communities zu verbinden.
Zum Autor: Herbert Schubert, Dr. phil. Dr. rer. hort. habil., Professor an der Fachhochschule
Köln, Fakultät für Angewandte Sozialwissenschaften, Forschungsschwerpunkt SOZIAL RAUM
MANAGEMENT, Mainzer Str. 5, 50678 Köln
E-Mail: [email protected]
URL http://www.sozial-raum-management.de
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Über welche Netzwerke reden wir ?
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Natürliche Netzwerke
Soziale Ressourcen
Primäre
Sekundäre Netzwerke
Netzwerke
Nicht
organisiert
Gering
organisiert
Informelle Kreise Kleine Netze
z.B. Familie
Verwandte
Freunde/-innen
Kollegen/-innen
©
Strukturelle Ressourcen
Tertiäre Netzwerke
Professionelle / Intermediäre Akteure
Stark
organisiert
Gemeinnützig
Dritter Sektor
Märkte
Größere Netze
Laiendienste
NonprofitKooperation
Marktbezogene
Kooperation
z.B. Akteure im
Stadtteil / Raum
(Kultur, Jugendhilfe etc)
z.B. Produktionsnetz Automobilindustrie, Händlerverbund / verein
z.B. Selbsthilfez.B. Vereine,
kreise, NachOrganisationen
barschaftsnetze,
Vereinsfreunde
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Künstliche Netzwerke
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2. Arten von Netzwerken
Über welche Netzwerke reden wir hier? Es gibt nämlich nicht nur einen einzigen Typ von
Netzwerk, sondern im Gegenteil verschiedene Netzwerkarten, die aus unterschiedlichen
Beziehungsformen resultieren. Im Allgemeinen wird zwischen „natürlichen“ und
„künstlichen Netzwerken“ unterschieden:
In den natürlichen Netzen werden überwiegend soziale Ressourcen gebündelt; sie
beginnen bei unserem primären Beziehungssystem, das nicht organisiert ist und einen
informellen Charakter aufweist. Die Familie, der Freundeskreis und vertraute
Kollegencliquen sind hier besonders zu nennen, bei denen die Funktionen Vermittlung
von Gefühlen, Aufbau von Vertrauen und Mobilisierung von Hilfe und Unterstützung
eine Rolle spielen. Daneben gehören die sekundären Netzwerke zu den natürlichen
Verflechtungen: Die Grundlage der Vernetzung bilden die Zugehörigkeit (z.B. zur
Nachbarschaft) oder die Mitgliedschaft (z.B. Initiative oder Verein).
Dem gegenüber stehen die künstlichen Netzwerke, in denen überwiegend professionelle
Ressourcen gebündelt werden. Sie werden häufig auch als tertiäre Netzwerke bezeichnet
und sind in der Regel in zwei Ausprägungen vorzufinden: Einerseits geht es um
marktbezogene Kooperationen, wie sie in Produktionsnetzen von Automobilunternehmen
und ihren Zulieferern zur Anwendung kommt. Andererseits handelt es sich um
professionell begründete Vernetzungen im gemeinnützigen Dritten Sektor wie z.B. ein
Stadtteilnetzwerk von sozialen Infrastruktur-Einrichtungen. In künstlichen Netzwerken
wird insbesondere die Übertragung von Informationen, die Möglichkeit zur Bildung von
Koalitionen und zur Koordination von Aktivitäten gesucht.
Im Blickpunkt des LSB Hessen auf der einen Seite und von Zuwanderer-Communities
auf der anderen Seite stehen die sekundären Netzwerke, die Sportvereine in ihren
Kommunen bilden, aber auch das tertiäre Netzwerk, das Sportverbände als Lobby – zur
Verfechtung von Interessen – überregional über ein Bundesland spannen.
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Was leistet ein Netzwerk ?
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Aktivierung von
Potenzialen
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Zugänge
Sozialkapital
(soziale
Ressourcen)
Tauschanreize
Vertrauen
Gemeinsame
Werte
Identität
Integration
Aus: H. Schubert, D. Fürst, A. Rudolph, H. Spieckermann: Regionale Akteursnetzwerke. Analysen zur Bedeutung der Vernetzung am Beispiel der Region
Hannover. Leske+Budrich: Opladen, 2001
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3. Leistungen von Netzwerken
In der Abbildung wird das Akteursnetzwerk gezeigt, das wir in einer Stadtregion
untersucht haben . Warum lassen sich Akteure auf diese Beziehungen ein? Das besondere
Kennzeichen der Verbindung zwischen Akteuren besteht darin, dass eine gegenseitige
Beeinflussung und Unterstützung stattfindet.
Jeder Akteur im Netzwerk ist „teilautonom“; d.h. er ist weder unabhängig (wie im
Marktmodell) noch einseitig abhängig (wie im Modell der Hierarchie), sondern befindet
sich in wechselseitiger Abhängigkeit. Die Beziehungen zeichnen sich durch
Gegenseitigkeit aus und eröffnen zahlreiche Zugänge zu anderen Akteuren. Als
Potenziale können sie flexibel in die eine oder andere Richtung aktiviert werden. Dies
eröffnet eine Vielzahl von Wegen, an Informationen und Güter zu kommen, über die man
selbst nicht verfügt.
Die Tauschmöglichkeiten machen den Anreiz aus. Um die Eigenschaften, an denen die
anderen Akteure interessiert sind, in Anspruch nehmen zu können, wird der
Netzwerkmechanismus des so genannten “Sozialkapitals” genutzt. Es ist nicht an den
einzelnen Akteur gebunden, sondern resultiert aus den Beziehungen zwischen den
Akteuren. Die sozialen Beziehungen nehmen dabei selbst den Charakter von Vermögen
an: Wenn A etwas für B tut und in B das Vertrauen setzt, dass B in Zukunft eine
Gegenleistung erbringen wird, wird in A eine Erwartung hervorgerufen und für B eine
Verpflichtung geschaffen, das Vertrauen zu rechtfertigen. Diese Verpflichtung hat den
Charakter einer “Gutschrift”. Besitzt A eine Anzahl dieser Gutschriften von einer Anzahl
von Akteuren, ist eine direkte Analogie zu Finanzkapital hergestellt.
Im Netzwerk bildet sich ein Zusammenhalt heraus, weil die Akteure gemeinsame
Grundüberzeugungen in der Form von Leitwerten entwickeln. Daraus entsteht die
Identität eines „Wir“-Gefühls. So betrachtet sind Netzwerke der zentrale
Integrationsmechanismus, um an der Gesellschaft partizipieren zu können.
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Weitmaschige Netzwerke
z.B. interkulturelle Fragmentierung
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Isolierte
Milieus
Strukturelle
Löcher
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4. Zur Struktur von Netzwerken
Die Integrationskraft von Netzwerken ist hoch, wenn sie polyzentrisch strukturiert sind,
also nicht nur ein, sondern mehrere Zentren haben, wenn sie also durch Überlappungen
von Beziehungen mehrere kleine homogene Vernetzungen heterogen verknüpfen.
Folgende Bedingungen sind dabei bedeutsam: (1) Netzwerke müssen direkt und indirekt
Akteure verbinden, die bisher nicht verbunden waren. (2) Zwischen den Akteuren soll
eine zielgesteuerte Kommunikation und ergebnisbezogene Solidarität stattfinden. (3) Und
schließlich erfordert die Teilnahme an einem Netzwerk die partielle Unterordnung unter
kollektive Ziele und damit die Einschränkung der individuellen Autonomie.
Das Nebeneinander von kleinen Netzwerken, die sich nur wenig oder gar nicht
überlappen, führt zu „strukturellen Löchern“. Es ist vergleichbar mit einem
weitmaschigen Einkaufsnetz, durch das alle Einkäufe durchrutschen. In solchen Fällen
wird das Integrationsziel verfehlt. Bezogen auf Einheimische und ZuwandererCommunities würde so eine Struktur zu interkultureller Fragmentierung führen. Das
heißt: Jede Community bildet ein isoliertes Milieu, ohne integrierende Vernetzungen mit
anderen Milieus. Sowohl die Einheimischen als auch die Zuwanderer pflegen dabei nur
im eigenen Milieu Kontakte. Der Soziologe Norbert Elias hat solche sozialen
Schließungen und Abgrenzungen als „Etablierten-Außenseiter-Figuration“ bezeichnet.
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Engmaschige Netzwerke
z.B. interkulturelle Verflechtung
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Verbindende
‚Gatekeeper‘
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Was können die Sportvereine und die Communities von Migranten zur Überbrückung
einer löchrigen und fragmentierten Netzwerkstruktur tun? Sie brauchen „Gatekeeper“,
d.h. ‚Türhüter‘, die den Zugang zu ihren Netzwerken öffnen und als verbindende Brücke
dienen. Dann kann in der interkulturellen Verflechtung ein engmaschiges Netzwerk
entstehen.
Dabei sollten wir erst einmal den Blick auf die Ebene der sekundären Netzwerke
beschränken, um zu klären, was die Vereine dazu beitragen können. Wenn wir zum
Beispiel an Kinder und Jugendliche denken, dann kommt es darauf an, aus deren Umfeld
Schlüsselpersonen als ‚Gatekeeper‘ zu gewinnen: etwa Vater und Mutter, Meinungsführer
aus der Gleichaltrigengruppe, Kindergärtnerinnen und Lehrkräfte der Schulen,
Funktionäre von Kultur- und Migrantenvereinen oder Vertretungen von
Ausländerbeiräten.
Dies wird die Aufgabe des nun folgenden Workshops sein.
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Leitfragen für den Workshop
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Zur Vernetzung durch die örtlichen Vereine
„ Wer können die ‚Gatekeeper‘ vor Ort sein?
„ Was müssen sie tun, damit sich die Sportvereine
den Zuwanderer-Communities öffnen?
„ Was müssen sie tun, damit sich die Familien mit
ausländischer Herkunft für die lokalen Sportklubs
öffnen?
„ Was können die Migrantenorganisationen tun,
um den Kontakt zu den örtlichen Vereinen zu
fördern?
„ Mit welchen Maßnahmen soll es losgehen?
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5. Leitfragen für den Workshop
Im Hinblick auf die Vernetzungsaufgaben der örtlichen Vereine stellen sich
folgende Fragen:
1. Wer können die ‚Gatekeeper‘ vor Ort sein?
2. Was müssen sie tun, damit sich die Sportvereine den Zuwanderer-Communities
öffnen?
3. Was müssen sie tun, damit sich die Familien mit ausländischer Herkunft für die
lokalen Sportklubs öffnen?
4. Was können die Migrantenorganisationen tun, um den Kontakt zu den örtlichen
Vereinen zu fördern?
5. Mit welchen Maßnahmen soll es losgehen?
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